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Franken wäre ohne sie ein ganzes Stück ärmer: Die Fürstbischöfe von Bamberg und Würzburg aus dem Hause Schönborn hinterließen einen barocken Schatz an Residenzen, Schlössern, Kirchen. Die Würzburger Residenz, ihre große Meisterleistung, zählt zum UNESCO-Welterbe. Doch die Schönborns waren nicht nur prunkliebende Bauherren, sondern auch politische Visionäre: Als Inhaber bedeutender geistlicher Ämter, darunter das der Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz, bestimmten sie wesentlich die Reichspolitik mit. Als Gegenpart der expansiven Großmächte Habsburg, Preußen und Frankreich hofften sie, das Reich aus den europäischen Konflikten des 18. Jahrhunderts herauszuhalten. Fast 30 Jahre lang wirkte Friedrich Karl von Schönborn (1674–1746) am Wiener Kaiserhof, bevor er sein Amt als Fürstbischof von Bamberg und Würzburg antrat.
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Seitenzahl: 195
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herausgegeben vonThomas Götz
KARIN SCHNEIDER-FERBER
Fürstbischöfe zwischen Macht und Kunst
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2024 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg
Tel. 0941/920220 | [email protected]
ISBN 978-3-7917-3503-0
eISBN 978-3-7917-6256-2
Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: www.martinveicht.de
Umschlagmotive: Vorderseite: Hauptaltarbild der Pfarrkirche von Gaibach, gemalt von Franz Lippold, 1748 (Interessengemeinschaft Gutshof Öttershausen e. V., mit freundlicher Genehmigung der kath. Kirchenstiftung Allerheiligste Dreifaltigkeit Gaibach); Rückseite: Wappen Johann Philipp von Schönborns als Erzbischof von Mainz, Hof zu Homberg (https://commons.wikimedia.org).
Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany 2024
Unser gesamtes Programm finden Sie unterwww.verlag-pustet.de
Einleitung: Ein Haus und seine Liebe zu barocker Pracht
1.Die Reichskirche als Sprungbrett: Stufen auf der Karriereleiter
Die Herkunft der Familie aus dem Rhein- und Taunusgebiet / Ihre Zugehörigkeit zur Reichsritterschaft/Karrieremöglichkeiten in der Reichskirche / Die Bedeutung der Reichsbistümer in der Frühen Neuzeit / Gewiefte Pfründenjäger: Konkurrenten und Partner der Schönborns
2.Fulminanter Auftakt in schwieriger Zeit: Johann Philipp von Schönborn (1605–1673)
Ausbildung und Aufstieg / Die glückliche Stunde: Wahl zum Bischof von Würzburg 1642/Der »deutsche Salomon«: Johann Philipps Initiativen für einen Friedensschluss / Das Bistum Würzburg im Dreißigjährigen Krieg / Macht und Ehre: Die Wahl zum Erzbischof von Mainz 1647 / Schwierige Nachkriegszeit: Reorganisation der Bistümer und Baupolitik / Vetternwirtschaft: Die Protektion von Geschwistern und Neffen
3.Höhenflug eines Hochbegabten: Lothar Franz von Schönborn (1655–1729)
Ein vielversprechender Neffe: Lothar Franz und seine Familie / Der frühe Werdegang innerhalb der Kirche / Die Wahl zum Fürstbischof von Bamberg 1693 / Der Pfälzische Erbfolgekrieg / In schwieriger Mission: Kurfürst und Erzbischof von Mainz 1695 / Der »Kaisermacher«: Krönung Kaiser Karls VI. / Ausbau der Familienstellung
4.»Das Bauen ist ein Teufelsding«: Lothar Franz von Schönborn als Vater des fränkischen Barock
Barocke Frömmigkeit und fürstlicher Repräsentationswille / Der Familiensitz: Schloss Gaibach bei Volkach am Main / Das Altarbild der Gaibacher Pfarrkirche /Der Ausbau der Bamberger Residenz / Schloss Weißenstein bei Pommersfelden/ Ort des höfischen Zeremoniells: Das Treppenhaus /Die Gemäldegalerie in Pommersfelden / Die Baumeisterbrüder Dientzenhofer
5.An allen Ecken und Enden ein Schönborn: Die dritte Generation
Die sieben Neffen Lothar Franz von Schönborns / Ausbildung und planmäßige »Verteilung« auf Domkapitel und Bischofsstühle / Die Rolle der Frauen / Angefochten und unbeliebt: Johann Philipp Franz als Fürstbischof von Würzburg / Hochgesteckte Pläne: Die Würzburger Residenz / Finanznot und klamme Kassen / Ein begnadeter Architekt: Balthasar Neumann
6.Im Zenit des Ruhms: Friedrich Karl von Schönborn (1674–1746)
Reichsvizekanzler in Wien / Neue künstlerische Impulse: Der Architekt Johann Lucas von Hildebrandt / Der Umgang mit dem Erbe / Die Reichshofkanzlei in Wien / Querelen um den Mainzer Kurhut / Fürstbischof von Bamberg und Würzburg
7.Ein Bau von europäischem Format: Die Würzburger Residenz
Der Residenzbau unter Friedrich Karl von Schönborn / Das Treppenhaus / Das Ausstattungsprogramm / Die ganze Welt im Blick – Tiepolos Deckenfresko im Treppenhaus der Würzburger Residenz /Die Hofkirche
8.Sakrale Kunst in Stadt und Land: Kirchen, Kapellen, Grablegen
Bau und Förderung von Wallfahrtskirchen / Die Pfarrkirche von Wiesentheid / Balthasar Neumanns Schrift »Die Lieb zur Zierd des Hauß Gottes« /Für das Familiengedächtnis: Die Grabkapelle des Würzburger Doms
9.Ende einer Ära: Die letzten Schönborns
Der Tod Franz Georg von Schönborns 1756 / Schreckgespenst am Rhein: Die Französische Revolution / Das Ende der Reichskirche / Überlebenskünstler: Neue Karrierewege der Schönborns
Stammbaum
Anhang
Zeittafel / Literaturverzeichnis / Bildnachweis
Sie haben Franken zum Leuchten gebracht: Nicht umsonst nennt man die Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn die »Väter des fränkischen Barock«. Verschwenderisch und ohne Rücksicht auf die Kosten erbauten sie ihre fürstbischöflichen Residenzen in Würzburg und Bamberg, ihre Privatschlösser in Gaibach und Pommersfelden, legten Gemäldesammlungen, Barockgärten und Familiengrablegen an und hinterließen an allen Ecken und Enden ihrer Bistümer einen reichen Schatz an Wallfahrtskirchen, Dorfkirchen und Kapellen, die ihre barocke Ästhetik auch auf dem flachen Land verbreiteten. Mit großem Kunstsinn engagierten sie dafür die besten Künstler ihrer Zeit: Balthasar Neumann, Johann Lucas von Hildebrandt, Antonio Bossi, die Gebrüder Dientzenhofer. Unter ihren glücklichen Händen wuchsen Werke von europäischem Rang in die Höhe, die heute wie die Würzburger Residenz zum UNESCO-Welterbe zählen. Dass seine ganze Familie vom »Bauwurmb« befallen sei, gab Lothar Franz von Schönborn (1655–1729) unumwunden zu. Das Bauen machten die Schönborns mehr oder weniger zur Familiensache. So tauschten sie sich innerhalb der Verwandtschaft über die jeweiligen Projekte aus, holten sich fachkundigen Rat ein, vermittelten Künstler und transferierten Ideen.
Und dennoch waren die Schönborns viel mehr als nur prunkliebende Bauherren: Sie hatten auch eine politische Vision. In einer Zeit, in der nach dem Westfälischen Frieden (1648) die großen Landesherrschaften zu erstarken begannen – die sächsischen Wettiner erwarben die Krone Polens, der Kurfürst von Brandenburg stieg zum König in Preußen auf, die Hannoveraner wurden zu Königen von England gekrönt und die bayerischen Wittelsbacher machten sich Hoffnungen auf die Krone Spaniens –, setzten sie ganz auf das Reich. Im bunten Kreis der mittelgroßen Reichsterritorien, heute gemeinhin als »Flickenteppich« auf der Landkarte verpönt, sahen sie das eigentliche Substrat des Alten Reiches, seinen innersten Kern verkörpert. Zu dessen Bewahrung kam den Schönborns in ihrer Eigenschaft als Kurfürsten und Erzbischöfen von Mainz eine Schlüsselrolle zu. Mit ihrer Politik versuchten sie, den Gegensatz zwischen Frankreich und Habsburg abzumildern und unter allen Umständen den fragilen Frieden im Reich zu wahren. Sie machten sich zu Anwälten des in viele kleine Herrschaften zersplitterten Reichs, zu dem auch die geistlichen Fürstentümer zählten, die nach dem Dreißigjährigen Krieg und den zahlreichen Konfessionskonflikten auf den Erhalt des Status quo in besonderem Maße angewiesen waren. Die Reichskirche wurde somit einmal mehr zur Trägerin des Reichsgedankens. Und wie keinem anderen Geschlecht gelang es den Schönborns, die Institution Kirche zu dominieren: In den Jahren zwischen 1642 und 1756 besetzten sechs Mitglieder der Familie zum Teil gleichzeitig und in Ämterakkumulation bedeutende geistliche Erz- und Fürstbistümer, darunter neben Würzburg und Bamberg die rheinischen Bistümer Trier, Mainz, Worms, Speyer sowie Konstanz. Sie stellten damit zwei Reichskanzler, einen Reichsvizekanzler und drei Kurfürsten. Über die Linie der Schwesternsöhne kamen bis 1797 weitere fünf Fürstenthrone hinzu. Damit besaßen die Schönborns über vier Generationen und 150 Jahre hinweg maßgeblichen Einfluss auf die Germania Sacra.
Einer der bedeutendsten unter ihnen, Friedrich Karl von Schönborn (1674–1746), Fürstbischof von Würzburg und Bamberg, Vollender des Rohbaus der Würzburger Residenz, begeht 2024 seinen 350. Geburtstag. Als Reichsvizekanzler lange Zeit in Wien residierend, kam er mit den Großbauten und Architekten des Kaiserhofes in Berührung und übernahm dabei viel von deren künstlerischem Gedankengut für seine eigenen Projekte. Als aufgeklärter Geist kümmerte er sich darüber hinaus um die innere Verwaltung seiner Bistümer, förderte Bildungswesen und Universität. Das anstehende Jubiläum mag den Anlass geben, erneut auf dieses bedeutende Geschlecht zurückzublicken, das zwar seine fürstbischöfliche Macht nach der Säkularisation verlor, als Familienverband aber aufgespalten in drei Linien bis in die heutige Zeit überdauerte: Der amtierende Wiener Erzbischof und Kardinal Christoph Schönborn (geb. 1945) entstammt der böhmischen Linie dieses traditionsreichen Hauses.
Das Bistum Würzburg führt seine Gründung auf den angelsächsischen Missionar Bonifatius (741/42) zurück. Der zur salischen Zeit errichtete Dom gehört zu den größten romanischen Basiliken Deutschlands.
Macht und Pracht waren bei den Schönborns eng verwoben. Dabei war ihnen ihr sagenhafter Aufstieg von einem minder begüterten Reichsrittergeschlecht zu den höchsten Würdenträgern der Reichskirche keinesfalls in die Wiege gelegt. Nüchterne Karriereplanung, innerfamiliärer Zusammenhalt, Rückstellung individueller Wünsche und persönlicher Ehrgeiz waren nötig, um sich zielstrebig nach oben zu arbeiten. Die Schönborns tragen so alle Kennzeichen einer Aufsteigerfamilie. Riskant war ihre Strategie allemal, denn die Fixierung der männlichen Nachkommen auf die Kirchenlaufbahn entzog dem Adelsgeschlecht gleichzeitig seine Möglichkeiten zur Fortpflanzung. Mehrmals ruhte der Bestand der Familie nur auf einem einzigen Ehepaar, das auf viele Nachkommen, insbesondere auf Söhne, hoffen musste – angesichts hoher Kindersterblichkeit und geringer Lebenserwartung ein Wandeln auf schmalem Pfad. So gehörte auch eine ganze Portion Glück zum Aufstieg der Schönborns: Die Fürstbischöfe fanden stets genügend Neffen vor, denen sie den Weg in die Domkapitel ebnen und die sie für die Nachfolge auf den Bischofsstühlen in Stellung bringen konnten. Und auch die reiche Schar der Nichten ließ sich zum Vorteil der Familie mit alteingesessenen Stiftsfamilien verheiraten. Das Beziehungsgeflecht der Schönborns erwies sich über mehrere Generationen als sehr tragfähig.
Man sollte annehmen, dass eine Familie, die ein so reiches kulturelles Erbe in Franken hinterließ, auch aus diesem Gebiet stammte. Doch weit gefehlt: Beheimatet waren die Schönborns ursprünglich ganz woanders. Ihre Wurzeln, die sich urkundlich bis ins ausgehende 13. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, lagen im Westerwald und im hinteren Taunus. Der kleine Ort Schönborn nahe Diez an der Lahn gab dem Geschlecht seinen Namen. Die Familienlegende sieht in einem Ritter namens Eucharius, der den »Schönen-Born« zur Stauferzeit einst bebaut haben soll, den Stammvater der Genealogie. Doch erst im 14. Jahrhundert wird die dem niederen Adel zugehörige Familie etwas besser greifbar. Aufgespalten in mehrere Linien – darunter die Hahnstätter, Westerburger und Freienfelser – fielen ihre Stammgüter so gering aus, dass sie sich stets in fremde Dienste begeben mussten und als Burgleute, Hofmeister und Amtmänner verschiedenen Lehensherren dienten.
Von den Hahnstättern weiß man, dass sie vor allem für die Grafen von Katzenelnbogen, die ihnen den Ort Hahnstätten mit Burg übertrugen, und für Kurmainz tätig waren; die Freienfelser, auf die die späteren Schönborn-Bischöfe zurückgehen, sind dagegen als kleine Gefolgsleute und Amtmänner der Grafen von Nassau-Weilburg seit dem 15. Jahrhundert überliefert. Über diese erhielten sie 1466 die Burg Freienfels nahe Weilburg hoch über dem Weilbachtal zu Lehen. Ein gutes halbes Jahrhundert später kam als trierischer Lehensbesitz noch die nahe gelegene Burg Eschbach (Laubuseschbach im Landkreis Limburg-Weilburg) in ihren Besitz. Da die Lehensherren, für die die Freienfelser Schönborns Verwaltungsarbeiten versahen, sich der lutherischen Lehre anschlossen, bekannten sich auch einzelne Vertreter aus dieser Linie zum Protestantismus. Mit ziemlicher Sicherheit galt dies für Georg I. von Schönborn, der als Amtmann in Weilburg arbeitete und 1560 verstarb. Die Hahnstätter blieben dagegen immer katholisch und sind zur selben Zeit urkundlich in etlichen Klöstern und Orden sowie erstmals auch in den Domkapiteln von Mainz und Trier nachweisbar. Den Höhepunkt der vorläufigen Kirchenkarriere erreichte dieser Familienzweig mit dem Mainzer Domherrn Friedrich Georg von Schönborn (nachgewiesen zwischen 1572 und 1640), der 1588 Domkapitular in Mainz wurde, seit 1619 als Amtmann im domstiftischen Bingen wirkte und 1639 zum Domkantor aufstieg. Mit ihm hatten die Schönborns erstmals einen Prälaten in ihren Reihen, doch zeichnete sich mit ihm auch das Aussterben der Hahnstätter Linie ab, denn er war der letzte Vertreter seines Familienzweiges.
Die Hoffnungen des Geschlechts ruhten daher auf den Freienfelsern auf der Burg Eschbach. Hier lebte inzwischen Georg IV. von Schönborn, der das Amt Runkel für den protestantischen Grafen von Wied verwaltete. Ob er selbst der evangelischen Lehre anhing, ist nicht eindeutig zu klären. Die Taufurkunde für seinen 1605 geborenen ältesten Sohn Johann Philipp – den späteren Erzbischof von Mainz – stellte jedenfalls der protestantische Pfarrer Jacobus Staudt von Blessenbach aus, in dessen Zuständigkeitsbereich die Burg Eschbach fiel. Doch besagte dies andererseits nicht allzu viel, da die Eltern den Konfessionsstand bestimmen konnten. Verheiratet war Georg von Schönborn jedenfalls auf Vermittlung des Mainzer Domkapitulars Friedrich Georg seit 1603 mit Maria Barbara von der Leyen, einer Frau mit dezidiert katholischem Hintergrund. In ihrer Verwandtschaft fanden sich Domherren in Mainz, Worms, Trier und Würzburg. Neben einem stattlichen Erbe aus ihrer aussterbenden Herkunftsfamilie brachte die Braut damit ein gutes Beziehungsgeflecht in den Stiftsadel mit in die Ehe. Drei Kindern schenkte Maria Barbara auf Burg Eschbach in den folgenden Jahren das Leben: Johann Philipp (1605), Philipp Erwein (1607) und Agatha Maria (Geburtsdatum unbekannt). Doch das Familienglück währte nicht lange: Vater Georg starb bereits im Jahr 1614. Um die drei minderjährigen Kinder musste sich nun die Witwe mit Unterstützung ihrer Verwandten kümmern. Der Mainzer Domkantor Friedrich Georg und die mütterliche Sippschaft in den diversen Domstiften nahmen sich der Aufgabe engagiert an. Damit eröffnete sich für die beiden männlichen Halbwaisen der Weg in die Kirche, die mit gut dotierten Pfründen lockte.
Die Familie der Schönborns entstammte dem Kreis der Reichsritterschaft. Bei Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1618) gab es rund 1.500 solcher kleiner Territorialherrschaften, die keinen Landesfürsten, sondern nur den Kaiser als unmittelbares Oberhaupt anerkannten. Der Stand war einst aus den Edelfreien und ritterlichen Dienstmannen des Mittelalters hervorgegangen, umfasste etwa 350 Familien und erfreute sich zahlreicher Privilegien. Denn auf ihren Rittergütern schalteten und walteten die Reichsritter so frei wie große Fürsten. Häufig übten sie die hohe und niedere Gerichtsbarkeit aus, leisteten nur einen kleinen Steuerbetrag zur Finanzierung des Reiches und durften bei Streitigkeiten gleich an den Reichshofrat appellieren, ohne den Umweg über ein landesfürstliches Gericht nehmen zu müssen. Voraussetzung für dieses freie Herrenleben war der Besitz eines reichsunmittelbaren, in die Matrikel der Ritterkreise eingetragenen Landguts. Da der Rechtsstatus nicht an die Größe des Grundbesitzes gebunden war, konnte das Rittergut auch äußerst klein ausfallen.
Reich waren die Reichsritter meistens nicht, aber frei und in der Ausübung ihrer Macht weitestgehend ungebunden. Ihren »Kollegen« aus dem landsässigen niederen Adel fühlten sie sich daher deutlich überlegen. Einziger Wermutstropfen: Anders als die hohen Fürsten, Kurfürsten, Reichsgrafen und Prälaten besaßen die Reichsritter keine Vertretung im Reichstag, dem wichtigsten Gremium der frühneuzeitlichen Reichsverfassung, in dem die Reichsstände – Klerus, Adel, Freie und Reichsstädte – in Zusammenarbeit mit dem Kaiser über wichtige Angelegenheiten und Steuerfragen berieten. Politisch blieben die Reichsritter daher weitgehend machtlos. Ihr Einfluss auf Kaiser und Reich war marginal, weshalb sie sich seit 1577 in eigenen Organisationen wie dem Schwäbischen, Fränkischen oder Rheinischen Ritterkreis zusammenschlossen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Dennoch blieb ihr Stand stets gefährdet. Weder politisch noch wirtschaftlich potent, gerieten sie ständig in Gefahr, vom nächstgrößeren Territorialherrn »übernommen« zu werden. Und der Kaiser war weit. Das tat dem eigenen Selbstbild jedoch keinen Abbruch, verstand man sich doch gemeinsam mit dem Kaiser als Verkörperung des Reiches schlechthin: Reich, Kaiser, Ritterschaft – so sah die ideelle Gemeinschaft aus. Während der eigennützige hohe Adel, so der zeitgenössische Vorwurf, nur nach seinem eigenen Vorteil strebe und oft genug auch der Kaiser nur an eigene dynastische Interessen denke, nahmen die Reichsritter für sich in Anspruch, das allgemeine Wohl des Reiches im Blick zu haben. Sie fühlten sich – durchaus in Konkurrenz zu den Kurfürsten – als »Säulen des Reiches«.
Soweit das Ideal – die Realität sah anders aus. Da die Reichsritter mit der Ausbildung immer stärkerer Landesherrschaften weder machtpolitisch noch ökonomisch mithalten konnten, mussten sie neue prestigeträchtige Wirkungsfelder erschließen, wenn sie nicht in völliger Bedeutungslosigkeit versinken wollten. Einheirat in ein regierendes Fürstenhaus oder in die ersten Reihen des Hochadels blieb angesichts geltender Standesschranken ein aussichtsloses Unterfangen. Der diplomatische Dienst an Kaiser- und Fürstenhöfen sowie der Aufstieg über Ämter und Pfründen innerhalb der Reichskirche boten dagegen Alternativen. Vor allem die Kirche wurde zur »Spielwiese« der Reichsritterschaft.
Die Kirche – zu der neben den Bistümern auch die vielen Klöster und Reichsabteien zählten – bot ein fast unerschöpfliches Reservoir an Ämtern und Posten, die einem gut ausgebildeten jungen Mann ein gedeihliches Auskommen sicherten. Allein auf Bistumsebene standen genügend Möglichkeiten für den persönlichen Aufstieg zur Verfügung. Besonders begehrt unter adligen Familien waren die Sitze im Domkapitel, denn selbst der mächtigste Fürstbischof gebot nicht allein und unumschränkt über sein Bistum. Bei der Verwaltung seiner Diözese war er zwingend auf die Zustimmung seines Domkapitels in allen wichtigen Angelegenheiten angewiesen. Die Domkapitel wachten dabei eifersüchtig über ihre eigenen Vorrechte; sie urkundeten selbständig, verfügten über ein eigenes Vermögen und besetzten aus ihrem Kreis wichtige und hoch dotierte Ämter wie das des Dompropstes, Domdekans oder des Domkantors und -scholasters. Die vornehmste Aufgabe des Domkapitels bestand aber in der Wahl eines neuen Bischofs, der häufig aus dem eigenen Kreis gekürt wurde. Ein Sitz im Domkapitel eröffnete dadurch immer auch die angenehme Aussicht auf Höheres.
Die Bedeutung der Reichsbistümer in der Frühen Neuzeit
Im Heiligen Römischen Reich gab es im 17. Jahrhundert insgesamt 24 katholische Bistümer (ein Jahrhundert später 26). An ihrer Spitze stand je ein Bischof, der neben seinen geistlichen Aufgaben auch weltliche Macht ausübte. Die vom Kaiser übertragenen Lehen und Herrschaftsrechte machten ihn zu einem Landesherrn gleich den weltlichen Territorialherren. Da die Bischöfe wie Fürsten regierten, genossen sie auch fürstengleichen Rang. Im Reichstag saßen sie auf der geistlichen Bank des Reichsfürstenrats und rangierten im Zeremoniell sogar noch vor ihren weltlichen Fürstenkollegen.
Eine besonders herausgehobene Stellung innerhalb dieser illustren Bischofsrunde kam den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier zu, denn sie waren gleichzeitig Kurfürsten und zählten damit zum Kreis der Königsund Kaiserwähler. Neben der Wahl stand den Erzbischöfen von Mainz und Köln das Vorrecht zu, das neue Reichsoberhaupt auch zu krönen. Traditionell besaß der Mainzer Erzbischof seit dem Mittelalter weitere ehrenvolle Aufgaben, die das Reich betrafen: So versah er das wichtige Amt des Reichserzkanzlers. Damit war er »Chef« der obersten Reichsbehörde – der Reichshofkanzlei – und ernannte deren Personal mit dem Reichsvizekanzler. Alle Urkunden und kaiserlichen Schreiben mussten von der Reichshofkanzlei gegengezeichnet werden. Auf der Ebene des Reiches leitete der Mainzer Kurfürst und Erzbischof zudem das Reichstagsdirektorium, das die Reichstage vorbereitete und organisierte. Da der in Regensburg tagende »Immerwährende Reichstag« seit 1633 zu einer dauerhaften Einrichtung mutierte und nicht mehr auseinandertrat, kam dem Mainzer die permanente Leitung dieser Versammlung zu, was sein Prestige im Reich stärkte.
Einfluss auf die Reichspolitik konnten die Bischöfe aber auch auf der unteren Ebene der Reichskreise entfalten, die im ausgehenden Mittelalter geschaffen worden waren, um die Verwaltung zu verbessern: Auf den Kreistagen traten die geistlichen und weltlichen Reichsstände einer Region in unregelmäßigen Abständen zusammen, um über die Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung im Land zu beraten. Die Bischöfe von Mainz, Bamberg, Worms und Konstanz besaßen dabei allein oder mit anderen Teilnehmern zusammen das Recht, die Kreise ihrer Region einzuberufen und die Tagesordnung zu bestimmen. Da viele praktische Fragen der Seuchen-, Armuts- und Verbrechensbekämpfung, der Steuererhebung, der Truppenaushebung, der Zoll-, Münz- und Handelspolitik oder des überregionalen Straßenbaus auf den Kreistagen erörtert und geregelt wurden, nahmen die Fürstbischöfe hier über den Aktionsradius ihres eigenen Bistums hinaus aktiv an der Verwaltung des Reiches teil.
Seit dem Mittelalter nahmen die Mainzer Erzbischöfe als Leiter der Hofkanzlei und als kurfürstliche Königswähler eine herausragende politische Rolle ein. Diese spiegelt sich in der monumentalen Architektur des Domes wider, zu dem im späten 10. Jh. Erzbischof Willigis den Grundstein legte.
Dennoch musste man sich in Geduld üben, wenn man in eines dieser erlauchten Gremien einziehen wollte, denn die Anzahl der Domkapitelsitze war begrenzt und nicht beliebig erweiterbar. Daher erwarben Eltern bereits früh für ihre neun- bis 12-jährigen Söhne Anwartschaften, Präbenden, die schon mit ersten Einkünften verbunden waren. Dies geschah häufig sogar an mehreren Domstiften, um die Chancen auf einen freiwerdenden Sitz für die Zukunft zu erhöhen und gleichzeitig das dringend benötigte Kapital für die teure Ausbildung zusammenzubekommen. Bei der »Aufschwörung« wurde der junge Aspirant, begleitet von seinen Fürsprechern, in einer offiziellen Zeremonie in das Kapitel aufgenommen; Zeugen bürgten für ihn, ein Notar protokollierte den Vorgang. So gab es in den Kapiteln stets mehr »aufgeschworene« Mitglieder als vollberechtigte Stiftsherren. Viele Kapitel verlangten vor der Aufnahme eine Reihe von Nachweisen: über die adlige und eheliche Abkunft, über Taufe und Taufpaten, über Schul- und Universitätsbildung, über die Entrichtung vorher fälliger Zugangsgebühren. Entschied sich der Kandidat im Laufe seiner Ausbildung zu bleiben, unterlag er als Domizellar der Residenzpflicht, was seine Anwesenheit vor Ort zumindest für eine bestimmte Zeit erforderte. Er unterstand dabei der Aufsicht des Domscholasters, kam in den Genuss von Präsenzgeldern, doch galt er immer noch nicht als vollstimmberechtigt. Erst wenn eine Domherrnstelle frei geworden war, konnte er als Vollmitglied in das Gremium einziehen, sofern die übrigen Domherren dem zustimmten und der Papst nicht sein eigenes Nominationsrecht beanspruchte. Schneller ging es, wenn ein Domkapitular auf seinen Sitz zugunsten eines Nachfolgers verzichtete. Über diesen Weg ließen sich Verwandte und Schützlinge am besten protegieren. Die übrigen Domherren konnte man derweil mit Absprachen, gelegentlich auch finanziellen Zuwendungen, vom Neuzugang »überzeugen«.
Die Reichsritterschaft dominierte in sehr vielen Domkapiteln, insbesondere im fränkisch-schwäbischen und im rheinischen Raum. Als Hochburgen können die Bistümer Bamberg, Würzburg, Eichstätt, Worms, Speyer, Mainz oder Konstanz gelten. Bei Bischofswahlen setzten sich dort entsprechend viele Kandidaten aus der Reichsritterschaft durch. Allerdings kam es für die Familien dabei darauf an, langfristig und in möglichst vielen Kapiteln präsent zu sein, um eines Tages den gewünschten Erfolg zu erzielen.
Wie quantitative Auswertungen ergaben, dominierte im 17. und 18. Jahrhundert ein kleiner Kreis von etwa 50 reichsritterschaftlichen Familien die Besetzung der Domkapitel. Nahezu sechs von zehn an die Reichsritterschaft fallenden Präbenden entfielen auf diese kleine Elite mit ihren knapp 700 Familienangehörigen. Aus Franken waren es u. a. die Dernbach, Erthal, Fechenbach, Fuchs von Dornheim, Guttenberg, Hatzfeld und die Groß von Trockau, aus dem Rheinischen Ritterkreis die Cratz von Scharfenstein, die Dalberg, Eltz oder Greiffenclau, aus Schwaben die Riedheim, Freyberg, Schenk von Castell, Sickingen, Stadion oder Schenk von Stauffenberg, um nur einige derer zu nennen, die sich besonders erfolgreich hervortaten. Die Schönborns spielten hier mit 33 Präbenden, 23 Kapitelsitzen und 12 gewonnenen Bischofswahlen in der obersten Liga mit. Dabei kam es nicht nur darauf an, stets genügend Söhne für die geistliche Laufbahn zur Verfügung zu haben, was Glück und Zufall voraussetzte, sondern sich auch mit den anderen einflussreichen Familien so zu vernetzen, dass zum Zeitpunkt einer Bischofswahl genügend Unterstützer in den Domkapiteln saßen. »Networking« war daher angesagt.
Dies fing schon bei der Partnerwahl an, denn nur Ehegatten aus alteingesessenen Stiftsfamilien gewährleisteten wiederum die »Stiftsfähigkeit« des Nachwuchses. Den Frauen des Hauses Schönborn kam im gesamtplanerischen Handeln der Familie daher hohe Bedeutung zu: Ihre Heiraten flochten ein dichtes und weitläufiges Netz an Verwandtschaftsbeziehungen. Je höher die Anzahl an Verwandten in den Domstiften, desto größer waren die Chancen auf die Besetzung hochrangiger Posten im Bistum. Einmal oben angekommen, ließen sich wiederum Neffen – ungeachtet dessen, ob sie aus männlicher oder weiblicher Linie stammten – fördern und an strategisch günstigen Positionen platzieren. So kam eine rege Vetternwirtschaft in Gang, aber ohne tragfähige Familienbande wären Kandidaten aus dem niederen Adel nicht zu solch einflussreichen Würden wie jenen des Fürstbischofs, Kurfürsten oder des Reichserzkanzlers gekommen. Nur der Zusammenhalt der Standesgenossen insgesamt garantierte den Erfolg – man war Konkurrent und Partner in einem. Der Erfolg gab ihnen recht: Zwischen 1601 und dem Ende des Alten Reiches 1803 besetzten die 50 erfolgreichsten Reichsritterfamilien über 60 Prozent der höheren Pfründenstellen an den Domkapiteln. In Bamberg, Mainz, Würzburg und Worms gingen 44 Kirchenfürsten aus ihrem Kreis hervor.
Die Schönborns zeigten sich besonders gut eingebettet und vernetzt in diese Clanstrukturen. Sie waren geschickt darin, Heiratsallianzen einzugehen, Absprachen zu pflegen und Verwandte zu protegieren. Dieses Vorgehen trug reiche Früchte.