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Wer die Sterne von Mithra besitzt, dem schenken sie Unsterblichkeit - so heißt es in einer alten Legende. Den drei besten Freundinnen, die versuchen, die blauen, unermesslich wertvollen Diamanten vor dem Zugriff eines besessenen Schmucksammlers zu bewahren, werden sie zum Schicksal. Denn jede von ihnen gerät durch einen der Sterne, den sie verbirgt, in Lebensgefahr. Nur der Mann, mit dem sie das Glück der Leidenschaft von der strahlendsten Seite erlebt, kann sie aus der Gefahr befreien. Drei Freundinnen, drei Männer, drei Diamanten - und drei atemberaubend aufregende Abenteuer um die große Liebe.
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Seitenzahl: 803
Nora Roberts
Die Sterne Mithras
Nora Roberts
Der verborgene Stern
Roman
Aus dem Amerikanischen von
MIRA® TASCHENBUCH
Copyright © 2019 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH
Ungekürzte und neu übersetzte Ausgabe Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Hidden Star Copyright © 1997 Nora Roberts erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Coverabbildung: Joecho-16/GettyImages E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783745750973
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Cade Parris hatte nicht gerade seinen besten Tag, als seine Traumfrau in sein Büro spaziert kam. Keine vierundzwanzig Stunden zuvor hatte seine Sekretärin gekündigt. Die Dame war zwar nicht sonderlich tüchtig gewesen und hatte sich mehr für ihre Fingernägel als für das klingelnde Telefon interessiert, aber sie hatte zumindest Ordnung in sein Chaos gebracht. Selbst die Gehaltserhöhung, die er ihr aus blanker Verzweiflung angeboten hatte, hatte sie nicht dazu bewogen, ihren Entschluss, Countrysängerin zu werden, noch einmal zu überdenken.
Die treulose Seele war jetzt also in einem gebrauchten Pick-up auf dem Weg nach Nashville, während Cades Büro den schlaglöchrigen Straßenverhältnissen ähnelte, mit denen sie sich hoffentlich herumschlagen musste. In den letzten ein bis zwei Monaten hatte sie sich offenbar überhaupt nicht mehr um ihre Arbeit gekümmert. Das wurde ihm spätestens klar, als er ein altes Wurst-Sandwich aus dem Aktenschrank fischte. Zumindest vermutete er, dass es sich bei dem fettigen Klecks in der Papiertüte um Wurst handelte. Er entdeckte die Tüte unter dem Buchstaben L einsortiert – L für Lunch?
Er fluchte nicht einmal, und er nahm auch das Telefon nicht ab, das ununterbrochen aus dem Empfangsbereich herüberklingelte. Er musste seine Berichte jetzt selbst abtippen, und nachdem das Tippen nicht gerade zu seinen Stärken zählte, wollte er es einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Parris Investigations konnte man nicht gerade als florierendes Unternehmen bezeichnen. Aber Cade reichte es, und er fühlte sich wohl, selbst in dem winzigen Zwei-Raum-Büro im Dachgeschoss eines abgewrackten Gebäudes mit schlechten sanitären Anlagen im Nordwesten von Washington D.C.
Er brauchte keine vornehmen Teppiche oder eleganten Möbel. Mit all diesem Pomp war er aufgewachsen. Jetzt, mit dreißig, nach einer gescheiterten Ehe und einer Familie, die sich immer noch darüber ärgerte, welchen Weg er eingeschlagen hatte, war er im Großen und Ganzen zufrieden.
Inzwischen hatte er sich einen recht anständigen Ruf als Privatermittler aufgebaut. Er verdiente genug Geld, um den Laden über Wasser zu halten. Gut, momentan stellte sein Verdienst ein kleines Problem dar. Er durchlebte eine – wie er es nannte – vorübergehende Flaute. Außerdem handelte es sich bei den meisten seiner Aufträge lediglich um Versicherungsfälle, die mit Unmengen an Schreibkram verbunden waren. Nicht ganz so aufregend wie das, was er sich vorgestellt hatte, als er entschied, Detektiv zu werden.
Bis auf zwei belanglose Fälle von Versicherungsbetrug gab es zurzeit keine neuen Aufträge. Dafür hatte der Blutsauger von Vermieter schon wieder die Miete erhöht, der Motor des Wagens gab in letzter Zeit merkwürdige Geräusche von sich, und die Klimaanlage war im Eimer. Außerdem schien das Dach mal wieder undicht zu sein. Cade nahm den spindeldürren gelbblättrigen Philodendron, den seine Sekretärin zurückgelassen hatte, und stellte ihn auf den nackten Fußboden unter das Tröpfeln, in der Hoffnung, dass die Pflanze ersaufen möge.
Plötzlich ertönte eine ungeduldige Stimme aus dem Anrufbeantworter. Die Stimme seiner Mutter. Guter Gott, dachte er gereizt. Konnte ein Mann seiner Mutter denn wirklich niemals entfliehen?
„Cade, mein Lieber, ich hoffe, du hast den Botschafts-Ball nicht vergessen. Du weißt doch, dass du Pamela Lovett begleiten sollst. Ich habe heute mit ihrer Tante zu Mittag gegessen, und die sagte mir, dass Pamela nach ihrem kleinen Ausflug nach Monaco einfach großartig aussieht.“
„Ja, ja, ja“, murrte er, dann starrte er düster auf seinen Computer. Er unterhielt zu elektronischen Geräten keine besonders harmonische Beziehung. Während seine Mutter weiterplapperte, setzte er sich widerwillig an den Schreibtisch. „Hast du den Smoking in die Reinigung gebracht? Und nimm dir die Zeit, zum Friseur zu gehen. Letztes Mal hast du so ungepflegt ausgesehen.“
Und vergiss auch nicht, dich hinter den Ohren zu waschen! Seine Mutter würde niemals akzeptieren, dass er mit dem Lebensstil der Familie nichts anfangen konnte. Dass er einfach keine Lust hatte, im Klub zu Mittag zu essen oder gelangweilte ehemalige Debütantinnen in Washington herumzuführen, und dass sich daran auch niemals etwas ändern würde.
Er wollte Abenteuer, und wenn er auch nicht gerade in die Fußstapfen eines Sam Spade trat, indem er Berichte über erfundene Schleudertraumata verfasste, so arbeitete er doch zumindest im gleichen Job.
Meistens fühlte er sich gut. Er kam sich nicht nutzlos oder gelangweilt oder fehl am Platz vor. Er mochte den Verkehrslärm vor seinem Fenster, auch wenn er das Fenster nur öffnete, weil sein Vermieter nichts von einer zentralen Klimaanlage hielt. Der Smog war fast unerträglich, außerdem regnete es herein, aber bei geschlossenem Fenster wäre es im Büro viel zu stickig gewesen.
Winzige Schweißperlen liefen ihm den Rücken hinunter. Er trug nur ein weißes T-Shirt und Jeans, und er musste sich während des Tippens immer wieder das Haar aus dem Gesicht streichen, was ihn wahnsinnig machte. Seine Mutter hatte recht. Er musste zum Friseur.
Als ihm zum wiederholten Mal eine Strähne vor die Augen fiel, ignorierte er diese Tatsache genauso wie den Schweiß, die Hitze, den Verkehrslärm und das stete Tröpfeln von der Decke. Da saß er nun, ein bemerkenswert gut aussehender, düster dreinblickender Mann, der mechanisch auf die Tastatur seines Computers einhieb.
Er hatte das gute Aussehen der Familie Parris geerbt – die klaren grünen Augen, die je nach Gemütslage scharf wie Glasscherben oder sanft wie Meeresdunst wirken konnten. Sein Haar, das so dringend geschnitten werden musste, war dunkelbraun und tendierte dazu, bei Feuchtigkeit in Locken zu fallen. Zumindest lockte es sich in diesem Moment. Er hatte eine gerade, markante Nase und sinnlich geschwungene Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen konnten, wenn er sich amüsierte. Oder zu einem höhnischen Grinsen, wenn er es nicht tat.
Obwohl sein Gesicht nach der peinlichen engelhaften Periode seiner Kindheit und frühen Jugend schmaler geworden war, zierten es noch immer zwei kleine Grübchen. Er freute sich bereits auf sein mittleres Lebensalter, wenn aus ihnen mit etwas Glück männliche Falten wurden.
Er hätte gerne verwegen ausgesehen, stattdessen musste er sich mit dem aalglatten Aussehen eines GQ-Models abfinden. Für dieses Magazin hatte er zu seiner Schande mit Mitte zwanzig tatsächlich einmal posiert, allerdings nur unter Protest und auf den fast unerträglichen Druck seiner Familie hin.
Das Telefon läutete erneut. Diesmal erklang die Stimme seiner Schwester, die ihm eine Strafpredigt hielt, weil er irgendeine langweilige Cocktailparty zu Ehren eines dickbäuchigen Senators verpasst hatte.
Cade überlegte, den verdammten Anrufbeantworter einfach aus der Wand zu reißen und ihn mitsamt der nörgelnden Stimme seiner Schwester aus dem Fenster zu werfen, direkt hinunter auf die Wisconsin Avenue.
Und dann begann der Regen zu allem Übel auch noch, ihm auf den Kopf zu tropfen. Der Computer schaltete sich aus keinem ihm ersichtlichen Grund – von reiner Niedertracht einmal abgesehen – aus, und der Kaffee, den er völlig vergessen hatte, kochte mit einem boshaften Zischen über.
Er hechtete zum Herd, verbrannte sich die Hand und fluchte laut, als die Kanne auf dem Boden zersplitterte und der heiße Kaffee in sämtliche Richtungen spritzte. Hektisch riss er eine Schublade auf, griff nach einem Stapel Servietten und schnitt sich dabei den Daumen an der Nagelschere seiner ehemaligen Sekretärin auf.
In dem Moment, in dem sie eintrat, hatte er gerade – immer noch fluchend und blutend – den Philodendron umgestoßen, den er zuvor in die Mitte des Raumes gestellt hatte. Somit war es kaum verwunderlich, dass sie einfach nur dastand, regennass, mit totenbleichem Gesicht und mit vor Erstaunen aufgerissenen Augen.
„Entschuldigen Sie.“ Ihre Stimme klang rau, so, als ob sie seit Tagen nicht gesprochen hätte. „Ich muss mich in der Tür geirrt haben.“ Sie ging einen Schritt zurück und starrte mit ihren großen runden Augen auf das Namensschild. Sie zögerte, dann blickte sie ihn wieder an. „Sind Sie Mr. Parris?“
Einen Moment lang, einen betäubenden Moment lang, konnte er nicht sprechen. Er wusste, dass er sie anstarrte, konnte aber nicht anders. Sein Herz blieb einfach stehen. Seine Knie wurden weich. Und der einzige Gedanke, den er fassen konnte, lautete: Da bist du ja endlich. Wo zum Teufel hast du so lange gesteckt?
Und weil das so lächerlich war, zwang er sich zu einem desinteressierten, beinahe zynischen Gesichtsausdruck.
„Ja.“ Ihm fiel ein, dass er ein Taschentuch bei sich hatte, und wickelte es um seinen blutenden Daumen. „Ich hatte hier nur eben einen kleinen Unfall.“
„Verstehe.“ Was ganz offensichtlich nicht stimmte, so wie sie ihn weiterhin anblickte. „Ich bin wohl zu einem schlechten Zeitpunkt gekommen. Ich habe keinen Termin. Ich dachte nur, vielleicht …“
„Sieht so aus, als ob ich Zeit hätte.“
Er wollte, dass sie ganz ins Zimmer kam. Von seiner ersten völlig absurden und noch nie da gewesenen Reaktion abgesehen, handelte es sich schließlich um eine potenzielle Klientin. Und eines war sicher: Keine Frau, die jemals Sam Spades heilige Räume betreten hatte, war perfekter gewesen als diese.
Sie war blond und schön und verwirrt. Das nasse Haar fiel ihr glatt und fließend über die Schultern. Ihre Augen waren whiskeybraun, ihr Gesicht – obwohl ihm etwas mehr Farbe nicht geschadet hätte – war zart wie das einer Elfe, herzförmig, die Wangenknochen sanft geschwungen und die Lippen voll, ernst und nur dezent geschminkt.
Sie hatte sich ihr Kostüm und die Schuhe im Regen ruiniert, beides von hoher Qualität. Er erkannte die schlichte Eleganz, die nur in Designerläden zu finden war. Neben der nassen blauen Seide ihres Kostüms wirkte die große Stofftasche, die sie fest mit beiden Händen umklammert hielt, merkwürdig fehl am Platz.
Eine Jungfrau in Not, überlegte er, und seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben. Genau das, was er jetzt brauchte.
„Warum kommen Sie nicht herein und schließen die Tür, Miss …?“
Sie verstärkte den Griff um ihre Tasche. „Sind Sie Privatdetektiv?“
„So steht es zumindest auf dem Türschild.“ Cade lächelte erneut und stellte dabei skrupellos seine Grübchen zur Schau, während sie nervös auf ihrer Unterlippe kaute. Auf der er am liebsten selbst gekaut hätte, verdammt.
Diese Reaktion, dachte er mit einiger Erleichterung, sah ihm schon ähnlicher. Pure Lust war ein Gefühl, das er problemlos begreifen konnte.
„Lassen Sie uns nach nebenan in mein Büro gehen.“ Er betrachtete den Schaden, den er angerichtet hatte – zersplittertes Glas, verstreute Erde und verschütteten Kaffee. „Ich denke, ich bin hier erst mal fertig.“
„Na gut.“ Sie holte tief Luft, trat über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich. Dann folgte sie ihm zögernd in das angrenzende Zimmer, in dem sich nicht viel mehr als ein Tisch und ein paar billige Stühle befanden. Nun, sie konnte im Moment nicht wählerisch sein. Geduldig wartete sie, bis er sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte und ihr erneut dieses schnelle, um Vertrauen heischende Lächeln zuwarf.
„Haben Sie – könnte ich …“ Sie schloss die Augen, versuchte, sich zu sammeln. „Haben Sie irgendeinen Berechtigungsschein, den ich mir ansehen könnte?“
Nachdem er ihr den Besucherstuhl angeboten hatte, kramte er wortlos seine Lizenz aus der Schublade und reicht sie ihr. Sie trug zwei sehr hübsche Ringe, einen an jeder Hand. Ihre Ohrringe passten zu dem an ihrer Linken, einem schmalen, mit drei Steinen besetzten Goldring. Cade bemerkte es, als sie sich das Haar hinters Ohr strich und das Papier studierte, als wollte sie sich jedes einzelne Wort einprägen.
„Würden Sie mir verraten, was Sie zu mir führt, Miss …?“
„Ich glaube …“ Sie reichte ihm die Lizenz zurück und umklammerte erneut die Tasche, die sie jetzt auf ihren Schoß gelegt hatte. „Ich glaube, ich würde Sie gern engagieren.“ Jetzt waren ihre Augen auf sein Gesicht gerichtet, genauso prüfend wie zuvor auf die Lizenz. „Kümmern Sie sich auch um Vermisstenfälle?“
Wen hast du verloren, Kleines? Er hoffte um ihretwillen und um der hübschen kleinen Fantasie willen, die sich in seinem Kopf formte, dass es sich nicht um einen Ehemann handelte. „Ja, ich nehme auch Vermisstenfälle an.“
„Und, ähm, der Preis?“
„Zweihundertfünfzig pro Tag. Plus Ausgaben.“ Als sie nickte, zog er einen Block hervor und schnappte sich einen Kugelschreiber. „Wen wollen Sie finden?“
Sie nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. „Mich. Sie müssen mich finden.“
Ohne sie aus den Augen zu lassen, klopfte er mit dem Kugelschreiber auf den Block. „Wie mir scheint, habe ich das bereits getan. Soll ich Ihnen eine Rechnung ausstellen, oder wollen Sie gleich bar zahlen?“
„Nein.“ Sie spürte, dass sie kurz davor stand, die Fassung zu verlieren. Sie hatte sich so lange zusammengerissen, aber jetzt wusste sie, dass der Strohhalm, an den sie sich geklammert hatte, seit sie den Boden unter den Füßen verloren hatte, langsam nachgab. „Ich kann mich nicht erinnern. An nichts. Ich weiß nicht …“ Ihre Stimme überschlug sich. Sie ließ die Tasche los und hielt die Hände vors Gesicht. „Ich weiß nicht, wer ich bin! Ich weiß nicht, wer ich bin …“ Und dann weinte sie die Worte in ihre Hände. „Ich weiß einfach nicht, wer ich bin!“
Cade hatte eine Menge Erfahrung mit hysterischen Frauen. Er war mit Frauen aufgewachsen, die mit Tränen und ersticktem Schluchzen auf so ziemlich alles reagierten – von einem abgebrochenen Nagel bis hin zu einer zerbrochenen Ehe. Also stand er auf, bewaffnete sich mit einer Schachtel Papiertaschentücher und ging vor ihr in die Knie.
„Sehen Sie mich an. Alles wird gut.“ Mit behutsamen und geübten Bewegungen strich er ihr die schwarz verlaufene Wimperntusche von den Wangen, tätschelte ihre Hand, streichelte ihr übers Haar, blickte in ihre vor Tränen schimmernden Augen.
„Es tut mir leid. Ich kann nicht …“
„Kein Problem. Weinen Sie ruhig“, murmelte er. „Danach werden Sie sich besser fühlen.“ Er erhob sich, ging in das winzige Badezimmer und füllte einen Pappbecher mit Wasser.
Nachdem sie einen Berg Taschentücher auf ihrem Schoß zerknüllt und drei Pappbecher zerdrückt hatte, stieß sie einen kleinen, bebenden Seufzer aus. „Entschuldigen Sie. Vielen Dank. Jetzt fühle ich mich tatsächlich besser.“ Ihre Wangen röteten sich ein wenig, als sie die Taschentücher und Pappbecher zusammensammelte. Cade nahm ihr das Ganze aus den Händen, warf es in den Papierkorb, lehnte sich an eine Ecke seines Schreibtisches und sah sie ruhig an.
„Wollen Sie mir jetzt erzählen, was los ist?“
Sie nickte, verschränkte dabei aber die Finger so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ich … da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich kann mich nur einfach an nichts erinnern. Weder daran, wer ich bin, noch was ich tue oder wo ich herkomme. Freunde, Familie: Nichts.“ Ihr stockte wieder der Atem, sie stieß ihn langsam aus. „Gar nichts“, wiederholte sie.
Sollte das ein Traum sein? Eine atemberaubend schöne Frau ohne Vergangenheit spazierte einfach so in sein Büro? Er warf einen Blick auf die Tasche in ihrem Schoß. Darauf würde er gleich zu sprechen kommen. „Warum erzählen Sie mir nicht alles der Reihe nach. Was ist das Erste, an das Sie sich erinnern können?“
„Ich bin in einem Zimmer aufgewacht – in einem kleinen Hotelzimmer in der Sechzehnten Straße.“ Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. „Aber selbst das ist irgendwie unklar. Ich lag zusammengerollt auf dem Bett, und ein Stuhl war unter die Türklinke geklemmt. Es regnete. Ich konnte den Regen hören. Ich war müde und verwirrt, aber mein Herz klopfte so schnell, als wäre ich aus einem Albtraum aufgewacht. Ich hatte noch meine Schuhe an. Ich kann mich erinnern, wie ich mich fragte, warum ich mit meinen Schuhen ins Bett gegangen bin. Im Zimmer war es dunkel und stickig. Alle Fenster waren verschlossen. Ich war so müde und fertig, dass ich ins Badezimmer ging, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen.“
Jetzt öffnete sie die Augen und blickte ihn an. „Ich sah mein Gesicht im Spiegel. In diesem hässlichen kleinen Spiegel mit den schwarzen Klecksen. Und es sagte mir überhaupt nichts, dieses Gesicht.“ Sie hob eine Hand, fuhr sich über die Wange, dann über das Kinn. „Mein Gesicht war das einer Fremden. Ich konnte mich an keinen Namen erinnern oder an Gedanken oder Pläne aus meiner Vergangenheit. Ich wusste nicht, wie ich in dieses schreckliche Zimmer gekommen bin. Ich habe die Schubladen durchsucht, aber da war nichts. Keine Kleider. Ich hatte Angst. Ich wollte nicht dort bleiben, aber ich wusste auch nicht, wohin ich gehen sollte.“
„Die Tasche? Das war alles, was Sie bei sich hatten?“
„Ja. Keine Geldbörse, keine Brieftasche, keine Schlüssel. Nur das war darin.“ Sie langte in ihre Jackentasche und zog eine Notiz hervor.
Cade musterte die hingekritzelten Worte.
Bailey, Samstag um sieben, richtig? M.J.
„Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ich habe vorhin eine Zeitung gesehen. Heute ist Freitag.“
„Hmm. Schreiben Sie das auf.“ Er reichte ihr Block und Stift.
„Was?“
„Schreiben Sie auf, was auf dem Zettel steht.“
„Oh.“ Sie gehorchte.
Obwohl es eigentlich nicht nötig war, legte er die beiden Schriftproben nebeneinander. „Nun, Sie sind nicht M.J., also vermute ich, dass Sie Bailey sind.“
Sie schluckte. „Wie bitte?“
„Die Handschrift von M.J. sieht aus, als ob es sich um einen Linkshänder oder eine Linkshänderin handelt. Sie hingegen sind Rechtshänderin. Sie schreiben ordentlich und schlicht, M.J. hingegen kritzelt eher. Die Notiz war in Ihrer Tasche. Somit ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich bei Ihnen um Bailey handelt.“
„Bailey.“ Sie versuchte, den Namen in sich aufzunehmen, in der Hoffnung, etwas Vertrautes dabei zu empfinden. Aber der Klang war ihr vollkommen fremd. „Das bedeutet mir nichts.“
„Es bedeutet, dass wir zumindest einen Namen haben, den wir Ihnen geben können. Das ist ein Anfang. Erzählen Sie mir, was Sie als Nächstes getan haben.“
Verwirrt blinzelte sie ihn an. „Oh, ich … in dem Zimmer lag ein Telefonbuch. Also habe ich nach einer Privatdetektei gesucht.“
„Und warum haben Sie mich ausgewählt?“
„Das lag am Namen. Er klang irgendwie so … kraftvoll.“ Sie schenkte ihm ihr erstes Lächeln, es war zwar schwach, aber es war da. „Ich wollte schon anrufen, aber dann dachte ich, dass Sie mir vielleicht keinen Termin geben würden. Wenn ich aber einfach vorbeikäme … Also wartete ich in meinem Zimmer, bis die Geschäfte öffneten, dann lief ich eine Weile herum und nahm mir schließlich ein Taxi. Und hier bin ich.“
„Warum sind Sie nicht in ein Krankenhaus gefahren? Oder haben einen Arzt gerufen?“
„Das habe ich überlegt.“ Sie blickte auf ihre Hände hinab. „Habe es dann aber lieber doch nicht getan.“
Sie ließ ziemlich viel aus, das war offensichtlich. Cade nahm einen Schokoladenriegel aus der Schublade. „Sie haben nicht gesagt, dass Sie irgendwo frühstücken waren.“ Er sah, wie sie den Schokoriegel mit einer Mischung aus Verwunderung und Dankbarkeit betrachtete. „Das sollte erst mal reichen, bis wir etwas Besseres für Sie finden.“
„Dankeschön.“ Mit akkuraten Bewegungen wickelte sie den Riegel aus seinem Papier. Vielleicht rührte ja zumindest ein Teil des seltsamen Gefühls in ihrem Magen vom Hunger? „Mr. Parris, vielleicht gibt es Menschen, die sich Sorgen um mich machen. Familie, Freunde. Ich könnte doch ein Kind haben, nicht wahr? Ich weiß es nicht.“ Ihre Augen wurden dunkel, sie fixierte einen Punkt hinter ihm. „Allerdings glaube ich das nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand sein eigenes Kind vergessen könnte. Aber irgendjemand macht sich womöglich Sorgen um mich, fragt sich, was mit mir geschehen ist und warum ich letzte Nacht nicht nach Hause gekommen bin.“
„Sie hätten zur Polizei gehen können.“
„Ich wollte nicht zur Polizei.“ Diesmal klang ihre Stimme überraschend streng. „Nicht bis … Nein, ich will nicht zur Polizei.“ Sie zog ein weiteres Taschentuch aus der Pappschachtel und begann, es in kleine Streifen zu reißen. „Vielleicht sucht jemand nach mir, der nicht gerade mein Freund ist. Dem es nicht um mein Wohlergehen geht. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, aber ich weiß, dass ich Angst davor habe. Es geht um mehr als nur darum, dass ich mich nicht erinnere. Aber das alles kann ich erst begreifen, wenn ich weiß, wer ich bin.“
Vielleicht lag es an diesen großen feuchten Augen, die ihn anstarrten, oder an der Art, wie sie nervös und hilflos an dem Taschentuch herumnestelte – jedenfalls konnte Cade dem Bedürfnis, ein wenig anzugeben, einfach nicht widerstehen.
„Ein paar Dinge kann ich Ihnen schon jetzt sagen. Sie sind eine intelligente Frau, Anfang oder Mitte zwanzig. Sie haben einen guten Blick für Farben und Stil und genug Geld auf dem Konto, um italienische Schuhe und Seidenanzüge zu kaufen. Sie sind gepflegt und wahrscheinlich ziemlich ordentlich. Sie ziehen Understatement vor. Und ich vermute, dass Sie eine schlechte Lügnerin sind. Sie haben einen klugen Kopf, denken gründlich über alles nach. Sie werden nicht schnell panisch. Und Sie essen gern Schokolade.“
Sie zerknüllte das glänzende Schokoladenpapier, das vor ihr auf dem Tisch lag. „Wie kommen Sie auf all das?“
„Sie können sich gut ausdrücken, selbst wenn Sie Angst haben. Sie haben genau überlegt, wie Sie mit Ihrer Situation umgehen sollen, und haben jeden einzelnen Schritt logisch ausgeführt. Sie ziehen sich gut an – Qualität geht Ihnen über modischen Schnickschnack. Sie haben gepflegte Fingernägel, aber tragen keinen auffälligen Nagellack. Ihr Schmuck ist sehr besonders, interessant, aber nicht überladen. Und Sie halten Informationen zurück, seit sie dieses Büro betreten haben, weil Sie noch nicht genau wissen, wie sehr Sie mir vertrauen können.“
„Wie sehr kann ich Ihnen denn vertrauen?“
„Sie sind zu mir gekommen.“
Langsam stand sie auf, ging zum Fenster hinüber und lauschte dem Trommeln des Regens, der ihre hinter den Augen liegenden Kopfschmerzen verstärkte. „Ich erkenne diese Stadt nicht wieder“, murmelte sie. „Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich sie kennen muss. Ich weiß, wo ich bin, weil ich diese Zeitung sah, die Washington Post. Ich weiß, wie das Weiße Haus aussieht und das Kapitol. Ich kenne all die Denkmäler – aber die könnte ich auch im Fernsehen oder in einem Buch gesehen haben.“
Sie legte ihre Hände auf das vom Regen feuchte Fensterbrett. „Ich komme mir vor, als ob ich aus dem Nichts direkt in dieses hässliche Hotelzimmer gefallen wäre. Und doch kann ich schreiben und lesen und laufen und sprechen. Der Taxifahrer hatte das Radio an, und ich erkannte die Musik. Ich erkannte Bäume. Ich war nicht überrascht, dass der Regen nass war. Ich habe Kaffee gerochen, als ich hier ins Büro kam, und der Geruch war mir vertraut. Ich weiß, dass Ihre Augen ein sehr seltenes Grün haben. Und wenn der Regen einmal aufhört, weiß ich, dass der Himmel blau sein wird.“
Sie seufzte tief. „Also bin ich nicht aus dem Nichts gefallen. Es gibt Dinge, die ich weiß, Dinge, derer ich mir sicher bin. Aber mein eigenes Gesicht sagt mir nichts, und was sich hinter diesem Gesicht abspielt, ist mir vollkommen schleierhaft. Vielleicht habe ich jemanden verletzt – oder Schlimmeres. Vielleicht bin ich egoistisch und berechnend, sogar brutal. Ich könnte einen Ehemann haben, den ich betrüge, oder Nachbarn, mit denen ich im Streit bin.“
Jetzt drehte sie sich wieder zu ihm um. Ihr Gesicht war angespannt und bildete einen merkwürdigen Kontrast zu den großen, unter dichten Wimpern liegenden Augen, die noch immer feucht von Tränen waren. „Ich weiß nicht, ob mir gefallen wird, was Sie über mich herausfinden, Mr. Parris. Aber ich muss es wissen.“ Sie stellte die Tasche auf seinem Schreibtisch ab und öffnete sie. „Ich denke, ich habe genug, um Sie bezahlen zu können.“
Cade kam aus einem sehr reichen Elternhaus, doch selbst er hatte noch nie so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Die Tasche war prall gefüllt mit gebündelten Hundert-Dollar-Scheinen – jeder einzelne glatt, sauber und neu. Fasziniert nahm er ein Bündel heraus und blätterte es durch. Ja, tatsächlich. Jeder Schein trug Ben Franklins schlichtes, würdevolles Gesicht.
„Ich vermute, das ist ungefähr eine Million“, murmelte er.
„Eine Million zweihunderttausend.“ Bailey erschauerte, als sie in die Tasche blickte. „Ich habe die Bündel gezählt. Ich weiß nicht, wo das Geld herkommt und warum ich es bei mir habe. Vielleicht hab ich es gestohlen.“
Erneut stiegen Tränen in ihre Augen, und sie wandte sich ab. „Es könnte sich um Lösegeld handeln. Ich könnte in eine Entführung verwickelt sein. Womöglich wird irgendwo ein Kind festgehalten, und ich habe das Lösegeld an mich genommen. Ich könnte …“
„Fügen wir zu Ihren Eigenschaften noch eine blühende Fantasie hinzu.“
Es lag an seiner kühlen und sachlichen Stimme, dass sie tief durchatmete und ihn wieder ansah. „In dieser Tasche steckt ein Vermögen.“
„Eine Million zweihunderttausend ist heutzutage kein großes Vermögen mehr.“ Er ließ das Geldbündel zurück in die Tasche fallen. „Und es tut mir leid, Bailey, aber Sie sind einfach nicht der Typ ‘eiskalte Entführerin’.“
„Aber Sie könnten das überprüfen. Sie könnten diskret herausfinden, ob es eine Entführung gegeben hat.“
„Natürlich. Wenn die Polizei eingeschaltet wurde, kann ich das herausfinden.“
„Und falls es einen Mord gegeben hat?“ Sie versuchte, ruhig zu bleiben, während sie erneut in die Tasche griff. Diesmal zog sie eine 38er hervor.
Cade zog scharf die Luft ein. Vorsichtig schob er den Lauf zur Seite, dann nahm er ihr die Pistole aus der Hand. Es handelte sich um eine Smith and Wesson, die, wie er nach kurzer Prüfung feststellte, voll geladen war. „Wie fühlt sie sich in Ihrer Hand an?“
„Ich verstehe nicht.“
„Wie hat es sich angefühlt, als Sie sie in die Hand genommen haben? Das Gewicht, die Form?“
Obwohl sie verblüfft über die Frage war, tat sie ihr Bestes, so präzise wie möglich zu antworten. „Sie ist nicht so schwer, wie ich dachte. Etwas mit so viel Kraft sollte mehr wiegen, mehr Substanz haben. Ich würde sagen, es fühlte sich komisch an.“
„Der Kugelschreiber hingegen nicht.“
Sie fuhr sich mit den Händen durchs Haar. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich habe Ihnen gerade über eine Million Dollar und eine Pistole gezeigt. Und Sie reden über Kugelschreiber.“
„Als ich Ihnen den Kugelschreiber gegeben habe, hat er sich in Ihrer Hand nicht komisch angefühlt. Sie mussten gar nicht darüber nachdenken. Sie nahmen ihn einfach und benutzten ihn.“ Er lächelte leicht und steckte die Pistole vorsichtshalber in seine Tasche. „Ich denke, dass Sie es weitaus mehr gewohnt sind, einen Kugelschreiber in der Hand zu halten, als eine 38er.“
Diese Tatsache, die simple Logik dahinter, schien sie zwar zu erleichtern, die düsteren Wolken aber vertrieb sie nicht. „Vielleicht haben Sie recht. Das heißt aber nicht, dass ich sie nicht benutzt habe.“
„Nein, das ist wahr. Und nachdem sie jetzt voll von Ihren Fingerabdrücken ist, können wir das auch nicht mehr beweisen. Ich kann aber überprüfen lassen, ob sie registriert ist. Und auf wen.“
In ihren Augen flackerte ein Funken Hoffnung auf. „Wenn sie mir gehört …“ Sie nahm seine Hand und drückte sie. „Wenn sie mir gehört, dann hätten wir einen Namen. Ich würde meinen Namen wissen. Mir war gar nicht klar, wie einfach das ist.“
„Einfach sein könnte.“
„Stimmt.“ Sie ließ seine Hand los und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Ihre Schritte waren ruhig und kontrolliert. „Das war vorschnell. Aber es tut so gut, mit jemandem zu reden, verstehen Sie? Mit jemandem, der sich auskennt. Ich weiß nicht, ob ich gut darin bin, Rätsel zu lösen. Mr. Parris …“
„Cade“, sagte er, fasziniert von der Tatsache, dass er ihre sparsamen Bewegungen so sexy finden konnte. „Machen wir’s nicht unnötig kompliziert.“
„Cade.“ Sie atmete tief durch. „Es ist schön, jemanden beim Namen nennen zu können. Sie sind der einzige Mensch, den ich kenne, und der einzige Mensch, von dem ich weiß, dass er mich kennt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie seltsam das ist. Und wie tröstlich.“
„Warum machen wir aus mir nicht den ersten Menschen, mit dem Sie gemeinsam etwas essen? Einen Schokoriegel kann man kaum als vernünftiges Frühstück bezeichnen. Sie sehen erschöpft aus, Bailey.“
Es war so sonderbar, wenn er sie mit diesem Namen ansprach. „Ja, ich bin müde“, gab sie zu. „Es fühlt sich nicht so an, als ob ich viel geschlafen hätte. Und ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal gegessen habe.“
„Was halten Sie von Rührei?“
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
„Nun, dann sollten wir es herausfinden.“ Er wollte ihre Tasche nehmen, doch sie hielt seine Hand fest.
„Da ist noch etwas.“ Sie schwieg einen Moment, sah ihn aber weiterhin an, so wie vorhin, als sie hereingekommen war. Fragend, abwägend, unentschlossen. Aber sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. „Sie müssen mir etwas versprechen.“
„Sie haben mich engagiert, Bailey. Ich arbeite für Sie.“
„Ich weiß nicht, ob meine Bitte in Ihrem Geschäft üblich ist, aber Sie müssen mir einfach Ihr Wort geben. Falls Sie bei den Ermittlungen feststellen, dass ich ein Verbrechen begangen habe, dann müssen Sie erst alles herausfinden, was Ihnen möglich ist, alle Umstände, alle Fakten, bevor Sie mich der Polizei melden.“
Er neigte den Kopf und sah sie ungläubig an. „Sie denken, ich werde Sie verraten?“
„Wenn ich das Gesetz gebrochen habe, dann erwarte ich sogar, dass Sie es tun. Aber ich muss erst alle Hintergründe kennen. Ich muss alles verstehen können. Versprechen Sie mir das?“
„Natürlich.“ Er ergriff ihre ausgestreckte Hand. Sie war so zerbrechlich wie dünnes Porzellan, aber ihr Händedruck war überraschend fest. Diese Frau, wer immer sie auch war, war eine faszinierende Mischung aus Kraft und Zerbrechlichkeit. „Keine Polizei, bevor wir nicht alles wissen. Sie können mir vertrauen, Bailey.“
„Sie versuchen, mich an den Namen zu gewöhnen.“ Unvermittelt gab sie ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. „Sie sind so nett.“
Nett genug, dachte sie, dass er sie bestimmt in seine Arme genommen hätte, wenn sie ihn darum gebeten hätte. Und sie sehnte sich danach, gehalten zu werden! Danach, dass sie jemand tröstete und ihr versprach, dass alles wieder gut würde. Aber sie musste das jetzt allein schaffen. Blieb nur zu hoffen, dass sie zu den Frauen gehörte, die es gewohnt waren, auf eigenen Füßen zu stehen.
„Noch etwas.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Tasche, steckte die Hand hinein, tastete nach dem dicken, schweren Samtbeutel. „Ich vermute, das ist überhaupt das Wichtigste.“
Sie zog den Beutel sehr vorsichtig heraus, beinahe ehrfürchtig, öffnete den Knoten und ließ den Inhalt auf ihre Handfläche gleiten.
Das Geld hatte ihn überrascht, die Waffe hatte ihn beunruhigt. Aber das hier flößte ihm Ehrfurcht ein! Das Glitzern, dieses selbst in dem regendüsteren Zimmer hoheitsvolle Glitzern, besaß eine atemberaubende Anziehungskraft. Der Edelstein füllte ihre Handfläche gänzlich aus, die Kanten waren sauber und scharf genug geschliffen, um noch das schwächste Licht einzufangen und in gleißenden Strahlen in den Raum zurückzuwerfen. Dieser Stein gehörte in die Krone einer Königin oder zwischen die Brüste einer uralten antiken Göttin.
„Ich habe noch nie einen so großen Saphir gesehen.“
„Das ist kein Saphir.“ Sie nahm seine Hand und legte den funkelnden Stein hinein. „Das ist ein blauer Diamant, ungefähr einhundert Karat. Brillantschliff, vermutlich von Asia Minor. Mit bloßem Auge sind keine Einschlüsse erkennbar, und sowohl die Farbe als auch die Größe sind außerordentlich selten. Ich schätze, er ist locker dreimal so viel Wert wie das Geld in der Tasche.“
Cade sah nun nicht mehr den Stein an, sondern sie. Als sie den Blick zu ihm hob, schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß nicht, woher ich das weiß. Aber ich weiß es. Genauso wie ich weiß, dass das nicht alles ist … dass es nicht komplett ist.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich wünschte, ich wüsste es. Aber es ist ein sehr starkes Gefühl, fast so, als würde ich mich erinnern. Ich weiß, dass dieser Stein ein Teil der Geschichte ist. Genauso wie ich weiß, dass er keinesfalls mir gehören kann. Er gehört eigentlich niemandem. Niemandem“, wiederholte sie. „Ich muss ihn gestohlen haben.“
Sie presste die Lippen zusammen, hob das Kinn und straffte die Schultern. „Und dafür habe ich womöglich getötet.“
Cade nahm Bailey mit zu sich nach Hause. Etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. Außerdem wollte er die Stofftasche samt Inhalt so schnell wie möglich in seinem Safe verstauen.
Sie hatte nicht protestiert, als er sie aus dem Gebäude geführt hatte, und sie hatte auch keinen Kommentar abgegeben, als er sie auf den Beifahrersitz seines Jaguars gesetzt hatte. Normalerweise zog er es vor, mit seinem alten, ziemlich verbeulten Sedan zur Arbeit zu fahren, aber nachdem der gerade in Reparatur war, war ihm nur der auffällige Jaguar geblieben.
Die ganze Zeit über sagte sie nichts, auch nicht, als er in eine wunderschöne Wohngegend mit einer Allee schattenspendender Bäume einbog und vor einem würdevollen, im typischen Südstaatenstil errichteten Gebäude hielt. Er wollte ihr schon erklären, dass er das Haus von einer Großtante geerbt hatte, die eine Schwäche für ihn hatte – was ja auch stimmte. Und dass er hier wohnte, weil ihm die Ruhe und der Komfort der Wohngegend gefielen.
Aber sie fragte gar nicht erst.
Cade hatte den Eindruck, dass sie vollkommen erschöpft war. Die Energie, die sie gebraucht hatte, um durch den Regen zu laufen, sein Büro zu finden und ihre Geschichte zu erzählen, war endgültig aufgebraucht. Sie wirkte beinahe teilnahmslos.
Und wieder so zerbrechlich. Er musste sich zwingen, sie nicht einfach auf seine Arme zu heben und ins Haus zu tragen. Dabei hatte er das Bild schon genau vor Augen: Er, der tapfere Ritter, der die Jungfrau in die Sicherheit seiner Burg brachte. Weg von all den bösen Drachen, die hinter ihr her waren.
Er musste wirklich aufhören, solchen Blödsinn zu denken.
Also schulterte er die Stofftasche, nahm Bailey an der Hand und zog sie mit sich zum Eingangsbereich, dann den Flur hinunter und direkt in die geräumige Wohnküche.
„Rührei“, sagte er, schob ihr einen Stuhl zurecht und drückte sie sanft darauf.
„Ja. Gut. Danke.“
Sie fühlte sich steif und desorientiert, gleichzeitig war sie ihm unendlich dankbar. Er löcherte sie nicht mit Fragen, er schien auch nicht besonders schockiert oder abgestoßen von ihrer Geschichte zu sein. Vielleicht lag es an seinem Beruf, dass er das alles so gelassen hinnahm. Egal, woran es lag, sie war einfach nur froh, dass er ihr Zeit gab, sich zu erholen.
Geschickt schlug er ein paar braune Eier in eine Schüssel, dann steckte er Brotscheiben in den Toaster. Ich sollte ihm meine Hilfe anbieten, dachte sie. Das wäre das Mindeste. Aber sie war so schrecklich müde, und es war so angenehm, einfach nur in dieser großen Küche zu sitzen, während der Regen aufs Dach prasselte, und ihm beim Bereiten des Frühstücks zuzusehen.
Er kümmerte sich um sie. Und sie ließ es geschehen. Bailey schloss die Augen. Sie fragte sich, ob sie zu den Frauen gehörte, die von einem Mann versorgt werden wollten, die gerne die Rolle des hilflosen Weibchens spielten.
Sie konnte nur hoffen, dass es nicht so war. Zugleich wunderte sie sich darüber, dass ihr ein so unbedeutender Charakterzug wichtig schien, wo sie doch noch nicht einmal wusste, ob sie eine gemeine Diebin oder Mörderin war.
Sie ertappte sich dabei, wie sie ihre Hände musterte. Sie hatte kurze, rund gefeilte und transparent lackierte Fingernägel. Bedeutete das, dass sie ein praktischer Mensch war? Ihre Hände waren zart und weich, ohne Schwielen. Also arbeitete sie nicht damit.
Die Ringe … sehr hübsch, schlicht und gleichzeitig ungewöhnlich. Zumindest glaubte sie das. Sie erkannte die Steine: Granat, Zitrin, Amethyst. Wieso nur wusste sie die Namen von Edelsteinen, aber nicht die ihrer engsten Freunde?
Hatte sie überhaupt Freunde?
War sie eine nette Person oder eine boshafte, großzügig oder engstirnig? Lachte sie viel und weinte sie im Kino? Gab es einen Mann, den sie liebte? Der sie liebte?
Hatte sie über eine Million Dollar gestohlen und diese hässliche kleine Pistole benutzt?
Sie zuckte zusammen, als Cade einen Teller vor sie hinstellte, wurde aber gleich wieder ruhig, als er eine Hand auf ihre Schulter legte.
„Sie müssen etwas essen.“ Er ging zurück zum Herd, um eine Tasse zu holen. „Ich könnte mir vorstellen, dass Sie lieber Tee als Kaffee trinken.“
„Ja. Vielen Dank.“ Sie nahm die Gabel zur Hand, schaufelte etwas Ei darauf und probierte. „Schmeckt gut.“ Ihr gelang ein Lächeln, ein zögerndes, schüchternes Lächeln, das sein Herz berührte.
„Na, das ist doch schon mal was.“ Nachdem er sich selbst einen Becher Kaffee eingeschenkt hatte, setzte er sich ihr gegenüber. „Ich bin auf der halben Welt bekannt für mein Rührei.“
Ihr Lächeln wurde breiter. „Und ich weiß auch, warum. Der Hauch Dill und Paprika macht den Unterschied.“
„Warten Sie erst mal, bis Sie mein spanisches Omelette versucht haben.“
„Ein Meister der Eier.“ Sie aß weiter, genoss die Leichtigkeit, mit der sie sich unterhielten. „Kochen Sie oft?“
Sie blickte sich in der Küche um. Natursteinfarbene Schränke und warmes, helles Holz. Ein Fenster ohne Vorhänge über einer Doppelspüle aus weißem Porzellan. Kaffeemaschine, Toaster und eine auseinandergefaltete Tageszeitung.
Der Raum war ordentlich, aber nicht übertrieben sauber. Und stand in krassem Gegensatz zu dem Durcheinander in seinem Büro. „Ich habe Sie gar nicht gefragt, ob Sie verheiratet sind.“
„Geschieden, und ich koche, wenn ich keine Lust mehr habe, essen zu gehen.“
„Ich frage mich, was ich wohl lieber mache – ausgehen oder selbst kochen.“
„Sie haben Paprika und Dill herausgeschmeckt.“ Er lehnte sich zurück und musterte sie, während er einen Schluck Kaffee trank. „Sie sind schön.“ Sie sah zu ihm auf, überrascht und, wie er bemerkte, mit einem Mal sehr wachsam. „Das ist nur eine Beobachtung, Bailey. Wir müssen mit den Tatsachen arbeiten, die wir kennen. Sie sind schön – auf eine ruhige, natürliche Art. Sie mögen nichts Grelles, und Sie können ein Kompliment über Ihr Aussehen nicht einfach annehmen. Im Gegenteil, es macht Sie nervös.“
Sie nahm ihre Tasse in beide Hände. „Ist es das, was Sie erreichen wollen?“
„Nein, aber ich finde es interessant. Und süß – wie Sie rot werden und mich gleichzeitig so misstrauisch ansehen. Sie können sich entspannen, ich mache Sie nicht an.“ Allerdings war der Gedanke gar nicht so abwegig. Eher faszinierend und, wie er zugeben musste, ein bisschen erregend. „Ich glaube allerdings nicht, dass Sie schüchtern sind“, fuhr er fort. „Ein Mann würde bei Ihnen bestimmt nicht weit kommen, nur indem er Ihnen erzählt, dass Ihre Augen die Farbe von warmem Brandy haben und dass der Kontrast zu Ihrer kühlen, kultivierten Stimme verdammt sexy ist.“
Sie hob die Tasse und ließ ihn nicht aus den Augen – obwohl es ihr schwerfiel. „Das klingt aber schon so, als ob Sie mich anmachen wollten.“
Seine Grübchen wurden tiefer, als er lächelte. „Sehen Sie, gar nicht schüchtern. Aber höflich, sehr höflich und sehr gut erzogen. Aus Ihrer Stimme höre ich New England heraus, Bailey.“
Sie starrte ihn an. „New England?“
„Connecticut, Massachusetts – ich bin nicht sicher. Aber da liegt ein Hauch von Ostküsten-Erziehung in Ihrer Stimme, vor allem, wenn sie so kühl wird.“
„New England.“ Sie suchte nach einer Verbindung. „Das bedeutet mir nichts.“
„Das ist noch ein Puzzleteil, das mir bei meiner Arbeit hilft. Sie riechen förmlich nach Klasse. Entweder sind Sie schon hineingeboren worden, oder Sie haben diese Klasse entwickelt, wie auch immer, sie ist da.“ Er erhob sich, um ihren Teller wegzuräumen. „Genauso wie Ihre Erschöpfung. Sie müssen schlafen.“
„Ja.“ Bei dem Gedanken, zurück in ihr Hotelzimmer zu gehen, musste sie ein Schaudern unterdrücken. „Soll ich später in Ihrem Büro anrufen und einen weiteren Termin vereinbaren? Ich habe die Nummer des Hotels und die Zimmernummer aufgeschrieben. Sie können mich anrufen, sobald Sie etwas herausgefunden haben.“
„Sie gehen nicht zurück ins Hotel.“ Energisch nahm er sie bei der Hand und zog sie auf die Füße. „Sie bleiben hier. Hier ist genügend Platz.“
„Hier?“
„Ich halte es für das Beste, wenn ich ein Auge auf Sie haben kann. Zumindest vorläufig.“ Er führte sie aus der Küche und schob sie die Treppe hinauf. „Das hier ist eine ruhige und sichere Gegend, und bis wir herausgefunden haben, wie Sie an 1,2 Millionen Dollar und einen faustgroßen Diamanten gekommen sind, möchte ich nicht, dass sie allein durch die Stadt wandern.“
„Sie kennen mich doch gar nicht.“
„Sie sich auch nicht. Daran müssen wir arbeiten.“
Er öffnete die Tür zu einem Raum, wo durch Spitzenvorhänge gedämpftes Licht auf den polierten Eichenboden fiel. Ein Tisch mit vier Stühlen stand vor dem Kamin, das Himmelbett war mit einer bestickten Decke und vielen großen und kleinen Kissen dekoriert.
„Schlafen Sie ein wenig“, sagte er. „Dort drüben ist das Badezimmer. Ich werde Ihnen etwas hinlegen, das sie später anziehen können.“
Wieder spürte sie Tränen in sich aufsteigen. „Laden Sie all Ihre Klienten zu sich nach Hause ein?“
„Nein.“ Er berührte ganz leicht ihre Wange, dann ließ er seine Hand wieder fallen, obwohl er Bailey am liebsten an sich gezogen und ihren Kopf an seine Schulter gebettet hätte. „Nur die, die es brauchen. Ich bin unten, falls was ist. Es gibt noch ein paar Dinge zu erledigen.“
„Cade.“ Sie griff nach seiner Hand und hielt sie einen Moment lang fest. „Danke. Wie es scheint, habe ich den richtigen Namen im Telefonbuch erwischt.“
„Ruhen Sie sich aus, und überlassen Sie alles Weitere erst mal mir.“
„Das werde ich. Ach, und … bitte, könnten Sie die Tür offen lassen?“, bat sie schnell, als er in den Gang trat.
Er musterte sie von der Tür aus. Sie sah so zart aus, so verletzlich. „Ich bin die ganze Zeit über unten.“
Sie lauschte seinen Schritten, bevor sie sich auf das Bett sinken ließ. Vielleicht war es dumm von ihr, sich so voll und ganz in seine Hände zu begeben. Aber sie vertraute ihm. Nicht nur, weil ihre Welt derzeit nur aus ihm bestand, sondern weil all ihre Instinkte ihr sagten, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Vielleicht war sie einfach nur verzweifelt, aber sie wusste nicht, wie sie ohne ihn die letzten Stunden überstanden hätte. Ihre Gegenwart und ihre Zukunft hingen von Cade Parris ab. Von seiner Fähigkeit, das Geheimnis ihrer Vergangenheit zu lüften.
Sie schlüpfte aus den Schuhen, zog die Jacke aus und legte sie ordentlich gefaltet auf einen Stuhl. Beinahe war ihr schwindlig vor Müdigkeit. Sie kletterte aufs Bett, kauerte sich zusammen und schlief in der Sekunde ein, in der sie die Augen schloss.
Im Erdgeschoss nahm Cade ihre Fingerabdrücke von der Teetasse. Er hatte die entsprechenden Beziehungen, um die Abdrücke so schnell und so diskret wie möglich überprüfen zu lassen. Falls Bailey vorbestraft war oder irgendwann einmal für die Regierung gearbeitet hatte, würde er ihre Identität auf diese Weise schnell herausfinden.
Außerdem musste er feststellen, ob eine Frau, zu der ihre Beschreibung passte, als vermisst gemeldet worden war. Auch das würde nicht weiter schwer sein.
Das Geld und der Diamant eröffneten ihm noch eine weitere Möglichkeit. Der Diebstahl eines Edelsteins dieser Größe wäre auf jeden Fall gemeldet worden. Er musste ein paar der Fakten, die Bailey ihm genannt hatte, überprüfen und anschließend eigene Nachforschungen anstellen. Wo der Stein registriert war beispielsweise und ob es in letzter Zeit einen Mord oder eine Schießerei mit einer 38er gegeben hatte.
All das wäre natürlich am effektivsten, wenn er es persönlich erledigte. Aber er wollte sie jetzt nicht allein lassen. Sie konnte Panik bekommen und verschwinden, und das durfte er auf keinen Fall riskieren. Genauso gut war es möglich, dass sie aufwachte, sich an alles erinnerte und zurück in ihr eigenes Leben ging, bevor er auch nur die Chance hatte, sie zu retten.
Und er wollte sie wirklich sehr gerne retten.
Während er die Tasche im Safe verstaute, seinen Computer anschaltete und sich ein paar Notizen machte, rief er sich immer wieder in Erinnerung, dass sie vielleicht einen Ehemann, sechs Kinder, zwanzig eifersüchtige Liebhaber und eine Liste von Vorstrafen hatte, die so lang war wie die Pennsylvania Avenue. Aber das war ihm egal.
Sie war seine Jungfrau in Not, und, verdammt, er würde sie retten.
Er erledigte einige Anrufe und kümmerte sich darum, dass ihre Fingerabdrücke bei seiner Kontaktperson bei der Polizei landeten. Dieser kleine Gefallen würde ihn höchstens eine Flasche feinsten Scotch kosten.
„Übrigens, Mick, wissen Sie etwas von einem Juwelenraub? Einem ziemlich großen?“
Cade konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Detective Mick Marshall seine Unterlagen durchwühlte, den Hörer unters Ohr geklemmt, mit schiefer Krawatte und drahtigem roten Haar, das ihm in alle Richtungen vom Kopf abstand.
„Wissen Sie etwas, Parris?“
„Hab nur so was gehört“, murmelte Cade beiläufig. „Falls es etwas Großes war, könnte ich einen Hinweis auf die Versicherungsgesellschaft brauchen. Irgendwie muss auch ich meine Miete zahlen, Mick.“
„Zum Teufel, ich weiß nicht, warum Sie nicht einfach gleich das ganze Gebäude kaufen, Sie reicher Junge.“
„Ich bin exzentrisch – so nennt man reiche Jungs, die sich mit Leuten wie Ihnen abgeben. Also, was wissen Sie?“
„Ich hab von nichts gehört.“
„Okay. Ich habe eine 38er Smith and Wesson.“ Cade drehte die Waffe in seiner Hand und leierte die Seriennummer herunter. „Können Sie sie für mich überprüfen?“
„Das macht schon zwei Flaschen Scotch, Parris.“
„Wofür sind Freunde denn da? Wo wir gerade dabei sind – wie geht es Doreen?“
„Prächtig. Vor allem, seit Sie ihr diese verdammten Tulpen mitgebracht haben. Ich bekomme gar nichts anderes mehr zu hören. Als ob ich Zeit hätte, nach Feierabend noch Blumensträuße pflücken zu gehen! Eigentlich sollte ich auf drei Flaschen Scotch erhöhen.“
„Wenn Sie etwas über den vermissten Klunker herausfinden, Mick, dann bekommen Sie eine ganze Kiste voll. Bis später.“
Cade legte auf und starrte düster auf den Bildschirm seines Computers. Mensch und Maschine – sie mussten jetzt einfach miteinander auskommen.
Er brauchte ungefähr dreimal so lange wie ein durchschnittlich intelligenter Zwölfjähriger, um in den Weiten des Internets zu finden, wonach er suchte.
Amnesie.
Cade trank noch eine Tasse Kaffee, und dann erfuhr er mehr über das menschliche Gehirn, als er jemals hatte wissen wollen. Für einen kurzen, unangenehmen Augenblick befürchtete er, dass Bailey vielleicht einen Tumor hatte. Und er selbst womöglich auch. Er durchlebte eine existenzielle Sorge um sein Stammhirn, bevor er wieder wusste, warum er seiner Mutter nie den Gefallen getan hatte, Medizin zu studieren.
Der menschliche Körper mit all seinen Tücken war einfach zu beängstigend. Eine tickende Zeitbombe. Nein, da setzte er sich lieber mit einer geladenen 38er auseinander als mit irgendwelchen inneren Organen.
Schließlich kam er einigermaßen erleichtert zu dem Schluss, dass Bailey vermutlich keinen Tumor hatte. Alle Zeichen deuteten auf eine hysterische Amnesie hin, die Stunden, im ungünstigen Fall auch Wochen dauern konnte. Monate. Manchmal sogar Jahre. Womit er im Grunde genauso viel wusste wie zu Anfang. Der Artikel deutete an, dass eine Amnesie ein Symptom und keine Krankheit war, und dass sie geheilt werden konnte, indem man den Grund des erlittenen Schocks fand und auflöste.
Und hier kam er ins Spiel. Cade Parris. Er hatte den Eindruck, dass ein guter Detektiv mindestens so qualifiziert war wie ein Arzt, um Baileys Problem zu beseitigen.
Sorgsam notierte er alle relevanten Ergebnisse, bevor er zufrieden nach oben lief, um Bailey ein paar frische Kleider herauszusuchen.
Sie wusste nicht, ob es Traum war oder Wirklichkeit – nicht einmal, ob es sich um ihren eigenen Traum oder die Realität einer anderen handelte. Aber alles kam ihr vertraut vor, so merkwürdig vertraut …
Der dunkle Raum, der helle Lichtstrahl der Tischlampe. Der Elefant. Wie seltsam – der Elefant schien sie anzugrinsen, den Rüssel erhoben zum Zeichen, dass er Glück brachte, die glänzend blauen Augen funkelnd vor heimlicher Belustigung.
Weibliches Gelächter – bekannt und so tröstlich. Freundliches, vertrautes Gelächter.
Diesmal wird es Paris sein, Bailey. Wir werden nicht schon wieder zwei Wochen lang zusehen, wie du im Dreck herumwühlst. Was du brauchst, ist Romantik, Leidenschaft, Sex. Es wird Paris sein.
Ein Dreieck, golden und glänzend. Und ein Raum voller Licht, grelles, blendendes Licht. Ein Mann, der kein Mann ist, mit einem so freundlichen Gesicht, so weise und großzügig, dass die Seele erschauern will. Und das goldene Dreieck, das er in den geöffneten Händen hält, die Kraft der blauen Steine, die sich in die Winkel des Dreiecks schmiegen. Die Steine schimmern und pulsieren, schießen Blitze in den Lichtstrahl.
Die Schönheit brennt in den Augen.
Sie hält sie in ihren Händen, die Hände zittern. Wut, eine unbändige Wut kreist in ihr. Und Angst. Die Steine schießen aus ihren Händen, erst einer, dann zwei fliegen davon wie juwelenbesetzte Vögel. Den dritten Stein presst sie an ihr Herz.
Silberblitze, jede Menge Silberblitze. Der Raum erfüllt von gleißendem Licht. Blut. Überall Blut. Es strömt über den Boden wie ein abscheulicher Fluss.
Mein Gott, es ist nass, so rot und nass und teuflisch dunkel.
Rennen. Stolpern. Herzrasen. Es ist wieder dunkel. Das Licht ist gelöscht, die Sterne sind verschwunden. Da ist ein Korridor, ihre Absätze hallen wie die Donnerschläge, die den Blitzen folgen. Es verfolgt sie, jagt sie in der Dunkelheit, während die Wände auf sie zukommen, näher und näher.
Sie kann den Elefanten trompeten hören. Sie krabbelt in die Höhle und versteckt sich wie ein Tier, bebend und winselnd wie ein Tier, als der Blitz sie trifft …
„Kommen Sie, Bailey. Kommen Sie. Es ist nur ein böser Traum.“
Verzweifelt versuchte sie, aus der Dunkelheit aufzutauchen, um zu der beruhigenden Stimme zu gelangen. Stöhnend vergrub sie ihr schweißnasses Gesicht an der breiten, starken Schulter.
„Blut. So viel Blut. Der Blitz. Es kommt näher … Es ist schon so nah!“
„Nein, jetzt ist es weg.“ Cade hauchte einen kaum spürbaren Kuss auf ihr Haar, zog sie auf seinen Schoß und schaukelte sie wie ein Kind. Als er ins Zimmer gekommen war, um ihr einen Bademantel bereitzulegen, hatte er bemerkt, wie sie im Schlaf weinte. Jetzt klammerte sie sich zitternd an ihn. „Sie sind in Sicherheit, Bailey. Versprochen.“
„Die Sterne. Drei Sterne.“ Noch immer gefangen zwischen Wachen und Schlafen, wand sie sich unruhig in seinen Armen. „Ich muss nach Paris.“
„Sie sind schon da. Ich bin hier.“ Er legte ihren Kopf zurück, berührte sanft ihre Wange. „Genau hier.“ Er wartete, bis ihr Blick klar wurde. „Beruhigen Sie sich. Ich bin doch da.“
„Gehen Sie nicht weg.“ Mit einem Schaudern ließ sie den Kopf wieder an seine Schulter sinken, genau so, wie er es sich vorgestellt hatte. Das Ziehen in seiner Brust kam schlagartig und heftig.
Er vermutete, dass es Liebe auf den ersten Blick war.
„Ich gehe nicht weg. Ich kümmere mich um Sie.“
Das reichte, um sie etwas zu beruhigen. Sie hörte auf zu zittern, entspannte sich und schloss die Augen. „Ich habe geträumt. Aber es war so verwirrend, so beängstigend. Und ich verstehe es nicht.“
„Erzählen Sie mir von dem Traum.“
Er lauschte aufmerksam, während sie versuchte, sich so gut wie möglich zu erinnern und die Details in die richtige Reihenfolge zu bringen. „Da waren so viele Gefühle, die mich überschwemmt haben. Angst. Und Wut. Die Vorstellung, hintergangen worden zu sein. Und dann das Grauen. Pures, sinnloses Grauen.“
„Das könnte Ihren Gedächtnisverlust erklären. Sie sind noch nicht so weit, sich mit dem auseinanderzusetzen, was Sie erlebt haben. Sie blenden es aus. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Art Hysterie.“
„Hysterie?“ Sie hob den Kopf. „Ich soll hysterisch sein?“
„Nun ja, gewissermaßen.“ Gedankenverloren zeichnete er mit einem Finger die Konturen ihres Gesichts nach. „Steht Ihnen aber nicht schlecht.“
Mit einer sehr bestimmten Bewegung schob sie seine Hand fort. „Ich mag den Begriff nicht.“
„Das ist lediglich eine medizinische Bezeichnung. Sie haben doch keinen Schlag abbekommen, oder? Auf den Kopf vielleicht?“
Jetzt kniff sie die Augen zusammen. „Nicht, dass ich wüsste. Aber ich bin ja auch hysterisch. Was weiß ich schon.“
„Nun werden Sie nicht albern. Ich will nur sagen, dass eine Amnesie auch die Folge einer Gehirnerschütterung sein kann.“ Er wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. „Ich dachte immer, dass das totaler Blödsinn ist oder eine Erfindung aus Hollywood, aber offenbar gibt es so was wirklich. Ein weiterer Grund für Gedächtnisverlust kann eine funktionelle nervöse Störung sein, wie zum Beispiel – entschuldigen Sie bitte – eine Hysterie.“
Sie betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Ich bin nicht hysterisch, aber ich könnte es bestimmt werden, falls Sie eine kleine Demonstration wünschen.“
„Davon hatte ich schon genug in meinem Leben. Ich habe Schwestern, Bailey.“ Er nahm ihr Gesicht mit solch entwaffnender Zärtlichkeit in beide Hände, dass sie vor Überraschung die Augen aufriss. „Sie stecken in Schwierigkeiten, das ist das Entscheidende. Und wir werden das wieder hinbekommen.“
„Indem Sie mich auf Ihren Schoß setzen?“
„Das ist nur eine Zusatzleistung.“ Ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht. Als sie jedoch versuchte, von seinem Schoß zu rutschen, verstärkte Cade seinen Griff. „Mir gefällt es so. Sehr sogar.“
Sie konnte mehr als nur Belustigung in seinen Augen entdecken, etwas, das ihren Puls in die Höhe schnellen ließ. „Ich glaube nicht, dass es klug von Ihnen ist, mit einer Frau zu flirten, die nicht einmal selbst weiß, wer sie ist.“
„Vielleicht ist es nicht klug, aber es macht Spaß. Und es könnte Sie ein wenig ablenken.“
Sie schluckte unmerklich. Es war fast unmöglich, dem Charme seines Lächelns zu widerstehen. Beinahe konnte sie sich ausmalen, wie wunderbar sich seine Lippen auf ihren anfühlen würden.
Vielleicht, weil sie sich gar keine anderen Lippen vorstellen konnte? Weil sie sich an keinen Geschmack erinnern konnte, an kein besonderes Gefühl? Nachdem er somit in gewisser Weise der erste Mann wäre, der sie küsste, fühlte sie einen Schauer der Erregung durch ihren Körper jagen.
Sein Blick wanderte von ihren Augen hinab zu ihrem Mund, dann wieder zurück. Er konnte sich einen Kuss sogar ziemlich gut vorstellen, und er war sich fast schon sicher, dass romantische Musik im Hintergrund erschallen würde, sobald seine Lippen ihre berührten.
„Wollen Sie es versuchen?“
Lust, pure und schockierende Lust durchströmte ihre Glieder und ließ ihre Nerven flattern. Sie war allein mit ihm, mit diesem Fremden, dem sie ihr Leben anvertraut hatte. Diesem Mann, über den sie mehr wusste als über sich selbst.
„Ich kann nicht.“ Sie legte eine Hand an seine Brust, überrascht davon, dass seine Stimme zwar ruhig klang, sein Herz aber mindestens genauso schnell klopfte wie ihres. „Ich habe Angst davor.“
„Meiner Erfahrung nach ist das Küssen keine allzu beängstigende Angelegenheit.“
Daraufhin musste sie wieder lächeln, und als sie diesmal zappelte, ließ er sie los.
„Es ist besser, die Dinge nicht noch komplizierter zu machen, als sie sowieso schon sind.“ Nervös strich sie sich das Haar zurück. „Ich würde gerne duschen, wenn das in Ordnung ist.“
„Sicher. Ich habe Ihnen einen Bademantel gebracht, außerdem eine meiner Jeans, die Sie hochkrempeln können. Als Ersatz für einen Gürtel ist mir nichts Besseres eingefallen als eine Wäscheleine. Zumindest wird sie die Hose halten und ein echt außergewöhnliches Modestatement sein.“
„Sie sind sehr nett, Cade.“
„Das sagen sie alle.“ Er schloss die kleine Kammer der Lust in sich ab und stand auf. „Kann ich Sie eine Stunde lang allein lassen? Ich muss ein paar Dinge erledigen.“
„Ja, natürlich.“
„Sie müssen mir versprechen, dass Sie das Haus nicht verlassen, Bailey.“
Abwehrend hob sie die Hände. „Wohin sollte ich schon gehen?“
Jetzt sah er ihr direkt in die Augen. „Versprechen Sie mir, dass Sie das Haus nicht verlassen.“
„Na schön. Versprochen.“
„Ich bin bald zurück.“ Er lief zur Tür. „Und, Bailey … Denken Sie darüber nach, ja?“
An dem Funkeln in seinen Augen erkannte sie, dass er nicht etwa von den Umständen sprach, die sie zu ihm geführt hatten. Als sie vom Fenster aus beobachtete, wie er in seinen Wagen stieg und davonfuhr, dachte sie bereits darüber nach. Über ihn.
So wie jemand über sie nachdachte. Es waren dunkle, rachsüchtige Gedanken. Sie war ihm entwischt, und mit ihr die Beute und die Macht, die er so sehr begehrte.
Er hatte bereits den Preis für sein Versagen bezahlt, aber das war längst nicht genug. Er würde sie finden, und wenn es so weit war, hatte sie einen viel höheren Preis zu zahlen. Am Ende würde sie mit ihrem Leben bezahlen, auch wenn das unerheblich war.
Viel wichtiger waren die Schmerzen. Und die Angst. Nur das konnte ihn zufriedenstellen. Das Geld, das er verloren hatte, spielte keine Rolle, es war fast genauso unbedeutend wie das Leben dieser törichten Frau. Aber sie besaß, was er brauchte und was ihm gehörte. Und das würde er sich zurückholen.
Es gab drei davon. Jeder einzelne war kostbar, doch zusammen waren sie von unschätzbarem Wert. Er hatte bereits Schritte eingeleitet, um die zwei zurückzubekommen, die sie vor ihm zu verstecken versucht hatte. Es würde noch eine Zeit dauern, bis er sie hatte, natürlich. Er musste vorsichtig sein, wachsam, und er musste dafür sorgen, dass die Gewalt, die er anwenden musste, nicht mit ihm in Verbindung gebracht wurde. Aber in jedem Fall würden die zwei Teile des Dreiecks bald ihm gehören, diese zwei sagenhaften Sterne in ihrer ganzen Schönheit und Pracht.
Er saß in dem Raum, den er für seine Schätze hatte bauen lassen. Für seine Schätze, die er gekauft, gestohlen und für die er Blut vergossen hatte. Juwelen und Gemälde, Statuen und wertvolle Pelze glänzten und glitzerten in seiner geheimen Höhle. Der Altar, den er errichtet hatte, um darauf seinen begehrtesten Schatz zu betten, war leer. Wartete.
Doch bald …
Bald würde er die beiden Ersten bekommen, und sobald er den Dritten in Händen hielt, würde er unsterblich sein.
Und die Frau tot.
Das da im Spiegel war ihr Körper. Bailey atmete tief durch. Sie sollte sich besser an den Anblick gewöhnen. In dem vom Wasserdampf beschlagenen Glas sah ihre Haut blass und glatt aus. Ein wenig verlegen legte sie eine Hand an ihre Brust.
Lange Finger, kurz gefeilte Nägel, eher kleine Brüste. Ihre Arme waren ein bisschen dünn, wie sie mit einem Stirnrunzeln feststellte. Vielleicht sollte sie Krafttraining machen.
An Hüften und Bauch konnte sie kein überflüssiges Gramm Fett entdecken, also trieb sie ja vielleicht ein bisschen Sport. An den Schenkeln stellte sie durchaus einige Muskeln fest. Wie groß sie wohl war? Ein Meter fünfundsechzig? Sie wünschte, sie wäre größer. Wenn eine Frau schon mit über zwanzig ihr Leben ganz von vorne beginnen musste, dann sollte sie sich wenigstens ihre Körpergröße aussuchen dürfen. Und vollere Brüste und längere Beine wären auch nett gewesen.
Über sich selbst amüsiert, drehte sie sich um und sah über die Schulter hinweg, um sich von hinten betrachten zu können. Ihr Mund klappte auf. Sie hatte eine Tätowierung auf dem Hintern.
Wie in aller Welt kam die Tätowierung eines – was sollte das sein? Ein Einhorn? – eines Einhorns auf ihren Po? War sie denn verrückt? Sich tätowieren zu lassen war eine Sache – doch sich diesen speziellen Körperteil tätowieren zu lassen bedeutete nichts anderes, als diesen speziellen Körperteil irgendeinem nadelschwingenden Fremden hinzuhalten.
War sie betrunken gewesen?
Ein wenig verschämt wickelte sie sich in ein Handtuch und verließ das Badezimmer. Dort dauerte es eine Weile, bis sie die Jeans und das Hemd einigermaßen um sich drapiert hatte. Sie hängte ihr Kostüm auf und fuhr sich laut seufzend mit den Fingern durch das noch feuchte Haar.
Cade hatte sie gebeten, im Haus zu bleiben, aber das hieß nicht, dass sie auch in diesem Zimmer bleiben musste. Wenn sie sich nicht ablenkte, würde sie nur wieder zu viel nachdenken: über die Tasche mit dem Geld, über den riesigen blauen Diamanten, über Mord und Tätowierungen. Also verließ sie das Zimmer und stellte überrascht fest, dass sie sich in dem menschenleeren Haus nicht unwohl fühlte. Vermutlich spiegelte das ihre Gefühle für Cade wider. Bei ihm fühlte sie sich auch nicht unwohl. Von der ersten Minute an hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie mit ihm über alles reden und sich auf ihn verlassen konnte.
Aber das lag wohl daran, dass sie mit niemandem sonst reden und sich auf niemanden sonst verlassen konnte.
Gleichwohl war er ein netter, rücksichtsvoller Mann. Und intelligent und mutig war er auch, wie sie vermutete, sonst wäre er nicht Privatdetektiv geworden. Er besaß ein wunderschönes Lächeln und aufmerksame Augen. Zudem hatte er starke Arme und, da war sie sich sicher, einen ebenso starken Charakter.
Und Grübchen, bei deren Anblick sie das starke Bedürfnis empfand, sie zu berühren.
Sein Schlafzimmer. Auf der Unterlippe kauend, verharrte sie auf der Schwelle. Es war unhöflich, hier herumzuschnüffeln. Sie fragte sich, ob sie ein unhöflicher Mensch war, der achtlos in die Privatsphäre anderer Leute eindrang. Aber sie brauchte etwas, irgendetwas, um all diese Leerstellen in ihrem Kopf zu füllen. Und außerdem hatte er die Tür offen stehen lassen.
Sie trat ein.