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Disclaimer: Dieses Buch ist zwar in schwarz-weiß gedruckt, enthält aber durchaus Regenbögen, zudem Einhörner und Wokeness, wenn auch nicht nur! Bei empfindlichen Personen kann das zu übermäßiger Gereiztheit und geistiger Flatulenz, insbesondere in den sozialen Medien, führen. Es handelt von organisierter Kriminalität und eher lokalen Ganoven und ist in seinen diversen Handlungen teilweise nicht immer korrekt im juristischen Sinn. Es enthält an keiner Stelle Empfehlungen zur Nachahmung! Das Fahrradfahren mag an dieser Stelle ausdrücklich als Ausnahme erwähnt werden. Die geschichtliche Komponente, die hier behandelt wird, ist nicht korrekt im Sinne historischer Forschung - dieses Buch ist schließlich eine Fiktion - aber eine im Zeitgeist mögliche Geschichte. Es liegt an uns und unserem Zeitgeist, künftige Geschichte anders geschehen zu lassen. Personen, die sich in den Texten wiederfinden, tun das auf eigene Gefahr. Keine der handelnden Protagonisten und Antagonisten oder beschriebenen Toten basieren auf realen Personen. Und die Geschichte ist erfunden. Wen Tote und sexualisierte Gewalt triggern, der sollte es nicht lesen. Wer Humor eher homöopathisch konsumiert und sich im ideologischen Sinn überwiegend biologisch determiniert weiß, sollte unbedingt seinen Lebensberater (m/w/d) vor der Lektüre konsultieren! Das Buch kann zudem Spuren von Katzen enthalten! Die fünf Katzen sind des Weiteren der Meinung, der Verweis auf die Katzen gehört eigentlich an erste Stelle. Cannello findet insbesondere, man hätte generell mehr Rücksicht auf ihn nehmen sollen. Das Buch ist ab 18, aber eigentlich sind Jugendliche meist abgebrühter als die Generation mit beginnender Schnappatmung. Es enthält übrigens an keiner Stelle explizite Schilderungen, die eine solche Klassifizierung notwendig machen würden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Ein paar Warnungen …
Die Vogelscheuche
Ein Stick
Nacht(un)ruhe
Morgengrauen
Frühstück mit Cinderella
Kneipenbummel
Der Morgen danach…
Unordnung
Der Feind meines Feindes
Und nun?
Der Stick!
Der hechelnde Hund
Die Wende
Steckbriefe der Agenten
KiaraBorini
Die tote Vogelscheuche in der Mark Brandenburg
Ein Kriminalfall mit 5 Katzen
Texte: © 2024 Copyright Kiara Borini
Umschlag: © 2024 Copyright Kiara Borini
Verantwortlich für den Inhalt:
Kiara Borini 14542 Werder (Havel) Weißdornweg 10 books.borini.eu/impressum [email protected]
Druck: Tolino Media
Für die, die mich zu diesem Buch inspiriert und mich bei diesem Projekt unterstützt haben.
Dieses Buch ist reine Fiktion. Fiktion bedeutet, dass das Geschriebene nicht das Seiende oder das zwingend Wünschenswerte ist, noch nicht mal, dass es das Mögliche ist. Es ist schlicht etwas, das ausgedacht wurde, überwiegend, um den Leser zu unterhalten.
Weder die handelnden Personen oder Organisationen, noch Begebenheiten und Techniken existieren in dieser Form im realen Leben, sondern sind Produkt meiner überbordenden Fantasie. Mitunter bin ich sogar der Meinung, Brandenburg selbst ist an und für sich irreal und die dort handelnden Personen nur bedingt mit üblichen Maßstäben greifbar. Als im Mittelalter Lehen an den Adel vergeben wurden, glich Brandenburg zeitweise einer Strafversetzung, so wie bayrische Polizisten bei Auffälligkeiten heutzutage Dienst in München schieben müssen.
Lediglich die Katzen haben mir als reale Vorlage gedient. Auch hier muss ich einschränken, dass sie bisher noch nicht alle im Buch geschilderten Kompetenzen konkret im Alltag gezeigt haben. Insbesondere bei Meredith bin ich aber überzeugt, sie wird mich eines Tages eines Besseren belehren!
Produkte, die im Buch erwähnt werden, sind exemplarisch zu verstehen. Weder werden durch diese Erwähnung irgendwelche markenrechtlichen Belange ihrer jeweiligen Eigentümer tangiert, noch sind geschilderte Eigenschaften in der Realität Bestandteil dieser Produkte. Die genannten Eigenschaften sind lediglich literarischer Teil der Geschichte und zielen, sofern eine Verbindung zur Realität besteht, lediglich darauf ab, grundsätzlich das Augenmerk auf die Wichtigkeit sicherer Systeme an sich zu lenken.
Wie fast immer im Umgang mit Fiktion, ist, durch sie inspiriert, keinerlei Aufforderung zur Nachahmung angeraten!
Parents, please advise your children, not to do this at home!
Noch ein abschließender, warnender Hinweis:
Das Kapitel „Kneipenbummel“ enthält - wenn auch nicht explizit - Schilderungen sexualisierter Gewalt und mag auch ansonsten für manche entsprechend sensiblen Gemüter verstörend wirken. Für den Verlauf des Kriminalfalls ist die genaue Kenntnis jedoch nicht zwingend erforderlich. Wer meint, dass die Lektüre zu belastend ist, kann das Kapitel ohne Weiteres überspringen; das darauffolgende Kapitel setzt einen entsprechenden Anschlusspunkt, damit man sich weiterhin auf die Lösung des Falls konzentrieren kann.
Die gedruckte Fassung kann zudem Spuren von Erdnüssen und Schalentieren enthalten.
Vogelscheuchen an sich sind schon gespenstisch. Besonders morgens bei Bodennebel auf den brandenburgischen Obstplantagen, wenn sie allzu begierige Krähen und Stare verscheuchen sollen. Was aber der eigentliche Grund war, warum Julia sich auf ihrer morgendlichen Fitness-Runde vor dem Frühstück so gepflegt auf die Fresse legte, war der Umstand, dass die Vogelscheuche lebte.
Bei genauerer Betrachtung (natürlich) Plusquamperfekt: gelebt hatte, bevor man sie an ein Holzkreuz band. Die Hände und Beine wiegten sich leicht im Wind. Die Leichenstarre war also bereits vorüber, denn der Geruch, der herunterwehte, war trotz der weiten Natur auf eine widerwärtige Weise unangenehm süßlich.
Gut abgehangen, durchzuckte sie ein Gedanke, den sie sogleich erschrocken als geschmacklos verurteilte. Aber die Situation war einfach zu surreal für Pietät. Sie kannte den Geruch, intensiver zumeist, wenn ihre Katze Macchiata, die Gefleckte, mal wieder Beute ins Schlafzimmer gebracht hatte, die nur zur Hälfte verspeist, dann tagelang unbemerkt vor sich hin fermentierte. Dieser Drang, einfach nur den Inhalt der Verdauungsorgane nach außen zu befördern, während man mit ganzer Kraft tunlichst bemüht war, die Atmung auf das Mindestmaß zu reduzieren, um eine Masse mit zweifelhafter Konsistenz möglichst schnell zu entsorgen.
Diese Vogelscheuche war aber wohl noch nicht so lange der Vergänglichkeit ausgesetzt. Ein Gegenstand plumpste aus ihrer Hosentasche und fiel vor Julia auf den Acker. Gedankenverloren steckte Julia den Gegenstand ohne nähere Betrachtung in ihre eigene Tasche. Sonderlich reflektiert war das nicht, aber wer ist schon bei klarem Verstand in so einer Situation. Angewidert wandte sie sich ab.
Auf dem Feldweg drehte sich das Hinterrad ihres Rennrades mit letzter Kraft, bevor es dann zum Stillstand kam. Das Vorderrad würde sich wohl erst wieder drehen, wenn ein paar Speichen ersetzt wären. Es war in sich verbogen und Julia fragte sich, ob nicht gleich das ganze Laufrad ersetzt werden müsse.
‚Ein stabiles 5G-Netz‘, stellte Julia mit Blick auf ihr Smartphone fest. Sie könnte jetzt jede Person auf der Welt anrufen, die ich kannte und ihr von der Vogelscheuche erzählen. Und sie könnte diese bitten, zu Hilfe zu kommen, wenn sie nur genau wüsste, wo genau sie aktuell war. Da sie das Telefon in der Hand hatte, machte sie noch ein paar Fotos von der gespenstischen Situation, wollte dann schon das Rennrad mit seiner oberen Querstange über die Schulter nehmen und den Weg weiter humpeln, als sie eine bei näherer Betrachtung eigentlich recht dumme Idee hatte.
Sie postet das Bild in ihrem Social-Media-Kanal und drückte den Butten mit der Ortsinformation.
Brandenburg/Potsdamer Havel- und Seengebiet
erhielt sie als Ortsinformation.
‚Na toll‘, dachte sie. ‚Dann weiß ich ja wirklich, wo ich bin.‘
Sie kannte die Route natürlich, ihre 25 Kilometer, die sie jeden Morgen mit ihrem Fahrrad abspulte. Aber, den Namen des Feldwegs, auf dem sie sich gerade befand, den hatte sie natürlich nicht im Kopf. Und Ihr Smartphone hatte diese Information offensichtlich auch nicht. Sie überlegte scharf, in welche Richtung ihrer Runde sie nun am schnellsten zu Fuß nach Hause gelangen konnte. Schließlich hatte sie nicht vor, das Fahrrad über die gesamte Strecke zu tragen. Denn der Rundkurs war kein Kreis, sondern durch die Landschaft, die Felder und die nahegelegene Windkraftanlage bestimmt. Sie musterte diese und überlegte. Auf ihrer Runde begegnete sie dieser mehrere Male. Heute war sie erst einmal an ihr vorbeigefahren; also entschied sie sich schließlich für eine Richtung.
Erst jetzt merkte sie, dass sie beim Abrollen über den Lenker weniger formvollendet gelandet war, als sie zunächst gedacht hatte.
Julia war eigentlich eine ‚toughe‘, moderne junge Frau, die man so leicht nicht aus der Bahn schubsen konnte. So war zumindest ihr eigener Eindruck. Dennoch brauchte es einige Wegbiegungen des Feldweges, bis sich durch die klare Luft ihr Magen halbwegs beruhigt hatte. Dass sie gemeinhin vor dem Frühstück ihre Runden drehte, half ihr dabei natürlich.
Fast wäre sie von einem entgegenkommenden eBike-Fahrer vom Weg geschubst worden, der aufrecht sitzend und mit wenig Beinarbeit, dafür aber einem Coffee-To-Go-Becher in der Hand, mit für die Biegung des Wirtschaftswegs zu hoher Geschwindigkeit mehr Platz beanspruchte, als ihm eigentlich zustand. Julia wich auf den bewachsenen Rand aus und nahm ihr Fahrrad kurz von der Schulter. Es kam ein weiteres Fahrrad, und sie beschloss lieber gleich am Rand zu pausieren.
Ziemlich viel los - um diese Uhrzeit -, dachte sie. Sie blickte auf Ihr Smartphone und bemerkte, dass der letzte Post offensichtlich gerade trendete. Schon über 600 Aufrufe, nach der kurzen Zeit. „Haben die Leute nichts Besseres zu tun?“, überlegte sie und schulterte sie ihr defektes Rad und trottete weiter.
Verwundert stellte sie fest, dass ihr noch ein amerikanischer Pick-up und ein Motorroller begegneten, während sie ansonsten eigentlich immer allein auf ihrer morgendlichen Runde unterwegs war. Zumal die Strecke eigentlich nur für landwirtschaftliche Fahrzeuge und Fahrräder freigegeben war.
Nach gefühlt unendlich vielen Wegbiegungen und mit leicht angespannter Schulter erreichte sie endlich die Parkplatz-Einfahrt des abgelegenen Häuschens an einem der Wirtschaftswege und schob das defekte Rad ganz durch auf den angrenzenden Rasen und lehnte es gegen einen Baum. Traurig sah es aus. Nach dem Frühstück würde sie nachsehen müssen, welche Teile sie benötigte, um es wieder instand zu setzen. Zunächst freute sie sich aber auf eine heiße Tasse Kaffee.
‚Gehört die Katze auf den Tisch?‘, überlegte Julia. Meredith schien die Frage entschieden positiv zu beantworten. Selbstbewusst lächelte sie sie an und gähnte. Meredith war eine norwegische Waldkatze. Das ist eine Katzenrasse, die ein überaus winterfestes Fell besitzt und in der Regel eine durchaus stattliche Größe. Meredith hatte man darüber offensichtlich nicht informiert. Sie war eher eine Bonsai-Ausgabe einer norwegischen Waldkatze. Klein und zierlich, eher eine Ballerina als ein Draufgänger. Ihr Fell war überwiegend schwarz und flauschig, die Füße jedoch bildeten einen wunderbaren weißen Kontrast. Diese weiße Farbe fand sich auch in Form eines plüschigen Lätzchens an der Brust, wodurch Meredith in der Nacht besonders gut zu sehen war.
Besonders beeindruckend war jedoch ihr Gesicht. Die eine Hälfte war schwarz, wie der Rest des Körpers, die andere hatte einen leicht ins goldene gehenden Ton, was ihr immer etwas Schelmisches vermittelte. Sie wirkte immer überaus klug; selbst, wenn sie gerade wieder etwas ausgefressen hatte. Man konnte ihr fast nie böse sein, selbst wenn sie so selbstverständlich auf dem Esstisch saß und um die Blumenvase schlich.
Ihre Mine sprach Bände, als wolle sie den missglückten Morgen kommentieren. Mit einer leichten Kopfbewegung blickte sie in Richtung des Erkers am Ende des Essplatzes auf das demolierte Rennrad. Dann sah sie Julia fragend an.
Aus welchem Impuls heraus Julia begann, Meredith von der Radtour zu erzählen, von der unheimlichen Begegnung mit der Vogelscheuche und den vielen Fahrzeugen, die ihr auf dem Rückweg begegnet waren, wusste sie eigentlich selbst nicht. Aber sie war so in Schwung und redete sich alles von der Seele, während sie die Kaffeemaschine anschaltete. Sie hatte sich angewöhnt, die Maschine bereits vor ihrer Runde zu bestücken, so dass sie sich nach einer Weile endlich mit einem Pott Kaffee an den Esstisch setzen konnte. Meredith hörte ihr die ganze Zeit gespant zu.
Erst als sie so saß, bemerkte sie, dass die Belastung auf dem Rückweg offensichtlich ihre Schulter verspannt hatte und sie überlegte, ob sie noch eine Salbe dagegen in der Hausapotheke hätte. Dann stand Meredith auf und ging zu dem Internet-Lautsprechersystem, dem man seine Musikwünsche per Sprachbefehl mitteilen konnte. Sie legt ihre Pfote auf das Gerät, um es zu aktivieren und maunzte in ihrer unnachahmlichen Art in das Gerät „E-ee-Aaa-O-U-Eee-A-O.
„Hallo Meredith, hier kommt deine Playlist“, antwortete der Lautsprecher.
Und dann spielte dieses Gerät „ScareCrow“ von Siouxsie & The Banshees. Julia saß wie versteinert am Esstisch.
„Wie in aller Welt kannst Du den Internet-Lautsprecher bedienen?“, überlegte sie laut.
„Iii-Oo-Ee-A“, antwortete Meredith in den Lautsprecher.
Die Musik unterbrach und eine künstliche Stimme klang aus dem Gerät: „Computer benutzen Token um Befehle platzsparend zu speichern, nachdem sie vom Parser in ihre semantische Struktur zerlegt worden sind. Auch die moderne Spracherkennung bedient sich bei dem Interpretieren solcher verkürzten phonetischen Muster. Semantische Lernfähigkeit ist ein strukturelles Merkmal von künstlicher Intelligenz. Soll ich noch Informationen über künstliche Intelligenz vorlesen?“
Julia sah Meredith noch verdutzter an. Natürlich war ihr bekannt, wie in der Informationstechnik mit komplexen Befehlen umgegangen wurde, letztlich war das etwas, vor dem sie in den letzten Monaten so energisch davongelaufen war. Parser sind übrigens Programme, die einen beliebigen Text untersuchen und Befehle und Variablen erkennen und vom Rest trennen. Sie hatte das im zweiten Studienjahr programmiert, als es darum ging, eine beliebige neue Programmiersprache zu erfinden. Das Schwierigste für sie war dabei gewesen, sich einen Namen für diese neue Sprache auszudenken. Als sie sich für ‚Heffalump‘ entschieden hatte, war ihr Professor nicht gerade begeistert.
Das Parsen ist nebenbei, gar nicht so viel anders als bei Kleinkindern, die sprechen lernen und irgendwann ein eigenes Wort formulieren.
Wenn man die Muster der neu definierten Befehle erkannt hatte, wurden sie als Kürzel gespeichert und vom restlichen Text getrennt behandelt. Dann konnte man sich darauf konzentrieren, diese Befehle auszuführen, um etwas mehr oder weniger Sinnvolles damit zu tun. Mit Sprache ist es ähnlich. Man kann damit Plätzchenrezepte aufschreiben, oder eine Steuererklärung machen.
Aber, dass ihre Lieblingskatze sie daran erinnerte, wie dieses Prinzip funktionierte, war dann doch etwas zu viel auf nüchternen Magen. Wortlos stand sie auf und holte sich aus der Küche einen Haferkeks.
Der Lautsprecher spielte inzwischen „Bicycle Race“ von Queen.
Julia ging auf ihr Zimmer. Eigentlich war es gar nicht ihr Zimmer, und bei genauer Betrachtung waren es auch gar nicht ihre Katzen. Sie zog ihre Leggins und den durchgeschwitzten Hoodie aus und huschte unter die Dusche. Ihre Schulter tat weh vom Fahrradtragen und erst jetzt wurde ihr die Tragweite dieses besonderen Vormittags bewusst. Sie schaute noch schnell auf ihr Smartphone. 48.367 Aufrufe hatte ihr Beitrag mit der Vogelscheuche inzwischen erreicht. Kein Wunder, dass ihr auf dem Weg so viel Schaulustige begegnet waren!
Emma saß auf ihrem Bett und blickte interessiert zwischen ihr und der Badezimmertür hin und her. Julia legte ihr Telefon auf die Kommode und schritt in Richtung Dusche.
Fünfzehn dampfende Minuten später, stand sie mit Badetuch um ihren Körper gewickelt und einem Handtuchturban auf ihrem Kopf erneut vor Emma. Emma schnurrte aufmunterungsvoll. Cannello gesellte sich zu ihr, Emma stand auf und ging, nicht ohne ihm vorwurfsvolle Blicke zuzuwerfen. Die Chemie zwischen beiden war mitunter nicht die beste. Cannello nahm es gelassen. Das war letztlich auch seine große Stärke. In der Ruhe lag die Kraft! ‚Nellchen‘ war die Gelassenheit selbst, bis auf die fünf bis zehn Minuten am Tag, an denen er wie von der Tarantel gestochen wild klagend durchs Haus tobte und seine ADHS-Anwandlungen hatte. Ansonsten konnte ihn kaum was aus der Ruhe bringen. Und Emma schon gar nicht.
Zwei der Katzen hatten wir an diesem Morgen noch nicht zu Gesicht bekommen. Macchiata, die Schwester von Emma und Cannello lag auf der Heizung und döste. Sookie, die Cousine der Mutter Meredith war gerade draußen und vertrat sich die Beine.
Fünf Katzen also, dazu ein Haus. Wie passt das zu einer aktiven jungen Frau Anfang zwanzig? Ist das nicht eher ein Sujet, dass zu einer in Würde gereiften Dame passen würde, die mit Einkaufstasche, vielleicht sogar einem Rollator die Einkäufe zurück in das abgelegene Häuschen inmitten der Wirtschaftswege in der Mark Brandenburg zurückbringen würde, statt mit Rucksack und Rennrad die notwendigen Erledigungen durchzuführen. Eine Frau, die, ein wenig schrullig vielleicht, zumeist mit den Katzen in genügsamer ‚Sechsamkeit‘ verbrachte? Zumal selbst ein Rennrad auf diesen Wegen nicht das ideale Fahrzeug war, denn die Wege bestanden überwiegend aus Schlaglöchern und Pfützen, dazwischen Geröll und aufgewühlter Sand von den landwirtschaftlichen Fahrzeugen.
Julia legte ihren Hoodie zusammen, da fiel der Gegenstand, den sie am Morgen aufgehoben hatte, aus der Tasche. Sie sah ihn interessiert an. Etwas größer als ein USB-Stick, drei unterschiedliche Öffnungen, um andere Geräte anzuschließen. Auf der Frontseite war ein Knopf, der mit zwei Schriftzeichen versehen war. Julia vermutete, das dieses chinesisch sein könne, war sich aber nicht sicher. Sie legte den Gegenstand zunächst einmal beiseite.
Der Tag entwickelte sich langsam und die Sonne schien in das Schlafzimmer. Man kann mit Fug und Recht behaupten, das Haus lag idyllisch, aber abgelegen. Es war nicht unbedingt baufällig, wies aber einen morbiden Charme auf und lag vor allem abseits von allem, was man bei einer jungen Dame Anfang zwanzig als grundsätzliche Interessenlage vermuten könnte.
Das Fahrradfahren hatten wir natürlich schon, nur war daran aktuell nicht zu denken. Cannello interessierte das ohnehin nicht. Die Zeit nach dem Frühstück und vor dem Mittagessen war ideal für ein Nickerchen, fand er. Zumal er aktuell ja das Bett für sich allein hatte.
Julia zog sich derweil an, legte ein wenig Tages-Make-Up auf, obwohl sie wahrscheinlich nicht weiter unter Leute gehen würde, und ging zurück in die Esszimmerecke. Schürfwunden an den Armen und Beinen, ein paar sich entwickelnde blaue Flecken, machten ihre Bemühungen, adrett auszusehen, ohnehin mehr oder weniger erfolglos. Zumal das hier, in der Brandenburger Einöde, ohnehin nicht wirklich bedeutend erschien. Immerhin, ihr war es wichtig, zwischen den Polen der Aktivität immer wieder halbwegs kultiviert auszusehen. Diese, wie auch andere Routinen, schienen ihr unverzichtbar. Immerhin war die Situation hier und in diesem Haus neu für sie. Das erforderte doch eine gewisse strukturierte Herangehensweise, oder? Zumindest wenn einem nicht alle Fäden entgleiten sollten.
Meredith saß noch immer auf dem Esstisch. Macchiata stand von der Heizung auf und schaute nach, ob noch etwas von dem Futter übergeblieben wäre.
‚Hast du gesehen, was mit deinem Post von heute morgen los ist? Die Aufmerksamkeit geht gerade durch die Decke!!‘, meldete ihr Telefon. Natürlich, genau genommen Sandra, die ihr das über den Messanger-Dienst mitteilte. ‚Diese Vogelscheuche sieht auch sooo realistisch aus!! Um diese Jahreszeit - es sind doch noch einige Monate bis Halloween. ’
Julia wollte schnell nachsehen und stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass sie keinen Zugriff mehr auf ihren eigenen Beitrag hatte. Sie teilte es Sandra mit und bekam prompt die Antwort, dass der Beitrag wirklich verschwunden sei. „Dieser Beitrag hätte sich als grober Unfug herausgestellt, der gegen die Statuten des Online-Dienstes sei, weshalb dieser Beitrag entfernt worden sei“, teilte ihr die verwunderte Sandra mit.
„Von Ihrem Telefon wurde eine unorthodoxe Aktivität festgestellt, die uns dazu veranlasst, ihren Zugang für 48 Stunden zu begrenzen. Einen schönen und erfolgreichen Tag, wünscht ihnen Ihr Social-Media-Dienstleister. Denken Sie daran, wir sind Tag und Nacht für Sie da!“, las Julia bei ihrem eigenen Versuch, ihren Beitrag aufzurufen.
Kurze Zeit später erhielt sie eine klassische SMS von Sandra. „Ich kann Dich auch gar nicht mehr über den Messenger erreichen, Dein Account ist gesperrt. Geht es Dir gut? Soll ich vorbeikommen? Ich weiß ja wie einsam es da draußen ist! Ich mache mir Sorgen um Dich!“
Sandra war ein Stadtkind. Und eine Stadt konnte gar nicht groß genug sein. Wenn es etwas größeres als Berlin in diesem Land gegeben hätte, wäre sie dort gewesen. So machte sie das Berliner Nachtleben unsicher.
Sie war im ruhigen Brandenburg im Haus ihrer Großmutter aufgewachsen. Richtig wohl hatte sie sich dort aber nie gefühlt, auch wenn sie nach dem überraschenden Tod ihrer Eltern ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer Großmutter hatte. Dennoch, es blieb dabei: Sie war ein Stadtkind. Das hatte sie gemerkt, als sie das erste mal über den Ku’damm geschlendert war. Diese Lichter, die Schaufenster, das Nachtleben! Und da hatte sie noch gar nicht die diversen Clubs und Bars kennengelernt. Jetzt hätte sie nichts aus dieser Stadt wieder wegbewegen können. Schon gar nicht in dieses Haus am Rande des Nichts, zu all den Katzen, die Ihre Großmutter sich zugelegt hatte, seit sie das Haus verlassen hatte.
Als ihre Großmutter dann überraschend ins Krankenhaus musste, da hatte sie natürlich Gewissensbisse. Gewissensbisse waren in letzter Zeit ihre Spezialität. Jemand musste sich ja schließlich um diese fünf Biester kümmern. Sie selbst, mit ihrer Katzenhaar-Allergie, wollte das aber nur äußerst ungern. Zudem, raus aus dem prallen Leben, zurück in diese Ödnis? Andererseits wusste sie, wie sehr ihre Großmutter ihre Katzen liebte und wie sehr sie selbst ihre Großmutter vergötterte. Und dann war da noch die Geschichte mit Julia. Das nagte ebenfalls an ihr. Hätte sie in der Nacht anders reagieren sollen, anders handeln können? Hätte es überhaupt einen Unterschied gemacht?
Da schien es eine Win-Win-Situation zu sein, dass Julia just in diesem Moment einen Unterschlupf benötigte, um die ganze Sache zu deeskalieren. Ein Zuhause, dass ihr eine Auszeit ermöglichte, ein paar Monate unterhalb des Radars, nachdem das dann doch hochkochte. Damit sie neue Kraft schöpfen konnte und ihren weiteren Weg in den Griff bekam. Das war sie ihr irgendwie auch schuldig. Zumindest fühlte sie so; obwohl bei näherer Betrachtung, hatte sie nichts gemacht. Aber genau das nagte an ihrem Gewissen. Dass Julia nun schon mehrere Monate im Haus ihrer Großmutter lebte, hatte sie etwas beruhigt; schließlich war ihr eigenes Leben hektisch genug. Und es schien ja auch alles ideal zu sein: Julia reagierte sich mit ihrem Sport ab. Sie schien mit den Katzen klarzukommen, und diese mit ihr. Etwas, was sie selbst nie geschafft hätte. Sie brauche keine Haustiere, sie hätte Männer, war einer der Sprüche, die sie in solchen Situationen zum besten gab. Immerhin, so konnte Gras über die Sache wachsen und Julia ihr eventuell verzeihen.
Jetzt aber machte sie sich konkret doch Sorgen um Julia. Die Vogelscheuche sah schon sehr realistisch aus. Gab es da Zusammenhänge? Man las ja in diesen Räubergeschichten von so Sachen mit Pferdeköpfen vor der Tür. War das eventuell eine Warnung?
Obwohl, letztlich war es ein Foto vom Smartphone. Wollte Julia ihr einen Streich spielen, und hatte irgendeinen bescheuerten Filter benutzt? Zuzutrauen wäre es ihr ja, immerhin war sie eine Computer-Tusse. Eine, die sich mit Technik auszukennen schien. War das ein Streich?
Diese und andere Gedanken schossen Sandra durch den Kopf und sie überlegte schon, ob sie sich in die S-Bahn nach Potsdam aufmachen sollte, dann versuchen, den Überlandbus zu erwischen. Gut, dann wäre es immer noch ein guter Fußweg, bis zu dem Haus im Nirgendwo. Nur Obstplantagen, weit und breit. Ihre Urgroßeltern hatten selbst früher Obstbäume. Aber irgendwann vor langer Zeit, sie wusste es selbst natürlich nicht aus eigener Erinnerung; irgendwann hatten sie diese Plantagen aufgegeben. Ob so ganz freiwillig, hatte sie nie wirklich erfahren. Übriggeblieben war nur dieses Haus mitten im Nichts mit einem sehr großzügigen Garten drumrum. Ihr lief der Schauer über den Rücken, wenn sie sich vorstellte, dort nachts allein zu schlafen. Julia schien es offensichtlich nichts auszumachen.
Während sie in ihrer Bahn-App nach möglichen Verbindungen schaute, stellte sie erleichtert fest, dass Julia offensichtlich die Situation im Griff zu haben schien und ihr mitteilte, dass es nicht notwendig sei, zu ihr rauszufahren.