Mord am Polarkreis - Hans-Peter Ackermann - E-Book

Mord am Polarkreis E-Book

Hans-Peter Ackermann

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Beschreibung

Als die Hamburger Reporterin Carmen Weißgerber den Auftrag erhielt, bei einem aktiven Araber-Clan zu recherchieren, hätte sie nie gedacht, dass dieser Auftrag ihr ganzes Leben verändern würde. Als sie in Gefahr gerät und untertauchen muss. Schickt sie ihr Freund Oberkommissar Rolf Ludwig nach Norwegen. Dort erhält sie eine neue Identität und wird bei der örtlichen Polizei eingestellt. Doch der Araber-Clan stöbert sie auch in Norwegen auf, als sie hilft, eine Autoschieber-Bande dingfest zu machen. Unter Lebensgefahr gelingt es Oberkommissar Arvid Ragnarson mit Carmens Hilfe die Bande dingfest zu machen. In Alta lernt sie dann den Polizisten Magnus kennen und verliebt sich in ihn. Wird Carmen nun in Norwegen bleiben?

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Inhaltsverzeichnis

Seltsame Verwicklungen

Eine Spur führt nach Deutschland

Rückschau in Deutschland

Carmen geht kellnern

Kleiner Kurztrip an den Polarkreis

Eine neue Spur

Erster Auftrag für Carmen alias Astrid

Carmens Umzug nach Trollevia

Lebensgefahr für Magnus Andersen

Eine Gefahr braut sich zusammen

Verdeckte Ermittlungen

Seltsame Verwicklungen

Als das Telefon im Flur zu plärren anfing, schreckte der Kriminaloberkommissar Arvid Ragnarson aus dem Schlaf hoch, suchte schlaftrunken nach seinen Pantoffeln und schlich sich dann eiligst aus dem Schlafzimmer. Doch kaum hatte er die Schlafzimmertür hinter sich zugezogen, plärrte auf einmal ein Baby los. Verzweifelt schüttelte er den Kopf und verdrehte die Augen.

„Das gibt’s doch nicht! Vor drei Stunden endlich eingeschlafen und nun brüllt sie schon wieder!“, schimpfte er leise vor sich hin, hob den Hörer des Telefons ab und meldete sich. Am anderen Ende der Leitung war der Diensthabende.

„Hi Chef, wir haben eine Leiche zwischen dem Nacht-Club „Scandic“ und dem Ufer gefunden. Muss eine der bezahlten Damen sein, die dort in der Bar verkehren. Ich denke mal, es ist bestimmt eine Bekannte von uns.“ Arvid Ragnarson nickte.

„Gut Jensen, ich komme gleich. Tschau!“ Arvid Ragnarson sah auf seine Armbanduhr. Sie zeigte 4.45 Uhr an. Er schüttelte wieder den Kopf.

„Müssen die Leute denn jedes Mal zu nachtschlafender Zeit ihre Leichen finden, verdammt nochmal!“, fluchte er leise. Plötzlich aber stutzte er. Ohne es richtig wahrgenommen zu haben, hatte das Babygeschrei aufgehört, und war einem beachtlichen Schmatzen gewichen.

Vorsichtig öffnete er wieder die Schlafzimmertür und sah hinein. Tatsächlich, Prinzessin Goldhaar Solveig nahm ihr erstes Frühstück zu sich und schmatzte genussvoll. Mama Anna Ragnarson lächelte ihren Mann mit müden Augen an. „Was gibt’s denn wieder?“, fragte sie. Arvid winkte ab und begann sich anzuziehen.

„Eine weibliche Leiche am Nachtclub „Scandic“. Ich hoffe, ich bin zum Frühstück wieder zurück.“ Er gab seiner gähnenden Frau einen kurzen Kuss und danach auch der kleinen Prinzessin.

„Schlaft noch ein Stück, ihr beiden! Papa geht Geld verdienen. Tschau!“ Sprach‘s, winkte beiden nochmals zu und verschwand dann hinter der Tür. Anna lehnte sich zufrieden lächelnd in ihr Kissen zurück.

„Vor einem Jahr wäre sie jetzt auch in die Kleider gehüpft, hätte sich ins kalte Auto gesetzt, um an den Tatort zu fahren.

Alles hatte eben seine Vor- und Nachteile. Seit der Geschichte mit diesem Adam Andersson damals war sie jedoch nicht mehr die Alte. Immer und überall witterte sie Gefahren für die Familie und ihren Mann.

Sie sah auf ihr Handy auf dem Nachttisch, es war schon der 24. November. Noch vier Wochen dann war Weihnachten. Das erste Weihnachten für ihre kleine Solveig, die inzwischen schon wieder am Daumen lutschte und schlief. Anna löschte das Licht und drehte sich noch einmal um. Wenig später war auch sie wieder eingeschlafen.

Als Kriminaloberkommissar Ragnarson am Tatort ankam, wimmelte es dort schon von Beamten. Er passierte ein Absperrband und ging auf eine Gruppe von vier Leuten zu, die um eine am Boden liegende Frau herumstanden. Die Dame war nur halb angezogen, was in dieser Kälte in der Nacht sicher auch sonst den Tod bedeutet hätte. Sie lag in einer Schneemulde. Im Moment waren es gute Minus 10 Grad Celsius, also noch ziemlich warm für die Verhältnisse oberhalb des Polarkreises. Die Leute von der KTU sicherten Spuren und Doktor Nielsson hatte gerade eine kurze Untersuchung der Leiche abgeschlossen. Er sah Arvid mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Arvid, wenn du mich fragst, in Anbetracht der Kälte heute Nacht, ist sie etwa zwischen 1.00 Uhr bis 2.00 Uhr erwürgt worden, nachdem sie Geschlechtsverkehr hatte.“

Oberkommissar Ragnarson schüttelte sich leicht und zog den Kragen der Joppe etwas höher.

„Sex bei der Kälte? Könnte sie nicht auch im Hotel gewesen sein und dort ihren Job gemacht haben?“ Der Doktor hob die Schultern an.

„Könnte natürlich auch so gewesen sein, aber warum liegt sie dann hier halb nackt herum?“ Ragnarson lachte gequält:

„Na vielleicht war es ein Slip Sammler, das soll es ja auch geben.“ Der Doktor schüttelt den Kopf.

„Na du hast vielleicht eine Phantasie, Arvid! Wie gehst‘s eigentlich deinen beiden Frauen?“ Arvid winkte ab:

„Lady Solveig treibt uns zurzeit des Nachts in den Wahnsinn. Wir liegen kaum im Bett, fängt sie an zu brüllen. Und ein Organ hat das Bündel! Wenn das mal so bleibt, tut mir der Kerl, der sie mal kriegt, jetzt schon leid. Selbst meine Eltern im Nachbarhaus hören sie ab und zu.“ Er deutete auf die Tote. „Wann kannst du mir was Genaueres zu der Dame hier sagen?“ Doktor Nielsson sah auf seine Armbanduhr.

„Sagen wir so gegen Elf, Herr Oberkommissar?“ Arvid nickte. „Okay Doc, ich komme gegen Elf zu dir in die Metzgerei“, erwiderte Arvid trocken und verabschiedete sich. Er sah sich kurz um. Um diese Zeit würde er im Hotel auch an der Rezeption kaum jemand antreffen. Und so stieg er leise pfeifend wieder den Hang empor, um zu seinem Wagen zu gelangen, fuhr nochmal nach Hause und freute sich so auf sein vorgewärmtes Bett.

Dort angekommen schlich er sich leise vom Flur in das elterliche Schlafgemach. Die Kleine schlief und Anna schien ebenfalls zu schlafen. So leise es ging, schob er sich unter das Zudeckbett seiner Gemahlin. Die blinzelte ihn kurz an, rutschte etwas beiseite und Arvid kuschelte sich an ihre Rückseite. Plötzlich fuhr er hoch. Das Geräusch einer kleinen Kreissäge hatte ihn wieder wach gemacht. Nur dass diese Kreissäge mit Händen und Füßen strampelte und zusehends die Gesichtsfarbe wechselte.

Kurz entschlossen sprang Arvid aus dem Bett, nahm das kleine brüllende Bündel an sich und ging zurück in sein Bett. Dann

legte er die Kleine auf seine Brust – und siehe da, sie schwieg plötzlich, wobei sie Töne von sich gab, als wenn sie Arvid was erzählen wollte. Er streichelte das kleine Köpfchen mit den roten Haaren, küsste die Stupsnase und wiegte das Baby ganz leicht hin und her.

Als er wieder aufwachte und die Augen aufschlug, lag Klein Solveig immer noch auf seiner Brust und schlief. Es roch nach Kaffee und die Tür des Schlafzimmers ging langsam auf. Anna sah herein, lachte leise und flüsterte:

„Komm aufstehen! Das Frühstück ist fertig.“ Vorsichtig legte Arvid die Kleine in das freie Bett neben sich, stand leise auf und folgte Anna in die Küche. Nebenbei sprachen sie über die Tote, die man gefunden hatte. Anna stutzte einen Moment.

„Ist das so eine aufgedonnerte Blondine mit schwarzen Lederklamotten?“ Arvid nickte erstaunt.

„Kennst du die?“, fragte er. Anna lächelte ziemlich verhalten.

„Na diese Damen zu kennen, wäre nicht unbedingt für meinen guten Ruf förderlich. Aber ich glaube, sie ist eine von Lundgreens Zugpferden. Den hatten wir doch schon mal im Visier mit seiner Bar. Und da war damals diese Blonde auch dabei. Ich weiß aber nicht mehr, wie sie heißt.“

Arvid schob die Kaffeetasse beiseite und sah auf die Uhr.

„Schatz, ich muss wieder los! Aber ich glaube, du hast mir heute schon prima geholfen. Also dann, bis heute Abend, meine Mädels. Passt auf euch auf!“ Mit einem Kuss für jede verließ er die Wohnung und fuhr zurück ins neue Präsidium.

Als er dort ankam, griff er zum Telefon und rief den Doc an.

Der lachte schon als sich Arvid meldete.

„Habe ich mir schon gedacht, also komm runter!“ Arvid machte sich auf den Weg in den Keller, wo der Doktor mit seinen Kühlschränken untergebracht war. Als er eintrat, deutete Doktor Nielsson auf die Tote, die zugedeckt auf dem Tisch lag.

„Also mein Freund Arvid, die Dame heißt Eileen Monty, ist eine Kanadierin und hatte, bevor sie starb, nochmal schön Sex gehabt. Anschließend aber wurde sie erwürgt, aber niemals dort, wo wir sie gefunden haben.“ Arvid nickte.

„Anna hat gemeint, sie sei eine von Lundgreens Hühnern, sein Zugpferd, und immer dann im Einsatz, wenn es um ein großes Ding geht.“ Der Doktor nickte.

„Auf jeden Fall hatte sie reichlich Sekt und ein paar Pillen geschluckt. Und Sperma gab‘s auch reichlich, eigentlich sehr ungewöhnlich bei solchen Damen, die nur mit Gummi arbeiten.“

Arvid bedankte sich und ging wieder nach oben. Kurz entschlossen griff er zum Telefon und rief den Staatsanwalt an.

Staatsanwalt Petterson hörte geduldig zu, dann segnete er Arvids Plan ab. Ein zweites Gespräch brachte die halbe KTU auf die Beine, die dann eine halbe Stunde später am Hotel „Scandia“ vorfuhr. Mit insgesamt acht Kollegen marschierten der Doktor und Arvid an der Rezeption vorbei und gingen in Richtung Bar und Kellerräume.

Die Diensthabende an der Rezeption griff mit zitternden Fingern zum Telefon und rief ihren Chef an. Dieser stand dann fünf Minuten später wutschnaubend vor Arvid und fauchte ihn an:

„Was fällt Ihnen ein, hier mit so einem Aufgebot einzudringen! Ich werde mich über Sie beschweren!“

Lundgreen mit der Figur eines Preisboxers bebte vor Wut, doch Arvid hielt ihm seinen Dursuchungsbeschluss vor die Nase.

„Was regen Sie sich denn so auf? Wir klären doch nur auf, wie Ihre Angestellte Eileen Monty ums Leben gekommen ist.“

Lundgreen war auf einmal wie erstarrt, und stammelte:

„Was sagen Sie da? Monty ist tot? Wieso denn das? Was ist passiert?“ Arvid war geneigt, die Erschütterung dieses Lundgreen zu glauben und klärte ihn zunächst darüber auf, wann und wo man die Monty gefunden hatte.

„Und wieso suchen Sie dann hier in der Bar?“, fragte der zurück. Arvid lächelte.

„Weil der Fundort der Leiche nicht ihr Sterbeort ist, daher suchen wir jetzt auch hier unten. Wann haben Sie die Dame das letzte Mal gesehen?“ Lundgreen dachte nach.

„Gestern Abend so gegen 23.30 Uhr hier in der Bar. Drei Geschäftsleute hatten Sie gemietet. Alle drei waren Araber, sie waren gerade dabei, in die Lounge zu gehen.“

Arvid merkte auf: „Was ist die Lounge?“ Lundgreen grinste verhalten.

„Na hier in der Bar ziehen sich die Herrschaften doch ungern aus, können Sie sich doch vorstellen. Sie haben zwei Flaschen Sekt mitgenommen, eine Handvoll Pariser, und dann habe ich sie nicht mehr gesehen bis zum Schluss.“ Arvid sah seinen Gesprächspartner merkwürdig an.

„Und wann ist hier Schluss?“ „Pünktlich drei Uhr, Herr Kommissar“, antwortete Lundgreen.

Plötzlich rief man nach Arvid. Er eilte aus der Bar in die „Lounge“, wo seine Leute gerade mit Blaulicht einen großen Blutfleck markierten. Der Doc nahm eine Probe davon. Arvid machte auf dem Absatz kehrt und eilte in die Bar zurück, um Lundgreen noch zu erwischen. Er traf ihn bei der Abrechnung der Kasse vom Vorabend.

„Lundgreen, ich brauche sofort die Namen dieser drei Araber!“ Der Barbesitzer sah ihn erschrocken an.

„Haben die Monty gekillt?“, fragte er sichtlich geschockt. Sie gingen gemeinsam zur Rezeption hoch. Lundgreen rief die Rezeptionistin herbei.

„Britta, gib mir mal die Namen und Zimmernummern der drei Araber, die gestern Früh eingecheckt haben.“ Die junge Dame zuckte bedauernd mit den Schultern und sah ihren Chef etwas nachdenklich an.

„Die haben heute Früh gegen 6.00 Uhr bereits bezahlt und das Haus verlassen. Hier sind die Namen der drei.“ Sie reichte Arvid den Zettel und der las laut:

„Abdul Baradaneh, Halil Nejem und Yussuf Karimi.” Er sah sich kurz um. Irgendwo musste ein Fahrplan hängen, entweder von den Schiffen oder dem Busterminal. Als er nachgeschaut hatte, fluchte er leise. Er sah die Rezeptionistin fragend an:

„Waren die vielleicht mit dem Auto hier?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nein, ein Taxi hat sie abgeholt.“

Arvid grüßte kurz und verließ das Hotel. Diese drei Araber waren garantiert schon weg. Denn um 7.30 Uhr fuhr ein Bus von Alta weg und eine halbe Stunde später zwei Fähren, eine nach Süden und eine nach Norden. Jetzt war es 14.00 Uhr und er war zu spät gekommen. Verdammt, wäre er heute Früh sofort hierher gegangen, hätte er die drei vielleicht noch erwischt, aber nun war es zu spät.

Wieder im Büro angekommen schaltete er den Computer an und begann mit der Suche. Zunächst bei Interpol, aber da fand er nichts. Dann beim hiesigen Geheimdienst und da fand er einen Hinweis auf Abdul Baradaneh. Der Kerl war aus Hamburg, also aus Deutschland. Zuerst führte er ein Café und dann ein Autohaus. Arvid druckte die Info aus. Von Halil Nejem fand er nichts, dafür aber von Yussuf Karimi. Der war in Paris gemeldet, also in Frankreich. Arvid schrieb zwei Anfragen, eine schickte er an die Polizei nach Hamburg, die andere an die Polizei nach Paris und bat um Amtshilfe, nachdem er sich das Okay vom Staatsanwalt geholt hatte. Grübelnd saß er am Schreibtisch. Die Monty hatte auf jeden Fall den Abend und wohl auch die Nacht mit den drei Arabern verbracht. Aber was war dann geschehen? Seine neue Assistentin Elin Gunnarson trat ein und legte ihm den Bericht der KTU auf den Tisch. Arvid bedankte sich.

„Setz dich bitte, Elin. Was haben eure Befragungen gebracht?“ Die blonde, schlank gewachsene junge Frau nahm einen kleinen Notizblock zur Hand und blätterte darin.

„Also eigentlich nicht viel. Die Putzfrau, die schon früh als erste da war, sagte aus, sie habe im Büro von Lundgreen einen heftigen Streit gehört, das muss so gegen 6.00 Uhr gewesen sein, als sie ihren Dienst antrat. Gesehen hat sie den Mann nicht mit dem Lundgreen gestritten hat nicht, aber der Mann war ein Ausländer.“ Elin Gunnarson blätterte eine Seite weiter.

„So, hier wird‘s interessant. Im Nachbarhaus gegenüber vom Hotel hat der Rentner Peer Christiansen gegen 3.00 Uhr aus dem Fenster geschaut, als er auf der Toilette war. Und da hat er eine Frau im roten Mantel und einen Mann mit einem dunklen Anorak gesehen. Der Kerl wollte der Frau an die Wäsche und die wehrte sich. Dann schlug er zu, sie fiel hin und der Kerl zog sie in den Hauseingang. Dann sah er nix mehr und er ging wieder zu Bett. Das war alles, Chef!“ Arvid Ragnarson dachte kurz nach, nickte dann und meinte:

„Na gut, durchleuchten wir mal die Beziehungen von Lundgreen und den drei Arabern. Mal sehen, ob wir da etwas Brauchbares finden.“

Zwei Tage später wussten sie, dass diese drei Araber nicht nur Hotelgäste, sondern auch Geschäftspartner waren. „Baradaneh hatte Lundgreen einen Bentley Continental GT im Wert von 195.000 Euro verkauft. Frage – woher hatte Lundgreen so viel Geld? Zweite Frage – was hatte die Monty damit zu tun?“

Arvid diskutierte beim Abendbrot mit Anna darüber. Sie hatten das so eingeführt, um Anna das Gefühl zu geben, dass sie nicht völlig aus dem Dienst raus war. Arvid wusste, dass es ein zweischneidiges Schwert war, aber Anna fühlte sich wohl dabei, was man ihr ansah.

„Schatz, ich sage dir, wenn wir bei Lundgreen alles umgraben, dann werden wir noch ganz andere Sachen finden.“ Arvid musste lächeln, denn sie hatte „wir“ gesagt. Doch er nahm es gelassen und nickte.

„Gut, ich werde morgen das Finanzamt aufsuchen und mich mal schlau machen. Alles, was wir zusammentragen, listest du schon mal schön säuberlich auf.“ Anna sah ihren Mann mit zusammengekniffenen Augen an.

„Arvid, du meinst auch, wenn du mir ein paar Brocken zukommen lässt, nerve ich dich weniger, stimmt das?“ Sie stand hinter ihm und legte ihre Arme um seine Schultern. Ihr Mund berührte sein Ohr. „Sei ehrlich, Arvid“, bat sie. Er lehnte seinen Kopf an den ihren.

„Ach Schatz, ich weiß doch genau, dass du hier den ganzen Tag zu Hause verrückt wirst, mal abgesehen von der Arbeit, die Solveig macht. Aber du fühlst dich eben nicht ausgelastet, das weiß ich. Also, was soll ich denn machen, hm?“

Sie ließ Arvid wieder frei und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Einen Moment schwiegen sie, dann sagte Anna:

„Was meinst du? Wenn ich nicht mehr stillen muss, könnte ich schon wieder stundenweise arbeiten?“ Sie sah Arvid fragend an, und war sich eines Anpfiff gewiss. Doch der sah sie mit einem Mal an und lächelte breit.

„Du kannst sogar stillen und stundenweise arbeiten. Wir richten dir ein Büro so her, dass du auch mal ganz schnell die Windeln wechseln kannst. Aber wie gesagt – nur ein paar Stunden, wenn es brennt und wir viel Arbeit haben. Was meinst du dazu?“ Anna sprang auf, sauste um den Tisch herum und landete auf Arvids Schoß. Sie umarmte ihn glücklich.

„Ich meine, du bist der beste Chef und der noch bessere Ehemann! Dazu brauchen wir aber ein zweites Auto.“ Arvid nickte. „Gut, das kriegst du auch. Dann sehe ich dich wenigstes wieder lachen“, setzte er noch schmunzelnd hinzu.

Und während am zukünftigen Arbeitsplatz von Anna in der Polizeischule noch gewerkelt wurde, bezog sie ein kleines helles Büro in Alta, mit allem, was das Herz begehrte. Und nachdem sie herausgefunden hatte, warum Solveig immer so gebrüllt hatte, war diese Gefahr auch gebannt. Fräulein Solveig wollte nur auf Mamas oder Papas Brust ein wenig ruhen. Und so hatten sie sogar eine Liege in das Büro gestellt bekommen und einen Kocher, mit dem man die Mahlzeiten warm machen konnte. Anna war überglücklich und das merkte man ihr jeden Tag an.

Eine Spur führt nach Deutschland

Lundgreen saß seit einer Woche in Untersuchungshaft. Der Grund waren seine Geschäfte am Finanzamt vorbei mit dem Araber-Clan. Das schlug ein wie eine Bombe. Und erstaunlicherweise kamen plötzlich Anfragen aus dem Rathaus von Alta, aus der Staatskanzlei und dem Innenministerium, also auch von dort, wo Raik Larsons Vater tätig war. Raik Larson und die Ragnarsons hatten den Kontakt nie abreißen lassen, nachdem der Fall des Adam Anderson abgeschlossen war.

Arvid lief rasch rüber in das Büro seiner Frau Anna. Die war gerade dabei, die kleine Solveig zu wickeln. Offenbar war Miss Ragnarson heute guter Laune, weil sie Arvid sofort anlachte, als er auftauchte. Und schwupps hatte er seinen Liebling auch schon auf dem Arm und alberte mit ihr herum. Anna saß am Schreibtisch und sah es mit Freude, wie Mann und Kind zusammen Spaß hatten.

„Wolltest du nur eine kleine Spielrunde einlegen, Chef? Oder gibt‘s einen dienstlichen Grund für deinen Besuch?“, erinnerte Anna ihren Gatten an seine Pflichten als Chef. Doch Arvid lachte ausgelassen.

„Wir werden das ändern. Ich beantrage eine Freistellung und du gehst zum Dienst in Zukunft“, scherzte er mit seiner Frau und legte die Kleine wieder in ihren Wagen.

„Aber im Ernst, würdest du für mich mal in Hamburg bei einem Oberkommissar Ludwig anrufen, mein Englisch ist nicht gerade das Beste“, bat er Anna. Doch die lachte herzhaft:

„Liebling, hast du es schon vergessen? Ich spreche auch ziemlich gut Deutsch.“ Arvid grinste wie ein Schelm. „Wusste ich doch, also rufst du mal an?“ Anna nickte und nahm den Zettel mit der Telefonnummer zur Hand.

„Rolf Ludwig heißt also der Leiter in Hamburg. Gut, ich werde ihn mal anrufen. Mal sehen, was der von diesem Herrn Baradaneh weiß.“

Sie griff zum Telefon und wählte. Es dauerte eine Weile, dann knackte es und eine männliche Stimme meldete sich:

„Ludwig, Dezernat Raub und Kapitaldelikte.“ Anna holte tief Luft. „Hallo! Anna Ohlson – oh entschuldigen Sie, natürlich Anna Ragnarson. Ja, ich habe erst vor einiger Zeit geheiratet und da passiert es eben noch, dass ich die Namen verwechsle.“ Während Anna sprach, verdrehte Arvid die Augen, und hielt sich den Kopf, so dass Anna lachen musste.

„Also Herr Oberkommissar, wir haben hier ein Problem mit einem in Hamburg ansässigen Abdul Baradaneh, einem Araber.

Wir ermitteln in einem Todesfall und hätten gerne ein paar Auskünfte, was dieser Herr bei ihnen so treibt.“

Der Gegenüber lachte und mit charmanter Stimme, die Anna sofort ins Ohr ging, erklärte er schnell ein paar Dinge, die mit diesem Araber im Zusammenhang standen.

„Ich schicke Ihnen am besten per Telefax Auszüge aus seiner Akte zu, und wenn Sie noch Fragen haben, können Sie mich jederzeit wieder anrufen. Ich notiere mir mal ihre E-Mail-Adresse und schicke Ihnen gleich etwas zu. Grüßen Sie Ihren Chef von mir! Tschau!“ Anna legte auf und musste lachen.

„Ich habe extra noch daran gedacht, wenn du telefonierst, verwechsle ja die Namen nicht. Und dann passiert es mir doch. Aber der Kollege Ludwig scheint mir ein angenehmer Zeitgenosse zu sein. Was meinst du?“

Arvid nickte. „Und? Was hat er gesagt? Ich kann kein

Deutsch.“ Lachend gab Anna die Information weiter und man war gespannt auf das, was Hamburg ihnen da schicken würde.

Eine gute Stunde später druckte sie einige Seiten aus, nahm sich die Papiere vor und begann zu lesen. Und je länger sie las, umso mehr legte sich ihre Stirn in Falten. Sie griff wieder zum Telefon und bat Arvid zu sich.

„So mein Lieber, das sind zehn hochbrisante Seiten aus Hamburg. Dieser Baradaneh-Clan mischt überall mit, wo es kriminell zugeht. Nachtclubs, Autohandel, Mädchenhandel und Betäubungsmittel, also das volle Programm!“ Arvid hatte Annas Übersetzungen zur Hand genommen und las alles durch. Als er fertig war, meinte er:

„Gegen den war Anderson ein Waisenknabe, das sage ich dir. Wir müssen sofort den Staatsschutz einschalten.“ Anna begehrte plötzlich auf, erhob sich und lief auf und ab.

„Bist du noch bei Sinnen, Arvid!“, flüsterte sie mit einem Blick auf Solveig.

„Das ist genau das Klientel, mit dem ich mich bald herumschlagen muss, wenn ich wieder voll einsteige in den Dienst.

Also genau die richtige Übung. Wir machen das selbst und du hilfst mir dabei. Oder was meinst du?“

Arvid war zunächst sprachlos, stand auf und ging wortlos aus dem Raum. Anna setzte sich hin und holte tief Luft. Wie es aussah, hatten sie nun ihren ersten Ehekrach – im Dienst.

Sie packte ihre Sachen zusammen, nahm den Wagen, in dem Solveig schlief und verließ ihr Büro, um nach Hause zu fahren.

Sie wusste genau, dass sie überzogen hatte. Einerseits tat es ihr leid, andererseits wusste sie aber, dass dies der beste Einstieg für sie sein konnte. Man musste nur genau überlegen und die Arbeit gut aufteilen. Reisen würde sie nicht machen können wegen der Kleinen, das stand fest. Und so überlegte sie, wie sie

Arvid überzeugen konnte.

Als erstes aber rief sie ihren zukünftigen Chef, Oberst Falk Haugland, an und erklärte ihm die Lage. Der Oberst war knapp an die sechzig und hörte geduldig zu. Als Anna fertig war, lachte er leise:

„Also, meine liebe Frau Ragnarson, im Grunde stimme ich Ihnen ja zu. Sie haben meine vollste Unterstützung, was immer Sie auch tun, aber besprechen Sie es bitte mit Ihrem Gatten. Er ist in diesem Fall zwar nicht Ihr Chef, könnte sich aber von Ihnen hintergangen fühlen. Das wäre nicht gut für unsere Zusammenarbeit. Wenn Sie also Hilfe brauchen, egal wobei, rufen

Sie mich einfach an!“

So, damit war klar, Anna hatte jemanden, der hinter ihr stand.

Gegen 18.00 Uhr kam Arvid nach Hause. Wortlos zog er sich um und setzte sich dann an den Tisch, nachdem er Solveig auf den Arm genommen hatte, die sofort mit seinem Bart spielte. So schwiegen sie sich zunächst eine Weile an, während Anna das

Abendbrot auf den Tisch stellte. Als Anna fertig war und sich an den Tisch setzte, legte Arvid die Kleine in ihr Schaukelbettchen. Er kam zurück zum Tisch, blieb hinter Annas Stuhl stehen und küsste plötzlich ihr Ohr und ihre Wange. Dabei lächelte er.

Anna atmete auf. Das sah schon mal gut aus, dachte sie. Er war ihr nicht mehr böse, wie es schien.

„Bist du mir noch böse?“, fragte sie ihn trotzdem. Arvid setzte sich und sah seine Frau an. Sein Blick ruhte in ihren grünen Augen, die so herrlich blitzten.

„Nein Schatz, ich bin dir nicht böse. Ich bin nur besorgt. Aber ich habe mir überlegt, dass du ja Recht haben könntest, und bin das Ganze mal durchgegangen. Du musst aber mit deinem zukünftigen Chef sprechen, und mit ihm abklären, was du schon darfst und was nicht, denn deine Abteilung gibt es ja noch nicht. Ich kann dich unterstützen, und wenn du nicht mehr stillen musst, könnte meine Mutter die Kleine stundenweise betreuen.

Ich will nicht, dass sie so zeitig nur wegen unserer Arbeit schon in die Kita muss.“

Anna sah Arvid nachdenklich an und Wasser stand in ihren Augen.

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein super Chef bist und ein noch besserer Ehemann?“, fragte sie ihn leise. Arvid grinste verlegen, doch dann nickte er und meinte:

„Ja, hat mir jemand gesagt, nämlich du eben, die beste und wunderbarste Frau und Kollegin!“ Anna lächelte dankbar.

„Also gut, wir machen einen Plan, was wir machen wollen und wie wir vorgehen, und wer was erledigen muss. Wenn es Außendienst gibt, musst du rausgehen oder jemand beauftragen, Chef! Außerdem hast du ja jetzt die hübsche Elin Gunarsson, die soll mal zeigen, was sie kann, außer blond sein und mit dem beachtlichen Hintern zu wackeln.“

Arvid lachte herzhaft: „Bist du etwa eifersüchtig? Aber die junge Dame ist gar nicht so übel im Dienst. Sie arbeitet sehr genau und zielorientiert, sie würde dir Freude machen.“

Anna sah ihren Gatten schmunzelnd an, nickte und meinte dann nur noch: „Na wir werden ja sehen.“

Und so war dieser Abend am Ende doch noch gerettet, auch wenn Anna ihrem Arvid nicht verraten hatte, dass sie ihren künftigen Chef bereits informiert hatte.

Was besonders Elin Gunarsson in den folgenden Tagen an Informationen zusammen trug, war schon beachtlich. Langsam bekam der Fall der toten Eileen Monty Konturen. Diese Dame hatte in den höchsten Kreisen verkehrt. Dies aber hatte zur Folge, dass sich Arvids Chef Oberst Pettersson am zweiten Tag bereits bei ihm meldete:

„Ragnarson, Sie müssen mir versprechen, vorsichtig an die Sache heranzugehen. Wir wissen noch nicht, wer da alles von den hohen Herren involviert ist“, gab er zu bedenken. Arvid nickte am Telefon gleichmäßig bis der Herr Oberst dann endlich fertig war. Polizeianwärterin Gunarsson sah es und musste lachen. Arvid legte auf und winkte ab.

„Lassen Sie sich niemals von diesen hohen Herren verunsichern Elin, die haben alle nur Schiss um ihre Pension. Im Grunde machen wir die Arbeit, riskieren unseren Hals und sie ernten dann die Lorbeeren.“ Die Polizeianwärterin sah ihren Vorgesetzten schmunzelnd an.

„Sie sind schon ein toller Chef muss ich sagen. Einige von den Kollegen hatten mich gewarnt, als ich ihnen erzählte, in welcher Abteilung ich eingesetzt würde. Aber ich fühle mich hier richtig wohl.“ Dabei sah sie Arvid mit ihren blauen Augen lachend an. Warum Arvid in diesem Moment aber gerade Anna einfiel, war ihm auch nicht klar. Er sah auf die Uhr.

„Elin, ich fahre jetzt mal für eine Stunde nach Hause, meine Frau hat heute was Leckeres gekocht.“ Die junge Frau nickte.

„Ist gut, Chef, Sie sind unterwegs, wenn jemand fragt“, erwiderte sie kurz und grinste. Arvid blieb an der Tür stehen und sah sie an.

„Wissen Sie was, kommen Sie doch einfach mit. Dann lernen

Sie auch gleich meine Frau kennen. Kommen Sie, wir fahren gemeinsam, sozusagen dienstlich raus.“

Als draußen der Wagen vorfuhr, sah Anna aus dem Fenster und stutzte. Wieso brachte Arvid denn seine Assistentin mit nach Hause? Sie musterte die langbeinige, schlanke junge Frau in ihrer eng sitzenden Uniform. Verspürte sie sowas wie Eifersucht? Sie schalt sich eine Närrin und ging zur Tür, welche sich gerade öffnete. Beide traten ein, und Elin sah sich im nächsten Moment der Frau des Chefs gegenüber. Doch sie fand die schwarzhaarige Schönheit sehr angenehm und begrüßte sie freundlich lächelnd, dann setzte sie sich auf den Stuhl, den ihr Anna am Tisch bereitgestellt hatte.

Es dauerte nicht lange und sie waren schnell bei der Arbeit, und ganz nebenbei erfuhr Anna, dass die Assistentin ihres Mannes einen festen Freund hatte. Insgeheim atmete sie auf. Als beide sich dann nach dem Essen wieder verabschiedeten, nachdem sie auch noch die Tochter des Chefs zu sehen bekommen hatte, war sich Elin sicher, mit dieser Anna gut auszukommen. Und umgekehrt war es genauso. Auch Anna hatte ein gutes Gefühl bei dieser jungen Dame und hatte sie sogar wieder eingeladen. Und noch einer war dabei mehr als beruhigt, und das war Arvid. Denn Anna hatte auch wirklich super reagiert.

Dann aber überschlugen sich die Ereignisse. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der Barbesitzer Lundgreen einen Geschäftspartner hatte, und der wiederum war den Behörden schon länger bekannt. Er handelte mit hochwertigen Autos. Und jetzt nahm das Ganze auch langsam Konturen an. Sicher arbeitete der Araber aus Hamburg mit dem hiesigen Händler zusammen. Arvid nahm sich vor, am nächsten Morgen diesem Thorssen einen Besuch abzustatten. Getreu dem Motto: „Mal sehen, was herausfällt, wenn man auf ein Fass klopft!“

Gemeinsam mit seiner Assistentin Elin fuhr Oberkommissar Ragnarson am nächsten Morgen nach Skaidi, das etwa 85 km von Alta entfernt war. Der kleine Ort mit nur knapp 600 Einwohnern hatte eine Tankstelle und ein Hotel. Bis zum Nordkap waren es noch rund 177 Kilometer.

Als sie dort ankamen, war nirgendwo eine Menschenseele zu sehen. Die Werkstatt der Tankstelle war allerdings geöffnet und zwei der Monteure bauten gerade an einem Auto. Auf die Frage nach dem Chef verwiesen sie die beiden Kriminalisten in die Bar gegenüber. Arvid gab Elin den Auftrag, sich mal rund um die Tankstelle umzusehen, während er den Chef der Tankstelle in der Bar suchte und auch fand.

Belle Thorssen saß mit zwei anderen neben dem Tresen und trank gerade seinen Morgenkaffee. Arvid trat hinzu.

„Guten Morgen! Sind Sie Belle Thorssen, der Chef der Tankstelle gegenüber?“, fragte er höflich. Der Glatzkopf, am Hals tätowiert mit je einer Spinne zu beiden Seiten, sah ihn kurz an und meinte dann: „Wer will das wissen?“ Arvid setzte sich einfach zu ihm an den Tisch und hielt ihm seinen Dienstausweis vor die Augen. Thorssen schien einen kurzen Augenblick zusammenzuzucken, sah ihn dann aber wieder gleichmütig an. „Was gibt‘s, Sheriff?“, meinte er mit zusammengekniffenen Augen. Arvid lächelte.

„Kennen Sie einen Lundgreen aus Alta?“ Der Glatzkopf verzog kurz den Mund, doch dann nickte er.

„Ja, den kenne ich.“ Arvid nickte gleichmütig lächelnd. „Dann wäre meine nächste Frage, kennen Sie Eileen Monty?“ Thorssen begann zu grinsen.

„Na klar, das ist doch Lundgreen Dame für besondere Fälle. Zumindest wenn es um viel Geld geht.“ Arvid musste schmunzeln und legte nach.

„Letzte Frage in unserem Quiz, und jetzt überlegen Sie sich ihre Antwort genau. Kennen Sie einen gewissen Abdul Baradaneh aus Hamburg in Deutschland?“

Und da zuckte Thorssen aber sichtbar zusammen und stierte auf die Tischdecke, als ob dort die richtige Antwort stehen würde.

Doch dann nickte er erneut.

„Dieser Araber hat mir mal einen Bentley verkauft. Aber den hat ein Harun Baradaneh überführt. Für damals 112.000 Euro. Ich hatte hier einen Kunden aus Schweden, der unbedingt so eine Karre haben wollte. Sonst hatte ich nie wieder was mit den Arabern zu tun. Diese Leute sind mir zu zwielichtig, das habe ich dem Lundgreen auch gesagt. Ist was mit diesen Arabern?“ Arvid schüttelte den Kopf.

„Meines Wissens hatte aber Lundgreen diesen Bentley für satte 199.000 Euro gekauft. Frage eins – wo hatte der so viel Geld her? Frage zwei – was ist aus dem Wagen geworden?“ Thorssen schien krampfhaft zu überlegen, ehe er antwortete:

„Erstens, woher der die Kohle hatte, das müssen Sie ihn selber fragen. Und Frage zwei, soviel ich weiß, hat er ihn sofort weiterverkauft, an wen, weiß ich nicht.“ Dann sah er Arvid herausfordernd an.

„Noch Fragen, Herr Kommissar?“ Arvid schüttelte den Kopf.

„Nee, schon gut. Das war alles.“ Thorssen schüttelte den Kopf.

„Und deshalb fahren Sie bis zu mir hier herauf? Das hätten Sie auch am Telefon erfahren können.“ Arvid grinste.

„Erstens sehe ich den Leuten, die ich befrage, lieber gerne in die Augen. Und zweitens hätten Sie mir dann aber ihre Werkstatt nicht zeigen können, und die werden wir uns jetzt mal gemeinsam ansehen. Okay?“

Thorssen sah Arvid an, als ob der die Pest haben würde.

„Einfach so? Ohne Durchsuchungsbeschluss?“ Arvid sah Thorssen in die Augen.

„Den habe ich in einer halben Stunde, wenn es sein muss.

Aber wenn Sie nichts zu verbergen haben, wäre das doch nur eine Sache von fünf Minuten und Sie sind mich wieder los, oder?“

Thorssen stand auf, setzte seine Mütze auf und ging voran. Sie überquerten die Straße und betraten die Werkstatt durch den Hintereingang.

„Schauen Sie sich ruhig um“, meinte Thorssen und deutete auf die Halle. Als sie eintraten, rannte einer der Monteure nach draußen, nachdem sein Handy geklingelt hatte und er kurz gelauscht hatte. Arvid registrierte es, wusste aber Elin draußen und sah sich gründlich um. Was ihm auffiel, waren eine Kiste voller Farbspraybüchsen, alles Autolackfarben, sowie zahlreiche Farbbüchsen aller modernen Lacke und eine Anzahl Spritzpistolen. Für eine kleine Werkstatt am Polarkreis, die meist nur Blechschäden reparierte, eine ziemlich ausgiebige Ansammlung. Arvid machte schnell ein Bild davon, da er alleine war. Denn Thorssen war ebenfalls plötzlich weg.

Inzwischen machte sich Arvid aber Sorgen um seine Assistentin und ging nach draußen, um nach ihr zu sehen. Im hinteren Bereich sah er auf einmal eine weitere Halle und genau davor hatte der Monteur gerade Elin am Wickel. Die hatte die Pistole in der Hand und machte Anstalten, auf ihn schießen zu wollen. Arvid rannte wie ein Elch über den staubigen Weg und schrie: „Elin, nicht schießen! Ich komme!“

Schwer atmend erreichte er seine Assistentin, und die war aufs Höchste erregt. Sie fuchtelte mit der Pistole und schrie:

„Der Schweinehund in der Kombi wollte mich in die Halle zerren und verdreschen!“ Arvid steckte seine Waffe wieder ein und baute sich vor dem Monteur auf.

„Und warum wollten Sie meine Kollegin verdreschen?“ Der Monteur, ein Kerl um die 25 wie ein Kraftsportler gebaut, moserte:

„Die trieb sich hier herum und wollte in die Halle, da hab ich sie mir halt vorgenommen. Sie hat sich ja auch nicht als Polizistin zu erkennen gegeben!“ Arvid nickte besänftigend.

„Okay, das konnten Sie ja nicht wissen. Sie können gehen!“ Elin Gunnarson sah ihn mit großen Augen an.

„Aber Chef, der Kerl wollte mir einfach die Pistole wegnehmen!“, erregte sie sich wieder. Arvid nickte wieder und blinzelte ihr zu. Doch Elin schien immer noch nicht zu verstehen und setzte wieder an:

„Aber Sie können ihn doch nicht einfach so gehen lassen!“ Da reichte es Arvid. Und plötzlich fauchte er sie an: „Ich habe gesagt, er kann gehen, und nun Mund halten!“ Völlig erschrocken zuckte die Assistentin zusammen und Arvid schnaufte leise: „Weiber!“ Dann sah er sich kurz um, ob sie alleine waren. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer der Halle. Er faltete beide Hände und sah Elin an.

„Na los, steigen Sie mal hoch und schauen Sie durch das Fenster!“ Elin Gunnarson grinste und hatte begriffen, was ihr Chef wollte. Sie stieg an Arvid hoch. Sie war aber auch wirklich leicht. Elin berichtete von oben:

„Ich sehe fünf PKWs. Ein Mercedes, ein Bentley, zwei rote

Maserati und einen BMW X7!“ Sie stieg wieder von seiner Schulter in die Hände darunter, wobei ihr Gesicht ganz nahe an Arvids Gesicht vorbeiglitt. Und für Sekunden sahen sie sich gegenseitig in die Augen.

Arvid überlegte kurz, was nun zu tun sei. Sie waren nur zu zweit. Bei einer Konfrontation würde Thorssen garantiert ganz schnell noch ein paar Gleichgesinnte zu Hilfe rufen. Also griff er zum Telefon und rief Oberst Petterson an. Der war der Meinung, dieses Problem würde eine Sondereinheit schnell erledigen, und er solle wieder nach Alta zurückkehren. Auf dem Weg zum Auto trafen sie dann auf einen alten Mann, der zunächst an ihnen vorbeilief, dann stehen blieb und sie ansprach:

„Hi, ich bin Smörre der Flaschensammler hier. Wenn Sie dem Thorssen aufs Dach steigen wollen, müssen Sie dann kommen, wenn er die Autos wieder verschiebt. Das macht er jeden Monat am letzten Freitag. Die letzte Lieferung kam vor zwei Wochen und steht jetzt in der Halle, die Sie untersucht haben.“ Arvid musste lächeln und grüßte den alten Mann, der ziemlich heruntergekommen aussah.

„Trinken wir einen Tee zusammen, Smörre?“, fragte er ihn. Der Alte nickte und blinzelte ein wenig.

„Nun ja, wenn da noch was drinnen wäre in dem Tee, sage ich ja!“ Und so gingen sie nochmal zurück in die Bar. Arvid bestellte einen ordentlichen Grog für Smörre und so kamen sie dann ins Schwatzen. Und Smörre erzählte, dass öfters ein Reicher mit seiner rothaarigen Freundin bei Thorssen erschienen sei, und immer mit einem dicken Auto. Arvid zeigte ihm je ein Bild von Lundgreen und von der Monty. Smörre nickte sofort.

„Ja, genau das waren die beiden! Aber beim letzten Mal waren so komische Dunkelhäutige dabei. Die sahen vielleicht zum Fürchten aus, mit Sonnenbrillen, obwohl gar keine Sonne schien.“

Nach einer Stunde und einem zweiten Grog verabschiedeten sie sich von ihrem neuen Freund. Arvid bat ihn, auch weiterhin die Augen aufzuhalten, und gab ihm seine Handynummer. Dann fuhren sie wieder zurück nach Alta. Arvid sah seine Begleiterin lächelnd an.

„So Elin, was haben wir denn nun in Erfahrung bringen können?“, fragte er sie. Elin Gunarsson überlegte kurz, dann meinte sie:

„Es gibt eine klare Verbindung zwischen Thorssen, dem Lundgreen und dem Baradaneh aus Hamburg. Ich wette, diese Autos sind alle irgendwo geklaut worden und gehen von hier aus wahrscheinlich nach Russland oder sonst wohin per Schiff!“ Arvid nickte anerkennend.

„Elin, dafür spendiere ich dir in Alta ein Eis!“ Doch anstatt sich zu freuen über das Lob, sah Elin ihren Chef ziemlich finster an. Und plötzlich meinte sie forsch:

„Kann es sein, dass Sie mich nicht ganz ernst nehmen, Chef? Ich bin keine dumme Göre, die man zur Belohnung mit einem Eis beglückt“, erwiderte sie sichtbar angefressen. Arvid schalt sich einen Trottel und versuchte noch zu retten, was nicht mehr zu retten war:

„Anwärterin Gunarsson, entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen. Es war ein blöder Einfall, ich weiß es. Und meine Frau würde mir jetzt wohl einen gehörigen Einlauf verpassen.

Also nochmal, entschuldigen Sie bitte, das wird nicht wieder vorkommen.“ Er sah kurz zur Seite und in ihre hellblauen Augen. Elin nickte schmunzelnd.

„Sie haben wohl Schiss vor Ihrer Frau?“, fragte sie kess zurück. Arvid lachte verhalten.

„Na sagen wir mal so, sie war ja mal meine Chefin und eine gute Lehrmeisterin obendrein. Und ich liebe sie über alles.“ Elin sah ihren Chef mit großen Augen an und meinte dann:

„Und ich dachte schon, Sie sind ein Macho, aber da habe ich mich wohl geirrt. Schön wenn sich zwei so lieben, ich habe leider noch nicht den Richtigen gefunden.“ Arvid musste lachen.

„Keine Angst, der kommt schon noch. Aber Sie sagten doch, Sie haben einen Freund.“, meinte er und Elin druckste ein wenig, bevor sie meinte:

„Das habe ich doch nur gesagt, dass sich Ihre Frau keine Sorgen macht. Sie hatte mich am Anfang so gemustert, als ob sie prüfen wollte, ob ich Sie verführen könnte, Chef.“ Arvid blieb zunächst die Spucke weg. Er sah sie an.

„Haben Sie zufällig auch Psychologie studiert?“, fragte er die junge Dame. Doch Elin schüttelte den Kopf und meinte dann:

„Es passiert mir jetzt nun schon zum zweiten Mal, dass ich einen verheirateten Chef bekommen habe. Der Letzte war das Gegenteil von Ihnen und seine Ehefrau warnte mich praktisch vor ihm. Seitdem bin ich eben vorsichtig geworden.“ Arvid grinste sie schelmisch an und Elin grinste ziemlich zufrieden zurück.

Zwei Tage später fuhr bei Thorssen ein Wrangler Jeep vor mit vier Insassen. Der Sprache nach mussten es Ausländer sein, wie Smörre feststellte. Er machte schnell ein paar Bilder mit seinem Handy und schickte sie Arvid. Die vier Besucher gingen mit Thorssen zu der Halle, in der die Autos standen.

Gemeinsam sahen sie sich die Wagen an. Thorssen führte jeden einzelnen Wagen den Besuchern vor. Smörre war gerade im Begriff, sich an eines der Fenster heranzuwagen, als ihn plötzlich jemand von hinten beim Kragen packte und in die Halle zog. Der Ausländer sprach gebrochen norwegisch und war ziemlich wütend.

„Thorssen, wer ist der Kerl? Er schleicht hier um die Halle!“ Doch Thorssen winkte ab.

„Lass ihn, Juri! Das ist Smörre, der ist nicht ganz dicht hier oben!“ Dabei zeigte er auf seinen Kopf. Und zu Smörre gewandt schimpfte er: „Smörre, zieh Leine! Du hast hier nichts verloren!“ Damit war der Landstreicher wieder entlassen und grinste in sich hinein. Es war doch manchmal ganz nützlich, wenn man für blöde gehalten wurde.

Drinnen aber wurde gerade das Geschäft abgeschlossen. Der Mann, den Thorssen Juri genannt hatte, übergab ihm nun einen kleinen Metallkoffer, den Thorssen öffnete. Drinnen lagen Geldbündel im Wert von 400.000 Euro und ein Zettel, den Thorssen unterschreiben musste. Er klappte den Koffer wieder zu und sah Igor mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Igor, für das Risiko welches ich eingehe, ist das verdammt wenig Geld!“ Der Russe sah Thorssen erst starr an.

„Mein Freund Belle, willst du, dass wir Freunde bleiben?“, fragte er in gebrochenem Norwegisch. Um dann noch einmal nachzulegen:

„Belle, deinen Job kann auch ein anderer übernehmen, merke dir das! Werkstätten wie deine gibt‘s reichlich. Wir holen die Wagen Samstagnacht ab. Alles klar?“

Thorssen nickte und nahm den Koffer an sich. Das war ein Scheißgeschäft. Er bekam von den Arabern die Autos, die Russen gaben ihm dafür die Kohle und das Risiko, hier erwischt zu werden, trug er für lahme 50.000 Euro. Es war Zeit, sich neue

Geschäftspartner zu suchen. So konnte das auf keinen Fall weitergehen, er musste schnellstens handeln. Und er hatte auch schon einen Plan, was er tun wollte.

Am nächsten Tag fuhr Thorssen nach Hammerfest. Er musste unbedingt mit seinem Bruder Gunnar reden, der in Hammerfest eine kleine Schiffswerft betrieb. Und vor allem gab es dort einen schönen Industriehafen mit vielen jetzt leerstehenden Hallen. In Zukunft würden sie das Geschäft zu zweit machen und diese Russen ausschalten. So war jedenfalls der Plan von Belle Thorssen. Aber Pläne zu haben, ist manchmal das eine, sie dann umzusetzen, kann weitaus schwieriger werden und vor allem gefährlicher, wenn die ehemaligen Partner Russen oder Araber waren.

Rückschau in Deutschland

Kriminaloberkommissar Rolf Ludwig studierte die Mail, die soeben aus Norwegen angekommen war. Es enthielt eine Bitte um erneute Auskunft, bei der es ausgerechnet um den Araber-Clan der Baradaneh handelte. Es wurde vermutet, dass dieser Clan mit gestohlenen Luxusautos handelte, wobei aber Ludwig auch genau zu wissen glaubte, dass die noch bei ganz anderen Geschäften ihre Hände im Spiel hatten. Doch zu beweisen war diesen Brüdern bisher so gut wie nichts. Aber inzwischen waren sie ja schon etwas schlauer geworden. Denn Folgendes hatte sich ein paar Wochen vorher zugetragen und hatte den Oberkommissar in seinem Bemühen, dem Baradaneh-Clan auf den Leib zu rücken, erheblich vorwärtsgebracht. Und schuld daran war eine junge blonde Frau vom Hamburger Morgenblatt.

Bin ich schon verrückt, sehe ich etwa Gespenster oder bilde ich mir das alles nur ein, dass mich laufend jemand beobachtet? Diese Frage stellte sich die 24jährige Reporterin Carmen Weisgerber inzwischen nicht zum ersten Mal. Seit Tagen hatte sie das Gefühl, als ob ihr jemand folgte. Ging sie früh aus dem Haus, sah sie sich mehrfach um. Kam sie abends von der Arbeit, das gleiche Spiel. Bevor sie zu Bett ging, kontrollierte sie gründlich jedes Fenster und jede Tür des kleinen Einfamilienhauses am Rande von Hamburg. Carmen arbeitete in einem großen Morgenblatt der Hansestadt. Bisher hatte sie zumeist über kleine regionale Ereignisse oder Skandale geschrieben, und das aber mit Erfolg. Ihr letzter Artikel hatte eingeschlagen wie eine Bombe.

In diesem Artikel hatte sie über islamische Vereine und deren Unterstützung des Terrors recherchiert. Einer dieser Vereine, „Ansar International“, ein Spendenverein des islamischen Netzwerkes, das von einem gewissen Joel Kayser alias Abdul Rahman geführt wird, war dabei eines ihrer Ziele gewesen.

Die deutschen Ermittlungsorgane vermuteten schon seit langem, dass über diesen Spendenverein große Summen getarnt als Hilfslieferungen nach Syrien und dem Irak für die dortigen Terrorzellen umgeleitet würden. Carmen hatte versucht, einige dieser „Spender“ auszukundschaften, war jedoch immer wieder auf eine Mauer des Schweigens gestoßen.

Bei ihrer Recherche hatte sie ebenfalls versucht, die Zusammenarbeit von türkischen Moscheen, islamischen Geschäftsleuten und den Islam-Vereinigungen auszukundschaften. Und dann lief ihr durch Zufall in einer Bar Harun Banadeh über den Weg, der mit ihr an diesem Abend flirten wollte. Harun war Jordanier und Familien-Mitglied eines der arabischen Clans in Hamburg. Sie hatte sich zum Schein auf dieses Spiel eingelassen und gehofft, dass sie so mehr Informationen bekam. Sie hatte ihm erzählt, sie sei eine „arme Studentin“, die sich gerne etwas nebenbei verdienen würde. So kam es zu seinem Angebot, doch im Cafe der Familie zu arbeiten, wenn sie Zeit hätte und sich etwas nebenbei verdienen wollte.

Es war gerade 23.00 Uhr, als sie im Bad vor dem Spiegel stand, sich das Makeup entfernte, die langen, blonden, bis über die Schultern reichenden Haare bürstete und dann in ihren Schlafanzug stieg. Einen Moment saß sie noch vor dem Spiegel und betrachtete ihr Konterfei. Seit zwölf Wochen lebte sie jetzt hier in Hamburg und hatte einen aufregenden Job bei einer der größten Tageszeitungen. Ihr aktuelles Thema der Woche:

„Die arabischen Clans und ihre kriminellen Verwicklungen“.

Dabei ging es um Schutzgelderpressung, Diebstahl, Devisenvergehen, Prostitution und vieles andere mehr, bis hin zu Mord und Totschlag und wie gesagt die Unterstützung von radikal islamischen Vereinen.

Nur wenige Tage nach ihrem ersten Artikel hatte sie früh ihren Ford Fiesta ST mit zerkratzten Türen vor dem Haus vorgefunden. Sie hatte es der Polizei gemeldet, aber die hatten abgewinkt. Es gebe keine Zeugen. Und Vermutungen waren keine Beweise. Man riet ihr zur Vorsicht und zu einer Garage für das Auto. Na toll, wo kriegt man so schnell eine Garage her und das ausgerechnet in Hamburg?

Plötzlich glaubte sie, etwas am Hintereingang des Häuschens zu hören. Hier wohnte sie seit ihrem Umzug nach Hamburg. Sie hatte einen kleinen Garten am Haus, direkt zur Dove-Elbe hin. Rasch löschte sie das Licht und schlich sich ins Wohnzimmer, um dort hinter der Gardine stehend aus dem Fenster zu schauen. Tatsächlich stand die Mülltonne mitten auf dem Weg, obwohl sie sonst unmittelbar an der Hauswand stand. Carmen begann leicht zu zittern, nahm aber trotzdem allen Mut zusammen, zog sich einen Morgenmantel über, nahm kurz entschlossen ihre

Taschenlampe und ging hinaus. Im hellen Strahl der Taschenlampe sah sie, dass etwas auf dem Deckel der Mülltonne lag. Vorsichtig ging sie näher heran und richtete den Strahl der Lampe darauf und erschrak zu Tode. Auf dem Deckel lag eine tote schwarz-weiße Katze. Sie nahm das Handy zur Hand und fotografierte die Tonne mit der Katze. Das war eine weitere Drohung wegen des Artikels, dessen war sie sich absolut sicher.

Mit spitzen Fingern entfernte sie tote Katze vom Deckel und legte sie ins Gebüsch am Gartenzaun. Dann ging sie zurück ins Haus und kleidete sich wieder vollständig an. Sie musste raus, irgendwohin, nur raus hier!

Kurz entschlossen ging sie zu ihrem Wagen, stieg ein und startete. Das leise Brummen des Motors beruhigte sie ein wenig. Was sollte sie machen? Sie legte den Gang ein und fuhr los. Einfach irgendwohin, nur weg von diesem Haus. Die alte Dame, die es ihr vermietet hatte, war um die Achtzig und lebte längst in einem Heim. Ihr Sohn hatte mit Carmen den Mietvertrag abgeschlossen – unbefristet. Er hatte keine Zeit, wohnte in Stuttgart und suchte jemand, der sich um das Haus seiner Eltern kümmerte. Die Miete mit 850,00€ war für Hamburger Verhältnisse superbillig.

Carmen fuhr vom Hövel-Weg gerade auf die Hövelpromenade zu. Dann fuhr sie ein paar Querstraßen weiter, bog rechts ab und gelangte zur „Taverna Kossos Palace“, einem Griechischen Restaurant, den Wirt, Georgios, kannte sie gut. Sie fuhr rechts ran und hielt an. Es war bereits 23.30 Uhr. Carmen schüttelte den Kopf, eigentlich sollte sie jetzt ja im Bett liegen. Doch sie sah, dass noch offen war. Also stieg sie aus, schloss den Wagen ab und öffnete die Eingangstür. Alles lag im Halbdunkel, erleuchtet mit bunten Lichtern, gedämpfte Musik war zu hören.

An einer 12 Meter langen Bar saßen gerade mal zwei Männer.

Der eine war ein älterer Herr mit Brille, der ein Pils trank. Der andere, wesentlich jünger aussehend, trank Mocca. „Na danke, und das um die Zeit!“, dachte sie. Trotzdem setzte sie sich mit einem kurzen Gruß unmittelbar neben den mit dem Mocca. Georgios, der Wirt kam, und sie bestellte eine große Weißweinschorle. Der Wirt grinste wegen der Schorle.

„Du bist doch nicht etwa krank, Carmen?“ Sie schüttelte leicht genervt den Kopf.

„Nee Georgios, erstens bin ich mit dem Auto, und zweitens sehe ich derzeit Gespenster. Und da ist Alkohol bekanntlich Gift!“ Der Wirt Georgios lachte sein dumpfes grollendes Lachen und meinte dann:

„Warum? Hast du wieder mal jemand auf die Füße getreten? Dein letzter Artikel wegen der Araber hatte es aber auch in sich!“ Carmen winkte ab.

Plötzlich wandte sich der neben ihr sitzende, gut aussehende Mann mit den graumelierten Haaren ihr zu und sprach sie höflich an:

„Entschuldigung, sind Sie etwa Carmen Weisberger?“, fragte er. Carmen stutzte erst, nickte und meinte dann kurz angebunden:

„Wer will das wissen?“ Der Mann lächelte freundlich zurück.

„Oh ja, entschuldigen Sie, ich bin Hauptkommissar Ludwig. Ich habe mit den Leuten zu tun, über die sie da geschrieben haben. Ihr Artikel war für uns sehr aufschlussreich!“ Carmen nippte an ihrer Apfelschorle und dachte sich im Stillen: „Das ist mal ne ganz andere Anmache als sonst.“ Trotzdem fragte sie zurück:

„Und - haben sie die Kerle schon eingebuchtet?“ Ludwig schüttelte den Kopf und lachte ein sympathisches Lachen.