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Was können wir als Einzelne tun, um unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen? Charles Eisenstein stellt dem allgegenwärtigen Zynismus eine kraftvolle und ermutigende These entgegen: Wir alle sind miteinander verbunden. Schon kleine, persönliche Gesten von Mut, Freundschaft und Selbstvertrauen bergen eine ungeahnte transformatorische Kraft. Wenn wir dieses Prinzip des Interbeing anwenden, können wir zur Überwindung der Separation und einem positiven Wandel beitragen — damit die schönere Welt möglich wird, die wir in unseren Herzen längst erahnen.
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Seitenzahl: 484
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CHARLES EISENSTEIN
Aus dem amerikanischen Englisch vonNikola Winter und Eike Richter
Die amerikanische Originalausgabe ist 2013 unter dem Titel The More Beautiful World Our Hearts Know Is Possible bei North Atlantic Books, Kalifornien, USA erschienen.
© 2013 by Charles Eisenstein. Einige Rechte vorbehalten.
Die Originalausgabe von The More Beautiful World Our Hearts Know Is Possible steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Lizenz: Nicht-kommerziell / Keine Bearbeitung 3.0 Unported (CC BY-NC-ND 3.0).
Mehr Information unter: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de
Die Originalausgabe wurde von der Society for the Study of Native Arts and Sciences gefördert, einer nicht-profitorientierten Bildungsorganisation, deren Ziele es sind, eine interkulturelle Perspektive zu fördern, die verschiedene wissenschaftliche, gesellschaftliche und künstlerische Felder verbindet, eine ganzheitliche Sicht auf Kunst, Natur- und Geisteswissenschaften und Heilung zu entwickeln, sowie Literatur betreffend das Verhältnis zwischen Geist, Körper und Natur zu publizieren und zu verbreiten.
Der Verlag dankt Nikola Winter und Eike Richter für ihre unentgeltliche Übersetzung.
Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.
1. eBook-Ausgabe 2021
Deutsche Ausgabe veröffentlicht 2014 von:
© 2014 by Scorpio Verlag in Europa Verlage GmbH, München
Umschlaggestaltung: David Hauptmann, Hauptmann & Kompanie
Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Motivs von Wikimedia commons (Hendrik Voogd, Italienische Landschaft mit Regenschirmkiefern)
Satz: BuchHaus Robert Gigler, München
Konvertierung: Bookwire
ePub-ISBN: 978-3-95803-396-2
Alle Rechte vorbehalten.
www.scorpio-verlag.de
Für die Bescheidenen,deren unsichtbare Entscheidungen die Welt heilen.
Danksagung
Separation
Zusammenbruch
Interbeing
Zynismus
Wahnsinn
Gewalt
Wissenschaft
Klima
Verzweiflung
Hoffnung
Morphogenese
Naivität
Echtheit
Geist
Orthodoxie
Das Neue
Die drei Samen
Dringlichkeit
Knappheit
Tun
Nicht-Tun
Aufmerksamkeit
Kampf
Schmerz
Lust
Urteil
Hass
Rechtschaffenheit
Psychopathie
Das Böse
Geschichten
Unterbrechung
Wunder
Wahrheit
Bewusstsein
Bestimmung
Initiation
Der Stamm versammelt sich
Es ist nur vier Jahre her, dass meine Arbeit beinahe unbekannt und ich bankrott war. Ich arbeitete in Teilzeit am Bau und schrieb in jedem freien Moment, den mir ein Leben als alleinerziehender Vater erlaubte. Es war die Großzügigkeit zahlloser Freunde und Unterstützer, die mein Leben seit damals so radikal verändert hat.
In den vergangenen drei Jahren habe ich mindestens dreihundert Vorträge in über hundert Städten gehalten. Keine dieser Veranstaltungen habe ich selbst organisiert oder jemanden für die Organisation bezahlt – jede war ein Geschenk von Menschen, die ihre Zeit, Energie, Netzwerke und organisatorischen Fähigkeiten zur Verfügung stellten. Auch habe ich keinen der Podcasts, keines der Interviews und keinen der Filme, an denen ich mitwirkte, in Auftrag gegeben. Ich kann nur deshalb einen erfolgreichen Beitrag leisten, weil so viele andere der gleichen Sache dienen. Meine Arbeit ist eine veritable Gemeinschaftsleistung.
Es haben mehr Menschen mitgewirkt, als ich hier aufzählen kann. Das gilt auch für die Hunderten, die mich bei sich zu Hause aufgenommen, verpflegt und herumgefahren haben, wo immer ich zu Gast war. Liebe Gastgeber, eure Großzügigkeit hat mir mehr gegeben, als ihr wisst, denn sie hat mir gezeigt, dass das, worüber ich schreibe, wahr ist. Gleichfalls die Tausenden von Menschen, die mir online oder bei Veranstaltungen Geld gegeben und damit das Geschenkprinzip anerkannt haben, durch das ich meine Arbeit gratis zugänglich mache. Dank eurer Großzügigkeit kann ich weiter schreiben und Vorträge halten und gleichzeitig vier Kinder ernähren.
Zusätzlich zu all diesen Menschen, die hier namenlos bleiben müssen, möchte ich einige Namen derer nennen, die direkten Einfluss auf dieses Buch hatten. Ich möchte Ken Jordan und Daniel Pinchbeck danken, dass sie mir die völlige redaktionelle Freiheit bei der Veröffentlichung von Essays ließen, in denen ich viele der Ideen in diesem Buch entwickelte, Andrew Harvey für unsere geistreichen Unterhaltungen, die mich in meinem Denken über »das Böse« in bisher unbetretenes Terrain führten, sowie für seinen unermüdlichen Enthusiasmus für meine Arbeit, Joshua Ramey für seine Freundschaft in einem entscheidenden Augenblick des Zweifels, Patsy, meiner Exfrau, dafür, dass sie während der Feuerprobe der Heilung bei mir blieb, North Atlantic Books für die Nachsicht mit meinen Wünschen rund um das Urheberrecht, die künstlerische Cover-Gestaltung und die Textaufbereitung sowie Marie Goodwin, die aus dem Nichts auftauchte, um mir zu helfen bei der Planung, Logistik, Kommunikation, Recherche und dabei, nicht verrückt zu werden. Ich möchte auch die Folgenden in meine Danksagung einschließen: Glenn Baumgartner, O. J. Haugen, Brad Laughlin, Cynthia Jurs, Polly Higgins, Satish Kumar, Mark Boyle, Manish Jain, Ian MacKenzie, Filipa Pimenatal, Trenna Cormack, Jeff Dardozzi, Filiz Telek … ah, jetzt, wo ich begonnen habe, möchte ich hundert weitere aufzählen. Viele, die ich hier nicht erwähnt habe, sind genauso wichtig wie die Genannten.
Schließlich möchte ich meiner Frau Stella danken, deren Gegenwart in meinem Leben alles verändert hat.
Manchmal ergreift mich eine nostalgische Sehnsucht nach der Märchenwelt meiner Jugendzeit, als an Limonade noch nichts falsch und der Super Bowl wichtig war, als Amerika der Welt die Demokratie brachte, als der Arzt einen wieder flottkriegte und die Wissenschaft das Leben immer weiter verbesserte – gerade hatten sie den ersten Menschen auf den Mond geschossen.
Das Leben hatte einen Sinn. Wenn man hart genug arbeitete, bekam man gute Noten und konnte auf eine gute höhere Schule gehen, anschließend studieren oder eine andere Ausbildung machen; und man war damit zufrieden. Abgesehen von ein paar unglücklichen Ausnahmefällen hatte man Erfolg, wenn man sich an die Regeln unserer Gesellschaft hielt: Man musste nur die aktuellsten medizinischen Ratschläge befolgen, informiert bleiben, indem man die »New York Times« las, eine gute Ausbildung abschließen, sich an die Gesetze halten und bösen Dingen wie Drogen aus dem Weg gehen. Natürlich gab es Probleme, aber die Wissenschaftler und Experten arbeiteten hart daran, sie zu lösen. Schon bald würde ein neuer medizinischer Durchbruch, ein neues Gesetz oder eine neue Erziehungsmethode die Lebensumstände weiter verbessern. Meine Kindheitsvorstellungen entstammten einem Narrativ, das ich die Geschichte von den Menschen nenne. In ihr ist es die Bestimmung der Menschheit, mithilfe von Wissenschaft, Vernunft und Technologie eine perfekte Welt zu schaffen: die Natur zu erobern, unsere animalischen Ursprünge zu überwinden und eine rationale Gesellschaft zu entwickeln.
Aus meinem damaligen Blickwinkel schienen die Grundvoraussetzungen dieser Geschichte unerschütterlich. Meine Erziehung, die Medien und der Großteil des täglichen Lebens um mich herum ergaben zusammen den Eindruck: »Alles ist in Ordnung.« Heute wird immer offensichtlicher, dass es eine Scheinwelt auf der Basis von immensem menschlichem Leid und massiver Umweltzerstörung war, allerdings konnte man zu der Zeit in dieser Scheinwelt ohne allzu viel Selbsttäuschung leben. Die uns umgebende Geschichte war solide. Was nicht ins Bild passte, konnte leicht verdrängt werden.
Trotzdem fühlte ich (wie viele andere auch), dass in der Welt etwas verkehrt lief – die Verkehrtheit sickerte durch die Ritzen meiner privilegierten, geschützten Kindheit. Was man mir als normal verkaufte, glaubte ich nie ganz. Das Leben, das wusste ich, sollte eigentlich viel freudvoller, viel wirklicher, viel bedeutsamer sein als dieses, und die Welt sollte viel schöner sein. Es war nicht richtig, dass wir die Montage hassten und nur für das Wochenende lebten. Wir sollten uns nicht melden müssen, damit man uns erlaubte, auf die Toilette zu gehen. Wir sollten an einem schönen Tag nicht drinnen gehalten werden, und das tagaus, tagein.
Und als sich mein Horizont erweiterte, wusste ich, dass es nicht vorgesehen war, dass Millionen hungerten, dass über unseren Köpfen das Damoklesschwert der Atomwaffen hing, dass die Regenwälder schrumpften, die Fische starben oder die Kondore und Adler verschwanden. Ich konnte nicht akzeptieren, wie das herrschende Narrativ meiner Kultur diese Dinge behandelte: als bruchstückhafte Probleme, die zu lösen, als unglückliche Fügungen des Lebens, die zu bedauern waren, oder als Tabuthemen, über die man nicht sprach, die man einfach ignorierte.
Wir alle wissen es auf einer bestimmten Ebene besser. Dieses Wissen findet nur selten eine Möglichkeit, sich klar zu artikulieren, daher bringen wir es eher indirekt in Form von verstecktem oder offenem Protest zum Ausdruck. Mit Süchten, Selbstsabotage, Aufschieben, Faulheit, Wutanfällen, chronischer Müdigkeit und Depressionen hindern wir uns selbst, am vollen Leben teilzuhaben, das uns zur Verfügung steht. Wenn das Bewusstsein keinen Grund findet, Nein zu sagen, sagt das Unbewusste auf seine eigene Art Nein. Immer mehr von uns ertragen es nicht länger, in der »alten Normalität« zu verharren.
Dieses Narrativ von Normalität befindet sich auch auf systemischer Ebene inmitten eines Zusammenbruchs. Wir leben heute in einer Übergangsphase zwischen den Welten. Die Institutionen, die uns durch die Jahrhunderte trugen, haben ihre Kraft verloren. Nur mit zunehmender Selbsttäuschung können wir uns vormachen, sie wären noch aufrechtzuerhalten. Unsere Systeme wie Geld, Politik, Energie, Medizin, Erziehung und andere bringen uns nicht mehr den einstigen Nutzen (den sie zumindest zu bringen schienen). Ihr utopisches Versprechen, das noch vor einem Jahrhundert so verlockend war, verliert jedes Jahr zunehmend an Glanz. So viele von uns wissen das, und wir geben uns immer weniger Mühe, das zu leugnen. Trotzdem scheint es, als könnten wir nichts daran ändern; als könnten wir nicht einmal selbst aufhören, uns am Sturz der industriellen Gesellschaft in den Abgrund zu beteiligen.
In meinen früheren Büchern habe ich den Vorschlag für eine Umdeutung dieses Prozesses gemacht. Man könnte die kulturelle Evolution der Menschen auffassen als eine Geschichte von Wachstum, gefolgt von einer Krise, gefolgt von einer Wiedergeburt: der Entstehung einer neuen Art von Zivilisation, einem Zeitalter der Wiedervereinigung, das auf das Zeitalter der Separation folgt. Vielleicht passiert tief greifende Veränderung nur durch einen Zusammenbruch. Sicher stimmt das für viele im persönlichen Bereich. Man mag auf intellektueller Ebene wissen, dass der eigene Lebensstil nicht vernünftig ist und dass man sein Verhalten ändern sollte. »Ja, ja, ich weiß, ich sollte mit dem Rauchen aufhören; anfangen, Sport zu treiben; nicht mehr auf Kredit kaufen.«
Aber wie oft ändert sich denn jemand ohne einen Weckruf – oder noch öfter: eine Serie von Weckrufen? Schließlich sind unsere Gewohnheiten in eine Lebensweise eingebettet, die alle Aspekte des Lebens umfasst. Daher das Sprichwort: »Du kannst nicht eine Sache verändern, ohne alles andere auch zu verändern.«
Auf kollektiver Ebene ist das nicht anders. Sobald uns die wechselseitige Verbundenheit all unserer Systeme bewusst wird, sehen wir, dass wir zum Beispiel unsere Energietechnologien nicht ändern können, ohne das ihnen zugrunde liegende Wirtschaftssystem zu verändern. Genauso lernen wir, dass alle äußeren Institutionen unsere grundlegende Wahrnehmung der Welt und unsere versteckten Ideologien und Glaubenssysteme widerspiegeln. So betrachtet können wir sagen, dass die ökologische Krise (wie alle unsere Krisen) eine spirituelle Krise ist. Damit meine ich, dass sie ganz bis auf den Grund hinunterreicht und alle Aspekte unseres Menschseins berührt.
Und was genau liegt auf diesem Grund? Was meine ich mit einer »Übergangsphase zwischen den Welten«? Am Grund unserer Zivilisation liegt eine Geschichte, ein Mythos. Ich nenne sie die Geschichte von der Welt oder die Geschichte von den Menschen – ein Geflecht aus Narrativen, Übereinkünften und symbolischen Systemen, das die Antworten unserer Kultur auf die grundlegenden Fragen des Lebens bietet:
Wer bin ich?
Warum geschehen Dinge?
Was ist der Sinn des Lebens?
Was ist die Natur des Menschen?
Was ist heilig?
Wer sind wir als Menschheit?
Woher kommen wir und wohin gehen wir?
Unsere Kultur beantwortet sie mehr oder weniger wie im Folgenden beschrieben. Ich werde diese Antworten ganz so liefern, wie sie uns diese Geschichte von der Welt gibt, obwohl sie in Wahrheit nie ausschließliche Gültigkeit besaß, nicht einmal dann, als sie im vergangenen Jahrhundert ihren absoluten Höhepunkt erreichte. Sie werden vielleicht feststellen, dass manche dieser Antworten wissenschaftlich veraltet sind, aber diese veraltete Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts speist immer noch unsere Vorstellung von dem, was real, möglich und zweckmäßig ist. Die neue Physik, die neue Biologie und die neue Psychologie haben gerade erst begonnen, in unsere vorherrschenden Ansichten einzusickern. Hier sind also die alten Antworten:
WER BIST DU? Du bist ein unabhängiges Individuum unter anderen unabhängigen Individuen in einem Universum, das von dir unabhängig ist. Du bist ein kartesianisches Bewusstseinsstäubchen, das hinausschaut durch die Augen eines Roboters aus Fleisch, der von seinen Genen darauf programmiert ist, sein reproduktives Eigeninteresse zu maximieren. Du bist eine psychologische Seifenblase, ein Geist (ob nun gehirnbasiert oder nicht), der getrennt ist von anderen Geistern und getrennt von der Materie. Du bist eine im Fleisch gefangene Seele, abgetrennt von der Welt und abgetrennt von allen anderen Seelen. Oder du bist eine Masse, ein Konglomerat aus Partikeln, die nach unpersönlichen physikalischen Kräften funktionieren.
WARUM GESCHEHEN DINGE? Noch einmal, es wirken die unpersönlichen physikalischen Kräfte auf ein beliebiges materielles Substrat aus Elementarteilchen. Alle Phänomene sind das Resultat dieser mathematisch determinierten Interaktionen. Intelligenz, Ordnung, Sinn und Plan sind Illusionen; allem liegt nur ein zielloses Gewirr von Kräften und Massen zugrunde. Jede Erscheinung, jede Bewegung, jedes Leben ist Resultat der Summe an Kräften, die auf Objekte einwirken.
WAS IST DER SINN DES LEBENS? Es gibt keinen Sinn, nur Ursachen. Das Universum ist im Grunde blind und tot. Gedanken sind nichts als elektrochemische Impulse, Liebe ist nichts als eine Hormonkaskade, die unser Gehirn neu verschaltet. Der einzige Sinn des Lebens ist es (entgegen dem, was wir uns selbst an Sinn zurechtzimmern), einfach zu leben, zu überleben, sich fortzupflanzen und das rationale Eigeninteresse zu maximieren. Da wir grundsätzlich voneinander getrennt sind, geht mein Eigeninteresse höchstwahrscheinlich auf Kosten deines Eigeninteresses. Alles, was Nicht-Ich ist, ist bestenfalls belanglos für mein Wohlergehen und schlimmstenfalls feindlich.
WAS IST DIE NATUR DES MENSCHEN? Um uns vor diesem feindlichen Universum aus lauter miteinander konkurrierenden Individuen und unpersönlichen Kräften zu schützen, müssen wir so viel Kontrolle wie möglich ausüben. Wir streben nach allem, was diesem Ziel dient, zum Beispiel Geld, Status, Sicherheit, Information und Macht – all das nennen wir »weltlich«. Am ureigensten Grund unserer Natur, unserer Motivationen und unserer Sehnsüchte liegt, was man nur »das Böse« nennen kann. Das macht einen Menschen aus, der rücksichtslos sein größtmögliches Eigeninteresse verfolgt.
WAS IST DAHER ALSO HEILIG? Zumal ja das rücksichts- und skrupellose Verfolgen des Eigeninteresses antisozial ist, kommt es darauf an, unser biologisches Programm zu überwinden und »nach höheren Dingen« zu streben. Ein heiliger Mensch erliegt nicht den fleischlichen Gelüsten. Er oder sie wählt den Pfad der Entsagung, der Disziplin und steigt auf in spirituelle Sphären oder – in der säkularen Version dieser Suche – in die Sphäre von Vernunft und Geist, Prinzipien und Ethik. Für religiöse Menschen bedeutet heilig: nicht von dieser Welt. Die Seele ist vom Körper getrennt, und Gott schwebt hoch über der Erde. Trotz ihrer oberflächlich betrachteten Gegensätzlichkeit sind sich Wissenschaft und Religion einig: Das Heilige ist nicht Teil von dieser Welt.
WER SIND WIR ALS MENSCHHEIT? Wir sind eine besondere Tierart, der Höhepunkt der Evolution mit unseren Gehirnen, die es uns erlauben, sowohl kulturell als auch genetisch Information weiterzugeben. Wir sind einzigartig, weil wir eine Seele besitzen (aus religiöser Sicht) oder eine rationale Vernunft (aus wissenschaftlicher Sicht). In unserem mechanischen Universum haben allein wir Bewusstsein und das Rüstzeug, um die Welt nach unseren Vorstellungen zu formen. Die einzige Grenze, die uns beschränkt, ist die Menge an Kraft, die wir uns nutzbar machen, und die Genauigkeit, mit der wir sie anwenden können. Je mehr uns das gelingt, umso besser sind wir dran in diesem gleichgültigen oder feindseligen Universum, umso bequemer und sicherer.
WOHER KOMMEN WIR UND WOHIN GEHEN WIR? Am Anfang waren wir nackte, unwissende Tiere, die mit knapper Not überlebten, und unser Leben war widerlich, brutal und kurz. Glücklicherweise ersetzte dank unserer großen Gehirne die Wissenschaft den Aberglauben und die Technologie das Ritual. Wir stiegen auf und wurden die Herren und Meister der Natur, zähmten Pflanzen und Tiere, machten uns die Naturkräfte zunutze, bekämpften Krankheiten und drangen in die tiefsten Geheimnisse des Universums vor. Unsere Bestimmung ist es, diese Eroberung zu vervollkommnen: uns selbst von Mühe und Arbeit, von Krankheit, ja sogar vom Tod zu befreien, zu den Sternen aufzusteigen und die Natur endgültig hinter uns zu lassen.
In diesem Buch werde ich von dieser Weltsicht als »die Geschichte von der Separation« oder »die alte Geschichte« sprechen oder mich manchmal auf ihre Teilaspekte beziehen, »die Geschichte vom Aufstieg« oder » das Programm der Kontrolle« und so weiter.
Die Antworten auf diese Fragen sind kulturabhängig, aber wir sind von ihnen so durchdrungen, dass wir sie für die Wahrheit hielten. Diese Antworten verändern sich heute, und mit ihnen alles, was auf ihnen beruht – also praktisch unsere gesamte Zivilisation. Deshalb befällt uns manchmal dieses schwindelerregende Gefühl, dass die ganze Welt auseinanderfällt. Wie an einem Abgrund stehen wir, wenn wir die Leere dessen erkennen, was einst so real, zweckmäßig und dauerhaft schien. Was nun? Wer bin ich? Was ist wichtig? Was ist der Sinn meines Lebens? Wie kann ich ein wirksamer Akteur der Heilung sein? Die alten Antworten verblassen, so wie die Geschichte von den Menschen, die sie einst lieferte, um uns herum zusammenbricht.
Dieses Buch weist einen Weg aus der alten Geschichte hinaus, durch den leeren Raum zwischen den Geschichten in eine neue hinein. Es wendet sich an die Leserin und den Leser einerseits als diesem Übergang selbst unterworfene Subjekte und als Agenten des Wandels – für andere Menschen, für unsere Gesellschaft und für unseren Planeten.
Wie die Krise führt auch der Wandel ganz hinunter auf den Grund. Im Inneren ist er nichts weniger als eine Transformation der Erfahrung dessen, was es heißt, lebendig zu sein. Im Äußeren ist er nichts weniger als eine Transformation der Rolle, die die Menschheit auf dem Planeten Erde spielt.
Ich schreibe dieses Buch nicht als jemand, der diesen Wandel selbst schon vollzogen hat. Weit gefehlt, ich bin nicht mehr berechtigt, dieses Buch zu schreiben, als jeder andere Mann oder jede andere Frau. Ich bin weder eine Inkarnation noch ein Heiliger, ich bin kein Medium für erleuchtete Meister oder E.T.s, ich habe keine außergewöhnlichen psychischen Kräfte und bin auch kein intellektuelles Genie, ich habe keine unmenschlichen Entbehrungen auf mich genommen, keine Feuerprobe bestanden, ich habe weder eine besonders tiefe spirituelle praktische Erfahrung noch eine schamanische Ausbildung. Ich bin ein gewöhnlicher Mensch. Sie werden meine Worte also für sich selbst sprechen lassen müssen.
Und wenn meine Worte ihren Zweck erfüllen, nämlich ein Katalysator zu sein für den nächsten Schritt, sei er groß oder klein, hin zu der schöneren Welt, von deren Möglichkeit unsere Herzen wissen, dann wird meine Gewöhnlichkeit sogar höchst bedeutungsvoll. Sie zeigt, wie nahe wir alle, wir gewöhnlichen Menschen, einer tief greifenden Veränderung des Seins und des Bewusstseins sind. Wenn ich, ein gewöhnlicher Mensch, es sehen kann, dann müssen wir beinahe schon dort angekommen sein.
Das Reich Gottes ist für die Verzweifelten.
(FRED ROGERS)
Er macht Angst, dieser Übergang zwischen den Welten, aber gleichzeitig ist er faszinierend. Kennen Sie auch diese Sucht nach den Weltuntergangs-Websites? Die man jeden Tag besucht, um die neuesten Beweise zu lesen, dass es demnächst zum Zusammenbruch kommt? Wobei man fast enttäuscht ist, dass Peak Oil nicht schon 2005 eingesetzt hat oder dass das Finanzsystem 2008 doch nicht zusammengebrochen ist? (Ich persönlich bin ja noch immer wegen Y2K beunruhigt.) Blicken Sie auch in Richtung Zukunft mit einer Mischung aus Furcht, ja, aber auch mit einer positiven Vorahnung? Wenn sich ein großes Unheil zusammenbraut, ein Supersturm oder eine Finanzkrise, gibt es da auch diesen Teil in Ihnen, der sagt: »Jetzt geht’s los!«, weil Sie hoffen, dass uns dieses Unglück aus der kollektiven Gefangenschaft in einem System erlösen wird, das niemandem dient, nicht einmal den Eliten?
Es ist ganz normal, das zu fürchten, was man sich am meisten wünscht. Wir wünschen uns sehnlichst, jene Geschichte zu überwinden, die uns mittlerweile knechtet und sogar den Planeten zerstört. Wir fürchten, was das Ende dieser Geschichte bringen wird: den Niedergang von vielem, was uns vertraut ist.
Ob man sich nun davor fürchtet oder nicht, es passiert schon. Seit meiner Kindheit in den 1970ern verlor unsere Geschichte von den Menschen immer rascher an Fahrt. Im Westen glauben immer weniger Menschen daran, dass sich die Zivilisation in die richtige Richtung entwickelt. Selbst jene, die ihre Grundannahmen noch nicht explizit infrage stellen, sind ihrer überdrüssig. Über unsere Ernsthaftigkeit hat sich ein Zynismus gelegt, eine lässige Abgeklärtheit. Was einst so real war, sagen wir, ein Themenschwerpunkt in einem Parteiprogramm, sieht man heute durch mehrere »Meta«-Filter, die alles nach äußerer Darstellung und innerer Botschaft zerlegen. Wir sind wie Kinder, einer Geschichte entwachsen, die uns einst faszinierte, und denen jetzt bewusst wird, dass es nur eine Geschichte ist.
Gleichzeitig torpedierten eine ganze Reihe neuer Informationen die Geschichte von außen. Fossile Energieträger, Chemie als Wundermittel in der Landwirtschaft, die Methoden des Social Engineering und der Politikwissenschaften zur Gestaltung einer vernünftigeren und gerechteren Gesellschaft – all das erfüllte die Erwartungen bei Weitem nicht und führte zu unerwarteten Konsequenzen, die zusammengenommen unsere Zivilisation bedrohen. Wir können einfach nicht mehr daran glauben, dass die Wissenschaftler alles unter Kontrolle haben; und auch nicht daran, dass uns der Pfad der Vernunft ins gesellschaftliche Utopia führt.
Die zunehmende Zerstörung der Biosphäre, das Kränkeln des Wirtschaftssystems, die wachsenden Gesundheitsprobleme oder das Fortbestehen beziehungsweise sogar der weltweite Zuwachs an Armut und Ungleichheit lassen sich heute nicht mehr ignorieren. Einst dachten wir, die Ökonomen würden die Armut bekämpfen, die Politologen soziale Ungerechtigkeit beseitigen und die Chemiker und Biologen die Umweltprobleme lösen. Die Macht der Vernunft würde siegen, und wir würden einen einsichtigen Kurs einschlagen. Ich erinnere mich noch, wie ich in den frühen 1980ern im »National Geographic« Karten sah, auf denen die Schrumpfung der Regenwälder verzeichnet war. Das beunruhigte und erleichterte mich zugleich. Ich war erleichtert, weil die Wissenschaftler und jeder, der den »National Geographic« las, spätestens jetzt von diesem Problem wussten. Also würde man sicher etwas dagegen unternehmen.
Nichts wurde unternommen. Der Verlust an Regenwaldfläche beschleunigte sich, wie praktisch jede andere Umweltbedrohung, über die wir in den 1980ern Bescheid wussten. Unsere Geschichte von den Menschen rollte weiter mit dem Schwung der Jahrhunderte, aber mit jeder weiteren Dekade wurde ihr Kern hohler – eine Entwicklung, die vielleicht mit dem Abschlachten im industriellen Maßstab während des Ersten Weltkriegs begonnen hatte. Als ich ein Kind war, schützten noch unsere ideologischen Systeme und die Massenmedien diese Geschichte, aber in den letzten dreißig Jahren durchbrach die Wirklichkeit immer öfter diese Schutzhülle und untergrub zusehends ihre essenzielle Infrastruktur. Wir glauben unseren Geschichtenerzählern, unseren Eliten, nicht mehr.
Wir haben die einst gehegte Vision von der Zukunft verloren. Die meisten Menschen haben gar keine Vision mehr. Das ist neu in unserer Gesellschaft. Vor fünfzig oder hundert Jahren waren sich die meisten Menschen über die allgemeinen Zukunftsaussichten einig. Wir glaubten zu wissen, wohin sich die Gesellschaft entwickelte. Selbst Marxisten und Kapitalisten waren sich einig: ein Paradies aus Freizeit in einer automatisierten Welt mit wissenschaftlich geplanter sozialer Harmonie, wo die Spiritualität entweder gänzlich abgeschafft oder in eine belanglose Ecke des Lebens, das sich vor allem an Sonntagen abspielte, verbannt war. Selbstverständlich gab es Andersdenkende, aber das war der allgemeine Konsens.
Wie ein Tier macht auch eine Geschichte, die sich ihrem Ende nähert, eine Phase des Todeskampfes durch, in der sie sich noch einmal mit scheinbar überschießender Lebendigkeit aufbäumt. Deswegen erleben wir heute, wie Herrschaft, Unterwerfung, Gewalt und Separation absurde Ausmaße annehmen und uns einen Spiegel dessen vorhalten, was einst versteckt und diffus war. Hier einige Beispiele:
Dörfer in Bangladesh, in denen die Hälfte der Bewohner nur mehr eine Niere hat, weil sie die andere auf dem Schwarzmarkt für Organhandel verkaufte – meist um Schulden abzubezahlen. Hier sehen wir buchstäblich die Umwandlung von Leben in Geld, die unser Wirtschaftssystem antreibt.
Gefängnisse in China, in denen die Insassen vierzehn Stunden am Tag online Computerspiele spielen müssen, um Erfahrungspunkte für Spielcharaktere zu sammeln. Die Gefängnisleitung verkauft diese Charaktere dann an Teenager im Westen. Hier sehen wir in extremer Form den Bruch zwischen der materiellen und der virtuellen Welt, das Leid und die Ausbeutung, auf denen unsere Fantasien basieren.
Alte Menschen in Japan, die von professionellen »Verwandten« besucht werden, die vorgeben, Familienmitglieder zu sein, weil ihre echten Verwandten keine Zeit für einen Besuch haben. Das ist ein Spiegel für den Verfall der gemeinschaftlichen und familiären Beziehungen, die durch Geld ersetzt werden.
Das alles verblasst natürlich angesichts der Horrorszenarien, mit denen die Geschichte durchsetzt ist, und die – endemisch – bis heute fortdauern: Die Kriege, Genozide, Massenvergewaltigungen, die Sweatshops, die Minen, die Sklaverei. Näher betrachtet, ist das alles nicht weniger absurd. Die Spitze der Absurdität ist, dass wir immer noch Wasserstoffbomben und Munition aus angereichertem Uran herstellen in einer Zeit, in der der Planet so bedroht ist, dass wir alle – und zwar bald – an einem Strang ziehen müssen, damit die Zivilisation überhaupt noch eine Chance hat, bestehen zu bleiben. Die Absurdität von Krieg war den einfühlsamsten unter uns immer bewusst, aber für die Mehrheit gab es Narrative, die diese Absurdität verschleierten oder zur Normalität erklärten und dadurch diese Geschichte von der Welt aufrechterhielten.
Gelegentlich passiert etwas so Absurdes, Grauenhaftes oder offensichtlich Ungerechtes, dass es diese Verteidigungslinien durchbricht und die Menschen veranlasst, vieles von dem zu hinterfragen, was sie für selbstverständlich hielten. Solche Zwischenfälle nennt man kulturelle Krisen. Typischerweise erholt sich die herrschende Mythologie rasch wieder und integriert diese Zwischenfälle rückwirkend in ihre eigenen Narrative: Bei der Hungersnot in Äthiopien ging es darum, diesen armen schwarzen Kindern zu helfen, die das Pech hatten, in einem Land zu leben, das eben noch nicht so »entwickelt« war wie wir. Beim Genozid in Ruanda ging es um die Unzivilisiertheit der Afrikaner und die Notwendigkeit von humanitärer Intervention. Der Holocaust durch die Nazis war das Zeichen, dass das Böse die Macht übernommen hatte und zurückgedrängt werden musste. All diese Interpretationen tragen auf verschiedene Weise zur alten Geschichte von den Menschen bei: Wir sind es, die uns entwickeln; die Zivilisation ist auf dem richtigen Weg; das Gute siegt durch Kontrolle. Näherer Prüfung halten sie nicht stand: In den ersten beiden Beispielen werden die kolonialen und wirtschaftlichen Ursachen für Hungersnot und Genozid übersehen, die weiterhin wirken. Im Falle des Holocausts verschleiert die Deutung, dass das Böse schlechthin entfesselt wurde, dass es Massen von gewöhnlichen Menschen waren – Menschen wie Sie und ich –, die sich daran beteiligten. Unter der Oberfläche dieser Narrative bleibt eine Beunruhigung bestehen, das Gefühl, dass etwas entsetzlich falsch läuft auf der Welt.
Das Jahr 2012 endete mit einem kleinen, aber wirkungsvollen Ereignis, das an der Geschichte kratzte: dem Massaker in Sandy Hook. Zahlenmäßig war es eine kleine Tragödie: Viel mehr Kinder als in Sandy Hook (und nicht weniger unschuldige) starben durch US-amerikanische Drohnenangriffe in diesem Jahr oder an Hunger in dieser Woche. Doch dieser Vorfall drang durch die Verteidigungsmechanismen, mit denen wir die Fiktion aufrechterhalten, dass die Welt im Grunde in Ordnung ist. Keine Erzählung konnte die vollkommene Sinnlosigkeit umdeuten und die Ahnung bezwingen, dass etwas grundlegend und furchtbar falsch läuft.
Unweigerlich überblendeten wir in Gedanken die Gesichter dieser ermordeten Unschuldigen mit jenen der Kinder aus unserem Umfeld und spürten selbst den Schmerz ihrer Eltern. Einen Moment lang, scheint mir, fühlten wir alle genau das Gleiche. Wir waren in Verbindung miteinander durch die Schlichtheit von Liebe und Trauer, einer Wahrheit jenseits der Geschichten.
Gleich nach diesem Moment beeilten sich die Menschen, in diesen Vorfall Sinn hineinzudeuten: Sie banden ihn in ein Narrativ ein, in dem es um die Kontrolle von Waffenbesitz, psychische Gesundheit oder die Sicherheit in Schulgebäuden ging. Tief drinnen glaubt keiner, dass diese Reaktionen an den Kern der Sache rühren. Sandy Hook ist ein Ausreißer in der Statistik, der die gesamte Erzählung entlarvt – die Welt ergibt keinen Sinn mehr. Wir bemühen uns, zu erklären, was es bedeutet, aber keine Erklärung genügt. Mag sein, dass wir weiter vorgeben, das »Normale« sei immer noch normal; aber das ist ein Vorfall in einer Reihe von Vorboten der »Endzeit«, die unseren kulturellen Mythos entlarven.
Wer hätte vor zwei Generationen, als die Geschichte vom Fortschritt voller Kraft war, schon geahnt, dass das 21. Jahrhundert eine Zeit von Amokläufen in Schulen, grassierender Fettleibigkeit, wachsender Verschuldung, weit verbreiteter Unsicherheit, zunehmender Konzentration von Reichtum, unvermindertem weltweiten Hunger und von zivilisationsbedrohender Umweltzerstörung sein würde? Die Welt sollte doch besser werden. Wir sollten wohlhabender werden und aufgeklärter. Die Gesellschaft war doch dabei, Fortschritte zu machen. Sind erhöhte Sicherheitsvorkehrungen das Beste, was wir erreichen können? Was geschah mit den Visionen von einer Gesellschaft ohne Türschlösser, ohne Armut, ohne Krieg? Liegen diese Dinge jenseits unserer technologischen Möglichkeiten? Warum sind die Visionen von einer schöneren Welt, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts so nah schien, jetzt so unerreichbar, dass wir gerade einmal hoffen dürfen, in einer zunehmend von Konkurrenz beherrschten, immer schlechter werdenden Welt zu überleben? Unsere Geschichten haben wahrlich versagt. Ist es wirklich zu viel verlangt, in einer Welt leben zu wollen, in der unsere Fähigkeiten zum Wohl aller beitragen? In der unsere täglichen Handlungen zur Heilung der Biosphäre und zum Wohlbefinden anderer Menschen beitragen? Wir brauchen eine Geschichte von den Menschen – eine echte, die nicht wie ein Hirngespinst wirkt –, in der eine schönere Welt wieder möglich ist.
Visionäre Denker entwarfen immer wieder Versionen solch einer Geschichte, aber keine davon ist bis jetzt eine veritable Geschichte von den Menschen geworden, also ein gemeinhin akzeptierter Satz an Übereinkünften und Narrativen, der die Welt mit Bedeutung versieht und die Handlungen der Menschen bei der gemeinsamen Verwirklichung koordiniert. Wir sind jetzt noch nicht bereit für eine solche Geschichte, weil das Gewebe der alten, wenn auch stellenweise zerfetzt, noch zu großen Teilen intakt ist. Und selbst wenn diese einreißen, werden wir immer noch den Raum zwischen den Geschichten nackt durchqueren müssen. In diesen anstehenden turbulenten Zeiten werden die uns bekannten Handlungs-, Denk- und Seinsweisen nicht mehr sinnvoll erscheinen. Wir werden nicht mehr wissen, was geschieht, was das alles zu bedeuten hat, und manchmal nicht einmal, was wirklich ist. Manche Menschen sind bereits in diese Phase eingetreten.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen erzählen, dass ich für eine neue Geschichte von den Menschen bereit bin, aber obwohl ich einer der vielen bin, die sie spinnen, kann ich die neuen Kleider noch nicht ganz ausfüllen. Wenn ich die Welt beschreibe, die sein könnte, zweifelt etwas in mir und lehnt sich auf, und unter dem Zweifel liegt etwas Schmerzendes. Der Niedergang der alten Geschichte ist eine Art Heilungsprozess, durch den alte Wunden sichtbar werden, die unter ihrem Gewebe verborgen lagen. Sie werden ans Licht des Bewusstseins gehoben. Ich bin sicher, dass viele Menschen, die das lesen, eine solche Zeit erlebt haben, in der die verhüllenden Illusionen abfielen: alle alten Rechtfertigungen und Rationalisierungen, alle alten Geschichten. Geschehnisse wie Sandy Hook tragen dazu bei, dass dieser Prozess auf kollektiver Ebene einsetzt; ebenso die Wirbelstürme, die Wirtschaftskrise, die politischen Umbrüche … auf die eine oder andere Weise wird das Unzeitgemäße unserer alten Mythologie bloßgestellt.
Was ist dieses schmerzende Etwas, das manchmal als Zynismus, dann als Verzweiflung, dann wieder als Hass zutage tritt? Welche Zukunft auch immer wir erschaffen – können wir hoffen, dass dieses Etwas nicht wieder diese Wunde auf uns zurückwirft, solange sie unbehandelt bleibt? Wie viele Revolutionäre errichteten in ihren eigenen Organisationen und Ländern genau die gleichen Institutionen der Unterdrückung von Neuem, die sie doch überwinden wollten? Nur innerhalb der Geschichte von der Separation können wir das Innere vom Äußeren abspalten. Jetzt, da diese Geschichte zusammenbricht, erkennen wir, dass das eine notwendigerweise das andere widerspiegelt. Wir erkennen die Notwendigkeit einer Wiedervereinigung der beiden lange getrennten Stränge von Spiritualität und Aktivismus.
Wenn ich im nächsten Kapitel die Bausteine einer neuen Geschichte von den Menschen beschreibe, behalten Sie im Kopf, dass wir auf dem Weg von hier nach dort ein zerklüftetes Gelände durchqueren müssen. Wenn meine Beschreibung einer Geschichte der wechselseitigen Verbundenheit, einer Wiedervereinigung von Mensch und Natur, von Ego und Alter, Arbeit und Spiel, Disziplin und Sehnsucht, Materie und Geist, Mann und Frau, Geld und Geschenk, Gerechtigkeit und Mitgefühl und so vielen anderen Gegensätzen idealistisch oder naiv erscheint, wenn sie Zynismus weckt, Ungeduld oder Verzweiflung, dann bitte verdrängen Sie diese Gefühle nicht. Sie sind keine Hindernisse, die zu überwinden sind (das ist Teil der alten Geschichte von der Kontrolle). Sie sind Tore auf dem Weg in die neue Geschichte und eröffnen Zugriff auf die gewaltige Kraft, dem Wandel zu dienen, den sie bringt.
Wir haben noch keine neue Geschichte. Jeder von uns kennt einige ihrer Handlungsstränge, zum Beispiel in vielem, was wir heute alternativ, ganzheitlich oder ökologisch nennen. Hier und da sehen wir Muster, Entwürfe, Teile des Gewebes, die sich zeigen. Doch der neue Mythos muss erst entstehen. Wir werden eine Zeit lang in diesem »Raum zwischen den Geschichten« ausharren müssen. Es ist eine sehr wertvolle – manche mögen sagen: heilige – Zeit. Dann sind wir mit dem Wirklichen in Kontakt. Jede Katastrophe deckt die Wirklichkeit hinter unseren Geschichten auf. Der Schrecken eines Kindes, die Trauer einer Mutter, die Ehrlichkeit, nicht zu wissen, warum. In solchen Momenten erwacht die in uns schlafende Menschlichkeit; wenn wir einander zu Hilfe eilen, von Mensch zu Mensch, und erfahren, wer wir sind. Das geschieht immer wieder, bei jedem Schicksalsschlag, bevor die alten Glaubenssätze, Ideologien und politischen Reaktionen wieder die Deutungshoheit übernehmen. Jetzt folgen die Schicksalsschläge und Widersprüche so schnell aufeinander, dass die Geschichte nicht genug Zeit hat, sich wiederherzustellen. Das ist der Geburtsvorgang einer neuen Geschichte.
Ich bin gar nicht sicher, dass ich existiere. Ich bin alle Schriftsteller, deren Bücher ich las, all die Frauen, die ich liebte, und all die Städte, in denen ich war.
(JORGE LUIS BORGES)
Ein Gefühl von Verbundenheit wächst zwischen den Menschen, die sich in verschiedenen Bereichen des Aktivismus engagieren, sei es auf politischer, gesellschaftlicher oder spiritueller Ebene. Der ganzheitliche Akupunkteur und die Meeresschildkrötenretterin können es vielleicht nicht erklären, aber sie spüren es: »Wir dienen derselben Sache.« Beide arbeiten an der neu entstehenden Geschichte von den Menschen, die der Gründungsmythos einer neuen Gesellschaft sein wird.
Ich will sie die Geschichte des Interbeing, von der wechselseitigen Verbundenheit, nennen, die Geschichte vom Zeitalter der Wiedervereinigung, vom ökologischen Zeitalter, von der Welt des Geschenks. Sie gibt völlig andere Antworten auf die entscheidenden Lebensfragen. Hier einige Leitgedanken dieser neuen Geschichte:
Mein Sein ist Teil von deinem Sein und jenem aller anderen Lebewesen. Das geht über wechselseitige Abhängigkeiten hinaus – unsere Existenz selbst ist relational.
Daher gilt: Was wir anderen antun, tun wir uns selbst an.
Jede und jeder von uns hat der Welt ein einzigartiges und wichtiges Geschenk zu geben.
Der Sinn des Lebens ist es, unsere Geschenke zu machen, unser Potenzial zu verwirklichen.
Jede Handlung ist bedeutsam und hat eine Auswirkung auf den Kosmos.
Wir sind grundsätzlich ungetrennt voneinander, von allen Wesen und vom Universum.
Jede Person, der wir begegnen, und jede Erfahrung, die wir machen, spiegelt etwas in uns selbst wider. Es ist vorgesehen, dass sich die Menschheit vollständig der Gemeinschaft allen Lebens auf Erden anschließt und dass wir die Fähigkeiten, die uns als Menschen eigen sind, dem Wohl und der Entwicklung des Ganzen zur Verfügung stellen.
Sinn, Bewusstsein und Intelligenz sind intrinsische Eigenschaften der Materie und des Universums.
Vieles in diesem Buch wird diese Geschichte des Interbeing konkretisieren. Je mehr wir miteinander dieses Wissen teilen, desto stärker werden wir darin, desto weniger sind wir allein. Dazu müssen wir die Wissenschaft gar nicht ablehnen, weil sie parallel auch einen Paradigmenwechsel vollziehen wird. Wir müssen auch nicht unseren Lebensunterhalt aufs Spiel setzen, weil wir unerwartete Quellen für unsere Versorgung finden werden, wenn wir auf das Geschenk vertrauen. Wir werden auch nicht gegen die Ablehnung aller Menschen um uns herum kämpfen müssen, weil die Menschen immer mehr von der neuen Geschichte leben werden, jeder auf seine eigene Art, und es wird ein wachsendes Gefühl der Kameradschaft entstehen. Es wird auch keine Abkehr von einer Welt sein, die immer noch in der Separation gefangen ist, weil wir mit der neuen Geschichte auch neue und wirksame Wege beschreiten, die den Wandel vorantreiben.
Die entscheidende Haltung der neuen Geschichte ist, dass wir vom Universum nicht getrennt sind und dass unser Sein Teil des Seins aller anderer Wesen und Dinge ist. Warum sollten wir das glauben? Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Dieses Interbeing ist etwas, das wir fühlen können. Warum tut es uns weh, von den Schmerzen einer anderen Person zu erfahren? Warum fühlen wir uns wie vom Schlag getroffen, wenn wir vom Massensterben der Korallen lesen und die Bilder ihrer ausgebleichten Skelette sehen? Weil das buchstäblich uns selbst passiert, unserem erweiterten Selbst. Das abgetrennte Selbst fragt sich: »Wie sollte mich das schon betreffen?« Der Schmerz ist irrational, man kann ihn wegerklären, vielleicht als das verfehlte Feuern eines genetisch kodierten Empathieschaltkreises, der jene schützen soll, mit denen wir DNA teilen. Aber warum können wir den Schmerz so leicht auch für Fremde, ja sogar für andere Arten empfinden? Warum haben wir diesen starken Wunsch, dem Wohl aller zu dienen? Warum sind wir immer noch unzufrieden, selbst wenn wir die höchste persönliche Sicherheit, den maximalen eigenen Komfort erreicht haben? Ein wenig Selbstbeobachtung wird zeigen, dass wir sicher nicht helfen wollen, weil ein rationales Kalkül ergab, dass diese Ungerechtigkeit und jene ökologische Katastrophe irgendwie eines Tages unser persönliches Wohlbefinden bedrohen werden. Der Schmerz ist viel direkterer, viel intuitiver. Es tut uns weh, weil das buchstäblich uns selbst zugefügt wird.
Die Wissenschaft der Separation hat noch eine andere Erklärung für das, was sie altruistisches Verhalten nennt. Vielleicht ist es eine Art Balzverhalten, das die eigenen phänotypischen Qualitäten demonstriert (es zeigt zum Beispiel, dass man fit genug ist, sich leisten zu können, Ressourcen an andere zu verschwenden). Diese Erklärung hat jedoch eine ungeprüfte Prämisse, denn sie basiert auf einer Annahme, die der Weltsicht der Separation entstammt: dass die Fortpflanzungsmöglichkeiten knapp seien und dass Konkurrenz um die Partner herrsche. Wie die Anthropologie allerdings herausfand, ist diese Vorstellung von einem primitiven Leben eher eine Projektion unserer eigenen sozialen Erfahrungen auf die Vergangenheit als eine zutreffende Beschreibung des Lebens der Jäger und Sammler, das nämlich gemeinschaftlich war. Eine anspruchsvollere Erklärung stützt sich auf spieltheoretische Berechnungen der relativen Vorteile, die man in Situationen gegenseitiger Abhängigkeit als stark oder schwach reziprok handelnder Mensch hat. Solche Theorien sind sogar einen Schritt näher an einer evolutionären Biologie des Interbeing, weil sie mit der Vorstellung brechen, dass »Eigeninteresse« jemals unabhängig vom Interesse anderer existieren könne.
Der Wunsch, einer Sache zu dienen, die das vereinzelte Selbst überschreitet, und der Schmerz, den uns das Leid anderer bereitet, sind zwei Seiten einer Medaille. Beide weisen auf unsere wechselseitige Verbundenheit hin. Die aufkommende Wissenschaft, die das zu erklären versucht, sei es mit Spiegelneuronen, horizontalem Gentransfer, Gruppenevolution, morphogenetischen Feldern oder noch ungewöhnlicheren Vorstellungen, erklärt nichts weg, sondern verdeutlicht ein Grundprinzip der Verbundenheit oder – darf ich wagen, es auszusprechen – des Einsseins. Die Wissenschaft fängt an zu bestätigen, was wir schon immer intuitiv wussten: Wir sind größer als man uns weismachte. Wir sind nicht nur ein von Haut eingekapseltes Ego, eine im Fleisch gefangene Seele. Wir sind alle anderen und wir sind die Welt.
Unsere Gesellschaft funktioniert zum großen Teil deswegen, weil wir diese Wahrheit verleugnen. Nur mit den ideologischen und systemischen Scheuklappen zwischen uns und den Opfern der industriellen Zivilisation können wir es ertragen, auf diese Art weiterzumachen. Wohl kaum jemand von uns würde persönlich einem hungrigen Dreijährigen das letzte Stückchen Brot rauben oder seine Mutter mit vorgehaltener Waffe dazu zwingen, in einer Textilfabrik für einen Hungerlohn zu arbeiten, aber rein durch unser Konsumverhalten und unsere Teilhabe an dieser Wirtschaft tun wir das quasi jeden Tag. Und alles, was der Welt geschieht, geschieht uns selbst. Auf Distanz zu den sterbenden Wäldern, den Not leidenden Arbeiterinnen, den hungernden Kindern erkennen wir die Ursache unseres Schmerzes nicht. Aber täuschen Sie sich nicht: Bloß weil wir die Ursache nicht kennen, heißt das nicht, dass wir den Schmerz nicht fühlen. Wenn jemand direkt eine Gewalttat begeht und erkennt, was er damit angerichtet hat, wird er Reue empfinden. »Gewissensbisse« beißen zurück. So eine Tat auch nur mitzuerleben ist schon schmerzhaft. Die meisten von uns können jedoch keine Reue beispielsweise für den ökologischen Schaden empfinden, den der Abbau seltener Erden für unsere Mobiltelefone in Brasilien anrichtet.
Der Schmerz daraus und aus all der unsichtbaren Gewalt, welche die Maschinerie der industriellen Zivilisation ausübt, ist diffuser. Er durchdringt unser Leben so vollkommen, dass wir kaum wissen, wie es sich anfühlt, sich gut zu fühlen. Gelegentlich erhaschen wir kurz einen Eindruck davon, wie es sein könnte – vielleicht in einem begnadeten Moment, oder durch die Einnahme von Drogen, oder wenn wir verliebt sind – und wir erkennen in diesen kurzen Momenten, dass es sich so anfühlen sollte, am Leben zu sein. Selten aber bleiben wir in diesem Zustand für längere Zeit, wo wir doch sonst in einem Meer aus Schmerz treiben.
Es ergeht uns ähnlich wie dem kleinen Mädchen, das von seiner Mutter zu einer mit mir befreundeten Chiropraktikerin gebracht wurde. Die Mutter sagte: »Ich glaube, mit meiner Tochter stimmt etwas nicht. Sie ist ein sehr stilles kleines Mädchen und immer brav, aber ich habe sie noch nie lachen gehört. Ja, sie lächelt kaum einmal.«
Meine Freundin untersuchte das Mädchen und entdeckte eine Fehlstellung der Wirbelsäule, die dem Mädchen offenbar ständig entsetzliche Kopfschmerzen bereitete. Zum Glück war das eine Fehlstellung, die eine Chiropraktikerin einfach und dauerhaft korrigieren konnte. Sie machte die Korrektur – und das Mädchen brach in lautes Lachen aus, das erste, das ihre Mutter je von ihr gehört hatte. Die allgegenwärtigen Schmerzen in ihrem Kopf, die sie als normal zu akzeptieren gelernt hatte, waren auf wundersame Weise verschwunden.
Viele von Ihnen werden vielleicht bezweifeln, dass wir in einem »Meer aus Schmerz« leben. Ich fühle mich im Moment gerade auch recht gut. Aber ich trage auch die Erinnerung an einen viel umfassenderen Zustand des Wohlbefindens in mir, von Verbundenheit und einer Bewusstseinsintensität, die sich damals wie mein Geburtsrecht anfühlte. Welcher Zustand ist normal? Könnte es sein, dass wir tapfer das Beste aus den Umständen machen?
Wie viel von unserem gestörten, an Konsum orientierten Verhalten ist einfach ein Versuch, dem Schmerz zu entrinnen, der eigentlich überall ist? Wenn wir von einem Einkauf zum nächsten hasten, von einer suchtfördernden Dröhnung zur nächsten, einem neuen Auto, einem neuen Anliegen, einer neuen spirituellen Idee, einem neuen Selbsthilfebuch, einer größeren Zahl auf dem Bankkonto, der nächsten Nachrichtenmeldung hinterher, verhilft uns das jedes Mal zu einem kurzen Aufschub der Schmerzen. Die Wunde aber, die ihre Quelle ist, verschwindet nie. Fehlt die Ablenkung einmal – solche Momente nennen wir »Langeweile« –, dann können wir das Unbehagen spüren.
Natürlich kann jedes Verhalten, das Schmerzen lindert, ohne ihre Ursachen zu bekämpfen, süchtig machen. Wir sollten uns daher hüten, über jemanden zu urteilen, der Suchtverhalten zeigt (eine Verhaltenskategorie, die wahrscheinlich fast jeden von uns betrifft). Was uns wie Gier oder Schwäche erscheint, könnte der ungeschickte Versuch sein, ein Bedürfnis zu befriedigen wenn das, was das Bedürfnis stillen könnte, nicht zu haben ist. In diesem Fall sind die üblichen Ratschläge zu mehr Disziplin, Selbstkontrolle oder Verantwortung kontraproduktiv.
Beobachten Sie, ob Sie eine Art von Verachtung oder Selbstgefälligkeit empfanden, als ich von den Leuten schrieb, die »von einem Einkauf zum nächsten hasten«. Auch das ist eine Form von Separation. Der Wandel, den wir beschreiten, ist ein Übergang zu einer Geschichte, in der Verachtung und Selbstgefälligkeit keinen Platz mehr haben. In dieser Geschichte können wir uns selbst nicht für besser halten als irgendeinen anderen Menschen. Es ist eine Geschichte, in der wir unsere Ethik nicht mehr mit der Angst vor Selbstverachtung antreiben. Und wir werden mit dieser neuen Geschichte nicht vertraut, indem wir tugendhafte Ideale wie Urteilsfreiheit, Vergebung etc. anstreben, sondern durch die nüchterne Erkenntnis der Wahrheit von Nicht-Separation.
Im Buch Ökonomie der Verbundenheit bemerkte ich, dass, was wir als Gier empfinden, ein Versuch sein könnte, das abgetrennte Selbst wieder auszuweiten, um die verlorenen Verbindungen zu kompensieren, die das Selbst des Interbeing ausmachen; und dass die Objekte unserer selbstsüchtigen Wünsche nur Ersatz sind für etwas, das wir eigentlich wollen. Werbeleute setzen die ganze Zeit auf diese Karte. Sie verkaufen Sportwagen als Ersatz für Freiheit, Junkfood und Limonaden als Ersatz für sinnliche Reize, »Marken« als Ersatz für soziale Zugehörigkeit, und so ziemlich alles als Ersatz für Sex, der selbst wiederum ein Ersatz ist für die Intimität, die im modernen Leben so sehr fehlt. Wir könnten auch die Verehrung von Sporthelden als einen Ersatz für die Verwirklichung der eigenen Potenziale sehen, Vergnügungsparks als Ersatz für das Überschreiten von Grenzen, Pornografie als Ersatz für Selbstliebe und das übermäßige Essen als Ersatz für Verbundenheit oder für das Gefühl, da zu sein. Was wir wirklich brauchen, ist so gut wie unerfüllbar innerhalb der Lebensmöglichkeiten, die uns diese Gesellschaft bietet. Sehen Sie, sogar Verhaltensweisen, die scheinbar ein Paradebeispiel für Selbstsucht sind, könnten auch als ein Bemühen gedeutet werden, unsere wechselseitige Verbundenheit wiederzuerlangen.
Ein anderes nicht-wissenschaftliches Indiz für unsere wahre Natur ist in einer weiteren scheinbaren Form von Gier zu erkennen: dem endlosen Streben nach Reichtum und Macht. Wie sollen wir damit umgehen, dass für viele der sehr Reichen keine noch so große Geldmenge ausreicht? Oder dass kein noch so hoher Grad an Macht die Ehrgeizigen befriedigen kann? Vielleicht wird auch hier der Wunsch, dem Allgemeinwohl zu dienen, auf eine Ersatzschiene gelenkt, und natürlich kann auch hier kein noch so hohes Ausmaß des Ersatzmittels dem tatsächlich Angestrebten gleichkommen.
Die Wunde der Separation, der Schmerz der Welt trifft einen jeden von uns an einer anderen Stelle. Je nach der Beschaffenheit der Wunde suchen wir nach einem Heilmittel. Jemanden dafür zu verurteilen wäre so, als tadelte man ein Baby für sein Weinen. Es ist zwecklos, das zu verurteilen, was uns als selbstsüchtiges, gieriges, egoistisches oder böses Verhalten erscheint, und zu versuchen, es mit Gewalt zu unterdrücken, ohne die zugrundeliegenden Wunden zu berücksichtigen: Der Schmerz wird immer eine neue Ausdrucksmöglichkeit finden. Darin liegt eine Schlüsselerkenntnis des Interbeing. Sie besagt: »Ich würde so handeln wie du, wäre ich an deiner Stelle.« Wir sind eins.
Die neue Geschichte von den Menschen ist also eine Geschichte des Interbeing, von der Wiedervereinigung. In ihrer persönlichen Ausdrucksform handelt sie von der tiefen wechselseitigen Abhängigkeit zwischen uns und anderen Lebewesen, nicht nur um zu überleben, sondern um überhaupt zu existieren. Meine Existenz ist auch ein Mehr für deine Existenz. In ihrer kollektiven Ausdrucksform beschreibt die neue Geschichte das Gleiche für die Rolle der Menschheit auf Erden und ihre Beziehung zum Rest der Natur. Diese Geschichte ist es, die uns über so viele verschiedene Bereiche von Aktivismus und Heilung hinweg verbindet. Je mehr wir ihr gemäß handeln, desto besser wird es uns gelingen, auch eine Welt zu schaffen, die ihr entspricht. Allerdings gilt dies auch umgekehrt: Je mehr wir nach dem Prinzip der Separation handeln, desto unvermeidlicher erzeugen wir mehr davon.
Ich möchte mich jetzt an jene unter Ihnen wenden, die sich von den zuvor beschriebenen Prinzipien des Interbeing provoziert fühlen, die, wie ich zugebe, nach New-Age-Marktgeschrei klingen. Aber lassen Sie mich hier brutal ehrlich sein: Ich verwende die Phrase »New-Age-Marktgeschrei« nur deshalb, um Ihnen implizit zu versichern, dass ich solchen Dingen nicht auf den Leim gegangen bin, dass ich zu den nüchternen Realisten gehöre. Sehen Sie? Dadurch schlage ich mich auf Ihre Seite und mache mich auch darüber lustig.
Das ist eine übliche Taktik. Den Linken macht es besonderen Spaß, die radikaleren Linken zu kritisieren; die UFOlogen machen sich extra lustig über Berichte von angeblichen UFO-Entführungen; der Junge, der schikaniert wurde, gibt es an einen noch schwächeren weiter. Die unbeliebten Kinder in der Schule vermeiden es peinlichst, nur ja nicht mit den besonders unbeliebten Kindern in Verbindung gebracht zu werden. Indem wir so handeln, versuchen wir uns aber genau durch das System zu legitimieren, das wir zu unterlaufen hoffen. Indirekt bestärken wir dadurch seine Legitimität, weil wir unsere eigene daran knüpfen. Wir begehen den gleichen Fehler, wenn wir uns zu sehr auf die akademischen oder professionellen Referenzen unserer Verbündeten berufen, um jene zu überzeugen, die sich von so etwas beeindrucken lassen. Wenn ich mich darauf berufe, dass Dr. Eben Alexander ein Professor der Neurochirurgie ist, um Sie davon zu überzeugen, dass es außerkörperliche Nahtoderfahrungen gibt, bekräftige ich damit implizit, dass man Leuten von diesem sozialen Rang allgemein vertrauen sollte – und dem ganzen Gebäude der akademischen Wissenschaft, das ihn umgibt, gleich dazu. Aber im Allgemeinen lassen gerade Menschen von diesem Status und aus dem akademischen Umfeld seine Argumente nicht gelten. Appelliert man an Autorität, so stärkt man die Autorität. Welche unausgesprochene Botschaft steckt hinter der Aussage: »Sehen Sie, dieser Professor, jener Politiker, dieser Geschäftsmann, jener Mainstream-Fachgelehrte stimmt mir zu«? Sie lautet, dass diese Menschen und nicht die Außenseiter, die Hippies, die Nicht-Zertifizierten und Unveröffentlichten ein legitimes Glaubwürdigkeitssiegel tragen. Mit dieser Taktik gewinnen wir vielleicht die Schlacht, den Krieg aber werden wir verlieren. Audre Lorde formulierte das treffend: »Des Meisters Werkzeuge werden nie des Meisters Haus niederreißen«.
Eine ähnliche Logik trifft auf die nutzenorientierten Argumente für Umweltschutz zu. Haben Sie jemals gehört, wir müssten die Umwelt bewahren, weil die »Leistungen des Ökosystems« einen so großen wirtschaftlichen Wert besitzen? Eine solche Argumentationsweise ist problematisch, weil sie genau jene Annahme stützt, die wir infrage stellen müssen: dass Entscheidungen aufgrund ökonomischer Berechnungen getroffen werden sollten. Auch sie können nicht überzeugen. Sind Sie Umweltschützerin, weil es Sie bewegt, wie viel Geld wir damit einsparen könnten? Eben, auch sonst wird niemand aus diesem Grund zum Umweltschützer werden. Wir müssen das ansprechen, was uns bewegt: die Liebe zu unserem schönen Planeten.
Obwohl ich all das weiß, warum war ich immer noch versucht, den abfälligen Begriff »New-Age-Marktgeschrei« zu benutzen und dadurch genau die von mir benannten Prinzipien zu verleugnen, nur um möglichst meine Glaubwürdigkeit zu behalten? Wie Sie, geschätzte Leser, lebe ich immer noch in zwei Geschichten, einer alten und einer neuen. Selbst wenn ich eine Geschichte des Interbeing erzähle, bleibt ein Teil von mir in der Welt der Separation zurück. Ich bin eben kein erleuchtetes Wesen, das Sie auf einer Reise führen möchte, die ich selbst schon abgeschlossen hätte. Auch das ist ein altes Modell; es gehört zu einer Form von spiritueller Hierarchie, die auf einer linearen Vorstellung von der Bewusstseinsentwicklung basiert. Im gegenwärtigen Übergang ist jeder von uns ein Pionier auf seinem speziellen Gebiet im Reich der Wiedervereinigung. Dementsprechend muss ich Ihnen genauso Einblick in meine Zweifel und inneren Konflikte wie in meine Einsichten gewähren. Diese spirituellen Wahrheiten – und ich zögere mit diesem Ausdruck – provozieren mich auch; vielleicht fast so sehr, wie sie den erbittertsten Verteidiger der orthodoxen Wissenschaftlichkeit provozieren. Der einzige Unterschied ist, dass mein Spott nach innen gerichtet ist.
Ich bediene mich nicht nur der Worte des Skeptikers, um nicht als naiv zu erscheinen. Was reizt meinen inneren Zyniker? Die oben genannten Prinzipien sind furchteinflößend, weil sie eine zarte, verletzliche Hoffnung nähren, die wie schon so oft zuvor leicht wieder zerschmettert werden könnte. Nach meinen Vorträgen fragen mich die Leute: »Damals in den 1960ern sprachen wir ähnlich über ein anbrechendes neues Zeitalter, aber es kam nicht. Stattdessen ging es weiter mit Gewalt und Entfremdung, und sie erreichten sogar neue Extreme. Wie können wir wissen, dass nicht wieder das Gleiche passieren wird?« Das klingt wie ein vernünftiger Einwand. Ich behaupte in diesem Buch, dass die 1960er-Jahre grundlegend anders waren als unsere heutige Zeit, aber meine Argumente können entkräftet werden, und diese Einwände können ihrerseits widerlegt werden. Unter alldem liegt ein Schmerz, und solange diese Wunde schwärt, wird kein Argument den Zyniker überzeugen.
Denken Sie daran, wenn Sie einem hartnäckigen, zynischen Kritiker begegnen (sei er nun in Ihnen oder außerhalb). Wenn Sie sich daran erinnern, dass der Zynismus von einer Wunde herrührt, wird es Ihnen vielleicht möglich sein, in einer Weise zu antworten, die auf diese Wunde Bezug nimmt. Ich kann Ihnen nicht von vornherein sagen, wie Sie am besten antworten. Die Weisheit kommt vom genauen, anteilnehmenden Zuhören und von der Achtsamkeit gegenüber dem Schmerz. Es mag sich in Ihnen spontan eine Geste der Vergebung oder der Großzügigkeit regen, die Ihnen vielleicht erlaubt zu heilen. Wenn das geschieht, ändern sich die verstandesmäßigen Meinungen oft von selbst, weil sie ja nur ein Ausdruck der jeweiligen Seinsweise sind. Ansichten, die einst erstrebenswert schienen, sind es jetzt plötzlich nicht mehr.
Der Spott der Zyniker stammt aus der Wunde vom zerschmetterten Idealismus und von den betrogenen Hoffnungen. Sie wurde uns auf kollektiver Ebene zugefügt, als sich das Zeitalter des Wassermanns in das Zeitalter von Ronald Reagan verwandelte; und auf individueller Ebene, als unser jugendlicher Idealismus, durch den wir noch wussten, dass eine schönere Welt möglich ist, durch den wir an unsere eigene einzigartige Bestimmung glaubten, etwas Bedeutsames für die Welt beitragen zu können, der sich nie, unter keinen Umständen, verraten ließ und uns in Sicherheit wiegte, dass wir nie so werden würden wie unsere Eltern, einem Erwachsensein Platz machte, in dem die Träume zurückgestellt und die Erwartungen heruntergeschraubt wurden. Alles, was an diese Wunde rührt, wird uns veranlassen, sie zu schützen. Ein solcher Schutz ist der Zynismus, mit dem alle Äußerungen der Wiedervereinigung zurückgewiesen und als dumm, naiv oder irrational verspottet werden.
Der Zyniker verwechselt seinen Zynismus mit einem Realismus. Er will, dass wir alles ablegen, was Hoffnungen weckt, die seine Wunde berühren, damit es mit seinen zurückgeschraubten Erwartungen stimmig bleibt. Das, sagt er, sei realistisch. Paradoxerweise ist gerade der Zynismus unpraktisch. Ein naiver Mensch versucht, was der Zyniker für unmöglich hält, und hat damit manchmal Erfolg.
Wenn Sie denken: »All das Gelaber über das Einssein ist ein Haufen Blödsinn«, wenn Sie Empörung oder Verachtung empfinden, bitte ich Sie ernsthaft nachzuforschen, woher diese Abweisung kommt. Könnte es sein, dass es da einen einsamen, ängstlichen Teil von Ihnen gibt, der glauben möchte? Fürchten Sie sich vor diesem Teil? Ich weiß, ich tu’s. Wenn ich ihm erlaube zu wachsen, wenn ich ihm erlaube, mein Leben zu leiten, wenn ich auf all diese Beschreibungen der neuen Geschichte vertraue, die ich oben aufgezählt habe, dann öffne ich mich und riskiere eine große Enttäuschung. Es ist eine außerordentlich verletzliche Position, zu glauben, auf Sinn zu vertrauen, auf Führung und darauf, dass es mir gut gehen wird. Besser zynisch bleiben. Besser auf der sicheren Seite bleiben.
Wenn Sie auf diese Reden vom Einssein nicht mit Zynismus reagieren, sondern das Bedürfnis haben, sie zu rechtfertigen, heißt das nicht, dass Sie nicht dieselbe Wunde wie der Zyniker haben. Statt sie wahrzunehmen wie der Zyniker, ignorieren Sie sie vielleicht. Könnte es sein, dass Sie, wann immer sich der Zweifel einschleicht, die damit verbundenen Schmerzen betäuben, indem Sie zum neuesten Buch über Engelsheilung, Kornkreise oder Reinkarnation greifen? Begehen Sie hier ein spirituelles Ausweichmanöver? Ob Ihr Glaube an das Einssein und die damit verbundene Weltsicht eine offene Wunde verdeckt, können Sie auch daran erkennen, ob der Spott der Skeptiker bei Ihnen Ärger oder eine persönliche Verteidigungshaltung auslöst. Wenn das so ist, dann geht es um mehr als eine bloße Meinung. Zweifler und Glaubende sind gar nicht so verschieden, weil beide einen Glauben heranziehen, um eine Wunde zu bedecken. Wenn es Sie also empört hat, dass ich UFOs erwähnte, oder wenn Sie die dogmatische Ablehnung der Skeptiker von UFOs ärgert, möchte ich Sie ermuntern, zu ergründen, woher diese Gefühlsregung kommt. Wir wollen sehen, was in uns versteckt liegt, damit wir das nicht blindlings in dem Neuen wiederholen, das wir schaffen wollen.
Ich wage kaum, mir vorzustellen, was ein nüchterner Realist wie James Howard Kunstler (jemand, den ich bewundere) wohl über dieses Buch sagen würde, wenn er es liest. Keine Frage, mein innerer Kritiker kann es mit ihm aufnehmen. »Du bildest dir ein, dass irgendwelche magischen ›Techniken des Interbeing‹ uns retten werden?«, schnaubt er. »Das ist genau die Art von Wunschdenken, die uns gefügig macht und lähmt. Du kannst dich einfach nicht der Wahrheit stellen. Es gibt keinen Ausweg. Die Lage ist hoffnungslos. Wenn nicht ein Wunder geschieht, bei dem alle morgen aufwachen und es plötzlich schnallen, ist die Menschheit dem Untergang geweiht. Weiter über ›Sinn‹ oder ›Bewusstsein‹ im Universum zu labern, wofür es keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, macht die Sache nur schlimmer.«
Ich habe aber entdeckt, dass mein innerer Zyniker genau falsch liegt. Die Weltuntergangsstimmung ist das Lähmende, und die naive Hoffnung ist das, was mich inspiriert, etwas zu unternehmen. Beides kann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Was geschieht, wenn Millionen Menschen beginnen, im Sinne der Geschichte des Interbeing zu handeln, nach der keine Tat unbedeutend ist? Die Welt wird sich ändern.
Genauso lähmend ist der Glaube, dass die Welt durch eine schändliche bösartige Intrige gesteuert wird. Warum sollte man versuchen, irgendetwas zu erreichen, wenn jede sinnvolle Veränderung von einer alles sehenden teuflischen Macht abgeschmettert wird? Ich habe in diesen Theorien geplantscht, die mich in einen schwerfälligen, belasteten Zustand versetzen, der sich anfühlt, als würde ich in einem sumpfigen Tümpel ertrinken. Aber man sagt mir, ich sei naiv und abgehoben, wenn ich das abstreite. Ich solle doch meine Augen öffnen und hinsehen!
Trotzdem bringen diese Verschwörungstheorien eine psychologische Wahrheit zum Ausdruck. Sie verleihen dem Gefühl von hilfloser Wut eine Stimme, der Ur-Empörung, in eine Welt geworfen zu sein, die von Institutionen und Ideologien beherrscht wird, die dem Wohlergehen der Menschen nicht dienen. Die »teuflische Intrige« repräsentiert also einen Schattenaspekt von uns selbst, die wir getrieben sind, zu herrschen und zu kontrollieren – ein unvermeidlicher Auswuchs des abgetrennten Selbst in einem gleichgültigen oder feindseligen Universum. Der ständige Drang, Verschwörungstheorien zu beweisen, ist eine Art von Protest. Er will sagen: »Bitte glaubt mir. Es sollte nicht so sein, wie es ist. Etwas Schreckliches hat die Macht über die Welt an sich gerissen.« Dieses Etwas ist die Geschichte von der Separation und alles, was sich daraus ergibt.
Bedeutet das, dass die neue Geschichte eine List ist, uns zu motivieren, ein Trick, der uns zum Handeln zwingt, als ob es einen Unterschied machte, was wir tun? Der letzte Ausweg meines inneren Kritikers besteht darin, zu sagen: »Na gut, vielleicht ist die Geschichte des Interbeing nützlich, um die Leute zum Handeln zu bewegen, aber sie ist nicht wahr.« Dann wäre ich wie ein Prediger, der die Menschen ermahnt, fromm zu sein, aber selbst nicht glaubt. Hinter dieser besonderen Form von Zynismus stoße ich wieder auf einen Schmerz, eine qualvolle Einsamkeit. Sie möchte Beweise, dass die Geschichte des Interbeing wahr ist, Beweise, dass das Leben einen Sinn hat, dass das Universum Bewusstsein besitzt und dass ich mehr bin als mein abgetrenntes Selbst. Ich wünschte, ich könnte mich auf Beweise stützen, um mich für meinen Glauben zu entscheiden. Aber das geht nicht. Welche Geschichte ist wahr, die von der Separation oder die des Interbeing