Die silbernen Ströme - R.A. Salvatore - E-Book

Die silbernen Ströme E-Book

R.A. Salvatore

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Beschreibung

Einst vertrieb der Drache der Dunkelheit die Zwerge aus Mithril-Halle, dem sagenumwobenen unterirdischen Königreich. Nun beschließt Bruenor Heldenhammer, seine Heimat zurückzuerobern. Der Dunkelelf Drizzt Do‘Urden zögert keine Sekunde, seinem Freund bei diesem tollkühnen Unternehmen beizustehen. Diesmal wagen die Gefährten jedoch zu viel. Denn nicht nur der Drache erwartet sie in den Tiefen. Auch die Vergangenheit holt den Dunkelelfen ein – und seine alten Feinde sind womöglich noch gefährlicher als ein Drache!

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Seitenzahl: 538

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R. A. Salvatore

Die silbernen Ströme

Die Legende von Drizzt

Roman

Aus dem Englischenvon Marita Böhm

Der vorliegende Roman ist bereits bei Blanvalet erschienen unter den Titeln »Die vergessenen Welten 3: Die silbernen Ströme« und »Die vergessenen Welten 4: Das Tal der Dunkelheit«. Der Blanvalet Verlag veröffentlicht mit dieser Ausgabe eine überarbeitete Fassung. Erstmals wurde die amerikanische Originalausgabe für die deutsche Ausgabe nicht in zwei Teile aufgesplittet.

Autor

R. A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman »Der gesprungene Kristall« machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Reihe von Romanen um den Dunkelelfen Drizzt Do’Urden. Die Fans lieben Salvatores Bücher vor allem wegen seiner plastischen Schilderungen von Kampfhandlungen und seiner farbigen Erzählweise.

Informationen über den Autor auch unter: www.rasalvatore.com.

Als Blanvalet Taschenbuch von R. A. Salvatore lieferbar:

Die Dunkelelfen (26754), Die Rache der Dunkelelfen (26755), Der Fluch der Dunkelelfen (26756)Die Legende von Drizzt: 1. Der gesprungene Kristall (26861), 2. Die silbernen Ströme (26862)Die Vergessenen Welten: 1. Der gesprungene Kristall (24549), 2. Die verschlungenen Pfade (24550), 3. Die silbernen Ströme (24551), 4. Das Tal der Dunkelheit (24552), 5. Der magische Stein (24553), 6. Der ewige Traum (24554)

Die Saga vom Dunkelelf: 1. Der dritte Sohn (24562), 2. Im Reich der Spinne (24564), 3. Der Wächter im Dunkel (24565), 4. Im Zeichen des Panthers (24566), 5. In Acht und Bann (24567), 6. Der Hüter des Waldes (24568)

Die Vergessenen Welten, weitere Bände: 1. Das Vermächtnis (24663) [= 7. Band], 2. Nacht ohne Sterne (24664) [= 8. Band], 3. Brüder des Dunkels (24706) [= 9. Band], 4. Die Küste der Schwerter (24741) [= 10. Band], 5. Kristall der Finsternis (24931) [= 11. Band], 6. Schattenzeit (24973) [= 12. Band], 7. Der schwarze Zauber (24168) [= 13. Band], 8. Die Rückkehr der Hoffnung (24227) [= 14. Band], 9. Der Hexenkönig (24402) [= 15. Band], 10. Die Drachen der Blutsteinlande (24458) [= 16. Band]

Die Rückkehr des Dunkelelf: 1. Die Invasion der Orks (24284), 2. Kampf der Kreaturen (24299), 3. Die zwei Schwerter (24369)

Die Legende vom Dunkelelf: 1. Der König der Orks (26580), 2. Der Piratenkönig (26618)Die Drachenwelt-Saga: Der Speer des Kriegers/Der Dolch des Drachen/Die Rückkehr des Drachenjägers. Drei Romane in einem Band! (24314)

Außerdem von R. A. Salvatore:

Star Wars: Episode II. Angriff der Klonkrieger (35761), Das Erbe der Jedi-Ritter 1. Die Abtrünnigen (35414)

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Forgotten Realms, Volume 2: Streams of Silver« bei Wizards of the Coast, Renton, USA. Zur ursprünglichen deutschen Ausgabe siehe Seite 2.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Juli 2012 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.Original title: Forgotten Realms, Volume 2: Streams of Silver © 1992 Wizards of the Coast LLC.FORGOTTEN REALMS, WIZARDS OF THE COAST, and their respective logos are trademarks of Wizards of the Coast LLC in the U.S.A. and other countries. © 2010 Wizards of the Coast LLC. Licensed by Hasbro.Published in the Federal Republic of Germanyby Blanvalet Verlag, MünchenDeutschsprachige Rechte bei der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenUmschlaggestaltung: Isabelle HirtzUmschlagillustration: Todd Lockwood © 2005 Wizards of the Coast LLC HK · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-07547-7V002

www.blanvalet.de

Wie alles andere auch, was ich tue,für meine Frau Dianeund für die wichtigsten Menschenin unserem LebenBryan, Geno und Caitlin

Inhalt

Vorwort

BUCH I: Suche

Ein Dolch im Rücken

Die Stadt der Hochsegel

Nachtleben

Die Beschwörung

Die Felsspitzen

Die Himmelsponys

Dolch und Stab

BUCH II: Verbündete

Tieffliegende Vögel leben gefährlich

Es gibt keine Ehre

Belastungen der Herkunft

Silbrigmond

Das Trollmoor

Die letzte Etappe

Sternenlicht, Sternenglanz

Die Augen des Golem

BUCH III: Frische Spuren

Alte Zeiten

Die Herausforderung

Das Geheimnis vom Tal der Hüter

Schatten

Das Ende eines Traums

Silber im Schatten

Der Drache der Dunkelheit

Der zerbrochene Helm

Nachschrift auf Mithril-Halle

Nachwort

Wir haben uns LöcherUnd geweihte Höhlen geschaufeltUnd legen Goblinfeinde in flache Gräber.Unsere Arbeit hat gerade erst begonnen,In den Minen, wo silberne Ströme fließen.Unter dem Stein glänzt das Metall,Und Fackeln scheinen auf silberne StrömeWeit entfernt von der neugierigen Sonne,In den Minen, wo silberne Ströme fließen.Seit undenklichen ZeitenSchlagen in den MinenDie Zwergenhämmer im Takt auf pures Mithril,Die Arbeit eines Handwerkers ist niemals zu Ende,In den Minen, wo silberne Ströme fließen.Auf die Zwergengötter singen wir uns LobUnd legen den nächsten Ork in ein flaches Grab,Wir wissen, unsere Arbeit hat gerade erst begonnen,In dem Land, wo silberne Ströme fließen.

Vorwort

AN EINEM FINSTEREN Ort saß der Schattendrache auf einem dunklen Thron. Er war nicht sehr groß, aber dafür um so schrecklicher und gefährlicher, wenn nicht der gefährlichste seiner Art: Sein Erscheinen tauchte alles um ihn herum in Finsternis, seine Klauen waren scharf wie Schwerter, und mit ihnen hatte er bereits Tausende und Abertausende getötet. An seinem Rachen klebte stets das warme Blut seiner Opfer, und sein schwarzer Atem brachte Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Nachtdunkel waren seine harten Schuppen. Sie waren so tiefschwarz, dass sie farbenprächtig schimmerten und diesem seelenlosen Ungeheuer zu einer strahlenden Rüstung verhalfen. Seine Günstlinge nannten ihn Trübschimmer und begegneten ihm mit Ehrerbietung.

Trübschimmer, der wie alle Drachen seine Kräfte im Laufe von Jahrhunderten sammelte, hielt die Flügel nach hinten gefaltet und bewegte sich nur, wenn er ein Opfer verschlang oder einen aufsässigen Untergebenen bestrafte. Er hatte das Seine getan, um diesen Ort zu sichern, und die große Zwergenarmee in die Flucht geschlagen, die seinen Verbündeten die Stirn geboten hatte.

Voller Vergnügen dachte er an seinen Sieg zurück! Die Zwerge waren zwar zäh und muskulös, doch das war kein Problem für seine messerscharfen Zähne gewesen.

Und jetzt verrichteten unzählige Sklaven die Arbeit und brachten ihm Nahrung und erfüllten ihm auch sonst jeden Wunsch. Der Tag würde kommen, an dem sie wieder auf seine Kraft angewiesen wären, und dann würde Trübschimmer bereit sein. Der riesige Haufen geplünderter Schätze, der sich unter ihm befand, versorgte ihn mit Kraft und Stärke, und in dieser Hinsicht wurde Trübschimmer von keinem seiner Art übertroffen, denn sein Hort war größer, als sich die reichsten Könige vorzustellen vermochten.

Und er verfügte über ein Heer ergebener Günstlinge – willige Sklaven des Schattendrachen.

* * *

Der eisige Wind, dem Eiswindtal seinen Namen verdankte, pfiff ihnen um die Ohren, und sein unaufhörliches Stöhnen brachte ihre gelegentliche Unterhaltung völlig zum Verstummen. Die vier Freunde marschierten nach Westen über die öde Tundra, und wie immer kam der Wind aus dem Osten, blies ihnen in den Rücken und beschleunigte ihr rasches Tempo noch mehr.

Ihre entschlossene Haltung und ihr zügiger Marsch verrieten den Eifer, mit dem sie sich in dieses neue Abenteuer gestürzt hatten, doch aus ihren Gesichtern war erkennbar, dass sie die Reise mit unterschiedlichen Erwartungen angetreten hatten.

Der Zwerg Bruenor Heldenhammer beugte seinen Oberkörper vor, seine stämmigen Beine setzte er heftig auf, und seine spitze Nase, die aus dem Auf und Ab seines zottigen roten Bartes hervorsah, zeigte den Weg. Abgesehen von seinen Beinen und seinem Bart schien alles an ihm wie aus Stein gemeißelt. In den schwieligen Händen hielt er seine Axt, in die er schon unzählige Kerben geschnitten hatte, seinen Schild mit seinem Wappen, einem überschäumenden Bierkrug, hatte er hinten an seinem überfüllten Tornister festgeschnallt, und seinen Kopf, der mit einem ausgebeulten, gehörnten Helm geschmückt war, drehte er weder nach links noch nach rechts. Nicht einmal seine Augen schweiften vom Weg ab, und ganz selten blinzelte er. Von Bruenor ging der Entschluss zu dieser Reise aus, denn er wollte die uralte Heimat seiner Sippe finden, und auch wenn ihm völlig klar war, dass die silbernen Hallen seiner Kindheit Hunderte von Meilen entfernt waren, stampfte er mit einer Leidenschaft weiter, als sei sein lang ersehntes Ziel bereits deutlich in Sicht.

Wulfgar, der mit federndem Gang neben Bruenor lief, war ebenfalls aufgeregt und gespannt. Mit den großen Schritten seiner langen Beine konnte der große Barbar dem stampfenden Gang des Zwerges leicht folgen. Er drängte voran wie ein feuriges Pferd, das an kurzen Zügeln gehalten wird. In seinen hellen Augen glühte die Abenteuerlust so heftig wie in Bruenors, aber sein Blick war nicht nur geradeaus gerichtet wie bei dem Zwerg. Der junge Mann brach zum ersten Mal in die große, weite Welt auf. Ständig sah er sich um und nahm jeden Ausblick und jeden Eindruck, alles, was die Landschaft zu bieten hatte, gierig in sich auf.

Er war mitgekommen, um seinen Freunden bei ihrem Abenteuer zu helfen, aber auch, weil er seinen eigenen Horizont erweitern wollte. Sein ganzes junges Leben hatte er in der Abgeschiedenheit von Eiswindtal verbracht, und seine Erfahrungen beschränkten sich auf die uralten Traditionen der Barbarenstämme und den Umgang mit den Siedlern von Zehn-Städte.

Wulfgar wusste, dass es außerhalb der engen Grenzen seiner eigenen Welt mehr gab, und er war entschlossen, davon so viel kennenzulernen, wie es ihm möglich war.

Drizzt Do’Urden, der in seinen Umhang gehüllt neben Bruenor schritt, hatte nicht dasselbe Interesse. Sein fließender Gang verriet seine Elfenherkunft, aber die Schatten seiner tief heruntergezogenen Kapuze ließen noch etwas anderes vermuten. Drizzt war ein Dunkelelf, ein schwarzer Elf, ein Angehöriger jener Rasse, die in der lichtlosen Unterwelt zu Hause war. Obwohl er jetzt schon seit vielen Jahren auf der Oberfläche lebte und seine Herkunft hinter sich lassen wollte, musste er immer wieder feststellen, dass er seine angeborene Abneigung gegen die Sonne nicht überwinden konnte.

Und so verbarg er sein Gesicht im Schatten seiner Kapuze. Sein Gang war ungezwungen, ja fast resigniert, denn diese Reise war nur eine Fortsetzung seiner Existenz, ein weiteres Glied in einer lebenslangen Kette von Abenteuern. Drizzt Do’Urden hatte sein Volk in der dunklen Stadt Menzoberranzan verlassen und sich freiwillig für dieses Nomadenleben entschieden. Er wusste, dass er niemals irgendwo wirklich akzeptiert werden würde, denn zu viele Grausamkeiten und Scheußlichkeiten seines Volkes waren bekannt, als dass sie selbst von den tolerantesten Gemeinschaften gebilligt worden wären. Folglich war die Straße sein Zuhause geworden, und er war stets unterwegs, um erst gar nicht die immer wieder schmerzhafte Erfahrung machen zu müssen, eines Ortes verwiesen zu werden, an dem er sich vielleicht wohl fühlte.

Auch Zehn-Städte war für ihn nur eine vorübergehende Zuflucht gewesen. Die abgelegene Siedlung in der Wildnis beherbergte eine große Zahl von Ehrlosen und Ausgestoßenen, und wenn Drizzt dort auch nicht gerade erwünscht gewesen war, so hatte er bei vielen Siedlern mit seinem schwerverdienten Ruf als Wächter der Stadtgrenzen zumindest einen geringen Grad an Respekt und Toleranz erlangt. Aber in Bruenor hatte er einen wahren Freund gefunden, und daher hatte sich Drizzt bereitwillig dieser Reise angeschlossen, obwohl er fürchten musste, dass man ihn nicht einmal mehr mit kühler Höflichkeit behandeln würde, sobald er den Einflussbereich seines guten Rufs verlassen würde.

Hin und wieder blieb Drizzt einige Meter zurück, um nach dem vierten Mitglied ihrer Gruppe zu sehen. Japsend und keuchend bildete Regis, der Halbling, unfreiwillig die Nachhut. Sein Bauch war für das Marschieren zu dick, und seine Beine waren zu kurz, als dass er mit den stampfenden Schritten des Zwerges mithalten konnte. Regis, der jetzt für die Monate des Luxus, in denen er in seinem palastartigen Haus in Bryn Shander geschwelgt hatte, bitter bezahlen musste, verfluchte die Wende in seinem Glück, die ihn auf die Straße gezwungen hatte. Seine große Liebe galt einem behaglichen Leben, und in seinem Bemühen, die Kunst des Essens und des Schlafens zu perfektionieren, stand er einem jungen Burschen in nichts nach, der voller Träume von Heldentaten sein erstes Schwert schwingt. Seine Freunde waren wirklich überrascht gewesen, als er sie auf der Straße eingeholt hatte, aber trotzdem glücklich, dass er sie begleitete. Sogar Bruenor, der so begierig war, seine uralte Heimat wiederzusehen, nahm Rücksicht auf Regis’ Langsamkeit und passte sein Tempo ein wenig an.

Mit Sicherheit trieb sich Regis selbst bis an die Grenzen seines körperlichen Leistungsvermögens an und beklagte sich nicht einmal, wie es sonst typisch für ihn war. Doch im Unterschied zu seinen Gefährten, die ihre Augen stets nach vorn auf die Straße gerichtet hatten, sah er ständig über die Schulter nach hinten, zurück nach Zehn-Städte und voller Gedanken an das Haus, das er seltsamerweise aufgegeben hatte, um sich ihnen anzuschließen.

Drizzt bemerkte dies voller Sorge.

Regis lief vor etwas davon.

Die Gefährten schlugen sich mehrere Tage immer weiter nach Westen durch. Südlich von ihnen verliefen parallel zu ihrem Weg die schneebedeckten, zerklüfteten Gipfel des Grats der Welt. Diese Bergkette markierte die südliche Grenze von Eiswindtal, und die Gefährten hatten ein wachsames Auge darauf, wo sie endete. Denn sobald ihre westlichsten Gipfel dem flachen Land wichen, würden sie nach Süden den Pass zwischen dem Gebirge und dem Wasser überqueren. Dieser Pass erstreckte sich die letzten hundert Meilen hin bis zu der Hafenstadt Luskan.

Jeden Morgen, noch bevor die Sonne hinter ihrem Rücken aufging, waren sie auf den Beinen und marschierten so lange, bis die letzten rötlichen Strahlen des Sonnenuntergangs verschwunden waren. Erst dann hielten sie an und nutzten die allerletzte Gelegenheit, ein Lager zu errichten, bevor der eisige Nachtwind sich erhob.

Noch vor der Morgendämmerung waren sie wieder unterwegs, und ein jeder marschierte in der Einsamkeit seiner Erwartungen und Ängste weiter.

Eine stille Reise, wenn man von dem unentwegten Gemurmel des Ostwindes absah.

BUCH I

Suche

Ein Dolch im Rücken

ER HATTE SEINEN Umhang eng um sich gezogen, obwohl ohnehin nur wenig Licht durch die Vorhänge am Fenster sickerte, denn das war sein Leben – verschwiegen und einsam. Das Leben eines Meuchelmörders.

Während andere sich am Sonnenschein erfreuten und ihr Leben in aller Offenheit und einsehbar für alle Nachbarn führten, hielt sich Artemis Entreri im Schatten auf und heftete seine großen Augen auf den schmalen Pfad, den er nehmen musste, um seinen Auftrag zu erledigen.

Er war wirklich ein Mann vom Fach, möglicherweise in den gesamten Welten der Beste in diesem finsteren Gewerbe, und sobald er sein Opfer aufgespürt hatte, gab es für dieses kein Entrinnen mehr. Folglich war er auch nicht beunruhigt, als er das Haus in Bryn Shander, der Hauptstadt der zehn Siedlungen in der Einöde des Eiswindtals, leer vorfand. Entreri hatte damit gerechnet, dass sich der Halbling aus Zehn-Städte davonschleichen würde. Aber es spielte keine Rolle. Falls es sich wirklich um denselben Halbling handelte, den er den ganzen Weg von der Stadt Calimhafen, die mehr als tausend Meilen entfernt im Süden lag, verfolgt hatte, dann war er besser vorangekommen, als er zu hoffen gewagt hatte. Sein Opfer hatte bestenfalls einen zweiwöchigen Vorsprung und hatte außerdem eine frische Spur hinter sich gelassen.

Entreri bewegte sich ruhig und lautlos durch das Haus und suchte Hinweise darauf, was für ein Leben der Halbling gespielt hatte, um besser für ihre unvermeidliche Begegnung gewappnet zu sein. In allen Räumen fand er Unordnung vor – wahrscheinlich hatte der Halbling erfahren, dass er ihm so dicht auf den Fersen war, und war in aller Eile aufgebrochen. Entreri hielt das für ein gutes Zeichen, eine weitere Bestätigung seiner Vermutung, dass es derselbe Halbling mit dem Namen Regis war, der vor Jahren dem Pascha Pook in der fernen Stadt im Süden gedient hatte.

Bei dem Gedanken, dass der Halbling von seiner Verfolgung wusste, lächelte der Meuchelmörder böse. Dadurch wurde die Herausforderung dieser Jagd größer, und Entreri musste seine Geschicklichkeit in der Pirsch gegen die Fähigkeiten eines Opfers, sich zu verstecken, ausspielen. Aber er wusste, dass der Ausgang abzusehen war, denn eine Person voller Angst beging in der Regel einen verhängnisvollen Fehler.

Im Schlafzimmer wurde der Meuchelmörder in einer Schreibtischschublade fündig. Bei seiner panischen Flucht hatte Regis einige Vorsichtsmaßnahmen außer Acht gelassen, die seine wahre Identität bisher immer verborgen hatten. Entreri hielt den kleinen Ring in der Hand und studierte mit glänzenden Augen die Inschrift, die Regis eindeutig als Mitglied von Pascha Pooks Diebesgilde in Calimhafen zu erkennen gab. Entreri schloss die Hand um das Siegel, und ein böses Lächeln breitete sich über sein ganzes Gesicht aus.

»Habe ich dich endlich gefunden, du kleiner Dieb«, sagte er lachend in den leeren Raum hinein. »Dein Schicksal ist besiegelt! Für dich gibt es kein Entrinnen!«

Doch plötzlich nahm sein Gesicht einen wachsamen Ausdruck an, als das Geräusch eines Schlüssels in der Vordertür des palastartigen Hauses durch das große Treppenhaus nach oben drang. Er verstaute den Ring in seiner Gürteltasche und glitt lautlos wie der Tod in den Schatten der obersten Pfosten des schweren Treppengeländers.

Die großen Doppeltüren wurden aufgestoßen, und ein Mann und eine junge Frau, gefolgt von zwei Zwergen, traten ein. Den Mann kannte Entreri; es war Cassius, der Sprecher von Bryn Shander. Früher war es sein Haus gewesen, aber wegen der Heldentaten des Halblings in der Schlacht gegen den bösen Zauberer Akar Kessell und seine Goblinuntertanen hatte er es dem Halbling vor einigen Monaten überlassen.

Entreri hatte die Frau zwar schon vorher einmal gesehen, aber ihre Verbindung zu Regis war ihm neu. Schöne Frauen waren in dieser entlegenen Gegend eine Seltenheit, und diese junge Frau war wirklich außergewöhnlich. Glänzende kastanienbraune Locken fielen ihr über die Schultern, und das eindringliche Funkeln ihrer dunkelblauen Augen reichte aus, um jeden Mann rettungslos in ihre Tiefen zu ziehen.

Der Meuchelmörder hatte gehört, dass sie Catti-brie hieß und bei den Zwergen in ihrem Tal nördlich der Stadt lebte. Sie war besonders Bruenor, dem Anführer der Zwergensippe, verbunden, der sie zwölf Jahre zuvor als Pflegekind aufgenommen hatte, als sie nach einem Goblinüberfall Waise geworden war.

Das könnte ja eine interessante Begegnung werden, überlegte Entreri. Oben am Treppengeländer spitzte er die Ohren und verfolgte die Unterhaltung in der Eingangshalle.

»Er ist doch erst seit einer Woche weg!«, wandte Catti-brie ein.

»Eine Woche, ohne ein Wort zu sagen«, keifte Cassius, der offensichtlich wütend war. »Und mein wunderbares Haus steht leer und unbewacht da. Die Haustür war nicht einmal verschlossen, als ich vor einigen Tagen zufällig vorbeikam.«

»Du hast Regis das Haus doch geschenkt«, erinnerte ihn Catti-brie.

»Geliehen!«, brüllte Cassius, obwohl das Haus wirklich ein Geschenk gewesen war. Der Sprecher hatte es allerdings schnell bedauert, Regis den Schlüssel zu diesem Palast, dem prächtigsten Gebäude nördlich von Mirabar, übergeben zu haben. Rückblickend begründete Cassius seine Geste damit, dass ihn die Begeisterung über ihren grandiosen Sieg über die Goblins übermannt hatte, und er argwöhnte, dass Regis mittels der bekannten hypnotischen Kräfte des Rubinanhängers noch ein wenig nachgeholfen hatte.

Wie andere auch, die von dieser Überzeugungskraft des Halblings betrogen worden waren, sah Cassius inzwischen die Dinge aus einem ganz anderen Blickwinkel, einem Blickwinkel, bei dem Regis sehr ungünstig davonkam.

»Es ist ja egal, wie man es nennt«, räumte Catti-brie ein, »trotzdem solltest du in deiner Meinung, Regis habe das Haus einfach aufgegeben, nicht so voreilig sein.«

Das Gesicht des Sprechers lief vor Wut rot an. »Heute kommt alles raus!«, verlangte er. »Du hast meine Liste. Alle Habseligkeiten von diesem Halbling sollen aus meinem Haus entfernt werden! Wenn ich morgen zurückkomme, wird alles, was ich hier noch finde, nach dem Besitzerrecht mir gehören! Und ich warne dich, ich werde eine hohe Entschädigung verlangen, falls etwas von meinem Eigentum fehlt oder beschädigt ist!« Er drehte sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Haus.

»Der ist aber ganz schön sauer!«, kicherte Fender Mallot, einer der Zwerge. »So extrem wie bei Regis habe ich bisher noch nie erlebt, dass Freundschaften derart von heißer Liebe in tödlichen Hass umschlagen!«

Catti-brie nickte zustimmend zu Fenders Feststellung. Sie wusste, dass Regis gerne mit seinem magischen Amulett spielte, und konnte sich gut vorstellen, dass die Widersprüchlichkeit seiner Beziehungen zu seinen Mitmenschen das unglückselige Ergebnis seiner Pfuschereien waren.

»Glaubst du, dass er mit Drizzt und Bruenor verschwunden ist?«, fragte Fender. Oben am Geländer beugte sich Entreri aufgeregt vor.

»Das wäre möglich«, antwortete Catti-brie. »Den ganzen Winter lang haben sie auf ihn eingeredet, er solle sich ihrer Suche nach Mithril-Halle anschließen, und dass Wulfgar mitgegangen ist, hat zweifellos den Druck verstärkt.«

»Dann ist der Kleine auf dem Weg nach Luskan oder will noch weiter«, überlegte Fender. »Und Cassius ist im Recht, wenn er sein Haus zurückverlangt.«

»Also lasst uns mit dem Packen anfangen«, schlug Catti-brie vor. »Cassius besitzt so viel, dass er sich nicht auch noch an Regis’ Habseligkeiten bereichern muss.«

Entreri lehnte sich gegen das Geländer. Der Name Mithril-Halle war ihm unbekannt, aber den Weg nach Luskan kannte er sehr gut. Er grinste wieder und fragte sich, ob er sie wohl noch einholen könnte, bevor sie die Hafenstadt erreicht hatten.

Doch hier konnte er vielleicht noch wertvolle Informationen erhalten. Catti-brie und die Zwerge hatten sich an die Arbeit gemacht und suchten die Sachen des Halblings zusammen. Während sie sich von einem Zimmer ins nächste bewegten, war Artemis Entreris schwarzer Schatten, lautlos wie der Tod, stets in ihrer Nähe. Sie bemerkten seine Anwesenheit allerdings nicht und hätten niemals Argwohn geschöpft, dass sich die Vorhänge nicht nur vom Wind bewegten, der durch die Ritzen an den Fenstern hereinwehte, oder dass ein Schatten hinter einem Stuhl unverhältnismäßig lang war.

Es gelang ihm, immer so dicht bei ihnen zu sein, dass er fast ihre ganze Unterhaltung mitbekam, und die ganze Zeit über sprachen Catti-brie und die Zwerge eigentlich nur von den vier Abenteurern und ihrer Reise nach Mithril-Halle. Obwohl er sich so bemühte, erfuhr Entreri recht wenig. Er hatte bereits von den berühmten Gefährten des Halblings gehört – in ganz Zehn-Städte sprach man von ihnen: von Drizzt Do’Urden, dem abtrünnigen Dunkelelfen, der sein Volk im Erdinneren der Welten verlassen hatte und jetzt als einsamer Wächter an den Grenzen von Zehn-Städte umherstreifte, um die Bewohner vor den Gefahren des wilden Eiswindtals zu beschützen; von Bruenor Heldenhammer, dem gewalttätigen Anführer jener Zwergensippe, die in einem Tal in der Nähe von Kelvins Steinhügel lebte, und am meisten von Wulfgar, dem mächtigen Barbaren, der in seiner Jugend von Bruenor gefangen genommen und bis ins Erwachsenenalter bei ihm geblieben war, der mit den wilden Stämmen des Tals zurückgekehrt war und der, nachdem er Zehn-Städte im Kampf gegen die Goblinarmee unterstützt hatte, schließlich einen Burgfrieden zwischen allen Völkern von Eiswindtal gestiftet hatte. Ein Handel, der das Leben aller Beteiligten gerettet hatte und ihnen eine bessere Zukunft versprach.

»Es scheint, dass du dich mit gefährlichen Verbündeten umgeben hast, Halbling«, überlegte Entreri, der sich an einen hohen Stuhl lehnte, als Catti-brie und die Zwerge in das Nebenzimmer gingen. »Sie werden dir jedoch wenig nützen. Du gehörst mir!«

Catti-brie und die Zwerge waren fast eine Stunde beschäftigt und packten zwei große Säcke voll, hauptsächlich mit Kleidungsstücken. Catti-brie war über die Sammlung erstaunt, die Regis seit seinen berühmten Heldentaten gegen Kessell und die Goblins erworben hatte – es waren überwiegend Geschenke dankbarer Bürger. Da sie die Vorliebe des Halblings für Luxus sehr gut kannte, verstand sie immer weniger, was ihn veranlasst haben konnte, davonzulaufen und sich den anderen bei ihrem Abenteuer anzuschließen. Was sie aber am meisten in Erstaunen versetzte, war die Tatsache, dass Regis keine Träger angeheuert hatte, um zumindest einen Teil seiner Habseligkeiten wegzuschaffen. Und je mehr Schätze sie entdeckte, während sie durch das Haus ging, umso beunruhigender fand sie dieses ganze Bild, das große Hast verriet. Es passte überhaupt nicht zu Regis. Es musste noch einen weiteren Grund geben, einen Grund, den sie noch nicht berücksichtigt hatte.

»Also, wir haben mehr, als wir tragen können, und außerdem ist das Meiste eingepackt!«, verkündete Fender, der sich einen Sack auf die kräftige Schulter hob. »Ich würde sagen, wir lassen Cassius den Rest zum Aussortieren!«

»Ich gönne Cassius nicht die Freude, auch nur ein Stück für sich zu beanspruchen«, gab Catti-brie zurück. »Vielleicht sind hier noch weitere wertvolle Gegenstände. Ihr zwei schafft die Säcke in unsere Zimmer im Wirtshaus. Ich werde hier oben die Arbeit zu Ende führen.«

»Ach, du willst wohl Cassius schonen«, murmelte Fender. »Bruenor hat ihn zu Recht als einen Mann bezeichnet, der zu viel Vergnügen darin findet, seine Reichtümer zu zählen!«

»Sei gerecht, Fender Mallot«, rügte ihn Catti-brie, aber ihr zustimmendes Lächeln strafte ihren barschen Ton Lügen. »Cassius hat den Städten im Krieg gut gedient und ist den Bewohnern von Bryn Shander ein guter Führer. Du weißt genauso gut wie ich, dass Regis ein Talent hat, Ärger heraufzubeschwören!«

Fender kicherte zustimmend. »Der Kleine bekommt zwar immer das, was er möchte, aber dafür lässt er stets einen Haufen Ärger zurück!« Er klopfte dem anderen Zwerg auf die Schulter, und sie steuerten auf die Haustür zu.

»Verspäte dich bloß nicht, Mädchen!«, rief Fender Catti-brie zu. »Wir müssen zu den Minen zurück. Morgen, und keinen Tag später!«

»Du machst dir zu viel Sorgen, Fender Mallot!«, sagte Catti-brie und lachte.

Entreri dachte über die letzten Bemerkungen nach, und wieder glitt ein breites Lächeln über sein Gesicht. Er kannte die Wirkung von magischen Amuletten nur zu gut. Mit dem »Haufen Ärger« hatte Fender sehr gut auch jene Leute beschrieben, die Pascha Pook in Calimhafen betrogen hatte. Leute, die mit dem Rubinanhänger verzaubert worden waren.

Die Doppeltüren wurden mit einem Knall zugeschlagen. Catti-brie war allein in dem großen Haus – zumindest glaubte sie das.

Sie grübelte noch immer über Regis’ merkwürdiges Verschwinden nach. Ihr Verdacht, dass etwas nicht stimmte, und dass ihr ein Puzzleteil fehlte, begann sich zu vertiefen, und gleichzeitig wuchs in ihr der Eindruck, dass auch in diesem Haus etwas nicht in Ordnung war.

Catti-brie nahm auf einmal jedes Geräusch und jeden Schatten um sich herum deutlich wahr: das Ticken der Pendeluhr, das Rascheln von Papier auf dem Schreibtisch vor dem offenen Fenster und das Wehen der Vorhänge, das Trippeln einer Maus in den Hohlräumen der Holzwände.

Ihre Augen huschten zurück zu den Vorhängen, die von ihrer letzten Bewegung noch leicht zitterten. Es konnte ein Luftzug durch einen Spalt im Fenster gewesen sein, aber sie hatte einen anderen Verdacht. Automatisch bückte sie sich, griff nach dem Dolch an ihrer Hüfte und bewegte sich zu der offenen Tür hin, die nur wenige Meter von den Vorhängen entfernt war.

Entreri hatte schnell einen Entschluss gefasst. In der Annahme, er werde von Catti-brie noch mehr erfahren können, war er entschlossen, sich die Gelegenheit, die sich aus dem Verschwinden der Zwerge ergeben hatte, nicht entgehen zu lassen. Er hatte bereits die günstigste Angriffsposition eingenommen und wartete jetzt geduldig oben auf der offenen Tür. Sein Gleichgewicht hielt er dabei so mühelos wie eine Katze auf einem Fensterbrett. Er horchte, ob Catti-brie kam, während er in einer Hand lässig seinen Dolch drehte.

Als Catti-brie die Türschwelle erreicht hatte, spürte sie die Gefahr, und dann sah sie auch schon die schwarze Gestalt, die sich neben ihr zu Boden fallen ließ. Aber so schnell sie auch reagieren konnte, steckte ihr Dolch noch halb in seiner Scheide, als sich die dünnen Finger einer kalten Hand wie eine Klammer auf ihren Mund legten und einen Schrei erstickten, während die scharfe Klinge eines juwelenbesetzten Dolches eine dünne Linie über die Haut an ihrer Kehle zog.

Sie war vor Entsetzen wie gelähmt. Sie hatte nicht gewusst, dass sich ein Mann so schnell bewegen konnte, und die Treffsicherheit seines Angriffs entmutigte sie. Eine plötzliche Anspannung in seinen Muskeln gab ihr zu verstehen, dass sie tot sein würde, bevor sie dazu käme, ihre Waffe zu ziehen und zu benutzen. Sie ließ ihren Dolch los und unternahm keine weiteren Versuche, sich zu wehren.

Auch seine Kraft, als er sie mühelos zu einem Stuhl trug, versetzte sie in Erstaunen. Er war klein, kaum größer als sie selbst, und schlank wie ein Elf, aber jeder Muskel seines gedrungenen Körpers war aufs Äußerste durchtrainiert. Schon allein seine Gegenwart strahlte Stärke und ein unerschütterliches Selbstvertrauen aus. Auch dies entmutigte Catti-brie, denn es war nicht die draufgängerische Großspurigkeit eines überheblichen Jugendlichen, sondern die Ausstrahlung der kaltblütigen Überlegenheit eines erfahrenen Kämpfers, der mehr als tausend Gegnern begegnet und niemals geschlagen worden war.

Catti-bries Augen blieben auf Entreris Gesicht geheftet, als er sie flink auf dem Stuhl fesselte. Seine knochigen Gesichtszüge, seine markanten Wangenknochen und sein voller Mund wurden durch den glatten Schnitt seiner rabenschwarzen Haare nur noch betont. Der Schatten eines Bartes, der sein Gesicht verdunkelte, erweckte den Anschein, als könne er durch keine Rasur jemals aufgehellt werden. Dennoch wirkte er alles andere als nachlässig, sondern machte den Eindruck völliger Selbstbeherrschung. Catti-brie hätte ihn vielleicht sogar für gutaussehend gehalten, wenn nicht seine Augen gewesen wären.

In diesen grauen Augen lag kein Glanz. Sie waren leblos und ohne jede Spur von Mitgefühl oder Menschlichkeit und verrieten, dass dieser Mann ein Instrument des Todes war.

»Was willst du von mir?«, fragte Catti-brie, wobei sie ihren ganzen Mut zusammennahm.

Entreri antwortete ihr mit einem schmerzhaften Schlag ins Gesicht. »Was ist mit dem Rubinanhänger?«, fragte er plötzlich. »Trägt der Halbling immer noch den Rubinanhänger?«

Catti-brie kämpfte gegen die Tränen an, die ihr in die Augen schossen. Sie war völlig verwirrt und nicht in der Lage, die Frage des Mannes sofort zu beantworten.

Der juwelenbesetzte Dolch blitzte vor ihren Augen auf und zog Kreise um ihr Gesicht.

»Ich habe nicht viel Zeit«, erklärte Entreri einfach. »Du wirst mir jetzt sagen, was ich wissen muss. Je länger du für deine Antworten brauchst, desto schmerzhafter wird es für dich sein.«

Seine Worte kamen ruhig. Es war klar, dass er nicht zögern würde, seine Drohung wahrzumachen.

Obwohl Catti-brie unter Bruenors Anleitung abgehärtet worden war, kam sie sich plötzlich klein und hilflos vor. Sie hatte gegen Goblins und einmal sogar gegen einen entsetzlichen Troll gekämpft und gesiegt, aber dieser unheimlich ruhige Killer jagte ihr Angst ein. Sie versuchte zu antworten, aber ihre Kiefer zitterten so heftig, dass sie keine Worte hervorbringen konnte.

Der Dolch blitzte wieder auf.

»Regis trägt ihn!«, schrie Catti-brie, und über jede Wange lief ihr eine Träne.

Entreri nickte und lächelte leicht. »Er ist also mit dem Dunkelelfen, dem Zwerg und dem Barbaren zusammen«, sagte er sachlich. »Und sie sind auf dem Weg nach Luskan. Und von dort wollen sie zu einem Ort namens Mithril-Halle. Erzähl mir von Mithril-Halle, mein liebes Mädchen.« Er fuhr sich mit der scharfen Klinge über eine Wange und schnitt ein kleines Stück von seinem Bart ab. »Wo liegt dieser Ort?«

Catti-brie wurde klar, dass es wohl ihr Ende bedeutete, dass sie diese Frage gar nicht beantworten konnte. »Ich … ich weiß es nicht«, stammelte sie mutig und gewann etwas von der Disziplin zurück, die Bruenor sie gelehrt hatte. Dabei wandten sich ihre Augen niemals von der glänzenden Klinge.

»Wie schade«, spottete Entreri. »So ein hübsches Gesicht …«

»Bitte«, flehte Catti-brie und versuchte angesichts des Dolches, der auf sie zukam, so ruhig wie möglich zu bleiben. »Niemand weiß es! Nicht einmal Bruenor! Das ist ja gerade das Abenteuerliche an ihrem Vorhaben: Sie wollen es finden.«

Die Klinge hielt abrupt inne. Entreri neigte den Kopf zur Seite, seine Augen verengten sich, und seine Muskeln strafften sich voller Wachsamkeit.

Catti-brie hatte zwar das Geräusch nicht gehört, als der Türgriff bewegt worden war, aber Fender Mallots tiefe Stimme hallte gleich darauf durch den Korridor und erklärte das Verhalten des unheimlichen Fremden.

»Hey, wo bist du, Mädchen?«

Catti-brie wollte: »Lauft weg!«, schreien, auch wenn es sie das Leben gekostet hätte, aber Entreris schnelle Hand hinderte sie daran, und so brachte sie lediglich ein unverständliches Gurgeln heraus.

Ihr Kopf fiel zur Seite, und sie konnte nur noch den Blick auf die Tür richten, durch die Fender und Grollo mit geschwungenen Streitäxten in das Zimmer stürzten. Entreri hatte sich bereits auf einen Kampf eingestellt. In einer Hand hielt er den juwelenbesetzten Dolch und in der anderen einen Säbel.

Einen Augenblick wurde Catti-brie von Hochstimmung erfüllt. Die Zwerge von Zehn-Städte waren unerbittliche und zähe Krieger, und in der Sippe stand Fender mit seinem Kampfgeschick direkt an zweiter Stelle hinter Bruenor.

Doch dann fiel ihr wieder ein, wer ihr Gegner war, und trotz ihrer offensichtlichen Überzahl wurde ihre Hoffnung gleich wieder von einer Welle unbestreitbarer Gegenargumente zunichtegemacht. Sie hatte ja selbst die blitzschnellen Bewegungen des Meuchelmörders und die Treffsicherheit seiner Hiebe erlebt.

Entsetzen stieg ihr in der Kehle auf, und sie konnte den Zwergen nicht einmal zuflüstern, sie sollten zu fliehen versuchen.

Doch selbst wenn Fender und Grollo das Ausmaß der Bedrohung gekannt hätten, das von diesem Mann ausging, wären sie nicht gegangen. Wut lässt jeden zwergischen Kämpfer jegliche Rücksicht auf die eigene Sicherheit vergessen, und als die zwei ihre geliebte Catti-brie auf dem Stuhl gefesselt sahen, fielen sie über Entreri her, ohne lange nachzudenken.

Angespornt durch ihren ungezügelten Zorn, griffen sie ihn mit wilder Entschlossenheit an. Entreri dagegen begann langsam, suchte erst einmal seinen Rhythmus und baute mit fließenden Bewegungen seinen Schwung auf. Zuweilen schien er kaum in der Lage zu sein, den heftigen Hieben auszuweichen oder sie abzuwehren. Einige davon verfehlten ihr Ziel nur um Millimeter, was Fender und Grollo nur noch mehr anspornte.

Obwohl ihre Freunde so energisch angriffen, erkannte Catti-brie bald, dass sie in Schwierigkeiten waren. Entreris Hände schienen sich abzusprechen, so vollkommen führten sie ihre Bewegungen mit dem juwelenbesetzten Dolch und dem Säbel aus. Und gleichzeitig hielten seine genau abgewogenen Schritte ihn während des ganzen Kampfes in völligem Gleichgewicht. Seine Bewegungen, die Art, wie er auswich, abwehrte und zurückschlug, waren wie ein Tanz.

Er führte einen Totentanz auf.

Catti-brie hatte so etwas schon einmal gesehen, die Täuschungen und Finten des besten Schwertkämpfers von ganz Eiswindtal. Der Vergleich mit Drizzt Do’Urden drängte sich ihr auf; sie waren sich so ähnlich in ihren anmutigen Bewegungen, bei denen alle Gliedmaßen harmonisch aufeinander abgestimmt waren.

Aber trotzdem gab es einen auffallenden Gegensatz zwischen ihnen; es war der Unterschied in ihren moralischen Einstellungen, der auch die Wirkung des Tanzes veränderte.

Der Dunkelelf war im Kampf ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Schönheit, ein vollendeter Athlet, der den selbstgewählten Weg der Rechtschaffenheit mit unübertroffener Leidenschaft und Heftigkeit verfolgte. Dagegen war Entreri einfach nur Furcht einflößend, ein kaltblütiger Mörder, der Hindernisse gefühllos aus dem Weg räumte.

Fender und Grollo begannen an Schwung zu verlieren, und sie sahen verwundert, dass der Boden noch nicht vom Blut ihres Gegners rot gefärbt war. Aber im selben Maße, wie ihr Angriff langsamer wurde, baute sich Entreris Schwung unentwegt auf. Seine Klingen waren nur noch als nebelhafte Schatten erkennbar, und jedem Hieb folgten blitzschnell zwei weitere, was die Zwerge in völlige Verblüffung versetzte.

Leicht waren seine Bewegungen, unerschöpflich war seine Energie.

Fender und Grollo mussten jetzt um ihr Leben kämpfen, aber trotz all ihrer Bemühungen, sich zu verteidigen, wussten auf einmal alle im Raum, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis eine der mörderischen Klingen ihr Ziel erreichen würde.

Den tödlichen Hieb selbst hatte Catti-brie nicht mitbekommen, aber sie sah deutlich die leuchtende Blutspur an Grollos Kehle. Der Zwerg kämpfte noch einige Augenblicke weiter und schien den Grund für seine Atemlosigkeit nicht zu verstehen. Dann fiel er überrascht auf die Knie und umklammerte seine Kehle. Gleich darauf wurde er von der Schwärze des Todes überwältigt.

Der Zorn ließ Fender seine Erschöpfung vergessen und spornte ihn erneut an. Er hackte mit seiner Axt wild um sich und schrie nach Rache.

Entreri spielte mit ihm. Dass der Kampf zur Farce geworden war, wurde vollends sichtbar, als er den Zwerg am Kopf mit der flachen Seite des Säbels traf.

Außer sich vor Wut, beleidigt und sich seiner Unterlegenheit bewusst, setzte Fender zu einem endgültigen, selbstmörderischen Angriff an. Vielleicht hoffte er auch, dabei schließlich doch noch den Meuchelmörder zu erledigen.

Mit einem belustigten Lachen trat Entreri zur Seite, als sein Gegner verzweifelt auf ihn losstürmte, und beendete den Kampf. Er stieß Fender den juwelenbesetzten Dolch tief in die Brust, und als der Zwerg wankte, hieb er noch mit seinem Säbel auf ihn ein.

Zu entsetzt, um weinen oder schreien zu können, beobachtete Catti-brie fassungslos, wie Entreri den Dolch aus Fenders Brust herauszog. Als die Waffe auf sie zukam, schloss sie angesichts ihres bevorstehenden Todes die Augen. Schaudernd spürte sie das Metall an ihrer Kehle.

Doch dann merkte sie, dass die Klinge nur neckend an ihrer weichen, verwundbaren Haut schabte, als Entreri die Waffe langsam in seiner Hand drehte.

Welche Qual! Die Verheißung, der Tanz des Todes.

Dann war die Waffe verschwunden. Catti-brie öffnete die Augen und sah, dass der Meuchelmörder sie an seiner Hüfte verstaute. Er war einen Schritt zurückgetreten.

»Verstehst du«, erklärte er ihr seine Gnade, »ich töte nur jene, die mir entgegentreten. Vielleicht werden auch deine drei Freunde auf dem Weg nach Luskan meiner Klinge entkommen. Ich bin nur an dem Halbling interessiert.«

Catti-brie weigerte sich, dem lähmenden Entsetzen nachzugeben, das in ihr hochstieg. Sie hielt ihre Stimme ruhig und entgegnete kalt: »Du unterschätzt sie. Sie werden gegen dich kämpfen.«

Gelassen und voller Zuversicht erwiderte Entreri: »Dann werden auch sie sterben.«

Catti-brie war diesem eiskalten Killer in Selbstbeherrschung unterlegen und hätte gegen ihn nie gewinnen können. Die einzige Antwort, die sie ihm geben konnte, war ihr Trotz. Sie spuckte ihn an, ohne Angst vor den Folgen zu haben.

Er rächte sich an ihr mit einem schmerzhaften Schlag ins Gesicht. Vor Schmerz und aufsteigenden Tränen verschwamm ihr Blick, und sie versank in Dunkelheit. Aber bevor sie bewusstlos wurde, hörte sie noch einige Sekunden das grausame, leidenschaftslose Lachen des Meuchelmörders verhallen, als er das Haus verließ.

Welche Qual! Die Verheißung des Todes.

Die Stadt der Hochsegel

»NA, BURSCHE, DA ist sie, die Stadt der Hochsegel«, sagte Bruenor zu Wulfgar, als sie von einem kleinen Hügel auf Luskan schauten.

Wulfgar nahm den Anblick mit einem tiefen Seufzer der Bewunderung in sich auf. Luskan hatte mehr als fünfzehntausend Einwohner – wenig im Vergleich zu den großen Städten im Süden und zu Tiefwasser, der nächsten Stadt, die einige hundert Meilen weiter an der Küste lag. Dem jungen Barbaren, der sein ganzes bisheriges Leben bei den Nomadenstämmen und in den kleinen Siedlungen von Zehn-Städte verbracht hatte, kam die befestigte Hafenstadt wirklich riesig vor.

Luskan wurde von einer Mauer mit Wachtürmen umgeben, die in unterschiedlichen Abständen an strategisch wichtigen Punkten angelegt waren. Selbst auf diese Entfernung konnte Wulfgar die dunklen Umrisse vieler Soldaten, die die Brustwehr auf und ab schritten, und ihre Speere, deren Spitzen im jungen Licht des Tages glänzten, ausmachen.

»Sieht nicht gerade nach einem begeisterten Empfang aus«, bemerkte Wulfgar.

»In Luskan sind Besucher in der Regel unerwünscht«, erklärte Drizzt, der sich hinter seine beiden Freunde gestellt hatte. »Sie öffnen ihre Tore wohl mal für Händler, aber gewöhnliche Reisende werden normalerweise abgewiesen.«

»Unser erster Kontaktmann ist hier«, knurrte Bruenor. »Und ich habe nicht die Absicht, mich abweisen zu lassen!«

Drizzt nickte nur und beließ es dabei. Bei seiner Reise nach Zehn-Städte hatte er um Luskan einen großen Bogen gemacht. Die Stadtbewohner, überwiegend Menschen, sahen voller Verachtung auf andere Rassen herab. Selbst Elfen und Zwergen wurde oft der Eintritt verwehrt. Drizzt konnte sich gut vorstellen, dass die Wachen es bei einem Dunkelelfen nicht dabei belassen würden, ihn einfach nur abzuweisen.

»Kümmert euch um das Frühstücksfeuer«, knurrte Bruenor, und sein wütender Ton ließ seine Entschlossenheit erkennen, sich nicht von seiner Entscheidung abbringen zu lassen. »Wir werden das Lager früh abbrechen und noch vor Mittag vor den Toren stehen. Wo ist denn dieser verfluchte Knurrbauch?«

Drizzt sah über die Schulter zurück auf ihr Lager. »Er schläft«, erklärte er, obwohl Bruenor auf seine Frage gar keine andere Antwort erwartet hatte. Seitdem sich die Gefährten von Zehn-Städte auf den Weg gemacht hatten, ging Regis stets als Erster schlafen und stand als Letzter auf (und auch da mussten sie nachhelfen).

»Dann gebt ihm einen Tritt!«, befahl Bruenor. Er wollte wieder zum Lager zurückkehren, aber Drizzt legte eine Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück.

»Lass den Halbling schlafen«, meinte der Dunkelelf. »Vielleicht ist es besser, wenn wir Luskans Tore in der Abenddämmerung erreichen, wenn wir nicht mehr so klar erkennbar sind.«

Drizzts Bitte verwirrte Bruenor nur einen kurzen Augenblick – bis er dessen verdrossenes Gesicht prüfend betrachtete und die Angst in den Augen des Dunkelelfen ablas. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen den beiden eine so enge Freundschaft entwickelt, dass Bruenor oft vergaß, dass Drizzt ein Ausgestoßener war. Je weiter sie sich von Zehn-Städte entfernten, wo Drizzt bekannt war, desto eher würde er nach der Farbe seiner Haut und dem Ruf seines Volkes beurteilt werden.

»Ja, lassen wir ihn schlafen«, gab Bruenor nach. »Vielleicht sollte ich mich auch noch ein wenig hinlegen.«

Am späten Vormittag brachen sie ihr Lager ab und zogen in gemächlichem Schritt weiter, nur um feststellen zu müssen, dass sie die Entfernung zu der Stadt falsch eingeschätzt hatten. Es war schon lange nach Sonnenuntergang in den ersten Stunden der Dunkelheit, als sie endlich vor dem Nordtor der Stadt standen.

Das Tor entsprach völlig Luskans Ruf, Fremden gegenüber feindselig gesinnt zu sein: Es war eine einzige eisenbeschlagene Tür, die zwischen zwei niedrigen rechteckigen Türmen in die Steinmauer eingesetzt und fest verschlossen war. Einige Soldaten streckten ihre mit Fellmützen bekleideten Köpfe von der Brustwehr über dem Tor vor, und die Gefährten spürten noch viel mehr Augen. Wahrscheinlich waren von den in Dunkelheit gehüllten Turmspitzen zahlreiche Bogen auf sie gerichtet.

»Wer seid ihr, dass ihr jetzt vor Luskans Tor steht?«, ertönte eine Stimme von der Mauer.

»Reisende aus dem Norden«, antwortete Bruenor. »Eine erschöpfte Gruppe, die den ganzen Weg von Zehn-Städte in Eiswindtal zurückgelegt hat!«

»Das Tor wird bei Sonnenuntergang geschlossen«, erwiderte die Stimme. »Verschwindet wieder!«

»Sohn eines haarlosen Gnolls«, brummte Bruenor leise. Er umklammerte mit beiden Händen seine Axt, als wolle er die Tür zerhacken.

Drizzt legte beruhigend eine Hand auf die Schulter des Zwerges. Sein scharfes Gehör hatte das Klicken einer Armbrust vernommen, die bereitgemacht wurde.

Doch dann nahm sich Regis unerwartet der Situation an. Er zog seine Hose hoch, die unter seinen dicken Bauch gerutscht war, steckte die Daumen in den Gürtel und versuchte, bedeutsam zu erscheinen. Er streckte Brust und Bauch vor und stellte sich vor seine Gefährten.

»Dein Name, guter Herr?«, rief er dem Soldaten auf der Mauer zu.

»Ich bin der Nachtwächter vom Nordtor. Das ist alles, was du wissen musst!«, kam die mürrische Antwort. »Und wer …«

»Regis, Erster Bürger von Bryn Shander. Bestimmt hast du schon einmal meinen Namen gehört oder meine Schnitzereien gesehen.«

Die Gefährten hörten oben im Turm Getuschel, dann folgte eine Pause. »Wir haben die Schnitzereien eines Halblings aus Zehn-Städte gesehen. Bist du das?«

»Held des Goblinkrieges und Meisterschnitzer«, verkündete Regis mit einer schwungvollen Verbeugung. »Der Sprecher von Zehn-Städte wird nicht sonderlich erfreut sein, wenn er erfährt, dass ich nachts am Tor unseres bevorzugten Handelspartners abgewiesen worden bin.«

Wieder wurde oben geflüstert, dann war es längere Zeit still. Kurz darauf hörten die vier ein kratzendes Geräusch hinter der Tür. Ein Fallgitter wird hochgezogen, stellte Regis fest. Und dann wurden die Türriegel zurückgeschlagen. Der Halbling sah über die Schulter seine erstaunten Freunde an und lächelte schief.

»Diplomatie, mein grober Zwergenfreund«, lachte er. Die Tür öffnete sich nur einen Spalt, und zwei Männer schlüpften heraus. Sie waren zwar unbewaffnet, aber es lag auf der Hand, dass sie von der Mauer gedeckt wurden. Soldaten mit grimmigen Gesichtern standen dicht zusammengedrängt auf der Brustwehr und beobachteten durch die Visiere der Armbrüste jede Bewegung der Fremden.

»Ich bin Jierdan«, stellte sich der Stämmigere von beiden vor, obwohl seine tatsächliche Figur wegen der vielen Felle, die er trug, schwer zu bestimmen war.

»Und ich bin der Nachtwächter«, erklärte der andere. »Zeigt mir, was ihr zum Handeln mitgebracht habt!«

»Handeln?«, wiederholte Bruenor wütend. »Wer sagte denn was von Handeln?« Wieder schlug er mit beiden Händen auf seine Axt, was die Soldaten im Turm sofort mit einem nervösen Scharren beantworteten. »Sieht das etwa wie die Klinge eines verdammten Händlers aus?«

Regis und Drizzt stellten sich neben den Zwerg, um ihn zu beruhigen. Wulfgar jedoch, der genauso nervös war wie Bruenor, blieb etwas abseitsstehen. Die kräftigen Arme hatte er über der Brust gekreuzt, und mit seinem strengen Blick durchbohrte er den unverschämten Wächter.

Die zwei Soldaten wichen schutzsuchend zurück. Als der Nachtwächter jetzt wieder sprach, stand er kurz vor einem Zornausbruch. »Erster Bürger«, herrschte er Regis an, »was willst du dann hier?«

Regis trat vor Bruenor und stellte sich direkt vor die Soldaten. »Äh … den Markt erforschen«, stieß er hervor und versuchte, beim Weiterreden eine Geschichte zu erfinden. »In dieser Saison habe ich einige besonders schöne Schnitzereien anzubieten, aber bevor ich den Verkauf in die Wege leite, will ich sicherstellen, dass alles, einschließlich der Preise für die Schnitzereien, in Ordnung ist.«

Die zwei Soldaten tauschten ein wissendes Lächeln aus. »Für diesen Zweck bist du einen weiten Weg gegangen«, flüsterte der Nachtwächter barsch. »Wäre es nicht angenehmer gewesen, wenn du dich einer jener Karawanen, die doch die Waren befördern, angeschlossen hättest?«

Regis wand sich verlegen, als er erkannte, dass diese Soldaten zu erfahren waren, um auf seine List hereinzufallen. Wider bessere Einsicht tastete er unter seinem Hemd nach dem Rubinanhänger. Er wusste zwar, dass die hypnotische Kraft den Nachtwächter überzeugen konnte, sie einzulassen, aber er fürchtete sich, den Stein überhaupt zu zeigen, denn dadurch würde er dem Meuchelmörder, der sicherlich nicht weit weg war, die Verfolgung erleichtern.

Plötzlich stutzte Jierdan, denn er hatte die Gestalt hinter Bruenor bemerkt. Drizzt Do’Urdens Umhang hatte sich leicht bewegt und den dunklen Teint seines Gesichts enthüllt.

Wie auf ein Stichwort spannte sich auch der Nachtwächter an, folgte Jierdans Blick und erkannte schnell den Grund für dessen jähe Reaktion. Widerstrebend griffen die vier Abenteurer nach ihren Waffen und machten sich für einen Kampf bereit, den sie im Grunde nicht wollten.

Aber Jierdan löste die Spannung so schnell, wie er sie hervorgerufen hatte. Er legte seinen Arm auf die Schulter des Nachtwächters und sprach den Dunkelelfen direkt an: »Drizzt Do’Urden?«, fragte er ruhig, um sich seine Vermutung bestätigen zu lassen.

Der Dunkelelf, überrascht über das Wiedererkennen, nickte.

»Auch dein Name ist mit den Geschichten über Eiswindtal nach Luskan gelangt«, erklärte Jierdan. »Entschuldige unsere Verwunderung.« Er verbeugte sich tief. »An unseren Toren sehen wir nicht häufig Angehörige deiner Rasse.«

Drizzt nickte wieder, gab aber keine Antwort, da ihm diese ungewöhnliche Aufmerksamkeit nicht behagte. Niemals zuvor hatte sich ein Torwächter die Mühe gemacht, nach seinem Namen oder seinem Anliegen zu fragen. Und der Dunkelelf hatte sich schnell den Vorteil zunutze gemacht, Tore insgesamt meiden zu können und im Schutz der Nacht unauffällig über die Stadtmauer zu klettern und die heruntergekommenen Viertel aufzusuchen, wo er immer eine Chance hatte, sich in den dunklen Ecken bei den Gaunern unbemerkt aufzuhalten. Hatte er wegen seiner Heldentaten etwa sogar hier, so weit von Zehn-Städte entfernt, einen Namen und ein gewisses Maß an Respekt erlangt?

Bruenor drehte sich zu Drizzt um und zwinkerte ihm zu. Angesichts der Tatsache, dass seinem Freund von einem Fremden schließlich doch noch Gerechtigkeit widerfuhr, verrauchte seine Wut.

Aber Drizzt war nicht überzeugt. Auf Anerkennung wagte er nicht zu hoffen – sie würde ihn in seinen Gefühlen zu verwundbar machen, nachdem er hart und lange gearbeitet hatte, sie zu verbergen. Lieber behielt er seinen Argwohn und seine Wachsamkeit bei, so wie er die dunkle Kapuze seines Umhangs nicht herunterzog. Neugierig spitzte er die Ohren, als die zwei Soldaten zurücktraten und sich leise besprachen.

»Sein Name interessiert mich nicht«, hörte er den Nachtwächter zu Jierdan flüstern. »Kein Dunkelelf wird mein Tor passieren!«

»Du machst einen Fehler«, gab Jierdan zurück. »Das sind die Helden von Zehn-Städte. Der Halbling ist wirklich der Erste Bürger von Bryn Shander, der Dunkelelf hat den Ruf, gefährlich, aber zweifellos ehrenhaft zu sein, und der Zwerg – achte auf den überschäumenden Krug auf seinem Schild – ist Bruenor Heldenhammer, der Führer seiner Sippe im Tal.«

»Und was ist mit diesem großen Barbaren?«, fragte der Nachtwächter ironisch, der versuchte, unbeeindruckt zu wirken, aber seine Nervosität nicht ganz verbergen konnte. »Was könnte das für ein Gauner sein?«

Jierdan zuckte die Achseln. »Er ist groß, jung und seine Beherrschung zeugt von einer Reife, die ungewöhnlich für seine Jugend ist. Es kommt mir zwar unwahrscheinlich vor, dass er hier sein sollte, aber er könnte der junge König der Barbarenstämme sein, von dem die Geschichtenerzähler gesprochen haben. Wir sollten diese Reisenden nicht abweisen, denn daraus könnten sich schwerwiegende Folgen ergeben.«

»Was hat Luskan von diesen erbärmlichen Siedlungen in Eiswindtal schon zu erwarten?«, sträubte sich der Nachtwächter.

»Es gibt auch noch andere Handelshäfen«, erwiderte Jierdan. »Nicht jede Schlacht wird mit dem Schwert ausgetragen. Der Verlust der Schnitzereien aus Zehn-Städte würde bei unseren Händlern wenig Begeisterung wecken, und auch nicht bei den Handelsschiffen, die in jeder Saison eintreffen.«

Noch einmal musterte der Nachtwächter die vier Fremden scharf. Trotz der großartigen Behauptungen seines Gefährten traute er ihnen nicht über den Weg und wollte ihnen auch keinen Einlass in seine Stadt gewähren. Aber falls sich seine Verdächtigungen als falsch herausstellten und er etwas tat, was den Handel mit den Schnitzereien gefährdete, sähe seine Zukunft düster aus. Die Soldaten aus Luskan mussten den Händlern Rechenschaft ablegen, und diese waren nicht so schnell bereit, Fehler zu verzeihen, aufgrund deren sich ihre Gewinne schmälerten.

Der Nachtwächter gab sich geschlagen und warf die Arme hoch. »Dann kommt«, sagte er zu den vier Freunden. »Folgt dem Weg an der Mauer und geht zu den Anlegestellen hinunter. In der letzten Gasse ist das Wirtshaus Zum Entermesser. Dort werdet ihr es gemütlich haben!«

Drizzt achtete auf den Stolz in den Bewegungen seiner Freunde, als sie das Tor passierten, und vermutete, dass sie Bruchstücke der Unterhaltung mitbekommen hatten. Nachdem sie die Wachtürme hinter sich gelassen hatten und auf der Straße an der Mauer entlanggingen, bestätigte Bruenor seine Vermutung.

»Siehst du, Elf«, rief der Zwerg und stieß voller Freude Drizzt an. »Die Geschichten sind also über das Tal hinausgegangen, und man hat sogar so tief im Süden von uns gehört. Was sagst du dazu?«

Drizzt zuckte wieder die Schultern, und Bruenor kicherte, da er glaubte, sein Freund sei über diesen Ruhm einfach nur sprachlos. Auch Regis und Wulfgar teilten Bruenors Freude. Der große Mann gab dem Dunkelelfen einen gutgemeinten Klaps auf den Rücken, als er an ihm vorbeiging und die Führung der Gruppe übernahm.

Aber Drizzts Unbehagen rührte nicht nur von Verlegenheit her. Ihm war das Lächeln auf Jierdans Gesicht aufgefallen, als sie das Tor passiert hatten. Es war ein Lächeln gewesen, das mehr ausgedrückt hatte als nur Bewunderung. Und auch wenn er keinen Zweifel hegte, dass einige Geschichten von der Schlacht mit Akar Kessells Goblinarmee in die Stadt der Hochsegel gedrungen waren, kam es ihm merkwürdig vor, dass ein einfacher Soldat so gut über ihn und seine Freunde informiert war, während der Nachtwächter, der allein die Verantwortung dafür zu tragen hatte, wen er in die Stadt einließ, von ihnen gar nichts wusste.

Luskans Straßen waren vollgestopft mit zwei- und dreistöckigen Häusern. Diese Enge gab Aufschluss über die verzweifelte Entschlossenheit der Menschen, sich weit weg von der Unwirtlichkeit des wilden Nordens in der Sicherheit der hohen Stadtmauer zusammenzudrängen. Gelegentlich ragte ein Turm von einem Haus auf, vielleicht ein Wachposten oder aber der Einfall eines berühmten Bürgers oder einer Gilde, die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen. Luskan, das als überaus vorsichtige und misstrauische Stadt galt, überlebte in dieser gefährlichen Gegend nur und gedieh sogar, weil es sich einer Wachsamkeit verschrieben hatte, die zuweilen an Verfolgungswahn grenzte. Es war eine Stadt der Schatten, und an diesem Abend spürten die vier Besucher auf ihrem Weg deutlich neugierige und gefährliche Blicke aus jedem dunklen Loch.

Das Hafenviertel galt als der gefährlichste Stadtteil, wo es in den engen Gassen und an den schattigen Plätzen von Dieben, Ausgestoßenen und Bettlern nur so wimmelte. In den düsteren Gassen hing ständig ein Nebel vom Meer und ließ sie noch geheimnisvoller und verschwommener erscheinen.

Das galt auch für die Straße, in die sie jetzt einbogen. Sie hieß Halbmondstraße, war besonders heruntergekommen und führte direkt zu den Anlegestellen. Regis, Drizzt und Bruenor erkannten unverzüglich, dass sie ein Sammelbecken für Vagabunden und Gauner betreten hatten, und legten eine Hand an die Waffen. Wulfgar jedoch ging offen und ohne Angst weiter, obwohl auch er die bedrohliche Atmosphäre wahrnahm. Aber ihm war gar nicht klar, wie gefährlich es hier eigentlich war, und er hatte ohnehin vorgehabt, seine ersten Erfahrungen mit der Zivilisation unvoreingenommen zu machen.

»Dort ist es«, sagte Bruenor und zeigte auf eine kleine Gruppe, wahrscheinlich Diebe, die vor dem Eingang einer Taverne stand. Das verwitterte Schild über der Tür verriet, dass sie das Wirtshaus Zum Entermesser erreicht hatten.

In Regis stiegen erschreckende Gefühle auf, und er musste mühsam schlucken. In seiner Jugend als Dieb in Calimhafen hatte er häufig solche Lokale aufgesucht, aber seine Vertrautheit mit diesem Milieu verstärkte nur seine Angst. Er wusste nur zu gut, dass der verbotene Reiz der Geschäfte, die im Schatten einer gefährlichen Taverne erledigt wurden, genauso tödlich sein konnte wie die versteckten Messer der Gauner an jedem Tisch. »Wollt ihr da wirklich hineingehen?«, fragte er zögernd seine Freunde.

»Keine Widerrede von dir!«, keifte Bruenor ihn an. »Du hast genau gewusst, welchen Weg wir einschlagen, als du im Tal zu uns gestoßen bist. Jetzt fang nicht an zu winseln!«

»Du bist in guten Händen«, mischte sich Drizzt ein, um Regis zu beruhigen.

Unerfahren, aber dafür mit übermäßigem Stolz, führte Wulfgar die Bemerkung sogar noch weiter. »Welchen Grund sollten sie haben, uns etwas anzutun? Wir haben doch sicherlich kein Unrecht getan.« Dann verkündete er laut, um die Schatten herauszufordern: »Fürchte dich nicht, kleiner Freund. Mein Hammer wird jeden beiseitefegen, der sich gegen uns stellt!«

»Der Stolz der Jugend«, murmelte Bruenor, während er, Regis und Drizzt ungläubige Blicke tauschten.

Die Atmosphäre im Wirtshaus Zum Entermesser stand in völligem Einklang mit dem allgemeinen Zerfall und dem Pöbelhaufen vor dem Lokal. Die Schankstube war ein großer offener Raum mit einer langen Theke, die schutzsuchend direkt gegenüber der Tür in einer Ecke der hinteren Wand stand. An einer Seite der Theke führte eine Treppe in die erste Etage, eine Treppe, die eher von stark geschminkten und übermäßig parfümierten Frauen und ihren momentanen Gefährten benutzt wurde als von den Gästen. Tatsächlich kamen Händler, die mit ihren Schiffen in Luskan anlegten, nur für einige Stunden der Aufregung und Unterhaltung an Land und kehrten in die Sicherheit ihrer Schiffe zurück, wenn sie dazu noch in der Lage und nicht dem unvermeidlichen Schlaf der Betrunkenen anheimgefallen waren.

Aber dieses Lokal war in erster Linie ein Irrgarten der Sinne mit seinen zahllosen Geräuschen und Ansichten und Düften. Der Geruch von Alkohol, von Starkbier und billigem Wein, aber auch von selteneren und stärkeren Getränken durchzog jeden Winkel. Wie der Nebel draußen ließ der Dunstschleier des Rauchs exotischer Pfeifentabake die raue Wirklichkeit zu weicheren, traumähnlichen Bildern verschwimmen.

Drizzt wies den Weg zu einem leeren Tisch, der neben der Tür stand, während Bruenor zur Theke ging, um ihre Übernachtung zu regeln. Wulfgar wollte dem Zwerg folgen, aber Drizzt hielt ihn zurück. »Komm mit zum Tisch«, erklärte er. »Du bist zu aufgeregt für solche Verhandlungen. Bruenor wird schon aufpassen.«

Bevor Wulfgar Einspruch erheben konnte, wurde er unterbrochen.

»Komm schon«, forderte ihn Regis auf. »Setz dich zu mir und Drizzt. Niemand wird einen zähen, alten Zwerg belästigen, aber für diese Rohlinge hier könnten ein schmächtiger Halbling und ein dürrer Elf einen guten Zeitvertreib abgeben. Wir brauchen deine Größe und Kraft, um vor dieser ungewollten Aufmerksamkeit bestehen zu können.«

Bei diesem Kompliment hob sich Wulfgars Kinn, und stolz ging er zu dem Tisch. Regis zwinkerte Drizzt wissend zu und folgte.

»Wie viele Lektionen wirst du wohl noch auf dieser Reise erhalten, junger Freund?«, murmelte Drizzt zu Wulfgar, aber so leise, dass der Barbar ihn nicht hören konnte. »So weit weg von deiner Heimat!«

Bruenor kam mit vier Krügen Honigwein von der Theke zurück und brummte etwas in seinen Bart. »Wir sollten so schnell wie möglich unsere Angelegenheiten erledigen«, sagte er zu Drizzt, »und weitermarschieren. Der Preis für ein Zimmer in diesem Orkloch ist offener Betrug!«

»Diese Zimmer sind ja auch nicht für eine ganze Nacht gedacht«, sagte Regis kichernd.

Aber Bruenors finstere Miene hellte sich nicht auf. »Trink aus!«, forderte er den Dunkelelfen auf. »Die Rattengasse ist nur ein paar Schritte entfernt, wie mir das Barmädchen gesagt hat, und möglicherweise können wir noch heute Nacht meinen Informanten erreichen.«

Drizzt nickte und nippte an dem Honigwein, den er eigentlich nicht mochte. Aber er hoffte, dass sich der Zwerg bei einem gemeinsamen Trunk entspannen würde. Auch der Dunkelelf war erpicht darauf, Luskan schnellstmöglich zu verlassen. Er fürchtete, dass sie wegen seiner Herkunft – bei dem flackernden Fackelschein in der Taverne hatte er seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht gezogen – Ärger bekommen könnten. Und er sorgte sich um Wulfgar, der jung und stolz war und sich fehl am Platze fühlte. Die Barbaren von Eiswindtal waren zwar gnadenlos in der Schlacht, aber unbestreitbar ehrenhaft, und der Aufbau ihrer Stämme beruhte ausschließlich auf strengen, unbeugsamen Gesetzen. Drizzt befürchtete, dass Wulfgar den falschen Bildern und dem verräterischen Treiben der Stadt leicht zum Opfer fallen könnte. In der Wildnis bot Wulfgars Hammer einen hervorragenden Schutz, aber hier würde er sich schnell in irreführenden Situationen mit versteckten Klingen wiederfinden, in denen seine mächtige Waffe und seine Erfahrungen aus offenen Kämpfen ihm wenig Beistand leisten konnten.

Wulfgar leerte seinen Krug in einem Zug, wischte sich hastig über die Lippen und erhob sich. »Dann lasst uns gehen«, sagte er zu Bruenor. »Wen suchen wir denn eigentlich?«

»Setz dich wieder und halt den Mund, Bursche«, schimpfte Bruenor und sah sich schnell um, ob sie wohl ungewollte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. »Diese Nachtarbeit ist nur für mich und den Dunkelelfen. Das ist nichts für einen großspurigen Kämpfer, wie du einer bist! Du bleibst hier bei Knurrbauch, hältst den Mund und den Rücken an der Wand!«

Wulfgar sank gekränkt auf den Stuhl zurück, aber Drizzt war froh, dass Bruenor seine Meinung über den jungen Krieger teilte. Wieder rettete Regis Wulfgars Stolz.

»Du gehst nicht mit ihnen!«, herrschte er den Barbaren an. »Ich habe keine Lust zu gehen, aber ich wage auch nicht, allein hierzubleiben. Sollen Drizzt und Bruenor doch ihren Spaß haben in dieser kalten, stinkigen Gasse. Wir bleiben hier und genießen einen wohlverdienten Abend mit erstklassiger Unterhaltung.«

Drizzt gab Regis unter dem Tisch dankbar einen Klaps auf das Knie und erhob sich zum Gehen. Bruenor trank seinen Krug leer und sprang von seinem Stuhl auf.

»Gehen wir also«, sagte er zu dem Dunkelelfen. Und dann zu Wulfgar: »Pass auf den Halbling auf und hüte dich vor den Frauen! Sie sind niederträchtig wie hungrige Ratten, und das Einzige, wo sie hineinbeißen wollen, ist dein Geldbeutel!«

Bruenor und Drizzt waren in die erste leere Gasse hinter dem Gasthaus eingebogen. Der Zwerg hielt an ihrem Anfang nervös Wache, während sich Drizzt einige Schritte in die Dunkelheit wagte. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass er allein und nicht bedroht war, holte er eine Onyxstatuette aus seinem Beutel hervor, die verblüffende Ähnlichkeit mit einer großen Wildkatze hatte, und stellte sie vor sich auf den Boden.

»Guenhwyvar«, rief er leise. »Komm, mein Schatten.«

Seine Bitte wurde über die Ebenen zu der Astralheimat der Wesenheit des Panthers getragen. Die große Katze erhob sich aus ihrem Schlaf. Seit dem letzten Ruf ihres Herrn waren viele Monate vergangen, und sie war eifrig bedacht, ihm zu dienen.

Guenhwyvar sprang durch das Gefüge der Ebenen und folgte einem flackernden Licht, das für ihn den Ruf des Dunkelelfen symbolisierte. Gleich darauf stand die Katze neben Drizzt in der Gasse und war in der fremden Umgebung sofort in Alarmbereitschaft.

»Leider müssen wir eine gefährliche Gegend aufsuchen«, erklärte Drizzt. »Ich brauche dort Augen, wo meine nicht hingelangen können.«

Unverzüglich sprang Guenhwyvar lautlos auf einen Schutthaufen, über ein zerbrochenes Terrassengeländer und weiter zu den Dächern hinauf. Zufrieden und um einiges beruhigter schlich Drizzt in die Straße zurück, wo Bruenor wartete.

»Nun, wo ist denn jetzt diese verdammte Katze?«, fragte Bruenor. In seiner Stimme lag ein Hauch von Erleichterung, dass Guenhwyvar nicht bei dem Dunkelelfen war. Abgesehen von Zaubersprüchen für Waffen standen die meisten Zwerge der Magie äußerst ablehnend gegenüber, und Bruenor hatte für den Panther nichts übrig.

»Wo wir sie am meisten brauchen«, gab der Dunkelelf zurück. Er begann, die Straße hinunterzugehen. »Fürchte dich nicht, mächtiger Bruenor. Guenhwyvars Augen sind auf uns gerichtet, auch wenn wir ihren schützenden Blick nicht erwidern können!«

Der Zwerg sah sich überall nervös um, und am Rand seines gehörnten Helms wurden einige Schweißperlen sichtbar. Er kannte Drizzt jetzt schon seit vielen Jahren, aber er fühlte sich nie wohl, wenn die magische Katze in der Nähe war.

Drizzt verbarg sein Lächeln unter seiner Kapuze.