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GEFÄHRLICHE MAGIE Leena ist eine Tiermagierin. Mit ihren Kräften kann sie eine einzigartige, tiefe Verbindung zu magischen Wesen herstellen. Doch der Prozess birgt Gefahren. Ist das Tierwesen zu mächtig, endet er meist mit dem Tod des Tiermagiers. DUNKLE HERZEN Noc ist ein Assassine. Seine Welt sind die Schatten. Liebe darf er sich nicht erlauben, ebenso wenig wie Gnade. Denn hat er erst mal einen Auftrag angenommen, zwingt ihn die dunkle Magie seiner Gilde, ihn auszuführen. Oder selbst zu sterben. VERBOTENE LIEBE Leena und Noc. Magierin und Mörder. Er soll sie töten, sie macht ihm ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann. Es ist undenkbar, dass sie Gefühle füreinander entwickeln. Unmöglich. Und doch geschieht genau das … Mitreißend, romantisch, magisch! Der Auftakt der Tiermagier-Trilogie
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Seitenzahl: 607
Veröffentlichungsjahr: 2020
Maxym M. Martineau
Roman
GEFÄHRLICHE MAGIE
Leena ist eine Tiermagierin. Mit ihren Kräften kann sie eine einzigartige, tiefe Verbindung zu magischen Wesen herstellen. Doch der Prozess birgt Gefahren. Ist das Tierwesen zu mächtig, endet er meist mit dem Tod des Tiermagiers.
DUNKLE HERZEN
Noc ist ein Assassine. Seine Welt sind die Schatten. Liebe darf er sich nicht erlauben, ebenso wenig wie Gnade. Denn hat er erst mal einen Auftrag angenommen, zwingt ihn die dunkle Magie seiner Gilde, ihn auszuführen. Oder selbst zu sterben.
VERBOTENE LIEBE
Leena und Noc. Magierin und Mörder. Er soll sie töten, sie macht ihm ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann. Es ist undenkbar, dass sie Gefühle füreinander entwickeln. Unmöglich. Und doch geschieht genau das …
Mitreißend, romantisch, magisch!
Der Auftakt der Tiermagier-Trilogie
Maxym M. Martineau hat einen Abschluss in Englischer Literatur von der Arizona State University und arbeitet als Texterin, Redakteurin und Autorin. Wenn zwischen Familie und Schreiben noch Zeit übrig bleibt, liest sie, spielt Videospiele, schaut sich zu viele Serienfolgen hintereinander an oder macht Sport. «Die Tiermagierin – Schattentanz» ist ihr Debüt und der Auftakt zu einer Trilogie, die an «Assassin's Creed» und das Harry-Potter-Spin-off «Fantastic Beasts» erinnert. Das Buch wurde von Publishers Weekly als eines der bester Bücher des Jahres ausgezeichnet und die New York Times schrieb: «Eine beeindruckende Liebesgeschichte voller Magie und Abenteuer.» Mehr Informationen über die Autorin sind auf ihrer Homepage zu finden: www.maxymmartineau.com.
Anita Nirschl träumte als Kind davon, alle Sprachen der Welt zu lernen, um jedes Buch lesen zu können, das es gibt. Später studierte sie Englische, Amerikanische und Spanische Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 arbeitet sie als freie Übersetzerin und hat zahlreiche Romane ins Deutsche übertragen.
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel «Kingdom of Exiles. The Beast Charmer» bei Sourcebooks Casablanca, Naperville, Illinois.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2020
Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«Kingdom of Exiles» Copyright © 2019 by Sourcebooks
«Kingdom of Exiles» Copyright © 2019 by Maxym M. Martineau
Illustrationen Copyright © Sourcebooks/Aud Koch/Shutterstock
Redaktion Kathinka Engel
Covergestaltung Alexander Kopainski
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-00870-0
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für meine Familie und meinen Mann.
Danke, Mom, dass du mir schon in jungem Alter beigebracht hast, dass es okay ist zu träumen, sich an einer guten Geschichte zu erfreuen und an Welten zu glauben, die andere vielleicht nicht sehen können.
Danke, Dad, dass du mich die Bedeutung von Beharrlichkeit gelehrt hast. Ohne dich hätte ich nicht diese Arbeitsmoral, und dieses Buch gäbe es nicht.
Danke, Chaz, dass du der beste Bruder der Welt bist, dass du mir gezeigt hast, was es heißt, sich ganz seiner Leidenschaft zu widmen, und dass du mich immer zum Lächeln bringst.
Danke, Jacob, dass du der Mann bist, von dem ich immer geträumt habe, und mich mit all deiner Kraft unterstützt und liebst. Vergiss nie, ich werde mich immer für dich entscheiden.
An den Rest meiner Familie nah und fern, euch liebe ich auch.
als der Abend hereinbrach, standen drei Dinge fest: Der Lammfleischeintopf war absolut beschissen, mein wieseläugiger Kunde gierte nach mehr als den Tierwesen in meinem Besitz, und jemand beobachtete mich.
Zwei dieser drei Dinge waren völlig normal.
Ich schob den Teller beiseite und stützte die Ellbogen auf den schweren Holztisch. Mein Kunde hielt zwei Sekunden lang durch, bevor sein Blick zu dem Medaillon in Form eines Buchs wanderte, das in meinem Ausschnitt baumelte. Er schob die dicken Finger zwischen Hals und Kragen seines vornehmen Rocks und zog leicht an dem Stoff.
«Haben Sie, was ich will?» Sein schwerer Goldring schimmerte im Kerzenlicht. Darauf eingraviert war das Bild einer Waage: das Symbol der Bank Wilheims. Ein Geschäftsmann. Ein seltener Besucher im Nächtlichen Narren, meiner bevorzugten Schwarzmarkt-Taverne. Ich betastete den kleinen Bronzeschlüssel, der in meiner Tasche versteckt war.
«Kann sein.» Ich schob den Blechteller noch weiter fort. «Wie haben Sie mich gefunden?» Dez, der Barkeeper, verhalf mir zu den meisten meiner Kunden, aber Brokatröcke und der Nächtliche Narr passten nicht zusammen.
Unruhig veränderte ich meine Haltung in der Sitznische, weil sich das unsichtbare Augenpaar tiefer in meinen Hinterkopf bohrte, und nahm eine schwache, flüchtige Bewegung in den Schatten wahr. Eine Bewegung, die unbemerkt bleiben sollte, aber ich hatte gelernt, auf solche Dinge vorbereitet zu sein.
«Dez liefert Spirituosen an eine Bar in Wilheim, die ich frequentiere. Er sagte, du könntest Dinge beschaffen.» Er nahm seine Wurstfinger wieder aus den Falten seines Kragens und legte die Hände flach auf den Tisch.
Glaubhaft. Dez brannte einen verdammt guten Gewürzschnaps, den er nebenher verkaufte – eine billige und doch leckere Alternative zu dem überteuerten Alkohol, der innerhalb der sicheren Stadtgrenzen von Wilheim hergestellt wurde. Aber das erklärte den heimlichen Beobachter noch nicht.
Versteckte Augen folgten mir, als ich den Blick suchend über die Tische schweifen ließ.
Von dem schmiedeeisernen Kerzenleuchter an den Deckenbalken hingen Spinnweben herab. Auf den klapprigen Stühlen saßen Stammgäste in schmuddeligen Röcken, verschlagene Blicke begleiteten ihr Flüstern über illegale Geschäfte. Welcher von ihnen interessierte sich für mich?
Ein Ratsmitglied? Ein potenzieller Kunde?
Meine Schläfen pochten, und ich zwang mich, den Blick meines Kunden zu erwidern. «Zum Beispiel eine Gyss.»
Der Mann richtete sich auf. Ein begieriges Lächeln entblößte gelbe Zähne zwischen spröden Lippen. «Ja. Mir wurde gesagt, du hättest eine im Angebot.»
«Die sind nicht billig.»
Er verzog das Gesicht. «Ich weiß. Dez sagte, sie würde mich einhundert Taler kosten.»
Einhundert? Ich warf einen Seitenblick zu Dez. Doch der steckte mitten in einer angeregten Unterhaltung mit einem Gast und bemerkte es nicht. Einhundert war viel für eine Gyss. Er hatte mir damit einen Gefallen getan. Ich hätte den Schlüssel gleich an Ort und Stelle übergeben können, aber mir bot sich hier eine seltene Gelegenheit: ein unvernünftiger, verzweifelter Geschäftsmann auf der Suche nach Glück. Warum sonst sollte er eine Gyss wollen?
«Einhundertfünfzig.»
Er sprang so jäh auf die Füße, dass er um ein Haar den Tisch umgeworfen hätte, und zog damit die Aufmerksamkeit jedes Verbrechers in diesem Laden auf sich. Dez hob demonstrativ eine Augenbraue und ballte die Fäuste, woraufhin der Geschäftsmann verlegen wieder Platz nahm.
Er räusperte sich, und seine Finger kehrten in die Speckfalten seines Halses zurück. «Einhundertfünfzig ist viel.»
Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf, lehnte mich lässig zurück und zuckte mit den Schultern. «Ihre Entscheidung.»
«Ich werde jemand anderen finden. Ich habe es nicht nötig, mich über den Tisch ziehen zu lassen.»
«Nur zu.» Ich wies mit einem Nicken zu den ruhigen Tischen um uns herum. «Obwohl keiner von denen je eine Gyss für Sie im Angebot haben wird. Die sind nicht wie ich.»
Zischend stieß er den Atem aus. «Sind alle Tiermagier so hinterhältig?»
Ich lehnte mich vor und schenkte ihm mein bestes Grinsen. «Diejenigen, die mit Ihnen Geschäfte machen? Oh ja.»
«Verdammt.» Er kniff sich in den Nasenrücken. «Also gut. Einhundertfünfzig. Aber wehe, diese Gyss funktioniert nicht. Dann musst du mich auf andere Weise entschädigen.» Bewusst langsam hob er die Hand zum Kinn und strich mit dem Daumen an seinem schwabbeligen Kiefer entlang. Ein schwaches Glimmen flackerte in seinem Blick auf, und ich verschränkte die Knöchel unter dem Tisch, um mich davon abzuhalten, ihm einen Tritt zu verpassen. Ich brauchte das Geld, und ich wollte mir meine neuen Stiefel nicht an seinem Schritt schmutzig machen.
Nur mit Mühe hielt ich das Knurren in meiner Stimme zurück. «Ich kann Ihnen versichern, dass die Gyss Ihre Wünsche erfüllen wird. Einen alle sechs Monate.»
«Ausgezeichnet.» Er streckte seine Hand aus und wartete darauf, dass ich einschlug, um den Handel zu besiegeln.
«Sie wissen, dass die Gyss für jeden Wunsch eine Bezahlung verlangt, richtig?»
Seine Hand zuckte. «Ja, ja. Kein Wunsch ohne Gegenleistung.»
«Und ich bin nicht verantwortlich für das, was die Gyss fordert. Das ist Sache des Tierwesens, nicht meine.»
«In Ordnung. Jetzt mach schon, bevor dieses Drecksloch noch von Schildwächtern durchsucht wird.»
Schildwächter? Das hätte er wohl gern. Die muskelbepackten Soldaten der Hauptstadt würden sich nicht in die Nähe dieses Schandflecks wagen. Direkt an die Westseite des Nächtlichen Narren drängten sich die schwärenden finsteren Wälder des Kitskaforsts. Die verirrten, markerschütternden Schreie der Monster, die gelegentlich die Luft zerrissen, reichten aus, um selbst die tapfersten Männer abzuschrecken.
Nein, Schildwächter kamen nie hierher.
Ich ergriff die ausgestreckte Hand des Geschäftsmanns. Feuchtkalte Haut glitt über meine Handfläche, und ein Schauer kroch mir über den Arm.
Er ließ los und zog einen samtenen Geldbeutel aus seiner Tasche. Als er an den Lederschnüren zog, klimperten eine Handvoll Silber- und Goldmünzen auf den Tisch.
Einhundertfünfzig Taler. Witzig, dass kieselsteingroße flache Metallscheiben solchen Wert haben konnten. Wir, die wir außerhalb von Wilheims Schutz leben, mussten um unser Geld kämpfen. Unsere Mittel einteilen. Meine letzten Taler waren für ein dringend benötigtes Paar neue Lederstiefel draufgegangen. Dieser Mann hatte wahrscheinlich feine Seidenpantoffeln für jede Gelegenheit.
Mit so viel Geld aber konnte ich etwas viel Wichtigeres als Fußbekleidung bekommen. Ich schob die Hand in meine Tasche und holte einen bronzenen Schlüssel heraus. Das Prickeln von Macht strahlte von dem Metall in meine Hand aus, und ich warf dem Geschäftsmann einen weiteren Blick zu. «Sind Sie mit dem Tiermagiergesetz vertraut?»
Sein Blick war auf den Schlüssel fokussiert. «Das Kaufen und Verkaufen von Tierwesen ist streng verboten, ich weiß.»
Ich drehte den Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger. «Nicht das. Das Tiermagiergesetz dient dazu, die Tierwesen zu schützen. Sollte ich je herausfinden, dass Sie diese Gyss misshandeln, habe ich das Recht, Sie zu töten. Auf jede Weise, die ich als angemessen erachte.»
Das Gesicht des Mannes wurde blass, und Schweiß tränkte den Kragen seines Rocks. «Du machst Witze.»
«Über Tierwesen mache ich keine Witze.» Ich ließ den Schlüssel auf den Tisch fallen. Mit schiefgelegtem Kopf schenkte ich ihm ein wölfisches Lächeln. «Immer noch interessiert?»
Er zögerte nur einen Atemzug lang, dann schnappte er sich den Schlüssel mit seinen fetten Fingern und steckte ihn in seine Brusttasche.
«Das wird nicht nötig sein. Ich werde die Gyss gut behandeln.»
Er verabschiedete sich mit einem Nicken und stand vom Tisch auf. Ich hob kurz das Kinn, meine Miene unbeweglich.
«Denken Sie gut darüber nach, bevor Sie sich etwas wünschen. Die Folgen können drastisch sein.» Ein vertrauter unbehaglicher Schauer durchrieselte mich. Ich handelte nur äußerst ungern mit Gyss, aber seine Bedürfnisse schienen einfach zu sein. Geld. Macht. Er wäre nie in der Lage, die Forderung zu erfüllen, die die Gyss für mehr stellte.
Diese Gyss würde nicht gegen mich verwendet werden. Es würde nicht ein zweites Mal geschehen.
Die Bandbreite ihrer Möglichkeiten hing von ihrem Meister ab, und dieser Mann war zu einfach gestrickt, um wirkliches Unheil anzurichten. Nein, meine einsame Existenz war noch ein paar hundert Jahre lang sicher. Es gab Tiermagier, die fast dreihundert Jahre alt wurden. Im reifen Alter von neunundzwanzig hatte ich noch jede Menge Zeit.
Die unsichtbaren Blicke, die ich meinem geheimnisvollen Beobachter zu verdanken hatte, bohrten sich wie Dolche in meinen Rücken. Vielleicht überschätzte ich meine Lebensspanne.
Nachdem ich dem Geschäftsmann dabei zugesehen hatte, wie er aus der Taverne floh, lehnte ich mich zurück in die Polster der Sitznische, um meine Münzen zu zählen. Mit den Augen meines Verfolgers auf mir, hatte ich keinen Grund zur Eile. Ein Dieb vielleicht? Taler waren schwer zu kriegen, und ich hatte mehr als genug, um an die Südküste und wieder zurück zu gelangen. Der Myad und die Gelegenheit, meinem Volk meinen Wert zu beweisen, waren zum Greifen nah.
Ich musste nur noch an das Blut eines Mörders gelangen – freiwillig und ohne Bedingungen gegeben. Es war eine notwendige Zutat für die Zähmung eines Myads und etwas, auf das ich im Nächtlichen Narren lange warten konnte, wo die feilschenden Stammkunden einen Gefallen nicht von einem Schuldschein unterscheiden konnten. Darum würde ich mich in Ortega Mar kümmern. Fürs Erste musste ich dort hinkommen, bevor das Tierwesen wieder verschwand.
«Brichst du auf?» Dez schob sich auf die gegenüberliegende Bank der Sitznische. Ein breites Grinsen straffte die gezackte Narbe, die von seinem Ohrläppchen zu seinem Kinn lief. Mit seinem kantigen Kiefer und der einmal zu oft gebrochenen Nase hatte er einen rauen Charme an sich. «Es ist schön, dich hier zu haben.»
Ich spielte mit einer der Silbermünzen. Über der Taverne zu wohnen, hatte seine Vorzüge. Während ich Dez rasch musterte, kehrten meine Gedanken zur letzten Nacht zurück, als wir uns in den Laken vergnügt hatten. Körperliche Erfüllung ohne Verpflichtungen, zumindest für mich. Wir hatten dieses Thema nie angeschnitten, aber ich ertappte ihn oft dabei, dass sein Blick auf mir lag, wenn er es nicht sollte. Irgendwann würde ich mich darum kümmern müssen. Ich war nur bedingt bereit, etwas von mir zu geben.
«Ich werde nur kurz fort sein. Im Süden ist ein seltenes Tierwesen gesichtet worden, und wenn ich hier rumhänge, geht es mir durch die Lappen.» Ich wischte meinen Verdienst vom Tisch in meine Geldbörse.
«Du weißt, dass du niemandem hier irgendetwas beweisen musst», sagte er mit leiser Stimme, während sein Blick mich von Kopf bis Fuß musterte. «Verdammt, du bist ohne jeden Zweifel der beste Mensch in diesem Laden.»
«In deinen Augen.» Meine Leute würden lieber einen fleischfressenden Tormalac zu sich nach Hause einladen, als mich wieder unseren heiligen Boden betreten zu lassen. «Tiermagier sind nur so stark wie die Wesen in ihrer Obhut. Ich muss vorbereitet sein.»
«Vorbereitet worauf?», fragte Dez.
Ich wusste, was er wollte. Ein bisschen Ehrlichkeit. Eine Spur Vertrauen. Aber ich konnte einfach nicht. Es hatte einen Grund, warum ich meilenweit die einzige Tiermagierin war. Wüsste er die Wahrheit, könnten sie ihn dazu benutzen, mich zu finden. Der Rat der Tiermagier kannte weitaus schlimmere Urteile als Exil.
«Ich komme wieder. Du weißt, dass ich diesen Ort liebe.»
«Du weißt, dass du mich liebst.» Ein weiterer Hoffnungsschimmer.
«Und du weißt, dass ich mit Liebe nichts am Hut habe.» Ich beugte mich vor, und langsam eroberte ein Lächeln mein Gesicht. «Aber das bedeutet nicht, dass ich deine Gesellschaft nicht genieße.»
Seine Augen glänzten. «Soll mir recht sein. Einstweilen.»
Hitze entflammte in meinem Bauch. Vielleicht würden ein paar Stunden mehr nicht schaden. «Kann Belinda auf die Bar aufpassen?» Das verträumte Schankmädchen mit den zwei linken Händen hüpfte munter durch die Taverne, dass das Bier und Ale nur so schwappten. Sie konnte beim besten Willen nicht mit einem Serviertablett umgehen, aber dass ihre Brüste Geld einbrachten, ließ sich nicht von der Hand weisen.
Dez machte sich nicht die Mühe, den Blick von mir zu lösen, um nachzusehen. «Sie kommt schon zurecht.»
«Gut.»
Gerade als ich aufstehen wollte, durchschnitt ein schrilles Heulen meinen Verstand, und meine Füße waren wie festgewachsen. Iky, mein getarntes Tierwesen, das ich bei allen Schwarzmarktgeschäften bereithielt. Mit Sinnen, die schärfer waren als die Klinge eines Schildwächters, nahm er in der Enge der Taverne jede Veränderung sofort wahr. Wir hatten schon einige Begegnungen mit miesen Mördern und Dieben gehabt. Nichts, womit er nicht zurechtkam.
Aber wie es aussah, machte mein unsichtbarer Beobachter doch noch seinen Zug. «Wir werden wohl ein andermal darauf zurückkommen müssen.»
Ich suchte die Tische ab. Dem Anschein nach war alles in Ordnung. Niemand sprang auf. Niemand versuchte, die einzige Tür der Taverne zu blockieren. Die Stammgäste, die ich im Lauf der Jahre kennengelernt hatte, waren tief in ihrer eigenen Welt versunken und nicht im Geringsten an meinen Geschäften interessiert. Aber da das Gewicht des Blickes abrupt verschwunden und die Anzahl der Anwesenden immer noch dieselbe war, stimmte hier eindeutig etwas nicht.
«Was? Warum?» Unbehaglich rutschte Dez auf der Bank herum.
«Waren hier irgendwelche zwielichtigen Typen in letzter Zeit?»
Er zog eine Augenbraue hoch. «Ernsthaft?»
«Zwielichtiger als sonst, meine ich.»
Jede Belustigung wich aus seiner Stimme. «Was ist los?»
«Ich werde beobachtet. Oder wurde es. Iky hat eine Veränderung bemerkt.»
Dez’ harter Blick wanderte zu dem schiefen Garderobenständer an der Wand. An den Haken hingen vergessene abgetragene Mäntel wie Blätter, die nicht sterben wollten. Dort lag Iky am liebsten auf der Lauer. Dez hatte ihn einmal entdeckt, als er beiläufig einen weiteren vergessenen Mantel an den Kleiderständer geworfen und danebengetroffen hatte. Ein schwebendes rotes Kleidungsstück jagte sogar den Stammgästen des Nächtlichen Narren einen Schrecken ein.
«Also gut. Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.»
«Natürlich.» Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. «Ehe du dich versiehst, bin ich wieder zurück.»
«Sicher.» Dez stand auf und wandte sich mit ausgebreiteten Armen an die Menge. «Mir ist gerade eine Idee für ein neues Tagesgericht gekommen, Leute! Gepökeltes Schwein mit roter Paprika.» Ein Signal, das nur hiesige Gesetzlose wirklich verstehen würden: Gefahr, möglicher Spion.
Einen Moment lang versteiften sich alle. Augen zuckten sprunghaft umher, bevor das träge Murmeln alltäglicher Unterhaltungen – über das Wetter, den bevorstehenden Ball der Königsfamilie, alles außer dem eigentlichen Grund unserer aller Anwesenheit hier – die Luft erfüllte. Nachdem seine verschlüsselte Warnung Wirkung gezeigt hatte, nahm Dez seinen Platz hinter dem Tresen wieder ein, um Gläser zu polieren und dabei mit einem Auge die Tür und mit dem anderen seine Gäste im Blick zu behalten.
Geh immer davon aus, dass Spitzel da sind. Dez’ frühere Warnung ging mir durch den Kopf, als ich die Hand nach dem abgegriffenen eisernen Türknauf ausstreckte, dicht gefolgt von einem immer noch unsichtbaren Iky. Wie lange hatte mein Handel mit dem Geschäftsmann gedauert? Ich hatte Iky schon vorher in Position gebracht, was bedeutete, dass seine Zeit in unserer Welt schwand. Ich würde ihn bald zurück ins Refugium, ins Reich der Tierwesen, schicken müssen. Ohne Zeit zu verlieren, stieß ich die Tür auf und trat mit wachsamen Augen hinaus in die Nachtluft.
In der Taverne zu bleiben, stand nicht zur Debatte. Was, wenn der Rat der Tiermagier meinen Verbrechen schließlich doch noch auf die Spur gekommen war? Ich durfte Dez oder sein Etablissement nicht in Gefahr bringen. Dieser Ort war ein sicherer Hafen für jene, die nirgendwo anders hingehen konnten. Mich eingeschlossen.
Ich warf einen Blick nach Osten in Richtung Wilheim, unserer Hauptstadt. Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt, durch die strahlend weißen Mauern aus Marmor und Diamanten zu schreiten. Die konzentrischen, undurchdringlichen Türme, die sich so hoch emporreckten, dass sie die Wolken küssten, bewachten einen eindrucksvollen Berg. Dort lebte die königliche Familie. Die vom Glück Begünstigten. Den meisten von uns, die in den Randgebieten ihr Leben fristeten, war es aus dem einen oder anderen Grund verboten, die in Zauber gehüllten Elfenbeintore zu passieren.
Kopfschüttelnd beschleunigte ich meinen Schritt. Obwohl sich die Gerichtsbarkeit der königlichen Familie technisch gesehen über den ganzen Kontinent von Lendria erstreckte, wusste jeder, dass ihr Gesetz jenseits dieser glänzenden Steine nicht galt. Hier draußen regierten Macht, Dunkelheit und dubiose Geschäfte. Iky gab ein weiteres Heulen von sich, und mein Blick flog zum Waldrand. Mein Beobachter war zurück. Unsichtbar für mich, aber nicht vor den Sinnen meines Tierwesens verborgen. Mein Ziel war der Bahnhof, aber wenn dieser Beobachter wirklich Teil des Rats war, wollte ich vermeiden, dass sie Wind von dem Myad bekamen und mir mein Tierwesen vor der Nase wegschnappten. Zuerst musste ich mich also um diese Bedrohung kümmern.
Ich weiß, dass du da bist, Mistkerl.
Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch und ging den gewundenen, ungepflasterten Weg entlang, der mich weiter von Wilheim und dem Bahnhof fortbrachte. Rauslocken, festnageln, fertig. Kinderspiel. Die sinkende Sonne kroch auf die wilden Baumwipfel des Kitskaforsts zu. Tief in Schatten gehüllt, zitterten die dunklen Blätter in der Luft der Abenddämmerung, und ein kleines Pfeifen drang an meine Ohren. Schon allein die Dichte der Wälder beschwor bei denjenigen, die nicht mit ihnen vertraut waren, ein gewisses Maß an Panik herauf – hier draußen konnte man ein Augenpaar nicht von übergroßen Pinesco-Schoten unterscheiden.
Nadeln und Mulch knirschten unter meinen kniehohen Stiefeln, und meine Füße protestierten unter dem Schmerz von hartem Leder, das auf meine Gelenke drückte. Bald schon würde ich die Stiefel eingetragen haben und mir mehr Münzen wünschen, um die Löcher zu flicken.
Ein Zweig knackte in der Ferne, und ich streckte die rechte Hand aus. Eines der vielen Monster des Waldes oder mein Verfolger?
Das Symbol der Tiermagier, ein kahler Rosenholzbaum auf meinem rechten Handrücken, erwachte jäh zum Leben. Ein wirres Geflecht aus Wurzeln breitete sich wie eine Tätowierung über meine Knöchel aus und wand sich knorrig in alle Richtungen um meine Fingerspitzen. Iky reagierte auf den Strom von Macht und entfernte sich von mir. Suchend. Verfolgend.
Das Verschwinden seines wässrigen Geruchs machte mich nervös, aber ich musste meinem Verfolger eine Gelegenheit geben zuzuschlagen. Dann würde Iky die Schlinge zuziehen.
Ein kalter Hauch streifte meinen Nacken.
Ich wirbelte herum, stieß meine Hand vorwärts und konzentrierte mich auf die Quelle von Macht, die unter der Oberfläche summte. Aber Iky hatte seine Aufgabe tadellos erledigt. Knapp außerhalb meiner Reichweite stand ein großer, schlanker, völlig in Schwarz gekleideter Mann. Mit seiner voluminösen Frisur, der schmalen Silberfassung seiner Brille und den frisch polierten Abendschuhen sah er aus, wie für eine Nacht in Wilheim gerüstet – nicht für einen Spaziergang im Kitskaforst. Er war mit eng an die Seiten gedrückten Armen bewegungsunfähig gemacht, und aus seinen behandschuhten Fingern baumelte ein unbenutztes, glänzend schwarzes Messer.
Ich ließ meine Hand sinken, und das Symbol auf meiner Haut zog sich zurück. «Iky, wenn du so freundlich wärst.»
Endlich materialisierte sich Iky. Groß und ohne feste Form mit durchscheinender Haut passte er seine körperliche Beschaffenheit, Farbe und Gestalt meinen Bedürfnissen an. Iky hatte den Mann mit verlängerten Armen zu einem Bündel verschnürt und quetschte ihm die Brust so fest zusammen, dass er Mühe hatte, Luft zu holen.
«Gib ihm ein bisschen mehr Raum zum Atmen.»
Iky lockerte seine Arme, und der Mann stieß ein scharfes Keuchen aus.
Die Schatten, die sich an die Äste des Waldes klammerten, schienen dunkler zu werden.
«Wer bist du?»
Keine Antwort. Harte eisgrüne Augen durchbohrten mich. Die Konturen seines Gesichts verschärften sich, und eine kleine Ader pochte an seiner Schläfe.
«Warum hast du versucht, mich zu töten?» Bedeutungsvoll blickte ich auf das Messer. Er ließ es zu Boden fallen, und Iky schubste es mit einer neu geformten Extremität in meine Richtung. Mit einem leisen, schmatzenden Laut verschwand sie genauso schnell wieder in seiner Körpermasse, wie sie erschienen war.
Der Mann kniff die schmalen Lippen zusammen. Ein rauer Windstoß wehte weitere dünne Schatten herbei. Es war kein Geheimnis, dass die Wälder verflucht waren, aber diese Dunkelheit war dichter. Ungewohnt. Etwas anderes ging hier vor.
Kümmere dich um die Bedrohung und dann verschwinde so schnell wie möglich von hier.
«Iky?» Ich nickte meinem Tierwesen zu. Ikys Arme zogen sich zusammen, und der Mann schnappte nach Luft. «Wenn du mir nichts erzählst, wird es nur noch schlimmer.»
Das scharfe Knacken einer splitternden Rippe durchbrach die Stille. Der Mann keuchte, Worte, die ich nicht verstehen konnte, vermischten sich mit schmerzerfüllten, pfeifenden Atemzügen. Ich warf Iky einen Blick zu, woraufhin er innehielt.
Der Blick meines Möchtegernmörders triefte vor Mordlust. «Mir würde nicht einmal im Traum einfallen, dir irgendetwas zu erzählen.»
Ich runzelte die Stirn. «Ach ja? Iky, du weißt, was zu tun ist.» Eine neue Extremität formte sich und wickelte sich um den kleinen Finger des Mannes. Mit einer plötzlichen und doch fließenden Bewegung brach Iky ihn.
Der Mann unterdrückte einen Schrei. Er wurde unter meinen musternden Blicken kreidebleich. Ich hatte ihn im Nächtlichen Narren noch nie gesehen. Die meisten der Männer und Frauen, die in die Taverne stolperten, waren von Narben gezeichnet, stanken nach schlechten Entscheidungen und noch schlimmeren Schicksalen. Aber dieser Mann? Von seinem perfekt geschnittenen Haar bis zum glatten Schimmern seiner sauberen Haut schrie alles an ihm privilegiert.
Ich widerstand dem Drang, zurück auf Wilheim zu blicken. «Wer bist du?»
Ich machte ein paar Schritte vorwärts und musterte seine schwarze Kleidung. Eine langärmlige, geknöpfte Tunika. Satin noch dazu. Eine schmal geschnittene Hose, deren Saum genau bis zu seinen Schuhen reichte. Nicht annähernd ätherisch genug, um ein Tiermagier zu sein. Ganz gewiss nicht glänzend genug, um ein Schildwächter zu sein, deren Rüstung sogar den leuchtendsten Diamanten zu überstrahlen drohte.
Er starrte mich finster an. «Ich sehe keine Notwendigkeit, mich zu wiederholen.»
Am Rand meines Blickfelds krochen onyxfarbene Schattenranken über den Waldboden auf mich zu. Ein Herzschlag pulsierte in ihren wabernden Tiefen. Was für ein Monster uns aus dem Wald heraus auch beobachtete, uns lief eindeutig die Zeit davon.
«Du bist zu dürr, um ein Schildwächter zu sein, obwohl du offensichtlich arrogant genug wärst.» Langsam bewegte ich mich weg von dem verfluchten Wald. «Du trägst kein Tiermagier-Symbol, also gehörst du nicht zu meiner Art.» Den Göttern sei Dank.
«Bist du fertig damit, im Trüben zu fischen?»
«Nein.» Ich machte eine Bewegung aus dem Handgelenk, worauf Iky einen weiteren Finger brach.
Der Schrei des Mannes ließ Pinesco-Schoten rascheln und missgestaltete, abgestorbene Blätter zu Boden fallen. Schatten verschluckten sie.
«Du hast versucht, mich zu töten, was bedeutet, dass du wahrscheinlich ein Auftragsmörder bist.»
Ein langsames Lächeln wagte es auf seine Lippen. «Du kommst hier nicht lebend raus.»
Oh, und wie ich das würde. Es braute sich bereits eine neue Idee in meinem Hinterkopf zusammen. Eine, die mit Versprechen und Blut und der Gelegenheit direkt vor meiner Nase zu tun hatte.
Ich begann, ihn zu umkreisen und sein Potenzial abzuschätzen. Ihm die Freiheit im Austausch für sein Blut anzubieten, bedeutete nicht gerade, dass das Blut ‹freiwillig gegeben› wurde. Wortklauberei, aber im Spiel des Zähmens von Tierwesen war die Bedeutung von Worten alles.
«Und warum ist das so?»
«Weil ich ein Mitglied von Cruor bin.»
Die Welt wurde mir unter den Füßen weggezogen. In meinen Ohren begann es, heftig zu rauschen, und die Wipfel der Bäume drehten sich um mich. Ich hatte von Anfang an auf einen Auftragsmörder getippt, aber Cruor? Wer würde so weit gehen, die Untoten anzuheuern?
Die Erkenntnis traf mich hart und schnell, und mein Blick zuckte zu der sich sammelnden Masse aus Dunkelheit zu seinen Füßen. Er saugte Schatten aus den versteckten Winkeln des Waldes. Sogar die einst feste Klinge hatte sich aufgelöst und war mit den sich ringelnden Ranken um meinen Gefangenen herum verschmolzen. Sie leckten an seiner Haut und sammelten sich in seiner Aura, warteten nur darauf, seine Befehle zu befolgen. Es war nicht irgendein Kitska-Monster, das die Dunkelheit zusammenzog – das war er.
Er hatte die ganze Zeit über mit mir gespielt, und mir blieben nur noch Sekunden, um zu reagieren.
«Iky, Zacken. Sofort.» Iky veränderte die Gestalt und versah seine Arme mit Tausenden winzigen Dornen, die die Kleidung und Haut des Mannes durchbohrten und festhielten. Blut sickerte aus einer Vielzahl nadelstichgroßer Löcher. Glänzend rote Tropfen, die hervorquollen und an seiner tintenschwarzen Tunika hinunterliefen wie Adern durch Marmor. Blut, das ich nicht gebrauchen konnte. Die ersten verschwendeten Rinnsale tropften von seinen Fingern auf den Schotterweg. Mit grimmigem Blick betrachtete er sie, und die dunklen Schattenfäden zogen sich zurück. Gut. Wenigstens war er vernünftig genug zu erkennen, wann er verloren hatte. «Wenn du versuchst, dich aufzulösen, wirst du als Hackfleisch enden. Warum stehe ich auf Cruors Abschussliste?»
Gereiztheit verhärtete seine Züge, weil mein Tierwesen und ich das Blatt so geschickt gewendet hatten. «Das werde ich nicht mit einer Antwort würdigen. Als würde ich einem Auftrag die Einzelheiten meiner Arbeit erklären.»
Selbstgefälligkeit sogar im Angesicht des Todes. Dahinter musste der Rat der Tiermagier stecken. Falls sie irgendwie Wind von meinen heimlichen Geschäften bekommen hatten, würden sie lieber jemanden anheuern, mich zu töten, als die Heiligkeit von Hireath zu verlassen. Aber Cruor?
Ich kaute an der Innenseite meiner Wange. Tiermagier schätzten den Wert allen Lebens. Exekution war selten. Jemanden anzuheuern, der mit den Schatten wandelte, garantierte praktisch meinen Tod. Da ich bereits zu lebenslangem Exil verurteilt worden war, für ein Verbrechen, das ich ganz sicher nicht begangen hatte, mussten sie das Gefühl haben, dass nun eine noch extremere Reaktion angebracht war. Ohne Gelegenheit, mich zu verteidigen. Ohne Gelegenheit, zu meinem Volk zurückzukehren.
Ich ballte die Fäuste und starrte den Assassinen an.
«Verdammt seien die Götter. Töten stand heute nicht auf meiner Liste.»
Ein sprödes Lachen ohne jeglichen Humor zerriss die Luft.
«Wenn du mich tötest, schicken sie einen anderen.»
Er hatte natürlich recht, und ich betete, dass meine nächsten Worte nicht mein Todesurteil waren. Ich musste diesen Preis auf meinen Kopf loswerden. Ich hatte Geschäfte im Süden zu erledigen, die ich nicht aufschieben konnte. Der Myad war meine einzige Hoffnung, je nach Hause zu kommen. «Dann bring mich nach Cruor.»
Seine grünen Augen weiteten sich um einen Bruchteil. «Deine Logik entzieht sich mir.»
«Gut, dass es nicht deine Aufgabe ist zu verstehen, wie ich denke. Bring mich nach Cruor, oder Iky macht dir ein Ende. So einfach ist das.»
«Als könntest du mich töten.»
Iky brach einen weiteren Finger, ohne dass ich ihn dazu auffordern musste, und der Mann sog zischend den Atem ein.
«Was sagtest du gerade?», fragte ich.
«Na schön.» Er drehte den Kopf, um zwischen den Bäumen hindurchzuspähen, bevor er mit dem Kinn nach links zeigte. «Das wird dir nicht gefallen.»
Schattenranken explodierten in einem wirbelnden Strudel, der den Kitskaforst verschwinden ließ. Schwärze wallte in Strömen unter unseren Füßen empor, und mir drehte es den Magen um. Wir wurden vorwärtsgeschleudert, obwohl wir keinen Muskel geregt hatten. Verschlungene Schatten wirbelten durch uns hindurch, um uns herum und trugen uns mit rasender Geschwindigkeit zu einem Ziel, das ich nicht einmal ansatzweise erkennen konnte. Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln, und ich sog den Atem ein.
Und dann kamen wir jäh zum Stillstand, die Dunkelheit zog sich abrupt zurück, und die Außenwelt prallte wieder auf uns. Ich presste mir eine Faust auf den Bauch, sodass die Knöchel weiß hervortraten, und funkelte den Assassinen in Ikys Armen finster an. Sein süffisantes Lächeln machte mich rasend.
Die Behaglichkeit des Nächtlichen Narren kam mir vor wie eine andere Welt.
Langsam löste ich meine Faust. Dabei fiel mir mein Tiermagier-Symbol ins Auge, und ich wog Ikys Ast an dem Baum auf meiner Haut und die ihm verbleibende Zeit gegen meinen offenbaren Wahnsinn ab. Jedes Tierwesen hatte eine Schwäche, und seine war ein Verfallsdatum. Zwei Stunden Kraft für zweiundzwanzig Stunden Schlaf. Mit jeder Minute, die verging, zog sich Ikys Ast zum Stamm zurück, bis er verschwand. War seine Zeit abgelaufen, würde er automatisch zurück ins Refugium befördert werden, um seine Kraft wiederzuerlangen.
Ich hatte ungefähr fünfzehn Minuten.
Mit einem Schritt zur Seite zeigte ich auf den Wald. «Bringen wir es hinter uns. Iky, heb ihn hoch.» Seine Haken zogen sich minimal zurück, und Iky drückte den Mann an seine Brust wie ein übergroßes Kind.
Der Assassine schnaubte, und unverständliche Flüche kamen über seine Lippen.
Das Nichts hatte uns zwar in die Nähe transportiert, doch ich konnte die verborgene Todesgrotte, die als Cruor bekannt war, immer noch nicht sehen. Aber ich konnte sie spüren. Das Gewicht von Augen und Schatten. Mir standen die Haare zu Berge, als wir uns den Weg durch das erstickend dichte Blattwerk bahnten. Dunkelheit troff von den Ästen wie klebriges Harz. Über uns schrien Vögel, und Federn raschelten, als sie aufflatterten, sich wirbelnd emporschwangen und der untergehenden Sonne zum Horizont folgten. Holz knarrte. Ein Schatten, mehr Mensch als Nacht, schoss von einem Baum zum nächsten. Der Assassine starrte der Gestalt hinterher, ohne ein Wort zu sagen, doch Selbstgefälligkeit durchzog seine Miene. Einer seiner Brüder also, der die anderen alarmierte.
Eisige Hände krallten sich um mein Herz, und ich umklammerte das buchförmige Amulett an meinem Hals – das Miniatur-Bestiarium, das alle Tiermagier trugen – und flehte die Götter an, mir gewogen zu sein. Ich hätte warten können. Hätte ein weiteres Tierwesen rufen können, aber Ikys Stärke forderte Tribut von meiner eigenen Kraft, und mein Arsenal an Wesen, die die legendäre Macht von Cruor hätte abwehren können, war klein. Außerdem könnte ein weiteres Tierwesen die Chance auf eine friedliche Verhandlung zunichtemachen und einer Kriegserklärung gleichkommen. Bei Letzterer würde ich sicher den Kürzeren ziehen. Ich musste mir jede Möglichkeit zur Flucht offenhalten, für den Fall, dass die Verhandlungen scheiterten.
Ein mitgenommener Eisenzaun, der gegen die Überwucherung durch den verwunschenen Wald ankämpfte, markierte die Grundstücksgrenze Cruors. Zögernd blieb ich am Tor stehen. In der Ferne beleuchtete der Abendhimmel ein in Dunkelheit gehülltes Herrenhaus. Einsam auf einem Hügel gelegen und zwei Stockwerke hoch, mit mehr Fenstern, als meine Augen zählen konnten. Der Sitz der Gilde war fast schon ein Schloss.
Schiefergrau und von leuchtend roten Edelsteinen überzogen, funkelte ein Rycrim-Kern zwischen ordentlich gestutzten Hecken und einer Seite des Hauses. Magische Energie ging pulsierend von ihm aus und bildete eine unsichtbare Kuppel über dem Gebäude.
Ich flehte Dez schon seit Monaten an, in einen Rycrim-Kern zu investieren. Jede Kerze von Hand zu wechseln, das Badewasser über dem Feuer zu erwärmen – ich wollte die Einfachheit sich selbst entzündender Lampen, einen Wasserhahn, aus dem sofort heißes Wasser floss. Aber Bequemlichkeit kostete mehr Münzen, als wir erübrigen konnten. Mord machte sich allerdings offenbar bezahlt.
Iky heulte laut, ein tiefes Vibrieren, das die Luft zum Schwingen brachte. Weniger als zehn Minuten blieben ihm noch.
Mit einem schweren Seufzer stieß ich das Tor auf. Während ich den gewundenen Weg entlangsah, der mich direkt an die Schwelle des Todes führen würde, versuchte ich, das unheimliche Quietschen der Angeln abzuschütteln.
die schweren Holztüren flogen auf, und ein kühler Windstoß wirbelte in die Eingangshalle. Wilde, dunkle, vor Wut leuchtende Augen fanden meine. Die Assassine schlug die Türen hinter sich zu und rannte zu mir.
«Es ist Kost.»
Alle Geräusche bis auf das Prasseln des Feuers erstarben. Sogar die Stimmen, die durch die Wände sickerten, verstummten. Mit ihren durch den Tod verstärkten Sinnen hatten die übrigen in Cruor lebenden Assassinen die panische Ankunft des Wachpostens wahrscheinlich gehört.
Ich starrte sie an. Ein seltener Funken Furcht durchzog ihren Blick, was meinen Puls in die Höhe trieb.
Ich hatte den Auftrag erst gestern an Kost, meinen Stellvertreter, übergeben. «Was ist mit ihm?»
Emelia versteckte sich hinter einem Vorhang glänzend schwarzer Haare. «Die Tiermagierin. Irgendwie hat sie ihn überwältigt. Sie ist am Tor.»
Mein Blut wurde kalt. «Bist du sicher?» Aufträge waren nicht ohne Risiko, aber in Anbetracht unserer Talente stießen wir selten auf Probleme. Verstärkt durch Furcht und dunkle Gerüchte begegnete uns meist atemloses Entsetzen statt des falschen Endes der Klinge.
Calem, ein hochrangiger Assassine und einer meiner engsten Freunde, erstarrte neben mir zu Stein und sah finster zur Eingangstür.
«Möchtest du, dass ich sie begrüße?»
«Nein.» Ich rang um Beherrschung. Cruor war die einzige Familie, die ich je haben würde, und Kost war der erste meiner neugefundenen Brüder gewesen, den ich im wahrsten Sinne des Wortes Bruder genannt hatte. Falls ihm irgendetwas passiert war … «Ist er noch am Leben?»
Emelia räusperte sich. «Ja. Sie hält ihn irgendwie als Geisel. Ich kann es nicht sehen … Da ist so viel Blut.»
Meine Gedanken rasten. Da die Nacht durch die Fenster drang, erwachten die Bronzekerzenhalter im ganzen Haus zum Leben. Schatten sammelten sich in den dunklen Ecken des Raums, krochen über den Boden und schlängelten sich zu meinen bebenden Fingern. Ich war ihr Anführer. Ich musste die meinen beschützen.
«Wo ist Ozias?»
Calems übliches Dauerlächeln war restlos von seinem Gesicht gewischt. Er wandte den Kopf nur lange genug von der Tür ab, um mir einen raschen Blick zuzuwerfen. «Hinterm Haus. Trainiert ein paar der neuen Rekruten.»
Calems steifer Rücken verriet mir, dass er nirgendwo hingehen würde, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Kost war für uns beide ein Bruder. Ich schob die Hände in die Hosentaschen, um meine geballten Fäuste zu verstecken und die ruhige Fassade aufrechtzuerhalten. «Emelia, hol sofort Ozias.»
Da ich Kost allein losgeschickt hatte, um den Auftrag zu erledigen, wusste ich über die Details nur wenig. Wir sammelten lediglich die Informationen, die wir unbedingt brauchten. Alles andere führte zu moralischen Konflikten, und derartige Dilemmas verursachten nur Probleme.
Emelia rief die Dunkelheit, um ungesehen durch die Nacht zu eilen, und verschwand in einer Wolke aus Schatten und Rauch.
Calem trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. «Darf ich die Tiermagierin umbringen?»
Ich konnte seine Gefühle gut verstehen. Ich hatte schon zu viele mir Nahestehende verloren, um das Unbehagen in meinen Eingeweiden zu ignorieren. Wir durften Kost nicht verlieren. Auch wenn wir Werkzeuge des Todes waren, bedeutete das nicht, dass wir ihn in unserem eigenen Heim willkommen hießen.
Das Töten war ein Nebenprodukt eines jahrhundertealten Dekrets, das noch aus der Zeit des Ersten Königs stammte. Ausgestoßen aus den vom König regierten Städten, dennoch dazu gezwungen, seine Vereinbarungen zu erfüllen, um zu überleben.
Der Tod war notwendig.
Aber nicht auf diese Weise.
«Lasst die Tiermagierin kommen.» Das lodernde Feuer knackte in der gedämpften Stille, die unmittelbar auf meinen Befehl folgte. Das Haus kam in Bewegung. Aus jedem Winkel und jeder Nische eilten Mitglieder herbei, um einen Blick auf Kosts Geiselnehmerin zu werfen. Sie drängten sich auf der umlaufenden Galerie des ersten Stocks an das schmiedeeiserne, mit Metallblumen verzierte Geländer. Dornen zwischen Rosen – wie das Leben eines Assassinen.
Ich musste sie beschützen, wie es unser früherer Gildenmeister Talmage getan hatte. Mein rascher Blick zum Kaminsims fiel auf das gerahmte Ölgemälde. Talmage starrte zur mir zurück. Sein von Falten beschwerter Blick ging durch mich hindurch. Zum ersten Mal hatte ich diese Augen gesehen, als ich vor ihm auf dem Boden gelegen und er mich von den Toten aufgeweckt hatte.
«Du hast deinen Tod gewählt. Kost fand dich ohne Rüstung, ohne Waffen und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Ich kann nicht versprechen, dass dieses Leben leichter wird, aber es wird neu sein. Du kannst alles hinter dir lassen. Du kannst vergessen. Wir lassen unsere Vergangenheit in der Erde zurück.»
Ich glaubte, indem ich Talmage folgte und ein Mitglied der Cruor wurde, hätte der Tod einen Schlussstrich gezogen. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich mich irrte, bis es zu spät war. Wenn nicht einmal der Tod mich heilen konnte, war ich für alle Zeit verloren. Alles, was ich haben konnte, war Cruor, und selbst das erforderte eine zerbrechliche Balance zwischen Liebe und Verlust.
Nie wieder würde ich meinen Fluch auslösen, hatte ich mir geschworen. Nie wieder würde ich jemand Wichtigen verlieren. Und nun hatte irgendeine Tiermagierin mit einer Armee von Tierwesen Kost in ihrer Gewalt.
Vorsichtige Schritte klangen über Holzdielen. Während ich in den schwarzen Polstersessel neben mir sank, dämpfte ich die Angst und Wut in meinen Adern und verbarg meinen Zorn hinter absoluter Reglosigkeit. Die bronzenen Türgriffe bewegten sich, und die Türen schwangen auf.
Eine Frau trat herein.
Große haselnussbraune Augen zuckten von links nach rechts. Sie sah genau aus wie die Schurkin, für die ich sie hielt. Eine ausgebleichte, durch ständigen Gebrauch abgewetzte Lederhose. Eine enganliegende violette Tunika, von deren Saum ein verirrter Faden baumelte. Sie dachte wahrscheinlich, Kost hierherzubringen, könnte ihr ein paar Münzen einbringen.
Doch sie würde nicht lange genug leben, um den mageren Betrag auszugeben, den sie in ihrer Geldbörse hatte.
Meine Brüder und Schwestern warteten völlig reglos, abgesehen von ihren eindringlichen Blicken und dem subtilen Heben und Senken ihrer Brustkörbe. Sie musterte jeden Einzelnen, dabei verlor ihr Gesicht mit jeder Sekunde, die verstrich, mehr an Farbe. Hinter ihr hielt ein durchscheinendes Tierwesen mit der Statur eines schlanken Mannes Kost an seine Brust gedrückt. Tausende unendlich kleiner Zacken hielten ihn fest, und Blut tropfte von seinen Fingerspitzen ö von denen drei in einem ungewöhnlichen Winkel abstanden.
Kost.
Seine grünen Augen fanden meine, und seine vertraute stoische Haltung zerbrach und wurde zu einer reuevollen. Er senkte den Blick. Er würde seine Gefangennahme als Versagen betrachten. Beim Anblick seiner niedergeschlagenen Augen wogte heftige Wut durch mich hindurch, und ich widerstand dem Drang, vom Sessel aufzuspringen.
Ich durfte nicht die Beherrschung verlieren vor dieser Tiermagierin. Vor meinen Leuten.
«Was haben wir denn da?», sagte ich so kalt wie ein Schatten.
Ihr Kopf fuhr zu mir herum, und ein paar Haarsträhnen blieben an ihren hohen Wangenknochen kleben. Sie zog ihre Lederjacke enger um sich und machte einen zaghaften Schritt vorwärts. «Ich will niemandem Leid zufügen.»
Mein Blick glitt zu Kost. Zu dem Blut. «Das fällt mir schwer zu glauben.»
«Bist du der Anführer von Cruor?» Das schlanke Tierwesen rückte näher zu ihr. Sie blickte hinunter auf ihre Hand, und das Stirnrunzeln, das ihre Brauen zusammenzog, vertiefte sich. Interessant.
«Vielleicht.»
«Ich will, dass die Prämie auf meinen Kopf aufgehoben wird», sagte sie. Ein paar Lacher wogten durch die Menge, bevor sich wieder Schweigen über uns legte. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen und warf einen weiteren raschen Blick auf ihre Hand.
Ich behielt meinen ruhigen Tonfall bei. «Du bist weit weg von zu Hause, Tiermagierin. Ich werde das Kopfgeld weder aufheben noch erlauben, dass du wieder von hier fortgehst.»
Ein eigenartiger Schweißfilm benetzte ihren Haaransatz, und das Tierwesen an ihrer Seite zitterte. Sie berührte mit dem Kinn ihre Schulter, dabei trat Besorgnis in ihre Augen. Dann holte sie tief Luft und erwiderte fest meinen Blick.
«Wenn ihr Anstalten macht, mich zu töten, wird dieser Mann hier sterben.»
Das Tierwesen verstärkte seinen Griff, und Kosts scharfes Aufkeuchen war wie eine Faust um mein Herz.
Götter, Kost.
Ich riss meinen Blick von Kost los und sah sie an. Beherrschung. Meine Sorge könnte Kosts Leben auf eine Weise bedrohen, wie es die Tiermagierin nie verstehen würde. Dieses wohlbedachte Kalkül war mir durch die vielen Jahre eingetrichtert worden, die mich mein Fluch schon überschattete. «Kost fürchtet den Tod nicht. Er hat ihn schon erlebt.»
Als Talmage noch der Anführer gewesen war, hatte er darauf bestanden, dass wir die Furcht um unserer Arbeit willen hinter uns ließen. Ich war derselben Meinung, aber bezüglich Loyalität gab es keine Regeln. Langsam stand ich auf, während ich die Entfernung zwischen Kost und mir abschätzte. Welche Art von Kräften hatte diese Kreatur? Würde ich es rechtzeitig schaffen?
Schatten sammelten sich am Rand meines Blickfelds und strömten zu mir. Hüllten mich in eine kühle Dunkelheit, die Bewegungen tödlich und beinahe unmöglich zu verfolgen machte. Ich sprang, bevor Zweifel eine Chance hatte, meine Muskeln erstarren zu lassen.
Dicke Schattenranken schnellten in einer schwarzen Rauchwolke vorwärts, und plötzlich stand ich vor ihr. Ich legte meine Hand um den weichen Hals der Frau, riss sie hoch und hielt sie über dem Ebenholzboden in der Luft fest. Sie war so fragil. Zerbrechlich. Schwer zu glauben, dass sie es irgendwie geschafft hatte, meinen Stellvertreter gefangen zu nehmen. Was machte sie so gefährlich, dass es ein Kopfgeld auf sie rechtfertigte? Egal: Ein schneller Ruck, und ich konnte ihr Leben beenden. Finger kratzten über meine, und ihre Augen weiteten sich.
Hinter ihr reagierte das Monster. Es zog die Arme enger um Kosts Rippen, sodass sich die gezackten Spitzen tiefer in seine Haut bohrten. Blut spritzte. Mein Griff verstärkte sich, und die Muskeln der Frau zuckten unter meinen Fingern. Eine schnelle Bewegung aus dem Handgelenk würde ihr die Luft abschneiden, aber da war noch die Sache mit ihrem Tierwesen. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr schnell genug das Genick brechen konnte, bevor es Kost das Leben nahm.
Ein raues Flüstern kam über die Lippen der Frau. «Ich gebe dir ein Tierwesen.»
Ich lockerte meinen Griff minimal, und mein Blick schnellte zu ihr. Tiermagier boten nicht leichtfertig Tierwesen an. «Du würdest deine Monster eintauschen? Welcher Tiermagier wäre bereit, so etwas zu tun?»
«Verhandeln. Bitte.» Ihre Stimmbänder vibrierten an meiner Handfläche. Ich könnte ihr gleich an Ort und Stelle ein Ende machen … aber Tierwesen waren eine Seltenheit.
Wie das Monster, das Kost gefangen hielt. Ein solches Tierwesen wäre in der Lage, die gefährlicheren Aufträge auszuführen, die, bei denen wir gefasst – oder schlimmer, getötet – wurden. Außerdem gab es von betrunkenen Lippen geflüsterte Geschichten, Gerüchte über Tierwesen, die jedermanns tiefste Sehnsüchte erfüllten. Ich hatte jede Art von Heilmittel versucht, bis auf dieses. Tiermagier waren zu schwer zu finden, zu schwer zu überwältigen. Und sie trennten sich nie von ihren Tierwesen, völlig unabhängig des Preises – oder der Drohung.
Die Zehen der Tiermagierin schleiften über den Boden, und ihre Kreatur erschauderte. Kost stöhnte erneut, und Calem rückte ein Stück näher. In weniger als einer Minute würde ich nicht mehr die Gelegenheit haben zu verhandeln. Er würde zuschlagen, um Kost zu retten.
«Lass ihn frei. Als Zeichen des guten Willens.»
Sie hob die rechte Hand an ihrer Seite, und ein sanftes Licht ging von ihrem Tiermagiersymbol aus. Das Scharren einer schweren Tür über Bodendielen zerriss die Luft. Einen Moment lang löste ich den Blick von der Frau, um nach dem Ursprung des Geräuschs zu suchen, aber das verborgene Reich blieb unsichtbar.
«Iky, kehr zurück», flüsterte sie. Ein leises Summen ertönte, als das Wesen ausatmete. Iky ließ Kost zu Boden fallen und verschwand in einer Flut von Licht, und ihr Zeichen wurde wieder normal.
Ich löste meine Finger und gab ihren Hals frei. «Kost. Krankenflügel. Sofort.»
«Noc –»
«Sofort», wiederholte ich. Er nickte knapp, bevor er sich die Treppe hinauf verabschiedete. «Calem, du bleibst bei mir und der Tiermagierin. Alle anderen, lasst uns allein. Augenblicklich.»
Unzufriedenes Gemurmel schwebte die Treppe herunter, dennoch wand sich neblige Dunkelheit um ihre Knöchel wie die dicken Ranken des Waldes, mit denen er seine Opfer fing, und sie verschwanden.
Calems rötliche Augen nahmen die Frau ins Visier. «Starke Darbietung. Du hast Eier aus Stahl, so viel ist sicher.»
Ich verstand nicht, wie er es übers Herz bringen konnte, ihr ein Kompliment zu machen. Nicht, wenn sie Kost wie eine Vogelscheuche aufgehängt und zur Schau gestellt hatte.
«Calem.»
«Ja, ja.» Schnell gereizt, noch schneller abgekühlt. Sein harter Kiefer entspannte sich, und sein Blick wechselte von mörderisch zu einem faszinierten, langsamen Taxieren. Ich unterdrückte den Impuls, ihn wegzuschicken. Nur die Götter wussten, was sie imstande war herbeizurufen, und ich würde mich nicht überrumpeln lassen.
«Wie heißt du?» Meine Stiefel klangen hart auf den Fliesen, während ich sie langsam umkreiste.
«Leena.» Ihre Stimme brach. Bläuliche Flecken in der Form von Fingerabdrücken schwollen auf der papierdünnen Haut ihres Halses an. Doch Schuldgefühle blieben aus.
«Noc. Willkommen in meinem Heim.» Mit einem Nicken zeigte ich zu dem anderen Armsessel und trat zurück, um sie vorbeizulassen. Das selbstsichere Recken ihres Kinns brachte mich aus dem Konzept, und etwas von der Wut in meinem Inneren verpuffte. Ich konnte nicht anders, als ihre Haltung zu bewundern. Wie eine Assassine, die den Tod nicht fürchtete. Sie machte es sich in dem Sessel bequem, dann wanderte ihr Blick von mir zu Calem.
«Die meisten Tiermagier würden lieber sterben, als sich von ihren kostbaren Tierwesen zu trennen», sagte ich, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zurückzulenken.
Etwas Dunkles flackerte hinter ihren Augen auf. «Was für ein Tierwesen willst du?»
«Bevor wir darüber diskutieren, was du aushändigen wirst, sollten wir kurz über die Anzahl sprechen. Ich benötige vier.»
Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Platz herum. «Zwei. Offensichtlich hast du keine Ahnung, wie schwer es ist, mit mehreren Wesen zurechtzukommen.»
«Du kommst mit mehr als einem zurecht.»
Sie drehte den roségoldenen Ring an ihrem Zeigefinger. «Du musst mir garantieren, dass meine Tierwesen glücklich und gesund bleiben», stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
«Da ist ja das Tiermagierblut in dir.» Also nicht einfach nur eine Schwarzmarktgaunerin, die auf Geld aus war. Irgendwo unter dieser harten Miene versteckte sich Moral. «Ich kann dir versichern, deine Tierwesen werden gut versorgt sein, dennoch benötige ich vier. Eines für mich selbst, und eines für jeden meiner engsten Vertrauten.» Vor meinem inneren Auge sah ich unablässig Kosts leidenden Blick vor mir. Nie wieder.
Ihre Augen wanderten kurz zu Calem, woraufhin er ihr zuzwinkerte. «Kost wird begeistert sein, eine Erinnerung an seine Begegnung mit dir zu haben.»
«Es reicht, Calem.» Ich winkte ihn zurück und wandte mich wieder Leena zu. «B-Klasse oder höher.»
Sie schnaubte. «Du kannst mich mal.»
«Bist du unfähig, B-Klasse-Wesen zu besorgen?» Ich nahm endlich ihr gegenüber Platz und erwiderte fest ihren hitzigen Blick.
«Nein.» Sie spielte mit einer Strähne ihres Haars, das die Farbe alter Eichen hatte – durchzogen von intensiven Brauntönen, die zum Scheitel hin dunkler wurden.
«Dann also B-Klasse. Wollen wir nachsehen, was du in deinem hübschen kleinen Bestiarium zur Verfügung hast?» Das Buch, das in ihrem Ausschnitt baumelte, rief nach mir und ließ Faszination in mir aufflackern. Aber Faszination war eine komplizierte Sache. Sie führte oft zu Interesse, und Interesse zu etwas viel Gefährlicherem.
Sich von ihren Tierwesen zu trennen, weit vom heiligen Heimatland der Tiermagier fortzuwandern – sie war alles andere als eine gewöhnliche Zielperson. Meine Neugier brannte heller. Es war mein Job, Geheimnisse zutage zu fördern, sie, falls nötig, dazu zu benutzen, meine Ziele voranzutreiben, aber an dieser Tiermagierin war mehr als ihr Kopfgeld.
Nach einem Augenblick, der sich zu einer gefühlten Stunde ausdehnte, platzte ein Scheit auf dem Kaminrost, und sie sah durch ihre Wimpern hindurch zu mir auf. «Ich war geschäftlich unterwegs nach Süden. Ich werde auf meiner Reise vier B-Klasse-Wesen zähmen und sie euch bringen, sobald ich fertig bin.» Ihr Tonfall schwankte am Ende, nur eine kleine Veränderung der Klangfarbe. Sie verheimlichte etwas. Andererseits verhandelte sie gerade mit einem Assassinen, also wäre sie eine Närrin, das nicht zu tun.
Seufzend lehnte ich mich im Sessel zurück. «Nein.»
«Entweder das oder gar nichts.»
«Ich glaube, du vergisst, wer hier die Trümpfe in der Hand hält. Meine Gilde hat den Auftrag für deinen Kopf bekommen. Ich verhandle über dein Leben. Du befolgst meine Regeln.»
Sie umklammerte die Armlehnen ihres Sessels, und ihr trotziger Blick drohte, mir zwei Löcher in den Schädel zu bohren. «Wie, glaubst du, bin ich dazu gekommen, mir dieses Kopfgeld einzuhandeln? Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, mit Leuten wie dir zu verhandeln, und ich lege immer die Regeln fest.» Ein leises Pfeifen kam Calem über die gespitzten Lippen, und ich schleuderte ihm einen mörderischen Blick zu. «Du willst Tierwesen – so viel ist offensichtlich –, also, denke ich, habe ich mehr Verhandlungsmacht, als dir bewusst ist.»
Ich achtete aufmerksam auf die kleinste Veränderung ihres Gesichtsausdrucks, stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte mich vor. «Was geschieht mit deinen Tierwesen, wenn du stirbst?»
Ihre Kühnheit verflog augenblicklich, und zurück blieb nichts als kalte Angst. «Was?»
Ihre Reaktion sagte alles. «Wenn du meinen Forderungen nicht nachkommst, wirst du sterben. So einfach ist das. Ich kann ohne deine Kreaturen leben. Meine Brüder und Schwestern ebenso.» Ich deutete auf Calem, der sie mit gefährlich trägem Lächeln musterte. «Aber die Frage ist, können deine Tierwesen ohne dich leben? Welches Schicksal würden sie erleiden, wenn du stirbst? Ein Schicksal, das du gewählt hast, weil du zu stur warst, um zu verhandeln?» Ihre Lippen zitterten, aber Schuldgefühl war nichts, das ich zulassen würde. Ich stand auf und blickte auf sie herab. «Also nur zu. Sag mir noch mal, dass ich nicht alle Karten in der Hand halte.»
Die Luft zwischen uns sprühte Funken, und sie ballte die Fäuste, bevor sie schließlich den Blick zu Boden senkte. «Ich kann dir nicht einfach welche von meinen geben. Die, die ich habe, haben bereits eine Beziehung zu mir aufgebaut, und diese Verbindung zu zerreißen, würde sie umbringen. Was schlägst du vor?»
Es brachte eine gewisse Befriedigung mit sich, einen Gegner auszumanövrieren, geistig oder körperlich, und ich konnte mir das Schmunzeln nicht verkneifen. «Ich bin so froh, dass du fragst.» Ich wandte mich an Calem. «Wie es scheint, machen wir uns auf eine Reise.»
«Oh ja.» Der kleine Rest Wut, der noch in seinen Adern geschwelt hatte, verschwand vollständig, und er klatschte in die Hände. «Um diese Zeit wimmelt es im Süden von schönen Frauen. Welche Gegend genau?» Er spähte um mich herum zu Leena.
«Moment mal, was? Nein. Ich brauche keine Eskorte. Ich verspreche bei meinem Leben, dass ich mit euren Tierwesen zurückkommen werde.» Sie umklammerte den Saum ihrer Tunika und stand langsam auf.
Calems Blick fiel auf ihr Dekolleté. «Tut mir leid, Schwester. Noc ändert seine Meinung nicht.»
Ich hob den Kopf zur Decke, dem unsichtbaren Weg zum Krankenflügel im ersten Stock zu folgend. «Ich werde Kost die Reisevorbereitungen für uns treffen lassen.»
«Wartet –» Leenas Stimme ging in Calems begeistertem Jubel unter. Sie schlug mit der Faust gegen den Kaminsims aus Eichenholz, sodass das Brett unter der Wucht des Schlags vibrierte. Wir drehten uns zu ihr um und starrten sie an. «Ich. Nehme. Euch. Nicht. Mit.» Ein rosenholzfarbenes Glühen brach aus dem Baum an ihrer Hand hervor, und Wurzeln streckten sich nach ihren Fingerspitzen aus.
Mühelos glitt ich in die Schatten und tauchte hinter ihr wieder auf. Ich legte die Finger um ihr Handgelenk und übte leichten Druck aus, während ich die Lippen dicht an ihr Ohr brachte. Eine aufreizende Mischung aus Vanille und Flieder stieg mir in die Nase. «Du solltest gut darüber nachdenken, bevor du etwas tust, das du noch bereuen wirst.»
Gänsehaut lief ihr über den Nacken, und sie erstarrte neben mir. Ihr Puls pochte unter meinen Fingern. So ein zartes Ding, und doch lag so viel Stärke in ihrer Haltung. Die Art von Entschlossenheit und Biss, die von einem Kampf gegen schreckliche Widrigkeiten zeugte. Und von den Siegen, die sie davongetragen hatte. «Ich habe eine weitere … Bitte.»
«Ach?» Ich gab sie frei, bewegte mich jedoch nicht. Ihr Blick schnellte zu meinem Hals und blieb am Kragen meines Hemds hängen. Wollte sie mich erwürgen? Mir heimzahlen, was ich mit ihr gemacht hatte? In ihren Augen war eine Intensität, die ich nicht einordnen konnte. Als wäge sie ab, ohne zu einer Entscheidung kommen zu können.
Schließlich schüttelte sie knapp den Kopf. «Nicht so wichtig.»
Bevor ich noch weiter nachbohren konnte, hallte das Krachen gegen Mauerwerk schlagender Türen durch die leeren Flure.
Wirbel aus Dunkelheit fegten in den Raum, und Emelia und Ozias erschienen. Leena sprang rückwärts und prallte gegen mich, dann beeilte sie sich hastig, wieder aus meiner Reichweite zu kommen.
Schwer atmend sprach Emelia als Erste. «Die Verzögerung tut mir leid – er war weiter draußen als erwartet.»
«Schon gut, Emelia. Bitte kehr auf deinen Posten zurück.»
Sie versank in einer Welle von Schatten, um an ihren Aussichtspunkt in den hohen Bäumen des Kitskaforsts zurückzukehren. Dort würde sie bleiben, bis ihre Schicht vorüber war, nur um von jemand anderem abgelöst zu werden. Mitglieder von Cruor konnten mühelos einen Pfad in unser verborgenes Heim heraufbeschwören, aber es war dennoch möglich, dass Eindringlinge durch den verwunschenen Wald wanderten und uns fanden. Wir hatten reichlich Feinde.
Mit steifem Rücken ballte Ozias die hammergroßen Fäuste an den Seiten. «Ist sie das?»
«Immer mit der Ruhe, Großer.» Calem schlenderte zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. «Noc hat die Sache geklärt.»
Der Blick seiner dunkelbraunen Augen sprang von Leena zu mir, und die tiefen Falten auf seiner Stirn glätteten sich. Er entspannte seine Hände und wischte sie an seiner schweißfleckigen Arbeitstunika ab. «Emelia hat mir alles erzählt. Ich hätte hier sein sollen, aber die Rekruten –»
«Ich weiß.» Wir erweckten nur jene wieder, ohne die wir nicht leben konnten. Uns Nahestehende. Lebenslange Freunde. Nicht jeder war vor der Veränderung ein Krimineller gewesen, was bedeutete, dass unsere Aktivitäten – und die Kräfte, die wir dazu benutzten, sie auszuüben – für manche schwer zu erlernen waren. «Gib ihnen Zeit. Einstweilen möchte ich dir Leena vorstellen. Sie wird uns mit Tierwesen versorgen.»
Ozias’ dichte Augenbrauen schnellten bis zum Ansatz seiner kurzgeschorenen Haare hoch. Leena nickte ihm knapp zu und machte einen Schritt rückwärts. Mit seiner massigen Statur stellte er jeden anderen Assassinen in Cruor in den Schatten, und dennoch war er die geringste von Leenas Sorgen innerhalb meiner Mauern.
Kosts Gesicht schob sich in den Vordergrund meiner Gedanken. Er würde sie aus Prinzip ermorden wollen. Es war an der Zeit, diesen Handel offiziell zu machen. «Sobald wir alle vier Tierwesen haben, werde ich mich um das Kopfgeld kümmern. Bis dahin hast du uns am Hals.»
«Und mit ‹um das Kopfgeld kümmern› meinst du, den Auftrag nicht auszuführen, richtig?»
Kluge Frau. Wenn sie uns noch nie einen Auftrag erteilt hatte, dann wusste sie wahrscheinlich nichts von der Magie, die ihrem Kopfgeld anhaftete. Und dennoch hatte sie meine Worte in Windeseile analysiert. Ihr Überlebensinstinkt war bewundernswert. Schade, dass sie keine von uns war.
Ich wandte mich zum Verlassen des Raums und sagte mit vorgetäuschter Geringschätzung: «Erfüll du deinen Teil der Abmachung, und ich kann dir versichern, dass keiner von meinen Männern hinter dir her sein wird.»
Von meinen Männern keiner. Ich dagegen? Das war eine andere Sache. Diesmal durchschaute sie es nicht, aber sie drohte mir trotzdem.
«Du solltest wissen», warnte Leena, «dass jeder Handel mit Tierwesen dem Gesetz der Tiermagier unterliegt. Was bedeutet, solltest du oder einer deiner Assassinen den Tierwesen, die ich euch gebe, auf irgendeine Weise schaden, habe ich die Erlaubnis, euch zu töten.»
Ich hielt inne und warf einen Blick zu ihr zurück. Die Hitze in Leenas Blick war heißer als Feuer, aber ein gelassenes Grinsen legte sich auf mein Gesicht. «Ich begrüße den Tag, an dem das passiert.»
Rosige Wut färbte ihre Wangen. «Ich will unseren Handel schriftlich. Nicht irgendeine mündliche Abmachung, die nicht als Beweis benutzt werden kann.»
Ich zog eine Augenbraue hoch. Mündlich, handschriftlich, vom König persönlich unterzeichnet – das machte keinen Unterschied. Die Magie von Cruors Eid konnte nicht aufgehalten werden. «In Ordnung. Obwohl das niemanden außerhalb meiner Gilde daran hindert, Jagd auf dich zu machen.»
«Das ist meine eigene Angelegenheit.» Sie spielte mit den Aufschlägen ihrer schwarzen Jacke. «Wir müssen sofort aufbrechen.»
«Übermorgen.» Ich ignorierte ihre offensichtliche Frustration. «Wir brauchen Zeit, um uns vorzubereiten.»
«Reservier ein wenig Zeit am Strand für mich!» Calem tanzte auf der Stelle und schickte ein Grinsen in Leenas Richtung. «Hast du Badekleidung dabei?»
Sie verzog finster das Gesicht. «Behalt deine Phantasien für dich.»
Ich wandte mich an meinen zweiten Stellvertreter. «Ozias.»
«Ja?»
«Zeig Leena ihr Zimmer. Im Ostflügel.»
Sie erstarrte. «Moment mal. Woher weiß ich, dass ihr nicht in der Nacht zu mir kommt?»
Calem konnte nicht widerstehen. «Wenn ich mitten in der Nacht zu dir komme, kann ich dir versprechen, dass du es nicht bereuen wirst.» Leena wich zurück, und ich unterdrückte ein Stöhnen. Calems unzählige Liebeleien waren bislang noch nie ein Problem gewesen, aber ich hoffte, dass er diesmal klüger war. Er durfte nicht aus dem Blick verlieren, was Kost passiert war, egal, welche Versuchung diese kämpferische Tiermagierin auch darstellen mochte.
Ich räusperte mich und sah Calem ernst an. «Geh packen.»
«Ja, ja.» Er machte auf dem Absatz kehrt und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch, dabei pfiff er die ganze Zeit über vor sich hin.
«Niemand wird dich töten, solange du dich in meinem Heim aufhältst. Das ist ein Befehl für alle meine Brüder und Schwestern, und du kannst versichert sein, dass sie auf mich hören werden. Und jetzt, Ozias, bring Leena bitte auf ihr Zimmer.»
Erneut lief ein ängstliches Beben durch Leenas Körper, aber sie hob trotzig das Kinn und folgte Ozias, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen.
So viel zu ihrem Überlebenssinn. Sie hätte auf dem ganzen Weg zu ihrem Zimmer auf der Hut sein müssen. Schließlich konnte sie unmöglich wissen, dass ich mein Versprechen halten würde. Und doch lag etwas Selbstsicheres in ihren Schritten. Und ihren Kopf hielt sie hoch erhoben.
Nachdem sie verschwunden waren, ging ich die Treppe hoch und wandte mich nach links zum Westflügel, um nach Kost zu sehen. Mit beiden Händen stieß ich die abgewetzten Holztüren auf, die zur Krankenstation führten. Der scharfe Geruch nach Bleiche und Zitrone drang in meine Nase.
Kost saß ohne Hemd auf einer Pritsche, die Handschuhe und der zerrissene Rock waren achtlos auf das Laken neben ihm geworfen. Eine frische Tunika lag unberührt auf dem Kissen. Der ärztliche Betreuer war verschwunden, aber auf einem silbernen Tablett neben Kost wimmelte es von Nadeln und Fäden. Nicht dass er genäht werden musste. Seine Haut würde sich innerhalb einer Stunde von selbst wieder zusammenflicken.
Er heftete einen angestrengten Blick auf mich, sobald ich eintrat. «Es tut mir leid. Ich habe sie unterschätzt.»
Ich stieß einen leisen Seufzer aus und lehnte mich mit der Hüfte an den Schreibtisch neben der Tür. Pergament raschelte unter meinem Gewicht. «Ich hoffe, das ist kein Versäumnis, das wir wiederholen werden.»