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Wenn Vorurteile zum Urteil werden: Der schwedische Krimi »Die Toten im Wald« von Thomas Kanger jetzt als eBook bei dotbooks. Dort, wo der tiefe Wald sich lichtet, werden sie gefunden: Die Leichen eines Liebespaares, das Beeren sammeln wollte – und brutal ermordet wurde. Am Tatort entdeckt Kommissarin Elina Wiik die Videokamera der jungen Schwedin. Sie hat vor ihrem Tod noch gefilmt; ist die verschwommene Gestalt, die die kurz im Bild zu sehen ist, die des Täters? Bevor Elina weitere Nachforschungen anstellen kann, wird ihr der Fall vom schwedischen Geheimdienst entzogen: Das männliche Opfer war ein Flüchtling aus dem Gaza-Streifen – und potenzieller Terrorsympathisant. Musste er deswegen sterben? Elina will das nicht glauben und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln … »Die Toten im Wald« beruht auf einem wahren Fall, der Schweden 1995 erschütterte – und dessen Hintergründe heute aktueller sind als jemals zuvor: »Man kann nur hoffen, dass Thomas Kanger mit seinem journalistischen Gespür für aktuelle Themen und seiner klaren Sprache auch weiterhin Krimis schreiben wird.« Sveriges Radio Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Toten im Wald« von Thomas Kanger ist der erste Band seiner skandinavischen Spannungsreihe um die Kommissarin Elina Wiik, die alle Fans der Bestseller von Lina Areklew und Anders de la Motte begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 358
Über dieses Buch:
Dort, wo der tiefe Wald sich lichtet, werden sie gefunden: die Leichen eines Liebespaares, das Beeren sammeln wollte – und brutal ermordet wurde. Am Tatort entdeckt Kommissarin Elina Wiik die Videokamera der jungen Schwedin. Sie hat vor ihrem Tod noch gefilmt. Sind die Beine, die durchs Bild laufen, die des Täters? Bevor Elina weitere Nachforschungen anstellen kann, wird ihr der Fall vom schwedischen Geheimdienst entzogen: Das männliche Opfer war ein Flüchtling aus dem Gaza-Streifen – und potentieller Terrorsympathisant. Musste er deswegen sterben? Elina will das nicht glauben und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln …
Die Toten im Wald beruht auf einem wahren Fall, der Schweden 1995 erschütterte – und dessen Hintergründe heute aktueller sind als jemals zuvor: »Man kann nur hoffen, dass Thomas Kanger mit seinem journalistischen Gespür für aktuelle Themen und seiner klaren Sprache auch weiterhin Krimis schreiben wird.« Sveriges Radio
Über den Autor:
Thomas Kanger, geboren 1951, wuchs in Uppsala auf und verbrachte viele Jahre in Västerås, bevor er als freier Journalist die Welt bereiste und unter anderem in Israel, Indien und Amerika lebte. Nach einem Sachbuch veröffentlicht er seit 2003 regelmäßig Kriminalromane, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden; für Die vergessene Tote wurde er für den Schwedischen Krimipreis nominiert. Thomas Kanger lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stockholm.
Bei dotbooks veröffentlichte Thomas Kanger die Kriminalromane Die Toten im Wald und Die vergessene Tote.
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eBook-Neuausgabe Juli 2018
Die schwedische Originalausgabe erschient 2003 unter dem Titel Den Däda Vinkeln bei Nörstedts Förlag, Stockholm. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel Der tote Winkel im btb-Verlag.
Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2003 by Thomas Kanger. Published in arrangement with Salomonsson Agency.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Die Rechte an der deutschen Übersetzung von Lotte Rüegger und Holger Wolandt liegen beim btb Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/gyn9037 und shutterstock/Thomasvy
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-96148-269-6
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Thomas Kanger
Die Toten im Wald
Ein Fall für Elina Wiik
Aus dem Schwedischen von Lotte Rüegger und Holger Wolandt
dotbooks.
Wie Schorf aus Asphalt lag die Stadt über dem Sand ausgebreitet, ohne wirkliche Verankerung. Nur das Gewicht der Häuser und die Füße der Menschen schienen sie an ihrem Platz zu halten. Überall drohte die Natur sich den verlorenen Grund wieder zurückzuholen. Vom Stadtrand her, vom Strand im Norden und durch unzählige Risse im Asphalt blies Sand heran. Manchmal wehte er in rotgelben Stürmen von Süden heran und drang überall ein, auch durch noch so kleine Häuserritzen. Selbst vor den Mündern der Kinder machte er nicht halt.
Alles hier schien provisorisch zu sein. Die Häuser waren in Windeseile errichtet worden. Die Straßen besaßen etwas Vorläufiges. Die Menschen waren auf dem Sprung, obwohl es kein Entkommen gab. Nichts ließ darauf schließen, dass die Stadt bereits seit 3400 Jahren existierte und dass ihre heutige Bevölkerung sie nur wenige hundert Jahre später eingenommen hatte und seither dort geblieben war.
Am provisorischsten wirkte Mokha'am Al-Shatea, das Strandlager, obwohl dieser Platz seit über fünfzig Jahren Männer und Frauen mit ihren Kindern und Enkeln beherbergte. Die meisten, die dort lebten, sahen ein, dass das Provisorische in Wirklichkeit beständig war. Niemals würden Ahmed, Hussein, Samira, Fatima oder ihre Brüder und Schwestern, Stammesverwandten und Nachbarn einschließlich Cousins, Neffen, Nichten und andere Angehörige in unüberschaubaren verwandtschaftlichen Verzweigungen das Glück haben, auf den Hügeln von Haifa, in den Tälern Galiläas oder in den Gärten Askalons zu wandern. Die Schlüssel und die verblichenen Einträge im Grundbuch, die zu ihren Häusern gehörten, die sie übernommen hatten oder die heruntergekommen waren, würden mit ihnen in der sandigen Erde Gazas begraben werden.
Fariz erwachte früh. Er hatte seiner Mutter versprochen, heute zur Schule zu gehen. Vorher würde er noch seine kleine Schwester und seine beiden jüngeren Brüder zu ihrer Schule am Ende der Gasse begleiten. Er lag im Bett und starrte an die Decke. Neben ihm stöhnte sein älterer Bruder im Schlaf und wedelte mit der Hand unsichtbare Fliegen weg. Der Bruder, der weder sprechen noch verstehen konnte und der mit dem Löffel gefüttert werden musste. Wenn der Vater einmal alt und schwach war, dann würde Fariz das Familienoberhaupt sein.
Er hatte jeden Tag dasselbe versprochen. Jeden Tag hatte er das Versprechen gehalten und dann gebrochen. Er war dorthin gegangen, wo er hatte hingehen sollen, war aber dann, sobald sich die Gelegenheit ergeben hatte, wieder von dort weggeschlichen. Er hörte ihre Ermahnungen, beachtete sie aber nicht. Auch an diesem Tag würde es nicht anders sein.
Als er seinen Humus mit Brot aß und brackig schmeckenden Tee dazu trank, ermahnte und beschimpfte ihn seine Mutter erneut. Er saß schweigend da, bis sie ihm ein neues Versprechen abverlangte. »Aiwa«, antwortete er, da das das Einzige war, womit sie sich zufrieden gab.
An der Mauer, die seine Schule umgab, hingen bereits drei Plakate mit Gesichtern. Am meisten bewunderte er den ältesten Jungen, Hamed, der siebzehn Jahre alt wurde und einen solchen Mut bewiesen hatte. Hamed hatte Fariz und drei weiteren Klassenkameraden erzählt, dass sein ältester Bruder beim letzten Mal getötet worden war. Er sei damals erst acht gewesen, könne sich aber noch gut an den blutigen Pullover seines Bruders erinnern. Er erzählte von den Versammlungen, denen er als Zuhörer hatte beiwohnen dürfen. Jetzt sei endlich er an der Reihe.
Ehe er die Schule betrat, blieb Fariz an der Mauer stehen und sah Hamed an. Sein Gesicht war auf einem grünen Plakat mit der Al-Aksa-Moschee im Hintergrund verewigt.
Die Unterrichtsstunden schlichen dahin, und Fariz hatte Mühe zuzuhören. Erst als der Lehrer die Schüler bat aufzupassen, weil der Präsident einen Beschluss gefasst habe, der insbesondere sie betreffe, wachte er auf. »Niemand unter fünfzehn Jahren darf an den Streitigkeiten teilnehmen«, sagte der Lehrer. »Die Komitees werden aufgefordert, alle Kinder abzuweisen.«
»Abweisen? Wie denn?«, fragte Fariz, noch bevor er es sich recht überlegt hatte.
»Dieser Beschluss gilt auch für dich, Fariz«, antwortete der Lehrer. »Deine Mutter hat mit mir gesprochen. Du weißt, dass du ihr gehorchen musst. Nach dem Unterricht müsst ihr alle nach Hause gehen.«
»Ich bin kein Kind, ich bin vierzehn«, protestierte Fariz.
»Du hast den Beschluss des Präsidenten vernommen«, sagte der Lehrer. »Du musst warten, deine Zeit kommt früh genug.«
In der Pause beschloss Fariz, sich davonzuschleichen. Bassam wollte ihn begleiten. Zusammen kletterten sie über die Mauer auf der Rückseite der Schule und rannten los. Als sie außer Sichtweite waren, wurden sie langsamer und gingen dann in normalem Tempo weiter. Bis zur Kreuzung war es ein ziemliches Stück. Sie versuchten zu trampen, aber kein Auto hielt an. Je näher sie kamen, desto mehr Jungen sahen sie auf der Straße. Die Schulen, die näher am Wachposten der jüdischen Siedlung lagen, hatten den Unterricht für diesen Tag beendet, und die älteren Jungen versammelten sich. Einige unterhielten sich, aber die meisten von ihnen schwiegen. Es war so weit.
Noch ehe Fariz und Bassam eintrafen, hörten sie die ersten Detonationen. Fariz konnte die verschiedenen Geräusche mühelos unterscheiden. Das Paffen der Tränengasgranaten, das dumpfe Knallen der gummiummantelten Stahlkugeln, das Pfeifen der Plastikgeschosse und das scharfe Knattern der Maschinenpistolen. Fariz zog die Schultern ein und sammelte, während sie weitergingen, Steine von der Straße auf.
Vor dem Zaun der Siedlung und dem Wachturm mit der weißblauen Flagge standen ein Panzer, zwei gepanzerte Fahrzeuge und mehrere Jeeps mit Soldaten. Fünfzig Meter weiter stieg schwarzer Rauch von brennenden Reifen auf. Jungen mit Schleudern rannten hinter dünnen Blechbarrikaden hervor und feuerten in raschen Angriffen ihre Steine ab. Fariz' Herz raste, aber Angst hatte er keine. Als er an einer Reihe wartender Krankenwagen des Roten Halbmonds vorbeikam, fuhren gerade zwei mit quietschenden Reifen und heulenden Sirenen los, um weitere Verletzte abzuholen.
»Ich habe keine Zwiebel«, sagte Fariz an Bassam gewandt. »Hast du eine?«
»Na'am«, antwortete Bassam und zog zwei Zwiebelhälften aus der Hosentasche. Die eine reichte er Fariz, und sie rieben sich ihre Gesichter mit der Zwiebel ein, um das Tränengas besser ertragen zu können.
Sie rannten auf ein aufrecht stehendes Betonrohr zu und gingen mit zwei älteren Jungen dahinter in die Hocke. Fariz steckte die Hand in seine Tasche und zog drei Steine aus ihr hervor. Dann lief er so weit vor, wie er nur wagte, und warf einen Stein nach dem anderen, näher und näher. Er sah, dass er mit einem die Kühlerhaube eines Jeeps getroffen hatte. Ein Junge hinter ihm warf einen Molotowcocktail, der auf dem Hang vor den Soldaten aufflammte. Ehe der Junge wieder das Betonrohr erreicht hatte, ertönte der dumpfe Knall eines Gewehrs, und er stürzte.
Ein Panzer rollte heran, weitere Tränengasgranaten wurden abgefeuert, und die Brigade der Steinewerfer zog sich vorübergehend zurück. Aber Fariz blieb stehen. Der Panzermotor dröhnte, und die Raupenketten fraßen sich im Lehm vorwärts. Fariz sah auf den Jungen, der immer noch bäuchlings auf der Erde lag, und anschließend auf den Panzer, der sich ihm näherte. Er bückte sich und hob ein paar Steine vom Boden auf, die schon zuvor als Waffen gedient hatten. Dann rannte er auf den Panzer zu und warf einen Stein nach dem anderen auf ihn. Der Panzerfahrer setzte etwas zurück, und Fariz verfolgte ihn. Jubelnd streckte er seine Arme in die Luft.
Ein Knall durchschnitt die Luft. Fariz fasste sich an den Hals. Blendendes Licht, das immer greller zu werden schien, als würde er in die Sonne starren. War es so?
Ihre schweren Glieder wollten sich nicht schnell genug bewegen. Wenn sie zu laufen versuchte, verfing sie sich in ihren Röcken. Als sie schließlich dort war, fehlten ihr die Worte, aber Worte wären sowieso überflüssig gewesen. Der Arzt bat sie, Platz zu nehmen.
»Umm Fariz, Ihr Sohn ist nun ein Märtyrer.« In diesem Augenblick blieb die Zeit für sie stehen. Der Arzt beschrieb, was vorgefallen war. Die Kugel hatte den Hals seitlich gestreift, unter normalen Umständen hätte er wahrscheinlich überlebt. Aber da es sich um ein Projektil gehandelt hatte, das zersplitterte, wenn es auf menschliches Gewebe traf, war ein Splitter ins Gehirn gedrungen. Er war an Ort und Stelle gestorben. Umm Fariz hörte zu, ohne zu verstehen. Von Fariz würden ihr nur die Erinnerung in ihrem Herzen und ein weiteres Plakat an der Schulmauer bleiben.
Am Tag darauf wurde der kleine Leichnam in die rot-grünschwarz-weiße Flagge gehüllt und auf den Schultern von zehn Männern auf einer Bahre durch die Straßen getragen. Aus dem Strandlager waren Tausende gekommen, um Fariz die letzte Ehre zu erweisen. Ganz hinten im Leichenzug fuhr Umm Fariz in tiefster Trauer in einem Auto mit.
Am Steuer des Wagens saß Sayed, der jüngste Onkel von Fariz, der nur acht Jahre älter war. In der Tasche trug er ein Stück Papier mit sich:
Eine Blume, von Gott gepflückt, ehe sie noch geblüht hat.
Sayed spielte gern Fußball. Bevor die Intifada in diesem Herbst ausgebrochen war, hatte er oft mit Fariz gespielt. Er hatte versucht, ihm das Dribbeln beizubringen. Doch durch die Absperrungen, die im Zuge der Intifada durchgeführt worden waren, hatte er seine Arbeit als Tagelöhner auf der anderen Seite verloren. Und eine Ausbildung konnten sich Sayed und seine Familie nicht leisten.
Sayed wollte kein Märtyrer werden. Er wollte Fußballspieler werden. Als Fariz in der Grube verschwand, fasste er einen Entschluss. Er würde fliehen. Er wusste nicht, wie er es bewerkstelligen sollte oder was es kosten würde. Aus Gaza zu flüchten, das ein Gefängnis war, schien schier unmöglich. Aber er wusste, dass es Menschen gab, die Schlupflöcher kannten. Vielleicht wussten die auch, wie man weiterkam, wenn es einem geglückt war, die Grenze zu überwinden? Weiter nach Europa und in den hohen Norden.
»Sveiks, Janis!«
Janis drehte sich um und rief in die Wohnung zurück: »Mama, da ist Peteris! Wir gehen raus, spielen!« Zu Peteris sagte er: »Was sollen wir machen? Fußball spielen?«
»Nein«, antwortete Peteris, »lass uns unten im Hafen auf Schatzsuche gehen.« Das brauchte er Janis nicht zweimal zu sagen.
Da Ventspils über einen der größten Häfen Lettlands verfügte, gab es dort noch viele unerforschte Winkel, sogar für zwei neugierige, zehnjährige Jungen, die in dieser Stadt aufgewachsen waren. Von seinem Fenster aus hatte Peteris gesehen, dass mehrere Boote im Hafen verlassen wirkten. Sie lagen am Kai, ohne dass sich jemand um sie zu kümmern schien. Er hoffte, dass Janis es wagen würde, sich mit ihm zusammen an Bord zu schleichen. Wer konnte schon wissen, was man fand, wenn man erst einmal an Bord war? An Bord von Schiffen, die auf den sieben Meeren gefahren waren, von denen der Lehrer im Erdkundeunterricht erzählt hatte.
Am südlichen Kai lagen die Boote in mehreren Reihen nebeneinander. Kähne, Fischerboote, kleinere Frachtschiffe mit Autoreifen längsseits, die gegeneinander rieben. Einige Schiffe waren weiß und frisch gestrichen, an anderen war die Farbe längst abgeblättert. Janis und Peteris hofften, dass niemand sie wegjagen würde. Peteris machte den ersten Fund, eine rostige Laterne, die auf der Erde lag. Sie wagten sich an Bord eines Kahns, aber alle Türen waren abgeschlossen. Ein größerer, rostiger Frachter wirkte vielversprechend. Doch an Deck kamen sie nicht, weil es keine Gangway gab.
Etwas weiter, am Ende des Kais, entdeckte Janis ein Fischerboot, das im Trockendock stand. Als sie näher kamen, entdeckten sie, dass jemand eine Leiter an die Bordwand gelehnt hatte. Die Farbe war fast vollständig abgeblättert, nur eine Rostschicht kleidete das Boot.
»Wir klettern hoch«, sagte Peteris. Janis folgte ihm zögernd auf die Leiter. An Bord häufte sich der Müll: Plastikflaschen, alte Schuhe, Reste von Stahlseilen, Kartons, Tauenden, leere Dosen. Die Türen standen weit offen. Peteris trat in die Steuerkabine. Alle Instrumente fehlten dort, und ein Steuerrad gab es auch nicht mehr. Als er wieder an Deck trat, durchwühlte er zusammen mit Janis die Müllberge. »Was hältst du davon?«, meinte Janis und hielt eine Zigarettenschachtel aus Blech in die Luft. »Ach was!«, erwiderte Peteris, und Janis warf die Schachtel beiseite.
Janis ging vor zu einer großen Luke, die sich mitten auf dem Deck befand. »Hier wurde bestimmt der Fang verstaut«, sagte er. Er rüttelte an der Luke, die schwer, aber nicht abgeschlossen war. Gemeinsam öffneten sie sie. Im Inneren des Bootes gab es eine festgeschweißte Eisenleiter. »Komm«, sagte Peteris. »Es stinkt«, meinte Janis, kletterte aber doch hinterher. Unten lag noch mehr Abfall, und vieles war zerstört worden. Offenbar waren sie nicht die Ersten, die das Boot durchsuchten. Janis kroch durch ein Loch in den vorderen Laderaum.
»Schau mal, was ich gefunden habe«, rief er. »Was?«, fragte Peteris. Janis kroch wieder nach draußen. In der Hand hielt er ein Buch. Sie kletterten wieder an Deck und betrachteten es bei Tageslicht. Das Buch hatte einen goldgrün geprägten Deckel und sehr dünnes Papier. Die eine Ecke war feucht geworden und daher etwas dunkler und nicht mehr so schön, aber ansonsten war das Buch unbeschädigt. Merkwürdig waren jedoch die geschwungenen Zeichen auf der Rückseite. Janis und Peteris hatten so etwas noch nie gesehen und wussten nicht, was das für ein Buch war. Als sie es aufschlugen, sahen sie, dass alle Seiten mit ähnlichen Zeichen bedruckt waren.
»Das sind bestimmt magische Zeichen«, sagte Janis. »Glaubst du nicht auch?«
Ein Zettel fiel aus dem Buch. Janis bückte sich und hob ihn auf. Vier Zeilen, die ebenfalls aus diesen seltsamen Zeichen bestanden. Er legte den Zettel in das Buch zurück.
Als er wieder zu Hause war, zeigte Janis seiner Mutter ihren Fund. Sie fragte ihn sofort, wo er so ein schönes Buch entdeckt habe. Janis und Peteris erzählten, während sie sich gegenseitig ins Wort fielen, wie sie in das Fischerboot geklettert waren. Die Mutter schimpfte sie ein wenig, aber das Buch interessierte sie. Auch sie wusste nicht, um welche Schriftzeichen es sich handelte. »Ich frage Valdis«, sagte sie. »Der ist Kommissar und hat schon viel gesehen. Vielleicht kennt er sich damit aus.«
Da Valdis ihr Nachbar war, ging sie sofort ins Treppenhaus. Janis und Peteris wussten nicht, wie sie erklären sollten, dass sie das Buch einfach aus einem der Boote im Hafen mitgenommen hatten, und getrauten sich deswegen nicht mitzugehen. Aber Valdis schien nicht böse zu sein, jedenfalls sagte Janis' Mutter nichts dergleichen, als sie ein paar Minuten später zurückkam.
»Valdis sagt, dass sei Arabisch«, sagte sie. »Die Araber schreiben so. Und sie schreiben rückwärts. Die letzte Seite eines Buches ist bei ihnen die Titelseite.«
Janis nahm das Buch in die Hand und bestaunte es. Er hatte wirklich einen Schatz gefunden.
Vor ihr saß ein Mann. Er weinte.
Elina Wiik wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Sache war eine menschliche Tragödie, nicht mehr und nicht weniger. Nachdem alle Details geklärt waren, gab es nichts mehr hinzuzufügen. Sie sammelte ihre Papiere zusammen und erhob sich.
»Ich werde dafür sorgen, dass man sie abholt.«
Der Mann hob schluchzend den Kopf.
»Werde ich dafür lange sitzen?«
»Ja. Das werden Sie.«
Sie trat auf den Korridor hinaus. Dort saß ein Mann an einem Schreibtisch und las die Lokalzeitung.
»Wir sind jetzt fertig.«
Mein Gott, wie unnötig!, dachte sie, als sie das Untersuchungsgefängnis verließ. Hätte er die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen können? Was kostet eine halbe Flasche? Hundert Kronen?
Genauso war es: Der Wert einer halben Flasche Schnaps war der Tageskurs für das Leben eines Menschen, der sich um seinen Sinn und Verstand gesoffen hatte. Elina hatte einen weiteren Mord gelöst, ihren dritten Fall. Die Ermittlungen waren in weniger als einer Woche abgeschlossen gewesen. Der Mann war sofort gefasst worden, nachdem der Nachbar die Polizei gerufen hatte. Er hatte seine Lebensgefährtin mit einer gusseisernen Bratpfanne erschlagen. Sie hatten darüber gestritten, wer wie viel von einer Flasche Explorer-Wodka mit 0,7 I Inhalt bezahlt habe. Sobald der Mann wieder einigermaßen nüchtern gewesen war, hatte er die Tat gestanden, obwohl ihn sein Gedächtnis an mehreren entscheidenden Punkten im Stich gelassen hatte. Die Spuren des Mordes, genaugenommen handelte es sich um Totschlag, hatte der Kriminaltechniker der Polizei von Västerås, Erkki Määttä, ohne größere Mühe sichern können. Ein weiteres Verhör mit dem reumütigen und allmählich nüchtern werdenden Täter war durchgeführt worden, dann hatte Elina Wiik sämtliche Dokumente ausgedruckt und zusammengestellt, und damit war der Fall erledigt gewesen. Elina hatte nicht einmal die Hilfe eines anderen Mitglieds der vier Mann starken Mordgruppe des Dezernats in Anspruch nehmen müssen.
Man konnte kaum von einer Mordermittlung sprechen, jedenfalls nicht im Vergleich zu jenen, die Elina in den letzten zwei Jahren durchgeführt hatte. Ermittlungstechnisch unterschied sich der Fall nicht sonderlich von den anderen, mit denen sie sich den größten Teil ihrer Arbeitszeit befasste, während sie auf die großen Fälle wartete: Betrug, Körperverletzung, Einbruch und anderes kamen in Västerås nicht selten vor, dann, wenn niemand hinsah. Irgendwelche unaufgeklärten Morde gab es jedoch nicht, jedenfalls keine, die nicht schon vor Jahren ad acta gelegt worden wären und bald verjähren würden. Jetzt war ein ganzes Jahr vergangen, seit sie ihren letzten Mordfall gelöst hatte. Damals war Olavi Andersson zwei Tage vor der Reichstagswahl im September 2002 festgenommen worden und hatte ohne Umschweife einen dreifachen Mord gestanden. Aber es war gerade nicht der Zeitpunkt, über die Vergehen anderer nachzudenken. Gerade interessierte sie sich vielmehr für ihre eigenen.
In ihrem Büro griff sie zum Telefon. »Ich bin's.« Dann blieb sie lange stehen und schwieg. »Danke, Susanne. Wirklich.«
Das Oberlandesgericht hatte sie freigesprochen. Dass sie vergangenen Herbst Kurt Jörgen Hansson den rechten Mittelfinger in einem Restaurant auf der Insel Djurgården in Stockholm gebrochen hatte, den er ihr als Stinkefinger nur wenige Zentimeter vors Gesicht gehalten hatte, war nicht als Körperverletzung gewertet worden. Zu diesem Urteil war das Amtsgericht Västerås in einer früheren Instanz gekommen. Ihre Anwältin und beste Freundin Susanne Norman hatte das Oberlandesgericht davon überzeugt, dass die Handlung von Kurt Jörgen Hansson als Gewaltandrohung zu verstehen gewesen sei. Elina Wiiks Reaktion, den Finger zu packen und resolut zur Seite zu drücken, sei deshalb bloße Selbstverteidigung gewesen. Sie habe nicht die Absicht gehabt, Kurt Jörgen Hansson zu verletzen, seine Verletzung sei nur eine unglückliche Folge ihrer Notwehr gewesen.
Im Prozess vor dem Oberlandesgericht hatte Elina ausweichend auf die Fragen des Staatsanwaltes geantwortet, für wie ernst sie die Bedrohung gehalten habe. Dass ihr Motiv Wut und nicht Angst gewesen war, hatte sie mit keinem Wort erwähnt. Auch nicht, dass sie lange hochzufrieden darüber gewesen war, dass sie dem Mann den Finger gebrochen hatte. Sie hatte vor dem Oberlandesgericht zwar nicht gelogen, aber auch nicht die Wahrheit gesagt.
Als Susanne vorgeschlagen hatte, auszugehen und den Freispruch zu feiern, hatte Elina dankend abgelehnt. Der Sieges-Champagner hätte bitter geschmeckt.
Sie warf einen raschen Blick auf den Korb mit den Ermittlungsakten, die auf sie warteten, und ging dann auf den Flur hinaus. Auf der anderen Seite, ein paar Türen weiter, lag das Büro von Oskar Kärnlund. Sie klopfte und wartete auf sein »Herein«.
»Wiik«, sagte er. »Nimm Platz. Ich muss nur rasch was fertig machen.« Sie wartete schweigend, während er etwas auf Papier notierte. Dann sah er hoch. »Ja?«
»Das Oberlandesgericht hat mich freigesprochen«, sagte sie mit neutraler Stimme. »Sie haben das mit der Notwehr akzeptiert.«
Kärnlund klatschte in die Hände. »Ausgezeichnet. Ich wusste doch, dass meine Beamten keine Leute misshandeln.«
Elina starrte auf die Tischplatte. »Ich hatte eine gute Anwältin.«
»Hauptsache, du hast jetzt wieder eine weiße Weste.«
Sie wurde zwar freigesprochen, aber über die Verurteilung im Amtsgerichtsprozess hatten die lokalen Medien dennoch berichtet. Ganz sauber war ihre Weste also nicht, was Elinas schlechtes Gewissen etwas erleichterte.
»Ich habe auch etwas zu erzählen«, sagte er und runzelte die Stirn. »Eine Sache, über die du dich nicht sonderlich freuen wirst, glaube ich. Wie du weißt, gehe ich zum Jahreswechsel in Rente, ich höre noch vor Weihnachten auf.«
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Bedauerlich, finde ich. Für mich, meine ich. Aber sicher schön für dich.«
»Was ich sagen wollte, ist Folgendes: Wahrscheinlich werde ich einen Nachfolger bekommen, der nicht unbedingt zu deinen Favoriten gehört.«
Elina war klar, wen er meinte. Egon Jönsson würde der neue Chef des Kriminaldezernates in Västerås werden. Jönsson wusste Polizistinnen ungefähr genauso zu schätzen wie eine Sommergrippe. Jönsson hielt sie vermutlich für eine besonders schlimme Infektion, seit sie ihm einmal vor zwei Jahren bei einem Brandstiftungsfall in Surahammar auf die Finger gehauen hatte. Jönsson hatte nicht den Schneid, für seine Fehler einzustehen. Er besaß auch nicht die Fähigkeit, mutmaßliche Kränkungen zu verzeihen.
»Jönsson!«, sagte sie und machte eine Miene, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Was für eine ausgezeichnete Wahl eines Chefs. Damit steht meiner eigenen Karriere ja nichts mehr im Wege. Als Nächstes werde ich wahrscheinlich in den Fahrradkeller abkommandiert.«
»Er hat auch gute Seiten«, meinte Kärnlund. »Deswegen hat er den Job bekommen. Er arbeitet ungewöhnlich strukturiert, und ein Chef muss sich schließlich auch um die ganze Verwaltung kümmern. Außerdem hat er zwanzig Jahre lang Erfahrungen hier am Dezernat gesammelt. Da kommt sonst keiner dran.«
Elina seufzte. »Und was passiert jetzt?«
»Formell ist der Beschluss noch nicht gefasst, aber in der Praxis steht er fest. Wir werden uns den Rest meiner Zeit die Verantwortung teilen. Ab morgen.«
»Er ist also ab morgen mein Chef?«
»Ja, allerdings bis auf Weiteres unter meiner Leitung, versteht sich.«
»Glaubst du, dass er an der Mordgruppe festhalten wird? Und an mir in der Gruppe?«
»Ich hoffe. Bislang hat es sich ja als richtige Initiative erwiesen, dass sich einige von uns auf Mordermittlungen spezialisiert haben. Außerdem war das eine Entscheidung, die an oberster Stelle gefällt worden ist. Du wirst vermutlich weitermachen dürfen.«
»Mal seh'n«, murmelte Elina und erhob sich. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Ich habe den Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Du weißt schon, die Gusseisenpfanne. Morgen wende ich mich den Stapeln auf meinem Schreibtisch zu. Falls Jönsson nicht etwas anderes für mich geplant hat, versteht sich. Tschüs!«
Es regnete, als sie das Präsidium verließ. Sie hatte keinen Regenschirm dabei. Ein Auto besaß sie auch nicht mehr. Nach fünf Anzeigen war es ihr gelungen, den Micra zu verkaufen. Sie hatte das Gefühl, mit dem Erlös für die fünf Jahre alte Klapperkiste gerade mal die Kosten der Anzeigen gedeckt zu haben. Der Gewinn, der ihr schließlich übriggeblieben war, würde höchstens für ein Moped reichen. Demnächst musste eigentlich von der Bank die Antwort auf ihre Nachfrage wegen eines Kredits kommen. Dann würde sie sich ein größeres und neueres Auto zulegen. Sie hoffte, dass sie mit einem neuen Auto auch wieder bessere Laune bekommen würde. Im Augenblick bemitleidete sie sich nur selbst, und das verabscheute sie.
Auf dem Nachhauseweg durch den Nieselregen dachte sie darüber nach, wem sie eine E-Mail schicken und wen sie anrufen sollte. Immerhin gab es doch einige Leute, die sich über ihren Freispruch freuen würden. Sie wollte als Erstes ihren Vater anrufen, vielleicht kam ja auch ihre Mutter an den Apparat. Sie hatten sich Sorgen gemacht. Mit Nadia wollte sie erst später sprechen, wenn sie sich das nächste Mal verabredeten. Nadia würde jubeln und finden, dass diesem Schwein im Anzug nur recht geschehen sei, dass sie ihm erst den Finger gebrochen hatte und dass er jetzt auch noch Elinas Freispruch erleben musste.
Elina lächelte, als sie an Nadia dachte. Und an Anton ... ja, mit ihm sollte sie wohl ebenfalls sprechen.
Sie hatte Anton letzten Herbst kennengelernt, er war ein Bekannter eines Exfreunds. Sie waren rasch ein Paar geworden, ein erster Händedruck hatte genügt. Er war genauso alt wie sie, wohnte in einer Zweizimmerwohnung im Stockholmer Stadtteil Kungsholmen und schlug sich mit Dokumentarfilmen und als Fotograf durch. Im Winter und Frühjahr hatte sie noch an diese Beziehung geglaubt, aber dann hatten sie seine Marotten immer mehr gestört. Nach dem Urlaub vor zwei Monaten war sie zu dem Ergebnis gekommen, dass er nur ein Ersatz für Martin gewesen war. Mit Martin hatte sie Schluss gemacht, als er seine Frau nicht hatte verlassen wollen. Sie hätte jetzt am liebsten Martin angerufen.
Sie hatte Anton immer noch keinen reinen Wein eingeschenkt. Und morgen würde Jönsson als ihr neuer Chef an der Acht-Uhr-Besprechung teilnehmen. Sie tat sich wirklich leid.
Sie hoffte, dass er Spaß daran haben würde. Vermutlich hatte er noch nie Preiselbeeren in einem schwedischen Wald gepflückt. Mit ihrem rostigen VW fuhr sie zu dem Haus in der Stigbergsgatan und parkte an der Bordsteinkante.
»Hallo, ich bin's«, rief sie in die Gegensprechanlage. »Ich komme runter«, antwortete eine Stimme in gebrochenem Schwedisch.
Er küsste sie auf die Wangen, bevor sie sich ins Auto setzten. Sie übernahm das Steuer.
»Wir fahren in einen Wald, der Lillhäradsskogen heißt«, sagte sie. »Ich glaube zumindest, dass er so heißt, denn er liegt in der Nähe von Lillhärad.«
»Ist das weit?«
»Zwanzig Kilometer vielleicht.«
Hinter dem Verkehrsknotenpunkt Skiljebo fuhr sie auf dem Österleden Richtung Norden. Keiner von beiden merkte, dass ihnen ein Auto folgte.
»Schau mal ins Handschuhfach«, sagte sie.
Er öffnete die Klappe und nahm eine kleine viereckige Kamera heraus.
»Das ist eine DV-Kamera.«
»DV?«
»Eine digitale Videokamera. Ich habe sie von meinem Papa geliehen. Ich dachte, wir könnten im Wald filmen.«
»Sozusagen als Andenken?«
»Ja«, erwiderte sie und lachte. »Als Andenken.«
Sie bog auf den Skultunavägen ein und dann direkt hinter der Kirche auf einen schmalen, kurvigen, aber immerhin geteerten Weg. Es ging über den träge dahinfließenden Svartån, und bald umgab sie dichter Wald.
»Lass uns hier in den Wald gehen«, sagte sie und hielt am Wegesrand an. Er stieg aus, öffnete den Kofferraum und nahm zwei Paar Gummistiefel und zwei Plastikeimer heraus.
»Brauchen wir die auch?«, fragte er und hob zwei rote Metallkästen mit Metallstangen auf einer Seite in die Höhe.
»Das sind Raffeln, sogenannte Beerenpflücker«, erwiderte sie.
In Stiefeln stapften sie in den Wald. Sie versuchten, einen Pfad zu finden, sahen sich aber gezwungen, über umgestürzte Bäume zu klettern und unter den Zweigen dichtgewachsener Tannen hindurchzukriechen. Erst nachdem sie lange spazieren gegangen waren, lichtete sich der Wald zu einem Hang hin, an dem Preiselbeeren wuchsen. Die Stille und der Geruch von feuchtem Laub umgaben sie.
Sie wusste, wie man die Raffeln benutzte. Er lachte über seine eigene Ungeschicklichkeit. Als es ihm schließlich gelang, zumindest ein paar Beeren von den Pflanzen zu streifen, holte sie ihre DV-Kamera hervor.
»Das will sich deine Familie bestimmt gerne ansehen«, sagte sie und beugte sich vor, um Nahaufnahmen seiner pflückenden Hände und seines Gesichts zu machen. Er warf den Kopf zurück und lachte in die Kamera.
»Jetzt zeige ich dir, wie es richtig geht«, sagte sie und steckte die Kamera in die Jackentasche. Sie machte sich systematisch an die Arbeit und hatte bereits ein Viertel des Eimers gefüllt, als sie zur Kuppe des Hangs gelangte. Er befand sich noch unten in der Senke und hatte eine wesentlich bescheidenere Ernte vorzuweisen. Als sie sich nach ihm umdrehte, sah sie, dass er auf einem Stein saß und rauchte. Sie wendete ihren Blick von ihm ab und schaute in die andere Richtung, über eine sandige Ebene. Wie eine Statue stand er da, der Elch. Gebannt starrte sie ihn an und zog langsam, ohne etwas anderes als den Arm zu bewegen, ihre DV-Kamera aus der Tasche und schaltete sie ein. Ihre Hände zitterten etwas, als sie den Zoom-Knopf suchte.
Nachdem sie den Elch im Kasten hatte, rief sie nach ihm.
»Jamal!«
Sie drehte sich um.
»Jamal?«
Der Wald hatte Augen. Bereits am Tag danach verständigte ein Waldarbeiter wegen des alten VWs die Polizei. »Der Wagen steht schon seit gestern dort. Vielleicht hat sich ja irgendjemand beim Pilzepflücken verirrt?«, hatte er dem Diensthabenden auf der Wache von Västerås erklärt. Dieser hatte die Kriminalpolizei verständigt, und Oskar Kärnlund hatte Henrik Svalberg gebeten, der Sache nachzugehen. Svalberg war eines von vier Mitgliedern der Mordgruppe, musste sich aber genau wie Elina um Routinefälle kümmern, wenn keine Morde vorlagen.
Eine rasche Nachfrage bei der Zulassungsstelle ergab, dass der Volkswagen, ein blauer Passat, Baujahr 1985, Annika Lilja, Jahrgang 1979, gehörte, die in der Stenåldersgatan 31 in Västerås wohnte. Eine Vierundzwanzigjährige aus Bjurhovda. Svalberg schlug »Lilja« im Telefonbuch auf, aber bei Annika ging niemand an den Apparat. Dann setzte er seine Nachforschungen telefonisch fort. Die Eltern hießen Lennart und Disa und wohnten in der Fornminnesgatan. Beide Anfang fünfzig, Branthovda. Svalberg stellte fest, dass sowohl der Straßenname der Eltern als auch der der Tochter mit Geschichte zu tun hatte, ohne jedoch daraus irgendeinen besonderen Schluss ziehen zu können.
»Lennart Lilja«, sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Hier ist Henrik Svalberg von der Polizei Västerås. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich hätte gerne mit Ihrer Tochter Annika gesprochen, falls diese bei Ihnen ist.«
»Annika wohnt schon seit einigen Jahren nicht mehr bei uns. Worum geht es denn?«
Svalberg erzählte, dass ihr Auto gefunden worden war und dass bei Annika zu Hause niemand ans Telefon ging. Er merkte, dass der Vater sofort hellhörig wurde.
»Vielleicht ist der Wagen ja gestohlen worden«, meinte Lennart Lilja, merkte aber dann sofort selbst an: »Obwohl, das hätte Annika bemerken müssen. Sie fährt meistens mit dem Auto zur Arbeit.«
Die Unruhe des Vaters drang durch den Telefonhörer zu Svalberg durch. Dieser stellte die logische Folgefrage: »Wo arbeitet sie denn?«
»In einer Werbeagentur.«
Er gab Svalberg die Telefonnummer.
»Hat sie einen Freund? Vielleicht hat sie ja bei ihrem Freund übernachtet und nicht bemerkt, dass ihr Wagen gestohlen worden ist?«
»Wenn sie ihn besucht, fährt sie immer mit ihrem Wagen dorthin.«
»Wer ist ihr Freund?«
»Er wohnt in Skiljebo. Sie sind jetzt seit ungefähr einem halben Jahr zusammen. Er heißt Jamal Al-Sharif. Ich habe keine Telefonnummer von ihm.«
Svalberg versprach, sich wieder zu melden, und legte auf. Er schaute auf die Uhr und wartete genau eine Minute lang. Dann rief er bei der Werbeagentur an.
»Sie ist nicht hier«, sagte jemand namens Niklas. »Sie ist heute nicht in die Agentur gekommen, hat sich aber auch nicht entschuldigt. Ihr Vater hat vor einigen Sekunden angerufen und genau dasselbe gefragt.«
Vater wusste nichts, schrieb Svalberg auf seinen Block.
Dann suchte er im Telefonbuch nach dem Nachnamen Al-Sharif. Fehlanzeige. Er gab die Daten in seinen Computer ein. Jamal Al-Sharif, 770101-9030. Svalberg suchte weiter: Geburtsort Gaza, Israel. Palästinenser. Aufenthaltsgenehmigung seit dem 15. Oktober 2000. Keine Vorstrafen. Auf der Fahndungsliste tauchte er ebenfalls nicht auf.
Mit dem Auto fuhr er zur Stigbergsgatan. Niemand öffnete, als er klingelte. Er läutete an der Nachbartür, ein Nachbar mit einem ausländischen Nachnamen. Der Nachbar hatte Jamal seit vergangenem Samstag nicht mehr gesehen, also vor zwei Tagen zum letzten Mal.
Zurück im Präsidium betrat Svalberg das Büro von Elina Wiik.
»Beschäftigt?«
»Setz dich.«
»Das hier ist vielleicht unerheblich, aber ich muss jetzt eine Entscheidung treffen. Seit gestern steht auf dem Weg, der zwischen Skultuna und Lillhärad durch den Wald führt, ein Auto. Es gehört einer Vierundzwanzigjährigen. Sie hat heute unentschuldigt bei der Arbeit gefehlt. Ihr Freund ist möglicherweise ebenfalls verschwunden. Der Vater macht sich Sorgen, sagt, das sei nicht ihre Art. Sie heißt Annika Lilja.«
»Wir müssen nach ihr suchen.«
»Das ist auch mein Gedanke. Und da dachte ich an dich. Du hast doch vor zwei Jahren Bertil Adolfsson im Grünen gefunden. Wie macht man so was?«
»Man fängt damit an, dass man das Herrchen von Boss anruft. Den Schäferhund Boss mit dem guten Geruchssinn und sein Herrchen, Hundeführer Magnus Carlén. Wenn es uns heute nicht gelingt, die Frau mit ihrer Hilfe zu finden, verständigen wir einen Suchtrupp.«
Boss schlug an. Es waren zwei Stunden und fünfundfünfzig Minuten vergangen, seit Elina Wiik mit Polizeiassistent Magnus Carlén gesprochen hatte. »Boss ist Leichenspezialist«, hatte Carlén gesagt. »Handelt es sich um Tote oder einfach um Leute, die sich verlaufen haben?«
»Leute, die sich verlaufen haben«, hatte Elina geantwortet. »Hoffe ich zumindest.«
Sie hatten sich bei dem VW verabredet. Carlén und Boss kamen aus der einen Richtung, Elina und Svalberg aus der anderen. Boss wedelte mit dem Schwanz. Mit einem einzigen Handgriff öffnete Carlén die verschlossene Autotür und ließ Boss die Witterung aufnehmen.
»Such!«
Der Hund zog an der Leine, und es ging in den Wald. Es duftete nach feuchtem Farn, und für Ende September war es recht warm. Carlén trug kräftige Gummistiefel. Elina fragte sich, warum sie immer vergaß, gescheite Schuhe anzuziehen.
Magnus Carlén gab dem eifrigen Hund mehr Leine. »Boss hat eine Fährte aufgenommen, bald finden wir etwas«, sagte er.
Der Trupp eilte über Stock und Stein, Elina und Svalberg hatten Mühe, bei dem Tempo mitzuhalten. Tannenzweige zerschrammten Elina das Gesicht. Plötzlich öffnete sich der dichte Wald zu einem Abhang. Der Hund bellte und zog noch heftiger an der Leine.
Svalberg und Elina erblickten ihn gleichzeitig. Einen schmächtigen Körper in Jeans und Jeansjacke mit dem Gesicht zur Erde. Sein Haar war schwarz und am Hinterkopf verfilzt und verklebt. Carlén hielt Boss zurück. Elina trat vor und tastete nach dem Puls des am Boden Liegenden. Am Hals spürte sie nichts. Sie tastete nach der Gesäßtasche. Ihre Hand zitterte etwas. Keine Brieftasche. Dann erhob sie sich und sah sich um. Einige Sekunden lang waren nur das schwache Rauschen der Baumwipfel und das Surren eines Insekts zu hören.
»Such, Boss, such!«, sagte Magnus Carlén und schluckte.
Eifrig setzte sich Boss wieder in Bewegung, den Hang hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Dort lag sie, ebenfalls mit dem Gesicht nach unten. Die Arme in dem grünen Regenmantel parallel zum Körper. Ein Stiefel ragte wie ein hohler Baumstumpf aus dem Sumpf. Den anderen trug sie noch am Fuß.
Elina atmete schwer, nicht nur, weil sie sich körperlich angestrengt hatte. Tote sollten nicht einfach so im Wald verstreut liegen, dachte sie und sträubte sich innerlich gegen das Bild, das sich ihr bot.
Henrik Svalberg und Elina zogen Schuhe und Strümpfe aus, krempelten die Hosenbeine hoch, untersuchten die Position der beiden Leichen zueinander und gingen dann, jeder für sich, in einem großen Bogen auf die tote junge Frau zu, um sich ihr aus zwei Richtungen zu nähern. Neben ihrem blonden, blutigen Kopf trafen sie sich wieder. Svalberg tastete nach ihrer Halsschlagader. Tot. Elina durchsuchte vorsichtig ihre Taschen. Sie fand eine Krankenversicherungskarte der Provinz Västmanland. Sie war auf Annika Lilja ausgestellt.
Erkki Määttä und Per Eriksson von der Spurensicherung trafen gefolgt von zwei Streifenwagen in weniger als einer halben Stunde am Waldrand ein. Sie warfen einen raschen Blick auf den VW, dann begleitete Svalberg die Kriminaltechniker und eine der Streifenwagenbesatzungen zu den Leichen. Määttä widmete sich der Frau, Eriksson dem Mann, dessen Identität noch unklar war, obwohl das Aussehen des Opfers durchaus dafür sprach, dass es sich dabei um Jamal Al-Sharif handelte. Die beiden Polizisten in Uniform begannen damit, den Tatort abzusperren.
»Habt ihr etwas gefunden, was als Mordwaffe hätte dienen können?«, fragte Määttä.
»Um was könnte es sich deiner Meinung nach handeln?«, fragte Elina zurück.
»Einen stumpfen Gegenstand. Vielleicht einen Stein oder irgendein Werkzeug. Aber such nicht jetzt danach. Wir müssen erst die Fußabdrücke sichern. Wer das getan hat, muss ihnen auf den Fersen gewesen sein.«
Elina sah sich um, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Sie konnte in der dichten Vegetation nichts Bedrohliches entdecken.
»Ich lasse dann den Leichenwagen kommen, wenn ich mit den Opfern fertig bin«, sagte Määttä, während er weiter seine Arbeit verrichtete. »Vermutlich in einer Stunde. In anderthalb Stunden könnt ihr die Toten dann identifizieren lassen.«
»Und alles andere?«
»Das wird noch Tage dauern. Vielleicht auch Wochen. Wie lange habt ihr gebraucht, um hierher zu gelangen? Zwanzig Minuten? Wir müssen den ganzen Weg vom Auto bis hierher absuchen.«
Elina und Svalberg klingelten bei den Liljas in der Fornminnesgatan. Sie hatten entschieden, dass Elina das Wort übernehmen sollte, obwohl Svalberg als Erster Kontakt mit Lennart Lilja aufgenommen hatte. Sie hatten beide den Eindruck, dass eine Frau geeigneter war, eine Trauerbotschaft zu überbringen. Außerdem bekleidete Elina einen höheren Rang als Svalberg, sie war Kriminalinspektorin und er nur Kriminalassistent. Das war eine Art Respektsbezeugung den Hinterbliebenen gegenüber.
Elina bat darum, eintreten zu dürfen, und beantwortete Lennart Liljas Frage nicht, die dieser bereits in der Tür stellte. Mit einer zitternden Handbewegung führte er sie ins Wohnzimmer, in dem eine beigefarbene, geblümte Couchgarnitur stand. Ein dicker Teppich bedeckte das Parkett und auf dem Bücherregal waren Fotos zu sehen. Die Fensterbank zur Terrasse schmückten große Topfpflanzen. Die Gartenmöbel waren noch nicht weggeräumt worden. Ein gemütliches Zuhause, Sekunden bevor sich alles verändern würde.
Eine Frau saß auf der Kante eines Sessels. Sie schwieg und schien fürchterlich angespannt zu sein.
»Wir haben uns beide freigenommen«, sagte Lennart Lilja. »Wir hatten nicht die Kraft, zur Arbeit zu gehen, solange wir nicht wissen, wo Annika ist. Haben Sie etwas in Erfahrung gebracht?«
Er sah Elina an, und sein Blick flehte um Gnade. Sagen Sie, dass sie in Sicherheit ist, bitte, bitte, sagen Sie nichts anderes!
»Ich muss Sie auf das Schlimmste vorbereiten«, sagte Elina. Die Frau auf der Sesselkante hielt den Atem an. »Ich muss Sie bitten, uns zu begleiten. Es geht darum, eine Person zu identifizieren. Wir haben eine Frau gefunden ... eine Tote, die Ihre Tochter sein könnte.«
Der Mann kniete sich vor seiner Frau hin, umarmte sie und begann zu weinen. Die Miene der Frau war wie erstarrt. Elina zog sich mit Henrik Svalberg in den hinteren Teil des Raumes zurück.
»Ruf einen Krankenwagen«, sagte sie leise. »Sag ihnen, wir haben eine Patientin im akuten Schockzustand.«
Lennart Lilja stand reglos vor der Bahre mit der Leiche seiner Tochter. Elina berührte ihn von hinten an beiden Armen, verweilte einen Augenblick und führte ihn dann behutsam weiter. Als er den Mann auf der Bahre erblickte, sprach er mit fast unhörbarer Stimme den Namen »Jamal« aus. »Jamal Al-Sharif?«, fragte Elina. Lennart Lilja nickte.
Elina hielt ihre Hände immer noch an seinen Armen, jetzt aber nicht mehr so fest. Sie wollte etwas sagen, ihn trösten, aber ihr fehlten die Worte.
Annikas Vater ließ den Kopf hängen. Die Vernehmung wird nicht einfach, dachte Elina. Aber wir können nicht warten.
»Herr Lilja«, sagte sie. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen ein Arzt sofort etwas verschreibt.«
»Ich brauche nichts«, antwortete er. »Ich muss Disa helfen.«
Er schwankte. Elina stützte ihn. Sie nickte Svalberg zu, der hinter ihr stand. Gemeinsam fuhren sie ins Zentralkrankenhaus. Sie ließen Lennart Lilja mit seiner Frau, die einen Schwächeanfall erlitten hatte, allein. Nach zehn Minuten klopfte Elina vorsichtig an die Tür. Lennart Lilja lag auf dem Fußboden. Svalberg rannte los, um Hilfe zu holen.
Er bekam das Bett neben seiner Frau. Beide waren nicht ansprechbar.
»Wir müssen den Täter finden«, meinte Elina, als sie wieder bei ihrem Wagen waren. »Und zwar schnell. Der Vorsprung darf nicht zu groß werden.« Sie schaute auf die Uhr. »Schon halb vier. Wenn der Typ, der wegen des Volkswagens anrief, Recht hat, dann müssten die Morde gestern irgendwann uni die Mittagszeit verübt worden sein. Dann hat er, entschuldige, es kann sich natürlich auch eine um eine Sie handeln, oder es können mehrere gewesen sein, also der oder die Täter hätten somit über vierundzwanzig Stunden Vorsprung.«
»Fürchterlich, findest du nicht auch?«, meinte Svalberg, aber mehr zu sich. »Eine so junge Frau, und der Mann natürlich auch. Aber irgendwie fand ich es schlimmer, das Mädchen dort liegen zu sehen.«
»Ich weiß nicht, was schrecklicher ist. Aber es war das Fürchterlichste, was ich bislang gesehen habe. In meinem ganzen Leben. Geschlachtet wie Opferlämmer.«
»Vielleicht hatte sie ja Geschwister? Und er könnte hier eventuell Verwandte haben. Wir müssen damit anfangen, ihre Angehörigen ausfindig zu machen. Wo Annika Lilja gearbeitet hat, weiß ich, aber seinen Arbeitsplatz kenne ich nicht, falls er überhaupt einen Job hatte.«
»Rosén und Enquist warten auf der Wache auf uns. Kärnlund hat versucht, so viele Leute wie möglich vom Dezernat zusammenzutrommeln.«
Neun Männer und eine Frau versammelten sich im Besprechungszimmer im zweiten Stock. Oskar Kärnlund saß an der Schmalseite des ovalen Tisches. Er war noch übergewichtiger geworden. Zu seiner Linken hatte Egon Jönsson Platz genommen, der sein absolutes Gegenteil war. Er hätte hinter Kärnlund ohne weiteres verschwinden können. Erik Enquist war von der Kripo Hallstahammar an die Mordgruppe delegiert worden. Er schien die Gegend, in der er lebte, besser zu kennen als sich selbst. John Rosén war Chef der Mordgruppe. Er war noch keine fünfzig, aber schon vollkommen grau. Sein Blick besaß allerdings immer noch eine jugendliche Schärfe, Frauen behandelte er altmodisch höflich, und seinem Beruf und seinen Kollegen gegenüber wahrte er stets eine gewisse Distanz. Trotzdem wurde er wie selbstverständlich als »Kapitän« der Mordgruppe wahrgenommen. Jan Niklasson erfüllte immer seine Aufgaben, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Erkki Määttä, dem Kriminaltechniker aus dem Tornedalen, entging nur selten etwas. Sein Kollege Per Eriksson war aus demselben Holz geschnitzt wie er, nur etwas reservierter. Dann kamen Henrik Svalberg und Elina. Neben Elina saß ein großer Mann um die fünfundvierzig, der sein Bein auf den Stuhl ausgestreckt hatte. Der andere Fuß ruhte auf dem Boden. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Elina konnte sich erinnern, ihn schon gelegentlich im Präsidium gesehen zu haben, wusste aber nicht, wie er hieß.