Kannst Du mal auf Safya aufpassen? - Kiara Borini - E-Book

Kannst Du mal auf Safya aufpassen? E-Book

Kiara Borini

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Beschreibung

Safya, Tochter einer Jessidin und eines Deutschen, kommt nach dem Tod ihrer Eltern aus Mossul zu Verwandten nach Berlin. Sie ist zwar erst zwölf, aber unheimlich klug. Denn sie will ja Professor werden, wie ihr Vater! Man muss sie einfach gernhaben, auch wenn sie etwas altklug ist und schon so viel über Gott und die Welt weiß. Leider sehen das nicht alle so! Und so wird sie Opfer eines gemeinen Streiches ihrer Klassenkameraden. Deshalb gerät sie in die Mühlen von Politik und Presse...

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Kiara Borini

Kannst Du mal auf Safya aufpassen?

Kannst Du mal auf Safya

aufpassen?

Kiara Borini

Impressum

Texte: © Copyright by Kiara BoriniUmschlag:© Copyright by Kiara Borini Verlag:Kiara Borini

14542 Werder (Havel)[email protected]

Druck:epubli ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

DAS TELEFONAT

“Erinnerst du dich an mich, hier ist Gundula, aus deiner Abi-Klasse von damals?”

Ich hatte das Gespräch mit der mir unbekannten Berliner Nummer ganz gegen meine Gewohnheit angenommen, obwohl ich um diese Zeit davon hätte ausgehen müssen, dass es sich nur um ein Call-Center handeln könne.

Aber mal ehrlich, wer kann jemanden wie Gundula vergessen? Raspel-kurze, feuerrote Haare, Latzhose, üppige Oberweite ohne BH und das Gespräch fortwährend auf das Thema lenkend, dass seit der Einführung des Patriarchats die Unterdrückung der Frau, trotz minimaler Fortschritte, diese eben immer noch traurige Realität wäre.

“Nein, Gundula, natürlich habe ich dich nicht vergessen. Und mal ehrlich, das Abi ist gerade mal zehn Jahre her.”

Das mit der Unterdrückung der Frauen war damals nicht mein wirkliches Hauptproblem gewesen! Meines war die freiwillig gewählte Unterdrückung meiner Gefühle. Wenn man wie ich Melanie heißt, und ständig aufs Neue von seien Lateinlehrern darauf hingewiesen wird, dass blond nun mal für den Namen, humanistisch gesehen, die falsche Haarfarbe sei, dann kam ich halt recht schnell zu dem Schluss, dass ich, so wie ich mich unsterblich in Maren verguckt hatte, neben der falschen Haarfarbe eben auch das falsche Geschlecht für diese Liebe hatte.

Maren war völlig anders als ich. Drahtig, sportlich, mit ihren kurzen, dunklen Haaren; und seit ich ihr in der Oberstufe im Kunstkurs begegnet war, einfach von Anfang an mein Traum.

Früher war sie mir nicht wirklich aufgefallen. Sie war im französischen Zweig, ich schlug mich mit den alten Römern rum. Pa fand das sinnvoll, denn ich sollte doch irgendwann die Apotheke übernehmen.

Ich ertappte mich dann dabei, dass ich tatsächlich freiwillig Volleyball belegte, nur weil sie es auch tat. Dennoch, meine Leidenschaft schwelte heimlich, und wurde von mir immer sofort im Keim erstickt, sobald ich mir ihrer bewusst wurde. Ich hätte wahrscheinlich auch bei einem Jungen nicht den ersten Schritt unternommen. Dabei hätte ich wohl recht gute Chancen gehabt. Nur war mein Herz ja bereits vergeben. Aber bei Maren aktiv werden, niemals!

Bis - ja bis zur Abi-Feier, bei der wir beide genügend Bowle im Blut hatten und überraschend feststellten, dass sie gar nicht so anders empfand als ich.

Was dann folgte, waren zehn turbulente Jahre, in denen die Beziehung sich erst vorsichtig entwickelte, dann hin und her ging, auch, weil wir an unterschiedlichen Orten studierten, wobei wir aber immer wussten, was die andere tat und, dass wir nicht voneinander lassen konnten, bis wir schließlich, am Rande von Berlin, im brandenburgischen, einen gemeinsamen Hausstand gründeten.

“Hast du noch deine Katze?”, hörte ich Gundula fragen.

“Ja, aber es sind inzwischen fünf”, entschied ich mich für eine ehrliche Antwort.

Maren hatte wie ich eine gewisse Sympathie für Fellnasen und als wir zusammenzogen, gab es viele Dinge zu klären, bis uns dämmerte, dass unsere beiden jungen Katzen eben weder platonisch, noch gleichgeschlechtlich miteinander umgingen. Erst als der Nachwuchs bereits da war, sorgte dann der Tierarzt dafür, dass die Katzenpopulation künftig nicht mehr exponentiell wuchs. Und auch wenn das nicht geplant war mit den Katzenbabys, wir hatten sie dennoch alle lieb und irgendwie war es ja auch ein bisschen romantisch, dass unsere beiden Katzen ebenfalls eine Familie gegründet hatten. Maren lachte mich für solche Vorstellungen stets aus.

Gundula war eher der Hunde-Typ gewesen. Sie hatte eigentlich immer einen Hund gehabt, so wie Maren und ich Katzen. Ich kann mich noch an so einen großen zotteligen Mischling erinnern. Es war natürlich eine Hündin! Wie hieß die doch gleich?

“Du bist nach wie vor tierlieb, das ist gut”, vernahm ich von Gundula.

Dann entstand eine längere Pause, während der ich überlegte, dass der bisherige Gesprächsverlauf ja nicht der Grund sein könne, um mich nach zehn Jahren ausfindig zu machen und anzurufen. Zumal ich damals zu Gundula kaum näheren Kontakt hatte.

“Du bist jetzt mit Maren zusammen, das freut mich. Du weißt, dass mir diese patriarchalen Strukturen in den Beziehungen nach wie vor ein Graus sind?!”

Jetzt war ich dann doch etwas irritiert.

“Du, Melanie, ich habe eine große Bitte an dich. Würdest du bitte auf Safya aufpassen, während ich im Krankenhaus bin?”

“Du musst ins Krankenhaus?”, fragte ich irritiert zurück.

“Ja, leider. Zur Beobachtung. Ich hoffe aber, dass ich nur vierzehn Tage dort bleiben muss.

Safya ist im Moment bei meiner Nachbarin von gegenüber. Aber die ist eine alte Dame und nicht mehr gut zu Fuß. Da kann ich ihr die Belastung nicht so lange zumuten. Und bei dir weiß ich Safya in wirklich guten Händen. Sie ist schon zwölf, also aus dem Gröbsten raus. Außerdem ist sie blitzgescheit. Sie wird sich also schnell an dich gewöhnen und wahrscheinlich wenig Probleme bereiten in dem Alter.”

Nun, wer kann da schon “nein” sagen, oder? Jedenfalls habe ich dann eingewilligt, Safya am nächsten Tag bei Frau Michalke abzuholen. Gundula wiederholte dann noch, dass sie nicht plane, für länger als vierzehn Tage im Krankenhaus zu bleiben. Und dass Safya, bevor sie zu ihr kam, in einem Haushalt mit Katzen groß geworden sei, hier also keine Probleme zu erwarten wären.

FRAU MICHALKE

Als ich bei Frau Michalke klingelte, hielt ich ein getrocknetes Schweineohr in der Hand, das ich auf dem Weg von Steglitz, wo unsere Apotheke lag, nach Charlottenburg geistesgegenwärtig besorgt hatte. Ich wollte ja schließlich bei Safya Sympathiepunkte einstreichen. Das würde die zwei gemeinsamen Wochen sicherlich einfacher gestalten.

“Ick weeß nich, ob die det frisst? Aber kiek selba, wa”, begrüßte mich die alte Dame in der Tür, als ich mit meinem Leckerli vor ihr stand. Und dann war ich auch schon in de jute Stube bugsiert und sie rief “Safya, meene Kleene, komm doch mal zu Oma Michalke.”

Die Tür zum Nebenraum öffnete sich, und ein Mädchen, etwa zwölf Jahre alt, trat zu uns. Sie hatte langes, fast bis zum Po reichendes Haar, dunkelblond bis braun und irgendwie natürlich gesträhnt wirkend. Ihre Augen waren extrem dunkel, ihre Haut mediterran dunkel.

“Ich reichte ihr völlig verdattert die Hand mit dem getrockneten Ohr, wurde mir in dem Moment der grotesken Situation bewusst, und konnte es dann gar nicht mehr kontrollieren.

“Schweineohr”, stammelte ich also zur Begrüßung, worauf mir das Mädchen artig die Hand gab und sich mit “Safya” vorstellte. Das brachte mich nun völlig aus der Fassung und ich wedelte mit dem getrockneten Schweineohr vor ihr her und stammelte:

“Nein, nicht, ich meine, Melanie, also nicht wirklich.”

“Wenn ick son Namen hätte, würd ick mir auch lieba duzen lassen, wa”, meinte Frau Michalke. “Aba ne jute Idee mit de jetrocknete Visitenkate, det mit dem Knuspaöhrchen würd ick bei dem Namen och machen, glob ick.”

“Nein, ich heiße doch ganz anders”, versuchte ich den Einstieg zu retten, aber es war wohl zu spät. Denn mein Blick fiel auf das getrocknete Ohr und siedend heiß schoss es mir durch die Adern und leider auch wieder in den Kopf:

“Ich habe doch jetzt mit dem Ohr nicht deinen Gott beleidigt, oder? Das tut mir leid, das wollte ich wirklich nicht. Kannst du mir vergeben?”

Die Antwort machte mich nicht wirklich klüger.

“Ich glaube an den blauen Pfau, Melek Taus. Und ob der Schweineohren mag, weiß ich jetzt auch nicht. Aber er ist sehr großzügig und gar nicht so leicht zu beleidigen.”

Glücklicher Weise hatte Frau Michalke eine große Kanne Kaffee durch ihren alten Melitta-Filter gejagt und der tat nun wirklich gut. Auch wenn das getrocknete Ohr neben der nostalgisch-verschnörkelten Kaffeetasse, dem Marzipanobst und den Keksen irgendwie mit jeder Tasse Kaffee deplatzierter wirkte.

“Ick globe, det entsorge ick ma lieba, wa”, stand sie auf und brachte das Ohr in den Bioabfallbehälter. “Aba ne knorke Idee für nen bleibenden ersten Eindruck.”

Ich erfuhr noch, dass sie und Gundula nicht nur Nachbarn waren, sondern auch auf dem Amt viele Jahre zusammen gearbeitet hätten, bis Gundula dessen Leitung von ihr übernommen hätte, als sie selbst in den Ruhestand ging.

Auf dem Rückweg ins brandenburgische war ich einerseits froh, dass ich diese Safya deutlich besser in meinem Zweisitzer transportieren konnte. Denn ich hatte mir schon den Kopf zerbrochen, wie ich einen Hund, von dem ich nicht einmal wusste, welche Größe er hätte, sinnvoll würde anschnallen können. Und ohne Rücksitzbank, blieb ja nur der Beifahrersitz.

Die Notizen, in welcher Klinik Gundula untergebracht war, hatte ich in meiner Handtasche sorgsam verstaut. Was mich noch etwas beunruhigte, war die Überlegung, ob uns zuhause schon ein vorsorglich gefüllter Fressnapf erwarten würde. Denn Maren hatte zwar auf meine Ankündigung, dass wir für zwei Wochen einen Hund zu Gast hätten, etwas reserviert reagiert. Aber ich wusste, dass ihre Tierliebe mindestens so groß war wie meine, und die Tatsache, dass unser kleines Häuschen nicht zu all unseren Katzen mit zusätzlichen Hunden, Eseln und Papageien bevölkert war, einzig der Tatsache geschuldet war, dass sie als engagierte Architektin über genauso wenig Freizeit verfügte, wie ich, seit ich die Leitung der väterlichen Apotheke übernommen hatte.

#

DER BLAUE PFAU

“Sag’, was ist Safya für eine Rasse?”, rief Maren aus dem Wohnzimmer, als ich die Tür aufschloss. Mir blieb fast das Herz stehen!

Safya drückte sich an mir vorbei, ging zielstrebig mit ausgestreckter Hand auf Maren zu und verkündete: “Ich bin Jessidin, na, eigentlich nur fast. Mein Name ist Safya.”

Als Maren dann wieder Worte fand, meinte sie nur: “Dann magst du bestimmt lieber Kekse als Trockenfutter, oder?”

“Ja, Kekse sind völlig in Ordnung”, antwortete Safya.

Als wir uns dann mit Saft und Keksen am Esstisch niedergelassen hatten, wollte Maren dann doch wissen, wo Safya denn herkäme.

“Charlottenburg, Kamminer Straße, dritter Stock, rechter Seitenflügel”, antwortete Safya präzise zu Marens Verwunderung. Und ich nickte zur Bestätigung.

“Nein, ich meine ursprünglich”, beharrte Maren auf ihrer Frage.

“Also davor habe ich in einem kleinen Dorf in der Nähe von Mossul gelebt, bei meiner Großmutter. Und davor direkt in Mossul in der Innenstadt, als meine Eltern noch gelebt haben, bevor die Granate eingeschlagen ist.”

“Deine Eltern sind bei einem Granateneinschlag ums Leben gekommen?”, wollte ich wissen.

“Nein, die ist ja ins Schlafzimmer eingeschlagen und wir waren gerade beim Abendessen. Da ist niemandem etwas passiert. Nur die Wohnung war ganz kaputt und alle Betten.”

“Aber deine Eltern sind dann doch gestorben?”, nahm ich den Faden auf.

“Ja, als sie versucht haben, eine neue Wohnung zu finden. Das ist schwierig, weil so viele Wohnungen nämlich kaputt sind. Da sind sie mit dem Auto auf eine Mine gefahren. Dann bin ich zu meiner Großmutter gezogen, weil ich ja keine richtige Jessidin bin und nicht alle in der Gemeinde mich gemocht haben. Da hat sie mich beschützt vor denen und den Arabern. Die mögen nämlich Jessiden auch nicht, weil sie denken, wir beten den Teufel an. Das stimmt aber gar nicht!”

“Warum bist du keine richtige Jessidin?”, wollte Maren wissen.

“Jessidin kann man nicht werden, es sei denn man ist es von Geburt an. Und dann müssen beide Eltern vorher Jessiden sein. Denn das Jessidentum ist eine synkretistische Religion, die weder eine heilige Schrift hat, noch ein Aufnahmeritual.”

“Und bei dir war ein Elternteil, lass mich raten, aus Deutschland? Wenn du so schwierige Wörter kennst wie Synkretismus”, vermutete ich.

“Ja, mein Papa ist Deutscher, war Deutscher. Er war Professor und hat die jessidische Religion erforscht. Und Synkretismus bedeutet einfach ‘Mischmasch’ in der Sprache der Professoren. Das sagt man so, wenn man gebildet ist. Ich will nämlich später auch mal studieren und forschen und anderen Leuten was beibringen, wie mein Papa.”

“Und dein Papa hat das Jessidentum erforscht?, wollte Maren wissen.

“Ja, weil wir nämlich keine heilige Schrift haben, müssen die ganzen heiligen Geschichten immer von den Großeltern erzählt werden und die erzählen es ihren Kindern und die dann wieder ihren Kindern. Und im Laufe von Hunderten von Jahren verändert sich die Geschichte ein wenig, weil man Geschichten beim Erzählen nicht so genau wieder erzählt, wie beim Vorlesen aus einem Buch. Und diese kleinen Veränderungen hat mein Papa erforscht. Denn in euer Religion war das am Anfang genauso. Da wurden die Geschichten von Jesus auch erst nur erzählt bis man sie aufgeschrieben hat. Und deswegen wollte er erforschen, ob Geschichten sich auf eine bestimmte Art verändern, wenn man sie erzählt.”

“Und so hat er deine Mama kennengelernt?”, überlegte Maren.

“Ja, er hat sich die Geschichten immer und immer wieder erzählen lassen und sich Notizen gemacht. Er ist in die Dörfer gefahren und hat ganz alte und junge Leute erzählen lassen und sich Notizen gemacht. Er war ja Forscher.

Und wenn meine Mama die heiligen Geschichten erzählt hat, dann hat es ihm wohl am besten gefallen. Und so hat er sich in sie verliebt. Sie war auch sehr schön.

Aber als sie dann geheiratet haben und ein Baby bekommen haben, da hat das vielen in der Gemeinde gar nicht gefallen, obwohl sie meinen Papa eigentlich gemocht haben. Nur meine Großmutter hat gesagt, dass es nicht unsere Aufgabe ist, über den Kopf von Melek Taus hinweg zu entscheiden, ob etwas in seinen Augen gut ist oder nicht. Melek Taus ist unser oberster Engel, und wenn es ihm gefällt, dass die beiden ein gemeinsames Kind haben, dann wird man das dem Kind schon anmerken, dass das gut ist, davon war sie überzeugt. Sie hat mich immer sehr lieb gehabt und auch verteidigt. Nur ist sie dann irgendwann zu alt geworden, um mich weiter zu versorgen.”

“Und wie bist du in die Kamminer Straße gekommen?”, wollten wir dann wissen.

“Tante Gundi, die jüngere Schwester von meinem Papa hat dann irgendwann alles Mögliche versucht, dass ich nach Deutschland komme, als sie gehört hat, dass er bei der Explosion gestorben ist. Sie hat mich sogar apportiert.”

“Also doch ein Hund”, meinte Maren trocken, und ärgerte sich sogleich über diese Bemerkung.

“Adoptiert”, korrigierte ich und Safya wirkte merklich zerknirscht.

“Du sprichst wirklich hervorragend deutsch, Safya. Und wer Begriffe kennt wie ‘Synkretismus’, der darf sich auch gelegentlich versprechen.”

“Danke”, stammelte Safya - “Aber ich mache wirklich ungern Fehler. Habt ihr mich dennoch lieb?”

“Aber natürlich!”, riefen wir beide fast gleichzeitig.

“Ja, und als dann endlich alle Papiere fertig waren und ich nach Berlin geflogen bin, war Tante Gundi schon sehr krank. Und dann hat sie euch gefragt, ob ihr auf mich aufpasst, bis sie wieder gesund ist.”

“Ja, und das machen wir jetzt auch. Soll ich dir dein Zimmer zeigen, in dem du wohnst, solange du da bist?”

“Ja, und die Katzen. Frau Michalke hat gesagt ihr habt ganz viele Katzen”, setze Safya die Prioritäten zurecht.

“Gut, die Katzen zuerst. Dort in der Mulde im Kratzbaum schläft Lord Nelson, der ist der Papa der Katzenbande. Und die Mama Maree hat sich im Wohnzimmer auf der Fensterbank zusammengerollt”, stellte ich die beiden gerade anwesenden Tiere vor.

“Und die Kleinen?”, wollte Safya wissen.

“Die sind sicherlich in dem Zimmer, in dem sie vor ein paar Monaten geboren sind. Da schlafen sie immer noch besonders gern. Das ist übrigens auch das Zimmer, das wir für dich ausgesucht haben”, meinte Maren.

“Kann man die anfassen und streicheln?”, wollte Safya wissen.

“Bestimmt. Die kommen bestimmt von ganz allein auf dich zu, wenn du erst in ihrem Zimmer wohnst”, meinte ich.

“Und dann kochen wir zum Abend noch Pasta Bolognese, was meinst du?”, ergänzte Maren.

#

Als der Duft von Bolognese-Soße durch das Haus zog, kam Safya die Treppe runtergelaufen, trat in die Küche und rümpfte die Nase.

“Oh!”, rief Maren erschrocken aus, “Ich habe völlig vergessen, dich zu fragen, ob Schweinefleisch für dich OK ist?”

“Für mich ist es weniger problematisch als für das Schwein”, erwiderte Safya zu Marens Verwunderung und fügte dann hinzu:

“Aber es fehlt Rosmarin! An gehacktes Fleisch gehört Rosmarin. Meine Großmutter hat mich gelehrt, wenn wir schon das Fleisch der Tiere essen, dann gehört es sich, sie wenigstens dadurch zu ehren, dass das Essen, das wir zubereiten, gesund und schmackhaft ist. Und Rosmarin gehört dazu.”

Ich musste schmunzeln und schob eine Gemeinheit nach:

“Maren mixt einen Beton mit hervorragenden Qualitäten. In der Küche jedoch verliert sie oft viel zu schnell die Lust.”

Jetzt spielte Maren theatralisch die Beleidigte, fügte aber schnell hinzu:

„Um die Terrasse herum haben wir vor Jahren ganz viele Kräuter angepflanzt. Schau einfach, ob du das findest, woran es deiner Meinung nach meiner Soße mangelt.

Safya war schon bei der ersten Hälfte des Satzes durch das Wohnzimmer entschwunden und kam nach einer Weile mit einem großen Strauß an unterschiedlichen Kräutern zurück.

“Euer Kräutergarten ist erstaunlich gut. Ihr lasst die Natur das richtige Verhältnis der Kräuter zueinander finden und strapaziert sie nicht mit zu viel Düngen. Ihr lasst sie in Ruhe ihre Kraft entfalten. Das gefällt mir”, brachte Safya ihre Begeisterung zum Ausdruck.

Mir gefiel die Beschreibung unserer Gartenkultur. So charmant hatte noch niemand unsere ungezähmte Wildnis hinter dem Haus beschrieben. Safya war inzwischen in die Küche gelaufen, wusch die Kräuter sorgfältig und zupfte die Blätter und Nadeln ab. Dann suchte sie sich ein großes scharfes Messer aus dem Messerblock heraus und hackte die Kräuter sehr sorgfältig klein.

“Es ist wichtig, dass das Messer sehr scharf ist. Sonst werden die Kräuter nicht geschnitten, sondern zerquetscht und die Kraft landet im Schneidebrett und nicht im Essen”, dozierte sie stolz beim Abschmecken.

“Wie im Restaurant!”, bemerkte Maren, der es sichtlich schmeckte, beim Essen. “Sehr, sehr gut! Wie mein Beton!”, schmunzelte sie.

“Was hast du an Kräutern benutzt?”, wollte ich wissen.

“Rosmarin, ein wenig Estragon, Liebstöckel. Und natürlich Petersilie. Ich hätte noch Koriander dran gemacht, wenn ich welchen gefunden hätte”, meinte Safya.

“Wir werden Koriander besorgen. Gleich morgen! Einer solch guten Köchin darf man die Mittel nicht verwehren!”, fand Maren.

Aber auch die beste Pasta neigte sich irgendwann dem Ende entgegen und irgendwann waren wir alle satt und der Topf fast leer. Also kam der Moment, wo wir mehr Zeit hatten, uns zu unterhalten.

“Dieser Melek Taus”, wollte Maren wissen, “Ist das euer Gott?”

“Nein!”, antwortete Safya irritiert. “Melek Taus ist ein Engel. Aber er ist der wichtigste Engel. Als Gott alle sieben Engel aus einer Perle erschaffen hat, war Melek Taus der erste, er wird auch ‘Azra’il genannt. Dann erschuf er noch Darda’il, Israfa’il, Mika’il, Gibra’il, Shamna’il und Tura’il. Aber Melek Taus war der erste und wichtigste. Und er bekam die Aufgabe, die Welt und Adam und Eva zu erschaffen.”

“Dann hat in euer Religion nicht Gott die Welt erschaffen?”

“Nein, dann wäre sie bestimmt viel perfekter!”, war sich Safya sicher. “Und dann hat Gott zu Melek Taus gesagt, er soll Adam anbeten. Und Melek Taus war ganz entrüstet, weil er der Meinung war, dass nur Gott allmächtig sei, und ein von ihm selber geschaffenes Wesen keinen Anspruch auf Anbetung habe. Diese Antwort hat Gott gefallen und er hat zu Melek Taus gesagt, du hast die Prüfung bestanden. Nun sollst du der Anführer der anderen Engel sein.”

“Aber du hast gesagt, du glaubst an den blauen Pfau?”, wunderte ich mich.

“Melek Taus heißt in unserer Sprache Engel Pfau. Wir symbolisieren ihn als blauen Pfau. Oder als Scheich ʿAdī, denn der war eine weltliche Form von Melek Taus. Deshalb ist sein Grab auch heilig. Und ein Pfau ist er deshalb, weil er mitunter auch sehr hochmütig sein kann”, ergänzte Safya.

“Und dann hast du gesagt, die Araber denken, dass ihr den Teufel anbetet?”, wollte Maren wissen.

“Ja, aber das ist falsch! Melek Taus ist zwar mitunter arg hochmütig, aber er ist gut. Einmal wollte er allerdings Gott gleich sein, was natürlich nicht geht, denn er ist ja auch ein Geschöpf! Aber als er gesehen hat, dass er Gott damit furchtbar erzürnt, hat er es tief und ehrlich bereut. Und deshalb hat Gott ihm vergeben, und er blieb der erste Engel.”

Wir sahen sie ratlos an.

“Großmutter hat immer gesagt, einen wirklich allmächtigen Gott zeichnet aus, dass er seine Meinung ändern und vergeben kann. Wer nur nach vorher festgelegten Regeln handelt, kann nicht allmächtig sein, sondern ist ein Automat”, war Safya wirklich überzeugt.

#

Dann wechselte Safya das Thema. “Wie heißen eigentlich die kleinen Katzen?”

“Die haben noch keinen Namen”, meinte ich.

“Doch, die heißen Tick, Trick und Track!”, erwiderte Maren trotzig.

“Das sind doch Namen für Enten”, meinte Safya irritiert.

“Als unsere Katzen Nachwuchs bekommen haben, hatten wir erst vor, sie in liebevolle Hände zu vermitteln. Und um uns nicht zu sehr an sie zu gewöhnen, haben wir sie eben Tick, Trick und Track genannt. Doch das hat nichts genutzt, denn wir konnten uns einfach nicht von ihnen trennen”, erklärte ich.

“Melanie hat recht. Wenn dir bessere Namen einfallen, darfst du sie gern umtaufen”, meinte Maren.

“Das ist gut! Aber dazu muss ich sie erst noch besser kennenlernen, damit ich sehe, welche Namen zu ihnen passen. Aber Tick, Trick und Track passen gar nicht, dass sind doch die Jungen von Donald Duck und zwei von ihnen sind ja Mädchen”, meinte Safya.

“Du bist aber eine gute Beobachterin”, war Maren erstaunt.

“Das sieht man doch in dem Alter. Nur bei jungen Katzen ist das schwierig!”

#

Beim Abendessen meinte Maren: “Erzähl uns von Mossul.”

Safya schaute sie an und meinte, Mossul ist wie Berlin. Es war eine sehr große Stadt. Vielleicht so groß wie Berlin. Aber älter, viel, viel älter. Es ist so alt, dass es sogar in der Bibel erwähnt wird. Dort heißt es Ninive.”

“Das wusste ich gar nicht”, meinte ich.