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Der lang ersehnte Urlaub in der Normandie fängt ja gut an: Die Vermieterin der Pension ist bereits tot, als Mia ankommt. Eine Katze sitzt sabbernd auf deren Schreibtisch und grinst sie an. Offensichtlich ist sie eine gute Jägerin. Zumindest deutet die ebenfalls tote Ratte darauf hin. Warum will niemand sehen, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht? Mia ist sicher, dass das kein natürlicher Tod war. Zum Glück findet sie Freundinnen, die ihr glauben. Mias Urlaub verläuft jedenfalls ganz anders als geplant.
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Kiara Borini
Chambres d’Hôtes… und (k)eine Leiche
Weihnachtsedition 2022
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by Kiara Borini
Umschlag: © 2022 Copyright by Kiara Borini
Verantwortlich
Inhalt: Kiara Borini
Weißdornweg 10
14542 Werder (Havel)
Für Daniela, die da war in einer schweren Zeit.
„Schreib’ was über mich“, sagte die Katze auf meinem Schreibtisch. „Cannello ist ein Held, in einem deiner Bücher. Meredith wird sogar Zirkuskatze! Und selbst die detsche Macchiata hat eine eigene Kurzgeschichte, die von zentraler Bedeutung in den Chiòcciola-Romanen ist!“
„Über Sookie habe ich auch noch nichts geschrieben.“
„Doch! Die ist auf einem der Bilder bei den Weihnachtskatern. Mit Zipfelmütze! Und in Pesaro kommt sie auch vor. Sogar die toten Katzen!“
„Mal sehen“, sagte ich; und die süße Katze brummte zufrieden und sabberte auf meine Tastatur.
Dieses Buch ist pure Fiktion. Weder existieren die handelnden Personen, noch gibt es einen Bezug zu irgendwelchen Firmen oder Institutionen. Wenn dennoch mitunter der Eindruck entsteht, das eine Auto oder die andere Katze oder Begebenheit zu erkennen, so liegt das eindeutig an der Tatsache, dass die Phantasie der Autorin eben doch auch beschränkt ist.
Auch die jeweiligen Lebenserfahrungen der Protagonistinnen speisen sich schlicht aus der Tatsache, dass die Autorin eben auch nicht mehr die jüngste ist und somit einiges erlebt oder noch mehr erzählt kommen hat. Irgendwie fließen solche Dinge dann immer auch mosaikartig in letztlich doch rein fiktive Geschichten ein. Alles ist Fiktion!
Am besten genießt man das aber pur, ohne sich im Kopf immer wieder Gedanken zu machen, ob das eine oder andere Detail nun in der Realität...
Einzige Ausnahme ist Emma, die sitzt wirklich auf meinem Schreibtisch und sabbert.
In diesem Sinne – Viel Spaß beim Lesen!
∞∞∞
Endlich angekommen! Der blaue Roadster bog in die enge Einfahrt und suchte sich einen Parkplatz hinter der hohen Hecke. Genau genommen, natürlich die Fahrerin des Fahrzeuges.
Mia hatte endlich ihr Ziel gefunden, nachdem sie mehrere Male zwischen Honfleur und Deauville gependelt war. Ein kleiner Ort, eine noch kleinere Pension und alles hinter dichten Hecken versteckt, dazu dunkle kurvige Landstraßen. Ihr Roadster hatte zwar Xenon-Scheinwerfer, war aber in die Jahre gekommen.
Ein Fahrzeug, dass vom Baujahr in diesem Jahrhundert zuhause war, von der Konstruktion aber im letzten Jahrtausend verwurzelt war. Halbwegs modern und alltagstauglich, gepaart mit einer Formgebung im Retro-Stil. Dennoch hatte auch dieses Konzept seine Tücken. Auch, weil eben der Beginn dieses Jahrhunderts, und damit die Herstellung dieses Fahrzeugs, ja auch schon zwei Jahrzehnte zurücklag.
Die schon leicht trüben Reflektoren der Scheinwerfer kämpften mühsam und relativ erfolglos gegen die alles-verschlingende Dunkelheit. Die Dunkelheit hatte ebenfalls Einfluss auf die Konstitution der nicht mehr ganz jungen Fahrerin.
Die Dunkelheit gewann mit jedem Kilometer mehr. Sie hatte aber auch den Effekt, dass die zahlreichen Hecken jeden Versuch, die Straßen auszuleuchten, im Ansatz scheitern ließen. Es war ein ungleicher Kampf.
Nicht als hilfreich erwies sich zudem, dass sie sich den Namen der Pension nur unzureichend gemerkt hatte. Irgendwas mit chambres d’hôtes und einer französischen Katze kam darin vor, also irgendwas mit la chat und der Tricolore. Sie war gar nicht so schlecht im Französischen, aber entschieden zu müde aktuell. Sie hatte die Sprache aber auch in der Zeit einer frankophilen Liaison nie wirklich gebraucht. Dennoch: Sprachen faszinierten sie, die Art zu denken wurde schließlich durch Wörter unterschiedlich modelliert – im Alltag sprach sie hingegen überwiegend mit Computern.
Egal, endlich angekommen! Im Sommer ist es bestimmt recht eng, auf dem zudem ungünstig geschnittenen Parkplatz, überlegte sie. Auf engen Parklätzen erwies sich ihr Roadster mit geschlossenem Dach doch als recht unübersichtlich. Moderne Hilfsmittel, wie Navigation und Rückfahrkamera wies er nicht auf. Dafür klangen der Motor und die Musikanlage imposant. Und, im Sommer, mit offenem Dach entschädigte er für alles. Die Defizite konnte man je nach Gemütslage als Charme oder frustrierend einstufen.
Heute war sie zum Glück allein auf dem Parkplatz. Nicht verwunderlich, die Saison war längst beendet. Es war gar nicht so einfach gewesen, zu dieser Zeit eine Pension zu finden, die bereit war, noch immer Gäste zu beherbergen. Spontan, als sie nach dem Vorfall beschlossen hatte, dringend eine Auszeit zu brauchen. Die Zeit im Krankenhaus steckte ihr noch in den Knochen. Die letzten hundert Kilometer durch die Dunkelheit spürte sie immer intensiver, wie wichtig sie diese Auszeit benötigte.
Der leere Parkplatz hatte zudem noch den Vorteil, dass niemand sie beim Aussteigen aus dem blauen Zweisitzer beobachtete. Sie war inzwischen immerhin in einem Alter, in dem man nach vielen hundert Kilometern nicht mehr unbedingt elegant aus einem sportlichen Roadster aussteigt.
Merkwürdig, obwohl alles verwaist erschien, obwohl sie die Einzige auf dem Parkplatz war, stand die Eingangstür offen. Sonst war alles dunkel. Oben in Dachgeschoss brannte wohl noch Licht. Dass sie offensichtlich erwartet wurde, freute sie nach der langen Fahrt, die Vorfreude auf einen Café-au-lait ergriff sie, obwohl es nicht wirklich die passende Zeit dafür war. Aber irgendwie gehörte das zu ihrer Vorstellung von Frankreich wie Baguette und Croissants.
Frankreich hatte in ihrem Leben mal eine größere Rolle gespielt. Daher der Doppelname Schulze-Chevalier. Doch das war lange her. In den Alltag als Single hinüber gerettet hatte sie überwiegend gusseiserne Töpfe, Ofenkeramik und die verbliebene Vorliebe für Rohmilchkäse. Die französische Sprache liebte sie zwar, aber sie musste sich eingestehen, dass ihre Kompetenz über all die Jahre des Vergessen-Wollens inzwischen angestaubt war.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto merkwürdiger fand sie die offene Tür. Merkwürdig vertrauensselig. Es passierten wohl nicht allzu viele Verbrechen in dieser Gegend, überlegte sie, als sie auf die geöffnete Tür zuging.
∞∞∞
„Schreib etwas über Katzen; oder einen Krimi, der an irgendeiner Küste spielt. Das wollen die Leute lesen. Vielleicht sogar einen Katzenkrimi. Aber doch bitte nicht so etwas Obskures! Mit einer Aktie allein reich werden, Marie-Louise, ich bitte Dich! Wir kennen uns so lange! Außerdem interessiert niemanden im Detail, was da angeblich passiert sein soll. Sei nicht immer so minutiös und pingelig genau! Das stört den Lesefluss! Und dann bitte, dieser Genderkram, großes Nein! – Außerdem passt das überhaupt nicht zu dir“, stand auf dem Brief, den die Tote noch in ihrer Hand hielt. Die Vermieterin, so vermutete Mia, als sie ihre Neugier befriedigt hatte. Eine Dame in den späten Sechzigern, etwas älter wohl als sie. Und tot. Auch ein wichtiger Unterschied! Eine angemessene erste Reaktion wäre gewesen, zu schreien, zum Handy zu greifen und Hilfe zu rufen. Aber das Ganze wirkte auf unwirkliche Art wie ein Rätsel auf sie. Die Fahrt, das alte Gemäuer, die französische Katze, die ihr seit Stunden im Kopf rumging, die Landschaft. Alles wirkte so fern all ihrer sonstigen Lebenserfahrung, dass sie wie gebannt in der Szenerie gefesselt war.
Durch die Gaube fiel das späte Dämmerungslicht eines Herbstabends auf den Parkplatz. Unten sah Mia ihren blauen Zweisitzer allein auf dem leeren Parkplatz stehen. Der Kies war so gepflegt, dass er schon beim Zusehen unter den Reifen ihres Fahrzeugs zu knirschen schien. Pingelig, das trifft es, schoss es Mia durch den Kopf.
Eigentlich wollte sie Urlaub machen, fernab von der Hektik im Serverraum bei Updates, Hotfixes und Störungen, den Schulungen und dem Hotline-Service, den Sicherheitsbulletins. Ruhe. Selbstverordnete Ruhe! Nichts an sich heranlassen als den Herbstwind, Gischt und das meditative Rauschen der Küste. Laut Internet war das Meer nur wenige hundert Meter entfernt. Irgendwo da draußen, hinter den Hecken.
Doch zurück zum Anfang: Als sie das Haus durch die offenstehende Tür betreten hatte, den menschenleeren Laden im Erdgeschoss durchquert hatte und nach oben gelangt war, ahnte sie schon, dass daraus nichts würde; sie sah sich nur kurz auf dem Weg um.
Im ersten Stock des Hauses befanden sich kleine Ferienzimmer, von denen sie eins über das Internet gemietet hatte. Unten war ein kleiner Laden für alles und nichts. Das Konzept erschloss sich ihr nicht; zumindest nicht im flüchtigen Vorbeigehen. In unmittelbarer Nähe die Wohnung der Vermieterin. Im großen Speiseraum würde wohl das Frühstück serviert werden. Daran schloss sich die Küche an, die so aussah, als ob dort wirklich intensiv gebacken und gekocht wurde. Keine Designerküche, sondern in die Jahre gekommen, aber ganz offensichtlich funktionell.
Das alles hatte sie auf den raschen Weg durch das menschenleere Haus auf dem Weg nach oben gesehen. Dorthin, wo sie vom Parkplatz aus das Licht gesehen hatte. Der Dachboden, in dem sie jetzt stand, war wohl zum Büro umgebaut. Die Vermieterin des Ferienzimmers nutzte diesen Raum aber offensichtlich nicht nur zum Rechnungen schreiben. Und, belesen war sie offensichtlich. Zumindest deuteten die Regale voller Bücher darauf hin, die sie mit einem schnellen Blick erhaschte. Und Katzen mochte sie. Oder zumindest mochten Katzen sie. Immerhin saß eine in der Ecke und grinste.
„Können Katzen grinsen?“, überlegte Mia kurz. „Wunderland – Alice“, schoss es ihr durch den Kopf. Da taucht doch auch eine Grinsekatze auf. Spooky! In der Tat, dieses Herumirren auf der Fahrt hierher, die dunklen Straßen mit ihren hohen Hecken, die so gar keine Orientierung zuließen. Dann dieses alte Gemäuer mit der geöffneten Tür, durch das sie das Haus betreten hatte, all das wirkte irgendwie surreal. Surrealer, als ihr Leben zwischen Bits und Bytes sonst war. Aber was bedeutete schon Komfortzone. Auch die letzten Monate hatten sie gefordert, diese zu verlassen, und letztlich hierher verschlagen.
Dann sah sie, dass die Katze eine tote Ratte in der Pfote hielt. Fasziniert betrachtete sie das Tier. Ein sehr hübsches Tier im Übrigen. Die Katze, nicht die Ratte, die war schließlich tot und wahrscheinlich schon vorher keine Schönheit gewesen. Dreifarbig, mit einer goldenen Maske im Gesicht – wieder die Katze.
Irgendwie war sie durch den Wind und gleichzeitig von der Situation gefangen. Im Alltag beschäftigte sie sich auch eher mit toten Festplatten, zu Tode gelangweilten Schulungsteilnehmern und Büchern über tendenziell eher leblose Materie, die sie zuweilen von einer Sprache in die andere übersetzte. Dass diese Bücher zumeist von eigentlich sterbenslangweiligen Computerproblemen handelten, bereitete sie im Alltag nur unwesentlich auf tote Vermieterinnen und tote Ratten vor. Verständlich, dass ein gewisser Schrecken sie durchfuhr. Weniger verständlich, dass dieser Schrecken sie gleichzeitig fesselte und im Bann hielt.
Das verstärkte sich, als sie bemerkte, dass die tote Ratte genauso dalag wie die tote Vermieterin; der Oberkörper halb auf der Vorderseite, der untere Körperteil leicht verdreht – seitlich. Parallel ausgerichtet zur Toten. Auch die Ratte hatte ein Blatt in der linken Pfote.
„Buche“, überlegte Mia und dachte sogleich, dass diese Information wahrscheinlich irrelevant sei. Aber Botanik war ohnehin nicht ihre Kernkompetenz. Wofür gab es schließlich das Internet?
Sie war zwar Autorin zahlreicher Artikel in Wikipedia, aber über Pflanzenbestimmung hatte sie bisher keinen verfasst. Wozu auch? Es war also angestaubtes Oberstufenwissen, auf dass sie zurückgreifen musste. Aber wie immer beim Abi-Wissen: War das jetzt wirklich relevant?, überlegte sie.
Die Katze blickte grinsend zwischen ihrer Beute und der Toten hin und her.
„Können Katzen grinsen?“, überlegte Mia erneut.
∞∞∞
„Marie-Louise hat mich angerufen wegen der Organisation vom kommenden Basar, – na ja eigentlich wollte sie wohl mit meiner Tochter sprechen – dann habe ich aber nur noch ein würgendes Geräusch gehört, deswegen habe ich dann dich angerufen“, hörte sie eine schnaufende Stimme auf der Treppe.
Mia drehte sich um und sah einen recht gemütlich aussehenden Mann, wohl kurz vor der Pensionsgrenze, dem das Treppensteigen und gleichzeitige Sprechen offensichtlich Mühe bereitete. Hinter ihm erschien eine Gestalt, die das Gegenteil der ersten darstelle. Der erste untersetzt und gesetzt, zudem erkennbar älter, nicht nur, was das kardiovaskuläre Alter betraf, der andere deutlich jünger und fitter, etwa im mittleren Alter. Dieser durchtrainiert, der erste kurzatmig und das Treppensteigen nicht sonderlich gut beherrschend, während der andere groß, bis fast ins Hagere war und pure Energie ausstrahlte. Der ältere hatte eine Frisur, wenn sie auch deutlich unter den Anstrengungen gelitten hatte. Dem großen fehlten schlicht die Haare, um wirklich von einer Frisur sprechen zu können.
Der kleine, der offensichtlich Polizist war, wirkte einen Moment verdutzt, als er Mia sah. Dann blickte er auf Marie-Louise, die auf dem Boden lag.
Mia wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als der große der beiden erklärte: „Herzinfarkt – In dem Alter und bei dem Lebensstil ist es immer Herzinfarkt. Kekse, Zucker und andere Kohlehydrate mit Cholesterin und Fett gebacken. Wenn sie ihre Katze wäre, wäre sie daran schon vor Jahren gestorben.
Mia sah ihn an. „Sie hat Blut am Hinterkopf.“
„Wahrscheinlich gestürzt“, ergänzte der Polizist.
„Herzinfarkt, auf den Hinterkopf gefallen und sich dann in eine stabile Seitenlage begeben?“, überlegte Mia.
„Die Leute machen die merkwürdigsten Dinge, kurz vor ihrem Ableben. Ich hatte da mal eine Kuh…“
„Wir haben uns noch nicht vorgestellt“, unterbrach ihn der Polizist.
∞∞∞
„Mathéo, mein Name, ich ordne hier offiziell die Unordnung im Dorf“, meinte der Polizist mit einer übertriebenen Verbeugung. „Das ist unser Tierarzt, der auch die Menschen kuriert, wenn wir mal wieder keinen Doktor haben. Das ist meist der Fall. Aber wir haben hier auch mehr Vieh als Menschen. Zumindest in diesem Teil des Jahres.“
Er sprach langsam, weil er einerseits höflich war, andererseits auch wieder zu Atem kommen musste, so dass Mia mit ihren Sprachkenntnissen und den Floskeln, die sie aus ihrer längst verflossenen Beziehung herübergerettet hatte, langsam wieder vertrauter mit der Sprache werden konnte.