Die schönste Frau der Welt - Hugo Bettauer - E-Book

Die schönste Frau der Welt E-Book

Hugo Bettauer

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Beschreibung

Jeden Tag absolviert Henry Garrick seine morgendliche Runde durch die achtundvierzig Stockwerke des Garrick-Towers, immer begleitet von Privatsekretär Fred Holmes. Die unzähligen Mitarbeiter schauen nur flüchtig auf – Garrick liebt es nicht, wenn die Arbeit unterbrochen wird. Nur der jeweilige Abteilungsleiter berichtet kurz das Wichtigste. An einem dieser Tage wird ihm von der Hochzeit zweier junger Kollegen berichtet – es geht um Urlaubstage für die Flitterwochen. Garrick, ganz jovialer Chef, lässt die beiden zu sich bitten und ist überrascht von der Frische und Natürlichkeit der Braut. Allen im Saal stockt der Atem, als sie ihn freundlich zur Hochzeit einlädt – aber Garrick sagt zu. Die wenigen Stunden unter den unbekümmerten Leuten zeigen ihm, wie einsam er trotz seines unermesslichen Reichtums ist. Aber Garrick ist ein Mann der Tat. Fred, mehr Freund als Sekretär, wird losgeschickt, eine passende Braut zu finden. Es soll ein armes, schönes, wohlerzogenes Mädchen z. B. aus Europa sein, die ihn und nicht sein Geld liebt. Auf Franzi Lehner, weit mehr als das schönste Mädchen der Welt, wartet in Amerika aber ein zweifelhaftes Glück.-

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Die schönste Frau der Welt

Hugo Bettauer

SAGA Egmont

Die schönste Frau der Welt

Copyright © 1924, 2018 Hugo Bettauer und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711503034

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

1. Kapitel

Der reichste mann der welt

Henry Garrick trat, gefolgt von seinem Privatsekretär Fred Holme, den täglichen Rundgang durch die achtundvierzig Stockwerke des Garrick-Gebäudes an. Auf Trottoir roulants glitt er die endlosen Korridore entlang, blitzschnelle Lifts führten ihn von einer Etage in die andere.

In riesigen Sälen saßen an Schreibmaschinen, vor Büchern und Rechenmaschinen Hunderte von Mädchen und Männern, die nur flüchtig aufsahen, wenn der Herr dieses gewaltigen Betriebes durch die Pultreihen schritt. Die Männer wußten, daß Garrick eine Unterbrechung der Arbeit nicht liebte, und auch die schönsten Tippmädeln hatten es längst aufgegeben, ihn durch schmachtende, feurige oder demütige Blicke faszinieren zu wollen. Nur der jeweilige Abteilungschef verließ in jedem der Säle sein auf einem Podium stehendes Pult, um dem Gewaltigen mit knappen Worten Bericht zu erstatten.

In dem einen Saal war die Buchhaltung und Korrespondenz der Eisenwerke, in einem anderen die der Garrickschen Automobilindustrie, das Seifenmonopol nahm zwei ungeheure Säle ein, das Bankhaus eine ganze Etage, ebenso die Garricksche Vermögensverwaltung, der Schiffahrtsricksehe Spinnereitrust, die Garricksche Prährtsgesellschaft, die „Western Railroad“, Wren war sident und Haupteigentümer Henry Garrick Eine ganze Etage war dem Export nach eine andere dem nach Asien eingeräumt, je einem Saal war das deutsche, französische, spanische, indische, japanische, russische und italienische Geschäft untergebracht.

Ein Europäer hätte es nicht begreifen können, wie man in diesen Sälen, in deren jedem funfzig Menschen an fünfzig Schreibtischen saßen, arbeiten konnte. Mindestens dreißig Schreibmaschinen klapperten gleichzeitig, mindestens ebensoviele Telephongespräche wurden gleichzeitig geführt, da jeder Schreibtisch sein eigenes Telephon besaß, das mit der Zentrale und dem Abteilungschef ständig verbunden war. Dieser thronte über dem Ganzen, seine linke Hand spielte unaufhörlich auf den fünfzig Tastern, die den fünfzig Pulten das Sprechsignal gaben, mit der Rechten machte er Notizen, mit dem Mund sprach er in den Trichter, mit den Ohren lauschte er den Antworten, die durch die andere Muschel kamen.

Ein ohrenbetäubendes Knistern, Flüstern, Klappern, Klingeln und Rufen und in diesem scheinbaren Chaos die minutiöseste Ordnung, der konzentrierteste Wille.

Henry Garrick, groß, breitschulterig, das Gesicht eckig, hart, von der Regelmäßigkeit einer Statue, die Augen grau und kalt, die Haare braun, konnte als Typus des Nordamerikaners gelten, der in der Toga wie Julius Casär, im Sakkoanzug wie ein Preisboxer, im Frack wie Mac Kinley aussieht. Sechsunddreißig Jahre alt, hätte er auch dreißig oder fünfundvierzig sein können, und er wäre der banale Durchschnittstypus gewesen, wenn nicht die hohe, gewölbte Stirne und das kalte, scharfe Auge überlegene Intelligenz verraten hätten. Auch in anderer Beziehung unterschied er sich vom landläufigen Yankee. Während dieser von einer verblüffenden Talentlosigkeit in bezug auf Sprachen ist, beherrschte Garrick, trotzdem er immer nur einigemal durch flüchtige Wochen in Europa gewesen war, außer seiner Muttersprache noch Deutsch, Italienisch und Französisch fast vollkommen.

Sein Sekretär Fred Holme glich, obwohl er im selben Alter stand, in keiner Weise seinem Chef. Wohlbeleibt, für amerikanische Begriffe sogar dick, das Gesicht mit den lustigen schwarzen Äuglein schwammig, die kurzgeschnittenen Haare borstig wie die eines Igels, sah er durchaus nicht wie ein Amerikaner, sondern weitaus eher wie ein behaglicher, das Leben liebender und genießender französischer Bürger aus. Seine ganze Erscheinung wirkte vertrauenerweckend, und im Progreßklub, dessen prominentestes Mitglied Holme war, behauptete man, „Fatty“, wie man ihn gerne nannte, noch nie schlecht gelaunt gesehen zu haben.

Zwei Stunden hatte der Rundgang schon gedauert. Fred Holme begann zu schwitzen und zu pusten, im Gesicht seines Chefs verriet keine Muskel Abspannung. Dieses Gesicht blieb unbeweglich, als wäre es aus Stein, die Augen blieben undurchdringlich, erzählten nicht, ob eine Mitteilung freudig oder verstimmend wirkte. Eine Transaktion war mißglückt, hatte enorme Verluste gebracht – die Pekinger Filiale meldete den Abschluß eines Riesengeschäftes, das zehn Millionen Dollar Gewinn abwerfen würde – Garrick zuckte mit keiner Wimper, nickte kaum, gab mit kurzen, abgerissenen Worten seine Aufträge, ging weiter, ließ seine Untergebenen im Gefühl der Unsicherheit, des Zweifels zurück. Sie kamen ihm nicht näher, wußten nichts von ihm, fanden keine Brücke zu seinem Gehirn, bewunderten die in diesem Manne Tag und Nacht arbeitenden Energien, hielten ihn für eine Maschine, die dem Druck geheimnisvoller Federn und Hebeln gehorchte.

Die letzte Abteilung, die an diesem Tage aufgesucht wurde, war die deutsche. Der Abteilungschef Peter Möller, ein germanischer Riese mit weißblondem Haar und guten blauen Augen, erstattete Bericht.

„Die Franzosen machen uns in unserem Barmer Betrieb Schwierigkeiten, stören unsere Ingenieure durch kleine Gehässigkeiten. Ich habe mich mit Washington in Verbindung gesetzt, Präsident Coolidge selbst hat unserem Konsul in Elberfeld Auftrag gegeben, scharf zu protestieren. Sie werden immer frecher gegen die Amerikaner, diese Franzosen.“

Der Schatten eines Lächelns zog über Garricks dünne Lippen.

„Mischen Sie Ihre begreifliche Aversion gegen die Franzosen nicht in die Geschäfte. Ich halte von diplomatischen Noten nicht viel. Besser, wir schicken einen Mann hin, der den Franzosen das Maul mit Dollars verstopft. Bitte, halten Sie sich daran. Sonst etwas?“

2. Kapitel

Das deutsche brautpaar

Möller zögerte, wurde verlegen.

„Eine Kleinigkeit nur. Buchhalter Jensen und Miß Burger bitten um einen außertourlichen Urlaub von einer Woche. Sie verheiraten sich am nächsten Montag und möchten eine Hochzeitsreise machen.“

Ein Blick aus den Augen Garricks glitt über die fünfzig arbeitenden Menschen, und schon hatte er erraten, wer diese heiratslustige deutsche Miß Burger und ihr Bräutigam Jensen waren.

„Sollen herkommen. “

Der junge Deutsche, Willi Jensen, stand scheu und demütig vor dem Gewaltigen, während seine Braut munter und zutraulich einen Knicks machte. Garrick musterte beide durch den Bruchteil einer Sekunde.

„Urlaub bewilligt! Was haben Sie Gehalt, Jensen? Vierzig in der Woche und Sie, Miß Burger? Fünfundzwanzig. Mister Möller, Sie legen beiden je fünf Dollar zu. Wünsche viel Glück.“

Während der junge Mann unaufhörlich Verbeugungen machte, streckte das kleine deutsche Mädchen dem reichsten Mann der Welt ungeniert die Hand entgegen.

„Ich danke, Mister Garrick. Und noch eine Bitte: An unserem kleinen Hochzeitsfest im Belvedere-Hotel nimmt das ganze deutsche Departement teil. Darf ich Mister Garrick bitten, uns auch die Ehre zu schenken?“

Möller war so entsetzt, daß er den Mund weit aufriß. Und der ganze Saal war ob solcher Frechheit so erstaunt, daß sämtliche Schreibmaschinen ihre Tätigkeit einstellten und fünfzig Augenpaare weit aufgerissen nach der Gruppe starrten. Der Bräutigam sank in sich zusammen, knickte ein, wie ein Taschenmesser. Über Fred Holmes breites Gesicht ging ein vergnügtes Grinsen. Garrick aber blieb unbeweglich, zögerte nur einen Augenblick mit der Antwort. Dann schüttelte er die dargebotene Hand.

„Miß Burger, es wird mir ein Vergnügen sein, am Montag eine halbe Stunde bei Ihnen und Ihren Freunden zu weilen.“

Sensation, die von Saal zu Saal, von Stockwerk zu Stockwerk rauschte, bis der ganze Wolkenkratzer es wußte: Henry Garrick wird das armselige Hochzeitsfest armseliger kleiner deutscher Clerks in dem schäbigen deutschen Hotel besuchen.

Und Miß Burger erfaßte jetzt erst ganz die Größe ihrer Frechheit und begann hinter ihrer Schreibmaschine vor Glück, Stolz und Angst zu weinen.

3. Kapitel

Eine schlichte hochzeit

Schweigend saßen die beiden Herren in dem großen grauen Auto, das Garrick und seinen Sekretär nach der Villa am Riverside Drive brachte. Fred mußte mitfahren, da Garrick noch bis in die Nacht hinein arbeiten wollte. Kurz bevor sie das Ziel erreicht hatten, sagte Garrick:

„Fred, heute ist Freitag, und am Montag ist diese alberne Hochzeit. Bitte, besorge bis dahin ein hübsches, kleines, vollkommen eingerichtetes Haus auf Long Island als mein Hochzeitsgeschenk. Keck dieses kleine Frauchen, aber vernünftig!“

Das Hochzeitsmahl im Belvedere-Hotel verlief ein wenig ungemütlich, da alles unter dem Banne der Anwesenheit Garricks stand und dieser recht schweigsam und ernst war. Dazu kam noch, daß es eine total alkoholfreie Hochzeitstafel sein mußte. Champagner und Weine hätte man sich ja trotz des nun schon seit sechs Jahren bestehenden Alkoholverbotes verschaffen können, aber man wagte es nicht, in Gegenwart Garricks das Verbot zu übertreten. Nein, man begnügte sich mit dem ungegorenen Saft von Weintrauben, Erdbeeren, Kirschen, mit den sogenannten „soft drinks“, die zwar vortrefflich schmecken, aber nicht die belebende und erhitzende Wirkung alkoholischer Getränke haben. Und dann, man wagte nicht, in Gegenwart des großen Yankees jene kleinen, geschmacklosen Scherze vorzubringen, die sich auf die Ereignisse der kommenden Brautnacht zu beziehen pflegen und die Braut gewöhnlich erröten, den Bräutigam verlegen werden lassen.

Also ging es recht schweigsam und würdig zu, und Garrick, der das fühlte, empfand sich als Störenfried und war ärgerlich, und Fred Holme war wütend, weil es keinen Alkohol gab und dachte mit Wehmut an den geheimen Wandschrank in seinem Haus und an die hundert Flaschen Whisky, Rheinwein und Bordeaux, die dort in Reih und Glied erwartungsvoll standen.

Peter Möller, der deutsche Abteilungschef, klopfte an sein mit eisgekühltem Bananensaft gefülltes Glas, hielt stotternd eine endlose Ansprache, die in eine Huldigung auf Mister Henry Garrick ausklang, der als bedeutender Mensch, als größter Amerikaner, als väterlicher Freund seiner Angestellten gepriesen wurde.

Garrick mußte natürlich antworten. Er sprach ganz kurz, aber seine Worte hatten Inhalt. Er wies auf die Geißel Europas, die Wohnungsnot, hin:

„Mein Geschenk für das Brautpaar entspricht dem Wunsch, daß in diesem Lande jede Familie ihr eigenes Heim haben soll. Wir haben die furchtbarste Kriegsfolge, die Wohnungsnot, glücklich überwunden, in Europa, ganz besonders aber in Deutschland und Österreich, richtet sie nach wie vor Verheerungen an. Nach vertrauenswürdigen Berichten, die ich eben aus Wien bekommen habe, einer großen Stadt, die ich nicht kenne, die aber als altes Kulturzentrum gepriesen wird, wirkt dort die Wohnungsnot ärger als die Pest. Sie zerstört das Familienglück, treibt die Menschen zur Verzweiflung, führt zu Mord und Selbstmord, untergräbt die Sittlichkeit, verwüstet Existenzen. Man schrieb mir Erstaunliches von Ehepaaren, die voneinander getrennt leben müssen, mit fremden Menschen in einem Zimmer hausen, bis Überdruß und Haß zwischen ihnen entsteht und sie auseinandertreibt. Beweis, daß dort die Energien erlahmt sind, keine treibenden Kräfte herrschen, die fähig wären, aufzubauen, statt zu jammern und zu klagen. Wir Amerikaner aber, die wir die einzigen Sieger geblieben sind, wir bauen und arbeiten, und mein kleines Geschenk soll ein Beweis unserer Gesundung sein. Möge das junge Paar in dem Häuschen auf Long Island nur glückliche Stunden verbringen.“

Allgemeines Hurra, Händeschütteln, Gratulieren. Henry Garrick verabschiedete sich, verließ allein die Hochzeitsgesellschaft, während sein Sekretär Fred Holme auf seinen Wunsch noch blieb.

Kaum hatte sich Garrick entfernt, als Fred Holme den Hoteldirektor rief und ihm auftrug, für ordentlichen „Stoff“ zu sorgen. Der Direktor verstand und wenige Minuten später stand eine Batterie Flaschen auf dem Tisch, deren jede eine die Etikette „Sodawasser“ trug. Es war aber durchaus kein Sodawasser, sondern ordentlicher, guter alter Wein aus den Gebieten der Mosel und des Rheines.

Und jetzt erst wurde es ein ordentliches deutsches Hochzeitsfest!

4. Kapitel

Der arme reiche

Garrick ging in dem Herrensalon seines Palastes an Riverside Drive auf und ab. Der Schreibtisch war mit Briefen und Akten bedeckt, wichtige Dokumente harrten der Erledigung, er wollte heute nachts noch seine Entscheidung über den Ankauf einer Kupfermine treffen, aber er konnte sich nicht zur Arbeit entschließen, ging ruhelos auf und ab.

Die Stille und Einsamkeit in dem großen, ganz aus Marmor erbauten Palast sprang ihn heute an wie ein wildes Tier, erregte ihm Unbehagen. Immer wieder flogen seine Gedanken zurück zu dem albernen kleinen Hochzeitsfest im deutschen Hotel. Wie glücklich dieser junge Ehemann ausgesehen hatte, wie zufrieden und heiter die anderen. Diese Leutchen kannten das Gefühl des Alleinseins nicht, hatten ihre Frauen und Kinder, die jungen unter ihnen ihren Schatz, ihr „Sweetheart“, wenn sie den Garrickschen Wolkenkratzer verließen, waren sie freie, frohe Menschen, dachten nicht mehr an Geld und Geschäfte, unterhielten sich auf ihre bescheidene Art.

Er aber? Ein von der Arbeit und von Ehrgeiz Besessener war er, für ihn gab es keine Ruhepause, keine Erholung, kein stilles Glück – nichts als Arbeit und wieder Arbeit! Seit zwei, drei Jahren hatte er die halben Nächte hier an diesem Schreibtisch allein oder mit seinen Direktoren verbracht, in seinem kurzen Schlaf drängten sich Ziffern und Pläne, um sieben Uhr morgens duldete es ihn nicht mehr im Bett, bemächtigten sich seiner neue Ideen, schluckte er den heißen Kaffee herunter, hastete er in die City, warf er sich nie endender Arbeit in die gierig ausgestreckten Arme.

Und dabei war er noch jung. Wie alt eigentlich? Siebenunddreißig? Nein, erst sechsunddreißig! Und das Leben lockte ihn oft genug, es gab tausend schöne Frauen, die sich an ihn herandrängten, ihn umwarben, ihn mit schmachtenden Blicken verstricken wollten. Aber er hatte keine Zeit für das Leben und keine für die Frauen.

Ein hartes Lachen unterbrach die Totenstille ringsumher.

Würde man es ihm glauben, daß er seit zwei Jahren kein Weib umarmt hatte? Er, der kraftstrotzende, gesunde Mann von sechsunddreißig Jahren?

Aber wie denn auch? Am Morgen, am Tag, am Abend hatte er keine Zeit, konnte er sich nicht auf eine Stunde von der Arbeit befreien. Und nachts – ja, in seinen einsamen Nächten gab es Stunden, in denen die Wollust ihm das Blut in den Kopf trieb, ihm die Decken zur unerträglichen Last wurden, er sehnsüchtig die Arme ausstreckte, um die nackten Frauenleiber, die ihm die Phantasie vorgaukelte, an sich zu reißen. Bis er aufsprang, in das Badezimmer eilte, das eiskalte Wasser der Brause über den heißen Körper rieseln ließ und dann zentnerschwere Eisenhanteln schwang, um erschöpft und müde wieder in sein Bett zu kriechen und an Transaktionen, Fusionierungen, Neugründungen und Riesengeschäfte zu denken.

Das war sein Leben, das Leben des beneideten, gehaßten, bewunderten, fast schon sagenumsponnenen reichsten Mannes der Welt!

Wozu das alles, warum nicht Schluß machen, sich dem Leben in die Arme werfen, nach Europa fahren, diesem jauchzenden, den Frauen und dem Genuß lebenden Europa? Zu welchem Zweck weitere Millionen auf Millionen häufen, zu welchem Ende arbeiten und schuften, wie keiner seiner Angestellten, kein Erdarbeiter, kein Kohlengräber arbeitet?

Garrick schüttelte sich.

Lächerlich dagegen ankämpfen zu wollen! Seine Bestimmung, seine Mission, sein Lebenszweck – basta!

Und doch und doch! Ließ sich denn nicht das eine mit dem anderen verbinden? Warum nicht ein liebes, schönes Weib nehmen, mit ihm Kinder zeugen, der Arbeit Stunden der Erholung abstehlen? Sicher, würde er erst die Frau haben, so kämen die Stunden der Freude und des Glückes von selbst. Eine Frau würde heilige Rechte auf ihn haben, denen er sich nicht widersetzen könnte. Er würde mit ihr reisen und Bücher lesen, Theater und Feste besuchen. O ja, es ginge schon, mußte gehen!

5. Kapitel

Amerikanerinnen

Aber woher diese Frau nehmen? Die wunderschöne, liebliche, gütige Frau, die ihm, nur ihm allein gehört, ihn liebt, nicht nur seine Milliarden?

War die hier, in Amerika, zu finden? Unwillkürlich dachte er an die Ehe seiner eigenen Eltern. Der Vater ein harter, rücksichtsloser Geldmensch, der, genau wie er selbst, nur der Arbeit lebte. Als schottischer Schlosserlehrling war er eingewandert, hatte mit eiserner Zähigkeit, aber auch mit brutaler Rücksichtslosigkeit sich den Weg gebahnt, als reicher Mann in reifen Jahren ein amerikanisches Mädchen geheiratet. Hatte ihm die Ehe viel Freude und Glück gebracht? Garrick mußte diese Frage verneinen. Seine Mutter war eine kalte Frau gewesen, die den Mann wohl anpeitschen, seinen Erwerbssinn anfeuern, nie ihm aber gütige Gefährtin sein konnte und wollte.

Der Vater hatte vom Morgen bis in die Nacht gearbeitet, die Mutter Gesellschaften besucht, Reisen gemacht, sich um den Mann und den Sohn nie gekümmert.

Und die anderen Frauen, die er kannte? Oberflächliche Geschöpfe, die nur dem Vergnügen, dem Putz, der Zerstreuung lebten. Da war sein Jugendfreund Harry Goodman. Aus Liebe hatte er ein bildschönes, junges Mädchen aus dem Westen geheiratet, ein armes Ding, das als Fabriksarbeiterin für ihr Leben sorgen mußte. Und heute? Heute spielte sie die große Dame, behandelte ihren Mann wie einen Sklaven, eine Geldmaschine. Neulich erst hatte Harry ihm gesagt:

„Früher, als Junggeselle, wenn ich ein kleines Mädel vom Chor aushielt, hatte ich eine Geliebte, mit der ich täglich ein paar Stunden verbringen konnte. Heute aber? Heute habe ich eine Frau, die ich tagelang nicht sehe, die abends nicht zu Hause ist, allein nach Europa reist, das Geld von mir genau so nimmt, wie die Choristin, ohne dabei mir die Zärtlichkeit zu geben, die diese wenigstens vorgetäuscht hat.“

Und ein anderer Freund, der vor einem Jahr geheiratet hatte, beklagte sich, daß seine Frau kalt sei, ihm die ehelichen Rechte verweigere, den intimen Verkehr zwischen Eheleuten als „Schweinerei“ verabscheue und, wenn sie sich ihm schon hingebe, in seinen Armen leblos wie eine Statue bleibe.

Aber Lilian Mervil?

Garrick ging an das Fenster, schob es hoch, ließ die milde Frühlingsluft vom Hudson her in das Zimmer strömen, hörte das Rauschen des breiten Stromes, der jetzt noch, um Mitternacht, von hundert Schiffen und Kähnen befahren war.

Lilian Mervil war allerdings kein kaltes Weib, sondern ein leidenschaftliches, rassiges, das das Blut der spanischen Mutter geerbt hatte.

Der Gedanke an Lilian Mervil ließ Garricks Pulse schneller schlagen. Die würde in seinen Armen nicht leblos bleiben, würde Liebe, die sie bekommt, mit allen Sinnen erwidern. Und sie schien ihn ja zu lieben, tat wenigstens so, umgab ihn in den kurzen Viertelstunden, die er ihr widmen konnte, mit aller frauenhaften Zärtlichkeit.

Aber – steckte nicht ein Dämon in diesem schönen jungen Weib mit den nachtschwarzen Haaren und den grau-grünen Augen?

Lilian Mervil stammte aus vornehmem, aber wenig begütertem Hause, hatte mit ihren Eltern in New-Orleans gelebt, bis der junge Universitätsprofessor Ralph Mervil, der sich auf den ersten Blick in sie verliebt hatte, sie zur Frau nahm. Mervil, Gelehrter durch und durch, europäisch gebildet, schwächlich, kurzsichtig – sie, schön und majestätisch wie Juno, sinnlich und leidenschaftlich wie ihre Mutter, die eine berühmte Tänzerin gewesen, beherrscht und überlegen wie ihr Vater, der Zoll für Zoll südstaatlicher Sklavenherr war – eine seltsame Ehe und nicht von langer Dauer. Über den Tod Mervils wurde allerlei gemunkelt, ohne daß Positives behauptet werden konnte. Tatsache war, daß die Mervils den ersten Sommer ihrer Ehe in dem Seebad Atlantic City zugebracht hatten. Dort entwickelte sich angesichts der Hitze das mondäne Badeleben erst spät abends nach dem Souper, unter der Beleuchtung riesiger elektrischer Scheinwerfer wurde in das glitzernde, lauwarme Meer hinausgeschwommen, gerudert und im weichen Sand des breiten Strandes geflirtet.

Lilian, glänzende, preisgekrönte Schwimmerin, pflegte meilenweit hinauszuschwimmen und ihren Gatten, den seine schwächliche Konstitution zu keinerlei Sport befähigte, durch scherzhaften Spott mit hinauszulocken. Einmal nun geschah es, daß die Badegäste von weiter Ferne einen dumpfen, gellenden Aufschrei hörten und gleich darauf die Hilferufe der in rasender Eile zurückschwimmenden Frau Lilian.

„Mein Mann ist untergegangen,“ schrie sie und begann bitterlich zu weinen. „Ich habe versucht, ihm zu helfen, habe nach ihm getaucht, ihn aber nicht finden können.“

Nach stundenlangem Suchen fand man dann seine Leiche am Meeresgrund. War er wirklich von einer Schwäche befallen worden, hatte ihn die grandiose Schwimmerin und Taucherin wirklich nicht retten können? Stammte das blutige Mal am Halse von einem Hummer oder einem anderen Meertier? Kein Schatten eines Verdachtes fiel auf die junge Witwe, aber die Gerüchte wollten nicht verstummen, verfolgten sie durch die drei nun vergangenen Jahre.

Henry Garrick, innig befreundet mit dem jungen Gelehrten, nahm sich der Witwe an, die von ihrem Mann ein anständiges, aber wider Erwarten nicht sehr bedeutendes Vermögen geerbt hatte, und seither betrachtete Lilian ihn als ihren Freund, versuchte immer wieder ihn von der Arbeit weg in das rauschende gesellschaftliche Leben New Yorks zu ziehen.

Lilian! Henry Garrick fühlte, wie seine Sinne ihn zu ihr zogen. Seine Sinne, aber auch sein Herz? War sie die Frau, die er brauchte, die ihm stilles Glück geben konnte?

Garrick schüttelte den Kopf, sagte laut, daß er fast erschrak, „nein!“ Lilian als Geliebte, ja! Als sorgende Lebensgefährtin aber – nein! Auch sie würde den Mann zu beherrschen versuchen, auch sie in ihm nur Mittel zum Zweck sehen, auch sie die Teilhaberin seines Vermögens, aber nicht die Seelengenossin sein. Garrick erinnerte sich plötzlich, wie unlängst einer seiner wenig glücklich verheirateten Freunde gesagt hatte:

„Wenn ich jetzt ledig wäre, würde ich mir ein ganz armes, wohlerzogenes und schönes Mädchen in Europa suchen. Das mich achtet, zu mir aufsieht, an meinem Reichtum Freude hat, aber nicht nur an meinem Reichtum. Mein Gott, wir Männer freuen uns ja, wenn unsere Frauen das Geld mit vollen Händen ausgeben und sich mit allem Luxus der Erde ausstatten, aber wir wollen nicht, daß sie uns lediglich als Scheckbücher betrachten. Wenn man ein Kind beschenkt, tut man es, damit es sich freut. Aber wenn man sieht, daß ein Kind nur dann mit einem nett ist, wenn man ihm Geschenke mitbringt, so wird man verstimmt.“

6. Kapitel

Ein seltsamer entschluss

Garrick ging wieder mit großen Schritten au und ab. Und sein Gehirn, dieses merkwürdig konstruierte amerikanische Gehirn, daß im Bruchteil einer Sekunde die schwierigsten Situationen erfaßt und Entschließungen von weittragender Bedeutung trifft, dieses Garricksche Gehirn faßte mit einem Ruck einen bizarren Entschluß, der sein ganzes Leben anders gestalten sollte.

Henry Garrick sah auf die Uhr. Die erste Stunde nach Mitternacht war vorüber. Ein Druck auf einen Taster und er war mit der Telephonzentrale seines Palastes verbunden.

„Geben Sie mir das Hotel ,Belvedere’ an der achzehnten Straße.“

Eine Minute war noch nicht vergangen und die Verbindung hergestellt.

„Ist die deutsche Hochzeitsgesellschaft noch beisammen? Gut, rufen Sie Mister Fred Holme.“

Wieder verging eine Minute.

„Fred, hast du schon einen deutschen Kapitalsrausch oder bist du noch Herr deiner Sinne? Ja, es geht noch? Dann erwarte ich dich sofort bei mir.“

Fred Holme fluchte. Er hatte gerade einen kleinen Flirt mit einem hübschen deutschen Mädel begonnen, das Grete hieß und von jener molligen Weichheit war, die Fred als würdiges Pendant zu seiner Fettleibigkeit betrachtete. Und nun mußte er Rheinwein, Grog und die herrlichen Schnäpse mitsamt Grete in Stich lassen, weil es diesem unmöglichen Garrick gefiel, ihn in irgend einer blöden Dollarangelegenheit zu sich zu zitieren. Aber das Fluchen nützte nichts, er erhob sich, überzeugte sich, daß er noch halbwegs sicher auf beiden Beinen stand, ja es sogar auf einem durch eine ganze Sekunde aushielt, verabschiedete sich von Grete mit einem herzlichen Kuß und sauste auch schon in seinem hundert pferdekräftigen Lincoln die Avenues entlang nach Riverside Drive.

Garrick schüttelte ihm die Hand, schien ein wenig bleich zu sein und sprach mit weicherer Stimme als sonst.

„Tut mir leid, mein Junge, daß ich dich dem Alkoholteufel entreißen mußte. Wirst aber in nächster Zeit genug Gelegenheit haben, mit ihm Bruderschaft zu trinken. Fred, morgen, besser gesagt heute, um elf Uhr vormittags, fährt der Dampfer ,Leviathan’ nach Southampton. Du fährst mit und bereist ganz Europa: London, Paris, Berlin, Rom, Wien und wohin du willst, wohin es dir paßt. Und suchst mir eine Frau: Bitte, mach kein so dummes Gesicht. Jawohl, du suchst mir ein Mädchen, daß ich heiraten werde. Das Mädchen kann arm sein wie eine Kirchenmaus, es muß nur schön, unbestreitbar schön sein, in ihrer Sprache gebildet, wohlerzogen, gütig und nach unseren amerikanischen Begriffen makellos. Verstehe mich wohl. Ich vertraue dir mein Lebensglück an: Ich wünsche, daß du mir das schönste und beste Mädchen Europas findest. Ich will nicht länger einsam und allein wie ein verlassener Hund sein. Ich will in diesem Palast, der Raum für hundert Menschen hat, nicht wie ein Eremit leben. Ich will eine Frau haben, die zu mir gut sein wird, mir mit kühlen, weichen Händen die Stirne streichelt, wenn mein Kopf von der Jagd nach dem Gold heiß ist wie ein Plätteisen, ich will Kinder haben – kurzum, halte mich meinethalben für verrückt, aber ich will glücklich sein.

Junge, nimm all deinen Verstand und deine Freundschaft zu mir zusammen. Dein Programm lautet: Die schönste und beste Frau der Welt für den reichsten Mann der Welt! Von deinem Eifer und deiner Freundschaft hängt alles für mich ab! Du kannst mich glücklich machen und kannst mir das Leben vergiften. Das Mädchen, das du suchst, soll schön, zart, fein, klug, aber nicht geistvoll, gebildet, aber nicht gelehrt sein. Ich will Staat mit ihr machen können, man soll mich um sie beneiden, aber sie darf keine Gesellschaftspuppe sein. Je ärmer, desto besser. Aber ich wünsche keinen Anhang, keine Gevatterschaft, keine Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten, die sich an mich anklammern und mir lästig werden. Makellose, unberührte Jungfrau, aber nicht zimperlich, nicht Betschwester und Augenverdreherin. Von der Sorte haben wir hier im Lande mehr als genug.

Hast du gefunden, was ich suche, so bringe das Wunder entweder her oder kabel mir. Ich werde mich losreißen und hinüberfahren. Wohlgemerkt: Nation und Konfession ist mir gleichgültig, aber lieber wäre mir schon ein deutsches Mädchen. Weil ich diese Sprache am besten beherrsche und weil ich von deutschen Frauen viel halte. Aber das ist keine Bedingung, es kann auch eine Französin, Italienerin, Schwedin oder irgend etwas sein. Jung, sehr jung natürlich. So gegen zwanzig oder darunter. Mädchen, die älter sind, haben immer schon eine Vergangenheit. Wenn nicht eine erlebte, so doch eine erträumte, und das kann noch ärger sein.

Also los, Fred, ich weise dir unbeschränkten Kredit für alle europäischen Hauptstädte an. Geh jetzt schlafen, du wirst wohl noch allerlei zu besorgen haben. Schau, daß du die schönste und nobelste Kabine des ,Leviathan‘ bekommst. Und ich will von dir nichts hören, bevor du nicht gefunden hast, was ich suche.“

Fred Holme bestieg wieder sein Auto und zwickte sich während der Fahrt kräftig in das rechte Ohrläppchen, um sich zu vergewissern, daß er nicht doch einen ordentlichen Rauschtraum habe. Aber nein, das Ohrläppchen schmerzte, also war alles wahr. Und nach dieser Erkenntnis reckte sich Fatty, ein Gefühl der Rührung überkam ihn, und er nahm sich vor, seinen Gebieter und Freund nach besten Kräften zum großen Glück zu verhelfen.

7. Kapitel

Fatty hat einen flirt

Fred Holme hatte Glück. Eine Familie bestellte in letzter Stunde ihre Kabinen ab, und so bekam er auf dem vollbesetzten ‚Leviathan‘ noch ein ganzes Appartement für sich allein: Schlafraum, Salon und Badezimmer.