Die Tote im Herrenhaus - Daisy Waugh - E-Book

Die Tote im Herrenhaus E-Book

Daisy Waugh

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Beschreibung

Hollywood im Herrenhaus von Tode Hall. India und Egbert Tode sind begeistert, dass auf ihrem herrschaftlichen Anwesen ein Film gedreht wird. Ein Sommer mit glamourösen Stars steht ihnen bevor! Doch als sich eitle Schauspieler und wild entflammte Frauen, die alle hinter dem Filmstar Oliver Mellors her sind, in der Halle tummeln, wird schnell klar, dass die Filmbranche ein wahres Haifischbecken ist. Ein böses Ende erscheint unvermeidlich, aber niemand hätte damit gerechnet, wie böse es wird. Doch dann findet man Rapunzel Piece tot in der Speisekammer. Rapunzel spielte gerne ihre Macht aus, denn sie besaß die Rechte an dem Theaterstück, das in Tode Hall verfilmt wird. Und wirklich niemand konnte die hochgradig unsympathische Frau ausstehen. Aber ist das ein Mordmotiv?

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Seitenzahl: 350

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Buch

Hollywood im Herrenhaus von Tode Hall. India und Egbert Tode sind begeistert, dass auf ihrem herrschaftlichen Anwesen ein Film gedreht wird. Ein Sommer mit glamourösen Stars steht ihnen bevor! Doch als sich eitle Schauspieler und wild entflammte Frauen, die alle hinter dem Filmstar Oliver Mellors her sind, in der Halle tummeln, wird schnell klar, dass die Filmbranche ein wahres Haifischbecken ist. Ein böses Ende erscheint unvermeidlich, aber niemand hätte damit gerechnet, wie böse es wird. Doch dann findet man Rapunzel Piece tot in der Speisekammer. Rapunzel spielte gerne ihre Macht aus, denn sie besaß die Rechte an dem Theaterstück, das in Tode Hall verfilmt wird. Und wirklich niemand konnte die hochgradig unsympathische Frau ausstehen. Aber ist das ein Mordmotiv?

Weitere Informationen zu Daisy Waugh

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Autorin

Daisy Waugh, die Enkelin des britischen Schriftstellers Evelyn Waugh, ist Autorin und Tarotkartenlegerin. Sie hat eine Reihe von Romanen sowie diverse Sachbücher, Zeitungsartikel und Kolumnen verfasst. Zusammen mit ihrer Familie lebt sie in Barnes, South West London. »Die Tote im Herrenhaus« ist nach »Die tote Lady« der zweite Roman aus der Reihe von humorvoll-nostalgischen Kriminalromanen um die skurrile britische Landadelfamilie von Tode Hall.

Daisy Waugh im Goldmann Verlag:

Die tote Lady. Ein Herrenhauskrimi

Die Tote im Herrenhaus. Kriminalroman

Daisy Waugh

Die Tote im Herrenhaus

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sonja Hauser

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Phone for the Fish Knives« bei Piatkus, an imprint of Little, Brown Book Group, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Das Zitat aus William Shakespeare, Hamlet I/3, wurde in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel wiedergegeben.

Deutsche Erstveröffentlichung März 2024

Copyright © 2021 by Daisy Waugh

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotive: Arcangel / Sybille Sterk; FinePic®, München

Redaktion: Irmi Perkounigg

BH · Herstellung: ik

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-641-26445-1V001

www.goldmann-verlag.de

Für Selina und Violet

Die Todes von Tode Hall

Die Nördliche Rasenfläche

Dienstag, 8:41 Uhr

Die Rasenflächen rund um Tode Hall hatten im Sommer eine triste Senffarbe angenommen, sodass das helle Mauerwerk des siebtbekanntesten in Privatbesitz befindlichen Herrenhauses von Großbritannien ein wenig schmuddelig wirkte. Doch das ließ sich nicht ändern. Es war Mitte August, und in der Grafschaft Yorkshire hatte es seit fast sechs Wochen keinen Tropfen geregnet. Auf den britischen Social-Media-Plattformen wurde fieberhaft über das drohende Aussterben der Eisbären und das nahende Ende der Welt diskutiert. In London, Manchester, Edinburgh, ja, sogar in York ketteten sich wütende junge Leute an Busse und forderten ein Ende des Lebens, wie wir es kennen. Und im Souvenirshop in den alten Stallungen am Ende der Auffahrt sowie in dem an der Kasse und in den drei Restaurant-Cafés von Tode Hall kam es zu einem nie da gewesenen Run auf Eis am Stiel. In sämtlichen Läden auf dem Anwesen war nur noch welches mit Zitronengeschmack erhältlich.

Es war ein außergewöhnlicher Sommer, ein wunderbarer Sommer für fast jeden, und ein nützlicher für Aktivisten, die forderten, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden müsse. Trotzdem beklagten sich – wie immer in England – alle.

Sir Ecgbert Tode (52), der zwölfte Baronet, zum Beispiel, der ein dickes Cordjackett, ein Poloshirt und eine lange Hose trug und mit großen Sätzen über den ausgetrockneten Rasen eilte, den Sicherheitscode am Privateingang eingab und dabei imaginäre Fliegen verscheuchte, ließ sich in just diesem Augenblick negativ über seine Körpertemperatur aus.

»Es ist erst halb neun morgens, und schon läuft mir das Wasser herunter, Trudy«, jammerte er. »Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes am Kochen. Ist das zu fassen?«

Diese Nachricht hinterließ er auf der Mailbox der ebenfalls zweiundfünfzigjährigen Alice Liddell, die er aus unerfindlichen Gründen »Trudy« nannte und die gegenwärtig als »Event- und Spaßmanagerin« von Tode Hall wirkte, was immer das heißen mochte. Niemand schien es genau zu wissen – am allerwenigsten Alice selbst, die besagte Stelle seit fast einem Jahr bekleidete. Aber es war ein angenehmer Job. Sehr entspannt. Zusatzleistungen waren ein hübsches Cottage hinter einer hohen Hecke inmitten des alten Rosengartens von Tode Hall und ein kleiner Wagen mit kaputten Sicherheitsgurten. Alice, eigentlich eingefleischte Londonerin, hatte einen großen Teil ihrer Kindheit bei ihrer mittlerweile verstorbenen Großmutter, der persönlichen Zofe der ebenfalls verstorbenen Lady Tode, auf dem Anwesen verbracht, weswegen Tode Hall so etwas wie ein zweites Zuhause für sie war. Sir Ecgbert hatte an diesem Morgen ihre Nummer gewählt, weil er sie liebte. Doch natürlich würde er ihr das nicht gestehen.

»Ich bin im Haupthaus«, sagte er stattdessen. »Da ist es wie im Backofen, Trudy. Wie in einem riesigen Backofen …«, hallte Ecgberts Stimme wider, als er den Großen Saal betrat. »Im ganzen Land ist es wie in einem riesigen Backofen, wird mir gerade klar. Es gibt kein Entrinnen. Ich mache mir Sorgen um die Dachse in Brendan Wood. Wie die wohl die Hitze überstehen? Bist du wach? Kommst du rüber, frühstücken?«

Alice liebte Sir Ecgbert genauso sehr wie Sir Ecgbert Alice liebte. Aber das hätte sie ihm auch dann nicht sagen können, wenn sie es gewollt hätte, weil sie es selbst noch nicht wusste. Außerdem war es viel zu früh fürs Frühstück, besonders nach einem so merkwürdigen und unangenehmen Abend. Sie schob ihren Arm unter der dünnen Zudecke in Richtung Telefon und schaltete es stumm.

Sir Ecgbert, der eigentliche Erbe von Tode Hall, wohnte nicht im Haupthaus und war zum Glück auch nicht für das Anwesen verantwortlich. Zum Glück, denn es handelte sich nicht nur um eines der prächtigsten und schönsten im Land, nein, dazu gehörten überdies mehr als viertausend Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche, fünfzig oder sechzig kleine Cottages, die bereits erwähnten Souvenirshops und Restaurant-Cafés, ein Hofladen, eine Moorhuhnjagd, ein luxuriöser Campingplatz, ein Ausstellungszentrum, eine Gärtnerei, eine Bogenschießschule, ein Schießplatz und so weiter und so fort … Tode Hall war ein ziemlich großes Unternehmen und ein wichtiger örtlicher Arbeitgeber, weshalb man es keinesfalls einem Mann anvertrauen konnte, der in seinem mehr als fünfzigjährigen Leben noch keinen einzigen Tag bezahlte Arbeit geleistet hatte. Sir Ecgbert oder »Mad Ecgbert – der Verrückte Ecgbert«, wie Freunde und Familie ihn nannten, wäre kein geeigneter Verwalter gewesen.

Das Anwesen war seit Langem ins Todesche Treuhandvermögen und schlaue Steuerkonstruktionen eingebettet und »gehörte« somit ohnehin keinem Einzelnen mehr. Doch das Recht, als Herrscher der Hall dort zu residieren (ganz zu schweigen von dem Einkommen aus den nicht unerheblichen Einnahmen), war nicht ganz so genau festgelegt. Dieses Recht hätte traditionsgemäß Ecgbert zugestanden. Aber kurz vor ihrem schockierenden Ableben hatte seine verwitwete Mutter Lady Tode beschlossen, die Zügel einem Tode zu übergeben, der sich besser dafür eignete.

Lady Tode hatte alle ihre drei Kinder übergangen und sich stattdessen an Sir Ecgberts jungen Cousin Egbert (Mr Egbert, beachten Sie bitte das fehlende »C«) gewandt. Nach allgemeiner Ansicht schlugen sich Egbert (Mr) und seine wunderschöne fröhliche Gattin India hervorragend. Zugegebenermaßen hatte sich in den ersten Monaten der eine oder andere Todesfall ereignet, zuerst der von Lady Tode selbst und dann der von diesem anderen Burschen – doch zum Glück war keiner in der Familie als dafür verantwortlich erachtet worden, und noch besser: Der Verkauf der Eintrittskarten florierte. In dem Jahr seit der Übernahme von Tode Hall durch den jungen Cousin Egbert (Mr) waren die Besucherzahlen, die sich ohnehin schon im sechsstelligen Bereich bewegten, um vierzehn Prozent gestiegen. Erstaunlich. Großartig. Wunderbare Nachrichten allüberall. Natürlich spielte der lange heiße Sommer ebenfalls eine Rolle. Dito die Zeitungsschlagzeilen nach dem Blutbad. Aber das ist eine andere Geschichte (erhältlich in sämtlichen guten Buchhandlungen).

Nun denn.

Ecgbert (Sir. Sir Ecgbert mit »C«) schlenderte ein wenig ziellos im Haus herum, wie er es morgens gern tat. Er traf oft zu zeitig zum Frühstück ein. Seit dem Tod seiner Mutter vor inzwischen fast zehn Monaten hatte er an Selbstvertrauen und Format gewonnen und war von einer Luxusnervenheilanstalt im nahe gelegenen Todeister in ein eigenes Haus auf dem Anwesen der Todes gezogen. Da er das erste Mal und obendrein noch nicht lange allein wohnte, eignete er sich gerade erst die Fähigkeit an, den Kühlschrank zu füllen, weswegen er dazu neigte, viele seiner Mahlzeiten in der Hall einzunehmen.

Für gewöhnlich kehrte sein gutmütiger Cousin Egbert (Mr) um diese Uhrzeit nach einem Dreißig-Kilometer-Radausflug vor dem Frühstück schlammverspritzt und rotwangig zum Haus zurück. Doch an diesem Dienstagmorgen hatte er beschlossen, das Radfahren ausfallen zu lassen, und leistete lieber seiner Frau India bei ihrem genüsslichen tagtäglichen Ausschlafen Gesellschaft.

Ecgbert (Sir) schien das Haus für sich zu haben. Es war voller Gäste, das wusste er sehr wohl, da er an dem unangenehmen Dinner des Vorabends teilgenommen hatte. Trotzdem war es um halb neun Uhr morgens beunruhigend still.

Eigentlich hätte Mrs Carfizzi in der Küche damit beschäftigt sein müssen, das Frühstück für alle zuzubereiten. Ecgbert schnupperte in der Hoffnung, gebratenen Speck zu riechen.

Fehlanzeige.

Er spitzte die Ohren in der Hoffnung, das Brutzeln von Fett in der Pfanne zu hören.

Fehlanzeige.

Er ging in die Küche. Keinerlei Lebenszeichen. Bei dem unangenehmen Dinner hatte India erwähnt, wie seltsam sich die Carfizzis benahmen. Und es stimmte: Das Essen war ungewöhnlich lieblos zusammengeschustert gewesen. Mrs Carfizzi (die Köchin) hatte sich den gesamten Abend über kaum blicken lassen, und das, womit sie schließlich aufwartete, entsprach nicht den Erwartungen. Ihr Ehemann Mr Carfizzi (der Butler) war nur wenig öfter zu sehen gewesen, obwohl er es normalerweise liebte, bei großen Einladungen in Tode Hall in Erscheinung zu treten.

Unsicherheit vibrierte und perlte durch den groß gewachsenen Körper des zwölften Baronet. Was war los? War die in Kalabrien geborene und aufgewachsene Mrs Carfizzi in der Hitze Englands geschmolzen? Unwahrscheinlich. Was war mit ihr geschehen? Ecgbert liebte Mrs Carfizzi inniger als seine eigene Mutter, die mittlerweile im Jenseits weilte. Mrs Carfizzi briet in der Küche Speck, solange Ecgbert denken konnte. Das Frühstück und Mrs Carfizzi waren (den Eindruck hatte Sir Ecgbert jedenfalls in diesem Moment) die einzigen echten Konstanten in seinem Leben. Er holte tief Luft. Seine Therapeutin hatte ihm Techniken zur Bewältigung solcher Situationen gezeigt. Sir Ecgbert versuchte, sie sich ins Gedächtnis zu rufen:

Das Wesen des »Jetzt«: Sechs Methoden, seine innere Mitte zu finden, wenn einen das Leben überrascht:

Tief durchatmen.

Keine Panik!

Vergiss nicht: Du bist schön.

Bestimmt geht es Mrs Carfizzi gut.

Vielleicht ist ja Mrs Carfizzis Wecker kaputt.

(Oder so ähnlich.)

Jedenfalls schwante Ecgbert, dass er sich an diesem Morgen möglicherweise selbst um sein Frühstück kümmern musste. Das war in Ordnung. Fast ein Abenteuer. Ihm fiel ein, dass India den Gästen nach dem unbefriedigenden Dinner geraten hatte, sich, falls sie noch Hunger hätten, aus dem großen Vorratsraum hinter der Speisekammer zu bedienen, wo es »Essen bis zum Abwinken« gebe. Schokoladenkuchen, hatte sie gesagt. Ecgbert hatte keine Lust auf Schokoladenkuchen zum Frühstück und hoffte vielmehr, Mrs Carfizzi mit in der Pfanne brutzelndem Speck anzutreffen.

Er schlenderte durch den Bereich hinter der Küche, vorbei am Vorraum (für Stiefel), am Waffenraum (für Gewehre), am Sportraum (für Angelruten, Bogen, Kricket- und Krocketschläger), an der Garderobe, am Nachtsafe, an der Speisekammer … und so weiter. Er war Jahre nicht mehr in diesem Teil des Hauses gewesen, und trotzdem roch es noch genauso wie früher! Als Kind hatte er Stunden hier verbracht, etwas zu essen gemopst, die Erwachsenen geärgert, war an den Regalen herumgeklettert. Sollte er sich ein Ei in die Pfanne schlagen? So schwierig konnte das doch nicht sein. Oder Würstchen herausbraten? Wäre es nicht herrlich, wenn er Würstchen fände?

In Frühstücksträume vertieft, den Blick gesenkt, die Schultern ein wenig krumm wie immer, öffnete er die Tür zum Vorratsraum. Wenn sich keine andere Möglichkeit auftat, wäre es wahrscheinlich auch nicht das Ende der Welt, zum Frühstück Kuchen zu essen. Vielleicht war der ja sogar köstlich. Wenn er’s recht bedachte: Was war so falsch an Kuchen zum Frühstück?

Es handelte sich um einen eher kleinen Raum, etwa vier mal vier Meter groß, an jeder Wand mit tiefen Regalen vom Boden bis zur Decke, und in der Mitte hing eine Reihe großer Metallhaken für Wild. Als Ecgbert das Licht einschaltete, brannte die Glühlampe durch, aber ihm fiel das kaum auf, so gut kannte er sich dort aus.

In der Düsternis stieß er mit dem Kopf leicht gegen etwas Unförmiges an einem der Haken. Möglicherweise ein großer Fasan. Oder eine Gans. Oder ein Eber, der tief herunterhing. Ein riesiger, tief herunterhängender Eber. Ziemlich unwahrscheinlich. Ecgbert hatte Hunger und war verstört wegen Mrs Carfizzi. Außerdem konzentrierten sich seine Gedanken auf Schokoladenkuchen und Würstchen, und er hoffte, beides in dem Regal hinter dem … unförmigen Objekt zu entdecken, das sanft hin und her schwang und ihm den Blick versperrte. Ein wenig gereizt schob er es weg. Dabei berührte sein Handrücken Stoff.

Da bemerkte er, dass ungefähr auf seiner Hüfthöhe Schuhe vor ihm baumelten. Dann sah er Beine und einen Torso und eine dunkle, über einem auf der Brust ruhenden Kopf schief nach oben gezogene Jacke, und zwischen den Schulterblättern, tief genug eingedrungen, um das Gewicht des Körpers zu tragen, einen verrosteten, normalerweise für Fasanen verwendeten Fleischerhaken.

Grässlich.

Ecgbert reagierte instinktiv. Der Haken zwischen den Schulterblättern sah schmerzhaft aus; Ecgbert fühlte sich bemüßigt, ihn zu entfernen. Obwohl die Leiche bereits starr und kalt war, schlang er beide Arme um sie, hievte sie hoch und rüttelte daran. Der Haken blieb drin – nicht im Fleisch, wie Ecgbert feststellte, sondern im Stoff. Also kletterte er das Regal hinauf, wie er es als Kind getan hatte, und versuchte es noch einmal. Er beugte sich vor, griff mit einer Hand nach dem Haken und zog daran. Ein Geräusch von reißendem Stoff. Der Haken löste sich. Ecgbert verlor das Gleichgewicht, der Körper entglitt ihm, sie purzelten miteinander auf den Boden.

Das war alles sehr unerwartet.

Die Nördliche Rasenfläche

Montag, 8:41 Uhr

Drehen wir die Uhr um vierundzwanzig Stunden zurück, stellen wir fest, dass die Stimmung in Tode Hall überaus fröhlich war.

Montag. An Wochentagen tauchte India für gewöhnlich nicht vor zehn Uhr früh auf, doch an jenem Montagmorgen um 8:41 Uhr war sie bereits angezogen und nach Rosen duftend unterwegs zum Gärtnerhaus, wo die zweiundfünfzigjährige Event- und Spaßmanagerin Alice Liddell gerade im Morgenmantel heiße Schokolade trank. Normalerweise begann Alice das Event- und Spaßmanagen erst später. Aber heute war ein wichtiger Tag und India voller Ungeduld. Fröhlich und zufrieden seufzend und in die frühe Sonne blinzelnd, schlenderte sie über den ausgetrockneten Rasen.

»I believe I can fly«, sang sie, »I believe I can touch the sky …«

In dem Bereich vor dem Verwaltungstrakt und dem jenseits des Ostflügels wimmelte es von Requisiten- und Cateringwagen, Winnebagos und Generatoren. Zweifelsohne würde der Reiz des Neuen schon bald verblassen, doch noch zeugte alles für India ausschließlich von Glamour und Aufregung. Die folgenden drei Wochen würde Tode Hall einer riesigen Filmcrew gehören: Das Haus würde wieder einmal als Location für ein Remake von Frances Pieces berühmtem Roman Tanze im Takt zur Musik dienen.

Diese neue Version sollte noch glanzvoller und extravaganter werden als die beiden vorhergehenden zusammengenommen: eine sechsteilige Fernsehserie mit Megabudget und zwei Oscargewinnern und – Überraschung! – einem Newcomer, den der Regisseur Noah Thistlestrupp einige Monate zuvor zufällig entdeckt hatte, als er Tode Hall erkundete.

Oliver Mellors, der attraktivste Wildhüter von Yorkshire und in der dritten Generation Angehöriger des Personals von Tode Hall, war auf seinem Traktor sitzend erspäht und umgehend zu Probeaufnahmen nach London eingeladen worden, wo er nach Aussage von Noah Thistlestrupp alle »mit seinem Sex-Appeal geflasht« hatte. Offenbar waren die Angestellten im Produktionsbüro noch Stunden später völlig aus dem Häuschen gewesen. Und so hatte man Mellors, dem vielgeliebten Beschäftigten von Tode Hall, eine einmonatige Auszeit von seiner Tätigkeit als Wildhüter bewilligt. Für diesen einen Monat Schauspielerei bekam er mehr Geld als er auf dem Anwesen für die Fasanenpflege verdiente. Wenn alles klappte, hatte Noah Thistlestrupp ihm versprochen, würde Mellors sich sowieso nie wieder um Fasanen kümmern müssen. Und seine Kinder, sollte er jemals welche haben, könnten die Sorte Schule besuchen, an der Lacrosse und Mandarin gelehrt wurden.

Aber heute ging es nicht um Mellors. Jedenfalls nicht für India. Heute würden die beiden Oscargewinner, der Regisseur der Serie (Thistlestrupp) und der wichtigste Produzent besagter Serie (Alyster Crowley) als ihre Gäste in Tode Hall weilen. Aus komplizierten vertragstechnischen Gründen erwarteten sie überdies die siebenundsiebzigjährige Rapunzel (was für ein absurder Name!) Piece, Tochter und Rechteerbin von Frances Piece, der Verfasserin des berühmten Buches, und zwar in Begleitung von Norman, ihrem Sohn mittleren Alters.

Auf Indias Wunsch hin würden sie alle vor Beginn der Dreharbeiten eine Nacht zu Lustbarkeiten in Tode Hall verbringen, wo sie ein großartiges, glanzvolles Dinner als Willkommensgruß organisiert hatte. Am folgenden Tag würden die VIPs sich in einem nahe gelegenen Luxushotel einquartieren. Rapunzel und ihr Sohn würden dorthin zurückkehren, wo sie herkamen, und wenig später würden India, Egbert (Mr) und ihre beiden kleinen Kinder dem Chaos durch einen ausgedehnten Urlaub auf der Insel Paxos entfliehen.

Es gab viel zu organisieren. Oder zumindest zu besprechen. An dem Abendessen sollten insgesamt zwölf Personen teilnehmen, unter ihnen Mellors, was Indias Gatte Egbert (Mr) Kopfzerbrechen bereitete, weil ihm das irgendwie peinlich erschien.

Konnte man die Herren bitten, Smoking zu tragen?, fragte sich India. Besaß Mellors überhaupt einen Smoking? Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Und konnten die Leute vom Film ihm einen für den Abend leihen, falls nicht? … Außerdem verstand Mrs Carfizzi es nicht, sich Menü-Alternativen für Gäste mit ungewöhnlichen Ernährungsgewohnheiten auszudenken, und Filmstars neigten nun einmal zu ungewöhnlichen Ernährungsgewohnheiten. Hatte India irgendwo gelesen. Sollten sie den Oscargewinnern eine glutenfreie Speisenfolge anbieten? Und wenn ja, wie sollten sie das Mrs Carfizzi erklären, die – obwohl sie seit Anfang der Achtzigerjahre in Tode Hall arbeitete – nach wie vor nicht in der Lage zu sein schien, Englisch zu sprechen oder zu verstehen?

All das musste India mit ihrer Freundin und Angestellten, der Event- und Spaßmanagerin Alice Liddell, diskutieren. Alice, da war sich India sicher, würde die Antworten auf ihre Fragen wissen. Und wenn nicht, würde sie immerhin dafür sorgen, dass diese Fragen verschwanden.

Die nächste Zeile des Songs kannte India nicht. Doch weil die Sonne schien, improvisierte sie einfach.

»I believe I can fly oh why … I can fly in the sky so high …«

Am Rand des ausgedörrten Rasens, bei dem Bogen in der Mauer zum Rosengarten, entdeckte India einen hemdlosen, pummeligen Mann mit schulterlangen grauen Locken, bekleidet mit kurzer Laufhose und offener Lederweste. Er beäugte das senffarbene Gras. Die Haltung seines fülligen, lederumhüllten Torsos verriet India, dass er wütend war.

Haus und Parkanlagen waren seit dem Eintreffen der Filmcrew eine Woche zuvor für die Öffentlichkeit geschlossen und würden bis zum Ende der Dreharbeiten geschlossen bleiben. Deshalb nahm India völlig zu Recht an, dass der Mann zur Filmcrew gehörte. Trotzdem empfand sie es als beunruhigend, ihn hier zu sehen. Sie machte sich bemerkbar.

»Hallo, Sir! Hallo! Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Ihr fiel auf, dass er vor sich hinbrummelte. Möglicherweise handelte es sich um einen Verrückten, dachte sie und überlegte kurz, ob es besser wäre, sich von ihm fernzuhalten. Doch eine solche Vorsicht entsprach einfach nicht ihrem Wesen. Also ging sie auf ihn zu, weil sie ja ohnehin zum Gärtnerhaus wollte.

»Entschuldigen Sie, aber was machen Sie da?«

Er blickte sie mürrisch-verärgert an.

»Oh!«, rief India aus. »Oh, sorry. Sie sind …« Der Name fiel ihr nicht ein. Das war der Finanzmensch von den Filmleuten. Der Executive Director? Chief Financial Producer? Executive Chief of Finance Production? Es gab so viele Bezeichnungen. Jedenfalls war er Amerikaner, mit irgendwelchen Verbindungen nach Irland, daran erinnerte sie sich. India hatte ihn etwa eine Woche zuvor kurz kennengelernt, als er und eine Gruppe anderer sich mit Klemmbrettern stundenlang im Haus und auf dem Anwesen herumgetrieben und in monotonem Tonfall vor sich hingemurmelt hatten. An diesen Mann hatten sich alle rangewanzt. »Sie sind das!«, stellte sie fest. »Tut mir leid. Ich wusste gerade nicht, wer Sie sind … Alles gut?«

India ließ sich ihrerseits natürlich leichter einordnen. Sie war nicht nur jung und blond und schön, sondern auch Alyster Crowleys Gastgeberin, die Besitzerin dieser schamlos teuren Location. Definitiv jemand, dem er gefallen wollte. Also wich sein mürrischer Gesichtsausdruck einem breiten Lächeln. In seiner Jugend, bevor er so dick, korrupt und unglücklich geworden war, hatte Alyster Crowley durchaus als attraktiver Bursche gelten können. Und als charmant. Anders als jetzt. Obwohl ihm das inzwischen egal war.

»Einen wunderschönen Morgen wünsche ich Ihnen, Mrs Tode!«, begrüßte er India mit einem wenig überzeugenden irischen Akzent. Sie wusste nicht so recht, ob das witzig gemeint war. »An diesem sonnigen Tag.«

Aus der Ferne, von dem Feld jenseits der Gärtnerei, wo die Filmleute das eingerichtet hatten, was sie ihre »Einsatzzentrale« nannten, hörte sie, wie sich ein Hubschrauber herabsenkte. War es juristisch zulässig, fragte sie sich, unangekündigt mit einem Helikopter auf jemandes Feld zu landen? Jedenfalls war das Ding nun da. Ob er sie eines Tages mitfliegen lassen würde? India war in ihrem Leben nur ein einziges Mal in einem Hubschrauber gewesen, als sie sich das Schienbein gebrochen hatte, auf einer Skipiste in Zermatt. Seitdem bedauerte sie es, unter zu großen Schmerzen gelitten zu haben, um aus dem Fenster zu schauen.

»Alles picobello«, sagte Alyster Crowley. »Danke der Nachfrage. Und herzlichen Dank auch dafür, meine Beste, dass Sie so großzügig sind, uns in Ihr wunderschönes Haus und Ihren Garten zu lassen. Wir können uns glücklich schätzen. Überglücklich …«

Sie sprach es nicht aus. Trotzdem lag es auf der Hand, als sich die Rotorblätter des Helikopters dröhnend drehten und die Morgensonne vom strahlend blauen Himmel schien: An dem Arrangement war so gar nichts Großzügiges. Egbert (Mr), in seinem früheren Leben Immobilienmakler in Wandsworth, war es gelungen, fantastische vierhunderttausend Pfund dafür herauszuhandeln, dass er die Filmleute drei Wochen lang in sein wunderschönes Haus und auf das Anwesen ließ. Zusätzlich bescherte das seiner Gattin das Vergnügen, mit zwei Filmstars zu Abend zu essen. Eine Win-win-Situation für die Todes und Tode Hall.

»Nicht der Rede wert, Brethren … [Nein, falsch. Wie hieß er noch gleich?]«, meinte India. »Wir finden das Ganze wahnsinnig aufregend! Es ist uns ein Vergnügen. Ich hoffe, Sie freuen sich schon auf das Essen heute Abend. Wir tun es jedenfalls! Ach, und übrigens: Große Robe. Nicht dass das von Bedeutung wäre, aber hoffentlich haben Sie einen Smoking dabei! Haben Sie in Ihrem fantastischen Helikopter einen Smoking herbringen lassen?«

»Haha! Mrs Tode! Nicht im Traum würde ich daran denken, ein so prächtiges, atemberaubendes Herrenhaus wie das Ihre ohne die große Robe aufzusuchen!« Er grinste. Doch eigentlich galt seine Aufmerksamkeit dem Rasen. Er zahlte eine halbe Million US-Dollar, um einen Film auf diesem Misthaufen zu drehen, wo der Rasen aussah, als hätte jemand draufgekotzt.

»Das freut mich!«, rief India aus. »Wie clever von Ihnen! Was für ein Glück! Natürlich hätte ich das schon früher erwähnen sollen, aber es ist mir erst vor drei Sekunden eingefallen. Ohne Smoking könnten wir selbstverständlich kein Dinner in der Langen Galerie veranstalten! Das wäre einfach nicht angemessen, oder? Der arme Mr Carfizzi würde einen Nervenzusammenbruch kriegen!«

»Und das würden wir natürlich nicht wollen!«, meinte Alyster schmunzelnd. (Wer, zum Teufel, war Mr Carfizzi?)

»In der Langen Galerie muss man einfach Smoking tragen, Brendan. Das ist die goldene Regel … Sie heißen doch Brendan, oder?«

»Eigentlich eher Alyster«, antwortete er. »Aber ich reagiere auf jeden Namen!«

»Alyster, ja, genau. Tja, dann bis später, Alyster! Und sagen Sie doch bitte India zu mir. Punkt sieben im Chinesischen Salon. Okay, Alyster? Hat Mr Carfizzi Ihnen gezeigt, wo Sie heute Nacht schlafen?«

»Noch nicht.«

»Ach … Nun, Sie sind ja auch ein bisschen früh dran, nicht wahr? … Ich glaube, wir haben Sie nicht vor dem Nachmittag erwartet. Aber egal. Bestimmt zeigt er es Ihnen, wenn es an der Zeit ist. Zögern Sie nicht zu fragen, falls es Probleme geben sollte!«

Alyster Crowleys Mund lächelte nach wie vor. Doch als India sich zum Gehen wandte, platzte es aus ihm heraus. »Wir können keine Aufnahmen von gelbem Gras machen«, bellte er.

»Hm?«

Alyster holte wütend Luft. »Das hier soll ein herrschaftliches Anwesen sein. Ein perfektes englisches Herrenhaus. Wie soll uns das denn jemand abkaufen, wenn der Rasen aussieht, als hätte den ganzen Sommer über ein Rudel kranker Katzen draufgepisst?«

»Ein Rudel Katzen?« India sah ihn verständnislos an. Erstaunt darüber, so von jemandem angeblafft zu werden, der ihr noch Sekunden zuvor so überschwänglich schöngetan hatte. Und ebenfalls erstaunt darüber, dass ein Mensch so dumm sein konnte.

»Es hat Wochen nicht geregnet, Alyster. Waren Sie in letzter Zeit nicht hier? Wir haben Gießverbot.«

Inzwischen hätte Alyster sich gewünscht, statt der Lederweste ein T-Shirt zu tragen. Er spürte, wie ihm der Schweiß zwischen den feisten Schulterblättern herunterlief. Widerlich. Und er wiederholte: »Wie sollen wir denn einen Film drehen bei der Katzenpisse überall?«

India lachte schockiert. »Offen gestanden kenne ich mich damit nicht aus.« Nun lächelte sie; ausnahmsweise kam dieses Lächeln nicht von Herzen. Alyster war ein höchst unattraktiver Mann. Und die Lederweste wirkte kurios. Was hatte er sich dabei gedacht, als er sie am Morgen anzog? Plus: Er war zu alt für eine kurze Hose, und seine Oberschenkel waren einfach nur krass. Plus: Hatte er irgendjemanden um Erlaubnis gefragt, bevor er seinen Scheißhubschrauber auf ihrem Feld landen ließ? Stand das im Vertrag?

»Egal.« Sie machte Anstalten, sich zu entfernen. »Ich wünsche Ihnen trotzdem noch einen tollen Tag! Bis später.« Doch dann gewann ihre Gutmütigkeit die Oberhand. »Wissen Sie was, Alyster? Sie sollten mit meinem Mann reden. Vielleicht kann der Ihnen helfen.«

»Reden brauchen wir nicht«, erklärte Alyster. »Nur das Gras muss gegossen werden.«

»Leider können wir das nicht«, India verzog das Gesicht, was Bedauern ausdrücken sollte, »wegen des Gießverbots. Aber als Eggie noch bei Savills in Wandsworth war und sie die Werbebroschüren gestaltet haben, wurde die Farbe vom Rasen mit dem Computer nachgebessert, wenn er irgendwie schlammig aussah! Einfach so!« Kichernd deutete sie mit Gesten die winzigen Bewegungen einer Computermaus an, die dazu nötig waren. »Kinderleicht. Allerdings darf man’s nicht übertreiben, sonst schaut’s komisch aus. Zu grün, wenn Sie wissen, was ich meine. Möglicherweise wäre das ja eine Idee für Sie. Fragen Sie ihn doch heute Abend!«

Sie betörte ihn mit einem weiteren breiten, großäugigen, rosenwangigen, gutmütigen Lächeln und entfernte sich … Vielleicht sollten sie heute Abend zur Abwechslung mal den Gelben Salon benutzen? Der war viel prächtiger als der Chinesische; die beiden Oscargewinner wären beeindruckt … Allerdings hatte sie vor, zum Dinner Gelb zu tragen, und sie wollte ja nicht mit den Wänden verschmelzen … Und Rot biss sich damit. Also kam Rot nicht infrage. Schwarz – nein, für Schwarz war es zu heiß … Der Chinesische Salon oder der Gelbe? Oder hatten die Filmleute den Gelben am Ende schon okkupiert …? Das Musikzimmer? Das Imperiale Singzimmer? …

Inzwischen hatte sie das Gärtnerhaus erreicht. Höchstwahrscheinlich würde Alice ihr helfen können. Sie würden sich beim Frühstück darüber unterhalten.

Das Gärtnerhaus

8:47 Uhr

Als Alice Liddell Indias fröhliches Klopfen hörte, wusste sie sofort, wer da vor der Tür stand, und sie stieß im Innern des Cottage ein leises Seufzen aus. Schließlich war es noch nicht mal neun, und ihre Drillinge weilten bei ihr, eigens, um die Filmstars kennenzulernen – und um zu sehen, ob sie irgendeinen Job am Set ergattern konnten. Wie erwartet hatten sie den letzten direkten Zug aus London verpasst und stattdessen einen genommen, bei dem sie in Leeds umsteigen mussten und der um 2:58 Uhr morgens in York angekommen war. Genialerweise hatten sie am Bahnhof eigenständig ein Uber-Taxi organisiert, was einen großen Schritt in Richtung Erwachsenwerden für sie bedeutete (dachte Alice). Was nicht hieß, dass es kein Potenzial für weitere Verbesserungen gegeben hätte.

Als die Drillinge kurz vor vier Uhr morgens das Gärtnerhaus erreicht hatten, waren sie überraschenderweise zu dem Schluss gelangt, dass es noch nicht wirklich Zeit zum Schlafen sei. Sie hatten den Rest der Nacht Dosenbier getrunken und Joints geraucht und sich rücksichtsvoll leise unterhalten, um niemanden aufzuwecken. Bereits fünf Stunden später sah das gesamte Haus – sogar die Räume, in denen sie gar nicht gewesen waren – aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Das war jedes Mal so, wenn Alices Drillinge zu ihr kamen.

Morman, Jacko und Drez. Alle einundzwanzig. Studenten im dritten Jahr, an drei unterschiedlichen Londoner Unis, in den Fächern … Alice verwechselte die Fächer oft. Jedenfalls handelte es sich um moderne Themen: Geo-Relocationing. Wasserverteilung. Konfliktmanagement.

Wie sehr sie sie liebte! Sie waren einfach zum Anbeißen! Sanftmütig, aufgeschlossen, modern. Obendrein gut aussehend. Schlank, sportlich, klare Gesichtszüge, unter den Bärten. Sehr, sehr liebe Jungs, immer und in jeder Hinsicht. Doch im Moment …

Ihre Rucksäcke lagen im Flur, der Inhalt war über den Boden verstreut. An sämtlichen Oberflächen der Küche klebten Überbleibsel ihrer Nutella-Orgie um vier Uhr morgens, und als India an der Tür klopfte, waren sie dabei, ihre nächste Mahlzeit zuzubereiten. Sie brutzelten Speck, wippten im Takt zu ihrer Chillwave-Indietronica-Musik mit dem Kopf und tanzten selbstvergessen vor den fettspritzenden Bratpfannen.

Ebenfalls anwesend – das wurde allmählich zur Gewohnheit – war Mad Sir Ecgbert, der auf ein zweites Frühstück bei Alice hoffte. Unter normalen Umständen genoss Alice seine Gesellschaft sehr. Doch an diesem Morgen waren ihr zu viele Menschen in der Küche.

Abgesehen von den Drillingen und Ecgbert (Sir) thronte am Kopfende des Tisches extravagant wie eh und je in einem Satinkaftan von Balmain aus den Fünfzigerjahren mit dazu passenden Smaragden die Großmutter von Egbert (Mr) und Ecgbert (Sir), die verstorbene Geraldine, Lady Tode (1907 – 1971). Sie war sozusagen Dauergast. Möglicherweise hätte sie Anstoß an der Bezeichnung »Gast« genommen, weil sie bereits lange vor Alices Ankunft im Gärtnerhaus residiert hatte und noch lange, nachdem Alice es verlassen hätte, dort bleiben würde.

Alice hatte Lady Tode in dem Jahr, das sie das Cottage nun schon teilten, ins Herz geschlossen. Doch sie konnte schwierig sein. Da sie alt, sehr von sich eingenommen und leicht eingeschnappt war, hasste sie es, sich irgendjemandem unterzuordnen. Ihren Enkel Ecgbert (Sir) tolerierte sie, weil sie ihn letztlich sogar ziemlich gut leiden konnte. Aber sie mochte es nicht, wenn Alices Drillinge zu ihr kamen. Bereits den ganzen Morgen über gab sie laute negative Kommentare über sie ab.

»Warum sagt Alice diesen Burschen nicht, dass sie ihre Hosen hochziehen sollen?«, fragte sie.

»Junge Leute ziehen ihre Hosen oft nicht hoch«, erklärte Ecgbert. »Stimmt’s, Trudy? Das ist total in.«

Die Drillinge konnten Lady Tode weder sehen noch hören, wussten jedoch um Ecgberts Exzentrik, weswegen sie nicht weiter auf seine merkwürdigen Gesprächsbeiträge achteten und sich nicht die Mühe machten, etwas darauf zu erwidern. Sie freuten sich einfach nur darüber, in Yorkshire zu sein, über den Speck, über die Chillwave-Indietronica-Musik.

Jedenfalls drängten sich so oder so ziemlich viele Personen und Persönlichkeiten in dem einen Raum.

Dazu Alice im Morgenmantel.

Und jetzt kam auch noch India.

Klopf-klopf-klopf.

Klopf-klopf-KLOPF-KLOPF-KLOPF.

(Von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger.)

»Wer, zum Teufel, ist das?«, erkundigte sich Sir Ecgbert, der auf dem Stuhl neben seiner Großmutter lümmelte, die maßlos langen Beine über zu viel Bodenraum ausgestreckt. »Übrigens, Dregz’n’Co … lasst mir was von dem Speck, ja? Ich hab Hunger.«

»Jap, so was von klar, Bro«, meinte Drez. »Ziehst du dir Bohnen dazu rein, Ecgbert? Mum, haben wir Bohnen?«

»Ich nehm Bohnen«, tat Morman kund.

»Warum müssen sie so reden?«, beklagte sich Lady Tode (1907 – 1971). »Alice, sagen Sie ihnen, sie sollen die Hosen hochziehen.«

Ohne irgendjemandem Beachtung zu schenken, schlurfte Alice in Pantoffeln zur Tür, um sie zu öffnen.

»Hallooo!«, begrüßte India sie strahlend. »Ich bin’s bloß! Kann ich reinkommen?« Gesagt, getan. »Alice, draußen ist mir gerade ein Verrückter begegnet. Schätze, uns stehen ein paar harte Wochen bevor. Oder besser gesagt: Ihnen, haha. Wir verziehen uns ja nach Paxos … Grässlich, wie der Typ angezogen war.« Sie schauderte. »Meinen Sie übrigens, die Leute vom Film würden Mellors fürs Dinner einen Smoking leihen? Sonst fühlt er sich wie das fünfte Rad am Wagen. Er ist ja schon in bester Stimmung nicht ganz einfach …« Sie hielt inne. Schnupperte. »Gütiger Himmel! Heute Morgen riecht’s hier aber gewaltig nach Cannabis! Übertreiben Sie nicht ein bisschen, Alice? Es ist erst neun. Natürlich geht mich das nichts an …« Wieder machte sie eine Pause. Sie stand auf der Schwelle zur Küche, von wo aus ihr Blick auf Ecgbert (Sir), der am Tisch lümmelte, sowie die Drillinge fiel, die ihre schmalen Hüften im Takt zur Indietronica-Musik wiegten und ansonsten jung und attraktiv aussahen, wie sie so ihre Selbstgedrehten rauchten und Speck brieten. »ALICE!«, rief sie aus. »Was sehen meine müden Augen? Sie haben mir gar nicht erzählt, dass die Drillinge da sind! Wann sind sie gekommen? Haben sie Smokings? Hallo, Jungs, schön, dass ihr hier seid.«

Allseits Umarmungen. Die Jungs liebten India, und India liebte die Jungs. Als sie endlich fertig waren, sagte Ecgbert »Hallo, India«, und India umarmte auch ihn, weil sie nicht wollte, dass er sich ausgeschlossen fühlte.

»Gott sei Dank kann diese alberne Frau mich nicht sehen«, grummelte Lady Tode (1907 – 1971), die als Geist weder in der Lage war zu umarmen noch umarmt zu werden und ohnehin jeglichen Körperkontakt missbilligte, wenn es sich nicht gerade um heißen Sex handelte, den sie zu ihrer Zeit sehr genossen hatte.

»Jungs, ihr müsst heute Abend zum Essen kommen. Unbedingt! Nicht wahr, Alice? Wissen sie Bescheid?« Sie wandte sich den identischen Drillingen zu. (In jeder Hinsicht identisch herrlich.) »Wisst ihr, wer heute Abend bei uns zu Gast ist?«

Natürlich wussten sie das. Deswegen waren sie ja nach Yorkshire gefahren. Doch im Moment erschien es ihnen passender, ahnungslos zu wirken.

»Die zwei berühmtesten Filmstars der Welt … Habt ihr gewusst, dass die kommen?«, fragte India.

»Nö!«, rief Jacko aus.

»Negatorisch!«, meinte Morman gespielt verblüfft.

»Echt, wir hatten nicht die blasseste Ahnung!«, pflichtete Drez seinen beiden Brüdern bei.

India musste lachen. »Natürlich habt ihr’s gewusst! Deshalb seid ihr doch da, oder?«

Dregz’n’Co, die nur höflich hatten sein wollen, liefen ein bisschen rot an und gaben zu, dass sie tatsächlich informiert gewesen waren. Schon lange. Dass sie inmitten der endlos langen Semesterferien in der Hoffnung nach Tode Hall gefahren waren, die Stars kennenzulernen und vielleicht einen Job am Set zu ergattern.

India erklärte, sie könne ihnen bestimmt einen Job verschaffen. Gleich anschließend werde sie mit dem Regisseur reden, dessen Name ihr gerade nicht einfalle. (Sie musste ihm ja der Smokings wegen Bescheid geben.) Wenn die Jungs sie begleiteten, würde sie sie vorstellen. »Aber«, fügte sie hinzu, »und ich möchte jetzt nicht pedantisch wirken … ihr müsst normales Englisch sprechen, das ist euch klar, oder? Sonst versteht euch niemand.«

»Megaklar! Wissen wir doch!«, versicherte Drez. Ein Scherz. Alle lachten, nur nicht Lady Tode, die ihn nicht verstand.

»O mein Gott«, rief India aus, »die werden euch lieben! Wenn nicht, zerreiße ich höchstpersönlich den Vertrag, das schwöre ich euch. Dann können sie ihre Fernsehserie sonstwo drehen … Übrigens zahlen sie uns ein Heidengeld.«

»Das will ich hoffen«, meinte Geraldine, Lady Tode (1907 – 1971). »Obwohl zu meiner Zeit …«

India, die sie nicht hören konnte, redete weiter. »Apropos … Das wird euch gefallen, Jungs, und Ihnen, Alice, auch. Ecgbert …« Sie legte eine kurze Denkpause ein. »Dir ist es wahrscheinlich so oder so egal. Was machst du überhaupt hier? Jedes Mal, wenn ich herkomme, bist du da. Was läuft?«

»Nichts!«, antwortete Alice, ein wenig gereizt.

»Nicht das Geringste, India. Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten«, herrschte Ecgbert sie an. »Was wolltest du gerade erzählen, als dir deine Neugierde dazwischengekommen ist?«

India blickte vielsagend in die Runde und überlegte. »Ach ja! Diese Filmtypen zahlen uns ein absolutes Vermögen. Eggie und ich haben beschlossen, das Geld aufzuteilen, als so eine Art Mittsommernarreteibonus für die Leute, die uns auf dem Anwesen zur Hand gehen und die wir tatsächlich mögen. Verratet niemandem was, weil Ihr-wisst-schon-Wer im Büro definitiv nichts bekommt. Eigentlich niemand im Büro. Mellors kriegt auch nichts. Der verdient genug an dem Wahnsinn. Außerdem ist er in letzter Zeit so mürrisch … Wir teilen’s auf … Das heißt, Eggie und ich behalten die Hälfte. Weil – na ja, ist eh klar … Aber Mr und Mrs Carfizzi, Kveta und Sie, Alice … und noch ungefähr vier andere. Ich erinnere mich gerade nicht, wer … Ich habe ausgerechnet, wie viel Sie bekommen, Alice. Wir geben’s Ihnen, sobald die Dreharbeiten beendet sind. Soll ich laut sagen, wie viel, oder bleibt das unser süßes Geheimnis?«

»Sag’s!«, riefen die Drillinge aus und fuchtelten mit ihren Spateln herum, dass das Fett nur so in der Küche spritzte.

»In diesem Gärtnerhaus gibt es keine Geheimnisse!«, erscholl Lady Todes Stimme (die nur Alice und Ecgbert hören konnten).

Selbstverständlich war Alice entzückt über diese Ankündigung. Doch als Engländerin (eines gewissen Alters) war es ihr irgendwie peinlich, dass dieses Thema so nonchalant diskutiert wurde. Sie sah Ecgbert an – den das Ganze kein bisschen interessierte. Für ihn war das alles bloß Monopoly-Geld. Trotzdem …

India bemerkte Alices Unbehagen. »Ich verrate es Ihnen später«, meinte sie taktvoll. »Jedenfalls ist es eine hübsche Summe, Alice … Glaube ich zumindest.« Kurz wurde sie unsicher. Waren zwanzigtausend Pfund eine hübsche Summe? Oder Peanuts? Oder ein mittlerer Betrag? India hatte keinerlei Gefühl für Zahlen und hätte nicht einmal, wenn man ihr die Pistole auf die Brust setzte, sagen können, wie viel Alice verdiente. Folglich fiel es ihr schwer, ihre eigene Frage zu beantworten.

Der Cateringtruck

10:00 Uhr

Auf der anderen Seite der lang gezogenen Rasenfläche, ein wenig abseits, hielten der Schatzmeister (Executive Producer) von Tanze Alyster Crowley und Noah Thistlestrupp, der Regisseur von Tanze, über Tabellenkalkulationen gebeugt, vegane Kartoffelrösti in sich hineinschaufelnd und Rote-Bete-Smoothies schlürfend, ein Frühstückstreffen ab.

Sie hatten eine Nische im Cateringtruck des Teams für sich requiriert, und wie üblich war Alyster Crowley schlecht gelaunt. Im Moment richtete sich sein Zorn auf die Farbe des Grases, doch eigentlich war er über alles wütend: über seine erstaunlich unbequeme Weste, seine gefühlskalte Mutter, seinen nichtsnutzigen Vater … Über seine erste Frau, deren Name ihm gerade nicht einfiel. Über seinen ältesten Sohn, der ein Drogenproblem hatte. Über sämtliche Frauen der Welt, egal, ob sie mit ihm schliefen oder nicht. Und so weiter und so fort. An diesem sonnigen Augustmorgen musste Noah Thistlestrupp die Auswirkungen von Alyster Crowleys lebenslanger Desillusionierung ertragen. Egal. Das war Teil des Jobs. So entstanden Alysters Filme nun mal. Alyster flog ein. Machte allen, mit denen er zu tun hatte, das Leben so schwer wie möglich. Dann flog Alyster wieder weg.

Gerade war er dabei, mit dem Entzug eines Großteils des Budgets zu drohen, falls niemand etwas gegen die Farbe des Rasens unternahm.

Thistlestrupp nickte vor sich hin. Sein iPhone lag auf seinem Schoß, unter dem Tisch. Während Alysters Schimpftiraden schickte er seiner schwangeren Frau Alison (Baby Nummer drei, nichts Aufregendes) eine SMS wegen des Zweitschlüssels für den Wagen, der vermisst wurde.

Thistlestrupp schrieb:

»Keine Ahnung, sorry. X«

»… Vierhunderttausend Pfund, und die sind nicht in der Lage, den verdammten Rasen zu gießen. Das hier ist doch Scheißengland, oder? Und England ist grün.«

»Ich für meinen Teil bin sogar glücklich über die Senffarbe«, murmelte Thistlestrupp und steckte das Handy weg. »Das habe ich Dave [Dave Snare, Serienproduzent] auch gesagt. Die Senffarbe symbolisiert Dekadenz.«

»Wie bitte? Was zum Teufel redest du da? Das amerikanische Publikum will keine Dekadenz. Das möchte Lords und Ladys mit Diademen sehen. Und leuchtend grüne Parks.«

Über die grüne Farbe des Rasens hatte man bereits ausführlich diskutiert. David Snare, der Serienproduzent, der über die Situation aufgeklärt worden war, hatte Noah Thistlestrupp ein ganzes Spektrum von Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt: Eine halbe Million würde es kosten, über das Gras, das augenblicklich die falsche Farbe besaß, frischen grünen Rollrasen zu legen. Diese Option war schnell verworfen worden. Ein bisschen weniger kostspielig wäre es – circa vierhunderttausend Pfund –, es Indias Vorschlag folgend bei der Postproduktion nachzubearbeiten. Und etwa zweihunderttausend Pfund musste man berappen, wenn eine ganze Armada von Tankwagen die Rasenflächen in den vergangenen vierzehn Tagen vorschriftswidrig gewässert hätten … Am Ende wurde keine dieser Alternativen gewählt, weil Thistlestrupp, dessen künstlerische Vision maßgebend war, wunderbarerweise zu dem Schluss gelangte, dass die Senffarbe des Grases genau die Message transportierte, die er zu vermitteln versuchte. Die Story, die er erzählen wollte, war nicht Tanze im Takt zur Musik nach der Vorlage des sogenannten »Romanklassikers«, den Thistlestrupp nicht gelesen hatte (ihm genügten einige ausgezeichnete Zusammenfassungen und Anmerkungen). Thistlestrupps Interpretation der Kernaussage des Buches drehte sich um Modernität. Für Thistlestrupp symbolisierte der senffarbene Rasen den Verfall des Kapitalismus, die Ambiguität von Ort, Person, Identität und Geschlecht, die Klimakrise, das Zeitenende.

»England muss grün sein«, erklärte Alyster Crowley. »Du willst mein Geld? Dann gib mir verdammt noch mal grünen Rasen.«

Thistlestrupp nickte höflich. In ein oder zwei Tagen wäre Crowley wieder weg, in LA, bei den Sprinklern im heimischen Garten.

»Verstehe«, meinte Thistlestrupp. »Das musst du mit Dave besprechen.«

»Ich rede nicht mit David, sondern mit dir! Hallo?« Er klopfte auf die Resopaloberfläche des Tisches. »Hallo? Erde an Thistlefuck. Hörst du mich?«

»Wie gesagt«, meinte Thistlestrupp, »darauf habe ich keinen Einfluss. Du musst mit Dave sprechen … Ist er heute Abend bei dem Essen dabei? Schätze, er hat sich irgendwie rausgewunden, der Glückliche. Du kommst aber, oder?«

»Sie überlassen uns diesen Misthaufen mit Katzenklorasen für vierhunderttausend Pfund. Sonst fällt ihnen nichts ein als Smokings …«

Thistlestrupp nickte, diesmal aufrichtig. Offenbar hatte der Typ, dem das Anwesen gehörte, auf dem Dinner vor Beginn der Dreharbeiten bestanden. Eine Art Geschenk für seine Frau zum Hochzeitstag. Dazu waren zur Unterhaltung der Dame des Hauses zwei Hofnarren, ihres Zeichens Oscargewinner, geladen. So viel zum Thema Dekadenz. Thistlestrupp verachtete das britische Klassensystem und wollte das in seinem Werk zeigen. Wenn er dazu einen Smoking tragen und einen Abend lang in der Langen Galerie mit Silberbesteck speisen musste, dann war es eben so.