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Arturo Adragón will verhindern, dass sein Vater die Kontrolle über die Stiftung verliert. Aber dieser Schatz alter Bücher, historischer Schriften und mittelalterlicher Dinge ist heiß begehrt. Zwar halten Arturos Freunde im Kampf gegen die feindliche Übernahme durch Mr.Stromber und dessen Mächte zu ihm, doch scheint alles aussichtslos. Es kommt zum Duell - Zudem entdecken Arturo und dessen Freunde den Palast von Arquimia und den Sarkophag von Königin Émedi, in dem der Leichnam von Arturos Mutter ruhen soll. Arturos Vater plant die Wiederbelebung seiner toten Frau. Als dann auch noch eine Bombe in der Stiftung explodiert, ist das Chaos perfekt. Auch im zweiten Band der Trilogie wird parallel wieder von Arturos mittelalterlicher Traumwelt erzählt, so u. a. von Demónicus, der seine tote Tochter zurückhaben will, von König Frómodi, der sich in den Wald der Geächteten begibt, und von der Königin Émedi. Und Arturo, der seinen alten Lehrer sucht, will sich in den Abgrund des Todes begeben ... Zweiter Band der Erfolgstrilogie! Spannend, packend, actiongeladen - Fantasy vom Feinsten über Gut und Böse, Freundschaft und Liebe, Eifersucht und Neid, Rache und Vergeltung.
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Seitenzahl: 933
Cover
Über den Autor
Titel
Impressum
Widmung
Motto
Einleitung
Sechstes Buch – Trostlosigkeit
I Arturos Tragödie
II Stromber übernimmt die Macht
III Arturos Ängste
IV Besuch beim Seelendoktor
V Belagerung und Raserei
VI In den Tiefen der Stiftung
VII Die Wärme des Pergaments
VIII Warnungen
IX Die Gewissensprüfung
X Metáforas Geburtstag
XI Gewitterwolken
XII Gespräch zwischen Vater und Sohn
XIII Warten aufs Gewitter
XIV Monte Fer
XV Der Feuerregen
XVI Ein Geschenk aus dem Mittelalter
XVII Verfluchter Regen
XVIII Krieg und Liebe
XIX Der Preis für die Rückkehr ins Leben
XX Die Wahrheit kommt ans Licht
XXI Der Belagerungsring wird durchbrochen
XXII Ein Überfall
Siebtes Buch – Die Reise zur Höhle des Drachen
I Carthacia
II Die Lage spitzt sich zu
III In der Falle
IV Die Transversalmauer
V Der Pakt mit dem König
VI Friedensangebote
VII Menschenopfer
VIII Excaliburs Bruder
IX Nächtliche Begegnung
X Arturos Zweifel
XI Nächtliches Grossreinemachen
XII Verrückt vor Liebe
XIII Träumen von Alexia
XIV Eine unerwartete Mauer
XV Der Angriff wird vorbereitet
XVI Freund und Feind
XVII Der neue Freund
XVIII Nächtliche Gespenster
XIX Arturos Schatten
XX Das Versprechen
XXI Verbündete für Émedi
XXII Ein Archiv im Müll
Achtes Buch – Der große Drache
I Der Weg in die Finsternis
II Die Vergangenheit in der Zukunft
III Der weisse Weg
IV Der Preis für einen Namen
V Am Ende des Weges
VI Der Reanimator
VII Der Pakt mit dem Drachen
VIII Durchgang verboten
IX Freunde im Abgrund des Todes
X Die Verabredung mit Metáfora
XI Auf der Suche nach Alexia
XII Die Allee des Abgrunds
XIII Der Tod eines Toten
XIV Brücken in die Vergangenheit
XV Der Sarg wird begraben
XVI Der anonyme Käufer
XVII Ein verbrecherischer König
XVIII Eine Rede wird vorbereitet
XIX Eine Festung wird zerstört
XX Der Kampf gegen die Ritter
XXI Verteidigung der Wehrlosen
XXII Verlust der Ehre
Neuntes Buch – Blindheit
I Tod dem König
II Eine Entführung wird vorgetäuscht
III Ein Ritter in Röcken
IV Eine unerwartete Geiselnahme
V Frauen für Forester
VI Der Held
VII Ein König unter Geächteten
VIII Der Pakt mit dem Feind
IX Ein Arm für den König
X Eine Kugel für den Freund
XI Das Reich der Dunkelheit
XII Die Maske der Königin
XIII Eine Krone für die Verräter
XIV Schreibende Fürsten
XV Die Krone wird ausgegraben
XVI Träume für alle
XVII Schlechte Nachrichten
XVIII Ein Gespräch mit dem Marmor
XIX Rückkehr ins Leben
XX Freunde für immer
XXI Eine neue Kriegerin
XXII Eine zufällige Begegnung
Zehntes Buch – Zerstörung
I Die Verbündeten treffen ein
II In den Ruinen
III Das Duell
IV Mittelalterliche Buchstaben
V Überraschungsangriff
VI Ein Licht im Dunkeln
VII Adragóns Schlacht
VIII Der Ausstieg
IX Leónidas greift ein
X Rückkehr ins Leben
XI Eine Maske für Arturo
XII Der Inspektor gibt sich nicht zufrieden
XIII Mörderischer Vorstoss
XIV Der König der Bücher
XV Die Festung wird gestürmt
XVI Freundinnen für immer
XVII Von Angesicht zu Angesicht
XVIII Krankenbesuch
XIX Waise und Witwer
XX Das Phantom von Férenix
XXI Arquimaes’ Eröffnung
XXII Ein Abendessen zu zweit
Nachwort
I Eine Mission für einen Ritter
II Die schützende Hand
Danksagungen
Santiago García-Clairac wurde 1944 in Frankreich geboren und hat schon früh seine Leidenschaft fürs Geschichtenerfinden entdeckt. Er war lange in der Werbebranche tätig. Seit vielen Jahren arbeitet er u. a. auch als Drehbuchautor für Werbe- und Kurzfilme. 1994 hat García-Clairac sein erstes Kinderbuch veröffentlicht. Seither folgten viele weitere. Für sein Gesamtwerk wurde er mit dem Cervantes-Preis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. Santiago García-Clairac veranstaltet häufig Lesungen in Schulen, da ihm der direkte Kontakt zu seinen Lesern sehr wichtig ist.
www.loslibrosdesantiago.com
SANTIAGO GARCÍA-CLAIRAC
Die schwarze Armee
DAS REICH DER DUNKELHEIT
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2009 by Baumhaus Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln
Die spanische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel „El Ejército Negro – El Reino de los Sueños“ bei Ediciones SM, Madrid.
© 2006 Santiago García-Clairac / Ediciones SM
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Werk wurde veröffentlicht mit der freundlichen Unterstützung der „Dirección General del Libro, Archivos y Bibliotecas del Ministerio de Cultura de España“.
Dieses Werk wurde von Ediciones SM an den Baumhaus Verlag vermittelt durch die Literaturagentin Martina Nommel.
Covergestaltung: Götz Rohloff unter Verwendung einer Illustration von Marcelo Pérez
Redaktion: Harald Kiesel
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-8387-4668-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für meine Tochter Isabel García Santiago und ihren Mann Ángel Marrodán.
Nicht zu vergessen Jorge und Marcos.
Für alle, die sich ihren inneren Dämonen stellen.
Für alle, die das Licht im Dunkeln sehen.
Für alle, die an die Magie glauben.
Tief in uns allen existiert ein Reich der Finsternis,
das Angst und Albträume in sich birgt.
Wir wissen, dass die Gespenster, die uns erschrecken,
wir selbst sind.
Deswegen lockt uns die Finsternis.
Deswegen fürchten wir uns vor ihr …
Ich heiße Arturo Adragón und wohne in der Stiftung, die meinen Namen trägt. Sie befindet sich in einem großen Gebäude, das meiner Familie gehört, und verfügt über eine außergewöhnliche, auf mittelalterliche Bücher spezialisierte Bibliothek.
Das Schicksal wollte es so, dass ich in einer stürmischen Nacht geboren wurde, zwischen Ruinen und weit weg, in der Wüste Ägyptens. Meine Mutter starb nur wenige Stunden nach meiner Geburt. Mein Vater wickelte mich zum Schutz in ein mittelalterliches Pergament, das tausend Jahre zuvor beschrieben worden war und das er zufällig gefunden hatte.
Die Buchstaben des Pergaments haben sich für alle Zeiten in meine Haut eingebrannt. Auch erschien das Bild eines Drachen auf meiner Stirn, der sich manchmal über mein ganzes Gesicht ausbreitet und lebendig wird, um mich zu beschützen, wenn ich in Gefahr bin.
In der Schule lachen meine Klassenkameraden über mich, vor allem Horacio Martín, ihr Anführer. Sie machen mir das Leben zur Hölle. Bevor Metáfora in unsere Klasse kam, hatte ich nur zwei Freunde: Sombra, der meinem Vater bei seinen Forschungen zur Hand geht, und Hinkebein, ein einbeiniger Bettler voller Geheimnisse, der stundenlang vor der Bibliothek hockt und um Almosen bettelt.
Von Schulden geplagt, hat mein Vater dem Druck von Señor Del Hierro, einem skrupellosen Bankier, nachgeben und die Leitung der Stiftung an den ehrgeizigen Antiquitätenhändler Stromber übertragen.
Um all diesen Problemen zu entfliehen, begebe ich mich Nacht für Nacht in eine mittelalterliche Fantasiewelt, in der ich von mir selbst träume …
… und mich in Arturo Adragón, den Anführer der Schwarzen Armee, verwandle.
DIE DUNKELSTE SEITE der Legende von Arturo Adragón, dem jungen Ritter und Anführer der Schwarzen Armee, der Arquimia schuf, das größte je bekannte Reich der Gerechtigkeit, wurde während des schrecklichen Krieges in Emedia geschrieben. Denn dort ereigneten sich zwei furchtbare Dinge, die ihm das Herz brachen: der Tod von Prinzessin Alexia, noch dazu durch seine eigene Hand, und die verheerende Niederlage seiner Armee.
Fortan wurde sein Leben vom heftigen Wunsch nach Rache beherrscht. Arturo dachte an nichts anderes, als Demónicus zu töten, den er für all das Leid verantwortlich machte. Und daran, sich selbst zu bestrafen, weil er seine Männer enttäuscht und die große Liebe seines Lebens getötet hatte. In seinen Träumen suchten ihn die quälenden Bilder der grausamen Schlacht heim, bei der die Soldaten der Schwarzen Armee durch die vergifteten Waffen der Feinde gestorben, im Feuer der fürchterlichen Drachen umgekommen oder von wilden Bestien zerfleischt worden waren, während er selbst gegen Alexia gekämpft hatte.
Arturo fand seitdem keinen Frieden mehr. In langen, einsamen Stunden bemühte er sich, seine Gedanken zu ordnen und die Gefühle der Wut und Enttäuschung zu zügeln, die ihm die Kehle zuschnürten.
Arturo Adragón stand in der unterirdischen Grotte des Klosters von Ambrosia. Hier herrschte eine solche Stille, dass selbst das leiseste Rascheln seiner Leibwäsche tosend wie ein Donnerschlag bis in den letzten Winkel der Kaverne drang.
Nachdem er den Deckel von Alexias Sarg genommen hatte, beugte er sich über die Tote und schob die hölzerne Schatulle mit dem geheimen Pergament, die Arquimaes ihm anvertraut hatte, unter die starren Hände der Prinzessin. Er konnte sicher sein, dass das Dokument hier gut versteckt war.
Ein Blick auf Alexia zeigte ihm, dass sein geschickter Meister Arquimaes die Leiche der Geliebten bestens einbalsamiert hatte. Zum Abschied strich Arturo ihr sanft über das leblose Gesicht.
Sodann legte er den Deckel zurück auf den Sarg; die Sicherheitsriegel, die Arquimaes angebracht hatte, schoben sich vor das Holz. So war der Sarg für alle Zeiten verschlossen. Es war beruhigend zu wissen, dass niemand außer ihm selbst oder seinem Meister in der Lage sein würde, ihn zu öffnen. Zusammen mit der magischen Formel des ewigen Lebens ruhte Alexia in der Totenkiste wie in einem Tresor.
Arturo richtete sich auf, legte die Rüstung ab und entblößte seinen mit magischen Buchstaben bedeckten Oberkörper. Er breitete die Arme aus, als wären es Flügel, und flüsterte ein Wort, das nur er selbst vernehmen konnte: Adragón. Ganz langsam löste sich sein Körper vom Boden und schwebte, leicht wie eine Feder, im Raum, so als hinge er an unsichtbaren Fäden. Arturo schloss die Augen und versank in seinen Erinnerungen.
Vor seinem geistigen Auge erschien die Vision eines auf einem Drachen reitenden Kriegers, der die Rüstung des Fürsten Ratala trug und wie entfesselt gegen ihn kämpfte, ihn töten wollte. Das Bild wurde plötzlich so real, dass er unwillkürlich die Fäuste ballte, um es auszulöschen.
Sein Gegner führte das Schwert mit dem Geschick eines erfahrenen Kriegers und zwang ihn wieder und wieder, seinen Manövern auszuweichen. Mehrmals streifte ihn die feindliche Klinge, und nachdem sie ihn schließlich gefährlich getroffen hatte, nutzte Arturo eine Unaufmerksamkeit des Feindes und stieß ihm das magische Schwert, das er von dem Alchemisten Arquimaes erhalten hatte, mit solcher Wucht in den Leib, dass es seinen Widersacher durchbohrte und ihm den Tod bescherte. Das Freudengeheul seiner Männer entschädigte ihn für die schrecklichen Momente des Zweikampfs auf dem Rücken der Drachen …
Zu jenem Zeitpunkt war er davon überzeugt gewesen, dass er gegen Ratala selbst gekämpft hatte, der ihn zu diesem Duell herausgefordert hatte. Er erinnerte sich auch daran, wie Ratalas Tod die Streitkräfte des Finsteren Zauberers demoralisiert hatte. Alles hatte zugunsten der Schwarzen Armee gesprochen, die ihr Selbstvertrauen wiedererlangt hatte und nun kurz davor gestanden hatte, die grausame Schlacht gegen die Demoniquianer für sich zu entscheiden. Doch dann war irgendetwas schiefgegangen.
Als Arturo Adragón nämlich vom Drachen gestiegen war, hatte er seinem Gegner den Helm vom Kopf genommen und voller Entsetzen feststellen müssen, dass der tote Körper Alexia gehörte und nicht Ratala. Augenblicklich hatte sich die Welt für ihn verfinstert, alles war sinnlos geworden. Hatte er doch soeben die Frau getötet, die er liebte! Und das auch noch eigenhändig mit dem alchemistischen Schwert, jener magischen Waffe, die er nur der Ehre und der Gerechtigkeit willen gebrauchen wollte, so jedenfalls hatte er es geschworen. Sein erstes Opfer aber war ausgerechnet Alexia geworden! Wäre in diesem Augenblick die Welt um ihn herum untergegangen, er hätte es nicht einmal bemerkt.
Immer wieder sah er die grauenhafte Szene vor sich. Er versuchte, dem Lauf der Ereignisse eine andere Wendung zu geben, doch es gelang ihm nicht. Diese Tragödie würde seinem Gedächtnis auf immer eingebrannt bleiben, mit Feuer und Schwert, und niemand würde daran etwas ändern können. Bis in alle Ewigkeit würden ihn Gewissensbisse quälen und seine Eingeweide zerfressen.
Behutsam schwebte Arturo hernieder, bis seine Füße wieder den Sandboden berührten. Völlig verzweifelt ging er zum Fluss und beugte sich über das kristallklare Wasser, in dem sich sein Gesicht mit dem Drachenbuchstaben spiegelte. Sein Antlitz bewegte sich leicht schaukelnd auf der glatten Oberfläche; von kleinen Wellen zerrissen, schwamm es Stück für Stück davon.
***
IN JENER NACHT war er zum Fluss gegangen, um allein zu baden, so wie er es immer tat, wenn ihn die Verzweiflung packte. In sanften Wellen strömte das Wasser um seinen Körper, was ihm vorübergehend etwas Trost spendete und ihm half, seine immer schlimmer werdenden Albträume zu vergessen. Das kalte Wasser schien ihm ein guter Begleiter, da er sich nichts sehnlicher wünschte, als diese Welt zu verlassen, um sich mit seiner toten Geliebten zu vereinen und in der Nähe seiner ermordeten Soldaten zu sein.
Plötzlich wurde die Strömung heftiger und holte Arturo in die Wirklichkeit zurück. Er fragte sich, ob der Grund dafür war, dass die Schneeschmelze eingesetzt hatte und der Wasserpegel stieg. Doch er verwarf den Gedanken sogleich wieder. Irgendetwas durchquerte flussaufwärts den Wasserlauf, und die Höhe der Wellen ließ darauf schließen, dass es sich um etwas sehr Großes handeln musste.
Arturo war alarmiert. Rasch stieg er aus dem Wasser, lief zu seinem Pferd, legte die Unterkleider und die Tunika an und lauschte dem näher kommenden Gewieher und Getrappel von Pferden. Wachsam zog er sein Schwert und kletterte auf eine dicht belaubte Eiche.
Im Schein des Vollmondes konnte er beobachten, wie rund vierzig schwer bewaffnete Männer in schwarzen Mänteln nahezu lautlos auf Ambrosia zuritten.
Demoniquianer, dachte Arturo, und damit hatte er zweifellos recht. Er sprang vom Baum und lief zu einem Felsen, an dem die Eindringlinge binnen Kurzem vorbeikommen würden. Eilig kletterte er hinauf und rief den Fremden energisch zu: „Halt! Keinen Schritt weiter! Was sucht ihr hier, Männer des Demónicus?“
Überrascht vernahm General Nórtigo die fremde Stimme. Seine Leute hatten doch bereits zwei emedianische Patrouillen ausgeschaltet und ihm versichert, dass der Weg frei sei und sie in diesem Waldstück auf keine weiteren Wachposten treffen würden.
„Wie kannst du es wagen?“, rief er. „Wer schickt dich?“
„Antworte du zuerst auf meine Frage!“, forderte Arturo sein Gegenüber auf, wobei er das Schwert auf den General gerichtet hielt. „Was wollt ihr hier?“
Nórtigo musterte die schwarz gekleidete Gestalt, die ihm den Weg versperrte. Sogleich erkannte er, dass der Kerl alleine und nicht gerade von kräftiger Statur war. Zwei seiner Soldaten würden genügen, um mit ihm fertig zu werden.
„Súrfalo, Estiquio, schafft mir diesen Schwachsinnigen vom Hals!“, befahl er.
Zwei finster dreinblickende Männer, der eine mit einer Keule, der andere mit einer zweischneidigen Wikingeraxt bewaffnet, kamen drohend auf Arturo zu. Der rührte sich nicht von der Stelle. Ihm war klar, dass die beiden Soldaten kurzen Prozess mit ihm machen wollten. Aber sie waren zu sehr von sich eingenommen.
Súrfalo näherte sich von rechts, Estiquio von links. Offenbar hatten sie vor, ihn von beiden Seiten gleichzeitig zu attackieren. Eine todsichere Taktik. Siegessicher grinsten sie ihr Opfer an, um ihm zu bedeuten, dass seine Lage aussichtslos war. Schon hob Estiquio die Axt, während Súrfalos Keule durch die Luft wirbelte wie ein Windmühlenflügel.
Doch Arturos Schwert sauste mit solcher Geschwindigkeit auf sie nieder, dass die Bewegung im silbernen Mondschein kaum wahrzunehmen war. Die scharfe Klinge durchtrennte Súrfalos Hals und schlitzte Estiquios Bauch mörderisch auf. Den beiden blieb nicht einmal mehr Zeit für einen letzten Schrei. Das dumpfe Geräusch des auf den Boden fallenden Kopfes ließ alle ringsum erschaudern.
„Wer bist du?“, wollte Nórtigo wissen, als er sah, dass Arturo zwei seiner besten Männer mühelos besiegt hatte.
„Man nennt mich Arturo Adragón. Ich bin der Anführer der Schwarzen Armee, die ihr in der Ebene von Emedia geschlagen habt.“
Nórtigo spürte einen Kloß im Hals. Jetzt erkannte er den Jungen, den er auf dem Schlachtfeld hatte kämpfen sehen und für den er voller Bewunderung gewesen war.
„Wir sind viele, und du bist allein“, warnte er ihn. „Es ist besser für dich, wenn du das Schwert niederlegst. Gegen uns kommst du nicht an.“
„Das Leben hat ohnehin keinen Sinn mehr für mich“, murmelte Arturo düster. „Ihr würdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr mich tötet.“
„Es wird uns ein Vergnügen sein“, versicherte Nórtigo.
„Ich werde keinen Schritt zurückweichen“, rief Arturo mit fester Stimme und hob die blutige Klinge. „Kommt nur her! Ich warte auf euch!“
General Nórtigo traute seinen Ohren nicht. Ein einzelner Gegner wagte es, seine abgehärtesten und besten Krieger herauszufordern! Allesamt ausgewählte Männer, die ihre Grausamkeit bei mehr als einer Gelegenheit unter Beweis gestellt hatten! Alle hatten an der Schlacht um Emedia teilgenommen und diese merkwürdige Armee besiegt, die ihr Vertrauen in Tintenbuchstaben und Bücher gesetzt hatte.
„Umzingelt ihn und schlachtet ihn ab!“, befahl Nórtigo seinen Männern. „Tötet ihn!“
Als die Soldaten auf Arturo zugingen, um den Befehl ihres Generals auszuführen, hob er beide Arme und schrie markerschütternd: „Adragón! Steh mir bei!“
Der Schlachtruf ließ das Herz des Generals erstarren. Schon war er versucht, den Befehl zum Rückzug zu geben, doch er unterdrückte den Anflug von Feigheit.
Arturos Körper wurde indessen von einer dunklen Wolke aus seltsamen Gebilden eingehüllt. Sie schien aus seiner Brust zu kommen, gleich einer Million schwarzer Vögel, die seinem Ruf gefolgt waren. Ihr Summen sorgte dafür, dass die verblüfften Krieger wie angewurzelt stehen blieben.
Arturo reckte das Schwert gen Himmel, und die schwarzen Buchstaben, die sich deutlich gegen den weißen Mond abhoben, formierten sich wie ein diszipliniertes Heer zu einer Einheit, bereit zur Attacke.
„Adragón!“, rief er und wies mit dem alchemistischen Schwert auf seine Feinde. „Adragón!“
Die Buchstaben stürzten sich auf die demoniquianischen Krieger. Sie umgaben sie vollständig und drangen lautlos in die gegnerischen Reihen ein. Ein Angriff, dem die Soldaten nichts entgegenzusetzen hatten.
Bestürzt hörte Nórtigo die Todesschreie seiner Krieger. Diese verfluchten Buchstaben waren dabei, seine Männer unbarmherzig niederzumetzeln! Schnell begriff er, dass sie ihnen hoffnungslos unterlegen waren. Die Schlacht war verloren! Der General warf einen Blick auf Arturo, denn er hoffte, dieser könne zufällig von einem Giftpfeil oder einer Lanze getroffen worden sein. Aber was er sah, erfüllte ihn mit blankem Entsetzen: Ein schwarzer Drache beschützte den Jungen! Ein teuflisches Bild.
Um dieser schrecklichen Magie ein Ende zu bereiten, gab General Nórtigo seinem Pferd die Sporen und galoppierte auf Arturo zu, wobei er eine mit Gift bestrichene Klinge schwang. Bei dem Ritt war er gezwungen, den Verwundeten und Sterbenden auszuweichen, die sich zwischen gestürzten Pferden auf dem Boden wälzten. Endlich war er mit seiner Waffe in Reichweite seines Gegners angelangt und kostete bereits den Triumph des unmittelbar bevorstehenden Sieges aus. Doch wiederum nahm das Schicksal einen unvorhergesehenen Lauf.
Der Drache nämlich, der Arturo beschützte, stürzte sich auf den General und schleuderte ihn wie eine Strohpuppe hoch durch die Luft. Am Boden, tief unter sich, sah Nórtigo wie in einer Höllenvision seine sich vor Schmerz am Boden wälzenden Krieger und die schwarzen Buchstaben, die einen Mann nach dem anderen töteten.
„Verflucht seist du, Arturo Adragón!“, schrie er, als er auf dem Felsen landete, auf dem auch Arturo stand.
„Verflucht seien jene, die andere nachts heimtückisch angreifen!“, schrie Arturo zurück. „Verflucht seien jene, die Menschen in wilde Bestien verwandeln und unschuldige Frauen und Kinder töten wollen! Verflucht seien all die, die anderen das Leben nehmen! … Wozu sonst seid ihr heute Nacht hierher gekommen?“
„Das werde ich dir gewiss nicht erzählen, du Hund!“
„Rede oder stirb!“, fuhr Arturo ihn an. „Was führt ihr im Schilde? Was habt ihr in Ambrosia zu suchen?“
„Eher sterbe ich, als dass ich dir das Ziel meiner Mission verrate!“, antwortete der General, stieß sich ein Messer ins eigene Herz und sagte nur noch: „Für Demónicus!“
Bevor sein Lebensfunke erlosch, konnte er noch sehen, wie Arturo sein Schwert erneut gen Himmel reckte, woraufhin die Buchstaben auf den Körper des Jungen zurückkehrten und ihn wie ein Panzer umschlossen.
Dann herrschte wieder absolute Stille.
Arturo ging zum Flussufer, wusch sich, zog sich vollständig an, stieg auf sein Pferd und ritt nach Ambrosia zurück, wo alle in tiefem Schlaf lagen und niemand ahnte, was soeben geschehen war. Die Wachposten ließen ihn ein in die Festungsanlage, die sich rund um die Ruinen der ehemaligen Abtei erhob. Von Arturos Erregung bemerkten sie nichts.
Er hatte soeben vierzig Demoniquianer getötet und spürte ein Gefühl von Erleichterung in sich. Der Tod seiner Feinde schien den Schmerz über Alexias Tod und die Niederlage seiner Armee zu lindern.
Eine Frage aber beunruhigte ihn weiterhin: Was hatten Demónicus’ Männer gewollt?
Ich heiße Arturo Adragón. Ich stehe oben auf der Kuppel der Stiftung und betrachte schweigend die Stadt Férenix, die sich unter mir ausbreitet. Dabei überlege ich, wie ich ihr die Geheimnisse entreißen kann, die sie unter ihrem Asphalt verbirgt.
FEST IN MEINER Hand halte ich das Schwert, mit dem ich vor ein paar Tagen gegen Stromber gekämpft habe, unten, im Keller dieses mittelalterlichen Gebäudes, das der Antiquitätenhändler meiner Familie wegzunehmen versucht. Ich erinnere mich noch gut an das schreckliche Duell. Den Augenblick, da mich sein Schwert durchbohrt hat, werde ich wohl nie vergessen. Ich glaubte, sterben zu müssen.
Nach all dem, was seit meinem vierzehnten Geburtstag geschehen ist, bin ich mir sicher, dass ich nie mehr vor etwas Angst haben werde. Denn jetzt weiß ich, dass ich die Kraft des Drachen besitze, der auf meiner Stirn prangt, und dass ich gegen alles bestehen kann, was mich zerstören will, seien es Menschen oder böse Geister.
Ich hebe das Schwert und recke es gen Himmel, wo schwarze Wolken aufziehen und sich ein Gewitter zusammenbraut.
Inzwischen habe ich akzeptiert, dass mich seltsame, quälende Träume heimsuchen, unter denen ich so sehr leide. Ich habe begriffen, dass sie ein Teil von mir sind, und lasse sie über mich ergehen. Es wird schon irgendeinen Grund für sie geben. Ich werde mich nicht mehr dagegen sträuben. Nur vor zwei Dingen habe ich Angst: dass meine Träume ganz verschwinden könnten und dass ich verrückt werde, so wie mein Großvater, der Vater meines Vaters.
Mein größter Wunsch jedoch ist es, meine Mutter wiederzusehen.
Das Gewitter bricht los. Ein Blitz spiegelt sich auf der scharfen Klinge meines Schwertes. Wenn mich jetzt jemand hier oben sieht, hält er mich bestimmt für eine der Steinfiguren, die das Dach der Stiftung schmücken.
Mein Leben hat sich verändert. Es ist alles so schnell gegangen, dass ich kaum Zeit hatte, mich daran zu gewöhnen. Gestern war ich noch ein Kind, und heute bin ich fast schon erwachsen. Endlich habe ich begriffen, dass die Träume mich an einen Ort bringen, an dem alles viel realer ist als die Wirklichkeit selbst. In ein unbekanntes Land, in dem ich mich ein ums andere Mal wiederfinde.
Wenn ich anschließend in die Realität zurückkehre, weiß ich, dass hier eine schwierige Aufgabe auf mich wartet: Ich muss meinem Vater helfen, die Leitung der Stiftung wiederzuerlangen. Eher würde ich zur Not mein Leben verpfänden, als mit anzusehen, wie sich irgendjemand dieses Gebäude unter den Nagel reißt, in dem meine Mutter ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Nein! Niemand wird sie von hier vertreiben. Jetzt, wo ich sie gefunden habe, werde ich sie nie mehr hergeben.
Das Gewitter wütet nun direkt über Férenix, und die schwarzen Wolken entladen ihre Wassermassen auf die Stadt. Ich spüre die eiskalten Tropfen auf meiner Haut.
Ich hoffe, meine Träume werden mir helfen, die ganze Wahrheit über mich selbst zu erfahren. Ich muss unbedingt wissen, ob meine Mutter tatsächlich ihr Leben für mich geopfert hat.
Und ich muss herausfinden, was wirklich in jener Nacht passiert ist, als Stromber mich mit seinem Schwert durchbohrte und ich glaubte, sterben zu müssen.
Was dort unten in der Grotte geschehen ist, ist ein Geheimnis, das ich bisher noch nicht entschlüsseln konnte. Und es gibt immer noch ein paar Fragen, auf die ich keine Antwort habe: Bin ich unsterblich? Und wenn ja, habe ich es meiner Mutter zu verdanken? Bin ich der Sklave meines Drachen?
Jetzt stehe ich bereits eine Stunde im Regen auf der Kuppel und sinniere vor mich hin, stelle Vermutungen über meine Vergangenheit und meine Zukunft an. Nicht mehr lange, dann wird es hell werden. Ich klettere wieder ins Innere der Kuppel und suche Schutz in der Stiftung.
Vor ein paar Stunden ist die Sonne aufgegangen. Ich versuche, mich auf das zu konzentrieren, was um mich herum passiert.
Ich befinde mich im Vortragssaal der Stiftung. Del Hierro und sein Anwalt, Señor Terrier, haben uns herzitiert. Stromber sitzt zwischen den beiden auf dem Podium hinter einem Tisch. Seiner Miene nach zu urteilen könnte man meinen, er führe den Vorsitz.
Noch einmal lese ich die Kopie der „Vorladung“, die Sombra mir überlassen hat:
WIR BITTEN SIE, SICH AM MONTAG UM 10 UHR IM VORTRAGSSAAL EINZUFINDEN. ES GIBT ETWAS SEHR WICHTIGES ZU BESPRECHEN.
Mein Vater, Sombra, Mahania und Mohamed, die Sicherheitsbeauftragte Adela sowie die anderen Angestellten der Stiftung sitzen wie ich auf den Stühlen und warten auf das, was sie uns zu erzählen haben.
Del Hierro beugt sich vor, schaltet das Mikrofon ein und eröffnet die Sitzung: „Guten Morgen, die Herrschaften. Ich habe Sie hergebeten, um Sie über die anstehenden Veränderungen in der Stiftung zu informieren. Unser Anwalt, Señor Terrier, wird Sie jetzt mit den nötigen Details vertraut machen.“
Als Nächstes spricht besagter Señor Terrier: „Als Anwalt der Bank, die hier von Señor Del Hierro vertreten wird, möchte ich Sie darüber informieren, dass vom heutigen Tag an Señor Stromber offiziell seine Aufgabe als Verwalter der Stiftung Adragón übernimmt. Señor Arturo Adragón, der bisherige Besitzer der Stiftung, wird ab jetzt den Posten eines Beraters innehaben. Seine Funktion wird auf inhaltliche Fragen beschränkt bleiben, wobei all seine Entscheidungen von Señor Stromber bestätigt werden müssen.“ Señor Terrier macht eine Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken. Er versucht, seine große Nervosität zu verbergen, was ihm jedoch nicht gelingt. „Dementsprechend, meine Damen und Herren, bedürfen in Zukunft alle Entscheidungen ausnahmslos der persönlichen Zustimmung des neuen Verwalters Señor Frank Stromber.“
Bedrückendes Schweigen.
Sombra sitzt da wie eine Statue.
„Señor Stromber wird Ihnen jetzt die neuen Regeln erklären, die von heute an in diesem Hause gelten.“
Terrier schaltet sein Mikrofon aus und gibt dem Antiquitätenhändler ein Zeichen, woraufhin dieser eine Taste drückt. Er wartet ein paar Sekunden, bevor er sich zu seinem Mikrofon vorbeugt und mit einschmeichelnder Stimme sagt: „Guten Morgen, meine Damen und Herren. Als Erstes möchte ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung mitteilen, dass Ihre Arbeitsplätze nicht in Gefahr sind. Alle, die zurzeit hier arbeiten, werden wir behalten, auch wenn wir möglicherweise neue Mitarbeiter einstellen werden. Alles andere wird so bleiben, wie es ist. Die Stiftung wird ihre Arbeit fortsetzen, allerdings in erweiterter Form, um die Einnahmen zu steigern. So wird es in Zukunft mehr Besucher geben. Uns liegen gute Angebote von verschiedenen Reiseveranstaltern vor, die daran interessiert sind, die Stiftung in ihr Programm aufzunehmen. Wie Sie ja wissen, verfügen wir derzeit lediglich über die Räume, die sich oberhalb der Erde befinden; aber wir bemühen uns darum, bald auch Zugang zu den drei Kellern zu bekommen, in denen zahlreiche Objekte von historischem Wert aufbewahrt werden, die für Touristen höchst attraktiv sind. Die Stiftung wird sich also künftig dem Kulturtourismus öffnen und ab sofort ‚Stiftung Stromber Adragón’ heißen. Gibt es dazu irgendwelche Fragen?“
Alle schauen sich irritiert an, doch niemand sagt etwas dazu. Sombra ist seine Erregung deutlich anzusehen. Schließlich kann er nicht mehr an sich halten.
„Dieses Haus hat immer Adragón geheißen!“, protestiert er. „Das ist ein nicht zu tolerierender Amtsmissbrauch! Die Stiftung mit Touristen zu überschwemmen entwürdigt die Arbeit, die wir in all den Jahren geleistet haben! Eine Schande ist das! Sie entehren den Namen Adragón!“
Del Hierro und Stromber grinsen sich nur mitleidig an.
„Lieber Señor Sombra“, sagt der Anwalt, „das, was wir vorhaben, ist vollkommen legal. Alles geschieht in Absprache mit Señor Adragón.“
Mein Vater legt Sombra eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. Stromber wartet geduldig, bis sich die Wogen glätten. Erst als wieder völlige Stille eingekehrt ist, fährt er fort: „In den nächsten Tagen werden einige Architekten herkommen. Keine Sorge, sie werden nur ein paar notwendige Veränderungen vornehmen. Dieses Gebäude muss dringend modernisiert werden. Wir werden das Sicherheitssystem ausbauen, die Aufzüge und die elektrischen Leitungen erneuern, einige Zwischenwände einziehen und die Ausstattung der Räume verbessern … Ich werde das frühere Arbeitszimmer von Señor Adragón erhalten und dort jederzeit für Sie zu sprechen sein. Señor Adragón wird in das Büro in der ersten Etage umziehen … Das wäre alles, was ich Ihnen für den Augenblick zu sagen habe.“
„Gut, wenn es dazu keine weiteren Fragen gibt, erkläre ich die Sitzung hiermit für beendet“, verkündet Del Hierro. „Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“
Die drei erheben sich von ihren Stühlen, steigen vom Podium und verlassen den Saal. Wir bleiben fassungslos zurück. Stromber, der leicht humpelt, wirft mir einen flüchtigen Blick zu, dem ich auszuweichen versuche, was mir jedoch nicht ganz gelingt.
„Arturo, du gehst jetzt besser in die Schule“, sagt Papa zu mir. „Dann kannst du noch am restlichen Unterricht teilnehmen.“
„Tu, was dein Vater dir sagt, Arturo“, ermahnt mich Sombra. „Es ist besser so.“
Ich schaue auf meine Armbanduhr und stelle fest, dass ich rechtzeitig zur Pause in der Schule sein kann. Also nehme ich meinen Rucksack und mache mich auf den Weg.
An der Eingangstür fängt mich ein Wachmann ab und sagt zu mir: „Señor Stromber möchte mit dir sprechen, Arturo. Du sollst in sein Büro kommen.“
„Ich muss in die Schule. Sagen Sie ihm, ich werde ihn später aufsuchen.“
„Tu, was du willst, aber vergiss nicht, er ist jetzt hier der Chef“, erwidert der Wachmann. „Du musst es wissen.“
„Schon gut, dann geh ich eben gleich rauf“, sage ich folgsam. „Aber ich verpasse nur ungern den Unterricht.“
„Du bist ein braver Junge, Arturo. Stromber erwartet dich in seinem Büro.“
Ich steige langsam die Treppe hinauf, um Zeit zu gewinnen, und überlege fieberhaft, was er wohl von mir will. Seit unserem Duell im Keller sind wir uns nicht mehr begegnet, und ich nehme an, dass er mit mir über den Vorfall sprechen will. Einen Kampf auf Leben und Tod kann man schließlich nicht einfach so vergessen!
Ich klopfe zweimal an die Tür und warte. Sekunden später ertönt eine Stimme und gibt mir die Erlaubnis einzutreten.
„Komm rein, Arturo … Komm rein, mein Junge.“
„Señor Stromber, Sie haben mich rufen lassen?“
„Komm erst mal rein, ich werd dich schon nicht fressen …“
„Es ist spät, ich muss in die Schule.“
„Es ist für alles ein wenig zu spät, Kleiner. Du hast sicher gemerkt, dass es nicht gut ist, sich mit mir anzulegen. Erinnerst du dich noch an das, was unten im Keller passiert ist?“
„Ja, natürlich erinnere ich mich noch daran. Vor allem, wenn ich Sie so hinken sehe, Señor Stromber.“
„Ach nein, wir haben also gute Laune, was?“
„Sie haben davon angefangen. Warum haben Sie mich herbestellt?“
„Ich will dir einen Vorschlag machen. Du hast ja gehört, dass ich jetzt praktisch der Herr der Stiftung bin, und daran wirst auch du nichts ändern können. Ich habe die absolute Macht über alles, was sich im oberirdischen Teil des Gebäudes abspielt. Und bald schon werde ich auch über die Keller verfügen können. Es wird nicht mehr allzu lange dauern.“
„Na gut, und weiter?“
„Wenn du mir das Geheimnis verrätst, nach dem ich suche, gebe ich euch alles zurück und verschwinde.“
„Geheimnis? Was für ein Geheimnis meinen Sie?“
„Das Geheimnis, das dich wieder lebendig gemacht hat, nachdem ich dich dort unten getötet habe. Das meine ich!“
„Sie fantasieren, Señor Stromber! Ihre Machtgier hat Sie um den Verstand gebracht. Ich war niemals tot!“
„Klar, und du hast mir nie einen Schlag verpasst, und wir haben nie mit Schwertern gekämpft! Verkauf mich ja nicht für dumm!“
„Ich bin spät dran, ich muss jetzt los. Einen guten Tag noch.“
„Du machst einen Fehler! Das wird deinen Vater teuer zu stehen kommen. Sehr teuer!“
„Lassen Sie meinen Vater in Ruhe!“
Wütend reiße ich die Tür auf und stürme hinaus.
Ich höre noch, wie er mir hinterherschreit: „Ich werde euch alle hier rauswerfen!“
Als ich in den ersten Stock komme, sehe ich Sombra mit einem Angestellten der Bank streiten, einem Mann im schwarzen Anzug, der sich fleißig Notizen macht.
„Und ich sage Ihnen, dass ich nur meine Arbeit tue!“, schreit ihn der Mann an. „Seien Sie so gut und stören Sie mich nicht dabei!“
„Ihre Arbeit?“, schreit Sombra zurück. „Das nennen Sie Ihre Arbeit?“
„Was ist hier los, Sombra?“, erkundige ich mich, während ich näher an ihn herantrete.
„Dieser Mensch hat ein Pergament zerstört! Er hat es zerrissen.“
„Es ist von allein gerissen!“, verteidigt sich der Bankangestellte. „Ich habe es kaum angerührt!“
Da kommt mein Vater hinzu. Er nimmt das zerrissene Pergament in die Hand und jammert: „Das ist eine Katastrophe! Sie haben soeben ein überaus wertvolles Dokument zerstört!“
„Ich sage Ihnen doch, es ist von allein gerissen“, versichert ihm der Mann.
„Weil Sie nicht richtig damit umgehen können!“, schreit Sombra außer sich vor Wut. „Sie haben keine Ahnung, wie man so etwas behandeln muss!“
„Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten beschweren“, droht mein Vater.
Adela, die inzwischen ebenfalls hinzugekommen ist, stellt sich zwischen Sombra und den Mann von der Bank.
„Schluss jetzt!“, ruft sie. „Ich will hier keinen Streit!“
Ich nehme Sombra am Arm und gehe mit ihm zur Treppe. Papa und Adela streiten sich weiter mit dem Bankangestellten. Unten angekommen, sage ich zu Sombra: „Es sieht nicht gut für uns aus, Sombra. Mach es bitte nicht noch schlimmer, sonst werfen die uns noch alle hier raus. Die warten doch nur auf eine Gelegenheit, um uns loszuwerden, verstehst du?“
„Aber ich kann einfach nicht mit ansehen, wie die mit unseren Sachen umgehen!“
„Hör mal, wir müssen jetzt vor allem geduldig sein. Wir dürfen ihnen keinen Anlass geben, uns den Zugang zur Bibliothek zu verweigern. Tu, was ich sage, bitte!“
Sombra sieht mich schweigend an.
„Schon gut“, sagt er schließlich. „Geh nur, ich werde nichts tun, was uns schaden könnte. Ich werde mich nur um die Kellerräume kümmern.“
„Danke, Sombra. Und gib auf Papa acht. Ich mache mir Sorgen um ihn.“
Ich trete auf die Straße hinaus. Es regnet. Ich schlage die Kapuze über den Kopf. Die Situation in der Stiftung ist unerträglich. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Dabei habe ich den Eindruck, dass die Sache bald außer Kontrolle geraten und es eine große Katastrophe geben wird.
Hinkebein hockt in einem Hauseingang auf der anderen Straßenseite. Ich gehe hinüber, begrüße ihn und sage: „Wir haben die Schlacht verloren, mein Freund. Jetzt ist alles aus.“
„So etwas darf man nie sagen“, entgegnet er in väterlichem Ton. „Man darf sich niemals geschlagen geben.“
„Ich muss jetzt in die Schule. Wir reden später weiter, ja?“
***
ALS ICH IN die Schule komme, hat die Pause gerade begonnen. Es regnet noch immer. Mercurio öffnet mir die Tür und lässt mich hinein.
„Mach schnell, Arturo, bevor uns der Direktor sieht und mit mir schimpft.“
„Danke, Mercurio. Wir hatten heute Morgen eine wichtige Besprechung in der Stiftung.“
„Erzähl mir doch keine Geschichten, die kenne ich schon alle“, brummelt er in versöhnlichem Tonfall.
Auf dem Weg zum Pausenhof der Sekundarstufe begegne ich Cristóbal. Er hat das Talent, mir immer dann über den Weg zu laufen, wenn ich es am wenigsten brauchen kann.
„He, Arturo, warum kommst du erst so spät?“
„Wir hatten eine Besprechung mit den Leuten von der Bank. Ich musste daran teilnehmen.“
„Klar, da durftest du natürlich nicht fehlen!“
„Schließlich geht es um mein Zuhause, oder etwa nicht? Wir reden später darüber, jetzt muss ich zu Metáfora.“
„Hör mal, Arturo, mein Vater hat mir gesagt, dass er mit dir noch einmal über deine Träume sprechen will. Du sollst ihn anrufen und einen Termin ausmachen.“
„Psychologen sind ein hartnäckiges Volk, was?“
„Kann man wohl sagen … Machst du mit deiner Therapie weiter?“
„Klar. Sag deinem Vater, ich ruf ihn heute Abend an. Also dann, bis später.“
„Nimm dich vor Horacio in Acht!“
Der Regen ist stärker geworden. Ich laufe weiter, rüber zu unserem Hof, und versuche dabei, den Pfützen auszuweichen.
„Arturo!“, ruft Metáfora. „Hier bin ich! Hier!“
Sie lässt ihre Freundinnen stehen und kommt mir entgegen.
„Was ist?“, fragt sie ungeduldig. „Wie ist es gelaufen?“
„Schlecht. Sehr schlecht. Sie haben Stromber endgültig zum Verwalter gemacht. Jetzt ist er der uneingeschränkte Herrscher der Stiftung. Es wird tief greifende Veränderungen geben. Er hat sogar schon damit gedroht, uns rauszuschmeißen. Sombra ist rasend vor Wut.“
„Das tut mir leid für euch, wirklich! Kann ich euch irgendwie helfen?“
„Uns kann niemand helfen. Es ist zu spät, unsere Lage ist hoffnungslos. Ich fürchte, das Schlimmste kommt erst noch.“
„Lass uns zu meiner Mutter gehen. Sie will unbedingt wissen, was bei der Sitzung herausgekommen ist.“
Wir laufen zum Lehrerzimmer. Als Norma uns in der offenen Tür stehen sieht, kommt sie sofort heraus.
„Ich habe soeben mit deinem Vater gesprochen“, sagt sie zu mir. „Tut mir furchtbar leid.“
„Jetzt ist alles aus“, jammere ich. „Das ist das Ende.“
„Sag so etwas nicht“, tröstet mich Metáfora und tastet nach meiner Hand. „Irgendwie kommt ihr da wieder raus, ganz bestimmt. Du musst nur Vertrauen haben.“
„Ich glaube nicht daran. Es gibt Dinge, da kann man eben nichts machen.“ Ich hole tief Luft. „Meinem Vater geht es gar nicht gut. Er ist schrecklich nervös. Wenn er so weitermacht …“
„Dein Vater tut, was er kann.“
„Mein Vater, mein Vater … Mein Vater hat den Verstand verloren, Metáfora! Ich weiß nicht mehr, ob ich ihm noch vertrauen kann!“
„Arturo, bitte!“, ermahnt mich Norma. „Dein Vater ist ein anständiger Mensch, der darum kämpft, dass alles sich wieder zum Guten wendet.“
„Aber er hat mich angelogen! Ich liebe ihn, und ich mache mir Sorgen um ihn, doch ich weiß nicht, woran ich mich halten kann. Ich bin vollkommen durcheinander.“
Vielleicht hat Norma ja recht. Aber unsere Situation macht mich völlig fertig. Und schuld daran ist er! Ich weiß nicht, aber langsam fange ich wirklich an zu glauben, dass er seinen Verstand verliert. Hoffentlich endet er nicht in einer Irrenanstalt, so wie mein Großvater. Dass er sich in den Kopf gesetzt hat, Mama wiederzubeleben … Ich begreife das nicht. Das ist doch Wahnsinn!
ARQUIMAES LAG NEBEN Émedi im Zelt und schlief, als er von einem stechenden Schmerz in der Brust geweckt wurde. Etwas musste geschehen sein, das mit der Macht des Drachen zu tun hatte. Er stand auf und wollte in die Nacht hinausgehen, um eine Erklärung für den plötzlichen Schmerz zu suchen.
„Was ist los?“, fragte die Königin, die nun ebenfalls aufgewacht war.
„Ich weiß es nicht. Schlaf nur weiter, ich bin gleich wieder da“, antwortete der Alchemist und verließ das Zelt.
Ohne zu wissen, was genau er suchte, irrte er eine Weile zwischen Karren und Hütten umher. Da sah er Arturo, der soeben an den Wachposten vorbei ins Lager ritt.
„Was ist passiert, Arturo?“, fragte der Weise und griff nach den Zügeln des Pferdes. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, aber ich bin mit den Demoniquianern aneinandergeraten.“
„Ehrlich gesagt habe ich schon seit Tagen auf einen derartigen Angriff gewartet“, gestand Arquimaes. „Demónicus wird niemals so leicht aufgeben. Er will uns endgültig vernichten.“
„Ich fürchte, es war ein Spähtrupp, der das Gebiet auskundschaften und einen Angriff der demoniquianischen Armee vorbereiten sollte“, sagte Arturo und stieg vom Pferd. „Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie hier anrücken. Wir müssen uns auf einen Angriff gefasst machen.“
„Aber was ist mit den Männern, gegen die du gekämpft hast?“, fragte der Alchemist. „Wo sind sie jetzt?“
„Die magischen Buchstaben haben sich um sie gekümmert“, antwortete Arturo knapp. „Wir sollten ihre Pferde einfangen, bevor sie zu weit weglaufen. Wir können sie nur zu gut gebrauchen.“
Arquimaes begriff sofort, was geschehen war. Er fühlte sich schuldig, denn er hatte es bislang versäumt, Arturo darauf hinzuweisen, dass seine magischen Kräfte ihm nicht alles erlauben würden. Zudem war ihm klar, dass ihnen der Finstere Zauberer jetzt, da er sie aufgespürt hatte, keine Ruhe mehr lassen würde.
Er übergab die Zügel des Pferdes einem Stallknecht und betrat zusammen mit Arturo das Zelt, in dem Königin Émedi sie ungeduldig erwartete.
„Arturo hatte eine Auseinandersetzung mit Demónicus’ Leuten“, erklärte Arquimaes. „Sie sind alle tot, aber wir müssen davon ausgehen, dass bald noch mehr Soldaten hierherkommen.“
„Du solltest nachts nicht allein ausreiten“, ermahnte die Königin den Jungen. „Es ist zu gefährlich.“
Doch Arturo erwiderte: „Ich habe kein Angst vor denen. Ich habe vor nichts mehr Angst.“
„Ich weiß. Aber Demónicus könnte dich mit einer seiner Hexereien überraschen.“
„Heute Nacht bist du mit einem blauen Auge davongekommen, aber die Königin hat recht“, pflichtete Arquimaes ihr bei. „Gut möglich, dass der Finstere Zauberer eine andere, mächtigere List anwendet als die, uns seine Krieger im Schutze der Dunkelheit zu schicken. Wir sollten die Vorsichtsmaßnahmen verstärken.“
Arturo umklammerte krampfhaft sein Schwert. Er überlegte, ob er Einzelheiten des Kampfes zur Sprache bringen sollte. Diese Buchstabenarmee hatte sogar ihn in Erstaunen versetzt. Doch dann murmelte er: „Ich habe nur Angst vor dem Alleinsein. Ich fürchte mich vor meinen inneren Dämonen. Ich muss Alexia zurückbekommen, oder ich werde noch verrückt.“
„Was genau wollten denn die Soldaten?“, fragte Émedi. „Hatten sie vor, uns anzugreifen?“
„Nein, ich glaube, sie wollten etwas ganz anderes“, antwortete Arturo. „Aber ich konnte nicht aus ihnen herauskriegen, was das genau war.“
„Sie wollten unsere Schwachstellen herausfinden“, sagte Arquimaes. „Das ist alles, was sie interessiert.“
„Und Demónicus will den Leichnam seiner Tochter Alexia zurückhaben“, fügte Émedi hinzu.
„Aber sie wissen doch nicht, dass sie hier ist“, warf Arturo ein. „Sie haben nicht die leiseste Ahnung.“
„Deswegen haben sie ihren Spähtrupp ausgeschickt, um genau das herauszufinden“, folgerte Arquimaes. „Wenn Demónicus sieht, dass seine Männer nicht zurückkommen, wird er andere schicken. Wir müssen gewappnet sein.“
„Das werden wir“, sagte Arturo. „Als Erstes werden wir die Wachen verdoppeln.“
***
DER GROSSE FINSTERE Zauberer war untröstlich über den Verlust seiner Tochter Alexia. Unablässig grübelte er nach, auf welche Weise er sich rächen könnte. Er hätte alles dafür gegeben, Arturo Adragón in eine seiner Folterkammern werfen zu können.
Mitten in der Nacht traf er sich im großen Saal unter der Feuerkuppel mit seinen Generälen, um die entscheidende Schlacht vorzubereiten.
„Die Emedianer haben sich in das Tal von Ambrosia geflüchtet“, informierte sie Tibérides, dessen Bart bis auf die Brust reichte. „Sie sind dabei, sich neu zu formieren.“
„Sie stellen nach wie vor eine Gefahr dar“, warf Átila ein, der Anführer eines der Stämme aus den Sumpfgebieten. „Sie könnten sogar in der Lage sein, uns anzugreifen. Meine Männer wollen die Sache so schnell wie möglich erledigen und Beute machen, was uns bei der Schlacht um Emedia ja leider nicht gelungen ist.“
„Alle Welt soll wissen, dass jeder vernichtet wird, der sich uns in den Weg stellt“, fügte Tibérides hinzu. „Lasst uns ein für allemal mit ihnen abrechnen!“
Demónicus, der sich die Meinungen seiner Generäle genau anhörte, wusste, dass sie sich einig waren: Die Emedianer mussten ausgelöscht werden! Böse knurrte er: „Das werden wir auch. Keiner von ihnen soll übrig bleiben. Außer Arturo Adragón, den will ich lebendig! Und ich erwarte, dass ihr mir den Leichnam meiner Tochter bringt! Möglicherweise kann Arquimaes’ abtrünniger Bruder Tránsito uns dabei helfen. Er kennt den Weisen wie kein Zweiter. Führt ihn herein!“ An seine Generäle gerichtet, fügte er hinzu: „Ich habe einen Spähtrupp losgeschickt, unter der Leitung von General Nórtigo. Sie sind mit einer Mission betraut, die uns helfen wird, diese verdammten Emedianer endgültig zu vernichten.“
„Und was ist das für eine Mission?“, fragte Átila.
„Sie sollen Königin Émedi entführen! In ebendieser Minute befindet sie sich schon in Nórtigos Gewalt“, antwortete Demónicus. „In wenigen Tagen wird der Sieg unser sein, das verspreche ich euch! Die Geschichtsschreiber werden glauben, dass die Emedianer niemals existiert haben. Sie werden einfach von der Erdoberfläche verschwunden sein!“
„Wenn wir ihre Königin in unserer Gewalt haben, werden sie sich unseren Forderungen beugen. Ein hervorragender Plan!“, pflichtete Tibérides bei. „Sie werden sich uns bedingungslos ergeben!“
Die Generäle prosteten einander zu, froh über die Entscheidung ihres Anführers.
„Aber vergesst nicht“, erinnerte sie der Finstere Zauberer, „ich will Arturo Adragón lebend haben! Lebend! Habt ihr mich verstanden?“
***
WÄHRENDDESSEN WURDE DER frühere Graf Morfidio, der sich inzwischen in König Frómodi verwandelt hatte, von seinen Männern auf einer Holztrage zum Wald von Amórica transportiert. In der Schlacht um Emedia hatte er den rechten Arm in einem erbitterten Kampf gegen Arquimaes verloren und war nun am Ende seiner Kräfte angelangt.
„Herr, wir sollten hier besser haltmachen“, sagte Escorpio, sein Spitzel und Ratgeber. „Wenn wir uns in den Wald der Geächteten hineinwagen, könnten wir am Ende alle getötet werden.“
„Hast du Angst?“, höhnte Frómodi. „Oder was ist los?“
„König Frómodi, nur weil ich gelegentlich Angst habe, konnte ich so lange überleben. Und jetzt ist es besonders angebracht, Vorsicht walten zu lassen. Die Geächteten sind hervorragende Schützen. Sie sind in der Lage, die Kehle eines Mannes mit dem Pfeil zu durchbohren, bevor er auch nur einen Schrei ausstoßen kann. Sie sind äußerst gefährlich, Herr, und es sind sehr viele.“
„Sollen wir etwa hierbleiben, bis mein Arm verfault ist und von den Aasgeiern gefressen wird?“, spottete der König. „Hast du vergessen, dass ich unbedingt diese verfluchte Górgula finden muss, damit sie mir den Arm wieder an meinen Körper zaubert?“
„Nein, Herr, das habe ich nicht vergessen. Aber ich rate Euch, hier unser Lager aufzuschlagen und einen Boten zu Eurem Schloss zu schicken, um Verstärkung zu holen“, schlug Escorpio vor. „Das ist besser … und sicherer.“
Frómodi verspürte einen stechenden Schmerz in seinem rechten Armstumpf. Er blickte auf das Tuch, in welches sein abgeschlagener Arm gewickelt war, musterte besorgt die widerliche Verfärbung und drängte: „Wir müssen diese Hexe so schnell wie möglich finden!“
„Schickt einen Eurer Soldaten zum Schloss, Herr“, wiederholte Escorpio. „Wenn er sich beeilt, kann er in wenigen Tagen mit der Verstärkung zurück sein.“
„Gut, ich schicke einen Boten. Aber wir werden in diesen verfluchten Wald eindringen und uns als Freunde der Geächteten ausgeben. Und dann warten wir auf meine Soldaten. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Mein Arm verfault, und so langsam verliere ich die Geduld.“
Escorpio verzichtete auf eine Antwort. Der Gestank des abgeschlagenen Armes von König Frómodi sprach Bände.
***
BESORGT SAH KÖNIGIN Émedi Arquimaes an. Der Weise schwieg, sein Blick war seltsam leer. Schon seit Tagen war er in sich gekehrt. Und eben hatte er beim Essen kaum einen Bissen runtergekriegt.
„Du machst dir Sorgen um Arturo, nicht wahr?“, fragte die Königin.
Arquimaes hob den Kopf und starrte sie an, als hätte sie seine geheimsten Gedanken erraten. „Ja. Ich glaube, ich muss etwas unternehmen. Er ist verzweifelt, weil er Alexia getötet hat. Das wird er sich nie verzeihen. Er muss sie wiederbekommen, oder aber er wird sich selbst noch das Leben nehmen.“ Der Alchemist schwieg eine Weile, dann fuhr er fort. „Das Problem ist, dass wir eine lange Reise machen müssten, aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um dich allein zu lassen, meine Königin. Die Demoniquianer können jeden Augenblick angreifen.“
„Du solltest Arturo auf keinen Fall seiner Verzweiflung überlassen“, erwiderte Émedi. „Reite mit ihm fort, ich komme schon zurecht. Meine Soldaten sind wieder stark genug, um uns zu verteidigen.“
„Bist du sicher? Ich hatte mir geschworen, mich nie mehr von dir zu trennen“, sagte Arquimaes.
„Und ich, Arquimaes, habe mir geschworen, dir bei der Erfüllung deiner Pflichten nicht im Wege zu stehen. Arturo muss seine Lebensfreude wiederfinden, sonst wird er niemals das Reich der Gerechtigkeit regieren können, das du errichten willst. Du hast mir das Leben wiedergegeben, und so musst du es auch bei Alexia tun. Obwohl sie die Tochter des Demónicus ist. Tu es für unseren … für unseren geliebten Arturo.“
„Ich weiß, meine Königin. Ich weiß, du hast recht“, stimmte der Weise ihr zu. „Ich war mir lange nicht sicher, aber jetzt bin ich einer Meinung mit dir. Arturo ist für uns von allergrößter Bedeutung … Doch wir müssen noch etwas warten.“
„Warten? Worauf?“
„Auf den rechten Augenblick. Arturo ist noch nicht bereit dafür.“
Plötzlich hörten sie, wie sich mehrere Pferde im Galopp näherten und direkt vor dem Zelt zum Stehen kamen. Im nächsten Augenblick stürmte Leónidas herein, begleitet von einem Wachposten und zwei weiteren Reitern.
„Was ist passiert, mein Freund?“, erkundigte sich die Königin und erhob sich.
„Die Demoniquianer!“, stieß der treue Ritter keuchend hervor. Er war schweißnass und völlig außer sich. „Sie nähern sich unserem Lager! Eine ganze Armee! Morgen sind sie hier!“
ICH BIN ZU Cristóbals Vater gegangen, der unbedingt mit mir sprechen will. Ich habe es vorgezogen, ihn alleine aufzusuchen. So fühle ich mich freier. Metáfora habe ich nichts davon gesagt, ich werde es ihr später erzählen.
„Hallo, Arturo“, begrüßt mich Doktor Vistalegre. „Wie ich sehe, hast du dir den Kopf kahl geschoren.“
„Ja, das machen jetzt viele. Aber es ist nicht so wichtig.“
„Warum hast du das getan? Findest du, dass du damit erwachsener aussiehst?“
„Kann schon sein“, antworte ich gleichgültig. Er soll merken, dass das für mich kein Thema ist. „Ich weiß nicht, ist mir auch egal …“
„Na schön, reden wir über etwas anderes. Träumst du immer noch so intensiv? Bist du nach wie vor davon überzeugt, dass deine Träume real sind und sich in einer anderen Dimension abspielen?“
„Ja, allerdings, und meine Träume werden immer realer und intensiver. Wenn ich aufwache, habe ich oft das Gefühl, dass ich das alles wirklich erlebt habe … oder noch erleben werde.“
„Ich habe deine Träume studiert, und dabei habe ich ein paar Dinge herausgefunden, die uns weiterhelfen könnten. Außerdem möchte ich dir einen Vorschlag machen. Demnächst findet ein internationaler Kongress von Traumspezialisten statt, und da dachte ich mir, ich könnte deinen Fall dort zur Sprache bringen. Natürlich nur, wenn du damit einverstanden bist … Vielleicht können uns die Fachleute mit ein paar Ideen weiterhelfen. Was hältst du davon?“
„Ich weiß nicht so recht … Ich glaube, meine Träume sind meine Privatsache, ich möchte nicht, dass sie öffentlich diskutiert werden. Mir ist es lieber, wenn die Sache unter uns bleibt und keiner sonst etwas davon erfährt.“
„Ich darf dich daran erinnern, dass Metáfora darüber Bescheid weiß. Und Cristóbal.“
„Das ist was anderes, sie werden niemandem davon erzählen.“
„Wie du meinst. Aber wenn du dein Problem wirklich lösen willst, dann gebe ich dir den guten Rat, dich nicht zu verschließen. Ich muss zugeben, deine Träume sind sehr kompliziert. So etwas ist mir noch nie untergekommen. Ich glaube, wir stehen vor einem ganz einmaligen Fall … Gut möglich, dass du in die Geschichte der Medizin eingehst.“
Ich habe den Verdacht, dass Doktor Vistalegre noch ratloser ist als ich. Vielleicht sollte ich mir einen anderen Seelendoktor suchen. Das täte mir zwar leid wegen Cristóbal, aber wenn es so weitergeht, werde ich es tun müssen. Denn anstatt mir zu helfen, bringt er mich nur noch mehr durcheinander.
„Also, wie gesagt, ich habe einige Nachforschungen angestellt und bin da auf etwas gestoßen, das uns der Wahrheit näherbringen könnte. Hast du mal von Doktor Steiner gehört? Rudolf Steiner?“
„Nein.“
„Doktor Steiner hat über die Grenze zwischen Leben und Tod philosophiert und ist zu einigen interessanten Schlussfolgerungen gekommen. Er meint, wenn wir träumen, begegnen wir dem Tod. Jedes Mal, wenn wir erwachen oder einschlafen, betreten wir eine Welt, die sich von der anderen unterscheidet.“
„Also, das finde ich ziemlich übertrieben. Wenn wir schlafen, träumen wir auch, aber wir sterben ja nicht. Das weiß doch jeder.“
„Was er damit sagen wollte, ist, dass wir dem Tod begegnen, wenn wir einschlafen. Dass wir mit ihm zusammentreffen. Das ist alles. Meinst du nicht, dass dir genau das passiert?“
„Und Sie? Glauben Sie das auch? Wollen Sie damit sagen, dass ich jedes Mal, wenn ich einschlafe, dem Tod begegne? Also, das hört sich doch ziemlich nach einem Horrorfilm an, so mit Zombies und Gespenstern …“
„Magst du keine Horrorfilme?“
„Nicht besonders. Ich hab ein paar gesehen, aber …“
„Steiner war kein Filmemacher, er hat noch nicht mal Drehbücher geschrieben. Er war Wissenschaftler und ist zu dem Schluss gekommen, dass wir in unseren Träumen manchmal durch das Reich der Toten wandern. Kennst du dich in der griechischen Mythologie aus? Da ist von einem Boot die Rede, das den Fluss des Lebens durchquert. Herkules hat sich übersetzen lassen. Und Orpheus hat sogar das Totenreich betreten, um seine Frau Eurydike in diese Welt zurückzuholen.“
„Ja, ich weiß, es gibt Schriftsteller, die sich solche Geschichten ausgedacht haben. Und viele Regisseure haben Filme über Gespenster gedreht, die ins Leben zurückkehren …“
„Aber wir reden jetzt nicht über Filme, sondern über Wissenschaft …“
„Wissenschaft? Sie erzählen mir doch die ganze Zeit etwas über Dinge, die nur in Romanen oder Filmen vorkommen oder auf Bildern zu sehen sind …“
„Kennst du den französischen Maler Ingres?“ Er steht auf und geht zu einem Bücherregal, nimmt ein Buch heraus und schlägt es auf. „Hier, sieh mal, er hat ein Bild gemalt, es heißt Ossians Traum … Es stellt einen schlafenden Mann dar, der von Kriegern und schönen Frauen träumt, die er aus dem Jenseits herbeigerufen hat.“
Im Vordergrund des beeindruckenden Bildes ist ein Mann zu sehen, der scheinbar friedlich schläft, während ihn Krieger und weibliche Wesen umkreisen, die seinem Kopf entstiegen sein könnten. Ein wahrer Totentanz!
„Aber er gehört doch nicht zu den Kriegern, die aus der anderen Welt kommen“, bemerke ich.
„Woher weißt du das? Woher willst du wissen, ob der bewaffnete Mann hier mit dem Helm auf dem Kopf nicht der Schlafende selbst ist?“
„Na ja, man kann letzten Endes alles so deuten, wie man will.“
„Es geht nicht darum, ob ich recht habe. Ich will dir damit nur sagen, dass deine Träume möglicherweise aus deinem tiefsten Innern stammen. Dass sie bisher unentdeckt in dir geschlummert haben und jetzt aus irgendeinem Grund an die Oberfläche kommen.“
Ich schaue mir das Bild von Ingres aufmerksam an und denke darüber nach, was Doktor Vistalegre gesagt hat. Ein Mann träumt von Toten und möglicherweise von sich selbst. Sehr seltsam … Vielleicht geschieht mit mir dasselbe. Träume ich von Menschen, die schon lange tot sind?
„Viele Künstler sind besessen vom Jenseits“, fährt Cristóbals Vater fort. „Tausende von ihnen haben Romane und Gedichte darüber geschrieben, Bilder gemalt, Lieder und Opern komponiert … Du musst begreifen, dass deine Träume möglicherweise etwas mit dem Leben der anderen zu tun haben, dass sie dich irgendwo anders hinführen …“
„An den Abgrund des Todes!“, rufe ich aus, ohne nachzudenken.
„Was? Was hast du da gesagt?“
„An den Abgrund des Todes.“
„Wie kommst du darauf?“
„Keine Ahnung, wahrscheinlich habe ich es aus irgendeinem Film oder Buch …“
„Oder aus deinen Träumen?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hab ich’s ja nur irgendwo gehört.“
„Hör zu, Arturo, ich möchte dich bitten, mich zu dem Kongress zu begleiten. Vielleicht ist da wirklich jemand, der uns weiterhelfen kann“, sagt Doktor Vistalegre mit seltsam glänzenden Augen, in denen irgendwie auch so etwas wie Angst liegt. „Ich weiß nur eines: Wir müssen dein Problem lösen! Komm mit und erzähl den Experten, was dir passiert. Bestimmt wird sich jemand für dich interessieren.“
***
ICH BETRETE DAS Café, in dem ich mit Metáfora verabredet bin. Sie sitzt ganz hinten an einem der großen Fenster.
Um Zeit zu gewinnen, ziehe ich meine Jacke langsam aus und lasse sie auf den Boden fallen.
„Hallo! Entschuldige bitte, dass ich mich verspätet habe“, sage ich und setze mich auf den Stuhl ihr gegenüber.
„Du kommst zu spät und bist nervös“, stellt sie fest. „Wo warst du? Oder willst du es mir nicht sagen?“
„Doktor Vistalegre hat mir vorgeschlagen, mit ihm auf einen internationalen Kongress zu gehen, um dort meinen Fall vorzutragen. Bist du jetzt zufrieden?“
„Warst du allein bei ihm? Warum hast du mich nicht angerufen?“
„Metáfora, bitte, ich bin alt genug, um allein zum Arzt zu gehen“, entgegne ich. „Außerdem geht das nur mich etwas an.“
„Komm mir jetzt nicht mit so einem Quatsch! Nach allem, was wir schon zusammen erlebt haben! Ich bitte dich …“
Ich ziehe es vor, nicht zu antworten. Vielleicht hat sie ja recht, aber ich kann ihr doch schlecht sagen, dass ich sie nicht dabeihaben wollte!
„Du wolltest alleine hingehen“, sagt sie, als hätte sie meine Gedanken erraten, wie schon so oft.
„Na ja, ich …“
„Und worüber habt ihr gesprochen?“
„Das hab ich dir doch gerade gesagt.“
Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an und überlegt sich, was sie darauf sagen soll. Bestimmt nichts Nettes.
„Und darum bist du so nervös? Erzähl mir doch nichts!“
Jetzt bin ich es, der die Augen zusammenkneift und sich überlegt, was er ihr antworten soll.
„Kennst du einen Maler namens Ingres? Das ist ein Franzose, der ein Bild gemalt hat, Ossians Traum …“
„Willst du mich verarschen?“
„Warte, ich bestell mir nur schnell was, dann erklär ich dir alles.“
Während ich zur Theke gehe, um mir einen Saft zu holen, überlege ich mir, wie ich es ihr erzählen soll, ohne dass es sich wie ein Horror- oder Fantasy-Film anhört. Metáfora steht mit beiden Beinen voll im Leben und hat für Fantasy-Geschichten nicht viel übrig. Allerdings … seit sie dabei war, als ich gegen Stromber gekämpft habe, lässt sie Dinge gelten, von denen sie früher nichts wissen wollte.
„Übrigens, Arturo“, sagt sie, kaum dass ich mich wieder gesetzt habe, „die Tatsache, dass dein Vater mit Hilfe meiner Mutter deine Mutter wiederbeleben will, eignet sich hervorragend als Grundlage für ein Drehbuch zu einem Horrorfilm. Aber ich weiß, dass so was unmöglich ist. Und jetzt erzähl mir bitte von diesem Bild. Und was du mit Cristóbals Vater besprochen hast.“
„Hast du mal was von einem Mann namens Steiner gehört?“
„Hieß er nicht gerade noch Ingres? Du musst dich schon entscheiden!“
„Du hast recht, entschuldige … Also, es gab wohl mal einen Arzt namens Steiner, Rudolf Steiner …“
ARTURO, ARQUIMAES, ÉMEDI, Leónidas, Eisenfaust und einige andere Ritter beobachteten von einem behelfsmäßigen Wachturm aus die Truppenbewegungen des Feindes.
„Sie kommen immer näher“, stellte Arturo fest. „Offenbar bereiten sie einen Angriff vor.“
„Oder eine Belagerung“, entgegnete Arquimaes. „Sie haben es nämlich eigentlich gar nicht nötig, zu den Waffen zu greifen. Sie müssen nur einen eisernen Ring um uns schließen und uns aushungern.“
„Wir müssen uns verteidigen“, sagte Leónidas. „Wenn wir sie überraschen und zuerst angreifen, können wir sie besiegen.“
„Nein, mein Freund“, widersprach Königin Émedi. „Unsere Männer sind von der Schlacht um Emedia völlig erschöpft. Sie haben keine Kraft mehr zu kämpfen. Wir müssen uns in Geduld üben.“
„Ja, und uns Verbündete suchen“, ergänzte Arquimaes. „Wir sollten uns mit anderen Königen zusammenschließen.“
„Als wir in Emedia angegriffen wurden, ist uns niemand zu Hilfe geeilt“, brummte Ritter Eisenfaust. „Und jetzt, wo wir geschlagen worden sind, wird es erst recht keiner tun.“
„Aber uns bleibt nichts anderes übrig“, beharrte der Alchemist auf seiner Meinung.
„Vielleicht könnte ich ja in der Zwischenzeit etwas versuchen …“, schlug Arturo vor.
„Nein, wir müssen verhandeln“, unterbrach ihn Arquimaes, der wusste, worauf sein Schüler hinauswollte. „Hör auf mich, Arturo, es ist besser so.“
Arturo Adragón sah seinen Meister an und fragte sich, was dessen Nein zu bedeuten hatte. Er wusste sehr wohl, dass seine magischen Kräfte ausreichen würden, um einen großen Teil der Truppe, die Demónicus geschickt hatte, zu vernichten. Vor Kurzem erst hatte er es bewiesen, in jener Nacht, als rund vierzig Krieger in kürzester Zeit von den Buchstaben niedergemetzelt worden waren.
Während sie noch diskutierten, formierten sich Demónicus’ Soldaten. Es wurden immer mehr. Alles deutete darauf hin, dass sie eine gnadenlose Belagerung vorbereiteten, ganz so, wie Arquimaes vorhergesagt hatte. Sie würden einen eisernen Ring um die Ruinen von Ambrosia schließen und deren Bewohner aushungern.
***
DER HASS AUF seinen Bruder hatte Tránsito veranlasst, sich Demónicus zu unterwerfen und in dessen Dienste zu treten. Als Gegenleistung sollte er die Gelegenheit bekommen, sich an Arquimaes zu rächen. Es verging kein Tag, an dem Tránsito sich nicht daran erinnert hätte, dass sein jüngerer Bruder durch Arquimaes’ Schuld getötet worden war. Und auch die Zerstörung Ambrosias ging auf ihn zurück. Denn er war es gewesen, der die gottlosen, grausamen Krieger zu dem Kloster geführt hatte. Doch was am meisten an Tránsito nagte, war die Tatsache, dass Arquimaes gegen seinen Rat aus dem Orden ausgetreten und Alchemist geworden war. Für ihn, Tránsito, war Arquimaes ein elender Verräter, der für seine Sünden büßen musste.