Die sieben Säulen des Stressmanagements - Thomas Fritzsche - E-Book

Die sieben Säulen des Stressmanagements E-Book

Thomas Fritzsche

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Beschreibung

Jeder kann Stress sofort aus eigener Kraft bekämpfen! Man muss nicht warten, bis sich die Umstände ändern, der Chef, die Arbeitsbelastung: Stress zu verringern – das haben wir selbst in der Hand, dies ist die positive Botschaft dieses Buchs. Hierfür zeigt der Psychologe, Managementtrainer und Coach Thomas Fritzsche sieben aufeinander aufbauende Strategien des Stressmanagements – verpackt in eine leicht lesbare, eingängige Geschichte: Eine abenteuerliche Reise zu den 7 Stationen des Stressmanagements Achim Bohn ist gereizt, schon wegen Kleinigkeiten fährt er aus der Haut. Als Manager in einer Sandwichposition zwischen Chefetage und Belegschaft reibt er sich zusehends auf. Sein Job, den er eigentlich liebt, nervt ihn seit Monaten. Er zieht sich immer häufiger zurück. Sein Kollege Martin Dampf spricht ihn an, und sie stellen fest: Achim befindet sich im Dauerstress. Auch Martin ist nicht stressfrei. Beide erleben Unzufriedenheit, Ärger, Frustration, Erschöpfung und Gereiztheit bis hin zum Rückzug. So werden die Beiden auf eine abenteuerliche Reise durch die halbe Republik geschickt, sprechen mit Technikfreaks, hochbegabten Jugendlichen und mit einem Gurucoach, und begreifen Schritt für Schritt, was Stress ist. Am Ende ihrer Reise zu den sieben verschiedenen Stationen des Stressmanagements verfügen Achim und Martin über starke Werkzeuge, um wieder gelassen zu leben und gelassen zu arbeiten. Dabei stellen sie fest: Es liegt in ihrer eigenen Hand, wie gestresst sie sich fühlen – zum Glück! Burn-out-Prophylaxe Es ist eine enorme Herausforderung aus dem Zustand des Burn-out wieder herauszufinden. Hierfür werden nicht nur wenige Wochen benötigt, sondern Monate. Häufig trifft es gerade die starken und engagierten Angestellten/Mitarbeiter mit hohen Ansprüchen an sich selbst. Für Unternehmen bedeutet das, dass ihre Leistungsträger für lange Zeit ausfallen. Gesundheitsvorsorge, Stressmanagement und Burnout-Prophylaxe sind deshalb auch für Arbeitgeber eine sinnvolle Investition. Ein mutmachendes Buch für alle Gestressten mit umfangreichem Übungsmaterial Durch die unterhaltsam geschriebene, romanhafte Rahmenhandlung fällt es dem Leser leichter, bei der Sache zu bleiben. Für Eilige und Gestresste bietet der Anhang eine kurze Übersicht über die wesentlichen Ansätze und Werkzeuge des Buchs. Außerdem Kurzinfos zu relevanten Themen wie Stressfolgen, mentale Techniken und Atemübungen, Tests und Diagramme. Neuausgabe von "Selbst schuld - zum Glück!" 

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Thomas Fritzsche

Die sieben Säulen des Stressmanagements

Befreie dich von Stress und Ärger

Das Buch

Jeder kann Stress sofort aus eigener Kraft bekämpfen! Niemand muss warten, dass sich die Umstände ändern, der Chef, die Arbeitsbelastung – Stress zu verringern liegt an uns selbst, das ist die positive Botschaft dieses Buchs. Hierfür zeigt der Psychologe, Managementtrainer und Coach Thomas Fritzsche sieben aufeinander aufbauende Strategien des Stressmanagements – verpackt in eine leicht lesbare, eingängige Geschichte:

Achim Bohn ist gereizt, schon wegen Kleinigkeiten fährt er aus der Haut. Sein Job, den er eigentlich liebt, nervt ihn seit Monaten. Er zieht sich immer häufiger zurück. Sein Kollege Martin Dampf spricht ihn an, und sie stellen fest: Achim befindet sich extrem im Stress. Auch Martin ist nicht stressfrei. Beide erleben Unzufriedenheit, Ärger, Frustration, Erschöpfung und Gereiztheit bis hin zum Rückzug. Am Ende ihrer Reise zu sieben verschiedenen Stationen des Stressmanagements verfügen Achim und Martin über starke Werkzeuge, um wieder gelassen zu leben und gelassen zu arbeiten. Dabei stellen sie fest: Es liegt in ihrer eigenen Hand, wie gestresst sie sich fühlen – zum Glück!

Taschenbuchausgabe 2022

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Aleks Melnik/shutterstock

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

ISBN Print 978-3-451-03372-8

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82775-4

Wer anderen die Schuld gibt,

gibt ihnen die Macht!

Wayne Dyer

für meine Eltern

für Maren

für Erwin

Inhaltsverzeichnis

Mein Job macht mir doch eigentlich Spaß?

Steinzeit zwischen den Computern

Genervt, gereizt – gestresst!

Burn-out ist doch nur für Schwächlinge

Vorsicht Säbelzahntiger

Die sieben Säulen des Stressmanagements

Ab ins Mentale Fitnessstudio

Lupe, Hammer, Fernbedienung

I. Die Lupe: Wie schlimm ist es wirklich?

Achtung Selbsttest!

Gedanken, Gefühle, Körper, Verhalten

Ab heute nur noch Eustress?

II. Der Hammer: Stressoren bekämpfen

Unzufriedenheit ernst nehmen

Beeinflussbar oder nicht?

Mach kaputt, was dich kaputt macht!

III. Der Hebel: Bewertungsfilter erkennen

Uhl und Nachtigall

Die Bewertung ist’s!

Wah-Wah-Pedale des Stresses

Hilft es eigentlich schon?

IV. Die Fernbedienung: Kopfkino ausschalten

Das kann doch nicht wahr sein: Bowling-Weltmeister!

Spiele für dein eigenes Team!

Programmwechsel im Kopfkino

V. Der Fallschirm: Den Körper runterbringen

Häufige Fragen, bewährte Tricks

Verzaubert durch den Atem

Mit Muskelkraft entspannen

AT müsste SH heißen

VI. Der Scheinwerfer: Selbsthypnose einsetzen

Der Fokus und die Bilder

Soll es schnell gehen, nimm einen Anker!

Wenn ich dreimal in die Hände klatsche ...

VII. Der Ball: Positive Aktivitäten fest einplanen

Das Leben auf dem Radarschirm

Den Plan setzt du niemals um!

Epilog

Anhang: Informations- und Übungsmaterial

Die Lupe

Der Hammer

Der Hebel

Die Fernbedienung

Der Fallschirm

Der Scheinwerfer

Der Ball

Flussdiagramm Stressmanagement

Dank

Über den Autor

Literatur

Mein Job macht mir doch eigentlich Spaß?

Achim Bohn hat keine Lust mehr. Er reagiert schon bei nichtigen Anlässen gereizt und aggressiv. In der letzten Zeit zieht er sich häufig von Kollegen und Mitarbeitern zurück, verkriecht sich in seinem Büro. Seine Arbeit mache ihm keinen Spaß mehr, sagt er, und das merkt man ihm an. Dabei hat er eine Position erreicht, die er schon immer haben wollte: Er ist seit einem Jahr Geschäftsführer, also im höheren Management. Er neigt jedoch verstärkt zum Grübeln und beschäftigt sich dabei mit vermeintlichen oder echten Problemen, von denen er immer mehr findet. Auch seine Konzentrationsfähigkeit hat stark nachgelassen, sein Gedächtnis scheint plötzlich gravierende Lücken zu haben. Nachts schläft er schlecht, und auch seine Familie leidet unter seiner Stimmung.

All dies kennt er nicht von sich. Die verschiedenen Veränderungen passen gar nicht zu seinem bisher immer positiven, zupackenden Charakter. Früher hat er sich auf jeden Tag gefreut, ging auch anspruchsvolle Aufgaben voller Elan und Optimismus an und konnte andere mit seiner Energie mitziehen. Heute fühlt er sich jeden Tag unzufrieden, reagiert auf einzelne Vorfälle rasch zornig und schimpft täglich über die Rahmenbedingungen.

Was andere rasch erkennen, wenn sie ihn erleben, lässt sich für ihn selbst aus der Innenperspektive nicht so leicht ableiten: Achim Bohn befindet sich im Stress.

Es nützt nichts, dass er diesen Job immer haben wollte. Es nützt nichts, dass er in seiner heutigen Position verantwortlich ist für über 40 Mitarbeiter. Es nützt auch nichts, dass er über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt: Im Moment fühlt er sich ähnlich wie vor sieben Jahren, als er seine erste Führungsposition antrat. Wie damals leidet er auch heute unter dem gefühlten Chaos, das aus den Führungsebenen über ihm kommt. Wie damals hasst er es, dass sein Aufgabenschwerpunkt ständig wechselt; es enttäuscht ihn, dass sein gegenwärtiger Chef sich nicht zu einer klaren Positionierung nach oben durchringen kann, um so die unteren Ebenen besser abzuschirmen. Und wie damals arbeitet er, um dennoch seinen persönlichen Ansprüchen gerecht zu werden, erneut zwischen zehn und zwölf Stunden täglich – nur um abends unzufrieden mit der Tagesleistung nach Hause zu fahren.

Anders als damals scheint ihm aber dieses Mal sein grundsätzlicher Optimismus abhanden gekommen zu sein. Am Anfang seiner Laufbahn war er noch überzeugt, dass alles besser werden würde, wenn er selbst mehr zu sagen hätte. Heute steht ihm diese Perspektive nicht mehr zur Verfügung: Immerhin ist er nun Geschäftsführer, doch obwohl er heute viel größere Spielräume besitzt, ist er an relevanten Punkten noch immer von der Entscheidung und vermeintlichen Willkür anderer abhängig. Also ist und bleibt er nur ein Rädchen in der großen Maschine? Solche und ähnliche Gedanken rauben ihm Energie und kosten mehr Kraft, als er langfristig aufbringen kann.

Als der Geschäftsführer Martin Dampf ihn nach einem neuerlichen Wutausbruch unter vier Augen auf sein Verhalten anspricht, bringen beide die Situation auf folgende Nenner: Unzufriedenheit, Ärger, Frustration, Erschöpfung, Gereiztheit, Rückzug ... – im kritischen Dialog mit Dampf erkennt Achim Bohn, dass er etwas unternehmen muss. Die beiden Kollegen definieren, worauf es ihnen ankommt: Definiertes Ziel ist, sich bei der täglichen Arbeit wieder wohl zu fühlen. Ziel ist, die eigene Stärke zu spüren und einzusetzen. Dabei sollen die äußeren Umstände keine Rolle spielen – beide möchten unabhängig von womöglich wechselhaften Rahmenbedingungen Freude an der Arbeit erleben und ihre persönliche Power täglich optimal nutzen.

Nach Rücksprache mit Martins Frau Hannah, Psychologin und Mental Coach, beschließen sie: Achim Bohn soll raus aus dem Stress und zurück zu »Mentaler Fitness«. Obwohl Martin Dampf sich nicht so ausgelaugt fühlt wie sein Kollege, möchte er Achim Bohn auf dessen Weg durch insgesamt sieben Stationen gerne begleiten. »Wehret den Anfängen – lieber kenne ich die Gefahr rechtzeitig« ist dabei der zweite Gedanke. Das erste Argument ist ein anderes: Wenn es nicht nur um »Stress weg!« geht, sondern um »Power her!«, ist er als ehrgeizige Führungskraft selbst sehr neugierig auf »mentale Tricks«.

Menschen wie Achim Bohn oder auch Martin Dampf habe ich im Lauf von 25 Jahren als Psychologe, Managementtrainer und Coach sehr viele getroffen. Ehrgeizige, positive, ziel­orientierte Menschen mit hohen Ansprüchen an sich selbst und an die Umwelt, die trotz – oder auch gerade wegen – dieser Eigenschaften früher oder später in die Knie gegangen sind. Manchmal saßen sie als Seminarteilnehmer in Workshops wie »Stressmanagement« oder »Work-Life-Balance«. Sie waren häufig verblüfft über ihre unerwartet hohen Ergebnisse im Stressselbsttest und mit großer Neugier engagiert dabei, die verschiedenen Antistresstechniken für sich zu erlernen. Sie wollten die Kurve kriegen, weg vom Stress, weg vom Abgrund des Zusammenbruchs. Und natürlich stellten »Techniken zur Selbstoptimierung« einen zusätzlichen Anreiz dar.

Manchmal kamen solche Menschen auch als Klienten in meine Psychotherapeutische Praxis. In diesen Fällen war der psychologische Totalschaden oft schon eingetreten, viele von ihnen befanden sich mitten in einem sogenannten Burn-out: Alle Kraft war weg, nichts ging mehr, sie waren für lange Zeit krankgeschrieben. Aus diesem Zustand des Burn-out wieder herauszufinden ist nach meiner Erfahrung eine enorme Herausforderung. Der Zeitbedarf misst sich hier nicht in Wochen wie bei einer Grippe – es werden Monate dafür benötigt. Gingen die Betroffenen zu früh zurück auf die Arbeit, wenn die Kraft noch fehlte und das Verhalten sich nicht wirklich verändert hatte, konnte man fast darauf wetten: Ein halbes Jahr später saßen sie erneut und noch stärker gebeutelt vor mir. Stress kostet Kraft, Burn-out benötigt Zeit.

Stress und Burn-out ist im Übrigen nichts, was nur Weicheier erleben – im Gegenteil. Es trifft gerade die Starken, die Engagierten, die Menschen mit hohen und höchsten Ansprüchen. Aus Unternehmenssicht gesprochen, fehlen die Betroffenen also nicht nur lang, es fehlen auch häufig die Leistungsträger. Prophylaxe ist deshalb eine wertvolle Investition.

Die sieben Stationen auf dem Weg zur Mentalen Fitness schildern sieben verschiedene Strategien, sich entsprechend zu schützen. Sie bauen aufeinander auf und sind ineinander verschränkt. Angewandt bilden sie einen wirkungsvollen Schutz vor den Belastungen des beruflichen und privaten Alltags. Begleiten Sie Achim Bohn und Martin Dampf auf ihrem Mentalen Fitnessparcours. Schützen Sie sich selbst wirkungsvoll vor den typischen Fallen der Arbeitswelt. Stellen Sie sicher, dass Sie immer im Kontakt bleiben mit Ihrer persönlichen Stärke, mit Ihrer Gelassenheit und Energie – auch und gerade »in stressigen Zeiten«.

Sollte es Ihnen (aufgrund von Stress?) zu lange dauern, die beiden auf ihrer Entdeckungsreise zu begleiten, so finden Sie im Anhang eine kurze Übersicht über die wesentlichen Ansätze und Werkzeuge des Buchs. Ihre Anwendung, ihre Vernetzung und teilweise auch die Haltung hinter den Werkzeugen lässt sich aber besser verstehen und übernehmen, wenn Sie dem Dialog zwischen Achim Bohn, Martin Dampf und den verschiedenen Experten, die sie auf den nächsten Seiten treffen, folgen.

In jedem Fall hoffe ich, dass Sie nach der Lektüre mit einstimmen, wenn Achim Bohn und Martin Dampf sich am Ende »abklatschen« und ihr neues Motto feiern:

»Selbst schuld – was für ein Glück!«

Alles Gute!

Thomas Fritzsche

Ranstadt, im Sommer 2018

Steinzeit zwischen den Computern

Genervt, gereizt – gestresst!

»Können Sie nicht wenigstens ein einziges Mal etwas richtig machen?! Ich kann doch nicht für alle hier das Kindermädchen spielen!«, ruft Achim Bohn. Er dreht sich um und stürmt aus dem Zimmer. Katja Herrmanns, seine Assistentin, sitzt noch fünf Sekunden später wie erstarrt hinter ihrem Bildschirm, als Martin Dampf den Kopf zur Tür reinsteckt: »Was war das denn gerade?«

»Eine kleine Detonation?«, zuckt die Assistentin mit den Schultern.

Martin Dampf runzelt die Stirn: »Schon wieder?«

Er überlegt kurz und geht dann über den Flur zu Bohns Büro. Die beiden Männer sind Kollegen: Dampf ist Geschäftsführer Vertrieb, Bohn Geschäftsführer Immobilien für die große Einzelhandelskette KÖNIGSKAUF. Beide sind Anfang vierzig, beide haben ihre Positionen seit gut einem Jahr inne und verstehen sich persönlich sehr gut. Dampf klopft an die verschlossene Bürotür und betritt nach einem scharfen »Herein!« den Raum.

Er zieht die Tür hinter sich zu: »Achim? Alles okay bei dir?«

»Na klar, was soll schon sein?« Bohn hat sich hinter seinem Schreibtisch verschanzt und schaut finster auf seinen Laptop.

Dampf zieht sich einen Stuhl heran, setzt sich und atmet tief durch. »Achim – alles okay?«, fragt er erneut.

»Natürlich nicht!«, poltert dieser. »Katja sollte mir bis 14 Uhr die Unterlagen für unser GF-Meeting morgen vorbereiten. Gerade rückt sie damit heraus, dass ihr dazu noch wichtige Informationen von mir fehlen. Schau auf die Uhr: Es ist 13.30 Uhr, sie wird es bis 14 Uhr nicht fertig haben. Das wirft mir meinen ganzen Zeitplan um. Ich hätte erwartet, dass sie das früher merkt – und nicht erst eine halbe Stunde vorher!«

»Ah ja ... und das war der wievielte Fehler in einer wie langen Kette von Fehlern?«, fragt Dampf vorsichtig und fügt hinzu: »Ich dachte immer, Katja wäre solch eine Spitzenkraft – aber vorhin hörte sich das ganz anders an?«

»Ist sie ja auch! Aber sie hat schon letzte Woche vergessen, mich noch einmal an meinen Termin mit Theo Hendricks vom Lager Mürzhausen zu erinnern, so dass ich dort zu spät gekommen bin! So geht das einfach nicht!«

Dampf fragt sich, wer hier wessen Kindermädchen zu sein scheint, aber er unterdrückt den entsprechenden Kommentar. Stattdessen fasst er zusammen: »Verstehe ich das richtig – du hast Katja vorgestern einige Informationen nicht gegeben, und ihr Fehler war, dass sie das nicht direkt bemerkt hat? Außerdem hast du neulich einen Termin verpennt, und Katjas Fehler war, dass sie dich nicht nochmal erinnert hat? Das war der Grund für deinen Ausbruch gerade?«

Bohn runzelt die Stirn: »Nein ... ja, schon, aber ... das war nicht der eigentliche Grund. Zurzeit geht einfach alles schief …« Er stockt.

»Verstehe – und an allem, was schiefgeht, ist Katja schuld? Dieses professionelle Feedback musstest du ihr jetzt mal in aller Gelassenheit geben?«, hakt Dampf nach.

»Du gehst mir manchmal echt auf den Zeiger mit dieser Kreuzverhörmasche«, faucht Bohn seinen Kollegen an. Dampf schaut ihn nur an, Bohn windet sich auf seinem Stuhl, dann sagt er leise: »Du hast ja recht – Katja ist nicht an allem schuld, im Gegenteil. Und ich war gerade eben auch nicht ruhig und professionell.«

»Jetzt, wo du das so offen sagst, fällt es mir auch auf.« Dampf grinst ihn an, wird dann rasch wieder ernst. »Also, Achim, was ist los mit dir? Wenn ich das als Flurnachbar und als freundschaftlich verbundener Kollege sagen darf: Das war nicht deine erste Explosion in den letzten Wochen; es war auch nicht deine zweite. Wenn es in deiner Nähe gerade mal nicht knallt, dann sieht man dich nicht mehr bei den Leuten. Du scheinst dich in deinem Büro zu verkriechen. Das macht mir Sorgen.«

Bohn ist lange still. Er schenkt sich Wasser ein, bietet auch Dampf etwas an, beide trinken schweigend. Schließlich seufzt er: »Ich mache mir selbst auch Sorgen. Ich fand es so toll, diese GF-Position zu erreichen. Karriere, Status, Kohle – und Macht! Endlich etwas bewegen zu können! Aber momentan sehe ich um mich herum nur Baustellen. Von oben kommen ständig neue Instruktionen, die wissen gefühlt seit letztem Jahr nicht mehr, was sie wollen. Meine Mitarbeiter reagieren logischerweise schon längst voller Missmut auf das Chaos, und ich hänge dazwischen. Schließlich muss ich ja den Zickzackkurs offiziell unterstützen und täglich verkaufen. Dadurch wird auch die Abstimmung mit den Partnern belastet: Mit den hausinternen, denen es jeweils ähnlich geht, und den externen, die uns bald einen Vogel zeigen werden. Alles kostet doppelt so viel Zeit und doppelt so viel Kraft wie nötig!«

»Das kommt mir sehr bekannt vor«, nickt Martin Dampf und frotzelt: »Aber ist es nicht undankbar, dass du dich als Geschäftsführer Immobilien über Baustellen beschwerst ...?«

Postwendend fliegt die leere Plastikflasche gegen seinen Kopf, während der andere grinsend die Faust schüttelt: »Wenn du glaubst, so könntest du mich aufmuntern!«

Dampf duckt sich. »Sorry, es war einen Versuch wert. Du weißt, ich sitze mit meiner Truppe im gleichen Boot. Im Vertrieb ist der tägliche Wandel zwar normaler, wir sind das kaum anders gewohnt – aber die ständigen Widersprüche der letzten Zeit lassen sich der Mannschaft tatsächlich kaum noch verkaufen.«

»Wie kommst du denn damit klar?«, fragt Achim Bohn.

»Ach, weißt du, meine Frau ist Psychologin und Coach, die baut mich abends wieder auf«, lacht Dampf und ergänzt, »Nee, Quatsch: Meistens möchte ich nicht auch noch abends über die Arbeit reden – aber manchmal, wenn ich merke, dass ich sowieso nicht abschalten kann, bespreche ich bestimmte Dinge mit ihr. Wir achten dann beide darauf, dass ich mich nicht nur auskotze, sondern dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen. Das hat mir schon einiges gebracht.«

»Wirklich? Kennt sie sich denn im Handel aus?«

»Nein, aber mit Menschen.«

Martin Dampf überlegt kurz und streckt dann seine Arme offen vor sich aus, Handflächen nach oben: »Wenn du magst, Achim, dann rede ich mal mit ihr. Sie kennt eine Menge Leute.«

»Ich brauche doch keinen Psychotherapeuten!«, fährt Bohn stirnrunzelnd auf.

»Darum geht’s nicht. Ich würde zwar sagen, dass du ziemlich fertig bist ...«

»Vielen Dank auch!«

»... aber ich denke nicht, dass du krank bist. Ich denke einfach, du hast dich hier so reingehängt, du hattest so viel Power und Energie am Anfang – es wäre total schade, wenn du dich von der aktuellen Situation kaputtmachen ließest!«

»Glaubst du echt, dass so ein Coaching etwas bringt?«, überlegt Bohn. Dampf zögert, dann meint er: »Mir hat ein Kollege von ihr vor einigen Jahren in einer einzigen Coachingstunde mehr über Mitarbeiterführung gezeigt, als ich in den fünf Jahren zuvor als Führungskraft in all den Seminaren gelernt habe. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen – deine Situation heute ist anders gestrickt als meine Lage damals.«

»Du kannst sie ja mal ansprechen«, gesteht Bohn schließlich zu, und Martin erhebt sich.

»Sehr gerne!«

»Danke, dass du reingekommen bist!«, sagt Bohn noch, als die Tür schon fast geschlossen ist.

Burn-out ist doch nur für Schwächlinge

»Achim geht’s gerade gar nicht gut«, erzählt Martin Dampf am Abend seiner Frau. Er schildert sein Gespräch in Bohns Büro.

»Klingt wirklich nicht gut«, kommentiert Hannah am Ende. »Ich schätze, er befindet sich seit längerer Zeit dick im Stress. So wie sich das anhört, steht er sogar kurz vor einem üblen Burn-out.«

»So was gibt’s wirklich?«, fragt Martin. »Ich dachte, das sei so ein neumodischer Kram? Wer in der heutigen Arbeitswelt nicht über Stress klagt und mal ein paar Wochen ›Burn-out hatte‹, kommt in den Ruf, nicht genug zu arbeiten?«

Hannah Dampf lacht. »Mein Lieber, wenn dich ein Burn-out erst mal erwischt hat, dann kommst du da nicht in ein paar Wochen wieder heraus! Es dauert im Allgemeinen einige Jahre, bis man drinsteckt – entsprechend dauert es auch viele Monate, um wieder herauszukommen. Das ist Physik.«

»Wie, Physik? Du meinst, Psychologie?«

»Ja, im Prinzip schon, es ist Psychologie, eigentlich sogar schlichte Biologie. Aber bildlich gesprochen ist das, was da passiert, Physik: Du kannst einen Menschen im Burn-out mit einem Akku vergleichen – und zwar mit einem Akku, der tiefenentladen wurde. Wer ein Burn-out-Syndrom erleidet, hat seiner inneren Batterie über viele Monate täglich mehr Power entnommen, als er ihr abends wieder zuführen konnte – irgendwann ist sie komplett leergesaugt. Dann gilt: Wenn sie so absolut leer ist, braucht sie sehr lange, bis sie wieder auf ein vernünftiges Level geladen werden kann.«

»Ich ahne, was du meinst. Also ist Burn-out etwas, was Schwächlinge bekommen? Leute, die der täglichen Härte nicht gewachsen sind und schlappmachen? Achim ist aber das Gegenteil von einem Schwächling, das passt nicht!«, überlegt Martin Dampf. »Woher nimmst du denn die Idee, dass es Schwächlinge trifft – was auch immer das sein sollte? Das Gegenteil trifft zu, lieber Martin: Du musst ja erst mal Power haben, um über Monate täglich alles zu geben! Wer jeden Tag entspannt zur Arbeit trabt, dort alles gemütlich angeht, die Verantwortung gern bei anderen sieht und immer pünktlich Feierabend macht – der hat nur geringe Chancen auf ein ordentliches Burn-out-Syndrom. Solche Leute reden vielleicht von Burn-out, wenn sie mal drei Anrufe mehr bekommen haben als üblich. Dann tun sie sich damit groß, dass sie deshalb auf ihre dritte Kaffeepause verzichten mussten. So etwas muss man tatsächlich nicht ernst nehmen.«

»Genau solche Leute meinte ich«, sagt Martin nachdenklich. »Und wer bekommt dann ein richtiges Burn-out-Syndrom, oder wie du das nennst?«

»Die Leute am anderen Ende des Kontinuums. Die Leute, die ihren Job sehr wichtig nehmen. Die erfüllen möchten, was man von ihnen erwartet, und zwar täglich, und zwar zu 100 Prozent. Diese Leute gehen nicht nach acht Stunden heim – wenn noch Arbeit zu erledigen ist, bleiben sie automatisch länger, denn sie wollen nicht nur 85 Prozent erreichen. Dieses Prinzip leben sie meistens nicht nur im Beruf – es bestimmt auch ihr Privatleben: Am Tag möchten sie eine Top Führungskraft sein und alle Aufgaben perfekt erledigen – abends und am Wochenende möchten sie ein prima Papa oder eine super Mama sein, dazu ein perfekter Ehemann oder eine perfekte Ehefrau. Natürlich wollen sie außerdem gesund leben, genügend Sport machen, sich oft noch im Verein um ein Ehrenamt kümmern.«

Martin lacht kurz auf: »Das schafft man doch heutzutage gar nicht!«

»Eben«, fährt Hannah fort, »und wer ständig nicht erfüllbaren Zielen nachläuft, der bekommt es irgendwann mit dem Säbelzahntiger zu tun.« Sie atmet tief durch und fragt dann: »Weißt du, wer die typischen Burn-out-Patienten in den Praxen meiner Kollegen sind?«

Martin schaut sie kopfschüttelnd an.

»Krankenpfleger. Altenhelferinnen. Manchmal Ärzte, aber nicht ganz so oft. Auch Feuerwehrleute, Rettungssanitäter ... Erst danach kommen die berühmten Manager. Übrigens meistens die der mittleren Führungsebene, weil die sich am stärksten zwischen allen Stühlen befinden.«

»Hm. Verstehe. Ich glaube, ich sehe jetzt den Zusammenhang: Wer seinen Beruf ernst nimmt, seine Aufgaben wirklich erfüllen möchte und sich dabei in einem Umfeld befindet, in dem er das selten oder niemals schaffen wird ... wenn der nicht zynisch wird, oder seine Ansprüche nach und nach auf ein realistisches Maß absenkt, dann reibt er sich auf, oder? Wenn der keinen Dienst nach Vorschrift machen und alles etwas langsamer angehen kann, weil nicht nur Akten oder Excel-Tabellen liegen bleiben, sondern Menschen, der gibt jeden Tag wieder neu Vollgas, bis ...«

»... sein Akku leer ist, ganz genau«, ergänzt Hannah die Gedanken ihres Mannes.

»So gesehen trifft Burn-out nicht die Weicheier. Dann ist Burn-out etwas, was Spitzenleute erwischt, die nicht aus ihrem Hamsterrad rauskommen. Sie können es nicht, weil sie ihre Verantwortung für die Patienten oder auch für die Mitarbeiter ernst nehmen, sie wollen es nicht, weil es ihr Charakter, ihr Leistungsanspruch und Perfektionismus nicht erlaubt.«

Hannah nickt.

»Und was war das mit dem Säbelzahntiger?«, fragt ihr Mann nach einem kurzen Moment des Nachdenkens.

Vorsicht Säbelzahntiger

Seine Frau zieht eine Grimasse und zwinkert ihm zu. »Der Tiger ist ein weiteres Bild, mit dem ich meinen Klienten erkläre, was mit ihnen los ist. Burn-out ist ja das Ergebnis von langanhaltendem Stress. Dabei beschreibt Stress ein Phänomen, das genau genommen gar nicht in unsere Gegenwart gehört.«

»Aber alle reden doch davon, und die Krankenkassen zahlen Stressmanagementkurse – das tun sie doch nur, wenn es das Phänomen wirklich gibt?«

»Stress gibt es schon – aber gewissermaßen zu Unrecht. Das ist die biologische Seite, von der ich vorhin sprach. Du kannst dir das verkürzt so vorstellen: Wenn in der Steinzeit ein Säbelzahntiger, ein Bär oder ein Wolf aus dem Gebüsch sprang und auf unsere Vorfahren zu rannte, dann ging es sofort um Leben und Tod. In einer Millisekunde war zu entscheiden: Angreifen oder abhauen? Bin ich stark, ist es ein kleiner Tiger, habe ich meinen besten Knüppel dabei – dann greife ich den Tiger an und habe hinterher einen edlen Pelz­umhang, wenn es gut läuft. Fühle ich mich schwach, ist der Tiger groß, habe ich meinen Knüppel gar nicht mit – dann muss ich abhauen, rauf auf den Baum, blitzschnell, sonst bin ich ­Geschichte.«

Martins Gesicht zeigt ein großes Fragezeichen: »Und?«

Hannah lächelt: »Für beides brauchst du Kraft, sowohl fürs Draufhauen wie fürs Abhauen. Diese Kraft stellt dir dein Körper in Sekundenbruchteilen zur Verfügung, indem er Adrenalin ausschüttet. Das kennst du doch?«

Martin nickt: »Klar.«

»Gut. Adrenalin lässt unter anderem das Herz schneller schlagen. Zugleich wird das Herzvolumen größer. Also wird mehr Blut rascher transportiert. Auch die Atmung beschleunigt sich. Der Körper muss nämlich möglichst viel Sauerstoff von der Lunge zu den Muskeln transportieren – denn die sollen ja total stark sein, zum Kämpfen oder Weglaufen.«

Martin nickt. »Ergibt Sinn.«

Auch Hannah nickt: »Eben. Zugleich wird überall dort Energie eingespart, wo man sie nicht braucht, bei der Verdauung, sogar im Immunsystem. Der ganze Körper stellt sich auf das Ziel ›Die nächsten drei Minuten überleben!‹ ein.«

»Schon klar, aber wo ist der Zusammenhang zu ...?«

»Einen kleinen Moment Geduld noch, mein lieber hocheffizienter Manager!«, lächelt Hannah. »Der Zusammenhang ist gleich da, denn: Eine Führungskraft, ein Arzt, eine Altenpflegerin im Stress, das bedeutet biologisch: Der Körper befindet sich im Alarmzustand, als würde ein riesiger Tiger gerade auf einen zurasen – aber nicht nur drei Minuten, bis das mit dem Tiger geklärt ist, sondern Wochen und Monate. Ständiger Tigeralarm, nur ohne Tiger!«

»Das ist ja grauenhaft!«, stöhnt Martin.

»Richtig. Dazu kommen noch einige Punkte, die das Ganze weiter verschärfen. Zum einen konnte man in der Steinzeit noch klar erkennen, worin die Gefahr besteht, und sich gezielt wehren. In der Gegenwart erkennen die Leute oft nicht, woher denn das scheußliche Gefühl überhaupt kommt. Sie können also nicht einfach gezielt etwas dagegen tun. Und das erzeugt zusätzlich Stress.«

»Brr!«, sagt Martin nur, und Hannah zählt weiter auf: »Zum anderen ist es zwar steinzeitlich gesehen kein Thema, wenn der Körper in diesen Alarmzustand schaltet, weil nach fünf Minuten alles geklärt ist. Aber wenn der Körper über Monate in diesem Zustand bleibt, entwickeln sich eine ganze Menge Folgeschäden. Glaub mir: Du würdest keinen davon haben wollen.«

Dampf denkt nach. »Also wird Achim seit Monaten von einem Tiger verfolgt, er ist permanent auf der Flucht oder am Kämpfen? Dabei kann er gar nicht gewinnen? Der Vorstand ist sozusagen der Tiger?«

»Einerseits ja: der Vorstand ... oder dessen neueste Beschlüsse ... oder einfach Achims Zeitplan, sein Kalender, seine To-do-Liste. Das sind die modernen Tiger.«

»Und andererseits?«, fragt Dampf.

»Andererseits«, lächelt Hannah Dampf, »andererseits überhaupt nicht. Schließlich hat der Tiger immer Lebensgefahr bedeutet, der Vorstand aber nicht.«

»Meistens nicht«, lacht Martin, »ist das nicht eine gute Nachricht?«

»Allerdings«, stimmt seine Frau zu, »denn es befreit aus der Hilflosigkeit. Schließlich liegt es nicht am Chef oder an einer Aufgabenliste, es liegt immer daran, was man daraus macht.«

»Du meinst, wenn Achim seinen Chef anschaut und denkt, ›Du bist ja gar kein Tiger!‹, dann ist er aus der Nummer raus?«

»Im Prinzip ja – der Chef ist ein Auslöser, aber es liegt an Achim, was er daraus macht.«

»Cool«, meint Martin Dampf nach einer Pause. »Dann können wir Achim also retten, vor dem Tiger, vor dem Kalender, und vor sich selbst. Ich werde ihm das gleich morgen ­erzählen.«

»Kannst du machen, aber pass auf, dass du ihn nicht überrennst. Erklärungen sind bekanntlich keine Lösungen, und die Problemlösung bei Stress ist häufig vielschichtig.«

Martin lässt sich nicht bremsen: »Wieso? Ich sage ihm, dass er sich alles nur einbildet, dass der Vorstand kein Säbelzahntiger ist, dass er aber körperlich in großer Gefahr schwebt, wenn er das nicht bald erkennt …«

»Oh ja, das wird ihn alles sofort beruhigen!«, unterbricht ihn Hannah. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir gemeinsam einen Schlachtplan entwickeln.«

Die sieben Säulen des Stressmanagements

Achim Bohn sitzt gemeinsam mit dem Ehepaar Dampf unter dem Sonnenschirm einer Eisdiele. Die Kellnerin hat gerade die Bestellungen entgegengenommen, und Achim schaut die beiden an. »Also, ich finde es ja wirklich toll, dass ihr euch so um mich kümmert«, sagt er verlegen, »aber es ist mir auch ganz schön peinlich.«

»Ach Quatsch!«, wehrt Hannah Dampf ab, während Martin lästert: »Das ist reiner Selbstzweck. Wir sind jetzt bei der Arbeit so gut eingespielt, es würde mich total nerven, wenn du zusammenbrichst und ich mich auf einen anderen Kollegen einstellen müsste.« Hannah stößt ihrem Mann den Ellbogen in die Rippen, aber Bohn lacht und meint: »Man muss dich einfach gernhaben, Martin!«

»Ihr habt euch ja schon im Büro kurz ausgetauscht«, ergreift Hannah rasch das Wort, um ihren Mann an weiteren Sprüchen zu hindern. »Kannst du mir kurz sagen, was du davon mitgenommen hast, und welche konkreten Fragen du dazu noch hast? Dann weiß ich, wo ich anknüpfen kann?«

Bohn überlegt, runzelt die Stirn und antwortet stockend: »Ja ... Martin hat mir erklärt, dass sich mein Körper seit Monaten so benimmt, als würde ich von einem Säbelzahntiger angegriffen ... dass aber unser Chef gar nicht lebensgefährlich sei und ich mich also wieder beruhigen könne ... dann sagte er mir, dass ich wegen dieses Tigers – der gar nicht da ist – seit Wochen und Monaten von Adrenalin geflutet sei und mich deshalb ständig verkriechen oder aber jemandem eine aufs Maul hauen wolle ... und dass das auf keinen Fall gesund wäre und ich bald zusammenbrechen könnte.« Er hält kurz inne, ergänzt dann: »Ach so, und das würde trotzdem nicht bedeuten, dass ich ein Schlappschwanz sei.«

Hannah Dampf wirft ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu. Dieser zuckt die Schultern und zieht eine Grimasse.

Achim fährt fort: »Ich hab’ das zwar nicht ganz verstanden, aber die Sache mit dem Adrenalin und dass ich mich permanent im Angriffs- oder Flucht-Modus befände, das stimmt genau! Es beschreibt präzise, wie ich mich tatsächlich fühle: Nichts wie weg, oder irgendjemand umhauen, oder wenigstens zur Sau machen. Er meinte, du könntest mir das noch genauer erklären und du hättest auch verschiedene Ideen, was ich dagegen unternehmen könnte.«

»Allerdings«, brummt Hannah immer noch verärgert in Richtung Martin. Dann schaut sie zu Bohn.

»Also, Achim, die Kurzfassung lautet wie folgt: Nach allem, was Martin mir erzählt hat, bist du ganz schön im Stress. Vielleicht bist du sogar schon fast am Rand eines Burn-outs – wir gehen einfach mal davon aus, dass es so etwas gibt und dass das nicht nur das Gerede von Schwächlingen ist, okay?«

Bohn nickt, und Hannah fährt fort. »Gut. Stress ist zunächst einmal eine körperliche Reaktion, die uns schützen soll vor einer tödlichen Gefahr – hier kommt der Tiger ins Spiel. Du bist körperlich bereit zu kämpfen oder zu fliehen, dein Körper stellt dafür riesige Kräfte bereit – nur ist keiner da, gegen den du kämpfen oder vor dem du fliehen könntest. Damit bleibt der Körperzustand, der beim Angriff eines wilden Tiers naturgemäß nur kurzzeitig aktiviert ist, über einen sehr langen Zeitraum aktiv – und das ist tatsächlich aus verschiedenen Gründen sehr ungesund.«

»Hannah meinte, das könnte zu Impotenz führen«, grinst Martin und handelt sich prompt den nächsten Schlag in die Rippen ein. »Zu Schlaganfall, Herzinfarkt, Bandscheibenvorfall, Verdauungsstörungen, Immunschwäche, Depression, Alkoholismus – und Impotenz«, beharrt Martin vergnügt und schaut seine Frau an. Diesmal fängt er ihre Faust ab: »Das hast du selbst gesagt!«

Hannah stöhnt und entscheidet dann, sich lieber auf Bohns Reaktion zu konzentrieren als auf die »Feinfühligkeit« ihres Mannes.

»Übertreibt ihr jetzt nicht ein bisschen?«, fragt dieser irritiert. »Ich meine ... ich bin halt gerade im Stress, das stimmt schon ... aber wer ist das nicht? Außerdem bin ich 44 Jahre alt, und diese ganzen Krankheiten – die sind ja, wenn überhaupt, erst mit 55 oder 66 zu erwarten, und bestimmt nicht gleich alle auf einmal?«

Die Kellnerin kommt und stellt einen Latte Macchiato vor Hannah und je einen Cappuccino vor die beiden Männer: »Ecco!«

»Grazie!«

Ab ins Mentale Fitnessstudio

Hannah trinkt genussvoll und nickt nachdenklich. »Ich dachte mir, dass du das so sehen würdest. Stress gehört heute so sehr zu unserem Alltag, dass wir ihn gar nicht mehr bewusst wahrnehmen – und deshalb all die Krankheiten und Probleme leider auch nicht richtig zuordnen. Man hat sie halt, wenn man Pech hat – aber woher sie kommen und dass vieles davon vermeidbar gewesen wäre, wenn man früh ein paar Weichen gestellt hätte, das ist einem nicht klar. Und die Ärzte heutzutage haben so wenig Zeit – wenn man doch mal vor einem sitzt, behandelt der das Symptom, aber geht oft nicht an die Ursachen. Jede der oben genannten Krankheiten kann ja durchaus verschiedene Ursachen haben. Aber wenn man sie erst mal hat, ist es zu spät, etwas zu verändern. Besser wäre es also, schon vorher aktiv zu werden.«

Auf Bohns noch immer skeptischen Blick wechselt sie die Perspektive: »Fakt ist: Derzeit geht es dir nicht gut. Du kannst die Situation bei der Arbeit kaum aushalten, möchtest deinen Job machen und stehst dir dabei, unter anderem, irgendwie selbst im Weg, richtig?« Bohn nickt. »Das allein würde schon genügen, etwas zu unternehmen – auch richtig?« Wieder nickt Bohn. »Und wenn das, was du unternimmst, um dich wieder wohl zu fühlen, langfristig körperliche Probleme von dir fernhält.«

»Wie beispielsweise Impotenz ...«, kommt es von Martin Dampf.

Hannah ignoriert ihn: »... dann schadet das ja nicht gerade.« Bohn nickt wieder, diesmal nachdrücklich. »Prima. Genau deshalb habe ich etwas arrangiert, was du für dich nützen kannst, um aus der Situation herauszukommen. Martin hat mir erzählt, dass du gerne ins Fitnessstudio gehst. Was ich für dich zusammengestellt habe, ist ein Aufbautraining in verschiedenen Stufen. Man könnte sagen, mit verschiedenen Stationen. So wie im Studio, wo du auf dem Laufband etwas für die Kondition tust, auf der Bank etwas für die Oberarme und den Brustkorb, und so weiter. So hast du in meinem Mentalen Fitnessstudio ebenfalls unterschiedliche Geräte beziehungsweise Werkzeuge, die du individuell nützen kannst – je nachdem, welche mentale Stärke du aufbauen möchtest.«

»Mentale Stärke aufbauen klingt nach einem guten Plan«, sagt Achim Bohn nachdenklich. Martin Dampf nickt beeindruckt: »Allerdings – kann ich da auch mitmachen?« Hannah Dampf löffelt Schaum von ihrem Kaffee und lacht: »Jungs sind doch alle gleich!«

Lupe, Hammer, Fernbedienung

»Und was sind das für Stationen?«, fragt Achim Bohn, nachdem er selbst einen Schluck Cappuccino getrunken hat.

»Das lässt sich nicht alles in zehn Minuten erklären. Es ist auch sinnvoll, dass du dich mit jeder Station intensiv ausein­andersetzt. Aber ich gebe dir gerne einen kurzen Überblick, okay?«

Bohn nickt und rührt noch etwas Zucker in seinen Kaffee.

»Ziel der ersten Station ist es, den Status quo zu erfassen und eine Basis zu schaffen: Wir prüfen den Ist-Zustand und vermitteln Grundlagenkenntnisse. Das macht man im Fitnessbereich auch, um das Training individuell auszurichten. Ich nenne das symbolisch ›Die Lupe‹, du wirst hier zunächst einen Selbsttest machen, um den Grad deines aktuellen Stresslevels zu bestimmen. Hier sollten wir außerdem klären, ob Stress schon deshalb harmlos ist, weil fast jeder ihn hat.«

Martin hört Hannah zu, während er an seinem Cappuccino nippt, und hält den rechten Daumen in die Luft: »Will ich auch machen!«

»Prima«, schmunzelt Hannah, »dann teilt ihr euch auch die Hausaufgaben. Das Mentale Fitnessstudio soll ja Stress wegnehmen und keinen machen.«

Dampf zieht ein längliches Gesicht: »Wie jetzt – Hausaufgaben?«

Bohn klopft ihm fröhlich auf die Schultern: »Tja, mitgefangen, mitgehangen.«

Hannah fährt fort: »An der zweiten Station kommen wir zum ersten konkreten Ansatzpunkt des Stressmanagements. Hier geht es gleich darum, die Welt zu verändern – deshalb hat diese Station den bildhaften Namen ›Der Hammer‹ bekommen. Näheres folgt, wenn ihr die Hausaufgaben der ersten Station ordentlich gemacht habt.«

Beide Männer schauen sich verwundert an, dann strahlt Martin: »Chef entführen also!«

»Oder abmurksen«, ergänzt sein Kollege.

Hannah überhört die Sprüche und fragt streng: »Wollt ihr noch die anderen Stationen wissen?«

Beide Männer nicken: »Ja klar!« Nur Achim hängt noch rasch dran: »Aber erst müssen wir noch besprechen, ob die Station nicht besser ›Rauchende Colts‹ heißen sollte!«

Hannah wirft ihm einen strengen Blick zu und räuspert sich: »An dritter Stelle schauen wir uns den wirkungsvollsten Mechanismus von allen an. An dieser Station müsst ihr nämlich Farbe bekennen: Wollt ihr Opfer bleiben oder Täter sein?«

»Wir sind doch keine Opfer – geht’s noch?«, wirft Martin ein.

»Ein Täter bin ich aber auch nicht …«, überlegt Bohn irritiert.

Hannah lächelt. »Nun: Ihr dürft an dieser Station entscheiden, ob ihr in eurem Leben weiterhin Dinge sagen werdet wie ›mein Chef stresst mich‹ oder ob ihr die volle Verantwortung für euch übernehmt. Dort werden wir nämlich überlegen, ob es überhaupt in unserer westlichen Welt etwas gibt, was wirklichen Stress auslösen kann.«

»Aber gerade vorhin hast du doch erst gesagt, es sei klar, dass ich im Stress bin?«, fragt Bohn verwundert.

»Ja, richtig«, stimmt Hannah zu, »und dabei bleibe ich auch. Denn die magische Frage bei Station drei ist, wer dir diesen Stress macht: die Welt da draußen – oder du selbst?«

»Und das ist die gute Nachricht?«, fragt Martin Dampf.

»Ich glaube, ich habe eine Idee«, fällt Achim Bohn ein, »die gute Nachricht daran ist, dass ich das, was ich selbst mache, auch sein lassen könnte, oder?«

Hannah lächelt, hält nun ihrerseits ihren Daumen in die Luft und nickt. »Wenn das eine magische Frage ist, dann heißt die dritte Station vielleicht ›Der Zauberstab‹?«, rätselt Martin.

Seine Frau legt den Kopf schräg: »Ich habe für diese Station bisher noch gar keinen Namen festgelegt, das könnt ihr dann gerne machen. Zauberstab klingt schon mal gut.«

»Schau’n mer mal«, meint Achim, dann schauen die beiden zu Hannah: »Weiter!«, sagt Martin Dampf.

»Station 4 heißt ›Die Fernbedienung‹. Hier lernt ihr verschiedene Techniken, mit denen ihr euch notfalls an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen könnt. Neulich sagte mir ein Klient, dass er mit einer dieser Strategien seinen Hausbau insgesamt ruhig und gelassen bewältigt habe, obwohl Dutzende von Dingen schiefgegangen seien ...«

»Das brauche ich unbedingt!«, rufen beide Geschäftsführer wie aus einem Mund.

»Der Architekt meinte wohl, er habe noch nie zuvor erlebt, dass jemand bei so vielen geplatzten Terminen nicht einmal gebrüllt habe«, ergänzt Hannah noch ihre Geschichte, und beide Männer sind sich einig: »Gekauft!«

Hannah trinkt von ihrem Latte und holt Luft. »Station 5 heißt ›Der Fallschirm‹. Sie wechselt komplett den Ansatz, hier geht es um Folgendes: Wenn man mit den Strategien von Station 2 bis 4 alles im Griff hat, ist es gut. Man hat entweder die Umwelt an sich verändert und den Stressauslöser entfernt, oder man hat seine mentalen Filter optimiert und zu mehr Gelassenheit gefunden. Das klappt oft, aber nicht immer. Daher sollte man ein oder zwei Pfeile mehr im Köcher haben. Der Punkt ist: Während sich zuvor alles entweder auf die Umwelt oder auf den eigenen Geist konzentriert hat, konzentrieren wir uns bei der fünften Station auf ein anderes Zielgebiet: auf den eigenen Körper.«

»Massagen?«, fragen beide Männer, wieder fast gleichzeitig.