Die Suchtlüge - Gaby Guzek - E-Book
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Die Suchtlüge E-Book

Gaby Guzek

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Beschreibung

»Es wäre besser, die heutige Suchtbehandlung mit einem Bulldozer platt zu machen. Dynamit täte es natürlich auch.«, analysiert Dr. Mark Willenbring, ehemaliger Forschungsdirektor der obersten US-Behörde zum Thema Alkohol und Sucht (NIAAA).

Gaby Guzek bringt mit wissenschaftlicher Genauigkeit und leichter Feder die neuesten Erkenntnisse der Suchtforschung auf den Punkt: Suchtkranke haben keinen schwachen Willen oder einen schlechten Charakter, sondern eine gestörte Hirn-Biochemie. Denn Stoffwechselprozesse im Gehirn sind die Wurzel aller Abhängigkeiten wie etwa Nikotin, Alkohol, THC, Koffein, Kokain, u. v. m., aber auch Verhaltensweisen wie Sex, Shoppen; Medienabhängigkeiten wie Smartphone, Internet und Gaming. Sucht zieht sich quer durch unsere Gesellschaft und betrifft Millionen. Trotzdem hinkt die gängige Behandlung der aktuellen Forschung noch immer ein knappes halbes Jahrhundert hinterher. Endlich lernen wir, uns nachhaltig von unseren Süchten zu befreien!

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Seitenzahl: 276

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Suchtkranke sind weder willensschwach, noch haben sie einen schlechten Charakter: Hinter Abhängigkeiten steckt eine gestörte Hirn-Biochemie.

Sie ist es, die Betroffene zu Nikotin, Alkohol, Cannabis oder Kokain treibt. Auch Sexsucht, krankhaftes Shoppen oder Handysucht rühren aus einer solchen chemischen Schieflage.

Gaby Guzek, früher selbst schwer alkoholkrank, bringt die neuesten Erkenntnisse der Suchtforschung auf den Punkt – wissenschaftlich genau, anschaulich und leicht präsentiert. Sie räumt auf mit völlig veralteten Behandlungsansätzen, denn viele gängige Therapien hinken der aktuellen Forschung um ein knappes halbes Jahrhundert hinterher.

Wer sich wirklich von seiner Abhängigkeit lösen will, muss verstehen, wodurch sie verursacht wird. Die »Suchtlüge« ist vollgepackt mit Tipps und Tricks, mit denen jede und jeder den Ausstieg aus der Sucht schaffen kann!

Gaby Guzek, geboren 1967, arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und der Fachzeitschrift »Die Neue Ärztliche«. Seit mehr als 30 Jahren ist sie Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich zusammen mit ihrem Mann, Dr. med. Bernd Guzek, intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch »Alkohol adé«. Heute steht Gaby Guzek als Coach Alkoholsüchtigen zur Seite und hilft ihnen dabei, ihre Sucht nachhaltig zu besiegen. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kärnten.

GABY GUZEK

DIE SUCHTLÜGE

Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Dieses Buch schildert die persönlichen Erfahrungen, Ansichten und Erkenntnisse der Autorin. Es handelt sich dabei nicht um einen medizinischen Ratgeber und kann und soll einen solchen auch nicht ersetzen. Die im Buch geschilderten Aussagen, Rezepte und Erfahrungen stellen mithin keine medizinischen bzw. psychologischen Behandlungen oder Therapien dar, weshalb Autorin und Verlag keinerlei Heilversprechen abgeben. Das Buch ersetzt keinen Besuch in der Praxis und kein beratendes Gespräch mit einem Arzt/einer Ärztin. Autor und Verlag übernehmen deshalb keinerlei Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich direkt oder indirekt aus Nutzung, Übernahme und Verwendung der im Buch enthaltenen Informationen ergeben. Im Zweifelsfall holen Sie sich bitte vorher ärztlichen Rat ein.

Originalausgabe 11/2023

Copyright © 2023 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München

unter Verwendung von Motiven von DashaR / Shutterstock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-30881-0V001

www.heyne.de

Inhalt

Baggern wir uns frei

Was ist Sucht und wer ist süchtig?

Wir sind Millionen

Am Anfang steht ein Denkfehler

Sucht ist keine Willensschwäche

Unsere Hirnchemie: Wurzel der Abhängigkeit

Gefühlskuriere im Kopf

Unsere Psyche – Reine Chemie?

Endorphine und Dopamin: Das ultimative Wohlfühlpaar

Glutamat: Hallo Wach

Das verdammte Suchtgedächtnis: Unterwegs auf der Nervenautobahn

Neuroplastizität

Sucht hat keinen Sinn und Verstand

Die Negativ-Variante: Kotzen auf Rezept

Acetylcholin: Volle Konzentration

Serotonin: Auch unser Glückssystem spielt mit

GABA und Glycin: Entspannung pur

Die Lust auf mehr: Toleranzentwicklung

Hirnchemie mit Schlagseite: Nicht die Psyche ist schuld

Warum wird der eine süchtig, der andere aber nicht?

Sucht kann sogar erblich sein

Ein neues Forschungsfeld: Epigenetik

Epigenetik: Schaden im Serotoninsystem

Epigenetik: Webfehler im Dopamin-System

Süchte im Überblick: Von Alkohol bis Zocken

Alkohol: Volksdroge Nummer Eins

Die Behandlung

Medikamente gegen den Durst

Tabak: Blauer Dunst im Kopf

Zigaretten gegen den Hunger

Die Behandlung

Medikamente gegen den Qualm

Ist Dampfen eine Alternative?

Kaffee: Macht munter, aber nicht süchtig

Cannabis: Von Gras und Glaubenskriegen

Quit the Shit

Supermann auf Zeit: Aufputschmittel

Kokain: Immer eine Nase voraus

Amphetamine: Ein chemischer Blumenstrauß

Die Behandlung

Sucht auf Rezept: Medikamente

Beruhigungspillen: Gefährliche Gelassenheit

Schmerzmittel: Ohne Pein in die Abhängigkeit

Turboentzug mit Nährstoffen? Ein Blick in die Archive lässt staunen

Sucht ohne Stoff: Zocken, Internet, Sex und Kaufrausch

Sexsucht: Der stille Tsunami

Die Behandlung

Internetpornografie: Hilfreiche Software

Medikamente

Zocken bis zur Armut: Zwischen Wallstreet und Westbahnhof

Die Behandlung

Apps und Sperrsysteme: Hand in Hand ein guter Schutz

Soziale Medien: Verloren im Netz

Gaming: Süchtig nach dem Pixelheldentum

Raus aus Gaming und sozialen Medien: Tipps und Tricks

Kaufsucht: Shoppen bis der Arzt kommt

Eine Sucht kommt selten allein

Erfolgreich raus aus der Sucht

Vitamine und Co: Futter für die Hirnchemie

Nährstoffmängel: Ein Problem vieler Süchtiger

Der Gründer der Anonymen Alkoholiker war ein Nährstoffpatient

Nährstoffe und Sucht: Es bleibt beim Lamentieren

Vitamin D – der Schlüssel zum Wohlbefinden

Vitamin C: Fehlt häufiger als gedacht

Nährstofflücken schließen

Ein Beispiel für eine Nährstoffkur

Nährstoffe mit Soforteffekt

GABA, Glycin, Taurin: Entspannung pur

Phenylalanin und Tyrosin: Hilfe für das Dopaminsystem

Abstinenz geht durch den Magen – und den Darm

Suchtküche Darm

Achtung: Fructose, Milchzucker und Gluten

Blutzuckerspiegel als Rückfall-Falle

Blutzucker – so können Sie sich helfen

Die Anti-Sucht-Diät: Unterstützung für die Abstinenz

Schlafend suchtfrei

Gesunder Schlaf hat seinen Rhythmus

Nährstoffe als Schlafhelfer

Sport: Ein Muss mit Maß

Sucht als Spitze eines Eisberges: AD(H)S, Depressionen, Angststörungen

ADHS: Viel mehr als der nervige Zappelphilipp

Dickes Knäuel Depressionen

Angst und Panik als ständige Begleiter

Depris durch die Hintertür: Schilddrüse und Hormone

Strategien für den abstinenten Alltag

Mein Hirn und ich: Miteinander statt Gegeneinander

Manege frei für den Verstand

Schritt 1: Vorbereitung ist das A und O

Verfassen Sie Ihr Motivationsschreiben

Identifizieren Sie Ihre Trigger

Es gibt keinen Grund, nur einen Anlass

Entwickeln Sie Gegenstrategien

Vieles lässt sich erst mal meiden

Stopfen Sie das Langeweile-Loch

Gestalten Sie Ihre vier Wände um

Machen Sie Ihre Wohnung zur suchtmittelfreien Zone

Lernen Sie, natürlich zu entspannen

Nehmen Sie Ihren Freundeskreis unter die Lupe

Strategien für eine alkoholisierte Gesellschaft

Holen Sie Ihren Partner ins Boot

Taufen Sie Ihren Suchtteufel

Mehrfach süchtig: Alles zusammen über Bord?

Wählen Sie einen guten Zeitpunkt

Gehen Sie einkaufen

Schritt 2: Abstinenz, ich komme!

Belohnen Sie sich für erreichte Ziele

Führen Sie ein Abstinenztagebuch

Das erwartet Sie in der ersten Zeit

Die Gefühle fahren Achterbahn

Euphorie mit Tücken: Die Rosa Wolke

Kein Bock auf nichts: Anhedonie

Sober Sex: tote Hose oder spitz wie Nachbars Lumpi

Dauerhunger: Ein halbes Schwein auf Toast bitte

Achtung, Suchtdruck

Bewährte Notbremsen

Triggern Sie andere Sinne

Werden Sie zum Gefühlsmanager

Verschieben Sie (manche) Sorgen auf morgen

Mit Gelassenheit gegen den Frust

Das gute alte Wort der Achtsamkeit

Der Schlüssel zum Glück steckt von innen: Selbstfürsorge

Freude als Falle

Sie werden sich noch kennenlernen

Gemeinsam stark

Und noch mehr Hilfe

Podcasts, Bücher, Videos

Therapeutische Begleitung

Rückfall – und nun?

Einmal süchtig, immer süchtig?

Freiheit

Die Suchtlüge

Des Kaisers neue Kleider

Geld regiert die Welt

Die Medizin ist ein verknöcherter Verein

Der Umgang mit Kritikern

Haben Sie noch Fragen?

Danksagung – oder: Sokrates war ne coole Socke

Literaturverzeichnis

Links

Baggern wir uns frei

Wahrscheinlich haben Sie dieses Buch nicht erworben, weil Krimis gerade ausverkauft waren. Das Thema Sucht spricht Sie an. Vielleicht aus allgemeinem Interesse an dieser Volkskrankheit. Vielleicht, weil das Thema jemanden betrifft, der Ihnen nahesteht. Möglicherweise sind Sie selbst betroffen. So oder so: ein herzliches Willkommen!

Vielleicht gehören Sie aber auch zu den vielen mit einem unguten Bauchgefühl. Sie wissen, irgendwas läuft hier schief, Sie hadern noch, schleichen gedanklich um den heißen Brei herum. Dazu kann ich Ihnen aus meiner zwanzigjährigen Trinkerkarriere sagen: Unzählige Online-Tests habe ich absolviert, die mir verraten sollten: »Habe ich ein Alkoholproblem?« Gott sei Dank waren auch immer Fragen dabei, die ich verneinen konnte, notfalls mit Gewalt. Beispiel: »Trinken Sie allein?« Antwort: »Nein.« Der Hund war ja immer da.

Allen Süchten ist eines gemein: Man will sie einfach nicht wahrhaben. Einzige Ausnahme sind Raucher. Mir ging es mit dem Alkohol nicht anders. Dabei war es am Ende nicht einmal mehr das Stigma, das ich fürchtete. Mir lagen zwei riesengroße Steine im Weg, und mir fehlte der Bagger, um sie wegzuschieben. Ich konnte mit der offiziellen Lesart zum Thema Sucht nichts anfangen, ich fand mich darin einfach nicht wieder. Ergo sprachen mich auch die gängigen Hilfsangebote nicht an. Die Behandlungserfolge für Suchtkranke seien ohnehin mehr als überschaubar, liest man immer wieder.

Ich hätte eine plausible Erklärung gebraucht für das, was wirklich mit mir los war, und warum ich vom Alkohol nicht mehr loskam. Angeblich steckten dahinter irgendwelche Probleme. Mir kam meine Sucht aber eher körperlich vor. Ich sehnte mich nach Alkohol wie meine zuckerkranke Schwiegermutter nach Schokolade. Spoiler: Ich lag gar nicht so falsch. Für den Ausstieg hätte ich Strategien gebraucht, die für mich Sinn ergeben. Ich tue Dinge, wenn ich den Grund dafür verstehe, und nicht, weil mir jemand es so vorkaut. Also machte ich mich auf die Suche. Immerhin bin ich Wissenschaftsjournalistin.

Mehr als vier Jahre fräste ich mich durch internationale Wissenschaftsliteratur und Fachbücher. Ich war baff. Die Medizin weiß heute sehr wohl, wie Sucht in unserem Hirn entsteht. Egal ob Alkohol, Zigaretten, Koks oder Internetabhängigkeit: Die Mechanismen sind immer die gleichen, sie unterscheiden sich nur in Nuancen. Mit einer schwer greifbaren Psyche hat das alles wenig bis nichts zu tun. Wer das einmal verstanden hat, betrachtet sein Suchtverlangen mit ganz anderen Augen und kann damit besser umgehen. Vor allem kann man sich seinen Werkzeugkoffer packen und damit in ein abstinentes Leben marschieren. Ich hatte meinen Bagger gefunden. Die Stolpersteine waren weg, und mein Weg raus aus dem Alkohol war frei.

Auf diesem Ansatz beruht auch mein Buch Alkohol adé, das bereits sehr viele Menschen aus der Abhängigkeit begleitet hat. Immer wieder stellte man mir die Frage nach anderen Süchten. Deshalb bin ich erneut tief in das Thema eingestiegen, das Ergebnis halten Sie in den Händen. Eingeflossen ist auch meine jetzt mehrjährige Erfahrung als Coach. Ich wünsche mir, dass DieSuchtlüge vielen Betroffenen hilft, die nach einem neuen Weg aus der Abhängigkeit suchen. Also vielleicht auch Ihnen. Baggern wir los.

Was ist Sucht und wer ist süchtig?

Vielleicht geht es Ihnen ja wie mir früher: Ich habe unendlich oft danach gesucht, ob ich denn nun wirklich süchtig bin. Es gibt so viele Kriterien, und sie sind teilweise so schwammig, dass ich immer eine geistige Hintertür fand, warum mich das ja doch nicht betraf.

Da gibt es nicht nur den Begriff Sucht. Es gibt auch noch den »Missbrauch«, den »riskanten Konsum« und viele weitere Gummibegriffe. Sollten auch Sie innerlich immer noch diskutieren, kommen hier ein paar knackige Anhaltspunkte.

Wenn Sie darüber nachdenken, ob Sie ein Suchtproblem haben, dann haben Sie höchstwahrscheinlich auch eines

Das mag platt klingen, ist es aber nicht. Der Grund ist unser hart trainierter Selbstbetrug. Jeder Abhängige redet sich ein: »Alles ganz normal.« Oder: »Ich kann jederzeit aufhören.« Dieses Bullshit-Bingo spielen Süchtige in der Meisterklasse. Die Zweifel schleichen sich erst dann ein, wenn der Elefant im Raum nicht mehr zu übersehen ist.

Sie können den Konsum nicht kontrollieren

»Heute trinke ich bestimmt nur ein Glas«, oder: »Nur mal schnell online was checken«, enden wie immer: in einer leeren Flasche oder einer verzockten Nacht. Das ist ein ganz hartes Kriterium. Wer seinen Konsum trotz besserer Vorsätze nicht kontrollieren kann, ist abhängig.

Sie nutzen das Suchtmittel zu einem Zweck

Konsumieren Sie, um sich zu entspannen, fröhlich zu sein oder Ihre Sorgen zu vergessen, schrillen die Alarmglocken. Dieses »um zu« ist ein K.-o.-Kriterium.

Sie organisieren Ihren Tag um den Konsum herum

Diktiert Ihr Suchtmittel Ihre Tagesorganisation, ist spätestens alles klar. Haben Sie Ihre Vorräte fest im Blick? Werden Sie nervös, sollte das nicht so sein? Planen Sie bereits, wie Sie eventuelle Hinterlassenschaften wie zum Beispiel leere Flaschen möglichst unauffällig entsorgen? Schaffen Sie sich Freiräume, um ungestört konsumieren zu können? Habe Sie dafür sogar schon Verabredungen abgesagt? Der soziale Rückzug für ungestörten Konsum ist ein Killerkriterium.

Sie verheimlichen Ihren Konsum oder die Konsummenge

Das Versteckspiel vor anderen ist ebenso typisch und ein klares Signal. Fragt Sie jemand, wie viel Sie konsumieren, und Sie sagen nicht die Wahrheit, wachen Sie auf. Legen Sie vielleicht sogar Geheimvorräte an? Dazu kann ich nur sagen: Ich hielt meine praktischen Zweitflaschen hinter den Gewürzen und im Keller für eine absolut geniale und einzigartige Idee. Bis ich feststellte: Die stehen auch in Millionen anderen Schränken.

Wenn Sie sich wiederfinden, ist es gut, dass Sie dieses Buch in den Händen halten. Das Ganze ist auch kein Wettbewerb nach dem Motto: »Ich habe nur zweimal genickt, also ist es bei mir noch nicht so schlimm.« Wir sitzen alle im selben Boot. Sucht hat viele Graustufen, verläuft aber immer nur in eine Richtung. Ob es »Missbrauch« ist, »bedenklicher Konsum« oder »Sucht«, ist zweitrangig. Ich würde mich jetzt gerne mit Ihnen auf eine Sache einigen: Wenn jemand die Finger nicht mehr von einem Suchtmittel lassen kann oder nur sehr schwer, nennen wir das im Folgenden Sucht und Abhängigkeit. Rumeiern bringt niemanden weiter.

Wir sind Millionen

Eines steht fest: Niemand ist allein mit seiner Sucht. Im Gegenteil. Die Zahlen gehen in die Millionen. Rund 17 Millionen Menschen hadern in Deutschland mit dem Alkohol, wahrscheinlich sind es sogar noch viel mehr. Bei über 64-Jährigen hört die Statistik auf, warum auch immer. Grob jeder Fünfte raucht, geschätzt knapp drei Millionen sind süchtig nach Medikamenten wie Schmerz- und Beruhigungsmitteln. Auch bei den illegalen Drogen gibt es nur Schätzungen. Knapp 18 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 und eine halbe Million Jugendliche haben mindestens einmal in ihrem Leben eine illegale Droge zu sich genommen. 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland konsumieren Cannabis.

Von Amphetaminen kommen 103 000 Menschen nicht mehr los, von Kokain 41 000. Knapp zwei Millionen haben ein Glücksspielproblem. Rund 410 000 hängen ganz tief drin, sagt das Jahrbuch der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Wie viele Menschen Tage und Nächte online verzocken oder vor Pornos verbringen, ist ein großes Fragezeichen. Genauso wenig weiß man, wie viele Menschen ihren letzten Cent für Einkäufe ausgeben, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Sie sind shoppingsüchtig.

Diese Zahlen einfach zusammenzuzählen, wäre nicht korrekt. Viele Alkoholabhängige beispielsweise rauchen, Online-Junkies konsumieren offenbar auch häufig Cannabis. Das sind die sogenannten Mehrfachsüchtigen. Trotzdem ist Fakt: Sucht betrifft Millionen. Wir sind die Regel, nicht die Ausnahme. Die Zahlenkolonnen zum Thema Abhängigkeit sind schier unendlich. Zigtausende Studien untersuchten das Persönlichkeitsprofil von Süchtigen. Man scheint alles über Sucht und Süchtige zu wissen. Nur stimmt das gar nicht.

Am Anfang steht ein Denkfehler

Das angeblich gesicherte Wissen zum Thema Sucht beruht auf einem riesigen Denkfehler. Man sammelt es an Abhängigen, die eine Therapie absolviert haben, denn die sind greifbar. Das tut aber nur ein Bruchteil. Über die Millionen anderen weiß man quasi nichts.

Das bemängelt auch Dr. Mark Willenbring, ehemaliger Forschungsdirektor des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), der obersten US-Behörde zum Thema Alkoholsucht. Das heutige Suchthilfesystem konzentriere sich auf schwer Abhängige. Über mehr als drei Viertel der Betroffenen wisse man wenig bis nichts und könne ihnen deshalb auch keine Behandlungsalternativen anbieten.

Was Willenbring meint: In Therapie begeben sich die meisten erst dann, wenn gar nichts mehr geht. Wer dort aufschlägt, ist überproportional oft gesundheitlich, sozial oder finanziell kurz vor dem Aus. Diese Patienten hat man unter die Lupe genommen und ihre psychische Verfassung oder ihre sozialen Umstände erfasst. Auf diesen Erkenntnissen fußen die allgemeingültigen Therapieempfehlungen, und an diesen Patienten misst man auch, wie gut sie funktionieren. Es braucht keinen Doktortitel in Statistik, um zu erkennen: Da ist gewaltig der Wurm drin. Auch das Jahrbuch der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zählt Millionen Abhängige, quer durch alle Süchte. Nur ein Bruchteil davon hat sich überhaupt in irgendeiner Form an Hilfestellen gewandt. Der Rest bleibt im Nebel.

Willenbring ließ generell wenig gute Haare an der heutigen Suchttherapie. Kurz nach seiner Breitseite im Jahr 2010 räumte er seinen Posten. Doch seine Meinung hat er nie geändert. In einem Interview mit ihm aus dem Jahr 2022 hört man: »Was wir brauchen, ist ein netter Bulldozer, damit wir die gesamte Suchtindustrie einmal plattmachen und komplett von vorne beginnen können. Ein anderer Ansatz wäre Dynamit.«

Der Suchtexperte hat aber auch eine gute Nachricht in petto. Laut Willenbring absolviert die Mehrheit der Betroffenen zwar keine Therapie, schafft den Ausstieg aber trotzdem und zwar ganz allein. Allein aufgrund der Suchtstatistiken müssen das Millionen von Betroffenen sein, und das gilt genauso für Europa. Niemand weiß wirklich, wie diese sich von ihrer Sucht befreit haben. Sicher ist: Sie haben sich auf eigene Faust auf die Suche gemacht. Ich war eine davon. Vielleicht sind Sie es auch.

Warum viele den Weg ins offizielle Therapiesystem scheuen, liegt auf der Hand: Sie schämen sich. Noch immer gilt Sucht als Willens- und Charakterschwäche. Wer nicht aufhören kann, der wollte es ja gar nicht wirklich – und außerdem stimmt bei dem im Oberstübchen auch was nicht. Das alles ist so brutal wie falsch und gehört endlich auf den Müll.

Sucht ist keine Willensschwäche

Das Wort Sucht stammt vom alt- und mittelhochdeutschen »suht«, später »siech«, und hat mit dem Wort »suchen« nichts zu tun. »Suht« bedeutete schlicht krank sein. Früher nannte man alle Krankheiten Sucht. Noch heute steckt es in Gelbsucht (also Leberentzündung) oder Schwindsucht (Tuberkulose).

Erzählt Ihnen das nächste Mal jemand, Sie trinken, rauchen, koksen oder zocken, weil Sie eigentlich auf der Suche nach irgendetwas wären, winken Sie ab. Derjenige hat von Sprachwissenschaften genau so wenig Ahnung wie vom aktuellen Stand der Suchtforschung.

Nicht minder daneben ist die Mär der Suchtpersönlichkeit, frisch aus der Freud’schen Mottenkiste. Der Altmeister wähnte unbefriedigte Bedürfnisse aus der oralen Phase eines Kleinkindes als Grund für das Nuckeln an Flasche und Glimmstängel. Damit war er selbst wenigstens fein raus: Freud kokste wie ein Weltmeister und trat mit seinem hingebungsvollen Pamphlet Über Coca im Jahr 1885 die erste Kokainwelle in Europa los. Wissenschaftlich ist die These der Suchtpersönlichkeit mittlerweile beerdigt.

Sucht wurzelt nicht in einer nebulösen Psyche. Sucht ist ein greifbares, biochemisches und neurologisches Ereignis in unserem Gehirn. Genau da liegt der Schlüssel, um die Sucht zu besiegen. Wenn Sie verstehen, was Sie ans Glas, zum Glimmstängel oder an den Spieltisch treibt, gehen Sie mit dem Thema ganz anders um.

Bei Rheuma, Asthma oder Diabetes gilt schon lange: Wissen ist Macht. Ein aufgeklärter Patient bekommt seine Krankheit besser in den Griff. Deshalb erläutert man den Betroffenen medizinisch durchaus komplexe Dinge wie das Immunsystem oder den Zuckerstoffwechsel.

Bei Süchtigen hält man das offenbar nicht für nötig. Das Wissen über eine angeschlagene Hirnchemie als Suchtursache ist längst vorhanden und füllt ganze Bibliotheken. Nur erklärt das den Betroffenen niemand. Nach wie vor gilt das Mantra: »Klappt es mit dem Aufhören nicht, fehlt der echte Wille.« Dabei hat ein schwacher Wille mit Sucht genau so viel zu tun wie ein Fisch mit einem Fahrrad. Oder fällt ein Diabetiker etwa aus Willensschwäche über eine Torte her und nicht, weil sein Blutzuckerspiegel verrückt spielt? Nein, der Grund liegt in der Körperchemie. Wir gucken uns später noch genauer an, was in einem süchtigen Gehirn aus medizinischer Sicht falsch läuft.

Befeuert und genährt wird die Lüge der Charakterschwäche von Lobbyisten der Alkohol-, Zigaretten- und Glücksspielindustrie. Sie plädieren für »maßvollen Genuss« oder »verantwortungsvollen Umgang«. Wer das nicht kann, ist im Umkehrschluss maß- und verantwortungslos und damit eben selber schuld an seiner Sucht.

Willens- und charakterschwach. Das perfekte Potpourri für Schuld- und Schamgefühle. Für sozial akzeptierte Drogen wie Nikotin, Cannabis oder Internetsucht gilt das vielleicht weniger. Als ehemalige Alkoholikerin kann ich Ihnen aber versichern: Weil wir uns so schämen, vergehen oft Jahre oder gar Jahrzehnte, bis Süchtige sich Hilfe suchen.

Wie man es dreht und wendet: Der Schwarze Peter landet immer wieder beim Betroffenen. Und der glaubt das auch noch. Zeit, auch mit dieser Lüge aufzuräumen und dorthin zu schauen, wo Sucht wirklich entsteht: Im Gehirn mit seinem Chemiecocktail, der unsere Gedanken- und Gefühlswelt bestimmt.

Dieses Verständnis ist nicht rein akademisch. Weiter hinten im Buch finden Sie ein Konzept, wie ein Ausstieg aus der Sucht klappt. Es basiert genau auf diesem Wissen. Überspringen Sie deshalb die folgenden Kapitel nicht. »Lese ich später« bringt Sie nicht weiter.

Unsere Hirnchemie: Wurzel der Abhängigkeit

Belohnung, Sehnsucht, Freude, Trauer, Schreck, Erinnern und Vergessen. Unser Gehirn ist die Schaltzentrale für Gefühle und Denken. Es klingt ernüchternd, aber letztlich ist all das reine Chemie. Und so fremd ist Ihnen das auch gar nicht. Sicherlich haben Sie schon vom Glücksbotenstoff Serotonin gehört. Davon haben Depressive meist zu wenig, deshalb sind sie oft niedergeschlagen und antriebslos. Adrenalin hingegen jagt uns den Schreck in die Glieder und den Puls nach oben.

Serotonin und Adrenalin sind Nervenbotenstoffe, fachsprachlich auch Neurotransmitter genannt. Rund hundert Nervenbotenstoffe kennt man heute. Normalerweise sind diese Neurotransmitter immer hübsch im Gleichgewicht – bis sich Alkohol, Nikotin, Kaffee oder Cannabis einmischen. Auch Glücksspiel oder Sex schießen bestimmte Neurotransmitter in schwindelerregende Höhen und manipulieren so kurzfristig unser Gefühlsleben. Irgendwann verselbstständigt sich das Ganze, und Sucht entsteht. Ich verspreche Ihnen: Wer das einmal verstanden hat, schämt sich auch nicht mehr. Sucht ist medizinisch genauso erklärbar wie Diabetes oder Rheuma. Das Thema Schuld ist keines.

Moderne Medizintechnik macht die chemische Schieflage im Gehirn von Süchtigen sogar sichtbar. Einige Suchtkliniken in den Vereinigten Staaten nutzen das in der Therapie. Die behandelnden Ärzte dort sagen, es helfe dem Betroffenen enorm zu sehen, wo die Wurzeln seiner Probleme liegen, die Aufnahmen machen das Thema Sucht greifbar. Die Bilder zeigen auch die Behandlungsfortschritte. Der Betroffene kann sehen, wie sich sein Gehirn erholt. Einer Wunde kann man beim Heilen zusehen, und das motiviert. Warum sollte es Süchtigen anders gehen? Man könnte die heutige Suchttherapie ganz anders gestalten. Wenn man denn wollte.

Gefühlskuriere im Kopf

Unsere Nerven sind keine durchgehenden Kabelstränge. Gäbe es nur Direktverbindungen quer durch den Körper (etwa Gehirn an Daumen, Gehirn an kleinen rechten Zeh, Gehirn an linkes Knie und so fort), wäre der dazu nötige Nervenkabelbaum wohl so dick wie eine tausendjährige Eiche – und wir entsprechend breit. Eher unpraktisch, das Ganze.

Die Natur hat eine sehr platzsparende Lösung gefunden. Nerven haben immer nur eine bestimmte Länge. Das Nervenende verzweigt sich wie ein Ast und hat viele Enden. Diese können sich mit anderen Nervenenden chemisch verkoppeln. Allein unser Gehirn besteht aus circa neunzig Milliarden Nervenzellen, vom restlichen Körper ganz zu schweigen. Zwischen den Nervennachbarn klafft ein winziger Spalt, der mit bloßem Auge nicht sichtbar ist. Diesen Spalt nennt man Synapse. Knapp eine Billiarde (das ist kein Schreibfehler) Synapsen hat unser Gehirn.

Informationen laufen im Nerv wie in einem Stromkabel. Durch den Nerv sausen winzige elektrische Spannungen. Am Nervenende angelangt, muss dieser elektrische Impuls den Spalt zum nächsten Nerv überwinden. Anders können die Informationen nicht weiter fließen.

Stellen Sie sich die Situation am Nervenende so vor: Da steht ein Kurier an einer Kaimauer, seine Info muss ans andere Ufer. Deshalb braucht er einen schwimmenden Nachrichtenüberbringer. Genau diesen Fährmannsjob übernehmen Nervenbotenstoffe.

Diese Neurotransmitter sind die Informations-Transportschiffchen im kleinen Spalt zwischen zwei Nervenzellen. Gelangt ein elektrischer Impuls ans Ende einer Nervenzelle, kickt er einen Neurotransmitter los. Dieser flitzt durch den Nervenzwischenspalt, dockt am nächsten Nerv wieder an und lädt dort seine Information ab. Diese saust dann im nächsten Nerv elektrisch weiter.

So eine Info kann lauten: »Achtung, Gefahr!« Oder auch: »Alles cool, entspannt euch, Leute.« Da jeder Nerv durch seine Verästelung am Ende Hunderte von Nachbarn hat, entsteht so ein ganzes Informationsnetzwerk.

Wenn sie nicht gebraucht werden, parken Nervenbotenstoffe in Zellen am Ende eines Nervs. Erst wenn ein Neurotransmitter loslegen soll, darf er seinen Parkplatz verlassen. Damit stellt der Körper sicher, dass nur die Botenstoffe auf Reise gehen, die gerade gebraucht werden. Nervenbotenstoffe sind im Idealfall immer in einer ausgewogenen Mischung unterwegs.

Wandert ein Neurotransmitter durch den Nervenzwischenspalt, wartet auf der anderen Seite eine ganz spezielle Andockstelle auf ihn, der Rezeptor. Das ist so eine Art spezieller Liegeplatz im Hafen. Jeder Nervenbotenstoff hat seinen eigenen Rezeptor, an den nur er passt.

Dieser mikroskopische Schauplatz von Nervenenden und Neurotransmittern ist die Bühne des globalen Dramas Sucht. Denn genau dort greifen Suchtmittel an und stören das natürliche Gleichgewicht und liefern uns irgendwann der Droge hilflos aus. Schauen wir uns die wichtigsten Nervenbotenstoffsysteme an, damit Sie verstehen, warum die Sucht so übermächtig ist.

Unsere Psyche – Reine Chemie?

Nervenbotenstoffe sind die Champions unserer Gefühlswelt. Jeder Neurotransmitter hat seinen eigenen Job. Der eine bringt Glücksgefühle, der andere Gelassenheit, wieder ein anderer versetzt uns in Angst und Schrecken. Zugegeben: Es klingt ein wenig befremdlich, dass reine Chemie ausmachen soll, was wir als unsere Psyche bezeichnen. Wo die Chemie aufhört und unser Geist anfängt, mag irgendwann die Wissenschaft herausfinden. Fakt ist, dass Neurotransmitter über unser Wohl und Weh bestimmen.

Normalerweise ist unsere Hirnchemie ausgewogen, die einzelnen Botenstoffe sind fein ausbalanciert. Suchtmittel manipulieren dieses Gleichgewicht. Sie sorgen dafür, dass einige Neurotransmitter die Oberhand bekommen, während andere in ihrer Wirkung abstumpfen oder gar ganz stumm geschaltet werden. Schauen wir uns die wichtigsten Nervenbotenstoffe im Suchtgeschehen an. Nicht jedes Suchtmittel spielt an all diesen Systemen herum, in der Regel beeinflussen sie nur jeweils ein paar davon. Es gibt nur eine Ausnahme: Alkohol. Der bedient sie alle. Suchtforscher nennen ihn deshalb auch die schmutzigste Droge von allen.

Endorphine und Dopamin: Das ultimative Wohlfühlpaar

Bestimmt erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie kräftig gelobt wurden. Oder Sie haben sich für eine Sache mächtig ins Zeug gelegt und einen dicken Erfolg eingefahren. Da haben Sie sich so richtig gut und glücklich gefühlt, oder? Klar. Das hat Ihnen eine kräftige Extraportion Endorphine und Dopamin beschert.

Endorphine sind Glücksgefühlsauslöser und entspannen. Nach gutem Sex badet man geradezu darin. Sie schießen die Stimmungslage direkt in den Himmel, können sogar Schmerzen unterdrücken und helfen, mit gewaltiger Belastung umzugehen. Vielleicht haben Sie schon einmal vom sogenannten »Runner’s High« gehört. Das sind glücksartige Rauschzustände von Extremsportlern. Unter starker körperlicher Belastung produziert der Körper reichlich Endorphine, um mit der Situation klarzukommen.

Endorphin ist ein zusammengesetztes Wort aus »endogen« (also körpereigen) und Morphin. Morphin, das sagt Ihnen was. Morphin ist eine der mächtigsten Drogen überhaupt. Natürlich produziert unser Körper nicht so viel davon, dass es zum Rausch reicht. Viele legale und illegale Drogen helfen da nach und zwar gleich zweifach.

Drogen wie Heroin oder Schmerzmittel docken direkt am Hirnrezeptor für Endorphine an. Klar, sie sind ja chemisch verwandt. Das beschert tranceartige Glückszustände. Nicht alle Suchtmittel passen direkt an Endorphin-Rezeptoren. Trotzdem jubeln sie die Glücksstoffe hoch, kicken sie aus ihren Nervenparkplätzen. Auf einmal schwimmen viele Endorphine in den Nervenzwischenräumen herum und lösen Glücksgefühle aus. Künstlich getriggert von Nikotin, Ecstasy, Alkohol oder Koks.

Was ist los in meinem Kopf? Ich erkläre es Ihnen auch in Videos

Wenn Sie mögen, schauen Sie doch mal auf YouTube vorbei. Dort erkläre ich in einigen Videos, wie Nervenbotenstoffe funktionieren und wie sie bei Abhängigen Schlagseite bekommen. Jedes Video hat ein Botenstoffsystem zum Thema. Als Beispiel dient der Alkohol, aber natürlich gilt das für alle Suchtmittel. In einer Aufzeichnung eines Live-Vortrages bekommen Sie auch alles zusammen im Paket präsentiert. Tun Sie einfach so, als wollten Sie mit dem Smartphone das nebenstehende schwarzweiße Quadrat fotografieren. Das ist ein sogenannter QR-Code. Wenn Sie da die Handykamera draufhalten, öffnet sich ein Link zu meinem YouTube Kanal.

Stehen die Endorphine auf Höchststand, setzen Suchtmittel gleich noch einen drauf und fluten Ihr Nervenkostüm mit einem zweiten Glücklichmacher: dem Botenstoff Dopamin. Dieser ist ein echtes Multitalent. Er sorgt für ein Gefühl belohnter Zufriedenheit. Gleichzeitig ist Dopamin dafür zuständig, dass wir uns etwas merken können.

Lassen Sie sich das bitte auf der Zunge zergehen: Suchtmittel duschen das Hirn mit einer Extraportion Dopamin, das uns ein Gefühl von Belohnung und erfüllter Zufriedenheit beschert. Gleichzeitig ist Dopamin aber auch dafür zuständig, dass wir uns sehr genau daran erinnern, was der Auslöser für das Glücksgefühl war: eben genau der tiefe Schluck, der Glimmstängel oder das bunte Pillchen. Dazu braucht es allerdings noch einen Partner: das Glutamat. Zu dem kommen wir gleich.

Zusammen machen Endorphine und Dopamin dem Gehirn klar: Das Zeug macht glücklich! Das Ganze entzieht sich dem Bewusstsein. Die Verkoppelung von Suchtmittel und Glücksgefühl ist eine chemische Verdrahtung im Gehirn, die auch stärkste Willenskraft nicht löst. So viel zum Thema, Sucht sei Willensschwäche.

Sucht spielt sich größtenteils in einer entwicklungsgeschichtlich uralten Hirnregion ab. Umgangssprachlich heißt sie deshalb auch Reptilienhirn. Dort tummeln sich Urinstinkte, also so grundlegende Dinge wie Hunger, Überlebens- oder Fortpflanzungstrieb. Genau dort landet der Drang nach der Droge. Die ist dem Gehirn dann genauso wichtig wie Sex oder Essen. Schlimmstenfalls sogar noch wichtiger.

Angehörige von Süchtigen fragen sich oft: »Warum kann er das mir zum Gefallen nicht sein lassen.« Oder: »Warum versteht sie nicht, dass ihr das schadet?« Sie kennen jetzt die Antwort. Liebe, Beziehung, Partnerschaft – das sind alles Dinge, die sich in unserem rationalen Denken abspielen. Das findet in einer Hirnregion statt, die deutlich später entstanden ist als das Reptilienhirn. Es ist aber quasi ein Instinkt, der Süchtige umtreibt. Und Instinkt geht nun mal über Verstand. Leider.

Dopamin ist ein allmächtiger Botenstoff. Betritt er die Bühne, fühlen wir uns motiviert, erfüllt, belohnt und positiv. »Jetzt habe ich mir aber einen Drink verdient.« Oder: »Boa, geschafft. Jetzt erst mal eine rauchen.« Wie oft haben Sie das schon gehört oder selbst gedacht? Jetzt verstehen Sie, wer da wirklich spricht: Ihr Belohnungssystem. Jedes Suchtmittel mag unterschiedliche Nervenbotenstoffe im Visier haben, eines haben sie aber gemeinsam: Alle schrauben am Dopaminsystem herum.

Das natürliche Wohlfühlpaar aus Endorphinen und Dopamin hat also eine Schattenseite: Es macht Drogen für unser Hirn attraktiv. Zusammen mit einem dritten Nervenbotenstoff lassen sie das sogenannte Suchtgedächtnis entstehen.

Glutamat: Hallo Wach

Betritt Glutamat die Bühne, steht unser Nervenkostüm auf Achtung. Vielleicht haben Sie den Namen Glutamat schon einmal gehört und sind verwirrt. So heißt auch ein Geschmacksverstärker in Lebensmitteln, der immer mal wieder für negative Schlagzeilen sorgt. Beide sind verwandt, aber nicht dasselbe. Den natürlichen Neurotransmitter Glutamat nennen Chemiker auch Glutaminsäure, den künstlichen Geschmacksverstärker dagegen Mononatriumglutamat. Für beide hat sich der Begriff Glutamat eingebürgert, es ist also eine verwirrende Namensgleichheit. Sprechen wir hier von Glutamat, ist der körpereigene Botenstoff gemeint.

Bewegung, Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, Konzentration. Das ist Glutamat-Revier. Der Nervenbotenstoff macht unsere Nerven empfangs- und reaktionsbereit. An sich keine schlechte Sache und im Alltag sogar super wichtig, vor allem, wenn es ums Lernen geht. Dann sind Dopamin und Glutamat Teamplayer. Das eine ebnet dem anderen den Weg, und beide befeuern sich gegenseitig, wobei die genaue Arbeitsteilung wissenschaftlich noch nicht bis ins Letzte geklärt ist. Sicher ist aber: Das Trio aus Dopamin, Glutamat und Endorphinen ist die Wurzel des sogenannten Suchtgedächtnisses.

Das verdammte Suchtgedächtnis: Unterwegs auf der Nervenautobahn

»Morgen höre ich auf«, schwören sich Abhängige – nur um dann doch wieder wie ferngesteuert eine neue Suchtrunde zu drehen. Das übermächtige Suchtgedächtnis hat sie an der Angel. Diese fatale Triebfeder ist eigentlich nichts anderes als ein Belohnungssystem mit Kurzschluss. Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück und schauen uns das normal funktionierende Belohnungssystem an. Denn eigentlich ist das eine feine Sache.

Einer unserer Vorfahren tobt durch den Urwald auf der Suche nach was Essbarem. Ihm knurrt kräftig der Magen. Er entdeckt einen Beerenbusch, den er noch nicht kennt. Er macht sich über die Köstlichkeiten her und ist begeistert. Sie sind zuckersüß und machen satt. Schmackhafte Nahrung, ein voller Magen und der Erfolg, etwas Neues zu essen gefunden zu haben – ein Freudenfeuerwerk unserer Nervenbotenstoffe.

Macht sich unser Urahn das nächste Mal auf den Weg zum Busch, passiert im Oberstübchen Folgendes. Er weiß: »Gleich gibt es was Leckeres.« Die Erwartung lässt Dopamin und Glutamat sprudeln. Der Cocktail bringt den nötigen Antrieb, die zielgerichtete Konzentration und die erregende Vorfreude. Während er sich den Magen vollschlägt, geht das Dopamin zurück, Endorphine machen sich breit. Es betreten noch weitere Nervenbotenstoffe die Bühne, die das Dopamin und Glutamat herunterregeln. Geht die freudige Erwartung einer Mahlzeit über in eine wohlige Sättigung, ist das Hirn zufrieden: »Alles richtig gemacht. Ich habe mir Mühe gegeben, Nahrung gesucht und gefunden, ich habe gegessen und bin satt. Ich war erfolgreich, ich bin mit mir zufrieden.«

Suchtmittel schaffen eine fatale Abkürzung: Wer trinkt, raucht oder spielt, schenkt sich den mühevollen Weg durch den Urwald zum Beerenbusch. Suchtmittel treiben das Belohnungssystem nach oben, ohne dass man dafür kilometerweit laufen oder eine schwierige Aufgabe lösen muss. Noch heikler: Sie schalten das natürliche Bremssystem aus. Irgendwann war unser Urahn satt und zufrieden, er hörte auf zu schmausen. Gegenspieler von Dopamin und Glutamat regeln das. Alkohol, Koks und Co verhindern diese Regulierung. Der Körper verliert sein natürliches Kontrollsystem und will immer mehr.

Neuroplastizität

Das Suchtgedächtnis sitzt nicht nur im Reptiliengehirn. Auch der Rest des Oberstübchens mischt kräftig beim Thema Sucht mit. Hirnnerven sind untereinander verknüpft, sie tauschen Informationen durch Nervenbotenstoffe aus. Theoretisch sind sie alle gleichrangig miteinander verbunden. Aber eben nur theoretisch. Es gibt durchaus Nervenverknüpfungen, die schneller und besser funktionieren als andere. Das sind die Autobahnen im Hirn. Alles, was wir täglich tun und üben, formt genau solche Schnellstraßen. Knapp die Hälfte unseres täglichen Werkelns läuft auf diesen Wegen. Wir tun viele Dinge, ohne groß drüber nachzudenken.

Allerdings sind diese Nervenautobahnen nicht in Stein gemeißelt. Das Hirn entwickelt sich ständig weiter, je nachdem, was wir häufig tun, was wir lernen, welche Fähigkeiten wir oft nutzen. Fachsprachlich heißt diese unglaubliche Fähigkeit Neuroplastizität. Ihr verdankt es ein Schlaganfallpatient, nach entsprechendem Training wieder sprechen zu können, obwohl die ehemals zuständigen Hirnnerven abgestorben sind. Das geht, weil sich das Hirn neu verkabeln kann. Neue Nervenautobahnen entstehen.