Die Thannhäuser-Trilogie - Band 1: Der indische Baum - Helga Glaesener - E-Book
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Die Thannhäuser-Trilogie - Band 1: Der indische Baum E-Book

Helga Glaesener

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Beschreibung

Historischer Roman trifft Fantasyepos: „Der indische Baum“ – Band 1 der Thannhäuser-Trilogie von Helga Glaesener jetzt als eBook bei dotbooks. Dem Minnesänger Mack fliegen die Herzen der Frauen nur so zu. Auch die schöne Nell erobert er im Sturm – und das, obwohl er im Gegensatz zu anderen Männern auf dem Schlachtfeld nichts taugt. Trotzdem träumt Mack davon, als Held gefeiert zu werden. Er ist ganz sicher: Wenn nur die richtige Herausforderung daherkäme, würde die Welt ihn mit anderen Augen sehen! Doch als er einen magischen Stein stiehlt, wird Mack auf eine harte Probe gestellt … „Der indische Baum“ ist der erste Teil einer Fantasyserie voller Abenteuer und Intrigen um den Minnesänger Mack Thannhäuser. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Der indische Baum“ von Helga Glaesener. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Dem Minnesänger Mack fliegen die Herzen der Frauen nur so zu. Auch die schöne Nell erobert er im Sturm – und das, obwohl er im Gegensatz zu anderen Männern auf dem Schlachtfeld nichts taugt. Trotzdem träumt Mack davon, als Held gefeiert zu werden. Er ist ganz sicher: Wenn nur die richtige Herausforderung daherkäme, würde die Welt ihn mit anderen Augen sehen! Doch als er einen magischen Stein stiehlt, wird Mack auf eine harte Probe gestellt …

„Der indische Baum“ ist der erste Teil einer Fantasyserie voller Abenteuer und Intrigen um den Minnesänger Mack Thannhäuser.

Über die Autorin:

Helga Glaesener, 1955 in eine Großfamilie hineingeboren, studierte Mathematik in Hannover. Mit ihrem Roman Die Safranhändlerin landete sie 1996 einen Bestsellererfolg. Seitdem hat sie zahlreiche historische Romane sowie mehrere Fantasy- und Kriminalromane veröffentlicht. Heute lebt sie in Niedersachsen und unterrichtet Kreatives Schreiben, wenn sie nicht gerade an einem neuen Werk arbeitet.

Die Website der Autorin: www.helga-glaesener.de

Die Autorin im Internet: http://www.facebook.com/helga.glaesener

Ebenfalls bei dotbooks erscheinen der Fantasy-Roman Der Schwarze Skarabäus sowie Der falsche Schwur und Der Stein des Luzifers, Band zwei und drei der Fantasy-Trilogie Thannhäuser.

***

Neuausgabe März 2015

Copyright © der Originalausgabe 2000 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Carlos Caetano

ISBN 978-3-95824-113-8

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Helga Glaesener

Der indische Baum

Die Thannhäuser-Trilogie: Band 1

dotbooks.

In magnis et voluisse sat est.

Für Nils, mit Liebe

Ein boum stet in Indian,groz, den will si von mir han.Minen willen tuot si gar,seht, ob ich irz alles her gewinne.Ich muoz bringen ihr den gral,des da pflac her Parzival,und den apfel, den Parisgap durch minneVenus der gütinne.

Thannhäuser

Prolog

Nell hielt das Frettchen und hoffte sehnlichst, das Feuer im Kamin würde erlöschen. Die Flammen selbst konnte sie nicht sehen, denn sie kauerte unter einem Tisch in der Ecke des Zimmers und vor ihr stand eines der stämmigen Tischbeine, aber die hellen Schatten tanzten und zitterten an der gegenüberliegenden Zimmerwand.

Nell schluckte an ihren Tränen. Sie saß auf ihren Füßen und ihre Beine waren eingeschlafen. Ihr war kalt und sie konnte sich kaum besinnen, wie lange sie schon unter dem Tisch hockte, aber es kam ihr vor wie … fast wie eine ganze Nacht. Und es gab keine Hoffnung auf ein Ende.

Das Frettchen zuckte im Schlaf mit den Schnurrbarthaaren und gab ein behagliches Geräusch von sich. Ja, dem Frettchen ging es gut. Dabei war es schuld an dem Unglück. Der Diener hatte die Schragen für das Abendbrot in den Saal getragen, Amma war fortgegangen, um den Hirsebrei für den kleinen Eberhard zu besorgen, und weil niemand sich um Nell gekümmert hatte, hatte sie begonnen mit dem Tier zu spielen. Zuerst hatte es sich streicheln lassen, aber dann war es plötzlich die Treppe hochgejagt und durch die Tür ins Zimmer der Tante und in die Ecke neben der Truhe geschlüpft. Und als Nell, die hinter ihm hergerannt war, es hatte aufheben wollen, war die dürre Mathilde mit einem Wasserbottich hereingekommen, und Nell hatte sich wie der Blitz unter dem Tisch verkrochen.

Die Schlafkammer war nicht verboten, aber Nell mochte die Tante nicht. Sie wurde schnell wütend und wenn sie schlug, benutzte sie dazu einen biegsamen Zweig, der nicht nur ziepte, sondern richtig weh tat. Also hatte Nell sich so nah wie möglich an die Wand verkrochen und gehofft unentdeckt zu bleiben, bis Mathilde wieder gegangen war.

Sie war aber nicht gegangen, sondern sie hatte die spinatgrünen Vorhänge zurückgezogen, die das Bett der Herrin wie ein Zelt umgaben. Dann war aus den Kissen ein Fiepen wie beim Ferkelschlachten gedrungen, und anschließend Schreie, die das kleine Mädchen zutiefst entsetzt hatten. Es hatte sich an das Frettchen geklammert und jeden Gedanken an Flucht vergessen.

Irgendwann hatte die Tante aufgehört zu schreien.

Neil gähnte und überlegte, dass sie geschlafen haben musste, denn neben dem Bett stand jetzt eine Wiege, die aus dem gleichen dunklen Holz war wie die Beine des Tischs und sie konnte sich nicht entsinnen, wann man sie dorthingetragen hatte. Sie fror entsetzlich. Die Bodendielen waren eiskalt und nur das weiche Fell des Frettchens auf ihren Oberschenkeln wärmte sie ein wenig.

Wo war Mathilde? Nell vernahm kein Geräusch. Vielleicht war die alte Frau auf einem Stuhl eingeschlafen oder fortgegangen. Nell sehnte sich danach, aus der Kammer zu schlüpfen und hinauf in ihr Zimmerchen zu laufen, wo der kleine Eberhard wahrscheinlich längst bei Amma auf der Strohmatratze schlief. Ein Teil von ihr empörte sich, weil offenbar niemand sie vermisste – und sie war wirklich noch sehr klein. Drei oder zehn Jahre, ganz genau wusste sie es nicht. Aber die Amma hätte sich um sie sorgen müssen.

Vorsichtig versuchte Nell am Tischbein vorbeizuschielen, ohne das Frettchen zu wecken. Sie sah, dass die Bettvorhänge noch immer zurückgeschlagen waren. Die Tante lag in den Kissen und starrte mit ihren kalten Augen zur Decke. Verwundert betrachtete Nell ihr bleiches Gesicht. Ihr wurde beklommen zumute, denn sie kannte die Tante nur mit herrischen Befehlen. Außerdem musste sie an ihre Mutter denken, die ebenso weiß im Bett gelegen hatte, und auch dort hatte eine Wiege gestanden. Nell hatte die stille Mutter küssen müssen, dann hatte Amma mit viel Geheule ihre Kleider und die Bauchwehkräuter in eine Truhe gepackt und sie waren auf einem Wagen fortgeholpert, in ihr neues Zuhause. In einem Körbchen, das Amma in den dicken Armen gehalten hatte, hatte der kleine Eberhard gelegen, der wie durch ein Wunder in ihr Leben getreten war.

Nell spürte einen nassen Tropfen über ihre Wange rollen. Wenn nicht die Angst vor der Gerte gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich angefangen lauthals nach Amma zu schreien. Doch der Gedanke an Schläge und der Anblick der Wiege, die Böses verhieß, ließen sie die Tränen hinunterschlucken.

Sie schlief erneut ein und als sie das nächste Mal erwachte, war es von einem Wutschrei.

Das Frettchen zuckte zusammen und flitzte von ihrem Schoß in eine andere finstere Ecke. Ängstlich stopfte sich Nell die Finger in den Mund.

Mathilde war zurückgekehrt. Sie trug ihren filzigen, wadenlangen Mantel, beugte sich über die Herrin und zeigte ihr etwas, das in ein graues Wolltuch gehüllt war. Nell verbiss sich den Schmerz der eingeschlafenen Füße und richtete sich ein wenig auf.

Die Tante war zornig. Als Nell den Ausdruck in ihrem weißen Gesicht sah, zog sie rasch den Kopf ein und wollte sich in der Ecke verkriechen, aber die Neugier siegte über ihre Angst.

»Es ist hässlich«, keuchte die Frau in den Kissen mit fahlen Lippen und betrachtete voller Ekel, was Mathilde ihr zeigte. »Es … sieht fast aus wie tot. Du hast mir … Dreck besorgt.«

»Ich habe geholt, was es gab«, antwortete Mathilde gleichmütig. Sie fürchtete sich nicht.

»Es ist dunkel. Es … es ist Dreck.«

»Es hat, was das Herz des Herrn höher schlagen lässt.« Mathilde schlug den Wolllappen auseinander und gemeinsam starrten sie auf die Beule im Tuch.

»Wo ist es her?«

»Das wollt Ihr nicht wissen, Herrin.«

»Die Mutter?«

»Die wirds nicht suchen.«

»Sieh dir die Augen an. Sie sind … dahinter leuchtet was.«

Mathilde schlug den Lappen wieder zusammen und legte oder vielmehr warf das Bündel achtlos ans Fußende des Bettes.

»Ich hab nie einen Säugling mit solchen Augen gesehen. Grün wie die Linsen in den Waldtümpeln. Das ist nicht geheuer, Mathilde. Was hast du mir da angeschleppt?«

Nell sah ein winziges Kind aus der Wolle rollen. Es war nackt, braun, mit Schleim und Blut beschmiert und hatte einen hässlichen Stumpf am Bauch. Es weinte nicht, was Nell sonderbar vorkam, denn Mathilde hatte es so grob geworfen, dass es mit dem Kopf an die Bettkante geschlagen war. Seine Augen waren weit geöffnet und es begann ihr Leid zu tun, weil es in der Kälte fror und weil die Herrin es so heftig verabscheute.

»Es hat, was der Herr haben will«, wiederholte Mathilde. Sie ging um das Bett herum und beugte sich über die Wiege.

Die Tante hatte die Füße eingezogen und ihre Knie bildeten unter der Decke einen Berg – eine Barriere, als wolle sie mit dem hässlichen Kind nicht in Berührung kommen. »Du warst nicht im Dorf. Du hattest gar keine Zeit für den Weg hin und zurück.«

»Fragt nicht. Was ich gefunden hab, taugt ebenso viel und mehr, weils nicht vermisst wird.« Mathilde hatte plötzlich ein neues Kind auf dem Arm. Im ersten Moment dachte Nell, es wäre Eberhard, aber der Säugling war viel kleiner und auf seinem Kopf wuchs helles, fast silbernes Haar. Die Magd legte das Kind mitsamt seiner Decke in die Armbeuge der Tante und das Gesicht der Frau im Bett wurde weich. Sie küsste es mit einer Zärtlichkeit, die Nell staunen ließ.

Dann nahm sie eines der bestickten weißen Kissen und drückte es dem Kind aufs Gesicht.

1. Kapitel

Sie kehrten zurück.

Nell sprang von dem gemauerten Sitzplatz in der Fensternische auf und ließ das Hemd, an dem sie gerade einen dieser unangenehm ausgefransten Risse gestopft hatte, zu Boden fallen. Die Kammer, die sie bewohnte, befand sich in einem der oberen Stockwerke der Burg und so hatte sie freien Ausblick auf das Dorf, die honiggelben Felder und den dahinter liegenden schwarzen Wald.

Vier Reiter kamen aus dem Wald, Männer in bunten Kleidern, die in der Sommersonne leuchteten. Sie schienen gesund und wohlbehalten zu sein, denn sie saßen alle tadellos im Sattel. Ihre Schwerter reflektierten das Licht. Dem vordersten wippte eine Feder am Hut. Sie sahen aus wie eine Jagdgesellschaft. Auf dieses Bild hatte Nell drei Jahre lang gewartet und ihr Herz schlug im Galopp.

Und doch – als sie die Männer jetzt sah, schien etwas nicht zu stimmen.

Nell runzelte die Stirn. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, was sie störte. Es war der Staub. Die Männer kehrten nach unendlich langer Zeit in der Fremde heim und ließen ihre Pferde so langsam gehen, dass kein Körnchen Staub vom ausgedörrten Boden aufgewirbelt wurde. Sie zuckelten dahin, als wäre ihnen nichts gleichgültiger als ihre Heimkehr.

Nervös klemmte Nell eine Haarsträhne unter das Gebände zurück. Sie versuchte die einzelnen Personen zu unterscheiden, aber auf die Entfernung war das unmöglich. Alle trugen bunte, überwiegend rote Röcke, das schwarze Kreuz auf den flatternden Umhängen, die Decken und das andere Gepäck hinter den hohen Zwieseln.

Damals, als der Kaiser zum Kreuzzug aufgerufen hatte, war ihr Onkel mit mehr Pracht losgezogen. Vierzehn Mann hatten ihn begleitet. Ihre Pferde hatten Überwürfe aus grünem Samt getragen, die mit dem schwarzgoldenen Thannhäuser Wappen bestickt waren. Das Gesinde hatte wilde Nelken und Klatschmohnblüten geworfen, die Glocken der Burgkapelle hatten geläutet und der Kaplan war mit dem eisernen Kreuz, das er eigens zu diesem Zweck vom Altar genommen hatte, dem Zug vorangeschritten. Der Onkel war im Heiligen Land einer Darmkrankheit erlegen und nun kehrte der Rest seiner Truppe heim – ganze vier Mann. Und sie quälten sich durch die Felder, als wäre es die Wüste von Aleppo. Nell kniff die Augen zusammen. Einer der Männer musste ihr Cousin sein, aber sie konnte an keinem etwas Herrschaftliches entdecken. Niemand sah aus wie der künftige Gebieter von Thannhausen.

Sie fragte sich, wie die Leute im Dorf die armselige Ankunft ihres Herrn wohl aufnehmen würden. Doch passte diese Rückkehr nicht zu dem wunderlichsten aller Kreuzzüge, in dem die Heilige Stadt, wie es hieß, durch Feilschen befreit worden war, als hätte ein Krämer die Heere geführt? Keine Schlacht war geschlagen, kein Ruhm gewonnen worden. Der Kaiser hatte mit den Ungläubigen Gelage gefeiert, ihre Botschafter zu Rittern erhoben und ihre Frauen geschwängert. Und auf ihm und all seinen Mitstreitern lag nun der Zorn des Heiligen Vaters.

Im Dorf war man mittlerweile auf die Reiter aufmerksam geworden. Die Männer und Frauen, die mit ihren Sicheln auf den Feldern am Fluss Gerste schnitten, drehten auf einen Zuruf die Köpfe und ihre Kinder rannten los und scheuchten die Hühner auseinander. Nell sah, wie die Bauern die Röcke aus den Gürteln zogen und hinter der kreischenden Schar dreinliefen. Die Ankunft des Thannhäuser Herrn wurde dadurch zwar nicht glanzvoller, aber zumindest kamen die Willkommensrufe von Herzen. Seit Macks Vater ins Heilige Land gezogen war, hatte es zwei Hungerwinter mit vielen Toten gegeben und nun freuten sich die Leute, weil sein Sohn heimkehrte und hoffentlich alles wieder in Ordnung brachte. Der alte Thannhäuser war hart gewesen, aber er hatte sie am Leben gehalten.

»Komm in den Hof.«

»Was?« Nell drehte sich um. Ralph, ihr Vater, stand in der Tür. In den Falten und Dellen seines feisten Gesichts glitzerte der Schweiß. Ralph schwitzte immer, aber an einem heißen Tag wie diesem dunstete er das Wasser aus wie eine Schwarte ihr Fett in der Pfanne.

»Dein Bruder und dein Cousin. Sie sind zurück. Ich will, dass sie gebührend empfangen werden.«

Nell merkte, dass Ralph sich ärgerte, weil sie ihn anstarrte. Verlegen senkte sie den Blick. Ihr Vater hatte einen dicken, festen Leib, aber spindeldürre Arme und Beine und hervorquellende Augen. Wenn er auftauchte, musste sie unwillkürlich an die blauschillernden Fliegen denken, die auf dem Fleisch in der Küche saßen. Er war jedoch cholerisch und es empfahl sich nicht, ihn zu verärgern.

»Ich weiß nicht, welche Kammer ich vorbereiten soll«, sagte sie.

Außer der Küche und dem Herrenraum gab es nur ein einziges Zimmer in der Burg, das beheizbar war, und dort stand auch das einzige komfortable Bett mit Baldachin und Vorhängen. Seit dem Tod der Tante vor zwei Jahren, dem Tag, an dem Nell in die Thannhäuser Burg zurückgekehrt war, schlief dort ihr Vater. Er genoss den Luxus, für den er selbst immer zu arm gewesen war, und zweifellos traf ihn die Heimkehr seines Neffen hart. So viele waren im Heiligen Land gestorben, da hätte es gern auch Mack treffen können.

Ralph trat zu Nell in den Sonnenstreifen, den das Mittagslicht durchs Fenster warf. Sie dachte, er wolle ihr Anweisungen geben. Stattdessen schlug er ihr unvermittelt mit der flachen Hand ins Gesicht.

Hilflos sah sie ihm nach, als er den Raum verließ. Er sagte kein Wort. Er sagte nie etwas, wenn er sich über sie ärgerte, und auch sonst sprach er kaum mit ihr, obwohl er sich mit Gästen und sogar mit dem Gesinde gern und über jedes Thema ausgiebig unterhielt. Sie spürte, wie ihre Lippe anschwoll. Das und die Tränen, die ihr in die Augen stiegen, würden sie wie eine Hexe aussehen lassen, wenn Mack in der Burg ankam. Nicht, dass es viel verderben würde. Sie war sowieso keine Schönheit. Nicht mit den buschigen Augenbrauen und dem ausgeprägten Kinn.

Sie würde, während die Männer aßen, das Zimmerchen hinter dem Saal ausfegen und mit Stroh bestreuen. Es war ein zugiges Durchgangszimmer, in dem die Katze ihre Jungen großzog, aber zumindest lag es schattig. Sie würde eine Strohmatratze und Decken auslegen und damit musste es gut sein.

Und wenn Mack sich wehrt?, dachte Nell, während sie langsam die Wendeltreppe in die unteren Räume hinabstieg. Ein atemberaubender Gedanke. Was, wenn er die lästige Verwandtschaft, die sich in seinem Haus eingenistet hatte, einfach davonjagte? Wenn er als Mann heimkehrte, gestählt durch die Abenteuer, die auch dieser sonderbare Kreuzzug zweifellos bereitgehalten hatte?

Sie versuchte sich den linkischen sechzehnjährigen Jungen, der die Burg vor drei Jahren verlassen hatte, als selbstbewussten, kraftstrotzenden Riesen vorzustellen. Doch es gelang ihr nicht. Mack glich den Schmetterlingen, die über die Wiesen taumeln, verspielt, von jeder Blüte bezaubert und von jedem Sonnenstrahl geküsst. Er war ein Träumer. Einer, der sich nicht merken konnte, dass man für versäumte Pflichten Prügel bezog. Er hat so viel Prügel erhalten, dachte Nell, dass sein Hintern wie gegerbtes Leder aussehen muss. Sie verzog die Lippen zu einem Lächeln, ließ es aber gleich wieder sein, weil ihr Mund schmerzte.

Mack machte sich nichts aus Strafen. Er schüttelte sich, sagte etwas, das zum Lachen reizte, und verschwand im Wald oder in einer der Hütten im Dorf, die ihm eigentlich verboten waren. Sogar vor der eigenen Schwertleite war er davongelaufen. Direkt aus dem Turnier, in dem er seine Fähigkeiten hätte unter Beweis stellen sollen. Keine Erklärung, keine Entschuldigung – einfach auf und davon. Erst zwei Tage später war er wie ein begossener Pudel heimgekehrt.

Über diese Erinnerung konnte Nell jedoch nicht lächeln. Die Prügel, die Mack für diese Büberei kassiert hatte, hatten die Wände beben lassen und danach war er eine Woche lang für niemanden zu sprechen gewesen. Nell argwöhnte, dass sein Vater ihm den Arm gebrochen hatte, denn Mack hatte ihn anschließend längere Zeit unter dem Rock getragen. Die Wut des Vaters konnte Nell verstehen. Schaudern machte sie dagegen das Lachen seiner Mutter, das die Schmerzensschreie während der Züchtigung begleitet hatte. Das war eine von Nells grausigsten Erinnerungen. Dieses Lachen, das bei jedem Schrei neu hochperlte und in dem nicht ein Hauch von Kummer lag.

Doch die Tante war tot, der Onkel ebenfalls und Mack war erwachsen. Sollte er sehen, wie er zurechtkam.

Unten, im Innenhof der Burg, hatte sich, von Ralph angetrieben, das Gesinde versammelt, eine armselige Meute in schäbigen Kleidern. Scheu drückte sie sich an die Wände. Die beiden Hungerjahre hatten auch unter den Knechten und Dienstmägden ihren Tribut gefordert. Viele waren an Krankheiten gestorben, andere davongelaufen. Ihr Vater hatte sich erst gar nicht bemüht sie wieder einzufangen. Nell argwöhnte, dass es ihm sogar gefiel, wie die Burg sich von den alten Bewohnern leerte. Ralphs Turm mit den wenigen Wirtschaftshäusern war kaum mehr als eine Ruine gewesen, und der Tod seiner Schwester … nun ja, übermäßig betrauert hatte er sie nicht. Er hatte eine neue Heimstatt bekommen, und mit Neil hatte er jemanden, der sie sauber hielt.

»Er ist also zurückgekehrt, der Bastard.« Die dahingezischten Worte kamen von der alten Mathilde, der Amme der verstorbenen Burgherrin. Sie stand abseits in einer Nische, als wäre sie aussätzig, und der Blick ihrer fast erblindeten Augen war undeutbar. Die meisten hatten die Bemerkung gar nicht beachtet, aber Nell zuckte schmerzlich zusammen. Sie hatte jedoch keine Zeit zu reagieren. Die Hufe der Pferde klapperten bereits auf der Holzbrücke und im nächsten Moment waren die Männer im Hof.

Nells Vater setzte seinen Fliegenleib in Bewegung. »Eberhard! Du bist gesund, du bist heim, mein Sohn, welch eine Freude. Und Mack … Was für ein Tag des Stolzes. Matthäus, Alwin, die Pferde – Teufel, helft ihnen aus dem Sattel! Sollen die Eroberer des Heiligen Landes auf ihren Pferden verfaulen? Ein Tag der Freude, wahrhaftig!«

Und Summ und Sirr und alles Heuchelei, dachte Neil verächtlich, während sie zusah, wie Eberhard umständlich vom Pferd stieg und sich von seinem Vater umarmen ließ. Das schlechte Gewissen packte sie, als ihr einfiel, dass sie ihrem jüngeren Bruder bisher noch keinen einzigen Gedanken gewidmet hatte. Dabei flog ihm auf der Stelle ihr Herz zu, als sie ihn mit seinen zwinkernden, kurzsichtigen Augen die Umgebung mustern sah. Sein Gesicht leuchtete. Der Brunnen mit der hölzernen Überdachung, das Backhaus in der Ecke des Hofes, der hölzerne Verbindungsgang zwischen Turm und Wohnhaus … er bestaunte alles, als wäre es aus Gold gegossen, als ginge ihm erst jetzt auf, dass seine Reise zu Ende war.

Ralph winkte das Küchenmädchen zu sich und nahm ihm einen Becher ab. Er ließ seinen Sohn trinken und legte ihm dabei den Arm um die Schulter. Als kröche eine Spinne mit ihren Fadenbeinen über die nächste Mahlzeit, dachte Nell. Doch da tat sie Ralph Unrecht. Wenn er auch niemanden liebte – an seinem Erben und einzigen Sohn hing er.

Der Herr der Burg saß derweil immer noch im Sattel. Widerstrebend, mit klopfendem Herzen nahm Nell ihn in Augenschein. Mack war … nicht mehr der Junge von früher, aber er hatte sich nicht zum Guten verändert. Seine weichen, brauen Locken waren ungepflegt, die Schultern hingen nach vorn. Er hatte sein Lächeln verloren und hielt den Kopf sonderbar schief, wie ein Vogel, der einen Wurm beäugt und sich nicht entschließen kann die Flügel auszubreiten.

Ein … Versager, dachte Nell. Indem er auf seinem Pferd blieb, während alle durcheinander liefen, sonderte er sich ab. Er erhob nicht den leisesten Anspruch auf sein Recht. Und das bedeutete, dass er immer noch derselbe dumme Junge wie früher war, der nicht begriff, was vor seinen Augen ablief. Nell glaubte nicht, dass Ralph Eberhard aus Versehen zuerst den Becher gereicht hatte. Und sie ärgerte sich, dass Mack es wie ein Tropf hinnahm.

Brüsk drehte sie sich um und stieg in die Küche hinab, wo der kleine Jörg, der das Kochen übernommen hatte, nachdem die Köchin sich einen Kessel Brühe über die Beine gegossen hatte, einen Spieß mit Hasen drehte.

»Fertig?«

»Fast.«Jörg nickte fahrig. Seine Kochkünste waren bescheiden. Und die Zeiten, in denen eine spendable Hausherrin für Pfeffer und andere Gewürze gesorgt hatte, die den Geschmack fauligen oder verbrannten Fleisches überdeckten, vorbei.

»Sind die Ritter gesund und munter, Herrin?«

»Was? Oh – ja, ich denke schon. Etwas Rosmarin in die Suppe! Besseres als dieses knorpelige Zeug hatten wir nicht? Nein, reib die Blätter klein. So … zwischen den Fingern.«

Mack war also heimgekehrt. Sein Körper war sehniger geworden, sein Haar länger, sein Gesicht magerer – mehr hatte die Kreuzfahrt nicht bewirkt. Die Jahre würden ihm Falten bescheren, aber er würde als Kind sterben.

Nell nahm den Besen, ging in den kleinen Raum, den sie als Schlafzimmer für Mack vorgesehen hatte, und bearbeitete wütend den Bretterboden. Sie hörte, wie ihr Vater mit den Heimkehrern sprach. Gelegentlich antwortete einer der beiden Bewaffneten, die Mack und Eberhard begleitet hatten. Sie lachten miteinander. Eberhard machte eine holprige Bemerkung. Von Mack hörte man gar nichts.

Nell schob den Schmutz die Stufen hinab, holte ein Bündel Stroh aus dem Stall und warf es in die Ecke zwischen den beiden Türen. Zum Zudecken mochte Mack seinen Mantel benutzen, und wenn ihm nach Blumen zumute war, konnte er sich in den Wald verkriechen wie früher. Immer noch wütend kehrte Nell in ihre Kammer oben im Turm zurück. Sie setzte sich auf ihre Strohmatratze und brach in Tränen aus.

»Nell?«

Die Stimme drängte sich in ihren Traum.

»Nellie? Bist du wach?«

Sie regte sich und versuchte sich zu besinnen, wo sie war, denn in ihrem Traum hatte sie Körbe voller Erbsen gepult, in denen blaue Maden krochen. Ihre Tür stand offen und ein eisiger Schreck packte sie. Doch dann sah sie, dass es nur Mack war, der ratlos mit einem Kienspan unter dem Türbalken stand und wartete.

»Bin ich, ja. Und alles andere wäre ein Wunder, so wie du rumbrüllst. Verschwinde, Mack! Du hast hier nichts zu suchen.« Nell richtete sich auf, wobei sie ihre nackten Brüste bis zum Hals mit dem Laken bedeckte.

»Ich dachte … ich hatte noch gar keine Gelegenheit dich zu begrüßen.«

»Und du meinst, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt?«

»Na ja …« Er trat näher, steckte den Kienspan in die Wandhalterung und wollte zum Bett gehen. Blitzschnell griff Nell unter ihr Laken und riss einen Knüppel hervor.

»Du bist der Herr dieser Burg, das ja. Aber mehr nicht. Wenn dir die Hose juckt, Mack Thannhäuser, sieh dich woanders um.«

Er starrte sie an. »Du schläfst … mit einem Stock im Bett?«

»Es gibt Merkwürdigeres.«

»Tja …«, meinte er hilflos.

»Was willst du?«

»Ich … nichts. Eine freundliche Seele sehen. Ehrlich, Nell.«

»Eine freundliche Seele ohne Kleider und Haube. Du bist ein Schmutzfink. Scher dich davon.«

Er nickte und kehrte sich gehorsam wieder zur Tür.

»Du solltest dich schämen!« Sie sah, wie er nach dem Kienspan griff. »Warte.«

»Was denn nun? Davonscheren oder warten?« Er lächelte sie über die Schulter an. Es war sein erstes Lächeln, seit er heimgekommen war, und nur ein Schatten seiner früheren Fröhlichkeit, aber Nells Herz machte einen Hüpfer. Betont ruppig schob sie ihren Knüppel unter die Decke zurück.

»Erzähl, hat Ralph dich mit Respekt behandelt?«

»Mit dem ehrlichen Respekt eines Fuchses für das Hühnchen. Er hat mir Pfeffer vorgesetzt, den er mit etwas Saubraten würzte, bis mir das Feuer aus dem Mund schlug.«

»Es gibt keinen Pfeffer in der Küche.«

»Für das Hühnchen schon.« Das Lächeln wurde breiter. »So geht es unter Füchsen zu, Nell. Erst Pfeffer und dann Wein. Und der Wein kam auch nicht aus der Küche.«

Sie starrte ihn mit offenem Mund an.

»Das hat aber nichts geschadet«, fuhr Mack fort, »weil ich einen Krug Wasser aus der Küche geholt habe. Nur bin ich heute Abend … Ich bin müde.«

»Aber warum …?«

»Ganz scheußlich müde sogar. Ich bin so müde, dass mich mit Sicherheit nichts aufwecken würde, wenn ich erst einmal die Augen zu habe. Und das macht mir Sorgen und darum bin ich raufgekommen … weil ich dachte …«

Ja, er hatte einen daumenbreiten, schwarzen Rand um die Augen, der sich von seinem Gesicht wie eine Eulenmarkierung abhob. Nell starrte immer noch und Mack wurde plötzlich verlegen.

»Jedenfalls freue ich mich, dass ich dir gute Nacht sagen konnte.« Er zog den Kienspan aus dem Eisenring.

»Du kannst dich da in die Ecke legen«, platzte Nell heraus. Sie griff hinter sich und zog eines der mit zahllosen Flicken besetzten Kissen vor, auf denen sie schlief. Mack fing es mit der freien Hand auf, bedankte sich und drückte die Fackel am Stein aus. Er musste wirklich müde wie der Tod sein, denn nur einen Moment nachdem er sich ausgestreckt hatte, hörte sie seinen gleichmäßigen Atem.

Als Nells Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie sein weißes Gesicht unter dem Fenster. Er schlief mit dem Arm im Nacken, die braunen, viel zu langen Locken flossen ihm über den Ellbogen. Sein Mund war so sorgfältig geschlossen, als müsse er sich selbst im Traum in Acht nehmen.

Er tat ihr Leid, wie er ihr schon immer Leid getan hatte.

2. Kapitel

Die Königin stand in der Mitte der sonnigen Kemenate vor einem Tisch, auf dem Stickereien und um Holzstäbchen gewickelte Garne ausgebreitet waren. Ihr Zimmer war bescheiden eingerichtet: ein Bett, zwei wuchtige Reisetruhen mit dunkel angelaufenen Beschlägen, Stühle, die ordentlich um den Tisch gruppiert waren, und, als einziger Luxus, ein großer Wandteppich mit fremdländischen Bauten in strahlenden Blau- und Silbertönen, der die Wand neben dem Bett bedeckte. Die stupsnasige blonde Frau, mit der sie sich unterhalten und die gerade eine Bemerkung zu einem der Stickbilder gemacht hatte, knickste und zog sich diskret in eine Fensternische zurück, als der Waffenmeister den Raum betrat.

Gunther bückte sich unter dem Querbalken der Tür hindurch. Er war für die meisten Türen einige Zoll zu groß und zog aus Gewohnheit den Kopf ein, genau wie er aus Gewohnheit versuchte sich mit dem ersten Blick einen Eindruck des Raums zu verschaffen, den er betrat. Als er niemanden außer den beiden Frauen entdecken konnte, hielt er entgeistert in der Bewegung inne. Er schaute sich um, als könne ein gründlicherer Blick zutage fördern, was er mit Sicherheit hier vermutet hatte. Warum befand sich kein Mann im Raum? Der König, den er eigentlich erwartet hatte, oder wenigstens einer der Grafen oder Ritter irgendjemand, dessen Kreise sich mit denen eines Waffenmeisters berührten.

Die Königin winkte ihn heran und bat den Diener, die Tür zu schließen. Sie schien also tatsächlich mit ihm sprechen zu wollen, und zwar allein. Gunther trat näher und verneigte sich steif. Er wusste, wie er auf Frauen wirkte. Hölzern wie ein Besen und einschüchternd, was in diesem besonderen Falle allerdings nur seine eigene Verwirrung vermehrte.

Spröde bedeutete Margarete ihm sich zu erheben und murmelte in die Luft zwischen Fenster und Vorhang: »Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid, Waffenmeister. Ich … sicher habt Ihr viele wichtige Pflichten.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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