Die Toten vergeben nicht - Lars Wolff, der Scharfschütze - Wolfgang Schäberle - E-Book

Die Toten vergeben nicht - Lars Wolff, der Scharfschütze E-Book

Wolfgang Schäberle

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Beschreibung

Vor den Schatten der Vergangenheit kann niemand fliehen. Eigentlich hat der ehemalige Scharfschütze der Bundeswehr-Eliteeinheit, Kommando-Spezialkräfte (KSK), mit seinem Leben abgeschlossen. Posttraumatisiert, ist seine Familie das Einzige, was Lars Wolff davon abhält, alles zu beenden. Da wird seine Tochter entführt und zugleich kontaktiert ihn der Bundesnachrichtendienst. Ein Attentat auf den Bundespräsidenten Deutschlands steht unmittelbar bevor. Für den BND ist Lars Wolff ein Top-Profi mit erfolgreichen Einsätzen in Ruanda, Afghanistan und im Kongo. In seinen eigenen Augen ist er ein Seelenverbrannter - den Nacht für Nacht die Geister der Getöteten heimsuchen. Trotz erheblicher Zweifel sieht er in der Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst die einzige Möglichkeit, seine Tochter zu retten. Für Lars Wolff beginnt ein Rennen gegen die Zeit, bei dem er gnadenlos von den Schatten seiner Vergangenheit eingeholt wird. Er muss wieder zu jenem werden, der er nie wieder sein wollte. Lars Wolff, der Scharfschütze.

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Seitenzahl: 820

Veröffentlichungsjahr: 2021

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“Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird.

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.”

Friedrich Nietzsche

Zum Buch

Die Schatten der Vergangenheit kann niemand auf Dauer verdrängen. Sie kommen wieder und jedes Mal heftiger. Schuld und Unschuld sind irgendwann dasselbe. Doch eine Frage bleibt: Gibt es jemals Frieden für Seelenverbrannte?

Eigentlich hat der von einem posttraumatischen Belastungssyndrom betroffene Lars Wolff, ehemaliger Scharfschütze der Eliteeinheit Kommando-Spezialkräfte (KSK), mit seinem Leben abgeschlossen. Da wird seine Tochter entführt. Unmittelbar nach der Entführung wird Lars Wolff vom Bundesnachrichtendienst (BND) kontaktiert. Lars Wolff wird aufgefordert, ein Attentat auf den Bundespräsidenten Deutschlands zu verhindern. Für den BND ist Lars Wolff ein eiskalter Top-Profi mit 17 erfolgreichen Aktionen. In seinen eigenen Augen ist Lars Wolff ein Monster – den Nacht für Nacht die Geister der Getöteten heimsuchen.

Was verschweigt Lars Wolff? Was ist geschehen, bei seinen Einsätzen in Ruanda, Afghanistan und in der demokratischen Republik Kongo? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, bei dem sich Lars Wolff gnadenlos den Schatten seiner Vergangenheit stellen und wieder zu jenem werden muss, der er nie wieder sein wollte. Lars Wolff - Der Scharfschütze.

Zum Autor

Professor Wolfgang Schäberle, Jahrgang 1968, ist promovierter Gesundheitswissenschaftler. Er lebt mit seiner Familie im Großraum Stuttgart.

Wolfgang Schäberle

Die Toten vergeben nicht

- Lars Wolff,der Scharfschütze

© 2021 Wolfgang Schäberle

Autor: Wolfgang Schäberle

Umschlaggestaltung, Illustration: Wolfgang Schäberle

Verlag: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

978-3-347-23446-8 (Paperback)

978-3-347-23447-5 (Hardcover)

978-3-347-23448-2 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Alle Personen, Inhalte und Handlungen sind frei erfunden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Prolog

Der Regen prasselte auf das Gesicht des Mannes nieder. Seit Stunden stand er hinter dem einzigen Busch neben der Kirche.

Zwei alte Frauen sind noch drin, zählte er.

Der Mann duckte sich tiefer. Er sah, wie sich die Kirchentür aufschwang. Die beiden Besucher die Kirche verließen. Seine Fäuste ballten sich in schneller Folge.

Jetzt ist er allein.

Er sprang auf und rannte auf die Kirche zu. Lautlos öffnete er die Tür. Der Pfarrer hatte keine Schritte gehört. Aber er sah den Schatten einer Person auf der Sünderbank sitzen.

„Grüße Gott. Erleichtere Dein Gewissen.“

Stille, nur das Atmen des Mannes war zu hören.

„Glauben Sie, dass einem Menschen seine Sünden vergeben werden?“, hörte der Pfarrer ein Flüstern.

„Der Herr vergibt alles. Sagen Sie mir, was Sie belastet.“

Ein Stöhnen drang durch das Gitter des Beichtstuhls.

„Ist Ihnen Ihr Beichtgeheimnis heilig?“

Der Pfarrer zog die Augenbrauen hoch. Irgendetwas in der Stimme des Mannes beunruhigte ihn.

„Es ist eines der heiligsten Gelübde“, versicherte der Pfarrer. Er drehte seinen Kopf etwas zur Seite, in Richtung des kleinen Schiebefensters.

Der Mann zog seine Hände aus den Jackentaschen. Er hasste sie aus tiefster Seele.

„Ich habe getötet.“

„Herr im Himmel?“, dem Pfarrer rannte der Angstschweiß über sein Gesicht.

„Erleichtern Sie Ihr Herz“, schaffte er zu flüstern.

„Ich habe Leben vernichtet. Wieder und wieder.“

Dem Pfarrer hämmerte der Puls gegen die Schläfen. „Ich habe so viele Menschen getötet. Nachts höre ich ihre Stimmen und sehe die Gesichter vor mir. Das Schlimmste sind die leblosen Augen, diese toten Augen. Sie verfolgen mich und lassen mich nicht mehr los, Nacht für Nacht.“

Der Pfarrer presste die Oberschenkel zusammen. Den nassen Fleck zwischen seinen Beinen bemerkte er nicht. Seine Hände verkrampften sich in der Stuhllehne.

„Warum?“, war alles, was aus im hervorkam.

„Macht das einen Unterschied?“

Die Hände des Pfarrers umklammerten sein Kruzifix.

„Sie sind hier, um Buße zu leisten“ flüsterte er. Es kostete ihn seinen gesamten Mut, weiter zu sprechen.

"Aber Sie müssen die Verantwortung übernehmen."

Jetzt ist es ausgesprochen. Alles an ihm zitterte.

„Noch einmal muss ich töten“.

Der Pfarrer klammerte sich an seinem Stuhl fest. Sein Mund öffnete sich, aber er bekam keinen Ton heraus. Mit letzter Kraft gelang es ihm doch.

„Bitte nicht. Töten ist Sünde.“

Keine Antwort, es blieb still. Zitternd schob er der Vorhang zur Seite. Die Kirche war leer. Er lief in Richtung der Ausgangstür. Auf halbem Weg setzte er sich auf eine Bank setzen. Seine Beine hatten nachgegeben.

Er schloss die Augen und betete für die Seele des Mannes.

Müritzer Seenplatte

Der Mann stand am Ufer des Sees. Die Abenddämmerung warf seinen Schatten voraus.

Verzerrt spiegelte sich seine Silhouette auf der Wasseroberfläche wider. Eine kühle Brise kam von Norden herab. Er starrte über das Wasser. Die Muskeln seines durchtrainierten Körpers strafften sich bei dem Gedanken, was heute Nacht wieder geschehen würde. Er ballte die Faust. Wie gerne würde er den Feind niederkämpfen. Aber es war kein realer Feind, niemand den er besiegen konnte.

Langsam atmete er aus. Am schlimmsten war das Gefühl der Ohnmacht. Das Grauen kam wieder und wieder.

Ich schaffe es nicht. Was immer ich versuche. Die alte Narbe, die schräg über seine Stirn verlief, glühte. Er kannte das Zeichen, es war bald wieder soweit.

Alles wofür ich gekämpft habe, war sinnlos. Was ich Liebe geht verloren, jeden Tag ein Stück mehr.

Das Wasser kräuselte sich leicht und verzerrte sein Spiegelbild. Minutenlang betrachtete er die traurige Naturmetapher. Ein Gedanke stieg in ihm auf.

Wenn es heute Nacht wieder passiert, werde ich die Sache beenden. Dann ist es vorbei.

Eine altvertraute Ruhe durchströmte ihn. Wie früher im Einsatz, wenn die Entscheidungen getroffen waren. Er dachte an den kleinen Ort Calw, im Nordschwarzwald. Dort hatte alles begonnen hatte. Er konnte sich nie ganz davon lösen.

Die traurigen, tiefblauen Augen, die ihn im Rückspiegel seines Wagens anblickten, sagten ihm, dass es das einzig Richtige war. Endgültig.

Bei dem Gedanken an die kommende Nacht lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

Du hast einen Plan, befahl er sich und fuhr los.

Heute Nacht endet es.

Ruanda, Kigali

Ich hasse diese verdammte Straße, schimpfte Joseph Mahathi. Genervt manövrierte er seinen Wagen an den unzähligen Eselkutschen und Fahrradfahrern vorbei. Mit wildem Hupen versuchte er auf der Hauptstraße Kigalis zum Hotel International voranzukommen. Endlich angekommen, übergab er dem Pagen den Schlüssel.

„Mach mir keine Kratzer in den Lack, verstanden?“

Der junge Angestellte am Eingang zuckte zusammen. Heftig nickend setzte er sich in den Wagen. Joseph Mahathi blickte seinem Auto kurz hinterher. Zufrieden drehte er sich um und betrat die Lobby des Hotels. Er genoss die angenehme Kühle der Klimaanlage, die auf seiner Haut kribbelte. Augenblicklich entspannte er sich und visierte die Hotelangestellte am Hotelempfang an.

„Hallo Monsieur Mahathi. Es freut mich, Sie wieder in unserem Haus begrüßen zu dürfen. Die Konferenz ist heute im blauen Saal. Sie bekommen selbstverständlich dasselbe Zimmer wie immer“, strahlte sie ihn an. Dezent, aber unübersehbar straffte sie ihre Bluse.

„Gerne, Mademoiselle. Sie sind neu hier? Ansonsten wären Sie mir schon aufgefallen.“

Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass es keinen Sinn mehr machen würde auf sein Zimmer zu gehen. Er setzte sich in die Lobby des Hotels und trank genüsslich eine Tasse Kaffee. Er liebte das rege Treiben in der Hotelhalle. Eine Afrikanerin im eleganten Kleid erregte seine Aufmerksamkeit.

Sollte ich die Dame heute Abend nochmals sehen, werde ich eine kleine Attacke starten, beschloss er mit beschleunigtem Puls.

30 Minuten bis zu Besprechung. Das Drücken in seinem Unterbauch wurde stärker. Mit einem Seufzer stand er auf. Die Toiletten lagen im Untergeschoss, ein Umstand der Mahathi jedes Mal die Nase rümpfen ließ. Er liebte den Luxus, eine Kellertoilette gehörte nicht dazu.

Bei nächster Gelegenheit werde ich ein ernstes Wort mit dem Hotelmanager reden.

„Ein sündhaft teures Hotel. Aber nie ist es ordentlich gereinigt“, schimpfte Mahathi auf dem Weg nach unten.

Der Geruch von Urin aus veralteten Leitungen schlug ihm ins Gesicht. Ein Blick auf die Urinale genügte. Er lief zu einer der vier abschließbaren Toilettentüren. Die Erste verließ er sofort wieder. Der Vorgänger hatte vergessen zu spülen. Bei der zweiten und dritten Toilette sah es ähnlich aus. Die Letzte war zwar sauber, aber der Boden klebte von gelben Urinspritzern. Da sich bei Mahathi mittlerweile nicht nur die Blase regte, blieb ihm keine Wahl. Vorsichtig setzte er sich. Seine Füße stemmte er gegen die verschlossene Toilettentür.

Nur nicht diesen ekeligen Boden mit meiner Hose berühren.

Dabei wurde ihm mal wieder seine ausgeprägte Vorliebe für teure Garderobe bewusst. Sich auf die Toilettenbrille zu setzen war unangenehm genug. Aber seine Luxushose in die Nähe des Bodens kommen zu lassen war ein 100-prozentiges No-Go. Er hörte, wie die erste Toilettentür aufgerissen und sofort wieder geschlossen. Tür zwei und drei ebenso.

Da hat jemand das gleiche Hygiene-Problem wie ich.

Er sah, wie der Türgriff seiner Toilette sich nach unten bewegte. Ein metallenes Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf den Boden. Vor im lag ein Revolver. Der Adrenalinschock ließ Joseph Mahathis Beine zu Pudding werden. Schweißnass zitterten seine Hände wie Espenlaub. Der Panik nahe, presste er seine Füße gegen die Toilettentür.

Bloß kein Geräusch, sonst bin ich tot, rasten die Gedanken durch seinen Kopf.

Der Panik nahe hörte er das laute Fluchen einer tiefen Stimme. Entsetzt beobachtete er, wie sich zwei Hände unter dem Türspalt nach innen schoben. Tastend fanden diese den Revolver wieder. Für einen kurzen Augenblick sah er den Schatten eines Kopfes.

Wenn er mich sieht, erschießt er mich, traf Joseph Mahathi die Erkenntnis wie ein Donnerschlag.

Mittlerweile war der Krampf in seinen Beinen unerträglich. Er kämpfte dagegen an sich nur einen Millimeter zu bewegen. Mit aufgerissenen Augen sah er wie die Hände die Waffe ergriffen.

„Ja, ich bin allein an einem sicheren Ort. Ich habe es mir überlegt. Ich nehme den Auftrag zu den vereinbarten Konditionen an. Nach Beendigung unseres Gesprächs werden wir nicht mehr miteinander in Kontakt treten. Die erfolgreiche Durchführung des Auftrags werden Sie aus den Nachrichten entnehmen.“ Der Mann hörte eine Weile zu,

„Ich fasse zusammen. Ich agiere ausschließlich allein. Mit Beendigung des Telefonats werden Sie mich nicht mehr erreichen können. Der Auftrag kann nicht mehr zurückgenommen werden. Verstanden?“, fragte der Mann eindringlich.

„OK. Zielperson ist bekannt. Datum 17.-19. Juli, in 8 Wochen. Mögliche Städte: Hamburg, Frankfurt, Baden-Baden. Das vereinbarte Honorar muss wie besprochen in spätestens fünf Tagen auf meinem Schweizer Nummernkonto eingezahlt worden sein?“

Joseph Mahathi roch den beißenden Gestank in seiner Nase. Verschmortes Plastik. Er verbrennt sein Handy.

Er drückte seine Zunge gegen den Gaumen, um nicht zu husten. Panik breitete sich in ihm aus. Mit unendlicher Erleichterung hörte er, wie die Eingangstür zu dem Toilettenraum zufiel. Seine Beine brannten mittlerweile wie Feuer. Er biss sich auf die Lippen vor Schmerzen. Das in seine Venen schießende Blut war. Erst jetzt bemerkte er sein klatschnasses Hemd und das fortwährende Zittern am ganzen Körper. Vorsichtig öffnete er die Toilettentür und schlich nach draußen. An der Eingangstür atmete tief durch.

Nichts wie raus hier.

Die Tür flog ihm mit roher Gewalt entgegen. Ein heftiger Schlag hämmerte gegen seine Stirn. Mit tränenden Augen sah er einen großen Afrikaner mit ausgestreckten Händen auf ihn zustürmen.

Jetzt ist es aus, schoss es ihm durch den Kopf.

„Bitte entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen. Ich musste dringend auf die Toilette. Sind sie verletzt? Es tut mir leid.“ Der Mann schnappte ihn unter den Schultern und lehnte ihn an ein Waschbecken.

„Alles in Ordnung“, stammelte Joseph Mahathi. Das Dröhnen in seinem Kopf lies etwas nach. Er drängte sich an dem Mann vorbei zur Treppe.

Nur nicht auffallen, hämmerte er sich ein.

Die Strecke durch die Hotelhalle zum Fahrstuhl erschien endlos lange. Hastig verschloss der die Zimmertür und rannte in das Bad. Ca. fünf Minuten hatte er das Gefühl, an seiner eigenen Kotze zu ersticken. Die Beule an seiner Stirn war mittlerweile dunkelrot angeschwollen und drohte zu platzen. Er hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn. Benommen taumelte er zu dem großen Doppelbett.

Wie in Trance griff er zum Telefonhörer.

„Hier spricht die Rezeption. Guten Tag Monsieur Mahathi, was kann ich für Sie tun?“

Joseph Mahathi versuchte, möglichst souverän zu sprechen.

„Lassen Sie meinen Wagen direkt vor den Eingang bringen. Ich muss kurzfristig wieder abreisen. Ich bin in fünf Minuten in der Halle.“

Mit seinem Handy sendete er eine kurze SMS an einen Kollegen, der in der mittlerweile begonnenen Sitzung saß. An der Rezeption wurde er sofort von dem Leiter des Hotels empfangen.

„Monsieur Mahathi, ist irgendetwas zu Ihrer Unzufriedenheit geschehen?“, fragte der Hotelier bemüht seine Angst nicht zu zeigen.

„Nein, alles in Ordnung. Ich muss nur völlig unvorhergesehen zu einem anderen Termin“.

Und Deine Schweinetoiletten werde ich Dir bei meinem nächsten Besuch um die Ohren hauen.

Wortlos nahm er vor der Tür von dem Pagen den Wagenschlüssel entgegen. Ohne jeden Kommentar fuhr er los.

Ein großes Whiskey-Glas in der Hand haltend saß er kurze Zeit später zu Hause in seinem Ledersessel. Das Brennen des Alkohols beruhigte ihn etwas.

Was kümmert mich das Ganze, war sein erster Impuls. Ein paar Minuten später besann er sich wieder.

„Richter Mahathi am Apparat. Erstellen Sie mir eine gesicherte Leitung zum deutschen Botschafter in Kigali.“ Eine Stunde später klingelte das Telefon.

„Hallo Herr Botschafter. Ja, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Ich habe heute zufällig ein Telefonat mitbekommen.“

Robert Mahathi bemerkte wie die gelöste Stimmung des Botschafters in hellwache Aufmerksamkeit umschlug.

Innerhalb einer Minute hatte er eine exakte Zusammenfassung der Ereignisse wiedergegeben.

„Nein, leider habe ich die Person nicht gesehen“, bedauerte Mahathi,

„Sie stehen nicht in meiner Schuld. Vielleicht könnten wir uns ja mal wieder zum Essen treffen. Soweit ich weiß, kommt in zwei Monaten eine deutsche Wirtschaftsdelegation nach Ruanda. Ja, wir telefonieren.“

Mahathi legte den Hörer auf und trank einen Schluck Whiskey. Langsam die Kehle hinunterlaufend entfachte dieser das wohltuende kleine Feuer in seinem Magen.

Mal sehen, ob ich damit etwas Gutes für mein Land getan habe, sinnierte Mahathi. Das Verhältnis zu Deutschland war seit November 2008 immer noch angespannt. Anlass war die Festnahme und Auslieferung eines hochrangigen RPF-Mitglieds durch Deutschland an Frankreich. Allerdings benötigte Ruanda dringend die politische und wirtschaftliche Unterstützung Deutschlands, um sich dem französischen Einfluss entziehen zu können. Er griff nach der Flasche, um sich einen weiteren Whiskey einzuschenken, als das Telefon klingelte.

„Ja Hallo?“, meldete sich Mahathi zurückhaltend, bis er verstand, wer am Telefon war,

„Oh Hallo. Aha, danke für den Hinweis. Restaurant Sunset -Bay sagten Sie? Und es ist die Dame, die ich Ihnen heute Morgen in der Lobby gezeigt habe?“ Ein Rendezvous war jetzt genau das richtige nach all diesen Aufregungen.

Zentrale Bundesnachrichtendienst (BND), Pullach

Rosi Gerstner rückte ihre Brille zurecht, fuhr sich mit den Händen durch ihren Pagenschnitt und setzte sich aufrecht auf ihren Bürostuhl. Wie jeden Morgen der vergangenen 10 Jahre, die sie für den Bundesnachrichtendienst (BND) in der Zentrale im bayrischen Pullach im Isartal arbeitete. Sie war der Abteilung „Internationaler Terrorismus und Internationale Organisierte Kriminalität (TE)“ zugeordnet. Diese Abteilung wertete täglich alle eingehenden Informationen entsprechend dem Fachgebiet aus und stellt sie der Bundesregierung und den Bundesbehörden zur Verfügung. Als Dienststelle unterstand der BND der Abteilung 6 des Bundeskanzleramts und erstellte jährlich ca. 400 Berichte und bearbeitete zudem ca. 5000 Anfragen.

„Jeden Montag der gleiche Riesenberg an Mails“, sinnierte sie leise. Sie war für die Informationen Zentral- und Südafrika zuständig.

Ihre Finger flogen über die Tastatur. Mit gewohnter Routine verfasste sie die Zusammenfassungen und sendete diese an die Fachabteilungen weiter.

Aus dem Augenwinkel sah sie auf die große Wanduhr im Büro. Erstaunt stellte sie fest, dass es schon kurz vor 12.00 Uhr war.

„Vor der Mittagspause fange ich kein neues Land mehr an“, sagte sie zu ihrer Kollegin.

„Heute gibt es in der Kantine Schupfnudeln mit bayrischem Kraut. Da gehe ich lieber ein paar Minuten früher hin.“

Die letzten drei Buchstaben sind Ruanda, Südafrika und die Zentralafrikanische Republik. Die bearbeite ich nach der Pause. Ruanda wird schnell fertig sein. Die anderen beiden werden wie immer viel Zeit in Anspruch nehmen.

30 Minuten später saß sie wieder an ihrem Schreibtisch. Leise stöhnte Sie über ihren vollen Magen.

Warum kann ich mich bei Schupfnudeln mit Kraut nie beherrschen, schimpfte sie sich.

Mit einem Seufzer las Rosi Gerstner die Nachrichten aus Ruanda. Es handelten von den üblichen Meldungen bezüglich der instabilen politischen Lage und der wieder zunehmenden Radikalisierung des Landes. Langsam zog Rosi Gerstner eine Augenbraue hoch. Eine Mail erweckte Ihre Aufmerksamkeit.

Absender: Deutsche Botschaft Kigali, Ruanda

Betreff: Weitergabe einer ungeprüften Nachricht von einem glaubwürdigen Informanten.

Mögliches Attentat auf undefinierte Einzelperson zwischen dem 17.7. – 19.07. in Hamburg, Frankfurt oder Baden-Baden. Es soll ein Honorar auf ein Schweizer Nummernkonto bezahlt werden. Der Informant ist zuverlässig, kann aber keine weiteren Informationen liefern.

Hochachtungsvoll

Dr. Hermann

Deutsche Botschaft Kigali, Ruanda.

Rosi Gerstner las die Nachricht noch einmal durch. Sie konnte sich nicht entscheiden, wie die Selbige kategorisieren sollte. Nachrichten dieser Art waren nicht ungewöhnlich. Zumeist handelte es sich hierbei um Auftragsmorde aus dem internationalen Verbrechen. Diese hatten für den BND keine hohe Dringlichkeitsstufe. Rosi entschied sich, die Nachricht zunächst an Ihren Vorgesetzten weiter zu leiten.

Soll er es doch ggf. weiterleiten. Mir kann man jedenfalls keinen Vorwurf machen, mal sehen, was es in Südafrika Neues gibt.

Rolf Müller fuhr sich mit der Hand durch die wenigen Haare, die er auf dem Kopf hatte. Er beugte sich über seinen großen Schreibtisch, was aufgrund seiner kleinen Körpergröße und des beginnenden Bauchansatzes nicht so einfach für ihn war.

Dann wollen wir mal, grunzte er und begann mit einer Durchsicht der täglichen Informationen. Als Bereichsleiter der BND Abteilung internationaler Terrorismus und international Organisierte Kriminalität gehörte dies zu seinen Routineaufgaben.

Ja, das liebe Fräulein Gärtner hat mal wieder unzählig viele Mails gesendet.

Wahrscheinlich hat sie bedenken, dass sie irgendetwas verantworten muss.

Insgesamt schätzte Müller die korrekte Arbeitsweise von Rosi Gärtner. Konzentriert las er den Betreff der Nachrichten und sortierte diese nach der Dringlichkeit. Seine Augenbrauen hoben sich. Er griff zum Telefonhörer.

„Frau Gerstner, hier spricht Müller. Ich lese gerade die Mail von Ruanda bezüglich eines möglichen Attentats. War das die Originalnachricht oder die Zusammenfassung? Die Originalnachricht. Gut gemacht. Vielen Dank“,

Nachrichten mit einem konkreten Hinweis auf ein Verbrechen mussten laut der BND Verfahrensanweisung weiterverfolgt werden. Es lag in seiner Entscheidung, die Nachricht der Bundesregierung oder der Bundesbehörde sprich dem BKA zukommen zu lassen.

„Frau Gerstner. Hier ist nochmals Müller. Bitte führen Sie eine Überprüfung der Mail aus Ruanda durch. Zunächst einen Abgleich der Daten mit den uns bekannten in Deutschland lebenden Chefs der internationalen kriminellen Organisationen. Prüfen Sie vor allem, ob es geplante Zusammenkünfte gibt, die mit den Daten übereinstimmen. Sollten Sie eine Auffälligkeit finden checken Sie die Personen. Wir haben ja dank unserer Informanten so alle Terminplanungen unserer Verbrecherhäuptlinge. Danach prüfen Sie mit unserem neuen EDV-Programm die Daten mit den Terminplanungen der Bundestagsmitglieder. Sollten Sie Schwierigkeiten bekommen, rufen Sie Herrn Hold von der Abteilung Eigensicherung an. Der wird Ihnen helfen.“

Noch mehr Arbeit, stöhnte Rosi Gerstner.

„Ist es in Ordnung die Überprüfungen morgen früh durchzuführen? Ich muss noch die Infos der Zentralafrikanischen Republik durcharbeiten. Das wird eine Weile dauern“ antwortete Rosi. Sie hatte heute Abend seit langem Mal wieder ein Date und wollte auf keinen Fall Überstunden machen. Müller überlegte kurz.

„Kein Problem. Das reicht morgen früh auch noch. Wahrscheinlich ist es sowieso wieder ein Auftragsmord innerhalb der Syndikate. Das hatten wir ja schon öfters“, verabschiedete sich Rolf Müller.

Rosi Gerstner freute sich über das Verständnis ihres Chefs. Sie wusste, welch hohe Leistungsbereitschaft Rolf Müller von seinem Mitarbeiter forderte. Viele fragten sich, warum er ein Haus auf dem Land hatte. Er war ja sowieso Tag und Nacht in seinem Büro.

Schade, dass er schon 55 Jahre alt ist, sinnierte sie, trotz seines leicht sichtbaren Bauches und deutlich Geheimratsecken hat, ist er ein attraktiver Mann, und so verlässlich, träumte sie vor sich hin.

Warum er keine Familie hat? Seit ich hier bin, lebt er allein, das sind jetzt schon zehn Jahre und ich werde bald 40, kritisch betrachtete sie sich in den Spiegel an der Tür.

Am nächsten Morgen kam Rosi Gerstner pünktlich, aber schlecht gelaunt zur Arbeit.

„Es scheint nur noch Verrückte auf dieser Welt zu geben“.

Nörgelte sie leise vor sich hin, mit einem kurzen Gedanken an das misslungene Date gestern Abend. Verärgert öffnete sie die Mail aus Ruanda. Nach drei Stunden waren alle bekannten Termine der führenden Größen des organisierten Verbrechens Deutschlands, mit den Daten verglichen. Es ergaben sich keine Übereinstimmungen. Das neue Abgleichprogramm zur Sicherung der Bundestagsmitglieder arbeitete simpel, aber effektiv. Der BND hatte mit dem Programm Zugriff auf die offiziellen Terminkalender aller Bundestagsmitglieder. Rosi Gerstner aktivierte die Überprüfung sämtlicher Angehörigen des Bundestags. Da in der Mail drei Termine mit drei Ortschaften aufgeführt wurden, vermutete sie eine hohe Trefferanzahl der einzelnen Tage. Sollte ein Politiker an allen drei Tagen in den genannten Städten sein, würde er auf Platz eins der Liste stehen. Rosi war erstaunt, wie einfach die Bedienung des Programms war. Sie las die voraussichtliche Zeitangabe der Überprüfung.

Zwei Stunden, dachte Rosi, das ist nicht gerade schnell. Aber was solls. Wahrscheinlich kommt sowie so nichts dabei heraus. Sie startete mit der Zusammenfassung für Südafrika.

Exakt nach 2 Stunden erschien der Link auf ihrem PC, dass die Abfrage beendet sein.

Zuerst mache ich Südafrika fertig.

15 Minuten später öffnete sie die Abfrage und blickte auf die Auflistung. Es ergaben sich 23 Treffer für jeweils einen Tag in einem Ort, zwölf Treffer für zwei Tage mit zwei Orten und einen Treffer, bei dem alle drei Termine mit den Orten übereinstimmten.

Mal sehen, wer da so viel in Sachen Öffentlichkeitsarbeit unterwegs ist. Ihr Herz blieb für einen Augenblick stehen. Mehrmals las sie den Namen, der oben auf der Liste stand. Sie zerrte das Papier aus dem Drucker und rannte los.

Müritzer Seenplatte

„Nein“, brüllte Lars Wolff, vergebens. In langer Reihe kamen sie auf ihn zu. Zumeist Männer, aber auch ein paar Jugendliche und Frauen. Der Erste stand jetzt direkt vor ihm, keinen Meter entfernt. In seinen Augen lag eine unendliche Traurigkeit.

„Verschwindet endlich, ich kann nichts mehr ändern“, stöhnte Lars Wolff. Verzweifelt stieß er den Ersten der Reihe zur Seite. Dieser kippte um und blieb liegen. Der Nächste kam auf den Mann zu. Wieder der traurige Blick, wieder stieß Lars Wolff in zur Seite, wieder blieb der Mann liegen. Sie kamen und kamen. Ein endloser Strom.

„Hört auf, Bitte.“ Lars Wolff Stimme war nur noch ein Flüstern. Je mehr Menschen er zu Seite stieß, umso länger wurde die Reihe. Ein kleiner Junge kam auf ihn zu. Er klammerte sich am Bein Lars Wolffs Bein fest.

„Warum“, wimmerte der Junge, „Warum hast Du das getan.“

Tränen rannten dem Mann über seine Wangen.

„Es tut mir so leid“ war das Einzige, was er sagen konnte. Die Stimmen wurden lauter.

„Warum“ hallte es von allen Seiten in seine Ohren. Hunderte Augen begannen ihn zu umkreisen. Das Dröhnen in seinen Kopfwurde unerträglich.

„Warum, Warum, Warum?“, hämmerte es in seinem Kopf.

Er versuchte, wegzulaufen. Vergeblich. Die Augen umkreisten ihn. weiter.

Er rannte und rannte.

Maria Wolff stand am offenen Fenster. Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl es eine laue Sommernacht war. Sie erschrak vor dem eigenen Spiegelbild das sich.

Was ist aus Dir nur geworden.

Unter Ihren dunkelbraunen Augen waren die dicken Ränder der selbst bei Nacht zu sehen.

Schnell drehte Sie den Kopf und starrte nach draußen.

Da war es wieder, er ist unterwegs.

Oh mein Gott, es wird nie aufhören.

Eine Sturmflut von Wut, Angst und Verzweiflung tobte in ihr. Nacht für Nacht, immer wieder. Es gibt keine Hoffnung mehr.

Ihr Puls beschleunigte sich, das Pochen in Ihren Schläfen wurde unerträglich. Sie versuchte langsam ein und auszuatmen.

Die Tür öffnete sich. Lars Wolffs muskulöser Brustkorb hob und senkte sich wild. Wie in Trance ging er auf seine Frau zu. Sie kannte diesen Blick seit Langem. Das tiefe Leiden, über das er nie mit ihr sprach. Er war in einer anderen Welt, erkannte seine eigene Frau nicht in diesem Zustand. Sie sah das Grauen in Lars Wolff toben, das nackte Grauen.

„Verschwindet endlich. Lasst mich in Ruhe“, brüllte er seine Frau an. Seine Fäuste ballten sich. Wild schlug er durch die Luft. Immer und immer wieder. Marie Wolff rührte sich nicht von der Stelle. Sie wusste, sie durfte sich jetzt nicht bewegen.

„Ich kann nichts mehr ändern. Lasst mich endlich in Ruhe“, Er hob seine Fäuste vor sein Gesicht, wie ein Boxer der in Doppeldeckung schwere Schläge seines Gegners einstecken musste.

Maria sah, wie die blauen Augen ihres Mannes dem Wahnsinn

nahe waren.

BND, Pullach

Rolf Müller war gerade mit einer Zusammenfassung der aktuellen Lage im Süd Sudan beschäftigt, als seine Bürotür aufgerissen wurde. Er zuckte zusammen. Grimmig starrte auf den Störenfried an der Tür. Wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann war es die Missachtung von Vorschriften und Etikette.

„Frau Gerstner, ich hoffe, Sie haben gute Gründe so unverfroren in mein Büro zu platzen, ansonsten haben Sie jetzt ein echtes Problem“, giftete Müller.

Sie setzte sich unaufgefordert auf den Besucherstuhl. Eine Anmaßung, die sie sich nie erlaubt hätte, aber ihre Beine drohten zu versagen.

„Chef, Bitte entschuldigen Sie. Die Mail, die Mail, furchtbar, furchtbar“ stotterte sie.

Müller spürte seine Schläfen pochen.

„Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Um was geht es denn?“

Rosi Gerstner stand wortlos auf und gab ihrem Chef den PC-Ausdruck. Müller nahm das Papier und begann zu lesen. Mit durchdringendem Blick schaute er sie an.

„Frau Gerstner. Haben Sie mit irgendjemandem über den Inhalt der Auswertung gesprochen. Oder weiß jemand darüber Bescheid, Ihre Bürokollegin vielleicht? Denken Sie genau nach, bevor Sie antworten.“

Rosi Gerstner erschrak über die Intensität in Müllers Stimme. „Nein, ich habe die Auswertung fertiggestellt und ausgedruckt. Dann bin ich direkt zu Ihnen gerannt. Bitte entschuldigen Sie nochmals…“

Müller unterbrach sie mit einer barschen Handbewegung, „Hallo, hier spricht Rolf Müller Bereichsleitung internationaler Terrorismus und international Organisierte Kriminalität. Spreche ich mit der EDV-Sicherheitsabteilung? Gut, sperren Sie sofort jeglichen Zugriff auf den PC Nr. ITOK 138573, User ID: Gerstner Rosi 6974349. Höchste Priorität. Zudem sperren Sie jeglichen, ich wiederhole jeglichen Zugriff auf die Auswertungen, die von Frau Gerstner in den vergangenen Stunden mit dem Abgleichprogramm SXP 2000 durchgeführt wurde. Geheimhaltungsstufe rot. Danke.“

Rosi Gerstner kaute nervös auf ihren Fingernägeln. Sie traute sich nicht, Ihren Chef anzusehen.

„Frau Gerstner, Sie haben alles richtig gemacht. Ich möchte Ihnen für Ihre gewissenhafte Vorgehensweise danken. Ich habe jetzt keine Zeit für Erklärungen. Bitte beachten Sie Folgendes. Die Analyse hat höchste Geheimhaltungsstufe. Ich brauche Sie als Mitarbeiterin des BND nicht darüber aufzuklären was das heißt und welche Konsequenzen bei einer Missachtung folgen. Ich verlasse mich auf Sie. Zudem möchte ich Sie bitten, dass Sie sich den Rest der Woche freinehmen. Bauen Sie Überstunden ab. Fahren Sie ein paar Tage weg und vergessen Sie die ganze Angelegenheit. Ich werde mich um alles Weitere kümmern. Nochmals vielen Dank, sehr gute Arbeit.“

Müller begleitete Rosi zur Tür und verabschiedete sie. Vor der Tür atmete Rosi tief durch. Sie war froh, alles richtig gemacht zu haben. Schnell holte ihren Mantel und ging zum Parkplatz.

Eine der herausragenden Fähigkeiten von Rolf Müller war sein analytischer Verstand. Zudem hatte er, wenn es hart auf hart kam Nerven wie Drahtseile. Er setzte sich und überlegte, wie er weiter vorgehen würde. Die Datenanalyse hatte höchste Priorität und musste an die obersten Stellen weitergeleitet werden.

Der Präsident des BND ist ein Politiker. Verächtlich warf er seinen Kugelschreiber auf den Tisch.

Der wird nur versuchen, aus der Situation einen politischen Vorteil für sich und seine Partei erzielen zu können. Zudem ist er keiner von uns, hat nie beim BND gearbeitet.

Eine Tatsache, die in Müller eine unüberbrückbare Abneigung hervorrief. Es gab beim BND zwei Vizepräsidenten, zuständig für die zivilen und militärischen Belange. Allerdings hatte der BND grundsätzlich innerhalb seiner Hoheitsgrenzen keine polizeilichen Befugnisse. Diese lagen bei der Bundespolizei und beim Bundesgrenzschutz. Er nahm den Hörer ab und rief Rainer Jetter an, den Vizepräsidenten des BND für zivile Angelegenheiten. Es meldete sich das Sekretariat.

„Hier spricht Rolf Müller, Bereichsleiter internationaler Terrorismus und international Organisierte Kriminalität. Ich muss dringend mit Herrn Jetter sprechen. Es handelt sich um eine Angelegenheit höchster Priorität.“

Die Sekretärin bat um einen Augenblick Geduld.

„Hallo Herr Müller, lange nichts mehr von Ihnen gehört", sagte Rainer Jetter freundlich,

„Sie haben Glück mich ausnahmsweise direkt zu erreichen. Sie wissen ja, wie das ist. Ständig muss man auf irgendwelche Tagungen. Was gibt es denn so Dringendes?“

Die Gesichtsfarbe von Rainer Jetter wechselte schlagartig in leichenblass.

„Kommen Sie sofort hier her“, flüsterte er.

BND, Berlin

Ein Mitarbeiter des BND stand am Ausgang der Flughalle und studierte konzentriert die vorbeiziehenden Gesichter.

„Herr Müller?“, rief er. Dieser nickte nur und folgte dem Mann zum Parkplatz. In Berlin war der übliche, niemals endende Stau. Langsam fuhren sie in die Innenstadt. Der Fahrer fluchte vor sich hin. Er war spontane Sonderfahrten gewöhnt, aber zurzeit kam es ständig vor. Er hörte schon, wie seine Frau heute wieder nörgeln würde.

„Waren Sie schon öfters in Berlin?“, versuchte sich der Fahrer seine trüben Gedanken mit etwas Small Talk mit seinem Fahrgast zu vertreiben.

„Konzentrieren Sie sich auf Ihre Fahrt. Ich möchte mich nicht mit Ihnen unterhalten“, kam die schroffe Antwort Müllers. Er machte sich nicht einmal die Mühe von seiner Akte aufzusehen.

Was glaubt denn dieser Kutscher, wer er ist, mich einfach so anzuquatschen. Aufrecht sitzend rupfte Müller sich seine Krawatte zurecht.

Der Fahrer brauchte ein paar Sekunden, um zu glauben, was er gerade gehört hatte.

Du Arschloch, na warte mal.

Müller las weiter konzentriert in einer Akte. Nach einer Weile schaute er auf seine Uhr.

„Wir sind ja schon eine Stunde unterwegs. Wie lange dauert es denn noch“, pfiff er den Fahrer an.

Dieser zuckte nur mit den Schultern und zeigte auf die langen Autoschlangen.

„Gibt es keinen anderen Weg?“, hakte Müller nach.

Der Fahrer schüttelte nur den Kopf. Grimmig dacht er,

Doch, Volldepp und den fahren wir gerade eben. Damit es noch länger dauert. Ich sorge schon dafür, dass Du Deinen Termin nicht erreichst. Blöder Weißwurstfresser!

Zwei Stunden später stand Müller mit hochrotem Kopf im Sekretariat von Rainer Jetter. Die Sekretärin kam sofort auf ihn zu.

„Herr Müller, richtig? Bitte folgen Sie mir. Ich bringe Sie zu Herrn Jetter.“

Sie klopfte an und öffnete die Tür. Rainer Jetter stand am Fenster und telefonierte. Sein dicker Bauch und seine Körpergröße von 1,90 Meter füllten nahezu das gesamte Fenster aus. Mit einem Kopfnicken deutete Rolf Müller an sich an den Besprechungstisch zu setzen.

Er legte den Hörer auf und betrachtete Müller durchdringend. Seine dichten Locken waren schon wieder in alle Richtungen hochgesprungen, obwohl er jeden Morgen versuchte, diesen mit Haargel Herr zu werden. Chancenlos.

Rolf Müller versuchte, seine 1.70 Meter Körpergröße so weit zu strecken, wie es seine Bandscheiben gerade noch zuließen.

Vergebens, Jetter konnte immer noch direkt von oben auf Müllers beginnenden Haarausfall schauen.

„Wo haben Sie sich den rumgetrieben. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit“, sagte er anstelle einer Begrüßung.

„Ihr Fahrer. Der hat sich wohl verfahren. Diese Pfeife“, versuchte Müller sich zu rechtfertigen.

Jetter hob den mahnend seine Hand,

„Egal, jetzt sind Sie ja hier. Wir haben andere Sorgen. Sollte sich der Verdacht als bestätigt erweisen, haben wir eine Krisensituation von unkalkulierbarem Ausmaß.“

Rolf Müller blickte durch ihn hindurch und flüsterte „So ist es. Wir reden hier möglicherweise von einem Attentat auf das höchste Amt der Bundesrepublik Deutschlands.

Ein Mordanschlag auf den Bundespräsidenten.“

Die Diskussion war im vollen Gange. Sie berechneten die Zufallsquotienten nach Übereinstimmung der Attentatstermine und Orten mit denen des Bundespräsidenten. Das Ergebnis war erschreckend. Rolf Müller fasste die Fakten zusammen.

„Wir müssen davon ausgehen, dass eine reale Bedrohung auf das Leben des Bundespräsidenten vorliegt. Die möglichen Ort- und Zeitvariablen sind uns bekannt. Wir haben knapp 8 Wochen Handlungsspielraum. Aber wir haben wir bis jetzt nichts.“

Jetter nickte und trank einen Schluck Kaffee. Fragend blickte er Rolf Müller an. Diese antwortete in seiner präzisen Art.

„Wir wissen nichts über die Motive des Attentäters. Es könnte ein politisches Attentat sein, ein terroristisches oder ein kriminelles.“

Er trank einen Schluck Kaffee, bevor er weitersprach.

„Wir haben keinerlei Ansatzpunkte darüber, ob das Attentat auf die Person als solches abzielt oder ob es sich aufgrund seines Amtes um eine symbolische Tat handelt. Wir können unmöglich in dieser kurzen Zeitspanne alle Möglichkeiten verfolgen.“

Resigniert schenkte er sich eine weitere Tasse Kaffee ein, die achte bis jetzt, las sich seine Notizen nochmals durch.

„Da ist noch etwas das wir bedenken müssen“, sinnierte Müller. Rainer Jetters Kopf fuhr hoch.

„Spätestens seit dem Attentat auf Kennedy ist klar geworden, dass man einen Attentäter kaum an seinem Vorhaben hindern kann, sofern er bereit ist ggf. sein Leben dabei zu opfern.“

Rainer Jetter stand auf und ging zum Fenster.

„Verdammter Mist. Je mehr die Zielperson in der Öffentlichkeit präsent ist, umso besser kann ein Attentat durchgeführt werden.“

Er dreht sich um und starrte Rolf Müller an.

„Wir können den Bundespräsidenten unmöglich von seinen verdammten Terminen in der Öffentlichkeit fernhalten. Es ist ein repräsentatives Amt. Scheiße hoch drei.“

Rolf Müller sagte nichts, musste sich aber ein Grinsen verkneifen.

Er hat es gerade mal zwei Stunden geschafft manierlich und sachlich zu sprechen. Jetzt wird er wieder seinem Ruf gerecht.

Obwohl er Rainer Jetter nur flüchtig kannte, war ihm dessen Ruf beim BND schon oft zu Ohren gekommen. Rainer Jetter war bekannt für seine Fäkalsprache. Ein Umstand, der ihm schon oft Ärger mit seinen Vorgesetzten eingebrachte hatte und seine Karriere behinderte.

Es lag auf der Hand, dass sie die Information entsprechend weiterleiten mussten. Rainer Jetter dachte an die zurückliegenden Schutzaktionen des SEK. Diese waren perfekt organisiert und durchgeführt. Aber die Freigabe finaler Präventivschüsse war restriktiv. Erst bei unmittelbarer und unabwendbarer Bedrohung darf im angemessenen Verhältnis reagiert werden.

Der Killer ist mit Sicherheit ein Profi. Dann ist es zu spät und der Bundespräsident ist tot, überlegte er weiter.

Rolf Müller unterbrach seine Gedanken.

„Der BND hat bedauerlicherweise keinerlei polizeiliche Befugnisse innerhalb der Bundesrepublik. Wir müssen das BKA informieren. Dann wird uns jedoch die ganze Angelegenheit fremd diktiert und wir sind die Marionetten des BKA.“

Das Klirren von Rainer Jetters Kaffeetasse auf dem Tisch war deutlich zu hören. Fluchend wischte er die Kaffeespritzer auf.

„In erster Linie unterstehen wir disziplinarisch dem verdammten Bundeskanzleramt. Ich schlage vor, Sie treffen sich baldigst mit Herrn Steiner. Als Leiter der Abteilung 6 des Bundeskanzleramts ist er der Geheimdienstkoordinator. Er hat direkten Kontakt zur Bundeskanzlerin. Die weitere Vorgehensweise soll er entscheiden, jedoch unter unserem Einfluss“, grinste Rolf Müller. Rainer Jetter überlegte eine Weile.

„So machen wir es. Aber Sie werden bei dem Gespräch auf jeden Fall dabei sein. Warten Sie hier. Ich werde versuchen, Herrn Steiner direkt zu erreichen.“

Er ging aus dem Büro in das Sekretariat. Fünf Minuten später kam er zurück.

„Heute ist es unmöglich. Herr Steiner ist in einer wichtigen Konferenz. Wir haben für morgen früh 8.00 Uhr einen Termin bekommen. Gott sei Dank ist die Regierung nicht mehr in Bonn, sonst müssten wir da jetzt hinfliegen.“

Rolf Müller nickte zustimmend.

„Sagen Sie für morgen alle Termine ab. Sie bleiben über Nacht in Berlin. Dafür lade ich Sie auch zum Essen ein. Es gibt hier ein nettes „Herrenlokal“ mit sehr gutem Essen und auch sonstigen Annehmlichkeiten,“ schmunzelte er augenzwinkernd.

Bundeskanzleramt, Berlin

Rolf Müller spürte ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut. Das Bundeskanzleramt strahlte eine Aura der Macht aus. Ein gewisses Unbehagen stieg in ihm auf. Aus den Augenwinkeln heraus sah er Rainer Jetter nervös auf der Unterlippe kauen. Als sie durch die Tür in das Büro eintraten, sahen sie einen schlanken älteren Mann mit eisgrauen Haaren. Mit pechschwarzen Augen musterte er die beiden kühl und distanziert.

„Meine Herren. Wie Sie wissen, ist mein Terminkalender voller als ihrer. Ich hoffe, Sie haben gute Gründe, dass Sie dem Steuerzahler ein kurzfristiges Meeting von drei gut dotierten Staatsdienern zumuten. Ich habe exakt 10 Minuten Zeit für sie. Bitte, was ist Ihr Anliegen.“

Rainer Jetter hatte schon immer eine Aversion gegen politische Machtkontrollen, aber die Arroganz von Horst Steiner ließ ihn beinahe explodieren.

„Herr Steiner, vielen Dank für Ihre kurzfristige Verfügbarkeit. Herr Müller und ich sind uns bewusst, dass Sie ein viel beschäftigter Mann sind und wir alle die Ressourcen der Steuerzahler im Auge behalten müssen“, resümierte Rainer Jetter. Mit Genugtuung beobachtete er, wie sich Horst Steiners Unmut weiter ausbreitete.

„Kommen Sie doch bitte zur Sache.“

Rainer Jetter atmete tief durch. Die Spannung lag spürbar in der Luft.

„Nach den Ermittlungen von Herrn Müller müssen wir Ihnen mitteilen, dass eine reale Gefährdung des Bundespräsidenten vorliegt. Es besteht der konkrete Verdacht eines Mordanschlages.“

Rainer Jetter lehnte sich zurück und beobachtete, wie Horst Steiner in seinen Stuhl sank.

„Um Gotteswillen, warum haben Sie sich nicht früher gemeldet“, flüsterte er.

Triumphierend sah Rainer Jetter ihn an, „Wir haben gestern versucht, Sie zu erreichen, aber Sie waren unabkömmlich. Da wir das Zeitfenster des Attentats kennen, bestand keine Notwendigkeit Sie weiter zu belästigen. Wann können wir Ihnen einen ausführlichen Bericht geben? Sie sagten, dass Sie nur 10 Minuten Zeit haben. Das wird nicht reichen.“

Eins zu null für uns, freute sich Rolf Müller, regungslos in seinem Stuhl sitzend. Horst Steiner griff zum Telefon,

„Frau Kirschner. Sagen Sie sofort alle Termine für heute ab.“

In Gedanken versunken schenkte er ungefragt Kaffee aus und trank einen Schluck.

„Meine Herren. Ich möchte Sie bitten, mich exakt und lückenlos über die Sachlage aufzuklären.“

Rainer Jetter nickte Rolf Müller zu. Systematisch fasste dieser alle Ereignisse, Fakten und Interpretationen zusammen. Horst Steiner starte auf seine Notizen, die er während des Berichts aufgeschrieben hatte. Seine Stirn runzelte sich, Rolf Müller holte eine Bonbonschachtel aus seiner Tasche und bot allen einen Drops an. Barsch winkten die anderen ab. Er stellte die Schachtel auf den Tisch,

„Danke Herr Müller. Das war gründlich. Wir müssen davon ausgehen, dass in ca. 8 Wochen ein Attentat auf den Bundespräsidenten durchgeführt wird. Wer ist bis jetzt darüber informiert?“

„Nur die erwähnte Sachbearbeiterin. Ich habe sie für zwei Wochen nach Hause geschickt, Überstundenabbau. Ansonsten sind nur wir drei involviert.“

Horst Steiner nickte anerkennend,

„Sehr gut. Die Entscheidung, mich direkt zu kontaktieren, war richtig. Auch in Hinblick auf den Steuerzahler,“ sagte er augenzwinkernd zu Steiner.

„Ihren Treffer haben Sie jetzt ja gelandet?“

Müritzer Seenplatte

Maria Wolff nahm Lars am Arm und führte ihn vorsichtig zurück in das Schlafzimmer.

„Lass uns morgen darüber reden. Versuche, noch ein wenig zu schlafen. OK?“, Lars Wolff dreht sich stumm auf die Seite.

Maria Frau lag wach. Sie spürte die Tränen nicht mehr, die ihr die Wangen hinunterliefen. Zu oft hatte sie schon geweint.

Ich kann so nicht mehr weitermachen.

Am nächsten Morgen saß sie am Frühstückstisch und starrte hinaus in den Garten, voll mit Zucchini, Tomaten und Auberginen. Daneben war der Kräutergarten.

Mittlerweile müssen es mindesten 30 verschiedene Kräuter sein. Sie hörte die Tür hinter sich knarren. Lars Wolff kam in die Küche.

„Maria. Bitte verzeihe mir, es war keine Absicht. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll.“

Er sah das Mitleid in den Augen seiner Frau. Aus einem ihm nicht verständlichen Grund schämte er sich.

Sie ist doch meine Frau, warum passiert es immer wieder. Es muss die Hölle für sie sein.

„War es wieder einer dieser Albträume, der dich gejagt hat?“ Lars Wolff nickte nur. Blass ließ er sich auf den Stuhl fallen. Gedankenversunken trank er einen Schluck Kaffee.

„Lars, es geht jetzt seit Jahren so. Fast jede Nacht und du redest nicht mit mir darüber, warum nicht. Ich bin Deine Frau, verdammt noch mal“. Der Zorn der Verzweiflung klang in ihrer Stimme.

Lars Wolff hob den Kopf, „Ich kann es nicht, ich kann darüber einfach nicht reden. Ich will nur alles vergessen, aber ich schaffe es nicht.“

Eine bedrückende Stille erfüllte den Raum. Zu viele Versuche hatten sie schon unternommen. Psychotherapie, Gesprächsgruppen mit Gleichbetroffenen, sogar eine gemeinsame Eheberatung. Alles vergebens, Lars Wolff konnte nicht aussprechen, was ihn quälte. Zu groß war die Angst vor den Schatten seiner Vergangenheit. Tagsüber verdrängte er es, so gut er konnte. Doch die plötzlichen Flashbacks warfen ihn immer wieder aus der Bahn.

Maria atmete tief durch,

„Lars, ich habe so lange versucht, Dir zu helfen. Aber du lässt mich nicht an Dich ran. Ich habe das Gefühl, mit einem Fremden zu leben.“

Ein Schleier lag über Lars Wolffs Augen.

„Ich weiß“, sagte er nur.

Marias atmete tief durch.

„Ich werde nächste Woche ausziehen. Ich habe im Nachbardorf eine kleine Wohnung gefunden. Ich kann so nicht mehr weiterleben, es macht mich krank."

Sie spürte eine beängstigend innere Ruhe in sich. Es kam ihr vor, als hätte sie ihre Entscheidung irgendwie befreit. Schnell verdränge sie den Gedanken.

Lars hielt seine Kaffeetasse krampfhaft fest. Jetzt war es eingetreten, was er es befürchtet hatte. Seine Frau wollte ihn verlassen.

Nur ich bin schuld.

Was ist mit Rebecca?“, fragte er leise.

„Mein Gott Lars, du bist völlig ausgebrannt. Ich sage Dir, dass ich Dich verlassen werde, und Du fragst lediglich nach unserer Tochter. Bedeute ich Dir den gar nichts mehr?“ Tränen stiegen in Marias Augen auf.

Lars nahm ihre Hand und hielt sie fest,

„Du bedeutest mir alles auf dieser Welt. Aber ich weiß, dass Du mit mir zugrunde gehen würdest. Ich glaube, ich schaffe es nicht mehr“, antwortete Lars leise.

Maria sank im Stuhl in sich zusammen und weinte.

Er will sich nicht von mir helfen lassen.

Lars versuchte, das Zittern zu unterdrücken. Etwas in ihm begann zu zerreißen. Maria war die ganzen Jahre sein einziger Halt gewesen. Ohne sie wäre er schon lange dem Wahnsinn verfallen und losgezogen, um in einem der unzähligen und sinnlosen Kriege dieser Welt als Söldner ein schnelles Ende zu finden. Ihre Tochter Rebecca schien für kurze Zeit ihr Glück zu sein. Die Schrecken der Nacht waren verschwunden zu sein. Aber Sie kamen sie wieder. Heftiger den je zuvor.

„Willst Du Dich von mir scheiden lassen?“

Maria schüttelte energisch den Kopf,

„Nein, aber ich glaube, es ist am besten, wenn wir getrennt leben. Dann werden wir weitersehen.“

Lars Wolff nickte nur, eine dumpfe Indolenz hatte sich in ihm ausgebreitet.

„Wir müssen es Rebecca schonend beibringen. Zudem sollten wir klären, bei wem sie wohnt. Ich denke am besten bei Dir, oder?“, fragte Lars traurig.

Maria schaute zum Fenster hinaus,

„Ich weiß auch nicht, was am besten für sie ist. Aber wir müssen mit ihr reden.“

Maria blickte aus dem Augenwinkel auf die Uhr. Samstag morgens ging Rebecca Wolff immer Joggen. Das war ihre Leidenschaft. Maria hatte das Gespräch mit Lars so geplant, dass Maria nicht da war, aber bald kommen würde. Sie wusste, es musste alles schnell gehen. Wenn sie zu lange mir Lars sprechen würde, dann hätte Sie aus Mitleid einen Rückzieher gemacht. Es nochmals versucht. Wie so oft vergebens.

Nein. Es muss schnell gehen. Gleich kommt Rebecca. Dann ist alles gesagt.

Maria stand kurz vor einem inneren Zusammenbruch.

Es gibt kein zurück.

Lars schaute nach draußen. Ein Messerstich bohrte sich durch seinen Magen. Seine Tochter kam vom Joggen nach Hause.

Dich habe ich jetzt auch verloren.

Rebecca Wolff war 17 Jahre alt und hatte die dunklen Haare ihrer Mutter und die blauen Augen ihres Vaters. Grundsätzlich gut gelaunt und die geborene Optimistin war sie der Wirbelwind in der Familie. Täglich brachte sie neuen Schwung in das Haus. Die Küchentür sprang beinahe aus dem Schloss, als sie in das Zimmer platzte.

„Hey Ihr beiden. Für einen romantischen Sonnenaufgang am Fenster ist es noch etwas früh“ frotzelte sie. Schlagartig blieb sie stehen.

„Ist etwas passiert?“, fragte sie erschrocken. Lars ging zu seiner Tochter und nahm sie in den Arm,

„Komm, setz Dich zu uns.“

Rebecca trommelte mit den Fingern auf den Tisch.

Maria wagte einen Versuch.

„Rebecca. Dein Vater und ich haben zurzeit Probleme miteinander und wir suchen eine Lösung, wie es am besten für uns alle weitergehen soll.“

Rebeccas Augen flogen zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter hin und her,

„Ihr wollt Euch trennen?“, fragte sie direkt.

„Nein, aber wir halten es für das Beste, eine Weile getrennt zu leben. Dann sehen wir weiter“, versuchte Lars die Situation zu entschärfen, aber er kannte seine Tochter, die schon tief Luft geholt hatte,

„Was heißt bitte schön für eine Weile. Meint ihr, ich bin blöd und habe die letzten Jahre nicht mitbekommen, wie es um euch steht?“

Maria und Lars schauten sich sprachlos an.

„Ihr seid die besten Eltern der Welt. Aber jeder sieht, dass ihr Probleme habt. Von Papas nächtlichen Sperenzien will ich jetzt erst gar nicht reden. Das war am Anfang ganzschön gruselig für mich“, erklärte Maria aufbrausend.

Lars wurde blass,

„Rebecca. Ich wusste nicht, dass du etwas mitbekommen hast, sonst wäre ich schon lange ausgezogen.“

Rebeccas Augen funkelten. "Exakt deswegen habe ich nie darüber gesprochen. Dann hätte ich nämlich keinen Papa mehr gehabt."

Lars sprang auf und drückte seine Tochter fest an sich.

„Verzeih mir, bitte verzeih mir“, flehte er.

„Alles gut, Papa. Du bist hier und nur das zählt“, liebevoll streichelte sie ihm über den Kopf.

Und ich zerstöre das alles, aber in kann nicht mehr so weiterleben. Maria hatte das Gefühl, etwas würde ihr Herz zerreißen.

„Ich werde nächste Woche im Nachbarort in eine Wohnung ziehen“. Sie hoffte darauf, dass Lars etwas sagen würde. Er saß wie versteinert am Tisch. Die Erkenntnis, dass seine Tochter alles mitbekommen hatte, zog ihm den Boden unter den Füßen weg.

Unerträgliche Minuten lang herrschte ein erdrückendes Schweigen im Raum.

„OK. Es wird wie folgt ablaufen. Ich ziehe aus praktischen Gründen zu Mama. Es ist wegen der Schule und so weiter. Aber ich erwarte, dass ich jederzeit dort sein kann, wo ich sein will. Die Entscheidung liegt ganz bei mir. Ich habe euch beide gleich lieb. Ich werde mich nicht dazu zwingen, lassen nur bei einem von Euch zu sein. Ist das klar?“

Maria und Lars nickten schnell, unendlich dankbar diese Entscheidung nicht treffen zu müssen.

„Solltet ihr Euch nicht an diese Abmachung halten, ziehe ich zu Oma und Opa nach Spanien. Ich werde bald 18. Nur so zu Erinnerung in Sachen meine Entscheidung.“

Rebecca streckte ihre Hand aus.

„Haben wir einen Deal?“

Blitzartig ergriffen Maria und Lars Rebeccas Hand. Wortlos verlies Rebecca die Küche.

„Was für eine großartige Tochter. Sie hat mehr Schneid als wir beide zusammen.“

Lars nicke, „Ja, wenigstens das haben wir hinbekommen.“

Lars spürte eine tiefe, wenn auch traurige Erleichterung darüber, wie sich alles entwickelt hatte. Sein Entschluss von gestern, dem Ganzen mit einer schnellen Kugel durch seinen Kopf ein Ende zu setzen, hatte er begraben. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er dies niemals seiner Familie antun könnte. Sie hätten sich auf ewig die Schuld dafür geben.

Noch bin ich nicht völlig zerbrochen, er ging in den Keller. Fassungslos starrte ihn Maria an, als er mit ihren Koffern zurückkam.

Bundeskanzleramt, Berlin

Die Diskussion war hitzig. Horst Steiner, dass er zuerst den Bundespräsidenten und die Bundeskanzlerin und dann das BKA informieren müsste.

„In Hinsicht auf die Lebensgefährdung des höchsten Amtsträgers Deutschlands wäre bei einem Gelingen des Attentats die politische Reichweite der Staatskrise immens. Deutschland würde weltweit als unfähig dastehen, seine eigenen Staatsoberhäupter zu schützen und das in einer Zeit, in der die Weltgemeinschaft uns immer mehr auffordert an internationalen militärischen Aktionen operativ teilzunehmen.“

Sag doch gleich: Kampfhandlungen mit deutschen Soldaten, dachte Rainer Jetter.

„Sobald ich mit der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten gesprochen habe, schalte ich das BKA ein. Alles Weitere liegt in deren Zuständigkeitsbereich.“ Der Ton in Horst Steiners Stimme lud nicht zur Diskussion ein.

„Vielleicht sollten Sie diese Vorgehensweise nochmals überdenken“, gab Rolf Müller zu bedenken. Horst Steiners Kopf fuhr zu ihm herum. Rolf Müller versuchte, dem kalten Blick standzuhalten. Seine sachliche Ausdrucksweise gab ihm innere Sicherheit, als er weitersprach.

„Formal ist das BKA zuständig. Dem untergeordnet verfügen die LKAs auf Landesebene über entsprechende Sondereinsatzkommandos. Allerdings ist Deutschland nicht geübt in solchen Angelegenheiten und letztlich wissen wir seit dem Kennedy Attentat, dass jeder Anschlag gelingt, solange der Killer bereit ist dabei zu sterben.“

Er beobachtete Horst Steiner genau, konnte aber keine Regung erkennen. Er wurde sich bewusst, dass er hier einen Politiker vor sich hatte, der nicht zufällig in dieses Amt kann.

„Die Bundeswehr scheidet ebenfalls aus, da sie für militärische Einsätze im Landesinneren nicht eingesetzt werden darf. Das größte Problem ist aber, dass niemand für diese Aktion die Verantwortung übernehmen wird. Alle werden versuchen, sich entsprechend abzusichern, sollte der Anschlag gelingen. Das bedeutet sehr viele Aktennotizen, Gespräche und Mitwisser. Eine Geheimhaltung ist dann unmöglich und der Killer könnte über unsere Aktionen durch die Presse informiert werden. Dann muss er nur ein uns nicht bekanntes Datum wählen und der Präsident ist tot“,

Rolf Müller lehnte sich zurück und wartete. Er hatte nur diesen einen Versuch, Horst Steiner zu überzeugen.

„Schon möglich, aber das ist dann Sache des BKA bzw. des LKA. Der BND liefert lediglich die Information“, erwiderte Horst Steiner mit eisernem Gesicht.

„Genau das ist das Thema, worüber ich Sie bitten möchte nachzudenken“, formulierte Rolf Müller vorsichtig, „Der BND ist direkt dem Kanzleramt, respektive Ihnen unterstellt. Sobald das BKA involviert ist, verlieren wir jeglichen Einfluss. Wir degradieren zu Zulieferern. Den Lorbeerkranz bekommt bei erfolgreicher Mission das BKA bzw. das LKA. Sollte aber der schlimmste Fall eintreffen und der Bundespräsident ist tot, was glauben sie, wer dann zur Verantwortung gezogen wird?“

Horst Steiners Gesicht verhärtete sich noch mehr.

„Uns alle wird es treffen. Aber in der Hierarchie von oben nach unten“, flüsterte er.

„So ist es. Bei Misserfolg gehen wir unter, endgültig“, ergänzte Rainer Jetter.

„Haben Sie auch etwas beizutragen?“, die Stimme von Horst Steiner klang unerbittlich,

„Verdammte Scheiße“ platze es aus ihm hervor. „Wir müssen die Sache in der Hand haben. Fertig, basta.“

Der durchbohrende Blick Horst Steiners brachte ihn schlagartig wieder zur Vernunft.

„Welchen Rang haben Sie beim BND.“

Rainer Jetter wurde blass. Er wusste, dass ihn seine Ausdrucksweise wieder mal in das Abseits geschoben hatte.

Horst Steiner drehte sich zu Rolf Müller um, seinen Rücken, Rainer Jetter zugewandt. Eine klare Geste der Degradierung.

„Die gesamte Einsatzleitung wird das BKA und operativ vor Ort das LKA übernehmen.“

Rainer Jetter und Rolf Müller sanken mutlos in ihre Sessel.

„Wieder sind wir die Hilfsarbeiter“, fluchte Rainer Jetter leise, zuckte aber sofort zusammen, als er den missbilligenden Blick von Horst Steiner sah.

Die Spannung in der Luft war kurz vor der Explosion.

Rolf Müller ergriff im diplomatischen Ton das Wort.

„Wir wissen, an welchen möglichen Tagen das Attentat geplant ist. Zudem, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeführt werden wird. Wir sind uns darüber einig, dass, egal welche Abteilung die Leitung übernimmt, eine Geheimhaltung nahezu unmöglich ist, was mit ziemlicher Sicherheit den Tod des Bundespräsidenten nach sich zieht.“

Die pechschwarzen Augen von Horst Steiner durchbohrten Rolf Müller.

„Weiter können wir den Präsidenten nicht über längere Zeit von seinen öffentlichen Terminen und Verpflichtungen abhalten. Da wir außer der dürftigen Täterbeschreibung keinerlei Ansatzpunkte haben, ist eine entsprechende Fahndung nach dem Attentäter aussichtslos. Sind wir uns soweit einig?“

Sie nickten angespannt. Rolf Müller ließ eine weitere Sekunde vergehen. Er gab seinen Worten dadurch Gewicht.

„Wie Sie gerade entschieden haben wird die Leitung vom BKA bzw. LKA übernommen. Dann ist es so, aber es gibt Probleme.“

Wieder ließ er ein paar Sekunden verstreichen.

„Reden Sie schon“, herrschte Horst Steiner in an.

„Weder das BKA noch das LKA hat nennenswerte Erfahrung mit Auftragskillern. Die meisten SEK Teams haben es mit Verbrechern und Verzweiflungstätern zu tun.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“ Horst Steiners richtete sich zu seiner vollen imposanten Größe auf.

Aus dem Augenwinkel sah Rolf Müller den unverständlichen Gesichtsausdruck von Rainer Jetter.

Jetzt war die Falle gestellt. Rolf Müller hörte in Gedanken das Zuschnappen der Schlagbügel.

Gleich habe ich die Ratte erwischt.

„Wir brauchen einen Profi, der weiß wie ein Killer denkt. Dieser Mann muss als Beobachter und Ratgeber mit vor Ort sein.“

Es war gesagt.

Rolf Müllers Nackenmuskeln spannten sich an, in der Erwartung eines Feuersturms, der ihm entgegenschlagen würde. Er sah, wie den beiden die Augen aus den Höhlen hervortraten. Der Schreibtisch von Horst Steiner drohte unter seinem Fausthieb zusammenzubrechen.

„Herr Müller, das ist der unglaublichste Vorschlag, den ich in meiner seitherigen Karriere jemals gehört habe. Sie wollen einen Zivilisten miteinbeziehen. Zum Schutz des Bundespräsidenten. Sind sie sich im Klaren, was sie da soeben vorgeschlagen haben? Der Staat hat somit versagt, oder wie soll ich das Verstehen.“

Rainer Jetter nickte Rolf Müller aufmunternd zu, ohne zu wissen, worauf dieser hinauswollte. Er hatte keine andere Chance mehr. Was immer Müller vorhatte. Es musste jetzt überzeugen oder es war vorbei. Dann waren sie die Lakaien des BKA. Zumindest empfand er es so.

„Es ist die einzige Lösung den Bundespräsidenten zu sichern“, setzte Rolf Müller nach.

„Deswegen sollte es kein Zivilist sein. Wir brauchen einen Ex-Bundeswehr-Soldat mit entsprechender Erfahrung bei Einsätzen dieser Art. Sinnvollerweise leitet der BND die gesamte Operation. Wir haben die Kontakte.“

Einem Tiger im Käfig gleichend raste Horst Steiner hin und her. Endlos erscheinende Minuten später setzte er sich wieder hin, griff nach seiner Kaffeetasse. Mit einem Zug war sie leer.

Jetzt liegt alles bei ihm, fieberte Rolf Müller.

„Ein Ex Bundeswehr-Soldat. Dann geben wir auch noch zu, dass unsere Soldaten in Kampfeinsätzen in der Welt unterwegs sind, um Attentäter zu killen. Sie spinnen doch komplett“ brüllte Horst Steiner.

„Die Schlussfolgerungen von Herrn Müller sind meines Erachtens richtig“, ergriff Rainer Jetter leise das Wort. Die Zeit schien stillzustehen. Horst Steiner hob seinen Kopf und blickte die beiden an. Rolf Jetter versuchte standhaft, den Blick zu halten. Eiskalt hallten Steiners Worte durch den Raum.

„Nun dann, meine Herren. Wir werden es wie folgt machen. Ich werde der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten von der aktuellen Gefahrensituation berichten. Zudem werde ich das BKA informieren. Dieses übernimmt die Gesamtleitung. Die operative Leitung und Durchführung liegen beim entsprechenden LKA.“

Jetter spürten, wie ihm der Blutdruck zu entgleisen drohte.

Jetzt haben wir verloren, schoss es Müller durch seinen Kopf.

„Sie beide als BND Beamte erstellen ein Dossier aus dem ein möglicher, ich wiederhole, möglicher Ex Bundeswehrsoldat als Berater rekrutiert werden könnte. Eine Berichterstattung von Seiten des BND an das Bundeskanzleramt erfolgt direkt an mich. Ich werde die Informationen entsprechend weiterleiten. Können Sie mir soweit folgen?“

Beide nickten schnell. Die Schlacht um die Gesamtleitung war verloren aber der Krieg nicht.

„Gut. Ich beauftrage Sie hiermit, mir einen möglichen Berater vorzuschlagen. Sollte ich dem zustimmen, ist es Ihre Aufgabe, dem LKA klarzumachen einen Ex Soldaten als Berater dabei zu haben.“

Die beiden BND Beamten starrten Horst Steiner an.

„Wir haben keinerlei Befugnisse gegenüber den LKAs, die lassen uns vor die Wand laufen ohne direkte Anweisung von oben“,

warf Rainer Jetter ein.

Horst Steiner grinste, aber seine Augen waren kalt.

„Davon will ich nichts wissen. Es ist Ihre Idee, einen Berater vor Ort hinzuzuziehen. Ich verlasse mich dabei ganz auf Sie. Machen Sie keine Fehler.“

Touché, Rolf Müller begann zu fröstelnd.

„Ach ja, nur um etwaige Missverständnisse vorzubeugen. Sollte die Aktion mit dem Berater schiefgehen, werde ich mich vielleicht verantworten müssen, warum ich dies nicht besser kontrolliert habe. Damit werde ich leben können. Aber Sie beide werde ich mit aller mir zur Verfügung stehenden Macht für alles verantwortlich machen.“

Horst Steiner legte bewusst eine Pause ein, bevor er weitersprach.

„Dann werden Sie beide zukünftig in Pullach die Toiletten putzen.“

Entspannt lehnte er sich zurück und sah das blanke Entsetzen bei seinen Gesprächspartnern.

„Nun, meine Herren. Was darf ich der Bundeskanzlerin mitteilen?“, fragte er eloquent.

Rainer Jetter nickte nur. Wortlos erhob er sich.

Die beiden gingen niedergeschlagen. Die Worte Horst Steiners dröhnten ihnen hinterher.

„Meine Herren, was haben Sie erwartet, als Sie zu mir gekommen sind. In der Politik würden sie keinen Tag überleben. Guten Tag.“

Rainer Jetter und Rolf Müller verließen schweigend das Gebäude. 30 Minuten später erreichten sie den Flughafen. Sie setzten sie sich im Flughafenbistro in eine ruhige Ecke.

„Verdammte Scheiße“, platzte es aus Rainer Jetter heraus.

Er bemerkte dabei nicht den rügenden Blick des älteren Ehepaars am Nebentisch.

„Scheißdreck“, brüllte er noch mal und schlug mit der Faust auf den Tisch.

„Kann ich Ihnen helfen“, fragte der junge Kellner leise. Er hatte das Brüllen gehört und war schnell an den Tisch gekommen.

Rolf Müller hob wütend seinen Kopf und wollte dem Kellner den Kellner zurechtweisen, da spürte er die Hand von Rolf Müller auf seinem Unterarm.

„Bitte entschuldigen Sie. Wir haben gerade eine sehr schlechte Nachricht bekommen und mein Kollege hat etwas die Fassung verloren“. Rolf Müller drückte dem Kellner einen fünf Euroschein in die Hand.

„Ich möchte Sie bitten, sich etwas mehr im Griff zu haben. Bei allem Respekt“, fügte er schnell hinzu.

Rainer Jetter blieb eine Weile still. ER wusste, dass Rolf Müller recht hatte. Er beneidete ihn im um dessen kühlen Kopf. Er versuchte, tief auszuatmen.

„Jetzt sitzen wir gewaltig im Dreck. Mit dieser Reaktion konnten wir nicht rechnen und haben keine Chance, aus der Sache heraus zu kommen. Dieses verdammte Dreckschwein Steiner wird keine Sekunde zögern, seine Androhung umzusetzen, sollten wir nicht erfolgreich sein oder uns weigern. Am meisten ärgert mich, dass er mit heiler Haut davonkommt, egal wie es ausgeht“, flüsterte Rainer Jetter bemüht auf seine Wortwahl zu achten. Dass er den Chef des Bundeskanzleramtes ein Dreckschwein genannt hatte, bemerkte er nicht mal.

Rolf Müller schüttelte nur leicht den Kopf. Er wusste, dass sein Gegenüber seinen Slang nicht mehr ablegen würde. Er griff in seine Tasche und holte die kleine Plastikschachtel mit Lutschbonbons heraus. Er steckte sich eines davon in den Mund und bot Rainer Jetter ebenfalls eines an. Dieser lehnte müde ab,

„Dieser Dreckskerl“, schimpfte dieser weiter vor sich hin. Rolf Müller lehnte sich zurück und hielt ihm grinsend die Schachtel unter die Nase.

„Nehmen Sie doch endlich diese blöden Bonbons vom Tisch. Das ist wie im Kindergarten“, herrschte er Rolf Müller an.

„Zum Glück wurde unser BND mal wieder unterschätzt“, grinste Rolf Müller. „Sollten wir beide ins Gras beißen müssen, geht Steiner mit vor die Hunde.“

Rainer Jetter starrte auf die Plastikschachtel mit den Bonbons.

„Was ist das?“, fragte er verwundert.

„Das, lieber Herr Jetter, ist ein vollsynthetisches digitales Mikrofon, das direkt mit meinem privaten Laptop via gesicherte Satellitenleitung verbunden ist. Zudem gekoppelt mit einer externen Datensicherung, für alle Fälle“, grinste Müller.

„Das bedeutet, dass jedes Wort unserer Unterhaltung aufgezeichnet ist. Ein klarer Fall von taktischem Mobbing gegenüber Untergebenen. Genug für seinen Karrieregalgen.“

Rainer Jetter benötigte einige Sekunden, bevor er laut zu lachen anfing.

„Mein Gott, Müller. Sie halten Steiner die Bonbonschachtel direkt unter die Nase und bieten ihm ein Bonbon an. Sie haben vielleicht Nerven.“

Eine Stunde später verabschiedeten sie sich am Check-in. Sie hatten vereinbart, dass Jetter in Berlin bleiben sollte, um nah am politischen Geschehen zu sein. Zudem musste er die genauen Details der öffentlichen Auftritte des Bundespräsidenten in Erfahrung bringen und in engem Kontakt mit Steiner bleiben. Müller würde von Pullach aus der Aktion koordinieren und aufgrund seines weitreichenden Netzwerkes im BND und größtmöglicher Vorsicht versuchen einen geeigneten Profi zu finden.

Rolf Müller saß im Flugzeug an einem Fensterplatz und blickte in das kalte und unergründliche Blau über den Wolken. Er begann zu frieren, als er daran dachte, was vor ihm lag.

Jetzt nur keinen Fehler machen.

Bundeskanzleramt, Berlin

Horst Steiner arbeitete bis in den frühen Morgen. Noch am gleichen Abend hatte er bei der Bundeskanzlerin angerufen und um einen Notfall Termin gebeten. Ohne weitere Erklärung erhielt er einen kurzfristigen Termin. Das leichte Kribbeln auf seiner Haut machte sich bei Horst Steiner wieder bemerkbar. Wie jedes Mal, sobald er das Büro der Bundeskanzlerin betrat. Es war das Zentrum der Macht.

Er betrachtete die Bundeskanzlerin. Sie sah aus wie immer. Klein gewachsen, etwas beleibt und mit funkelnden, hellwachen Augen stand sie ihm gegenüber. Ihre Frisur und ihren Kleidungsstil hatte sie schon in jungen Jahren von ihrem Vorbild übernommen. Der englischen Premierministerin Margaret Thatcher.

Hinten im Raum sah Horst Steiner am Besprechungstisch den Bundespräsidenten. Groß gewachsen, mit dunklem vollem Haar und in einem eleganten Anzug gekleidet, war er ohne Zweifel eine imposante Erscheinung. Er nickte Horst Steiner mit dem Kopf zu, blieb aber sitzen.

„Mein Rücken“, sagte er nur.

Die Kanzlerin ergriff das Wort, „Nun Herr Steiner, was gibt es so Dingendes?“

Horst Steiner setzte sich aufrecht auf den freien Besprechungssessel.

„Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundespräsident, wir haben berechtigen Grund zur Annahme, dass ein konkretes Attentat auf den Herrn Bundespräsidenten in naher Zukunft bevorsteht.“

Der Bundespräsident zeigte keine Regung. Nur ein paar Schweißtropfen auf seiner Stirn verrieten seine Anspannung. Die Bundeskanzlerin schaute Horst Steiner mit ihrem berühmten durchdringenden Blick eine Weile nachdenklich an.