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Ein Reise zu einer Insel mitten im Pazifik, wo die Natur intakt ist und das Meer seine Geheimnisse offenbart: Sergio Bambaren, dem vor Jahren schon ein Delphin zum Lehrmeister und die Unterwasserwelt zur zweiten Heimat wurde, verbringt eine Woche auf Gorgona. Hier, vor der Küste Kolumbiens, lernt er die Faszination riesiger Buckelwale hautnah kennen. Bei einem Badeausflug wird er Zeuge ihres berückenden Gesangs unter Wasser. Er schlägt die Warnungen der anderen Urlauber in den Wind und folgt der Musik der Wale. Und er erlebt die Magie einer ganz besonderen Stunde, als eine Walmutter und ihr Junges mit ihm zu tanzen beginnen ...
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Übersetzung aus dem Englischen von Gaby Wurster
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2013
ISBN 978-3-492-96202-5
© Sergio Bambaren, 2011 Originaltitel: »A Glimpse of God« Deutschsprachige Ausgabe: © 2013 Piper Verlag GmbH, München Umschlaggestaltung: Mediabureau Di Stefano, Berlin unter Verwendung einer Illustration von Ruane Manning Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Manchmal denke ich, ich habe schon alles erlebt.
Als leidenschaftlicher Reisender und als Freigeist, der ich mit den Jahren geworden bin, habe ich manchmal das Gefühl, mehrere Leben in einem einzigen gelebt zu haben.
Aber wenn mich dieses Gefühl der Erfüllung überkommt, wird mir klar, dass es grenzenlos viele Möglichkeiten gibt, sich zu einem besseren Menschen weiterzuentwickeln. Also gehe ich weiter, gehe woandershin und probiere etwas Neues aus.
Bewegung bringt immer Veränderungen mit sich. Ich setze mir ein Ziel und bewege mich darauf zu. Und plötzlich taucht wie aus dem Nichts eine neue, faszinierende Welt auf und gibt mir Anlass, das, was ich für verbürgt gehalten hatte, noch einmal neu zu überdenken. Auch mein Verständnis vom Sinn des Lebens verändert sich laufend. Plötzlich erlebe ich neue Gefühle, Ängste und Emotionen, die ich nie zuvor verspürt habe. Ich stelle mich selbst auf die Probe, setze mich über das hinweg, was ich für meine physischen und psychischen Grenzen hielt, und manchmal erreiche ich etwas, was ich zuvor für unerreichbar gehalten habe. Dann schätze ich diese wundervolle Reise, die sich Leben nennt, sogar noch mehr. Ich sinne wieder über die perfekte Synergie der Welt nach und fühle mich auf eigenartige, aber begeisternde Art neu geboren.
Die Geschichte, die ich mit euch teilen will, ist wahr. Wenn ich darüber nachdenke, kann ich manchmal gar nicht glauben, dass sie mir tatsächlich geschehen ist, dass ich sie habe geschehen lassen.
Im Lauf der Jahre wurde ich mit herrlichen Augenblicken gesegnet, die aus meinem Leben eine Ode an die Freude gemacht haben.
Es gibt Momente tiefen Friedens, die mich auf eine wundervolle Ebene innerer Entdeckungen heben, und ich freue mich an den einfachen Dingen des Lebens, die jeder Mensch kennt: Liebe, Trauer, ein Sohn, wunderbare Freunde, Reisen um die ganze Welt und vieles mehr.
Doch ich war immer schon ein Abenteurer und werde immer einer sein. Ich versuche grundsätzlich, an meine Grenzen zu kommen – nicht unbedingt, um herauszufinden, wie weit ich gehen kann, sondern einfach, weil mir meine innere Stimme immer zuflüstert, ich solle Neues ausprobieren, den weniger begangenen Weg einschlagen, das Leben mit eigenen Augen sehen.
Wahrscheinlich begann alles damit, dass ich als Kind immer draußen auf den Klippen meiner Heimatstadt saß, auf dreißig Meter hohen Felsen, wo ich den Sonnenuntergang beobachtet, den Wind vom salzigen Meer her gespürt oder einfach in die Brandung geblickt habe. Aber als ich älter wurde, habe ich die Erfahrung gemacht, dass der einzige Weg, etwas dazuzulernen, das Fallen und Wieder-Aufstehen ist. Ich habe vieles getan, was die meisten für verrückt halten würden, einige wenige Menschen jedoch nicht.
Zum Beispiel habe ich ein Kloster im Himalaja besucht. Im verschneiten Gebirge wäre ich fast erfroren. Ich habe tagelang allein an fernen Orten ohne jede Verbindung zu der Gesellschaft gelebt, in die ich hineingeboren wurde. Ich bin die größten Wellen geritten und wäre fast ertrunken. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, habe ich mich in richtig gefährliche Situationen gebracht. Denn wenn ich höre, dass die Stimme meines Herzens mir sagt: Tu es!, dann tue ich es.
Ich bin, wer ich bin, und während ich älter wurde und mich weiterentwickelt habe, kam ich zu der Überzeugung, dass wir zwei Möglichkeiten haben: Entweder wir bleiben in der Sicherheitszone, wo uns nichts geschieht, oder wir überwinden die Glaswände, die die Gesellschaft um uns herum aufgebaut hat, handeln nach unserem jeweiligen wahren Selbst und führen das Leben, das für uns bestimmt ist. Ich habe mich für Letzteres entschieden – auch wenn nichts falsch daran ist, in der Sicherheitszone zu verbleiben, sofern es das ist, was man wirklich will. Ich hatte viele sehr nahe Erfahrungen mit meiner eigenen Sterblichkeit, doch in diesen Momenten habe ich einige der wichtigsten Lektionen gelernt, die das Leben mir ermöglicht hat.
Das Risiko ist zweifellos echt. Aber ich muss mir selbst treu bleiben. Wenn ich mich jeden Tag im Spiegel anschauen will, ohne die Augen schließen zu müssen oder mich unwohl zu fühlen, muss ich der sein und das tun, zu dem ich geboren wurde.
Mein Leben lang habe ich ständig und immer Wellen geritten, und meine Liebe zum Meer ist täglich größer geworden. Ich bin an der Küste geboren, mit vier oder fünf Jahren habe ich schon schwimmen gelernt, und durch die gewachsene Beziehung zu meinem Bruder, dem Ozean, konnte ich all die wundervollen Geschöpfe entdecken, die die Weltmeere bewohnen.
Es hat mir immer Spaß gemacht, mit Delphinen und Seelöwen um mich herum zu surfen, ja sogar mit dem einen oder anderen Hai. Seit etwa zehn Jahren begeistere ich mich allerdings auch für das Tauchen und bewundere die Welt, die unterhalb der Oberfläche liegt: ein Ort vollkommener Ruhe mit tollen schillernden Fischen, farbenprächtigen Korallen und vielen anderen Wundern. Dort bin ich der Natur so nahe, dass ich mitunter für immer dort bleiben möchte.
Vor allem aber schnorchele ich liebend gern und drifte direkt unter der ruhigen Meeresoberfläche. Ich kontrolliere meinen Atem und versuche, immer länger unter Wasser zu bleiben – ein meditativer Zustand, den ich nur schwer erklären kann: völlige Ruhe und Stille, die irgendwie meinen Atemrhythmus und meinen Herzschlag verlangsamen, sodass ich länger mit dem Sauerstoff auskomme, den mein Körper braucht, bevor ich wieder auftauche, immer umgeben von wunderbaren Tieren. Schon immer bin ich mit wilden Delphinen geschwommen, weil ich das Gefühl habe, einer von ihnen zu sein. Auch mit riesigen Mantarochen, den »Engeln der Meere«, bin ich getaucht, mit acht Meter langen Walhaien und allen möglichen anderen Meeresbewohnern, die man sich nur vorstellen kann – außer mit einem, dem Wal.
Und so sagt die Stimme meines Herzens mal wieder leise, dass die Zeit gekommen sei, die ultimative Herausforderung anzunehmen, das ultimative Wagnis einzugehen. Ich recherchiere also ein bisschen und weiß auch gleich, wohin ich aufbrechen muss.
Wie ich anfangs sagte: Dies ist eine wahre Geschichte. Mein Ziel war zwar herauszufinden, ob es mir gelingen würde, mit Buckelwalen zu schwimmen, aber diese kurze Reise hat mich sehr viel mehr gelehrt, als ich gedacht hätte. Ich habe nicht nur von diesen Riesengeschöpfen gelernt, sondern auch von den Menschen, die sich tagtäglich um sie kümmern und die auf einer winzigen, abgelegenen Insel im Pazifik leben. Dort hatte ich das große Glück, mit einer der faszinierendsten Tierarten, die diesen Planeten bewohnen, schwimmen und kommunizieren zu dürfen. Aus meiner bescheidenen Perspektive hatte ich das Gefühl, in diesen Tieren, tief im blauen Wasser, wo ich mich stets am wohlsten fühle, einen Blick auf Gott zu erhaschen.
Gorgona ist eine kleine, unbewohnte Insel im Pazifischen Ozean, sie liegt etwa fünfunddreißig Kilometer vor der Küste Kolumbiens und umfasst den prachtvollen Naturpark Parque Nacional Natural Isla Gorgona. Die nächstgelegene Stadt auf dem Festland ist Guapí – ein kleiner Küstenort im wilden Urwald Westkolumbiens.
Die Reise dorthin ist schon ein Abenteuer für sich. Man fliegt zuerst in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá, von dort nach Cali, der drittgrößten Stadt des Landes. In Cali steigt man in einen Doppeldecker, der bei wahrlich böigen Wetterverhältnissen etwa vierzig Minuten über den Regenwald nach Guapí fliegt. Dort wird man vom Reiseleiter begrüßt, den man gebucht hat, holpert – sofern das Wetter mitspielt – erst einmal über den Fluss und flitzt dann ungefähr anderthalb Stunden mit einem kleinen Schnellboot über die Wellen nach Gorgona.
Vom Hafen in Guapí kann man die Insel nicht sehen. Der Fluss, auf dem man durch den Regenwald an die Küste und aufs Meer hinausfährt, ist trüb – wie fast alle Flüsse im Quellgebiet des Amazonas. Erst wenn sich die Farbe des Wassers langsam von Schlammbraun zu Tiefblau klärt, merkt man, dass man auf offener See und in tieferem Gewässer ist.
Nach vierzig Minuten Fahrt im Schnellboot kommt weit entfernt am Horizont langsam eine Silhouette in Sicht, die man anfänglich für einen Berg mitten auf hoher See hält. Das Wetter in diesen Breiten kann innerhalb von Minuten dramatisch umschlagen – man verlässt das Festland unter einem strahlend blauen, wolkenlosen Himmel, plötzlich aber wird alles grau, und wie aus dem Nichts ziehen wilde Gewitter auf, die tagelang anhalten können. Es ist eine der feuchtesten Ecken der Welt; die durchschnittliche Niederschlagsmenge beträgt achttausend Millimeter im Jahr. Nichts für Zartbesaitete; aber wenn man an Rucksackreisen gewöhnt ist, ist es vergleichsweise sicher. Da ich in einer Wüstenstadt lebe, faszinieren mich Blitz, Donner und prasselnder Regen, die ich am Firmament beobachten kann – für die Einheimischen aber ist das alles ganz normal.
Gorgona liegt fast immer unter einer dünnen Dunstschicht. Wenn man näher kommt, bietet sich ein atemberaubender Anblick. Gorgona ragt an seiner höchsten Stelle, dem Cerro la Trinidad, über dreihundert Meter aus dem Meer auf, die Insel ist etwa neun Kilometer lang und zweieinhalb Kilometer breit, sie ist vom Festland durch einen tiefen Unterwassergraben getrennt und von zahlreichen Felsen und Inselchen umgeben. Als ich Gorgona und den dichten tropischen Regenwald, der die ganze Insel bedeckt, zum ersten Mal aus der Ferne sah, fühlte ich mich wie auf einer Zeitreise.
Wie Alcatraz bei San Francisco war auch Gorgona früher eine Gefängnisinsel. Die Anlage wurde 1985 geschlossen, und der Staat hat die Idee verwirklicht, die Insel zum Nationalpark zu erklären, um die üppige, artenreiche Flora und Fauna des tropischen Regenwaldes und der Korallenriffe zu schützen. Dazu weist Gorgona durch ihre vom amerikanischen Kontinent isolierte Lage viele endemische Pflanzen- und Tierarten auf. Ihr Name geht auf die Gorgonen der griechischen Mythologie zurück – drei geflügelte, grauenerregende Wesen mit Schlangenhaaren und versteinerndem Blick, die bekannteste ist die sterbliche Gorgo Medusa. Gorgona passt als Name also wirklich hervorragend zu der Insel, nachdem es dort zwölf Schlangenarten gibt, drei davon sind hochgiftig. Wegen der Schlangen im Landesinneren und der Haie, die die Wasserstraße zwischen Insel und Festland bevölkern, waren Fluchtversuche für die Gefangenen damals nicht eben angeraten. Doch so gefährlich dies auch klingen mag, man ist auf der Insel sehr viel sicherer, als man meinen könnte.
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