Die schönste Frau der Welt neben mir - Christian Schmidt - E-Book

Die schönste Frau der Welt neben mir E-Book

Christian Schmidt

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Beschreibung

Aus einem Impuls heraus begann ich Tagebuch zu schreiben. Dass ich damit in den folgenden Monaten meinen Weg zu einem neuen Leben dokumentieren würde, wusste ich in diesem Moment nicht. Alles was ich wusste, war, dass ich die Frau loslassen musste, die ich, damals wie heute, so sehr liebe, dass es weh tut. Freunde sagten mir, wie mutig sie meine Entscheidungen fanden, alle Zelte abzubrechen. Manche schienen regelrecht neidisch zu sein. Fragte sich nur worauf – keinen Job zu haben, keine Wohnung zu haben oder beides. „Du musst es als Chance sehen“, sagten sie. Ich konnte es zu dieser Zeit jedoch nur als die einzige Möglichkeit sehen, die mir blieb: komplett von vorn zu beginnen. Eben noch in Berlin als Computertechniker angestellt. Im nächsten Augenblick weit entfernt vom Stadttrubel inmitten ländlicher Idylle. Ich hüte Schafe in Mecklenburg-Vorpommern, arbeite als Tischlerpraktikant in Österreich und greife irgendwo dazwischen zur Kamera, um die Suche nach mir selbst in Bildern festzuhalten. Eine großartige Liebeserklärung. Eine sensible Auseinandersetzung mit der Liebe des Lebens. So ungewohnt fragil ist der Ton des Autors – die Stimme einer neuen Generation Männer.

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Seitenzahl: 238

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Die schönste Frau der Welt neben mir

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-211-0 (Print) // 978-3-95894-212-7 (E-Book)

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2022

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Die schönste Frau der Welt liegt neben mir im Bett

Ich schau sie an, sie schaut zurück

dass fast mein Herz zerbricht

Die schönste Frau der Welt halte ich in meinem Arm

Ich halt’ sie fest, so fest an mich gedrückt

dass fast mein Herz zerbricht

Die schönste Frau der Welt küss’ ich auf den Mund

Ich schließe meine Augen

als fast mein Herz zerbricht

Die schönste Frau der Welt geht fort aus meiner Welt

Ich lasse los, was mich festhält

als dann

mein Herz

zerbricht

Inhalt

Sonntag 29.10.2017

Montag 30.10.2017

Dienstag 31.10.2017

Mittwoch 01.11.2017

Donnerstag 02.11.2017

Freitag 03.11.2017

Samstag 04.11.2017

Sonntag 05.11.2017

Montag 06.11.2017

Dienstag 07.11.2017

Mittwoch 08.11.2017

Donnerstag 09.11.2017

Freitag 10.11.2017

Samstag 11.11.2017

Sonntag 12.11.2017

Montag 13.11.2017

Dienstag 14.11.2017

Mittwoch 15.11.2017

Donnerstag 16.11.2017

Freitag 17.11.2017

Samstag 18.11.2017

Sonntag 19.11.2017

Montag 20.11.2017

Mittwoch 22.11.2017

Donnerstag 23.11.2017

Sonntag 26.11.2017

Montag 27.11.2017

Dienstag 27.11.2017

Freitag 01.12.2017

Samstag 02.12.2017

Sonntag 03.12.2017

Montag 04.12.2017

Donnerstag 07.12.2017

Donnerstag 21.12.2017

Donnerstag 25.01.2017

Freitag 26.01.2017

Dienstag 30.01.2017

Mittwoch 07.02.2018

Freitag 09.02.2018

Freitag 23.02.2018

Samstag 24.02.2018

Dienstag 28.02.2018

Samstag 03.03.2018

Mittwoch 07.03.2018

Donnerstag 08.03.2018

Freitag 09.03.2018

Donnerstag 15.03.2018

Samstag 17.03.2018

Mittwoch 21.03.2018

Freitag 23.03.2018

Samstag 24.03.2018

Sonntag 25.03.2018

Montag 26.03.2018

Dienstag 27.03.2018

Freitag 30.03.2018

Dienstag 03.04.2018

Mittwoch 04.04.2018

Donnerstag 05.04.2018

Freitag 06.04.2018

Mittwoch 11.04.2018

Donnerstag 12.04.2018

Freitag 13.04.2018

Samstag 14.04.2018

Sonntag 15.04.2018

Montag 16.04.2018

Dienstag 17.04.2018

Mittwoch 18.04.2018

Donnerstag 19.04.2018

Freitag 20.04.2018

Samstag 21.04.2018

Sonntag 22.04.2018

Montag 23.04.2018

Donnerstag 26.04.2018

Samstag 28.04.2018

Sonntag 29.04.2018

Montag 30.04.2018

Dienstag 01.05.2018

Mittwoch 02.05.2018

Donnerstag 03.05.2018

Freitag 04.05.2018

Samstag 05.05.2018

Sonntag 05.05.2018

Dienstag 07.05.2018

Mittwoch 09.05.2018

Donnerstag 10.05.2018

Freitag 11.05.2018

Montag 14.05.2018

Mittwoch 16.05.2018

Donnerstag 17.05.2018

Samstag 19.05.2018

Sonntag 20.05.2018

Montag 21.05.2018

Freitag 25.05.2018

Samstag 26.05.2018

Sonntag 27.05.2018

Montag 28.05.2018

Donnerstag 31.05.2018

Freitag 01.06.2018

Dienstag 05.06.2018

Donnerstag 07.06.2018

Freitag 08.06.2018

Samstag 09.06.2018

Donnerstag 14.06.2018

Samstag 16.06.2018

Mittwoch 20.06.2018

Freitag 29.06.2018

Sonntag 30.06.2018

Montag 02.07.2018

Freitag 06.07.2018

Dienstag 10.07.2018

Freitag 20.07.2018

Samstag 21.07.2018

Sonntag 22.07.2018

Donnerstag 26.07.2018

Freitag 03.08.2018

Sonntag 29.10.2017

Meine Sachen liegen bereit: Klamotten, Schuhe, Waschtasche, Laptop, Kamera, Gitarre, Kopfkissen, Matratze. Es fühlt sich an, als ob ich in den letzten Wochen nur noch umziehe und irgendwie ist es ja auch so. Kurz überlege ich, ob ich die Matratze hierlasse. Zum Glück entscheide ich mich dagegen und somit für ein weiteres Mal Hoch- und Runterlatschen.

Das Auto ist vollgestopft. Ein kurzer Stopp an der Tanke und dann noch eine letzte Runde mit meiner Leihhündin Leja Gassi gehen. Hinterher gibt es Kaffee mit Frauchen Henrike, bei der wir ihre Geburtstagsfeier und die Nachwehen um Micha und Marie besprechen. Micha ist sauer, weil er denkt, dass Henrike sich vor ihrer Zweisamkeit drückt. Henrike sagt, eine Party und Zweisamkeit schließen sich aus. Ich kann beide verstehen.

Ich bin nach dem Aufeinandertreffen mit Marie wie immer verwirrt, hoffnungsvoll und traurig zugleich. Als sie die Treppe zur Terrasse hochläuft, pocht mein Herz, und ich weiß nicht so recht, wohin mit mir. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie kommt, und bin doch froh, dass sie da ist. Obwohl ich selbst ein paar Tage zuvor Funkstille erbeten hatte. Nachdem die ersten Gäste gegangen sind, sitzen wir allein am Feuer, schauen uns in die Augen und berühren uns mit den Füßen. Drei Sekunden später kuschelt sich meine Frau neben mich auf die Hollywoodschaukel. Ich liebe sie so sehr und ich spüre, sie liebt mich ebenso. Wir küssen uns, umarmen uns und wissen beide nicht, was das ganze Theater eigentlich soll. So scheint es zumindest. Ein paar Minuten später begleite ich sie zum Auto. Ich küsse sie nochmal, als sie das Fenster herunterlässt, und bleibe verwirrt zurück, als sie fährt. Henrike hört wie immer geduldig zu und gibt mir Kraft, einfach nur, weil sie da ist.

Dann ist es Zeit, sich auf den Weg nach Barnow zu machen. Nach eineinhalb Stunden Fahrt komme ich an und stehe nun vor dem schönen alten Gemäuer, das die Wohnung als auch die Werkstatt von Tischlermeister Gerhard Hoffmann beherbergt. Gerhard öffnet mir die Tür. Er ist 58 Jahre alt, knapp zwei Meter groß, hat lange, graue Haare und kräftige Hände, wie sie wohl jeder Tischler hat.

Als erstes zeigt er mir die Ferienwohnung bei der Nachbarin. Hier werde ich also die Wochenenden verbringen, um Gerhards Freundin, die immer am Samstagvormittag kommt und am Sonntagabend wieder fährt, nicht zu stören. Was Mann nicht alles für Frau tut. Kenne ich irgendwoher. Aber mir soll es recht sein. Wer weiß, vielleicht bin ich froh, das Wochenende für mich zu sein.

Die Ferienwohnung hat eine Fußbodenheizung, und die zeigt, was sie kann. Auf 23 Grad hat die alte Dame sie eingestellt. Bullig warm! Ansonsten gibt es ein lila gemustertes Sofa Mitte 90er-Jahre, hässliche Korbstühle in der Wohnküche, eine steinharte Matratze im Schlafzimmer sowie sonstige Grässlichkeiten an und vor den Wänden. Egal, es ist alles da, was ich brauche, und es ist warm. Bullig warm!

Montag 30.10.2017

Um 6:30 Uhr klingelt der Wecker. Ich dusche und frühstücke. Zum Glück habe ich von zu Hause die restlichen Lebensmittel aus dem Kühlschrank eingepackt. Dann ziehe ich zum ersten Mal die neue Latzhose und die neuen Arbeitsschuhe an.

Gerhard öffnet mir die Werkstatttür und dann geht es, wie angekündigt, direkt los. Wir beladen den Transporter mit geleimten Rubinien-, Douglasien- und Birkenplatten und bringen sie zum Fräsen nach Dalgow. Aus dem Material sollen zwei Treppen für seinen Anbau gefertigt werden.

Auf der 45-minütigen Fahrt ist Zeit zum Reden. Gerhard erzählt, wie er aus Osnabrück stammend in Kanada landet, dort einige Jahre als Tischler arbeitet, schließlich ein Grundstück kauft und zusammen mit seiner Frau auswandern möchte.

Es ist 1991, Zeit der Wiedervereinigung. Mittlerweile stürmen die Ossis die geöffneten Grenzen. Auch die nach Kanada. Ihr Ausreiseantrag wird abgelehnt. Keine Chance! Kanada stoppt (nicht nur) den „Ossi-Sturm“ und macht die Grenzen dicht. Also landet er mitsamt seiner Werkstatt und Frau in Meck-Pomm. Als sie sich ein paar Jahre später trennen, bleibt Gerhard allein in Barnow zurück.

Die Tischlerei in Dalgow ist in einer schönen alten Scheune versteckt. Der kleine, drahtige Tischlermeister leimt, sägt, schleppt, schleift und klotzt in einem fort wie ein Duracellhase, während wir gelangweilt der Fräse zuglotzen. Der Tischlergeselle bedient das beeindruckende Monster von circa sechs mal zwei Metern. Ihr Kopf saust von links nach rechts und hinterlässt neben einem Berg Spänen nach ein paar Minuten jegliche erdenkliche Form aus Holz. Geil! Was das Ding wohl kostet, frage ich mich.

So beeindruckend das Ganze auch ist, nach den ersten drei, vier fertigen Stücken schwindet das Interesse und weicht gelangweiltem Warten mit gelegentlichem Beobachten des Duracellzwergs. Das Fräsen zieht sich bis zum Nachmittag. Als wir endlich den Rückweg antreten, bin ich durchgefroren und krank.

Zurück in Barnow, laden wir die fertigen Teile aus. Anschießend zeigt mir Gerhard meine Bleibe. Ich penne im alten Kinderzimmer. Hier stehen drei Betten und zwei vollgestopfte Regale mit Spielsachen. Als Krönung zieren unzählige Comicaufkleber eine breite Holzplanke an der Fensterseite. Kacke! Ich fühle mich hier überhaupt nicht wohl und bin heilfroh, dass ich wenigstens meine eigene Matratze dabeihabe.

Ebenso wenig gemütlich wie einladend ist das Wohnzimmer. Ein Esstisch, ein paar Schränke, ein ausgestopfter Waschbär und ein grünes Sofa lassen alles Mögliche aufkommen, aber kein Wohlbehagen. Ich freue mich jetzt schon aufs Wochenende!

Dienstag 31.10.2017

Die Nacht war eine einzige Tortur. Ich musste ungefähr zehn Mal pinkeln und habe mich ansonsten mehr hin und her gewälzt als gepennt. Entsprechend sehe ich am nächsten Morgen aus und höre mich auch so an … beschissen!

Beim Frühstück erzählt mir Gerhard, wie er am ersten Tag seiner Tischlerausbildung auf einen rostigen Nagel getreten ist und zwei Wochen ausfiel. Mir wäre der rostige Nagel sehr viel lieber gewesen als schon wieder diese verdammte Sinusitis. Aber was soll’s. Nachdem ich bereits die letzten sechs Wochen immer wieder am Sinusitisabgrund gekratzt habe, bleibt jetzt zumindest die Hoffnung, dass es mir nach dem Absturz wieder bessergeht. Ich schleiche mich zurück ins Kinderzimmer zum Gesundschlafen und muss an Marie denken. Ich vermisse sie!

Am Nachmittag steht Lämmchenschlachten auf dem Plan. Gerhard fragt, ob ich beim Zusammentreiben helfen kann. Ich kann, aber weiß noch nicht so recht, ob ich beim Schlachten dabei sein will. Die Neugier siegt.

Bolzenschussgerät und Messer liegen bereit. Die Schafe sind im Stall eingesperrt und wissen genau, was läuft. Ihren Rufen zufolge wissen es die sonstigen tierischen Hofbewohner (Gänse, Hühner und Pfauen) ebenfalls. Gerhard öffnet vorsichtig die Stalltür und geht hinein. Ich warte draußen und beobachte, wie er das erste Vieh unter starker Gegenwehr an den Hörnern aus dem Stall schleift. Kaum zu glauben, dass dieses mächtige „Lämmchen“ erst sechs Monate alt ist. Während Gerhard das Tier zu Boden drückt, ziehe ich das Bolzenschussgerät auf und reiche es ihm. Er setzt es dem Lamm an die Stirn. Dann folgen ein dumpfer Schuss und ein Schnitt durch die Kehle. Die Muskeln des Tiers wehren sich noch dreißig Sekunden lang, bevor auch sie endgültig verstummen.

An den Hinterläufen hängen wir das Tier mit Fleischerhaken an eine Leiter. Mit geübten Griffen und Schnitten zieht Gerhard das Fell ab, trennt den Kopf vom Hals und nimmt die Innereien heraus. Ich schaue zu und bin überrascht, wie normal ich das Ganze finde, obwohl ich es vorher noch nie erlebt hatte. Kein Ekel, kein Unbehagen … naja, nur ein kleines Bisschen. Ich denke, das Fell abzuziehen, würde ich mir sogar selbst zutrauen. Aber daraus wird nichts. Der Nachbar kommt jetzt zum Helfen dazu und ich frage nicht nach meiner Chance. Ich gehe wieder nach oben. Ausruhen, Tee trinken, pinkeln. Als ich etwas später aus dem Badfenster schaue, baumeln vier abgezogene Lämmer am Holzlager. Die Hofkatze Casio bewacht sie noch bis zum nächsten Tag, schnüffelt und schleicht immer wieder um sie herum, aber so sehr sie sich auch bemüht, sie kommt nicht heran. Ich beschließe sie wegen der schwarzen Schnurr- und Zickenbartzeichnung Inspektor Clouseau zu nennen.

Am Abend gibt es Stulle mit Brot und den WLAN-Zugang. Gerhard hat wirklich null Komma null Ahnung von Computern, Internet und dem ganzen anderen „Digitalisierungskram“, wie er es nennt. O-Ton: „… da geht es doch immer um Balken oder so!?“ Ich fühle mich noch immer nicht wohl, bekomme jedoch genügend Balken, um zum Videostreaming zu flüchten. Nach zwei Folgen „Shameless“ und einer weiteren Kanne Tee horche ich an meiner Sieben-Zonen-Matratze.

Mittwoch 01.11.2017

Diese Nacht war genauso beschissen wie die letzte. Ich stehe wie verabredet um kurz nach sieben auf, gehe in die Küche und beschließe, statt auf Gerhard zu warten, einen Zettel zu schreiben und mich wieder ins Bett zu verkriechen. Gegen neun Uhr bin ich wieder wach, gehe duschen und frühstücken. In den letzten zwei Tagen habe ich ein ganzes Brot verdrückt, dazu einige Sahnekefir verschlungen und unzählige Kannen Tee geleert. Gerhard fragt sich sicher schon, wie das wird, wenn ich erst einmal gesund bin. Aber mir ist es egal. Es geht mir scheiße, ich habe Hunger und kann, außer essen und schlafen, eh nichts tun. Denn nach jedem Sinusitisabsturz brauche ich genau eine Woche, um wieder auf die Beine zu kommen.

Gegen Mittag ziehe ich meine abgewetzte Skihose, meine alte Winterjacke und meine neuen Gummistiefel an und gehe raus auf den Hof. Gerhard sagte was von abgeschnittenen Zweigen einsammeln, und so latsche ich mit Gleichgültigkeit und dem Schubkarreneisenschwein, welches sich nach einer Luftpumpe sehnt, über die Schafkoppel. Meine Gedanken sind immer wieder bei Marie. Eine Stunde Schubkarre und Matsch reichen mir. Dann gehe ich nach oben und schaue mir alte Fotos auf dem Laptop an. Ich vermisse sie und würde am liebsten sofort zum Handy greifen, nur um kurz ihre Stimme zu hören.

Die Uhren auf dem Land ticken langsamer. Die Uhr von Gerhard scheint jedoch zu kriechen und ich frage mich, wie man Tischlermeister, Falkner, Bootsbauer, Holzkunstschnitzer, dreifacher Vater, Auswanderer, Windsurfer und was weiß ich nicht noch alles werden und sein kann mit dieser Geschwindigkeit. Tja, in der Ruhe liegt die Kraft und Gerhard ist der lebende Beweis.

Gerhards Holzkunstschnitzereien und Malereien hängen überall und ich kann sie alle nicht leiden. Die vielen kleinen Notbehelfe hier und da schon gar nicht! Eine Taste der Klospülung ist abgeklebt, weil sie defekt ist. Die Wanne muss man trockenwischen, weil das Silikon schlecht gemacht ist. Überall sind kleine Zettel mit Terminen, Notizen und Erinnerungen verteilt, die auf jeden Fall genau dort liegenbleiben müssen, wo sie sind, sei es auf dem Tisch, der Treppe oder mitten auf dem Küchenboden. Der Kühlschrank ist vollgestopft, der Abwaschlappen stinkt und anstatt eines Brotkastens gibt es eine Plastiktüte, die wahrscheinlich schon ihren zehnten Geburtstag feiert. Ich versuche mich in Gleichgültigkeit. Das funktioniert zumindest teilweise, auch aufgrund meiner über die Jahre fast unveränderten, sehr toleranten Ekelgrenze.

Zum Abendbrot gibt es Lammleber mit Kartoffeln, Zwiebeln und Apfelringen. Ich bin gespannt, wie das selbstgeschlachtete Lämmchen schmecken wird. Leber ist ja immer so eine Sache. Die Arbeit an den Kochtöpfen teilen wir uns. Ich starte mit den Zwiebeln und den Kartoffeln. Gerhard übernimmt die Leber. Er schneidet sie in dünne Scheiben, wendet sie in Mehl und brät sie gut durch. Sieht auf jeden Fall schon mal lecker aus. Ich kümmere mich derweilen um die Apfelringe und den Tisch. Dann ist es soweit. Noch etwas zögerlich nehme ich mir zwei kleine Stückchen Leber und koste erst alles andere. Mmmh ... für den Fall, dass die Leber wie Leber schmeckt, werde ich davon auch satt. Aber das muss ich gar nicht, schon nach dem ersten Stück weiß ich, das Lämmchen ist nicht umsonst gestorben. Das Fleisch ist zart und schmeckt trotz des typischen, aber nicht zu strengen Geschmacks wunderbar. Ich bin jetzt schon auf die Nieren und das Herz gespannt. Die gibt es morgen. Zum Abschluss des Tages genehmige ich mir eine weitere Folge „Shameless“ zum gedanklichen Nach-Hause-Flüchten und dann geht es ab ins Bettchen.

Donnerstag 02.11.2017

Heute Morgen flüchte ich nun tatsächlich nach Hause, sprich: zurück nach Berlin. Nachdem auch die letzte Nacht so beschissen war wie die vorherigen beiden und der Tiefpunkt des Absturzes anscheinend noch nicht erreicht ist, will ich einfach nur nach Hause. Die Tatsache, dass mein neues Handy auf der Post liegt und persönlich mit Ausweisvorlage abgeholt werden muss, rechtfertigt das Ganze in meinem Kopf. Ich bin froh, dass der Nachsendeauftrag nicht funktioniert hat.

Als ich im Auto sitze, fühle ich mich erleichtert. Die Ereignisse der letzten zwei Monate haben einiges losgetreten. Eine Erkenntnis führte dazu, dass ich mir selbst das Versprechen abnahm, nie wieder gegen meinen Bauch zu entscheiden. Sei es beim Auswählen des Essens im Restaurant oder der Entscheidung, wo und wie ich in Zukunft mein Geld verdienen werde. Wenn ich heute auf mein bisheriges Leben zurückschaue, muss ich leider sagen, dass ich immer wieder mit dem Kopf und damit gegen meinen Bauch entschieden habe – angefangen von der Ausbildung zum Kaufmann über die Zeit als selbstständiger Plattenladenbesitzer bis hin zu meinem nun bald zehnjährigem Jubiläum als IT-Techniker (welches ich auf keinen Fall feiern möchte).

Auf meinen Bauch zu hören, muss ich regelrecht trainieren, und nutze daher jede noch so kleine Entscheidung als Sparringspartner. Bis jetzt fühlt es sich sehr gut an, und vor allem immer richtig. Und doch bin ich froh darüber, dass alles genau so gekommen ist, wie es gekommen ist. Denn vielleicht war sogar die Entscheidung, bei Marie zu bleiben, anfangs eine Kopfentscheidung. Später wurde daraus ein verworrener Kampf zwischen Kopf und Herz. Ich hatte mich nicht in Marie verliebt, wie konnte ich sie da überhaupt lieben? Der Kopf rief: Nein, nein, nein!!! Und das Herz rief: Doch, doch, doch!!! Du liebst sie!!! Und so führte mich meine Liebe nach mehreren Trennungen immer wieder zurück zu ihr. Marie spürte diese Liebe, lange bevor ich sie selbst spürte bzw. mein Kopf sie zulassen konnte. Anders hätte sie diese elf Jahre währende Achterbahnfahrt wohl nicht überstanden. Keine einzige Sekunde unserer gemeinsamen Zeit möchte ich missen, egal wie hart und traurig es oftmals war und gerade ist.

Den Rest des Tages verbringe ich damit, mein neues Handy einzurichten und meine neue Telefonnummer zu verbreiten. Nebenbei gibt es heiße Fußbäder, Hühnersuppe und eine Folge „Shameless“. So überspitzt diese Ami-Serie auch ist, sie trifft den Nagel auf den Kopf, was die Darstellung des Lebens als komplettes Chaos betrifft, das man nicht beeinflussen kann, aber bestreiten muss.

Freitag 03.11.2017

Viel geschlafen habe ich wieder nicht. Aber die gute Nachricht ist, meine Nase ist jetzt komplett zu. Ich kenne jede Sinusitisphase in- und auswendig. Diese bedeutet, dass es jetzt langsam bergauf geht.

Bevor ich gestern abgefahren bin, hatte ich mit Gerhard vereinbart, dass ich mich am Sonntag melde und Bescheid gebe, ob und wann ich wiederkomme. Die Entscheidung brodelt seither zwischen meinem Kopf und meinem Bauch hin und her. Der Bauch sagt: Ich will da nicht wieder hin! Ich fühle mich dort unwohl! Mein Kopf sagt: Ja, im Kinderzimmer pennen ist Kacke. Da hast du Recht! Aber dafür gäbe es eine Lösung. Du ziehst einfach in die Ferienwohnung nebenan und bist nur zum Arbeiten und zum Essen da. So hast du deine Ruhe, es kostet nicht die Welt und vielleicht gibt Gerhard was dazu. Du wolltest tischlern! Das war eine reine Bauchentscheidung! Du hast noch nicht mal einen einzigen Tag in der Werkstatt gestanden, wie kannst du da einschätzen, ob du das willst oder nicht? Na gut, antwortet der Bauch, wir kurieren uns aus, machen die Ferienwohnung klar und tischlern. Das wird uns guttun und für etwas Ablenkung sorgen. So ist es, erwidert der Kopf. Immer nur Bauch allein ist eben auch Kacke.

Ich gönne meinen Schleimhäuten einen Besuch in der Salzgrotte und kaufe hinterher Brötchen für das morgige Frühstück mit Marie. Tja, es hat genau eine Nachricht von ihr mit einem Bild von Briefumschlägen und dem Wort „Post!?“ ausgereicht, um meine Funkstilleabsichten zunichtezumachen. Ich kann nicht anders und frage, wie es ihr geht, schicke ihr mein bisheriges Tagebuch per E-Mail und frage sie, ob ich vorbeikommen kann. Post holen und vielleicht etwas zusammen essen. Ein paar Nachrichten später sind wir für Samstag zum Frühstück verabredet. Kopf gegen Bauch ist kein Problem. Kopf gegen Herz ist einfach nur aussichtslos. Großartig! Genau da, wo es tatsächlich sinnvoll wäre, verliert mein Kopf jedes Mal.

„Shameless“, Zähne putzen, pennen … Vorfreude! Fragt sich nur, worauf!?

Samstag 04.11.2017

Noch bevor der Wecker klingelt, bin ich wach. Es ist kurz vor acht Uhr. Ich gehe duschen, ziehe mich an und sitze auch schon im Auto. Ich kann es kaum erwarten, Marie zu sehen und sie in den Arm zu nehmen. Doch ich beschließe, sie nicht auf den Mund zu küssen. Wir sind schließlich getrennt und da muss etwas Abstand sein!

In schwarzen Leggings, kombiniert mit einer dunkelblauen, kuscheligen Wohlstrickjacke, öffnet sie mir die Tür. Leger, aber sexy, und definitiv eines meiner Lieblingsoutfits. Mein Vorsatz hält noch nicht mal bis zum Schuheausziehen. Oh verdammt, wie ich diese Frau liebe!

Frische Brötchen, Kaffee, Rührei, meine Frau mir gegenüber an unserem Massivholz-Esstisch, unsere Katze schnurrend auf meinem Schoß … wir reden, lachen, weinen, umarmen und küssen uns. Von mir aus könnte dieses Frühstück niemals enden. Mittagsschlaf, kuscheln, ein langer Spaziergang, zusammen einkaufen, Abendbrot kochen, essen, wieder weinen, wieder kuscheln und eine Doku schauen über Holzhandwerksberufe (wie passend). Unser „Frühstück“ endet um 23 Uhr.

So wunderschön der Tag auch war, so traurig bin ich, als ich im Auto sitze und den Rückweg antrete. Alles ist so vertraut und fühlt sich dennoch anders an. Alles ist so schön und dennoch vielleicht für immer vorbei. Erst jetzt wird mir bewusst, wie tief das Loch ist, in das ich gefallen bin. Ich bin 37 Jahre alt und fange wieder bei null an, privat als auch beruflich. Ein paar Minuten später, als würde Marie meine Gedanken lesen, schreibt sie: „Bitte erinnere dich an deine eigenen, weisen Worte. Ich liebe dich, egal was passiert. Tausend Küsse!“

Hallo Sweety,

nichts von dem, was gerade passiert, ist endgültig. So oft waren wir getrennt und doch hat uns unsere Liebe immer wieder zusammengeführt.

Wenn wir es beide wollen und wenn es sich richtig anfühlt, wird sie es wieder tun. Ganz egal, wo wir sind und was wir dann arbeiten.

Ich glaube genau dazu ist diese Zeit da, um herauszufinden, was wir wollen und ob unsere Wege in die gleiche Richtung führen.

Doch ganz egal was passiert, wir lieben uns aus tiefstem Herzen!

Und das bleibt für immer!

Kuss

Dein lieber Mann

PS.:

Du bist kein Opfer der Dinge, die um dich herum geschehen. Ganz im Gegenteil Du kannst immer etwas tun. Wenn Du nicht weißt, was du tun sollst und wie, dann finde es heraus oder probiere es aus. Bis dahin akzeptiere einfach, dass es im Moment so ist, wie es ist. Man kann eine Treppe nur Stufe für Stufe hinaufgehen. Bewege Dich und es wird sich etwas bewegen.

Sonntag 05.11.2017

Am Abend huste ich nun so stark, dass es ewig dauert, bis ich einschlafen kann. Auch das kenne ich schon. Gegen neun Uhr bin ich wach, nachdem ich geduscht und gefrühstückt habe, überlege ich, wie ich mich über den Tag retten kann. Ich gehe meine Telefonkurzwahlliste durch. Einige haben keine Zeit. Andere haben Kinder. Bei ihnen rufe ich gar nicht erst an. Es gibt nichts, was mir im Moment mehr vor Augen führt, wie viele Lebensjahre ich mit Nichtigkeiten verplempert habe, als Freunde zu besuchen, die schon lange eine eigene Familie haben.

Mein Bruder Benedikt ist bei Freunden zum Kaffee eingeladen. Ich klinke mich ein und lasse mich (nun doch) vom Lärm und Gewusel der insgesamt vier Kinder sowie Zupfkuchen und Kaffee betäuben. Sabbern, Kreischen, Wuseln, Anziehen, Ausziehen, Sabbern, Kreischen, Wuseln etc. pp. Umso überraschender und schöner, dass wir trotzdem etwas Zeit zum Unterhalten finden. Als ich nach Hause fahre, geht es mir besser und ich beschließe, mich mehr meinen sozialen Kontakten zu widmen. Kinder hin oder her.

Wie verabredet, rufe ich Gerhard um neunzehn Uhr an und sage ihm, dass ich entweder am Mittwoch- oder Donnerstagabend zurückkomme. Danach melde ich mich bei Frau Mattes wegen der Ferienwohnung. Die alte Dame würde mich wahrscheinlich sofort als Sohn oder Enkel adoptieren, wenn sie könnte. Ich spreche langsam, laut und lege erst auf, nachdem ich einige Male wiederholt habe, wann ich ankomme, sie jedes Mal erwidert hat, dass der Schlüssel steckt, und ich mich für alles bestimmt zehn Mal bedankt habe. Menschliche Kommunikation kann so schön sein! Ich muss unweigerlich an Gerhards Aussage zum ganzen „Digitalisierungskram“ denken: „Ich glaube, die Menschheit tut sich damit überhaupt gar keinen Gefallen.“ Ja, er hat Recht.

Montag 06.11.2017

Große, grüne Rotzebatzen verlassen seit ein paar Tagen meinen Körper durch Mund und Nase. Herrlich, es geht weiter bergauf!

Außer etwas gegen den Husten zu besorgen und eine Runde mit Leja im Wald spazieren zu gehen, passiert heute nicht viel. Ich fühle mich wie ein Rentner! Und genau das ist es, was ich am meisten an dieser Sinusitiskacke hasse (obwohl das ein knappes Rennen mit dem heftigen akuten Brennen ist). Wenn man die paar Kinder mal abzieht, liegt der Altersdurchschnitt in Salzgrotten mindestens bei sechzig. Das Apothekensortiment gegen Reizhusten kenne ich auswendig. Naja, da gibt’s auch nicht viel. Entweder das pflanzliche Zeug (hilft gar nicht) oder das Chemiezeug (hilft auch nur bedingt). Hühnersuppe koche ich mittlerweile blind. Und den ganzen Tag im Bett Filme zu glotzen, während um mich herum alle arbeiten, vorankommen und ihre Leben leben, fühlt sich einfach nur Kacke an. Ganz abgesehen vom Zuschütten mit Tee, so dass man ständig aufs Klo rennen muss. Ein 37-jähriger Rentner zu sein, macht mich fertig!

Nachdem es mir die letzten vier Woche jeden Tag scheiße ging (mal mehr, mal weniger), wusste ich, dass mich irgendwann ein kleiner Schubser den Abgrund hinunterbefördern würde. Nur hatte ich gehofft, dass es nicht während des Tischlerpraktikums passieren würde. Ob ich überhaupt die Kondition aufbauen kann, um als Handwerker zu arbeiten, weiß ich nicht. Aber ich habe schon lange keinen Bock mehr, meine Vorhaben auf Sinusitisrisiko zu überprüfen. Und dennoch ploppt der Gedanke immer wieder auf. Es ist, als wenn jemand zu einem sagt: „Denk jetzt bloß nicht an ein lila Kamel!“ Plopp!

Egal wie es mir am Mittwoch geht, ich werde hier nicht weiter rumrentnern, sondern wieder zu Gerhard fahren.

Dienstag 07.11.2017

Trotz Husten schlafe ich mittlerweile ganz gut. Der erste Gedanke, der mich weckt, ist jedoch seit Wochen der gleiche: Marie! Meistens ist es eine Mischung aus Enttäuschung, Trauer und Wut. Unzählige Male habe ich jeglichen Aspekt und jede Ursache unserer Trennung durchdacht, gedreht, gewendet, bis ins Detail analysiert und dann wieder von vorne begonnen. Kopfmenschen-Style eben. Ich versuche, das Wesentliche zu finden. Die pure, nackte, ungeschmückte Essenz. Das mache ich überall so. Beim Musikproduzieren, beim Tagebuchschreiben, und irgendwann einmal werde ich es vielleicht auch beim Tischlern tun.

Die Essenz unserer Trennung kam mir heute Morgen. Es ist kein Wir-haben-uns-Auseinandergelebt, Wir-haben-unterschiedliche-Ziele, Sie-hat-sich-neu-Verliebt oder Wir-habenuns-Verändert. Das sind Auswirkungen, aber keine Ursachen! Nein, wir haben es ganz einfach nicht geschafft, die nächste Stufe zu nehmen. Auf der Stufe stand z.B. Kompromisse finden, sich in den anderen hineinversetzen und verstehen wollen, unsere Liebe pflegen, eine Familie gründen … oder oder oder. Die Reihenfolge der Stufen ist (so lange man sie nimmt) ebenso unwichtig wie endlos und die Gründe für unser Scheitern sind ebenso vielfältig wie subjektiv. Ich denke, dass Liebe in einer Beziehung ab einem bestimmten Punkt nichts weiter ist als eine Entscheidung darüber, die Liebe weiter wachsen zu lassen oder nicht. Das Knifflige daran ist, man entscheidet sich bewusst oder unbewusst. Entweder man selbst trifft eine Wahl oder der Chaosgenerator des Lebens trifft sie. Doch ganz gleich wie, es wird immer entschieden. Jeden Tag!

Wahrscheinlich wird diese Erkenntnis nicht dafür sorgen, dass ich morgen mit dem Gedanken ans Frühstück wach werde, aber sie verschafft mir etwas Ruhe und hilft mir dabei, wieder auf die Beine zu kommen.

Mittwoch 08.11.2017

Heute flüchte ich nun also spiegelverkehrt von zu Hause nach Barnow. Meine zwischengemietete Zweizimmerbude in Berlin ist zwar ganz nett eingerichtet (alte Möbel, Bücher, schöne Bilder etc.) und durchaus gemütlich, aber kein Zuhause. Was ein Zuhause ausmacht, habe ich über die Jahre von Marie aufgesogen. Warme, ruhige Farben, Möbel aus Holz mit Charakter und Seele, ein paar schöne kleine Dinge von Herzen und dazu einfach nur Liebe … fertig! Eigentlich ganz einfach, aber das sind Nudeln mit Tomatensoße auch. Habe ich gestern versucht. Der Herd sah aus, wie es geschmeckt hat: nicht so gut. Kochen ohne Liebe ist nur Lebensmittel aufwärmen.

Frühstücken, Auto vollstopfen, Gassirunde mit Leja, Abfahrt! Das wird langsam zu einem Ritual, und den Weg nach Barnow finde ich eigentlich auch ohne Navi. Das Unbehagen in meinem Bauch steigt, je weiter die verbleibende Kilometerzahl sinkt. Der Kopf beruhigt, kann das Grummeln aber nicht ganz nehmen. Abendbrot mit Gerhard, Auto ausladen und die Fußbodenheizung wieder auf bullig warm stellen. Das Unbehagen ist weg, als ich in der Ferienwohnung sitze und zur Gitarre greife. Wobei die Gitarre keinen direkten Einfluss darauf hat, denke ich jedenfalls.

A-Dur, D-Dur (bei mir noch Krampf-Dur) und ein paar Fetzen „Nothing else matters“, um die Fingerkuppen an die Schmerzen zu gewönnen. Was für ein geiles Instrument! Man kann es überall mithinnehmen – schon allein das Tragen sieht cool aus – und ich finde, es gibt kein anderes Instrument, das so vielfältig klingen kann. Die Gitarre stand in der Wohnung rum und ich habe sie einfach eingepackt, aus einem Impuls heraus. Bauchgefühl, Alter! Das wird meine Erdung, dachte ich. Schon krass, noch vor wenigen Wochen wusste ich noch nicht mal, was Erdung überhaupt sein soll. Erdung, Erdung!?! Mmh … ok, ich konzentriere mich voll und ganz darauf, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen … ja, und nu?!? Als Kopfmensch muss man erst einmal begreifen, dass es zum Grübelkarussell überhaupt ein Pendant gibt.

Das Tagebuchschreiben ist ebenfalls sehr hilfreich in Sachen Erdung. Es ordnet die Gedanken, packt sie in die richtigen Schubfächer und beruhigt. Irgendwann in den letzten Tagen beschließe ich deswegen, so lange weiterzuschreiben, bis ich herausgefunden habe, wer ich bin und was ich bin.

Donnerstag 09.11.2017

Ich belle mich noch immer in den Schlaf. Um kurz nach 22 Uhr liege ich im Bett. Wenn ich fünf Mal husten pro Minute veranschlage, dann würde ich sagen, es braucht circa 1.000 Huster, um endlich einzupennen. Einige Male gipfelt es in einem regelrechten Hustenrausch, den ich kurz vorm Ausspucken der Lunge doch noch irgendwie stoppen kann. Nerv!