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Die Anfänge der Reise ins Wilderland gestalten sich zunächst ruhig und beschaulich. Kaum im Grenzgebiet nördlich der Leue angekommen, sieht sich die Gruppe um Tristan jedoch ganz plötzlich mit einem verwahrlosten, halb verhungerten Mädchen konfrontiert. Linwen, die heilkundige Priesterin der Herrin, nimmt sich ihm sofort an und Dank Shachin wird auch rasch offenbar, was wirklich hinter dem Schicksal des Mädchens steckt. Dessen Geschichte ist jedoch erst der Anfang seltsamer Geschehnisse im Norden. Feuer in der Nacht und das tragische Erwachen der Zollfeste Schwarzenfels machen langsam aber sicher klar, wie sehr die bisher eher zufällig anmutenden Ereignisse wirklich ineinandergreifen. Einem Uhrwerk gleich, rollen erschreckend gut geplante Einzelaktionen an, die am Ende nur eines zum Ziel haben können: Angst und Schrecken im Reich zu verbreiten. Wird es Tristan trotz des dräuenden Schicksals seiner Heimat gelingen, am übergeordneten Ziel des herzoglichen Auftrages festzuhalten? Fest steht, dass es ihm die Querelen und teils geheimnisvollen Vergangenheiten der Reisemitglieder nicht leichter machen und die Gruppe auf ihre erste, harte Bewährungsprobe gestellt wird. FERNER DONNER ist die dritte Erzählung der "Tore nach Thulien", mit der wir euch in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Welt von Thulien entführen möchten. In den drei Buchreihen Wilderland, Leuenburg und Schlachtgesänge geben wir euch die Möglichkeit, aktiv an der Entstehung der Geschichten und dem Ausbau der Welt teilzuhaben. Wir schreiben Geschichten … und ihr könnt mitmachen! Wie genau das funktioniert, und noch weit mehr, erfahrt ihr auf unserer Website (www.Tore-nach-Thulien.de). Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 176
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Jörg Kohlmeyer
Die Tore nach Thulien
3. Episode – Ferner Donner
Jörg Kohlmeyer
Die Tore nach Thulien
3. Episode – Ferner Donner
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] Coverhintergrund und Logogestaltung: Diana Rahfoth 3. Auflage, ISBN 978-3-954184-22-4
www.null-papier.de/tnt
null-papier.de/angebote
Inhaltsverzeichnis
Zum Buch
Rand des Reichs
Heilende Hände
Abgrund vor den Toren
Von gleicher Art
Bauernopfer
Brot und Apfel
Pflichterfüllung
Seelenpferch
Knappeneifer
Eulenjagd
Tödliche Erinnerung
Weder Freund noch Feind
Ausblick
1. Episode – Dunkle Gassen
2. Episode – Dämmerung
3. Episode – Ferner Donner
4. Episode – Grüfte und Katakomben
5. Episode – Eine alte Macht
6. Episode - Der geheime Rat
7. Episode – Vergessene Welten
8. Episode – Tränen der Herrin
Haltet die Furt! – Ein Roman in der Welt von Thulien
Danke, dass du mit dem Kauf dieses ebooks das Indie-Literatur-Projekt »Tore nach Thulien« unterstützt! Das ist aber erst der Anfang. Lass Dich von uns zu mehr verführen...
Was sind die »Tore nach Thulien«?
Die »Tore nach Thulien« sind Dein Weg in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Fantasy-Welt von Thulien. Sie werden Dir die Möglichkeit geben, mit uns gemeinsam an den großen Geschichten zu arbeiten und der Welt mehr und mehr Leben einzuhauchen.
Unter www.Tore-nach-Thulien.de kannst du uns besuchen und Näheres erfahren. Wir freuen uns auf Dich!
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Autor
Jörg Kohlmeyer, geboren in Augsburg, studierte Elektrotechnik und arbeitet heute als Dipl.-Ing. in der Energiewirtschaft. Schon als Kind hatte er Spaß am Schreiben und seine erste Abenteuergeschichte mit dem klangvollen Namen »Die drei magischen Sternzeichen« passt noch heute bequem in eine Hosentasche.
Der faszinierende Gedanke mit Bücher interagieren zu können ließ ihn seit seinem ersten Kontakt mit den Abenteuer Spielbüchern nicht mehr los und gipfelte im Dezember 2012 in seinem ersten Literatur-Indie-Projekt »Die Tore nach Thulien«. Immer dann wenn neben der Familie noch etwas Zeit bleibt und er nicht gerade damit beschäftigt ist, seinen ältesten Sohn in phanatasievolle Welten zu entführen arbeitet er beständig am Ausbau der Welt »Thulien«.
www.Tore-nach-Thulien.de
*
Der Wagen ratterte gleichmäßig und monoton über die schlecht erhaltene, alte Reichsstraße. Das verwitterte Pflaster war nur noch an manchen Stellen vorhanden und vielerorts zwängte sich Gras und Unkraut wuchernd zwischen dessen steinerne Reste. An den Rändern verlief sich die schroffe Kante weitestgehend im Heidekraut und teilweise überdeckte das Grün sogar eine ganze Straßenhälfte. Von den Meilensteinen, die in regelmäßigen Abständen an allen Straßen des Königs angebracht waren und im Herzen des Reichs oftmals reich verziert und gut in Stand gehalten wurden, war hier kaum mehr etwas zu sehen. Oftmals fehlten sie ganz, und nur ab und an zeugten noch zerbrochene und von Flechten überwucherte Stümpfe von den alten Wegmarkierungen. Die Reichsstraße war nicht überall in solch schlechtem Zustand, doch je weiter man sich von den großen Zentren des Reiches entfernte, umso erfolgreicher waren die Versuche der Natur, sich zurückzuholen, was ihr gehörte.
Die Straße verlief von Leuenburg aus zunächst in Richtung Norden, schlängelte sich dann in einiger Entfernung an der Leue entlang nach Nordosten und führte schließlich über eine Brücke in das Leuenburger Becken. Bereits hier war der vernachlässigte Unterhalt deutlich zu spüren, und spätestens hinter der Bergfeste Schwarzenfels, einer alten Zollburg, verwandelte sich die Reichsstraße von einem befestigten, steinernen Damm in einen ausgetretenen und verwilderten Pfad. Dort war vom Glanz und der Stärke des Reichs nicht mehr viel zu erkennen und ein jeder Reisende wusste, dass er am äußersten Rand der menschlichen Zivilisation angekommen war. Es war das nördlichste Ende des Leuenburger Beckens und somit gleichzeitig die Grenze des Einflussbereichs der Kirche und des Königs. Dahinter, wild und ungezähmt, erstreckten sich über viele hundert Meilen die Nordmarken und das Wilderland. Malerische Landschaften und ungebändigte Natur vereinten sich dort zu rauen und zugleich wunderschönen Weiten. Ein ursprünglicher Landstrich, unwirtlich und voller Gefahren, und nur die Wenigsten hatten dort lohnendes Tagewerk zu verrichten.
*
Berenghor saß, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine von sich gestreckt, ausgelassen auf dem Kutschbock und besah sich die Landschaft. In aller Seelenruhe kaute er auf einem Stückchen Heidegras herum, und sein Kopf schaukelte dabei im Rhythmus des Wagens sachte hin und her. Vor einer Woche waren sie von Leuenburg aus aufgebrochen und vorgestern hatte es endlich aufgehört zu regnen. Die dunklen, schweren Gewitterwolken waren über Nacht verschwunden und die Sonne strich nun mit ihren wärmenden Strahlen zaghaft über das Land. Die Brücke über die Leue lag mehrere Wegstunden hinter ihnen und noch zeugte die Landschaft von der schaffenden Hand des Menschen. Noch wechselten sich Felder und kleine Weiler in regelmäßigen Abständen ab, und trotzdem, schon jetzt sah man der Natur ihre beginnende Wildheit an. Die Wälder wirkten größer und dunkler, die Ebenen freier und rauer. Der Norden des Reichs war das Tor ins Wilderland und niemand konnte sich hier oben dessen drohender und gleichzeitig faszinierender Nähe entziehen. Man konnte es nicht wirklich greifen oder nur schwer in Worte fassen, aber es war da. Und Berenghor gefiel es.
Er war froh, endlich wieder dem Trubel einer großen Stadt entronnen zu sein, und auch wenn sein letzter Besuch in Leuenburg eine Menge Fragen aufgeworfen hatte, so genoss er dennoch die ruhige Kutschfahrt und die Schönheit des Landes. Er wollte sich die beschaulichen Tage nicht verderben lassen und Dank der, wider Erwarten, doch ganz passablen Mitglieder der Reise, gelang ihm das bisher auch recht gut. Tristan, der Anführer der Truppe, ging meistens an der Spitze der kleinen Kolonne und die beiden Wachen aus Leuenburg lenkten entweder den Wagen oder machten sich anderweitig nützlich. Berenghors selbst auferlegte Pflicht bestand eigentlich nur darin, den Platz auf dem Kutschbock zu hüten und die Herrin eine feine Dame sein zu lassen.
Von Shachin sah er unter Tags nicht viel. Die Schattenkriegerin machte sich sehr rar, wobei das wohl auch an der ihr zugedachten Aufgabe lag, den Weg weit im Voraus zu erkunden und mögliche Gefahren zu entdecken. Berenghor störte das nicht, eher im Gegenteil. Er konnte die wortkarge, ganz in Schwarz gekleidete Einzelgängerin nicht sonderlich leiden. Außerdem hatte er die warnenden Worte Asenfrieds in der Schmiede nicht vergessen, und auch wenn Shachin am Abend der Kämpfe im Lagerhaus auf der richtigen Seite gestanden hatte, so änderte das nichts an ihrer Herkunft. Sie war eine Schattenkriegerin, genau wie die Skorpione, und somit von ihrer Art. Ihre wahren Beweggründe kannte niemand, und inwieweit sie sich der Reise in den Norden nur aus Eigennutz angeschlossen hatte, wusste Berenghor auch nicht. Natürlich hatte jedes der Mitglieder, mal abgesehen von den Leuenburger Wachen und Tristan, seine ganz persönlichen Gründe für die Teilnahme, aber dennoch, bei Shachin war sich Berenghor nicht sicher. Er konnte sich auf ihre Anwesenheit einfach keinen Reim machen. Was für ein Interesse konnte jemand wie sie an einem Unternehmen wie diesem haben? Gab es für Schattenkrieger nicht weitaus bessere und vor allem finanziell lohnendere Aufträge? Das alles wollte in Berenghors Augen nicht wirklich zu Shachin passen, und er war gespannt, was in diesem Zusammenhang noch ans Tageslicht kommen würde.
Und dann war da noch Linwen, die Priesterin der Herrin. Sie hatte sich erst kurz vor Abmarsch bei der Wache gemeldet und sich im letzten Moment der Reise in den Norden angeschlossen. Berenghor hatte zwar grundsätzlich keine Probleme mit Religionsvertretern, aber die Gruppe wäre sicher auch ohne geistigen Beistand ausgekommen. Nur gut, dass dieser wenigstens freundlich und zurückhaltend war, und, noch dazu, üppige, reife Kurven besaß. Sie war ungefähr sein Alter und trug ihr schwarzes Haar lang, bis weit über die Schultern. Kaum mehr als den kleinen Lederbeutel, der an einem Kordelgürtel hing, nannte sie nicht ihr Eigen und die braune Mönchskutte war trotz ihrer Robustheit zerschlissen und an vielen Stellen löchrig. Berenghor musste beim Gedanken an Linwen grinsen. Er wusste nichts über sie, aber auf irgendeine Art gefiel sie ihm. Sie war eine Priesterin, keine Frage, aber seltsamerweise fehlte ihr die, für verstaubte Kuttenträger sonst so typische, dogmatische und herrische Haltung. Linwen war anders als die anderen Pfaffen und das mochte Berenghor. Sie ging oft abseits der Straße, in Sichtweite über die Felder und Wiesen, und sammelte Kräuter. Die meisten Vertreter der Herrin verließen sich bei ihrem Wirken einzig und allein auf die Kraft der Worte und Gebete, und vernachlässigten dabei das Wissen um die Welt und ihre Geheimnisse. Linwen hingegen schien auf beiden Pfaden zu wandeln, und Berenghor war sich sicher, dass sie alle noch davon profitieren würden.
Im Großen und Ganzen also mit der Situation zufrieden, streckte er sich und das Holz des Kutschbocks knarrte verdächtig. Die Wache, sein Name war Odoak, blickte ihn daraufhin flehentlich an. »Schau mich nicht so an! Ich hab das Ding nicht gebaut!« In gespielter Empörung schlug er Odoak so heftig auf die Schulter, dass der sich verschluckte und zu husten anfing. Berenghor lachte laut auf und grinste selbstgefällig. Nachdem sich Odoak wieder einigermaßen gefangen hatte, stimmte der sogar mit ein. Obwohl Berenghor, nicht zuletzt Dank seiner gewaltigen Statur, eine Furcht und Respekt einflößende Erscheinung war, hatten alle schnell gemerkt, dass er sein Herz am rechten Fleck trug und trotz seiner grobschlächtigen Art ein netter Kerl war.
»Gute Laune ist ein gutes Zeichen«, erklang plötzlich eine Stimme und Berenghor sah zur Seite. Sie gehörte Tristan, dem Anführer der Gruppe. Er hatte sich etwas zurückfallen lassen und lief nun auf Höhe des Kutschbocks neben dem Wagen her.
»Lass dich anstecken! Wir machen uns gerade über das Wägelchen lustig«, antwortete Berenghor mit einem schiefen Grinsen und schlug mit der Faust auf die Sitzfläche. Wieder knackte es im Holz. Beinahe hätte er vergessen, dass es eigentlich immer etwas gab, woran er etwas auszusetzen hatte, und er wollte seinen bei Tristan erst kürzlich erworbenen Ruf auf keinen Fall vernachlässigen.
»Wir konnten ja nicht ahnen, dass uns ein dreihundert Pfund schwerer Dickschädel begleiten würde«, bekam er zur Antwort.
Odoak musste lachen, und nachdem ihn Berenghor mit einem besonders bösen Blick bedacht hatte, lachte auch er.
»Dieser Dickschädel wird euch alle noch aus der größten Scheiße holen. Denkt an meine Worte!«, rief Berenghor daraufhin und tippte sich mahnend mit einem Finger an die Stirn.
»Ach? Etwa genauso wie in Leuenburg? Wenn ich mich recht erinnere, dann war schon alles vorbei, als du schwer atmend am Lagerhaus eingetroffen bist.«
Berenghor biss sich auf die Lippen. Er kannte die Stimme in seinem Rücken nur zu gut. Verdammt, musste dieses Weib ausgerechnet jetzt auftauchen? Seine gute Laune war mit einem Mal verflogen. Shachin stand hinter Odoak auf dem Kutschbock und balancierte auf der hölzernen Einfassung. Sie hielt sich dabei lässig mit einer Hand am Dach des Wagens fest. Wie sie unbemerkt dahin gekommen war, wusste Berenghor nicht, es war ihm aber auch egal. Die schwarze Lady war da und das reichte. Seine Miene verfinsterte sich, und aus dem Lachen der anderen wurde ein verschämtes Schmunzeln. Der Söldner nahm den Grashalm aus dem Mund und stöhnte. »Hast du nicht irgendwas zu erkunden oder zu entdecken?« Ihm passten derartige Auftritte Shachins gar nicht. Den ganzen Tag über sah man sie kaum, und genau dann, wenn man es am wenigsten erwartete, tauchte sie unversehens auf. Er konnte ihr Versteckspiel und ihre Geheimniskrämerei nicht ausstehen.
Shachin zuckte nur mit den Schultern. »Ich mache mich wenigstens nützlich. Und du?« Sie sah Berenghor auffordernd an.
»Mit dir als Vorhut müssen wir damit rechnen, dass ein Gegner in Kürze am Wagen ist. Und da komme ich dann ins Spiel!«, erklärte er in belehrendem Tonfall und verschränkte die Arme. Er blieb ruhig und hatte nicht vor, sich von ihr wie ein wütender Stier am Nasenring durch die Arena führen zu lassen. »Willst du’s drauf ankommen lassen?« In seinen Augen blitzte es herausfordernd.
»Schon passiert!«, erwiderte Shachin, die ganz plötzlich in die Hocke gegangen war und Berenghor nun mit der Spitze ihres Dolches an die Schulter tippte.
Er wusste nicht wie, aber irgendwie hatte es das verdammte Weib geschafft, den Dolch in Windeseile und unbemerkt an Odoak vorbeizubringen. Nun gut, der Kerl war in dieser Hinsicht nicht wirklich eine Referenz, aber immerhin. Insgeheim zollte er ihr dafür Respekt, nach außen hin zeigte er das aber nicht. »Ich hab dir schon mal gesagt, dass du mir mit diesem Zahnstocher nicht zu kommen brauchst.« Gespielt gelangweilt schob er ihren Dolch beiseite. In Wahrheit kostete es ihn jedoch enorme Willenskraft, nicht einfach aufzuspringen, und sie kurzerhand vom Kutschbock zu stoßen. Es gab Zeiten, da hätte er jemanden für weit weniger getötet. »Heb ihn dir lieber für Deinesgleichen auf!«
Das hatte gesessen. Shachins Miene war bisher unbewegt geblieben, doch jetzt huschte ihr für den Bruchteil einer Sekunde ein dunkler Schatten übers Gesicht.
»Schont eure Kräfte und spart sie euch auf!«, mischte sich Tristan plötzlich mit ein und Berenghor seufzte. Der Leutnant mochte die kleinen Sticheleien zwischen Berenghor und Shachin nicht. Jedes Mal, wenn die Stimmung zu kippen drohte, spielte er sich dann als großer Schlichter auf und versuchte die Wogen wieder zu glätten. »Früher oder später werdet ihr beide noch genug Gelegenheiten bekommen, die Klingen zu ziehen. Und diesen Verbrechern möchte keiner von uns noch einmal über den Weg laufen.«
»Was heißt hier Kräfte schonen und aufsparen?«, äffte Berenghor ihn nach. »Wäre es nach mir gegangen, dann hätten wir diesen Bastarden noch in Leuenburg die Köpfe von den Schultern geschlagen. Das weißt du genau, Junge!« Er war sauer und nannte Tristan mit Absicht so. Das tat er immer, wenn ihm der junge Leutnant auf die Nerven ging. Die Sache mit den Skorpionen machte ihn außerdem weitaus wütender als die Streitereien mit Shachin. Er hatte schon in der Stadt des Herzogs darauf gedrängt, das Problem mit den Schwarzen Skorpionen anzugehen, doch damals wollte niemand auf ihn hören.
»Der Meister der Schwarzen Skorpione ist uns entwischt, Berenghor. Seine Spur verlief sich hinter der Stadtmauer. Und das weißt Du genau«, bekam er postwendend von einem sichtlich genervten Tristan zur Antwort.
»... was zu erwarten war und nicht weiter verwundert«, ergänzte Shachin dann auch noch beiläufig.
Jetzt verdrehte Berenghor die Augen. Die Schattenkriegerin stand wieder völlig gelassen auf dem Kutschbock und hielt sich abermals mit einer Hand am Dach des Wagens fest. Weder Hohn noch Spott lagen in ihrer Stimme. Es war lediglich eine nüchterne Feststellung. Dem ungeachtet strafte Berenghor sie trotzdem mit einem vernichtenden Blick. Allein schon aus Prinzip.
»Wir hatten unsere Gelegenheit, haben sie aber verpasst. Ihr jetzt noch nachzutrauern, ist einfach nur dumm.«
In Berenghors Augen blitzte es kurz auf. Tristan war mutig, das musste er ihm lassen. Es gab nicht Viele, die in der Vergangenheit den Schneid gehabt hatten, so mit ihm zu sprechen und es am Ende auch überlebten. Noch reichten die Finger einer Hand aus, um sie zu zählen, und wenn der junge Leutnant so weiter machte, dann würde es auch bei einer Hand bleiben. Teufel noch eins, nein, das würde es nicht! Dieser Bursche war nicht mutig. Er kannte Berenghor nur schlicht zu gut. Und wenn er es sich genau überlegte, dann kannte er ihn sogar schon besser als ihm lieb war.
Ungehalten brummelte Berenghor in sich hinein. Der Hüne wusste genau, worauf der Leutnant anspielte, und auch wenn er im ersten Moment nicht explodierte, so ärgerte es ihn dennoch gewaltig. Was hätte er denn anders machen sollen? Ein Spaziergang am Morgen, ein Lied auf den Lippen, und dann, mir nichts dir nichts, dieser halbnackte Hauptmann, lauthals brüllend und wild gestikulierend. Jeder andere hätte ihn vermutlich für den Irren gehalten und nicht dieses schwarze Aas.
Berenghor schüttelte den Kopf, und als er sah, wie Tristan vorhatte, sich wieder an die Spitze der Kolonne zu setzen, wollte er ihn nicht einfach so gehen lassen. »Wir hätten diesen Kerl verfolgen und töten sollen!«, schmetterte er heraus und schlug dabei mit der Faust so fest auf das Holz des Kutschbocks, dass der ganze Wagen erzitterte. Die Pferde machten erschrocken einen Satz nach vorne und Odoak sah missbilligend zu Berenghor.
»Und du hältst dich wohl für denjenigen, der das hätte erledigen können, hm?« Shachin war es trotz der ruckartigen Bewegung des Wagens gelungen, nicht herunterzufallen. Die balancierte noch immer auf der Holzeinfassung und sah Berenghor geringschätzig an.
Der machte eine wegwischende Geste. »Jetzt tu nicht so, als ob das ein Riesending wäre. Wenn du es nicht schaffst, diesen Bastard einen Kopf kürzer zu machen, dann liegt das an dir und nicht an ihm.« Berenghor lehnte sich zurück und verschränkte wieder die Arme vor der Brust.
»Wirst mit ihm halt nicht fertig«, schob er dann noch trocken hinterher und steckte sich einen neuen Halm Heidegras zwischen die Zähne.
»Das mag sein, doch er mit DIR ganz sicher«, zischte sie zurück und sprang mit einem eleganten Satz vom Wagen. Ihr schien es für den Moment zu reichen. Sie ließ sich ein paar Schritte zurückfallen und lief am hinteren Ende neben der Kutsche her.
Odoak sah ganz plötzlich und hoch konzentriert über die Zügel. Er tat sein Bestes, so unbeteiligt wie möglich zu wirken, ein seichtes Schmunzeln jedoch konnte er sich nicht verkneifen.
Berenghor schnaubte verächtlich. Jetzt hatte ihm dieses Miststück tatsächlich noch den Tag versaut. Natürlich wertete er ihren abrupten Abgang als Sieg, doch so richtig konnte er sich nicht darüber freuen. Nicht wegen Shachin, die war ihm egal, doch ihm gefiel nicht, dass sie und Tristan immer öfter einer Meinung waren. Immerhin war sie eine Schattenkriegerin und gehörte somit zum gleichen Abschaum wie die Schwarzen Skorpione. Warum vertraute er ihr blindlings? Er war der Anführer der Gruppe und sollte eigentlich wissen, mit wem er sich da eingelassen hatte. Berenghor beschloss, von nun an vorsichtiger zu sein. Den jungen Leutnant mochte Shachin mit ihrer Art vielleicht noch um den Finger wickeln, doch ihn sicherlich nicht. Dafür würde er schon sorgen. Wütend, aber auch entschlossen spuckte er das Heidegras aus und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Von der ausgelassenen Stimmung von eben war nicht mehr viel geblieben.
Tristan ging wieder nach vorne und rollte mit den Augen. Das dieser Dickschädel von einem Söldner auch immer das letzte Wort haben musste. Jetzt hatte er schon versucht, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen und ihm den Zahn mit den Skorpionen ein für allemal zu ziehen, aber dieser alte Besserwisser wollte sich einfach nicht belehren lassen. Da konnte die ganze Welt etwas anderes behaupten, Berenghor änderte seine Meinung nicht. Wie ein Maultier, das sich nicht bewegen wollte, stand er da und hielt an seinen Worten fest, egal wie sehr man auch schob und drückte. Selbst die Art, die der Hüne von sich aus nur allzu gern an den Tag legte, nämlich ehrlich und frei heraus zu sagen, was man dachte, hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht.
Tristan gab es für heute auf, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Eigentlich sollte Berenghor alt genug sein, um zu wissen, wann ein Spiel verloren war. Der Meister war entwischt und zumindest dieses Spielchen hatte er zu seinen Gunsten entschieden. Mehr fiel ihm dazu im Moment nicht ein, und genau genommen ärgerte er sich ja mehr über sich selbst. Eigentlich hatte er die schwarzen Skorpione nicht wieder zum Thema machen wollen, doch genau das war geschehen. Natürlich wusste er, dass sich Berenghor am liebsten noch in Leuenburg um deren Anführer gekümmert hätte, doch ihm war daran gelegen, so schnell wie möglich aufzubrechen. Der Frühling ließ sich in diesem Teil des Reiches zwar noch ein bisschen, doch der Weg ins Wilderland war weit und der Sommer würde schneller vergehen, als ihnen allen lieb war. Sie mussten rasch und zielstrebig vorankommen, und ein dauerhafter Bruch innerhalb der Gruppe würde das sicher nicht einfacher machen. Noch konnte davon keine Rede sein, doch bahnte sich hier schon jetzt eine echte Busenfreundschaft an und er wusste nicht, ob er froh oder unglücklich darüber sein sollte. Der Herrin sei Dank, nahm ihm Linwen die Entscheidung im nächsten Moment ab. Zumindest vorübergehend.
Die Gruppe steuerte gerade auf den Rand eines den Weg säumenden Wäldchens zu, als die Priesterin plötzlich wild gestikulierend auf sie zu gestolpert kam. Sie war nicht allein und schien jemanden zu stützen. Ihre Begleitung war offensichtlich in schlechter Verfassung. Linwen musste ihr immer wieder aufhelfen und sie mehr als nur einmal am Fallen hindern. Tristan konnte zwar noch nicht alle Einzelheiten erkennen, war aber sofort alarmiert.
»Was ist da los?«, wollte Odoak wissen, als er die Pferde halten ließ und mit einem Ruck die Feststellbremse zog.
»Das werden wir gleich erfahren«, antworte Tristan, sah über die Schulter und rief nach Jorek. Kurz darauf öffnete sich eines der verstärkten Seitenfenster des Wagens und ein hageres, mit wilden Bartstoppeln übersätes Gesicht kam zum Vorschein. Tristan deutete stumm auf das Dach des Wagens und Jorek nickte. Einen Augenblick später war das Fenster wieder geschlossen und die hölzerne Luke, oben auf dem Wagen, öffnete sich quietschend. Rasch zwängte sich der Wachmann in die Kanzel und nahm die Plane vom Mantikor. Der Anblick der schweren Kriegsschleuder wirkte auf Tristan sofort beruhigend. Mit einem Wink gab er Jorek zu verstehen, die Maschine im vorgespannten Zustand zu belassen.