Die Tote im Geiranger Fjord - Hans-Peter Ackermann - E-Book

Die Tote im Geiranger Fjord E-Book

Hans-Peter Ackermann

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Beschreibung

In der norwegischen Stadt Alesund - 455 km entfernt vom Polarkreis, wird die Ärztin Alice Carlsson ermordet. Kurz darauf versterben drei Menschen nach dem Genuss von Joghurt aus der örtlichen Molkerei. Weil dieser Joghurt vergiftet wurde, ruft das die Kriminaloberkommissarin Anna Ohlson und ihren Kollegen Arvid Ragnarson auf den Plan, zumal in den folgenden Tagen noch weitere Menschen sterben, und sich das Ganze zu einer Pandemie entwickelt. Sehr schnell finden sie heraus, wer dafür verantwortlich ist. Und damit beginnt eine wochenlange Jagd nach den beiden Tätern in den Weiten des Nordens. Dabei kommt Anna Ohlson zweimal selbst in Lebensgefahr. Der Fall entwickelt sich zu einem Politikum und der Staatsschutz schaltet sich ein. Gemeinsam versuchen sie nun den Tätern das Handwerk zu legen, die zu einer rechtsradikalen Struktur gehören.

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Anna Olsons Handy summte auf dem Nachttisch und machte Anstalten zu Boden fallen zu wollen. Sie suchte in der Dunkelheit nach dem Ruhestörer. Schlaftrunken nahm sie das Gespräch an.

„Oberkommissarin Anna Ohlson, was ich kann für Sie tun?“ Auf der anderen Seite der Leitung war offenbar der Diensthabende des Polizeireviers von Alesund.

„Hallo, Frau Oberkommissarin! Tut mir leid, Sie um diese Zeit stören zu müssen, aber wir haben eine toto Frau oben am Fjord. Das Haus steht auf der kleinen Halbinsel neben der Fischräucherei. Es ist die Stargota 12. Die Tote liegt unten am Wasser. Die KTU ist schon da. Gefunden hat die Tote eine junge Frau, die da zum Joggen war.“

Anna schwang die schlanken Beine aus dem Bett und fuhr gähnend in die Schaffellpantoffel. Vor sich hin schimpfend ging sie ins Bad und besah sich dort im Spiegel ihr mürrisches Konterfei. Die 38jährige schwarzhaarige Frau war gut 1,73m groß, und eine schwarze Haarpracht, die sie nur mühsam mit einem gelben Band zu einem Pferdeschwanz binden konnte.

Anna Ohlson hatte braune Augen und schöne starke schwarze Augenbrauen, dazu einem leicht bräunlichen Teint, das gab ihr das Aussehen einer Südländerin, die sie aber nicht war. Ihr Vater war ein israelischer Jude aus Haifa und ihre Mutter eine echte Norwegerin.

Den Vater hatte sie nie kennengelernt und ihre Mutter war Sängerin in an der Osloer Oper, und hatte nie Zeit für Anna gehabt. Und so hatte Anna die meiste Zeit bei ihrer Oma verbracht. Nach einer abgeschlossenen Ausbildung zur Rettungssanitäterin war sie durch Zufall bei der Polizei gelandet. Und mit Zähigkeit und Ausdauer hatte sie sich bewährt und war immer wieder befördert worden. In dieser Zeit hatte sie ihren damaligen Mann Björn kennengelernt, der ebenfalls Polizist gewesen war. dann aber eine Minderjährige verführt hatte, und aus dem Dienst entfernt worden war. Als sie davon erfahren hatte, war sie zum Anwalt gegangen und hatte die Scheidung beantrag. Dabei war sie damals auf dem besten Wege gewesen zu einer Spezialeinheit delegiert zu werden. Doch auf Grund der Verfehlungen ihres Gatten hatte man sie dann aus disziplinarischen Gründen abgelehnt und nicht berücksichtigt.

Seit einem Jahr leitete sie den Kriminaldienst in der Kreisstadt Alesund und hatte einen Mitarbeiter, den Kriminalkommissar Arvid Ragnarson. Dieser war ein gebürtiger Same aus dem Norden oberhalb des Polarkreises, hatte knallrote wilde Haare, und einen ebenso wildwachsenden roten Bart. Und eines war ihm eigen, er war unpünktlich und dazu auch noch starrköpfig wie ein Rentierbulle.

Als der Polizeichef Oberst Magnusson ihr eines Tages Arvid vorgestellt hatte, hätte Anna ihn am liebsten abgelehnt, so groß war anfangs ihre Abneigung. Doch mit der Zeit hatten sie sich beide arrangiert und inzwischen war daraus so etwas wie Freundschaft geworden. Wenn auch Arvid Ragnarson sie immer wieder ohne Erfolg anzubaggern versuchte.

Anna sah auf die Uhr in der Küche, griff wieder zum Telefon und wählte. Es dudelte eine Weile ein alter Schlager, dann knackte es, und eine total verschlafene Stimme brummte:

„Hier Ragnarson, wer will was von mir?“ Anna musste sich das Lachen verkneifen. Sicher war ihr werter Kollege vergangene Nacht wieder in irgendeiner Kneipe versackt.

„Ich bin es, Anna! Schieb deinen Hintern aus dem Bett und komme schnell zur „Stargota 12“, da liegt eine Leiche.“ Und als Antwort kam zurück:

„Ja, ja lasse sie liegen, die läuft nicht weg. Ich komme dann. Tschau!“ Es machte Knack und das Gespräch war beendet.

Anna ließ sich einen Kaffee aus der Maschine und setzte sich kurz an den weißen Holz-Tisch mit den vier Stühlen. Und während sie ihren schwarzen Kaffee trank, dachte sie bei sich:

„Wozu brauche ich eigentlich vier Stühle, wo ich doch die ganze Zeit alleine bin?“ Anna Ohlson zog sich die Pelzjacke über, nahm den Zündschlüssel vom Bord, und ging dann aus dem Haus hinaus zur Garage, wo ihr orangefarbener Ford „Eco“ stand.

Zwanzig Minuten später fuhr sie vorsichtig den schmalen Weg aus dem Wald hinunter auf die kleine Halbinsel, auf der verstreut drei einzelne Häuser standen. „Stargota 12“ war das Haus der Ärztin Alice Carlsson, einer Fünfundsechzigjährigen, grauhaarigen alte Dame, die hier in der Gegend beinahe bei jedem die Hausärztin war. So manchen hatte sie schon vom Säugling bis zum Erwachsenen ärztlich begleitet.

Anna wollte gerade das Gartentor öffnen, als es plötzlich hinter ihr laut wurde und ein „Jeep“ herangebraust kam und scharf abbremste, so dass er noch einen Meter weiter auf dem Kiesweg rutschte. Das war ihr Kollege Ragnarson, wer sonst! Anna wartete bis er heran war und sie breit grinsend begrüßte.

„Hei, göttliche Chefin! Bist ja schon vor mir da! Du wirst mit jedem Tag hübscher!“ Und schwupps, hatte er sie schon auf die rechte Wange geküsst. Den Kuss auf die andere Seite konnte sie gerade noch abwehren.

„Lasse dich bremsen, alter Schleimbeutel!“, konterte Anna seine Anmache, und dann betraten sie gemeinsam die Diele. Auf der linken Seite stand ein Ortspolizist und zeigte ins Sprechzimmer.

„Eine blutige Schleifspur, Frau Oberkommissarin. Umgebracht wurde sie wahrscheinlich im Wohnzimmer wie man sieht.“ Anna sah die uniformierten Kollegen freundlich an.

„Ist das Ihre Meinung, oder die der KTU?“, fragte sie ihn. Der Mann bekam einen roten Kopf.

„Nee, nee das sagt die KTU!“, beeilte er sich zu versichern. Anna nickte ihm mit einem Lächeln zu, und berührte dabei seinen Arm.

„Schon gut, Smörre! War ja nur Spaß!“, bemerkte sie, und der ältere Kollege lächelte zurück.

Als sie ins Sprechzimmer traten sah man schon anhand der Schleifspuren, die quer über den Flur verliefen und im Wohnzimmer begannen, und sich dann bis ins Behandlungszimmer hinzogen, und von dort zur Tür führte, die zum Garten hinaus ging. Von da aus musste sie der Täter bis hinunter zum Strand gezerrt haben. Eine Wahnsinnsarbeit, die der Kerl sich gemacht hat, aber warum eigentlich?

Auf der ganzen Strecke sah man in Abständen Blutstropfen. Alice Carlsson lag mit dem Rücken in einer Blutlache halb im Wasser. In der Herzgegend konnte man ein blutiges Einschussloch erkennen. Die Todesursache war in diesem Fall auch ohne KTU klar, Alice Carlsson war erschossen worden. Und womit?

Auf diese Frage von Kommissar Ragnarson meinte Edda Karlson in ihrem weißen Schutzoverall:

„Es muss eine großkalibrige Waffe gewesen sein, ich tippe auf ein Jagdgewehr. Die Kugel steckt noch in der Holz-Diele des Fußbodens im Haus. Ein glatter Durchschuss! Tatzeit - etwa 2.00 Uhr heute Nacht!“

Arvid Ragnarson ging derweil zum Safe der offen stand und sah hinein. Aber der war bis auf eine Schachtel mit einem Ring leer. Plötzlich wurde es draußen an der Eingangstür laut, weil der Polizist eine Frau mit Hinweis auf einen Tatort nicht hereinlassen wollte. Arvid ging zur Tür und sah in den Flur wo eine pausbäckige dralle Blondine mit blonden Zöpfen stand.

„Wer sind Sie denn? Was wollen Sie hier?“, fragte er die Frau. Die schob ihrerseits nun den Polizisten mit ihrem Umfang leicht zur Seite und meinte dann aufgeregt:

„Ich heiße Maria Eriksson, ich bin die Zugehfrau der Frau Doktor, und komme zweimal die Woche zum Saubermachen und zum Einkaufen gehen.“ Arvid bat sie näher zu treten.

„Sagen sie mal, Frau Eriksson, wissen sie zufällig was die Frau Doktor in dem Safe aufbewahrte?“ Die Blondine schüttelte den Kopf.

„Nee eigentlich nicht. Aber vor zwei Tagen zeigte sie mir drei kleine Glasampullen und meinte, mit denen werde sie einige Leute aus dem Amt befördern. Und die legte sie dann in den Safe hinein. Außerdem legte sie auch einen gelben Hefter in den Safe zu den Ampullen. Aber sonst war da kaum was Wertvolles drinnen, außer ihrem Ehering, glaube ich.“ Arvid Ragnarson nickte.

„Gut, und wann haben Sie die Frau Doktor das letzte Mal lebend gesehen?“ Die Blondine dachte kurz nach.

„Gestern Nachmittag, so gegen 17.00 Uhr. Da wollte sie noch mal in die Stadt rein zur Molkerei glaube ich.“ Anna schaltete sich wieder ein.

„Hat sie Ihnen gesagt warum?“ Frau Eriksson schüttelte den Kopf.

„Ist mir nicht bekannt, Frau Kommissarin. Ich muss aber jetzt die Katze füttern und nach der Heizung sehen.“ Arvid dachte kurz nach und meinte dann:

„Also gut. Sie haben ja einen Schlüssel. Aber betreten sie auf keinen Fall das Sprechzimmer, die Diele und das Wohnzimmer! Die Katze füttern Sie das eine Mal draußen, und zur Heizung müssen sie ja in den Keller. Nicht, dass Sie hier oben Spuren hinterlassen und verdächtigt werden! Wir werden uns beeilen hier fertig zu werden. Aber noch eine letzte Frage. Hat die Frau Doktor noch irgendwelche Verwandte?“ Edda Karlsson nickte.

„Ja, einen Bruder in Oslo, der ist Professor, kam aber ganz selten zu Besuch. Und dann noch den Enkel Lennart, aber das ist ein ganz schönes Früchtchen. Den hat sie vor ein paar Monaten rausgeschmissen, der kam nur, wenn er wieder Geld brauchte für seine Drogen. Ein ganz übler Bursche!“, betonte sie und zog ein angeekeltes Gesicht dazu. Viel mehr war von ihr nicht zu erfahren. Doch was war in dieser Nacht wirklich geschehen?

Rückschau

Am Abend gegen 19.00 Uhr war die Ärztin Alice Carlsson noch einmal in die Stadt gefahren. Am Werkzaun der Molkerei hatte sie ihren Wagen abgestellt, und war dann einige Meter weiter, durch ein Loch im Zaun gestiegen. Eilig lief sie dick vermummt, die Schatten ausnutzend, bis zur Versandhalle. Dort trat sie durch eine kleine Tür ein. Zur linken Seite standen mehrere Paletten mit Joghurt, die für den Versand am nächsten Morgen bereitgestellt worden waren. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete sie die oberen Kartons ab. Ihr Zeigefinger strich bei einer der oberen Chargen über ein winzig kleines Loch im Deckel. Hastig nahm sie diesen und einen weiteren Becher in der Mitte heraus und steckte beide in ihren kleinen Rucksack, um dann schnell wieder den Rückweg anzutreten. Unbeobachtet wie sie glaubte, eilte sie auf dem gleichen Weg zurück zu ihrem Wagen und fuhr nach Hause. Dort angekommen, ging sie in ihr kleines Labor und begann den Joghurt chemisch zu untersuchen. Das Ergebnis füllte sie dann in drei kleine Glasampullen. Den Hefter, in den sie alle Ergebnisse eingetragen hatte, legte sie mit den Ampullen in den Safe. Müde und gähnend ging sie gegen 1.00 Uhr eine Treppe höher in ihr Schlafzimmer.

Was Alice Carlsson aber leider nicht bemerkt hatte, war die Tatsache, dass ihr seit dem Molkereibesuch eine vermummte Gestalt gefolgt war, und auch ihre Laborversuche durch das erleuchtete Fenster beobachtet hatte. Der gleiche Mann griff dann zum Handy und telefonierte hastig. Offenbar war es eine wortreiche Auseinandersetzung, denn er ging dabei gestikulierend auf und ab, bis er dann das Gespräch beendete und wieder den schmalen Weg von der Halbinsel hinauf zum Waldrand lief, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Etwa eine halbe Stunde später kam erneut ein PKW und hielt am Waldrand an. Ein vermummter Mann stieg aus und ging hinunter zur Halbinsel mit dem Gehöft. Zielstrebig ging der Vermummte zur Hintertür welche in die Küche fuhrte. Rasch hatte er diese geöffnet und betrat nun zunächst die Küche.

Alice Carlsson schreckte aus einem unruhigen Schlaf auf. Hatte sie soeben etwas gehört oder war es nur eine Täuschung ihrer Sinne gewesen? Die schmale Hand der 65jährigen Frau glitt zum Lichtschalter der Nachttischlampe. Gelbwarmes Licht erhellte das Zimmer. Mühsam richtete sie sich auf, rutschte in eine bequeme Sitzposition, angelte mit den Füßen nach den Hausschuhen, und griff dann zum Morgenmantel, welcher nebenan auf dem Doppelbett lag. Mit leisem Ächzen stand sie auf und ging langsam schlurfend zur Tür des Schlafzimmers.

Die Erkältung, die sie seit Tagen plagte, hatte ihr einen unruhigen Schlaf beschert und sie fühlte sich matt und zerschlagen. Doch bevor sie die Zimmertür öffnete, drehte sie sich doch noch einmal um, öffnete die Tür des Kleiderschrankes, und entnahm diesem ein Jagdgewehr. Mit einem kurzen prüfenden Blick in die Patronenkammer vergewisserte sie sich, dass beide Patronen im Lauf waren. Vorsichtig und leise ließ sie das Schloss zurück gleiten und ging dann aus dem Schlafzimmer hinaus auf den dunklen Gang, den nur ein Notlicht erhellte.

Leise schlich sich die alte Dame Schritt für Schritt die Holztreppe hinab, die ins Erdgeschoss ihres kleinen Hauses führte. Dort wo auf der rechten Seite ihr Wohntrakt und auf der linken Seite der Warteraum und das Behandlungszimmer untergebracht waren.

Im Flur unten angekommen knipste sie das Licht an und rief halblaut:

„Hallo! Ist hier jemand?“ Irgendwo hörte sie die Katze miauen, was sie sehr verwunderte, weil die zumeist in der Nacht draußen unterwegs war, und sie wusste sicher, dass sie das Tier am Abend rausgelassen hatte.

Als sich nichts rührte ging sie die beiden Fenster des Behandlungszimmers und des Wartezimmers inspizieren, aber die waren fest verschlossen. Leise aufatmend, das schwere Gewehr im Anschlag, ging die alte Frau hinüber ins Wohnzimmer, um dort ebenfalls die Fenster und den Wintergarten zu überprüfen. Ihre Hand griff zum Lichtschalter und knipste das Licht an.

Im gleichen Augenblick aber wurde sie von hinten brutal mit einem Arm am Hals umfasst, so dass sie Atemnot bekam und zu röcheln begann. Das Gewehr fiel ihr aus der Hand. Sie roch das Aftershave des Angreifers hinter sich, es war aufdringlich und herb. Und eine dumpfe Stimme, durch eine Sturmhaube verdeckt, raunte ihr plötzlich ins Ohr:

„So Alte, du öffnest mir jetzt sofort deinen Safe im Büro, ansonsten blase ich dir das Lebenslicht aus! Los!“

Alice Carlsson versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien, doch gegen die brutale Kraft des Angreifers war sie machtlos. Sie keuchte:

„Niemals werde ich den Safe öffnen, hören Sie! Niemals!“, antwortete sie schwer atmend.

Aber urplötzlich zog der Angreifer eine größere Blechschere aus der Seitentasche seiner Hose, mit der er der alten Frau heftig auf den Kopf schlug. Benommen sackte Alice Carlsson zu Boden. Und ehe sie sich versah, hatte die Blechschere ihr ein Glied des kleinen Fingers der rechten Hand abgetrennt! Blut spritzte und das Fingerglied fiel auf den sauberen Parkettboden. Alice Carlsson kam vor Schmerz wieder zu sich und stöhnte auf. Doch der Mann zerrte die auf dem Fußboden liegende Ärztin an beiden Handgelenken festhaltend quer über den Fußboden des Wohnzimmers in Richtung Behandlungszimmer, wo der Safe eingelassen war, und von einem Bild, welches die Mutter Maria darstellte, verdeckt wurde.

Ihrer Hand brannte wie Feuer und immer noch tropfte Blut aus der Wunde. Der Eindringling mit seiner schwarzen Sturmhaube stellte sich breitbeinig über sie und klapperte wieder mit der Blechschere.

„Also Miss Carlsson, den Nummerncode oder sie verlieren noch einen Finger! Los!“ Seine Stimme klang dumpf und drohend. Alice Carlsson gab den Widerstand auf, zu sehr schmerzte sie die Wunde.

„Eins, Neun, Fünf, Fünf!“, stöhnte sie halblaut. Der Mann lachte dumpf.

„Na geht doch! Klingt wie Ihr Geburtsdatum, hätten sie doch auch gleich sagen können.“

Der Einbrecher ging zum Safe und drehte am Zahlenschloss, dann machte es leise „Klick“, die Tür sprang auf. Hastig griff er hinein und holte drei kleine Schachteln und einen Hefter heraus. Eine der Schachteln öffnete er sofort und blickte auf ein kleines Glasröhrchen. Zufrieden schob er die Schachtel wieder zu, er hatte gefunden wonach er gesucht und weshalb er hier eingebrochen war. Diese drei Schachteln enthielten alle Glasampullen mit einer rötlichen Flüssigkeit. Aber noch viel wichtiger für ihn war dieser Hefter. Er steckte alles zusammen in seine weiten Taschen eines wattierten schwarzen Anoraks und wandte sich wieder Miss Carlsson zu die immer nmoch am Boden lag. Und dann hob er ihr Gewehr vom Boden auf, spannte den Hahn, senkte langsam den Lauf in Richtung ihrer Brust und meinte:

„Na also Miss Carlsson, geht doch! War doch alles gar nicht so schwer, oder?“

Und dann krümmte sich sein Zeigefinger! Es gab einen dumpfen Knall und ein Feuerstrahl schoss aus dem Lauf der Flinte. Alice Carlsson war sofort tot! Er hatte ihr direkt ins Herz geschossen!

Das Gewehr umgehängt, fasste er die alte Frau am Kragen ihres Morgenmantels und zerrte sie dann quer durch den Flur bis zum Hinterausgang in der Küche. Von dort aus schleifte er sie hinter sich herziehend bis zum Wasser und ließ sie dann einfach am Ufer fallen. So halb im Wasser liegend, würde die Leiche sicher bald davon geschwemmt.

Er sah sich noch einmal um, dann stapfte er wieder hinauf zum Haus, lief am Zaun entlang bis zu dem schmalen Zufahrtsweg, und ging dann die paar Schritte bis zu seinem Auto. Er legte das Gewehr und die Ampullen samt Hefter auf den Rücksitz und fuhr wenig später weg. Er hatte seinen Auftrag erfolgreich erfüllt.

Da das Anwesen der Ärztin Alice Carlsson weit außerhalb des Wohngebietes direkt am Fjord lag, hatte niemand etwas gehört oder gesehen in dieser mondlosen Nacht.

Das alles aber wussten die beiden Kriminalisten bis zu diesem Zeitpunkt am Vormittag noch nicht. Und Anna bewegte die Frage, was hatte die Ärztin am späten Abend noch in der Molkerei gewollt? Und was hatte sie in der Nacht noch in ihrem Labor untersucht?

Und dann erreichte die Kriminalabteilung zur Mittagszeit eine Nachricht, die alle stutzig machte. Im Krankenhaus in Alesund waren am Vormittag drei Personen eingeliefert worden. Alle drei Patienten hatten die gleichen Symptome, Durchfall, Erbrechen und beginnendes Nierenversagen. Dem Laborleiter Sven Nielsson standen die Haare zu Berge und er bat um einen Termin beim Ärztlichen Leiter des Krankenhauses Egmont Ericsson. Als der Laborleiter eintrat, bat ihn der Direktor Platz zu nehmen.

„Na mein lieber Nielsson, was kann ich denn für Sie tun?“, fragte er jovial. Nielsson räusperte sich kurz.

„Unsere drei Patienten, die heute Morgen eingeliefert wurden, sind vergiftet worden, Herr Direktor!“ Ericsson fuhr hoch wie von einer Tarantel gestochen.

„Das kann doch nicht wahr sein! Irren Sie sich da auch nicht?“ Der Laborleiter schüttelte den Kopf.

„Leider kein Zweifel, es ist ein starkes, ausgefallenes Gift, um nicht zu sagen, ein Kampfstoff!“ Ericssons Unterlippe schien zu beben.

„Bitte machen Sie diese Untersuchung nochmal! Und vorerst bitte keine Meldung an das Gesundheitsamt! Die Rechtsabteilung dieses „Sagnoc-Konzerns“ macht uns die Hölle heiß, wenn das Gesundheitsamt bei denen anrückt. Wir müssen erst einhundert prozentig klären, ob das auch stimmt!“

Ragnarson und Anna Ohlson saßen gemeinsam am Schreibtisch und studierten die Arztberichte, die sie inzwischen erhalten hatten. Lennart Magnusson ihr Chef kam zur Tür herein und machte einen langen Hals.

„Und? Habt ihr schon erste Ergebnisse über den Tod dieser Ärztin?“, war seine erste Frage. Ragnarson und Anna sahen sich einen Moment kurz in die Augen.

„Chef, fakt ist, die Frau ist umgebracht worden. Ein Raubmord war es aber auf keinen Fall, auch wenn der Safe offenstand. Nach Aussage der Zugehfrau waren da nur Papiere und drei kleine Glasflaschen drinnen. Sie muss etwas entdeckt haben, dass zu diesem Mord führte. Alle drei Toten hatten völlig erhöhte Werte mehrerer Toxine im Blut, die aber bei allen drei Patienten zum Tode durch Nierenversagen geführt haben.“ Oberst Magnusson sah beide Kommissare entgeistert an.

„Und was heißt das nun, Ragnarson? Das sie alle umgebracht worden sind, oder was? Oder wollt ihr mir etwa damit sagen, wirhaben es hier mit einer Art Epidemie zu tun? Das fehlte uns gerade noch in dieser wirtschaftlichen Lage!“ Anna Ohlson schüttelte den Kopf.

„Nein Chef, aber alle drei Toten haben Joghurt der Molkerei „Sagnog“ gegessen und wurden danach innerhalb von zwei Tagen krank. Magen-Darm-Beschwerden, Durchfall, hohes Fieber. Exitus!“ Chef Lennert Magnusson hob die Augenbrauen an.

„Na wenn ich das höre, würde ich sagen Brechdurchfall, so würde zumindest mein Doc reagieren.“ Ragnarson der die ganze Zeit geschwiegen und zugehört hatte, drehte sich zu Magnusson herum.

„Chef, das Gesundheitsamt hat bis jetzt beim „Sagnog-Konzern“ lediglich angefragt, ob es Probleme gegeben hätte. Blöder geht es nicht! Jetzt wissen die aber genau, dass etwas im Busch ist!“

Magnusson rieb sich sein graumeliertes kurz geschnittenes Haar und stöhnte leise vor sich hin.

„Wisst ihr beiden Helden überhaupt was das heißt, sich mit diesem Konzern anzulegen? Deren Rechtsabteilung schickt zehn Anwälte. Die Herren der obersten Leitungsebene speisen und feiern mit dem Landwirtschaftsminister. Geht ja vorsichtig vor, wenn ihr weiter ermittelt! Bis jetzt kann es doch auch eine harmlose Sache sein, oder?“ Anna Ohlson lachte irritiert auf.

„Aber Chef, und dafür wird eine Ärztin umgebracht, weil es so harmlos ist? Das glauben Sie doch selber nicht.“ Magnusson sah man an in welcher Zwickmühle er steckte.

„Geht mir ja vorsichtig vor. Redet zunächst erst mal mit der Klinik, die behandelnden Ärzte werden auch eine Meinung haben. Klärt erst ab ob es tatsächlich alles mit diesem verdammten Joghurt zusammenhängt. Vielleicht war der ja auch nur überlagert oder Reinigungsmittel ist in den Joghurt gekommen, soll ja mal vorkommen! Schaut dann mal in die beiden Supermärkte hier auf der Insel. Ich möchte jeden Tag einen Bericht! Darf auch ruhig zunächst mündlich sein.“

Er wandte sich abrupt um und verschwand wieder durch die Tür nach draußen. Ragnarson feixte und flüsterte.

„Der Alte hat Spundes! Er will sich seine anstehende Pensionierung nicht vermasseln.“ Anna sah auf ihre Uhr.

„Weißt du was, wir fahren jetzt in die Klinik und reden mit den Ärzten! Los komm hoch, alter Mann!“ Ragnarson verdrehte die Augen.

„Willst du mal wieder einen Kuss, Chefin? Du bist so aufgeregt. Das beruhigt ungemein.“ Anna Ohlson blieb stehen, stemmte beide Arme in die Hüften und sah ihn von unten herauf an.

„Luftikus, versuch`s nochmal und dich trifft ein Dampfhammer! Diesmal kriegst du eine auf die Zwölf!“

Dann wandte sie sich schmunzelnd ab und lief vor ihrem Kollegen den Gang entlang. Und der meinte kurz hinter ihr gehend:

„Mein lieber Mann, du hast ein Arschgeweih, da könnte man tollwütig werden!“ Anna blieb sofort abrupt vor ihm stehen, so das Ragnarsons um ein Haar auf sie aufgelaufen wäre. Ihre braunen Augen funkelten ihn böse an, und leise zischte sie:

„Wenn du nicht augenblicklich aufhörst mir auf den Geist zu gehen, lass ich dich zur Verkehrspolizei versetzen! Hast du das endlich kapiert? Ich mag solches Anmachen nicht im Dienst, und privat auch nicht! Capito!“ Dann drehte sie sich wieder um und lief weiter zum Parkplatz. Sie warf Ragnarson die Zündschlüssel im hohen Bogen zu.

„Los, du fährst!” Eine halbe Stunde später standen sie an der Anmeldung der „Sanitetsjemmet-Klinik“ in Alesund.

Dort bekamen sie die Auskunft, dass sie sich an den Oberarzt Dr. Eriksson im II. Stock wenden müssten. Ein Lift brachte sie nach oben und sie betraten einen endlos langen Flur, so wie sie eben in Krankenhäusern sind. Endlich fanden sie die Tür mit dem Schild „Oberarzt Egmont Eriksson“ Ragnarson klopfte kräftig an. Von drinnen kam ein dünnes „Herein“.

Er öffnet die Tür und stand vor einem Tresen, dahinter saß eine etwa fünfzig jährige Dame, ziemlich stark geschminkt mit schwarzer Hornbrille und einem Dutt.

Arvid Ragnarson musste sich ein Grinsen verkneifen als er diesen Zerberus sah. Typische Vorzimmerdame zum Abschrecken der Kundschaft, dacht er. Sie zeigten ihre Ausweise vor.

„Kriminalpolizei-Sonderabteilung, wir müssten dringen den Herrn Oberarzt sprechen.“ Die Dame sah sie verwirrt an, und fragte dann erstaunt:

„Haben Sie einen Termin?“ Ragnarson verzog das Gesicht zu einer Miene, als wollte er sie jeden Moment beißen.

„Verehrte Dame! Wir sind von der Polizei und wir brauchen keinen Termin, Verehrteste!“, bellt er plötzlich etwas lauter los. Plötzlich ging eine Tür hinter dem Tresen auf und ein Glatzkopf mit Brille sah mit bösem Blick zu ihnen heraus.

„Was gibt es denn Melissa, was ist das für ein Lärm hier bei Ihnen? Was wollen die Herrschaften?“ Wieder hielten Ragnarson und Anna Ohlson ihre Dienstausweise hoch. Der Herr Oberarzt wurde mit einem Schlag freundlicher.

„Dann kommen Sie doch bitte herein“. Mit einem vernichtenden Blick schob sich Ragnarson an der Vorzimmerdame vorbei und sie traten ein. Der Oberarzt bot ihnen Platz an. Dann sah er seine Besucher mit übereinander geschlagenen Beinen gespannt an. Anna übernahm das Gespräch.

„Herr Doktor, wir kommen wegen der drei Toten in Ihrer Klinik innerhalb von nur einem Tag. Und wir ermitteln in einem Mordfall.“ Bei diesem letzten Satz schien der Herr Doktor ein wenig zusammen zu zucken. Anna legte die Labor-Berichte auf den Tisch.

„Nach Auswertung unserer Gerichtsmediziner ist hier einfach zu viel Toxin im Spiel, um als Brechdurchfall durchzugehen“, stellte sie fest, und schob die Berichte dem Doktor vor die Nase. Dieser las die drei Berichte kurz durch und nickte dann.

„In diesem Fall muss ich Ihnen Recht geben. Soweit ich aber informiert bin, konnte nicht geklärt werden wo diese Gifte herkamen. Außerdem sind diese Patienten an einer „Exsikkose“ verstorben, das heißt an einem extremen Verlust von Flüssigkeit und Elektrolyten. Und es waren alle drei Immungeschwächte Patienten. Also keine guten Voraussetzungen, um sowas zu überleben.“ Er sah auf seine Fingernägel als ob dort der Schlüssel lag wie er diese unliebsamen Frager loswerden konnte. Doch Ragnarson bohrte weiter und lächelte den Arzt an.

„Sagen Sie Herr Oberarzt, könnte es nicht sein, dass diese Drei etwas gegessen haben und sich damit eine Infektion zugezogen haben könnten? Zum Beispiel so etwas wie Joghurt?“

Der Herr Oberarzt war einen Augenblick lang nicht in der Lage sein Erschrecken zu verbergen, wenn es auch nur kurz war, doch die beiden Kriminalisten hatten es bemerkt. Er atmete einmal tief durch, eh er antwortete.

„Eine solche Möglichkeit will ich generell nicht ausschließen Herr Kriminalkommissar“, erwiderte er, und verzog das Gesicht ebenfalls leicht zu einem Lächeln. Anna nickte.

„Wenn dem so ist, Herr Oberarzt, wie könnten wir da schlauer werden? Wie gesagt, es geht um die Aufklärung eines Mordes.“ Oberarzt Eriksson griff zum Telefon und wählte, sprach kurz mit dem Mann auf der anderen Seite und legte dann wieder auf.

„So, ich habe soeben den Leiter unseres Labors, Herrn Nilsson informiert, dass Sie ihn gleich aufsuchen werden. Dort glaube ich, wird man Ihnen besser weiterhelfen.“

Mit diesen Worten stand er auf und deutete damit an, dass dieses Gespräch beendet sei.

„Gehen Sie bitte zum Fahrstuhl und fahren Sie in den Keller, dort finden Sie Dr. Nilsson. Auf Wiedersehen!“ Und schon standen beide wieder auf dem Flur und gingen Richtung Lift. Anna musste schmunzeln.

„Also manchmal kannst du ja sogar charmant sein, Ragnarson. Der Herr Oberarzt war etwas überrascht als du ihn gefragt hast wegen dem Joghurt. Hast du das bemerkt?“

Ragnarson grinste vor sich hin und drückte am Fahrstuhl angekommen den Knopf. Als sich die Tür öffnete ließ er Anna den Vortritt. Sie fuhren hinab in den Keller. Kaum öffnete sich die Fahrstuhltür wieder, standen sie auch schon einem großen massigen Mann um die Sechzig gegenüber, der sie durch seine Brille schauend anlächelte.

„Sie sind die beiden Kriminalisten?“, fragte er sie kurz angebunden. Anna zeigte ihm ihren Dienstausweis. Dann folgten sie dem Mann in sein Büro. Es war ein ziemlich kleiner Raum, spartanisch eingerichtet und reichlich dunkel, so dass man Licht brauchte. Er sah seine beiden Besucher fragend an.

„So, was kann ich für Sie tun?“ Anna und Ragnarson wechselten einen kurzen Blick.

„Wir haben einen Mord aufzuklären, geschehen vor drei Tagen in der Nähe von Alesund, an einer Ärztin.“, eröffnete Anna das Gespräch. Doch noch ehe sie weiter reden konnte fuhr der Mann hinter seinem Schreibtisch plötzlich in die Höhe.

„Eine Ärztin? Hoffentlich doch nicht Frau Doktor Carlsson!“ Jetzt war es Anna die überrascht war.

„Sie kannten Frau Dr. Carlsson?“ Nilsson nickte heftig und ließ sich wieder in seinen Sessel plumpsen.

„Ja natürlich, wir sind seit Jahren befreundet. Und sie hat mir vor einigen Tagen einige Proben zur Untersuchung geschickt, natürlich nur inoffiziell! Das war ihr sehr wichtig.“, erwiderte er und rieb sich das Kinn. Ragnarson mische sich ein.

„Ging es bei diesen Proben um Joghurt, Herr Doktor?“ Der Arzt nickte verwundert. „Ja, warum fragen Sie?“

Ragnarson wechselte mit Anna einen kurzen Blick, und sie nickte leicht. Also fuhr Ragnarson weiter fort.

„Nun Herr Doktor, wie es aussieht, könnte dieser Joghurt für die drei Todesfälle verantwortlich sein. Er hatte viel zu viele Toxine und eine Spur radioaktives Material in der Probe.“

Man sah, dass der Arzt mühsam um Fassung rang. Und so dauerte es eine Weile bis er wieder sprechen konnte.

„Ja das stimmt, genau das hat Alice ebenfalls vermutet! Und sie war drauf und dran das Gesundheitsamt zu informieren. Aber unsere Klinik hat es, warum auch immer, bis gestern noch nicht getan! Auf eine Nachfrage hin wimmelte man mich in der Geschäftsleitung ab. Indirekt ließ man durchblicken, dass es besser wäre, wen ich zu diesem Thema schweigen würde.“ Den letzten Satz hatte er beinahe geflüstert. Anna machte sich Notizen und sah dann den Arzt an.

„Sind Sie auch der Meinung, dass der „Sagnog-Konzern“ mit allen Mitteln eine Bekanntmachung dieser Todesfälle vermeiden möchte?“ Nilsson sah Anna durch seine Brille ernst an, dann nickte er wortlos. Anna gab zu verstehen, dass sie verstanden hatte, warum er so zögerlich antwortete. Sie deutete hinaus auf den Gang und stand auf. Der Arzt folgte ihnen auf die Außenanlage. Draußen blieb Anna nach einigen Metern stehen.

„Vermuten Sie, dass man Sie abhört?“, fragte sie den Arzt. Nilsson zuckte mit den Schultern und meinte halblaut:

„Wer kann das heutzutage schon genau wissen! Fest steht, ich glaube jetzt, man hat Alice umgebracht, weil sie einen eigenen Labortest gemacht hat. Und daraus entsprechende Schlüsse gezogen hat. Sie wollte unbedingt das Gesundheitsministerium und die Polizei einschalten, das hat sie mir noch am Telefon erzählt.“ Anna nahm aus ihrer Tasche die drei Laborberichte der Toten und gab sie Nilsson zum Lesen. Der schaute kurz drauf und nickte.

„Ja, die sind aus unserem Haus! Aber wie ich sehe, die stimmen nicht! Bei allen drei Proben fehlen zwei Komponenten wie ich sehe. Hier hat jemand falsche Angaben an sie herausgegeben, Frau Kommissarin!“ Anna sah Nilsson erstaunt an und der nickte bestätigend.

„Ja, was ich weitergegeben habe als der Laborbericht im Sekretariat geschrieben werden sollte, war umfangreicher in der Begründung. Die hier besteht aus fünf Sätzen. Der Rest fehlt völlig. Aber ich habe eine Kopie gemacht von allen drei Berichten.“

„Könnten Sie mir Ihre Berichte an mein Büro schicken? Hier ist meine Karte mit meiner Mailadresse.“ Der Doktor nickte.

„Das erledige ich dann sofort, wenn ich wieder im Büro bin!“

Anna bedankte sich bei Dr. Nilsson und sie verabschiedeten sich. Nachdenklich ging sie mit Ragnarson zurück zum Wagen. Und Arvid war ziemlich sauer und meinte:

„Was hältst du davon, wenn wir hochgehen in dieses Sekretariat und nachfragen?“ Anna schüttelte den Kopf.

„Das bringt rein gar nix, die werden sich dumm stellen. Und von wem sollen wir wissen, dass da was fehlte. Doch nur von Nilsson, und den bringen wir dann vielleicht in eine dumme Lage. Wir müssen uns mit unserem Chef beraten, Arvid. Außerdem mailt er uns ja die Berichte, dann sehen wir weiter.“

Auf der Fahrt zurück zum Kommissariat war Ragnarson einsilbig und Anna sah ihn während sie die Straße beobachtete mit einem kurzen Seitenblick an.

„Was ist mit dir? Du bist so schweigsam.“ Ragnarson verzog das Gesicht und kraulte seinen roten Dreitagebart.

„Ich fresse einen Besen, wenn hier nicht um jeden Preis was unter den Teppich gekehrt werden soll! Wem war diese Alice Carlsson zu nahegekommen und damit gefährlich geworden? Und warum informiert das Krankenhaus nicht das Gesundheitsamt, so wie es eigentlich Vorschrift ist? Das stinkt meilenweit nach einer abgekarteten Sache, sage ich dir!“, brummte er wütend. Anna nickte nachdenklich. Sie hatten die Polizeistation erreicht. Im Büro erwartete sie schon eine neue Überraschung, denn ihr Chef Magnusson erwartete sie schon auf dem Flur.

„Kommen Sie bitte in mein Büro!“, knurrte er verdrossen. Als sie eintraten bot er ihnen den Platz vor dem Schreibtisch an, und nicht in der Sitzecke, wie sonst. Das sah nach dienstlicher Standpauke aus.

„Sagen Sie mal sie beiden Elefanten, wie können sie denn den Ärztlichen Direktor unterstellen, er hätte was zu verbergen! Sowas ist doch unmöglich! Ich habe sie ausdrücklich gewarnt, Sie sollten vorsichtig vorgehen!“, schnaufte er wütend. Anna grinste leicht zynisch, wie das manchmal so ihre Art war.

„Hat sich der Herr Professor schon beschwert, ja? Das ging ja schnell. Aber Chef, eins steht doch zumindest fest, das Krankenhaus hat nicht wie vorgeschrieben in einem solchen Fall, das Gesundheitsamt informiert. Warum nicht?“ Sie sah Magnusson an wie ein Ermittlungsrichter. Und der schnaufte, weil er sich keinen Rat wusste, wie er diese immer wieder aufmüpfige Oberkommissarin Anna Ohlson zur Raison bringen konnte.

„Wir müssen absolut einhundert prozentig sicher sein, dass es eine Vergiftung war!“, wagte er einzuwenden. Anna lachte verhalten.

„Chef, warum werden die Laborberichte gefälscht? Wer hat das angeordnet? Alles Fakten die darauf hindeuten, dass hier was unter den Teppich gekehrt werden soll. Wundert mich nur, dass bis jetzt noch keine Zeitung davon berichtet hat.“ Magnusson fuhr empor.

„Um Gottes Willen, Ohlson! Ja nur das nicht auch noch! Wir kommen in Teufels Küche, sag ich Ihnen.“

Arvid fühlte sich berufen Anna nun beizuspringen, und er tat das mit aller Überzeugung.

„Chef, wir fahren nachher in die Molkerei und stellen einfach mal ein paar dämliche Fragen, mal sehen was dabei herauskommt! Was meinen Sie dazu?“

Magnusson atmete tief ein und aus, doch dann nickte er nur.

„Einverstanden, aber bitte mit Fingerspitzengefühl, wenn ich bitten darf!“ Anna und Arvid grinsten beide wie vom Weihnachtsmann beschenkte Kinder.

„Chef, Sie können sich auf uns verlassen!“ meinte Arvid und stand schnell auf, blinzelte Anna zu, und verließ das Büro des Chefs. Anna folgte ihm und überholte ihn auf dem Flur, um im Büro den Zündschlüssel zu holen.

„Was hältst du davon, wenn wir der Molkerei in Lund einen Besuch abstatten? Zum Beispiel dem Produktionsleiter, ohne uns vorher anzumelden?“ Anna lächelte verhalten.

„Du bist mal wieder unbedingt auf Ärger aus, stimmt’s?“ Arvid grinste breit.

„Kennst mich doch lange genug! Klopfe auf ein Fass, und es wird immer was herausfallen, sagte schon mein Opa.“ Anna sah auf die Uhr.

„Gut, ich schlage vor, wir erledigen das morgen früh. Jetzt ist es schon zu spät. Ich habe heute Abend noch was vor, da bin ich eingeladen.“ Ragnarson sah sie von unten herauf an.

„Ein neuer Verehrer?“ Lachend schüttelte Anna den Kopf.

„Nö, einfach nur Mädelsabend!“ Arvid schien aufzuatmen und nickte nur. „Viel Spaß! Übertreibt es nicht!“ Anna lachte ihn belustigt an.

„Ja, Papa!“ Dann nahm sie ihren Mantel vom Haken, langte nach dem Zündschlüssel und hui war sie aus dem Zimmer. Als alleinstehende Frau mit 36 Jahren und ohne Kind, durfte man sich ja schließlich auch mal amüsieren.

Zehn Minuten nach Dienstbeginn am Morgen wurde die Tür des Büros aufgerissen und Anna Ohlson stürmte herein. Kommissar Arvid Ragnarson sah demonstrativ auf die Uhr und grinste seine Chefin breit an.

„Na, das war wohl doch feuchtfröhlicher als gedacht, liebe Chefin?“, frozzelte er. Anna ließ sich in ihren Drehstuhl plumpsen und schaltete den Computer ein. Dann sah sie ihren Kollegen über den Schreibtisch hinweg ernst an und meinte:

„Wenn eine junge Frau mit 28 Jahren und im dritten Monat schwanger ihr erstes Kind verliert, und das in einer Bar, dann kannst du vielleicht ermessen wie lustig es war! Wir saßen zu fünft drei Stunden im Krankenhaus, so lustig war das! Und heute früh hab ich den Wecker einfach nicht gehört. So, alle Fragen beantwortet Euer Ehren?“ Arvid war ernst geworden.

„Sorry, das tut mir leid, ehrlich!“ Anna nickte.

„Schon gut, fahren wir jetzt in die Molkerei?“ Ragnarson stand auf und nahm den Schlüssel vom Haken.

Auf dem Weg zur Molkerei unterhielten sie sich über das Für und Wider einer Schwangerschaft. Anna war irgendwie verunsichert und man merkte es ihr diesmal an.

„Wenn ich mir vorstelle ich will ein Kind, dann klappt es endlich auch, und man freut sich darauf. Und auf einmal ist alles vorbei. Das muss die Hölle für eine Frau sein.“ Arvid lenkte den Wagen an einem Müllwagen vorbei.

„Warum nur bei den Frauen? Glaubst du nicht, dass ihr Mann oder Freund sich nicht genauso darauf gefreut hat?“ Doch Anna schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht, dass ein Mann das nachempfinden kann, was eine Frau da mitmacht. Schließlich ist es ja in ihrem Körper gewachsen, sie hat es schon gefühlt.“ Arvid zuckte nachdenklich mit den Schultern und sah sie kurz von der Seite an.

„Du musst es ja wissen“, war alles was er noch dazu sagte. Und Anna sah ihn einen Moment von der Seite an. Sollte sie sich in diesem Luftikus getäuscht haben? War er im Inneren tatsächlich viel feinfühliger als sie immer dachte.

Ihre Gedankengänge wurden jäh unterbrochen, weil Arvid abbremsen musste und jämmerlich fluchte. Ein Motorradfahrer hatte ihn zum Bremsen gezwungen, um einen Unfall zu vermeiden. Anna lächelte auf einmal.

„TUA 12-224! Du kannst ihn anzeigen! Das war die Nummer.“ Arvid winkte ab.

„Am Ende zahlt der lächelnd 25 Euro und das war`s.“

Sie hatten die Molkerei erreicht. Der Pförtner am Schlagbaum beugte sich zum Fenster des Wagens herab.

„Guten Tag! Ihren Ausweis bitte! Zu wem wollen Sie denn?“

Arvid hielt ihm den Dienstausweis vor die Nase und sah den Mann spöttisch an.

„Kriminalpolizei - Sonderkommission! Wir müssen zu Ihrem Boss!“ Der Pförtner nickte und öffnete mit einem Knopfdruck den Schlagbaum.

„Erdgeschoß links Zimmer 13“, rief er ihnen noch nach. Arvid runzelte die Stirn.

„Ach das auch noch, Zimmer 13, und das zum frühen Morgen!“ Anna lachte.

„Seit wann bist du denn abergläubig, sag mal? Stell dir vor, der Mann muss den ganzen Tag, die ganze Woche, und das ganze Jahr darin arbeiten!“ Arvid lachte und meinte:

„Dann würde ich kündigen!“ Lachend betraten sie das Gebäude und wurden wieder aufgehalten. Diesmal von einer jungen Dame an einem Schalter.

„Zu wem möchten Sie bitte?“, fragte sie höflich. Anna hielt ihr wieder den Dienstausweis hin.

„Kripo, wir wollen zum Boss des Unternehmens.“ Die junge Frau sah sie erst erstaunt an und dann fragte sie Anna leicht irritiert:

„Haben Sie einen Termin? Der Herr Svensson ist ein viel beschäftigter Mann.“ Da wurde Arvid Ragnarson wieder leicht unfreundlich und knurrte nun schon etwas deutlicher:

„Welches Zimmer? Wir haben auch keine Zeit, bei uns geht es um Mord! Also?“ Leicht eingeschüchtert meinte die junge Dame:

„Zimmer 13, da hinten linker Hand!“ Und zeigte mit der Hand die Richtung an. Ragnarson tippte an seine nicht vorhandene Hutkrempe und marschierte schnurstracks los, und Anna in seinem Schlepptau. Im Laufen tippte die ihrem Kollegen auf die Schulter. Arvid legte eine Vollbremsung hin, bei der Anna um ein Haar aufgelaufen wäre.

„Was ist denn schon wieder?“ Anna grinste nur und ging an ihm vorbei.

„Ich bin hier der Boss, Arvid! Schon wieder vergessen? Ich gehe da zuerst rein!“ Arvid breitete die Arme aus, zuckte mit den Schultern und schüttelte sein Haupt.

„Nun mach doch!“ Anna klopfte kräftig und öffnete die Tür. Und wieder standen sie einer Vorzimmerdame gegenüber. Anna zeigte wieder ihren Dienstausweis vor.

„Wir müssen unbedingt Ihren Chef sprechen!“ Die ältere Dame machte ein Gesicht, als wenn sie ihnen ihr Beileid bekunden wollte.

„Haben Sie denn einen Termin? So einfach geht das nicht ohne Anmeldung!“, hauchte sie und rückte ihre Brille, die an einem Band hing, zurecht. Anna holte tief Luft und sprach plötzlich laut akzentuiert und deutlich:

„Haben Sie mich nicht verstanden? Wir sind von der Kripo! Und es ist dringend!“ Die ältere Dame schluckte erschreckt. In diesem Augenblick ging die Tür auf und ein ziemlich großer breitschultriger Mann um die Fünfzig trat ein.

„Emilia, was gibt es denn?“ Doch dann sah er die Besucher.

„Oh, Entschuldigung! Was möchten Sie?“ Anna wiederholte ihren Text nachdrücklich. Herrn Svensson`s Gesicht wurde eine Nuance freundlicher.

„Oh die Polizei, na dann treten Sie doch ein! Emilia, bitte drei Kaffee!“ Anna blinzelte Arvid kurz zu und grinste dabei. Alles nach dem Motto: „Siehst du, das kann ich auch!“

Sie saßen kaum, als schon der Kaffee kam und die Vorzimmerdame mit ihrem engen schwarzen Rock wieder hinaus trippelte und die Tür leise schloss. Direktor Svensson sah seine Besucher mit gefalteten Händen fragend an.

„Womit kann ich Ihnen helfen?“ Anna zauberte aus ihrer Tasche einen leeren Joghurtbehälter und stellte ihn auf den Tisch.

„Ist es richtig, wenn ich behaupte, dieser Joghurt wird in Ihrer Firma hergestellt?“, fragte sie Svensson freundlich. Der schaute den leeren Behälter kurz an und nickte.

„Ja, das stimmt, Frau Kommissarin Ohlson. Jeden Tag circa 12000 Stück“, erwiderte er gelassen. Anna musterte ihn. Sein längliches Gesicht, mit der randlosen Brille, die große Glatze, er sah aus wie einer aus der Trickfilmserie von Bugs Bunny.

„Hatten Sie in letzter Zeit in der Produktion Hygieneprobleme?“, war Annas nächste Frage. Der Herr Direktor richtete sich mit einem Mal kerzengerade in seinem Ledersessel auf, seine freundliche Miene war plötzlich wie eingefroren.

„Wie kommen Sie denn auf diese Frage, Frau Kommissarin?“, war seine nächste Reaktion. Anna holte aus ihrer Tasche drei lose Blätter unter einer Folie heraus, und legte sie auf den Tisch. Svensson sah sie starr an. „Was ist das?“ Anna schob sie ihm über den Tisch.

„Herr Svensson, das hier sind erst einmal drei Laborberichte aus ihrem Hause, und hier sind diese Berichte nochmal. Nur leider unterscheiden die sich ziemlich voneinander. Die drei ersten Exemplare sind also aus ihrem Krankenhaus, die anderen haben drei wir von der Gerichtsmedizin erhalten“, log Anna ungerührt.

„Beide unterscheiden sich erheblich bei den Toxinwerten. Aber es hat drei Menschen das Leben gekostet! Aber es gibt von Ihnen weder wie üblich in einem solchen Fall einen Bericht an das Gesundheitsamt und auch keinen an die übergeordnete Behörde. Daher meine Frage, warum ist dies nicht geschehen?“ Sie sah Svensson fragend an. Und der war zusehends bleicher geworden. Er schüttelte den Kopf.

„Mir ist von solchen Vorfällen nichts bekannt, ich schwöre es beim Leben meiner Mutter!" Anna wechselte mit Arvid einen kurzen Blick. Ragnarson hakte ein.

„Wer ist bei Ihnen der Produktionsleiter? Wo finden wir ihn?“ Svensson schüttelte den Kopf.

„Der Herr Andersson hat sich vor drei Tagen krankgemeldet. Er müsste zu Hause sein. Meine Dame im Vorzimmer gibt Ihnen gerne die Adresse.“ Und dann wurde er lebhafter.

„Und diese drei Menschen sind alle nach dem Verzehr unseres Joghurt verstorben?“, fragte er nochmals fassungslos. Anna nickte.

„Das ist definitiv eine bewiesene Tatsache, Herr Direktor. Heute früh schon der Vierte.“ Svensson schüttelte wieder fassungslos den Kopf.

„Ich verstehe das nicht! In so einem Fall ist innerhalb von 24 Stunden der Betrieb dicht, vom Gesundheitsamt geschlossen! Ich verstehe das nicht!“, wiederholte er nochmals. Anna nickte verhalten, doch diesmal etwas mitfühlender, denn sie glaubte dem Mann auf einmal.

„Und da wir das auch nicht verstehen, zumal eine Ärztin ermordet worden ist im Zusammenhang mit eben diesem Joghurt, sind wir heute hier!“ Svensson sah sie zu Tode erschrocken an.

„Was? Eine Ärztin wurde ermordet? Ja aber warum denn das um Gottes Willen auch noch?“ Anna nickte.

Stimmt. Aber leider können wir Ihnen darüber keine Auskunft geben, Sie verstehen, ermittlungstechnisch!“ Man sah Svensson an, dass er geschockt war. Anna wechselte mit Arvid einen Blick und stand auf.

„Könnten wir uns die Produktionsstätte mal anschauen?“ Svensson nickte sofort und stand ebenfalls auf.

„Ich bringe Sie hin! Aber vorher müssen wir Sie erst einkleiden, Sie verstehen - die Hygienevorschriften!“

Nach zwanzig Minuten waren sie in der Produktionsstraße. Von der Herstellung bis zur Abfüllung konnten sie nun den Weg der Becher verfolgen. Und es gab also einige Möglichkeiten hier Gift einzufügen, das stand am Ende fest. Einige der Mitarbeiter, besonders in der Abfüllung, kamen dem Produkt sehr nahe. Aber selbst in der Lagerung bestand diese Möglichkeit, hier vielleicht noch viel unbeobachteter. Sie waren am Ende angelangt. Anna zog das Netz, welches sie über den Haaren getragen hatte, herunter.

„Herr Svensson, ich hätte noch eine Bitte. Ich brauche eine Liste von allen Mitarbeitern der Abfüllanlage und der Lagerung, die sich in den letzten drei Tagen krankgemeldet haben. Hier haben Sie meine Karte, die Mailadresse steht unten links. Wir bedanken uns sehr herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wir werden und gegebenfalls noch einmal melden. Auf Wiedersehen!“

Als sie wieder im Wagen saßen schüttelte Arvid auf einmal den Kopf und sah seine Chefin von der Seite an.

„Anna, wir verrennen uns da gerade! Denn diese Becher können doch auch in einem der Läden oder sonst wo mit dem Gift versehen worden sein. Hast du da schon mal daran gedacht?“ Anna Ohlson nickte betrübt.

„Das ist mir auch klar, Arvid! Aber wo wollen wir sonst ansetzen mit den Ermittlungen. Lass uns noch feststellen wo diese vier Leute eingekauft haben. Klopfen wir eben auch noch auf dieses Fass!“ Arvid grinste.

„Gut gemerkt, Chefin. Fahren wir also zurück ins Büro?“ Anna startete den Wagen und nickte.

„O.K. Machen wir, ich habe Lust auf einen Kaffee!“ Als sie im Büro ankamen herrschte Chaos! Leute liefen umher, und Chef Magnusson, der sie vom Fenster aus gesehen hatte, kam heraus gestürmt auf den Gang. Schon von weitem schrie er:

„Wo waren Sie denn? Wir haben Sie gesucht und mehrmals angerufen, aber nicht erreicht! Kommen Sie sofort in mein Büro! Sofort bitte!“ Und schon stürmte er mit großen Schritten wieder zurück in sein Zimmer. Arvid und Anna sahen sich perplex an. Arvid brummte:

„Was ist denn hier los? Haben wir einen Alarm verpasst? Mein Handy war tatsächlich aus, es ist leer!“ Anna schlug sich gegen die Stirn und machte auf dem Absatz kehrt.

„Verdammt, meins liegt im Seitenfach der Wagentür.“ Und schon sauste sie zurück zum Auto, um ihr Handy zu holen. Als sie nachsah waren da sechs Anrufe, alle vom Chef. „Scheiße“, brummte sie, und steckte es ein.

Die Tür zum Allerheiligsten, im Kollegenkreis auch oft als „Richtstätte“ benannt, stand sperrangelweit offen. Anna klopfte an und die Sekretärin winkte sie mit verbissener Miene gleich weiter.

„Geht rein, er kocht wie ein Vulkan!“, flüsterte sie Anna zu. Ragnarson ließ Anna bereitwillig den Vortritt als sie eintraten. Ihr Chef Magnusson saß mit hochrotem Kopf hinter seinem Schreibtisch. Seine Hände schienen zu zittern. Er deutete auf die beiden Stühle vor seinem ausladenden Schreibtisch. Dann sah er seine beiden Kommissare für einige Sekunden scharf an, um dann zu knurren:

„Mich hat vor einer Stunde eine Meldung vom Gesundheitsamt erreicht! Bei jedem unserer vier Toten sind inzwischen weitere Angehörige verstorben! Insgesamt sind es jetzt fünfzehn!“

Anna glaubte, dass sich jeden Augenblick der Boden unter ihr öffnen würde. Sie sah einige Sekunden zu Arvid, der neben ihr saß und schluckte, ehe sie sagte:

„Das heißt, dieser Joghurt hat einen Virus gehabt! Mutwillig zugefügt und er verbreitet sich weiter! Liege ich da richtig, Chef?“ Magnusson nickte.

„So ist es! Andere Frage, was haben Sie heute in der Molkerei herausgefunden? Denn dort waren Sie doch, oder?“ Anna nickte verhalten.

„Wir haben uns den Betrieb angeschaut. Von der Produktion bis zur Auslieferung. Der Produktionsleiter Anderson hat sich vor drei Tagen krankgemeldet, ist aber nicht auffindbar. Gleiches trifft auf den Verantwortlichen des Kühllagers Lönneberg zu. Ebenfalls krankgemeldet und ebenfalls nicht aufzufinden.“ Magnusson sah sie kurz an.

„Gut Anna, geben Sie eine Fahndung nach den beiden heraus! Wir müssen die beiden Kerle schnellstens schnappen.“ Zurück am Schreibtisch meinte Anna auf einmal zu Arvid:

„Wem war die Ärztin auf die Schliche gekommen? Waren es vielleicht diese beiden, Anderson und Lönnberg?“

Arvid wiegte den Kopf hin und her und sah seine Chefin an.

„Glaubst du im Ernst, die Beiden haben alleine gehandelt?“ Anna sah ihren Kollegen nachdenklich an und nickte dann.

„Du meinst, sie sind nur die Ausführenden? Aber wer käme dann als Auftraggeber in Frage?“ Anna klemmte sich den Stift unter die Nase und hielt ihn mit der Oberlippe fest. Das tat sie immer, wenn sie intensiv nachdachte. Plötzlich fing sie den Stift mit der Hand auf.

„Arvid! Wir müssen unbedingt das Umfeld von den beiden umgraben. Und zwar gründlich!“

Die Zahl der Erkrankungen rund um Alesund hatte noch weiter zugenommen, die Zahl der Toten sich auf 28 erhöht. Der gesamte Kreis Alesund war zum Sperrgebiet erklärt worden. Dies war möglich, weil die Stadt auf einer Insel lag, die man abriegeln konnte. Den gesamten Fjord zu überwachen war jedoch unmöglich. An der Küstenstraße hatte man Kontrollpunkte der Armee eingerichtet, die jeden kontrollierten, der die Straße benutzen wollte. Doch von Anderson und Lönneberg war bisher nichts zu sehen.

Als Anna Ohlson zu Hause die Nachrichten im Fernsehen verfolgte, bekam sie eine leichte Beklemmung. Was jetzt auf sie zukam, hatte es noch nie gegeben. Jetzt waren die Polizei und die Armee gefordert! Sie rief Ragnarson an. Der war tatsächlich allein zu Hause.

„Hast du eben die Nachrichten gesehen?“, fragte sie ihn. Er bejahte und war ziemlich außer sich.

„Die wollen doch tatsächlich den ganzen Landkreis lahmlegen, wegen ein paar Dosen Joghurt!“, schimpfte er. Anna war erst einmal sprachlos.

„Sag mal spinnst du? Weißt du überhaupt was eine Pandemie ist? Mach dich mal lieber schlau! Morgen früh ist 8.00 Uhr Rapport beim Chef, vergiss das nicht! Gute Nacht!“

Sie legte kopfschüttelnd den Hörer wieder auf und machte sich erneut lang im Bett. Dabei dachte sie:

„Manchmal ist er wie ein Fünfzehnjähriger, dieser Same“, und knurrte dann etwas missmutig in ihr Kissen. Um sich wenig später wieder in ihr Buch zu vertiefen, weil sie noch nicht schlafen konnte. Und Liebesromane waren da hilfreich.

Eine Stadt und ein Bezirk werden abgeriegelt

Als Anna am Morgen durch die beinahe menschenleeren Straßen zum Dienst fuhr, war ihr seltsam zumute. An der ersten Kreuzung, die sie passierte, stand eine Armeepatroulle und hielt sie an. Beide Soldaten hatten Atemmasken auf und Gummihandschuhe an den Händen. Einer der Soldaten stand leicht rechts vor ihrem Wagen, mit einer Maschinenpistole im Anschlag. Der andere kam an ihr Wagenfenster und grüßte vorschriftsmäßig.

„Guten Morgen, Ihre Papiere bitte! Und wo fahren Sie hin?“, begann er das Gespräch. Anna reichte ihm ihren Dienstausweis hinaus. Der Soldat stutzte kurz, gab ihr den Ausweis zurück und grüßte wieder.

„Gute Fahrt!“ Dabei kniff er kurz das rechte Auge zu, wohl als Ersatz für ein Lächeln. Anna blinzelte zurück und fuhr weiter.

Diese kurze Episode zeige eindrucksvoll, was im Moment in und um Alesund herum los war. Im Präsidium angekommen stand Arvid schon auf dem Sprung. Anna trat ein und staunte.

„Du bist ja heute schon da!“ Er streckte ihr kurz die Zunge heraus.

„Komm lieber alte Meckertante und mache hin, ab zur Richtstätte!“ Und so trabten sie beide ins Büro von Magnusson. Als sie bei ihm eintraten telefonierte der gerade. Sie warteten geduldig und setzten sich einstweilen, weil er auf die beiden Stühle deutete. Als er fertig war und den Hörer aufgelegt hatte sah er seine beiden Kommissare einen Moment kritisch an.

„Hört mal ihr beiden Helden, ihr müsst heute noch schnellstens nach Brandal fahren. Ich habe vor einer Stunde die Meldung erhalten, dass Andersson und Lönneberg dort gesehen wurden. Ich habe unsere Kollegen vor Ort schon informiert das ihr kommt. Meldet euch bei Oberkommissar Jacobson und richtet euch auf ein paar Tage ein. Haltet aber die Spesen in Grenzen. Im Hotel „Sagan“ habe ich bereits zwei Zimmer gebucht.“ Ragnarson verzog erst das Gesicht, dann grinste er.

„Och Chef, da hätte auch ein Zimmer mit Aufbettung doch gereicht!“, frozzelte er. Anna streckte ihm die Zunge heraus und ihre Blicke schossen Giftpfeile ab, so dass Magnusson mit dem Kopf schüttelte und meinte:

„Also Herrschaften! Jetzt ist es aber gut! Ihr benehmt euch manchmal wie ein altes zänkisches Ehepaar. Reißt euch mal zusammen oder ich muss mir überlegen, ob diese Abteilung nicht jemand anders übernimmt. Wobei Sie Arvid, dann auch mitgehen müssten, nur das wir uns auch richtig verstehen. So, und jetzt schleicht euch! Ich möchte jeden Tag früh einen kurzen Bericht von euch. Raus mit euch!“

Dermaßen schon am Morgen gleich eins auf die Rübe zu kriegen, bewirkte nur, dass Arvid draußen auf dem Flur über den Chef moserte. Und weil Anna zwei Schritte vor ihm ging, er einen freien Blick auf ihr strammes, in einer braunen Lederhose steckendes Hinterteil hatte. Logischer Kommentar:

„Wau Chefin! Du siehst von hinten wirklich toll aus! Dein Heck lacht einen förmlich an.“ Dieser Satz hatte zur Folge, dass Anna blitzartig stehen blieb und Arvid um ein Haar sie umgerannt hätte. Sie drehte sich zornbebend zu ihm herum und ihre dunkelbraunen Augen schossen Blitze ab. Dicht vor ihm stehen bleibend, und ihn in die Augen schauend, zischte sie ihn an:

„Ragnarson! Mach nur so weiter, dann wirst du aber bald den Verkehr in Alesund regeln können! Weil ich dich brünftigen Elchbulle dann nämlich freistellen werde, hast du das mit deinem Elchgehirn kapiert oder muss ich dir erst mal wohin treten, wo es euch Dreibeinern weh tut?“ Arvid grinste sie an, und sagte dann leise:

„Chefin, du bist wirklich zum Knutschen, wenn du dich so aufregst.“ Anna winkte resigniert ab und ging dann einfach weiter zurück in ihr gemeinsames Büro. Bereits angezogen, vereinbarte sie mit Arvid, ihn in einer Stunde abzuholen. Vorher wollte sie den BMW X5M noch volltanken. Denn es Arvid zu überlassen, erschien ihr zu unsicher, der vergaß ab und an mal was. So wie vor drei Wochen, als sie abends auf einsamer Straße stehend geblieben waren. Aber Arvid nahm es gelassen hin. Er war ein Same, daher die Ruhe in Person, und jede Arbeit, die man umgehen konnte, diente nur der eigenen Ruhe, nur ja keine Hektik.

Und so fuhren sie eine Stunde später auf der Schnellstraße 61 in Richtung Fähre von Suldesund nach Heried und Brandal, das waren gerade mal 38 km. Und sie hatten Glück, als sie ankamen war gerade eine Fähre eingelaufen, die dann nach 30 Minuten wieder zurückfahren würde.

Arvid kaufte am Stand eine Fahrkarte für das Auto und eine für Anna und sich selbst, während Anna den BMW inzwischen an das Ende der Warteschlange gestellt hatte.

Dreißig Minuten später waren sie schon auf See. Die Überfahrt dauerte wieder dreißig Minuten. Das Wetter war zum Glück nur leicht bedeckt, und in der Nacht hatte es kaum geschneit. Es war das typische Matschwetter mit grauem Himmel.

Sie kamen im Industriehafen von Hareid an und fuhren wieder vom Schiff. Nun hatten sie noch 12 km bis hinein nach Brandal. Am Hotel „Sagan“ fuhren sie auf den Parkplatz und meldeten sich an der Rezeption. Es war so ein typisches kleines Hotel für Feriengäste mit Kindern. Alles ziemlich einfach, aber auch gemütlich. Nachdem sie ihre Zimmerschlüssel in Empfang genommen hatten, gingen sie hoch in ihre Zimmer und verabredeten sich in einer halben Stunde im Speiseraum des Hotels.

Oben angekommen, las Anna zuerst mal den Bericht, den ihr Magnusson in die Hand gedrückt hatte, und der wiederum schockierte sie einigermaßen.

Lönneberg wurde vor drei Jahren von der Abwehr beobachtet, und dieser Andersson war einst Verbindungsmann der „Tramanen“, einer völkisch rechten Gruppe. Hielt sich auch zeitweilig in Deutschland auf und hielt auch Kontakt zu der Neonazigruppe „Bürger in Wut“ in Bremen. Dazu musste er Kontakte zu Braivik gehabt haben. Und der Anderson war strammer Rechtsnationaler, mit Kontakten zu den Nazis in den USA. War dort in einem Ausbildungslager, später dann aber untergetaucht. Anna griff zum Handy und rief Arvid an.

„Arvid, ich ziehe mich kurz um, dann rufe ich diesen Jacobson an, und wir treffen uns erst mal hier im Hotel mit ihm und werden sehen wie es dann weitergeht.“ Sie sah sich kurz um. „Typisch Hotelzimmer“, dachte sie. Tatsächlich war es auch so. Ein Bett, ein zweitüriger Schrank, eine Kommode, ein kleiner Schreibtisch mit Stuhl und ein kleiner Flachbildfernseher, welcher auf der Kommode stand neben einem Telefon. Das Bad ebenfalls einfach und ohne viel Esprit. Eher wie eine Jugendherberge.

Sie setzte sich auf das Bett und rief an. Jacobson meldete sich sofort und versprach in 15 Minuten im Hotel zu sein. Mit einem kurzen Blick in den Spiegel überprüfte sie noch einmal ihr Aussehen und wandte sich dann zum Gehen.

Im Speisesaal trafen sie wenig später auf Kommissar Jacobson. Nach kurzer Begrüßung legte der zwei Fotos auf den Tisch. Darauf waren unverkennbar der massige Lönnequist und der etwas schlaksige Adam Andersson zu sehen. Einmal saßen sie vor einem Cafe in der Sonne, einmal standen sie am Hafen am Fahrkartenschalter. Anna begann zu lächeln.

„Das also sind unsere Freunde! Und wo sind die jetzt?“ Jacobson griff zum Telefon und wählte kurz. Sprach kurz, dann nickte er und beendete das Gespräch.

„Sie sind wieder unten am Hafen. Wir sollten zugreifen bevor sie uns abhauen. In einer Stunde geht eine Fähre nach Bergen ab.“ Anna schüttelte bedauernd den Kopf.

„Mit Zugreifen wird im Moment leider nichts! Wir sollen sie beobachten, um heraus zu finden, was die Beiden vorhaben. Erst dann greifen wir zu!“ Jacobsson war enttäuscht. Er hatte geglaubt nun endlich mal zwei Gangster in seiner Polizeikarriere festnehmen zu können, und nun war damit wieder Essig. Er ärgerte sich insgeheim über die Oberkommissarin aus Alesund, die so selbstsicher auftrat, als wenn sie die Gottesmutter persönlich war.

Sie beschlossen zum Hafen zu fahren. Und so fuhren sie mit dem BMW, weil Jacobsons Fiat ein fest montiertes Blaulicht auf dem Dach hatte, welches im Moment eher hinderlich war, wenn man jemand beobachten wollte.

Zehn Minuten später kamen sie am Hafen an und sahen sich um. Ihre beiden Kandidaten lungerten tatsächlich am Kai herum und rauchten. Plötzlich kam ein dritter hinzu und begrüßte sie.

Arvid Ragnarson machte schnell ein Foto mit dem Handy. Doch im gleichen Augenblick als Arvid den Auslöser drückte, sah Adam Anderson zu ihnen herüber und starrte ihn an. Dann sagte er etwas zu seinen beiden Kumpanen. Unvermittelt sprangen alle drei in ein Boot mit zwei Außenbordmotoren und preschten wenig später vom Kai weg hinaus in den Fjord! Anna schimpfte leise mit Arvid. Jacobson hob die Schultern wie zur Entschuldigung.

„Ja, an ein Boot haben wir nicht gedacht. Wir hätten aber derzeit auch keins zur Verfolgung“, bekannte er belämmert. Anna musste sich auf die Lippen beißen. Die hatten die beiden Gauner mit zwei Mann von der Schutzpolizei und mit einem Privatauto aus gut 200 m Entfernung beobachtet, aber sonst keinerlei Vorkehrungen getroffen. Aber wie kindisch war das denn! Das war in ihren Augen purer Dilettantismus in reinster Form. Anna nahm sich zusammen, um nicht ausfallend zu werden. Arvid blickte mit versteinerter Miene hinaus auf den Fjord. Anna schaute Jacobson grimmig an.

„Und wo haben die Beiden denn in den letzten Tagen logiert?“ Der Kommissar aus Bradal zeigte hinüber zu den Speichern.

„Da drüben gibts eine Kneipe, der Wirt vermietet ab und zu.“ Anna nickte und marschierte einfach wortlos vor den beiden Männern her über den Platz. Und wieder schüttelte Jacobsson mit dem Kopf. „Was dachte sich diese Tussi eigentlich? Doch ihr Kollege schien das klaglos hinzunehmen, wie es aussah.“

In der Kneipe war zu diesem Zeitpunkt nicht viel los, als sie eintraten. Anna sprach den Wirt an und zeigte ihm das Foto von den beiden Gaunern.

„Wohnen die beiden hier bei Ihnen?“ Der Wirt grinste sie zunächst erst mal breit an.

„Wer will denn das wissen?“, fragte er kess zurück und grinste Anna unverhohlen an. Die hielt ihm ihren Dienstausweis unter die Nase.

„Also? Wohnen die hier?“, fragte sie erneut, diesmal etwas harsch. Der Wirt schluckte erst, dann nickt er.

„Ja, schon seit zwei Tagen. Bei Tag sind sie unterwegs, abends gegen Acht sind sie jedes Mal wieder da“, erzählte er auf einmal bereitwillig.

„Wir möchten uns die Zimmer ansehen!“, legte Anna nach. Der Wirt hob die Schultern.

„Ohne Durchsuchungsbefehl oder wie das heißt?“ Anna hob die Augenbrauen, nickte leicht und meinte dann leise:

„Ohne, und jetzt sofort. Ansonsten schließen sie den Laden zu, kommen mit aufs Revier und wir reden dort weiter. Also?“ Wortlos griff er zum Schlüsselbrett, nahm die zwei Schlüssel ab und drückte sie Anna wortlos in die Hand.

Jacobsson schien von jetzt ab von Annas Resolutheit beeindruckt zu sein. Aber es kam noch schlimmer. Arvid tippte ihn an.

„Sie bleiben hier unten mit einem Blick auf den Wirt und den Rest der Leute. Wir gehen mal schnell hoch. Klar!“ Kommissar Jacobsson schluckte erst zweimal, ehe er wortlos nickte. Na die trauten sich was, behandelten ihn hier wie einen Dorfpolizisten. Er nahm sich vor, sich zu beschweren.

Oben angekommen, gab Anna Arvid einen Schlüssel. Der grinste und schloss ein Zimmer auf. Er hatte sich längst daran gewöhnt, dass er seine Befehle von einer Frau bekam. Und da er ihr innerlich zugetan war, nahm er es gelassen hin, genau wie den Anschiss vor wenigen Minuten am Kai.

Anna trat ein und machte Licht, dann sah sie sich um. Hier sah es wesentlich schlechter aus als wie bei ihnen im Hotel. Der Fernseher war noch aus früheren Jahren, die Möbel waren noch älter. Die Tapete mindestens 20 Jahre alt. Sie durchstöberte Schrank und Schreibtisch, fand aber nichts. Auf der Kommode stand eine Reisetasche. Als sie Anna öffnete pfiff sie durch die Zähne. Ein Päckchen, etwa 500 Gramm schwer, gut verpackt, eine Mauserpistole mit Ersatzmagazin und eine Schachtel Patronen. Und dann entdeckte sie ganz unten in der Tasche eine kleine Schachtel mit drei Ampullen aus Glas. Daneben ein Spritzenbesteck und eine Flasche mit einer Injektionslösung. Sie fotografierte alles fein säuberlich. Einen Moment überlegte sie, ob sie nicht doch eine der Glasampullen an sich nehmen sollte als Beweisstück. Doch dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Im Ernstfall konnten die sich rausreden, dass es nicht aus ihrem Besitz wäre. Und damit wäre es als Beweismittel unbrauchbar. Sie packte alles wieder an seinen Platz und verließ das Zimmer. Draußen stand schon Arvid und schüttelte den Kopf.