Die Toten von Schweden - Anna Jansson - E-Book
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Die Toten von Schweden E-Book

Anna Jansson

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Beschreibung

In der Stille hört dich niemand schreien: Der packende Krimi-Sammelband »Die Toten von Schweden« von Anna Jansson jetzt als eBook bei dotbooks. Niemals hätte die junge Polizeiassistentin Maria Wern geglaubt, dass in dem kleinen schwedischen Ort Kronköping je etwas Schreckliches geschehen könnte – doch als im Wald ein aufgehängter Mann gefunden wird, brutal mit einer Lanze durchbohrt und umringt von acht toten Tieren, erkennt sie, dass der idyllische Schein trügt. Ein wahnsinniger Ritualmörder hat es auf Kronköping abgesehen – und Maria bleibt nur wenig Zeit, bis er sein nächstes Opfer ins Visier nimmt … Grausame Morde, mysteriöse Verwicklungen und blutige Spuren: Fall für Fall verstrickt sich die Ermittlerin immer tiefer in die dunklen Geheimnisse des Dorfes – bis diese ihr zum Verhängnis zu werden drohen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Spannungs-Sammelband »Die Toten von Schweden« von Anna Jansson, Autorin der »Kommissar Bark«-Krimireihe, wird alle Fans von Johanna Mo begeistern und umfasst die Einzelbände »Und die Götter schweigen«, »Totenwache« und »Tod im Jungfernturm«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1228

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Über dieses Buch:

Niemals hätte die junge Polizeiassistentin Maria Wern geglaubt, dass in dem kleinen schwedischen Ort Kronköping je etwas Schreckliches geschehen könnte – doch als im Wald ein aufgehängter Mann gefunden wird, brutal mit einer Lanze durchbohrt und umringt von acht toten Tieren, erkennt sie, dass der idyllische Schein trügt. Ein wahnsinniger Ritualmörder hat es auf Kronköping abgesehen – und Maria bleibt nur wenig Zeit, bis er sein nächstes Opfer ins Visier nimmt … Grausame Morde, mysteriöse Verwicklungen und blutige Spuren: Fall für Fall verstrickt sich die Ermittlerin immer tiefer in die dunklen Geheimnisse des Dorfes – bis diese ihr zum Verhängnis zu werden drohen …

Über die Autorin:

Anna Jansson, geboren 1958 auf Gotland, ist gelernte Krankenschwester und begann 1997, Kriminalromane, Sach- und Kinderbücher zu schreiben. Zahlreiche ihrer Krimis um die Kommissarin Maria Wern wurden verfilmt und in Deutschland unter dem Serientitel „Maria Wern, Kripo Gotland“ ausgestrahlt. Anna Jansson lebt mit ihrer Familie in Örebo.

Die Autorin im Internet (Website in schwedischer Sprache): www.thriller.nu

Bei dotbooks ermittelt Maria Wern in folgenden Kriminalromanen: »Und die Götter schweigen«, »Totenwache«, »Tod im Jungfernturm«, »Schwarze Schmetterlinge«, »Das Geheimnis der toten Vögel«.

Die ersten drei Bände ihrer Maria-Wern-Serie erschienen außerdem in dem Sammelband »Die Toten von Schweden«.

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Sammelband-Originalausgabe April 2023

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht aller Rechtenachweise finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Margit Klute

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-540-8

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Anna Jansson

Die Toten von Schweden

Drei Krimis in einem eBook: »Und die Götter schweigen«, »Totenwache« und »Tod im Jungfernturm«

Aus dem Schwedischen von Eckehard Schultz und Susanne Dahmann

dotbooks.

Und die Götter schweigen

Aus dem Schwedischen von Eckehard Schultz

Wie ein grausames Kunstwerk schwingen sie im kalten Wind: acht tote Tiere – und ein Mann. Mit einer Lanze durchbohrt, ausgeblutet und an einen Baum aufgehängt. Alles deutet auf einen Ritualmord hin. Doch wer ist zu einem solchen Wahnsinn fähig? Angst breitet sich aus im kleinen schwedischen Kronköping. Ihre Ermittlungen führen die junge Polizeiassistentin Maria Wern zu einem Professor für Völkerkunde und nordische Mythologie. So findet sie heraus, dass es vor Jahren einen nahezu identischen Mord in Uppsala gab – doch die damalige Täterin ist tot. Wer hat ein Motiv, in ihre Fußstapfen zu treten … und wen wird es als Nächstes treffen?

Vorbemerkung der Autorin: Die Ideen zu diesem Roman habe ich in meiner Umgebung gesammelt. Einige Kleinigkeiten entstammen allerdings meiner eigenen Phantasie, auch wenn das unwahrscheinlich klingt. Beispielsweise weiß ich nicht, ob vor dem Polizeigebäude in Uppsala Weidenbäume stehen. Sollte das nicht der Fall sein, so empfehle ich den Verantwortlichen, sich darüber Gedanken zu machen. Weiden sind schöne Bäume.

Auch keiner der Protagonisten des Buches existiert so in der Wirklichkeit. Ich habe sie alle nach meinen Vorstellungen erfunden. Das betrifft ganz besonders die Schwiegermutter, die in keiner Weise meiner geliebten Schwiegermutter gleicht.

Für meinen Vater, den großen Geschichtenerzähler

STUMM SITZT DER GOTT

Wo flattern Hugin und Munin jetzt,wenn nachts der Fenriswolf heult?Kann man mit Odin sprechen,wenn er schweigend dort an Mimirs Wasser sitzt?

Alles Wissen ist so hoffnungslos unbedeutend,das gilt auch für die Asen, die hohen.Und Jahre und Opfer helfen da wenig.

Stumm sitzt der Gott an Mimirs BrunnenUnd starrt regungslos auf sein ertränktes Auge.

Nils Ferlin

Entnommen der Gedichtsammlung »Aus meiner Tretmühle«

Kapitel 1

22. DEZEMBER

Schneeflocken tanzten in der kalten Morgendämmerung. Langsam sanken sie auf die Erde und bedeckten den feuchten Lehmboden. Der Himmel hing mächtig und grau wie Blei über den Bäumen. Zwischen den Fichten war die Dunkelheit undurchdringlich. Ein dumpfes Geräusch erfüllte den Wald. Kriminalinspektor Hartman bahnte sich mühsam einen Weg durch das Gebüsch. Ihm folgte ein alter Mann in Blaumann, Sportmütze und abgetragener Lederjacke. Edvin atmete schwer. Der tote Hund in seinen Armen ließ ihn immer wieder stolpern. Flüsternd wiederholte er den Namen des Tieres und strich mit der Hand über das weiße, blutgetränkte Fell. Maria Wern legte den Arm um die mageren Schultern des Alten, um ihn zu stützen. Ihr eigenes Zittern versuchte sie zu verbergen. Sie war noch nicht so lange bei der Polizei, als dass sie solch grausamen Taten gleichgültig gegenübergestanden hätte. Vorsichtig lief sie über kantige Steine und schlüpfrige Wurzeln. Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt unsicher zwischen den Bäumen hin und her. Das Geräusch wurde jetzt lauter und dumpfer. Die kahlen Zweige der Laubbäume zeichneten sich gegen das Grau des Himmels ab. Der Wind heulte um die Bäume.

»Da«, zeigte Edvin, »da war es!« Hartman gab ihnen mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie stehen bleiben sollten. Der Boden war weich. Je weniger Fußabdrücke, desto besser.

Im Licht der Taschenlampe war jetzt ein großes schwarzes Bündel zu erkennen, das an einem Ast hing und gegen den Baumstamm schlug. Das weiße Gesicht und die bloßen Hände leuchteten nackt und bizarr. Das Hemd des Mannes war zerrissen, der Bauch von einem Stab durchbohrt. Die Zunge hing schwarz aufgequollen zwischen den Zähnen. Die Augen waren halb geschlossen. Weiße Flocken setzten sich vorwitzig in das Haar des Mannes. Vielleicht eine besondere Laune der Natur, um das Geschehen zu verstecken, kam es Hartman in den Sinn. Plötzlich merkte er, dass er fror.

Nachdem das Gelände abgesperrt und die Verstärkung eingetroffen war, brachte Maria Wern den alten Mann nach Hause. Erika Lund von der Spurensicherung hatte den Hund an sich genommen. Nur widerwillig hatte der Besitzer ihn hergegeben. Erika musste ihm versprechen, dass er den Körper zurückbekommen würde, damit er den Hund zu Hause auf seinem Grundstück unter der Birke begraben konnte.

Sie gingen nebeneinander den Schotterweg entlang. Düstere Fichten standen zu beiden Seiten des Weges. Nur allmählich wurden sie durch schlanke Birken und dunkle Wacholderbüsche ersetzt, die den Anfang des Sumpfgebietes anzeigten. Ein halb verrotteter Hochsitz ragte in den grauen Himmel. Am anderen Ende des Moores konnte man ein dunkelrotes Häuschen erahnen. Maria und Edvin bewegten sich langsam darauf zu. Der Alte sprach ununterbrochen über das Ereignis. Ständig wiederholte er, was geschehen war, und Maria ließ ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Wer weiß, ob er jemanden hatte, mit dem er über das schreckliche Erlebnis sprechen konnte. Maria hatte schon oft alte Menschen erlebt, deren Leben durch einen erschütternden Vorfall zerstört wurde, weil sie niemanden hatten, mit dem sie reden konnten. Ein Einbruch, ein Handtaschenraub, und schon saß der Schock so tief, dass sie sich vollkommen zurückzogen und kaum mehr hinauswagten.

Die Küche war klein und unmodern, die braune großgemusterte Tapete und die türkisfarbenen Küchenmöbel passten ganz und gar nicht zusammen. Auf einer Leine über dem mit Holz beheizten Herd hingen zwei Paar grobe Wollsocken, die leicht dampften. Die Kupferkessel an den Wänden blitzten frisch geputzt in hellem Glanz. In einem dreibeinigen Leuchter auf der Herdplatte warteten die Kerzen darauf, angezündet zu werden, wenn die Feiertage begannen. Edvin bat Maria Platz zu nehmen und setzte den Wasserkessel auf. Maria zog eine Karte aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Zusammen folgten sie auf dem Papier dem Bach in den Wald hinein bis zum Tatort. Das Gebiet stand als vorgeschichtliche Kultstätte unter Schutz, es war ein steinzeitliches Grabfeld mit Steinhaufen. Der Abstand zwischen den Häusern war groß. Der nächste Nachbar wohnte beinahe fünf Kilometer weiter weg, stellte Maria fest und faltete die Karte zusammen, um Platz für die Kaffeetassen zu machen. Aus der Vorratskammer holte Edvin eine Platte mit Apfelkuchen. Maria sah, dass Schimmel wie weißer Flor über dem Gebäck lag, nahm aber höflich ein Stück an. Edvin war schrecklich traurig. Der Hund war seine ganze Familie, sein einziger Kamerad im Leben. Loki sei so lieb und gehorsam gewesen. Und so viele Preise habe er auf Ausstellungen eingeheimst. Nie habe er ihn anleinen müssen. Er habe ihn nur zur Tür hinausgelassen, und dann sei er rüber in den Wald gelaufen und habe sein Geschäft gemacht. Vorgestern, am 20. Dezember, sei Loki nachmittags nicht zurückgekommen. Den ganzen Abend lang habe er ihn gesucht, und auch gestern sei er schon in der Morgendämmerung hinausgegangen und habe den Wald durchkämmt. Einen Dachs oder ein Fuchseisen habe er sich vorstellen können, aber doch nicht ... Seine Stimme versagte.

»Haben Sie heute Nacht etwas schlafen können?« Maria schämte sich der Frage nach dem nächtlichen Tun ein wenig. Sie hatte Angst, der alte Mann würde sich beschuldigt vorkommen.

»Kein Auge habe ich zugetan. Zweimal bin ich aufgestanden und habe Kaffee gekocht.«

»Aber Sie waren die ganze Nacht über hier im Haus?«

»Ja, größtenteils war ich das wohl.«

»Größtenteils?«

»Ein Gentleman bringt eine Dame nicht in Verlegenheit, indem er ihr von seinen nächtlichen Verabredungen erzählt.«

»Wenn ich Sie richtig verstehe, hatten Sie also eine nächtliche Verabredung mit einer Dame?« Der Alte kniff den Mund zu einem schmalen Strich zusammen, unter dem Schirm der Mütze blitzten seine Augen keck.

»Können Sie mir sagen, von wann bis wann Sie unterwegs gewesen sind?«

»Um sieben bin ich mit dem Rad von zu Hause aus weg, und um neun war ich wieder da.« Maria konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. So richtig nächtlich war die Verabredung ja wohl nicht zu nennen.

»Waren Sie vielleicht in diesem kleinen Haus an der Bushaltestelle zu Besuch?« Edvin Rudbäck starrte Maria entgeistert an. »Woher wissen Sie das?«

»Das scheint Ihr einziger Nachbar im Umkreis von mehreren Kilometern zu sein. Wenn Sie also keinen Motor an Ihrem Rad haben, können Sie es meiner Schätzung nach in der kurzen Zeit nicht weiter geschafft haben.«

»Kann ja sein, kann ja sein«, lachte der alte Mann verlegen und schob sich die Mütze in die Stirn.

Das laute Pfeifen des Wasserkessels ließ Maria vom Stuhl hochfahren. Edvin blickte sie erstaunt an und goss den Kaffee ein. Maria probierte vorsichtig und musste sich zusammenreißen, nicht gleich alles wieder auszuspucken. Der Kaffee war mit Brackwasser gemacht und schmeckte total versalzen. Anscheinend hatte Edvin Rudbäck einen eigenen Brunnen und war so an den Geschmack gewöhnt, dass er nicht merkte, wie salzig der Kaffee schmeckte. Maria schluckte tapfer und lächelte dem alten Mann freundlich zu.

Früh am Morgen hatte Edvin seine Taschenlampe genommen und am Bach gesucht. Es war noch dunkel gewesen. Das Gelände war dicht mit Büschen bewachsen, und er war nur langsam vorangekommen. Er hatte wenig erkennen können und war über eine Wurzel gestolpert und hingefallen. Als er da in der Nässe saß, war ihm etwas Großes und Schwarzes aufgefallen, das in einem Baum oberhalb des Baches hing. Die Stimme des Mannes stockte.

»Da war ein Mensch, ein Toter, der da am Baum hing, und neben ihm hing Loki. Der hatte auch eine Schlinge um den Hals. Ich ging nach Hause, holte ein Messer und schnitt ihn ab.« Die Stimme des Alten wurde leise und erstarb. Maria legte ihre Hand auf die runzlige Faust. Das Ticken der Küchenuhr war der einzige Laut im Raum. Maria unterdrückte ein Schütteln, als ihr bewusst wurde, dass das Messer, mit dem der Mann den Apfelkuchen geschnitten hatte, das gleiche sein musste, mit dem er den Hund losgeschnitten hatte. Es lag kein Brotmesser in dem ansonsten vollen Spülbecken.

»Es hingen mehrere Tiere im Baum. Da waren ein Hahn, ein Kaninchen und eine Katze. Das weiß ich ziemlich genau. Elin, die an der Bushaltestelle wohnt, vermisst seit dem Wochenende ihre Katze. Vorgestern Abend haben wir darüber gesprochen. Was ist das für ein Verrückter, der die Tiere von anderen Leuten umbringt? Kann das der Tote gewesen sein, der zuerst die Tiere und dann sich selbst aufgehängt hat? Und wenn er das nicht gewesen ist, ist es doch Mord!« Die wässrigen Augen des Alten, die auf die Tischplatte gestarrt hatten, suchten fragend Marias Blick. Mit einer Geste der Ehrfurcht vor dem Tod nahm er die Mütze ab und legte sie auf den Küchentisch. Das graue Haar war platt und von der Kopfbedeckung geformt.

»Haben Sie in der letzten Woche hier in der Gegend fremde Leute gesehen, oder ist Ihnen irgendwas anderes Ungewöhnliches oder Merkwürdiges aufgefallen?«

Der alte Mann schüttelte den Kopf. Er war zu aufgeregt, um klar denken zu können. Maria bat ihn um den Busfahrplan, einen Stift und ein Stück Papier. Der letzte Bus fuhr um 18.00 Uhr von der Haltestelle ab, der erste um 7.00 in der Frühe. Am wahrscheinlichsten war wohl, dass das Opfer und der Täter mit dem Auto gekommen waren, zusammen oder jeder für sich. Maria schrieb ihre Telefonnummer auf einen Zettel und gab ihn dem Mann, lehnte höflich eine weitere Tasse Kaffee ab und bedankte sich für den Apfelkuchen. In der Tür zögerte sie.

»Wenn Ihnen was einfällt, es kann noch so nebensächlich sein, dann rufen Sie mich unbedingt an.« Edvin Rudbäck nickte und setzte sich die Mütze wieder auf. Den Schirm zog er so weit herunter, dass seine Augen im Schatten verborgen lagen. Er blickte Maria nach, bis sie im Wald verschwunden war.

Verdammt, beinahe wäre er erwischt worden! Edvin eilte hinaus in den Holzschuppen, seine eigene Dummheit verfluchend. Sorgfältig versteckte er sein Geheimnis im Holzstapel. Zwischendurch hielt er inne und lauschte. Aber alles war ruhig und still. Die einzigen Geräusche waren sein eigenes Atmen und das Spiel des Windes mit den trockenen Blättern auf dem Hof.

Kapitel 2

Der Schneefall hatte zugenommen. Der Tatort war vollkommen in Weiß gehüllt. Erleichtert stellte Maria fest, dass der Tote vom Baum abgenommen worden war. Nur die Tiere hingen noch da. Hartman kam Maria entgegen und teilte ihr die neuesten Erkenntnisse mit. Ein Mensch und acht männliche Tiere waren in dem Baum aufgehängt worden, einer Esche, wie Erika festgestellt hatte. Der Mann war identifiziert worden. Die Brieftasche in seiner Hosentasche enthielt den Führerschein und Geld. Er hieß Dick Wallström, war Schlachter, 57Jahre alt und allein stehend, oder zumindest allein lebend.

»Arvidsson ist jetzt in der Stadt und spricht mit den Kollegen. Wir müssen die Angehörigen informieren, bevor die Presse hier auftaucht und sich mit ihren Kameras an uns hängt. Wenn wir Glück haben, erscheint der Fall erst morgen in der Zeitung«, schloss Hartman seine Ausführungen.

Erika Lund erhob sich mühsam mit der Hand auf dem Rücken. Auf ihrem braunen Haarschopf lag eine weiße Schneeschicht. Steifbeinig trat sie auf die beiden zu.

»Wir haben Fußspuren gesichert. Außer den Graninge-Jagdstiefeln des alten Mannes haben wir zwei verschiedene Schuhpaare, die Abdrücke im Lehm hinterlassen haben, große Abdrücke, etwa Schuhgröße 42 und 46, würde ich meinen. Das Opfer hat keine Schuhe an. Das ist eigenartig.« Erika Lund fuhr sich mit der Hand durch die braunen Locken und blickte Hartman fragend an. »Außerdem haben wir Haare gefunden, wahrscheinlich menschliche, in unterschiedlichen Farben und Längen. Es sieht so aus, als ob uns jemand hinters Licht führen will, als ob wir viel Zeit mit DNA-Analysen vergeuden sollen. Der oder die Mörder scheinen viel Zeit gehabt und gründlich geplant zu haben. Die Tat hat etwas von einem Ritual. Es steht ein starker Wille dahinter. Wir haben eine Weizenähre, eine alte Sichel und getrocknete Ebereschenzweige mit Beeren dran gefunden. Auf dem Boden unter dem Toten war ein Zeichen im Lehm, viel zu kompliziert, als dass es zufällig dahingekommen sein kann. Das gleiche Zeichen ist in den Stein unten am Bach geritzt worden.« Maria sah schemenhaft einen großen Stein unten in der Senke, bei dem mehrere Kollegen standen. »Ein sehr ungewöhnliches Detail sind die Nägel des Opfers. Sie sind bis weit ins Fleisch hinein abgeschnitten, sowohl die Finger- als auch die Fußnägel«, fuhr Erika fort und verzog das Gesicht. »Wenn es vor dem Tod geschehen ist, muss es sehr wehgetan haben!«

Maria berichtete von ihrem Gespräch mit dem alten Mann und erwähnte die Frau, deren Katze verschwunden war.

»Sie ist die nächste Nachbarin im Umkreis von mehreren Kilometern. Ich kann mit ihr sprechen und ebenso mit den Busfahrern, die in der letzten Woche diese Linie gefahren sind.« Hartman nickte.

Ein Auto näherte sich der Absperrung und bremste. Kommissar Åke Ragnarsson stieg aus, die obligatorische Kippe im Mundwinkel. Der allzu kurze und weite Mantel flatterte im Wind. Mit mürrischem Grunzen begrüßte er seine Untergebenen. Maria blickte ihren Chef an, und die Züge um ihren Mund wurden härter. Obwohl sie noch nicht lange in Kronköping war, wusste sie schon, dass die Arbeit unter der Leitung von Kriminalinspektor Hartman umso reibungsloser funktionierte, je weniger Kommissar Ragnarsson sich einmischte. Maria und ihre Kollegen Arvidsson und Ek bezeichneten die beiden klammheimlich als Ruhe und Sturm. Arvidsson ließ sich manchmal dazu verführen, sie Sturm und Flaute zu nennen. Aber das war ungerecht gegenüber Hartman. Hinter seiner unerschütterlichen Ruhe verbarg sich eine ungeahnte Effektivität.

Kommissar Ragnarsson-Sturm hingegen war immer geschäftig. Seine Stimme war unüberhörbar, und er setzte sie vor allem dazu ein, seine Untergebenen zu kritisieren. Ein freundliches Wort war höchst selten, und noch nie hatte ihn jemand lachen sehen. Derjenige, der es schaffen würde, Ragnarsson zum Lachen zu bringen, wäre um 560 Kronen reicher – so hoch war inzwischen der Wetteinsatz. Jede Woche war ein Zehner als Einsatz fällig, und die Versuche steigerten sich im gleichen Maß, wie der Jackpot wuchs. Zu allem Überfluss hielt Ragnarsson nichts von Polizistinnen und ließ keine Gelegenheit aus, dies kundzutun. Als Ragnarsson-Sturms kräftig gebaute Frau zu Besuch war, hatte Erika Lund Maria zugeflüstert: »Es sind die kleinen Hunde, die am lautesten bellen, die kleinen Hunde an der Leine.«

»Wern, du kannst auf die Wache fahren und ein paar Thermoskannen Kaffee machen. Frag mal, wie viele von den Jungs Pizza haben wollen. Die kannst du auf dem Rückweg abholen, wenn du sie jetzt bestellst.« Maria kniff den Mund zusammen. Diskussion war fehl am Platze.

Arvidsson saß im Pausenraum. Seine langen Beine reichten bis auf die andere Seite des Tisches. Vor ihm lag auf einem der viel zu kleinen Teller der Wache eine enorme Pizza. Mit seinen großen Händen schaufelte Arvidsson das Essen in sich hinein. Maria versuchte vergeblich, Augenkontakt mit ihm zu bekommen. Stattdessen sah sie nur seinen roten Haarschopf. Arvidsson war vollkommen auf seine Mahlzeit konzentriert.

»Neid ist das beste Gewürz, sagt man. Die Pizza sieht gut aus. Ich habe heute nur verschimmelten Apfelkuchen gegessen.«

Arvidsson errötete. Er ärgerte sich über sich selbst, aber auch über Maria, weil er rot wurde, wenn sie ihn ansprach. Sie war so herausfordernd hübsch. Damit konnte er schlecht umgehen. Wenn er nicht so fürchterlich schüchtern gewesen wäre, hätte er ihr etwas von der Pizza abgeben können. Daraus wurde nun nichts.

Arvidsson war in Kronköpings Genossenschaftsschlachterei gewesen, wo Dick Wallström gearbeitet hatte. Die Kollegen hatten Dick eigentlich nicht vermisst. Niemand hatte auf ihn und seine Arbeitszeiten geachtet. Als einzige Angehörige hatte Arvidsson mit einiger Mühe Wallströms Freundin, Stina Ohlsson, ausfindig gemacht. Am Telefon hatte sie Arvidsson angeschrien und sich geweigert, mit der Polizei zu sprechen. Sie wollte keinen Polizisten sehen, allenfalls konnte sie sich vorstellen, mit einer Polizistin zu reden. Entscheiden würde sie das aber erst, wenn sie die Frau gesehen habe. Arvidsson war sich sicher, dass die Frau angetrunken gewesen war. Maria konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es lief wohl darauf hinaus, dass sie die Pizza und das Verhör mit Edvins Nachbarin gegen Stina Ohlsson tauschte, die ungern mit männlichen Kollegen sprach. Arvidsson war erleichtert, weil er sich nicht mehr um die Frau kümmern musste. Ein Lächeln zeigte sich auf seinem von Aknenarben übersäten Gesicht, und seine grünen Augen sahen Maria dankbar an.

»Danke für deine Hilfe.«

Dichter Schnee fiel, als Maria nach Videvägen einbog, dem verrufenen Wohngebiet am östlichen Stadtrand. Maria wollte auf keinen Fall Vorurteile haben, aber sie hatte in der kurzen Zeit in Kronköping bereits festgestellt, dass die Bewohner von Videvägen häufiger zum Verhör bei der Polizei vorgeladen wurden als andere Leute. Allerdings ging es meist um Schwarzbrennen, illegalen Schnapsverkauf, kleinere Einbrüche oder Hehlerei, selten um schwerere Vergehen.

Auf dem großen Parkplatz standen nur wenige Autos. Maria bemerkte, wie sich in der dritten Etage die Gardine bewegte. Sie musste lange klingeln, ehe trippelnde Schritte ihr zu verstehen gaben, dass jemand zu Hause war. Gründlich wurde sie durch den Türspion beobachtet, ehe sie für gut befunden und hereingelassen wurde. Die Frau, die die Tür öffnete, sah aus wie eine Sahnetorte. Ihr Mund glich einer Cocktailkirsche, der Rest war pures Marzipan. Sie sah überhaupt nicht aus wie jemand, der die Polizei am Telefon anschreit, wenn es denn für solche Leute einen gemeinsamen Nenner gab.

Ein mit Schleifchen geschmückter Pudel tänzelte vor ihnen her ins Wohnzimmer, das voller Seidenblumen, Duftbällchen, Trockensträuße und geblümter Kissen war. Überall hingen Bilder mit »weinenden Kindern«. Maria hätte nie gedacht, dass es so viele unterschiedliche Bilder mit weinenden Kindern geben könnte. Diese Sammlung hätte jeden trübsinnig werden lassen. Wenn man dann auch noch eine Trauernachricht zu überbringen hatte, war es kaum auszuhalten.

»Dieser Polizist hat gesagt, irgendwas ist mit Dick passiert.« Der Alkoholgeruch drang trotz aller künstlichen Düfte in Marias Nase. Sie setzte sich unaufgefordert neben Stina Ohlsson auf das Sofa mit dem auffälligen Blumenmuster und erklärte so schonend wie möglich, was geschehen war. Zunächst saß Stina schweigend und bleich da, wie ein Kind, das sich gestoßen hat und nach Luft ringt. Maria hielt den Atem an und wartete. Ein gellender Schrei hallte durch die Wohnung, hinterher flogen ein Porzellanengel und ein Aschenbecher aus Glas. Maria spürte, wie sie erstarrte. Könnte man sich jemals daran gewöhnen, Trauernachrichten zu überbringen? Der Schrei der Frau verstummte, aber ihr Blick war gefährlich. Ununterbrochen kniff sie sich in den kräftigen Unterarm und wiegte den Oberkörper vor und zurück.

»Sie lügen! Sagen Sie, dass Sie lügen«, flüsterte sie drohend. »Dick ist nicht tot! Er ist nur weg zu einer anderen Frau. Er hat manchmal andere Frauen, aber die bedeuten ihm nichts. Dick weiß, wo sein Zuhause ist. Er kommt immer wieder zurück zu seiner kleinen Stina, immer!«

»Hatte Dick Feinde? Jemanden, der ihm möglicherweise Böses antun wollte?« Maria versuchte, ihre Stimme ruhig und fest klingen zu lassen, konnte aber ein Zittern nicht unterdrücken.

»Sicher gibt es den einen oder anderen Ehemann, der ihm mit Freuden den Pimmel abschneiden würde.« Stina stieß ein freudloses Lachen aus. Maria spürte, wie sich ihr Nacken verkrampfte. »Er hat mir immer von seinen Eroberungen erzählt, wenn er nach Hause kam. Ganz genau hat er beschrieben, wie er die dummen Kühe verführt hat. Es hat ihn scharf gemacht, wenn ich davon wusste.« Das Lachen ging in ein hemmungsloses Weinen über. Maria wartete ab, bis die Wogen sich ein wenig geglättet hatten, und kam dann auf ein unverfänglicheres Thema zu sprechen.

»Soviel wir wissen, arbeitete Dick in der Genossenschaftsschlachterei. Wissen Sie, wo er gearbeitet hat, ehe er dort anfing?« Stina schniefte heftig.

»Eine Zeit lang war er Busfahrer, Hollandreisen zur Tulpenblüte und so was, davor war er in einer Anstalt in Uppsala angestellt, glaube ich. Irgendwas Privates mit Psychiatrie.«

»Und außerdem hat er für die Gewerkschaft gearbeitet?«

»Ja, hat er.« Stina atmete tief durch und setzte sich aufrecht hin.

»Wollte Dick gestern Abend hierher kommen?«

»Ja, ich hatte Beefsteak Tatar gemacht. Das mag er so gern. Ich saß am Telefon und wartete, aber er kam nicht, der Scheißkerl! Er hat nicht mal angerufen.«

»Was haben Sie getan, als er nicht auftauchte?«

»Ich hab meine Schwester Didi angerufen.«

»Um welche Uhrzeit war das?«

»Vielleicht um eins. Wir haben uns das Essen schmecken lassen, eine Flasche Rotwein dazu getrunken. Dann haben wir die angerufen, bei denen er manchmal übernachtet.«

»Frauen?«

»Ja, was glauben Sie denn? Er war doch nicht schwul! Das war lustig. Wir haben deren Männer aufgeweckt, und das gab natürlich Krach. Gehörigen Krach! Ist doch nur gerecht, oder was?« Stina blickte Maria in die Augen und wartete auf eine Antwort.

»Vielleicht«, stimmte Maria zu und fühlte sich einen Augenblick lang überrumpelt. »Dies ist eine schlimme Nachricht für Sie. Haben Sie jemanden, der zu Ihnen kommen kann? Didi vielleicht?« Stina nickte stumm. Ihre füllige Unterlippe zitterte.

Draußen hatte es aufgehört zu schneien. Der weiße Ford war fast unter einer Schneewehe verschwunden. Maria kroch in den Wagen und drehte den Zündschlüssel um. Der Motor blieb stumm. Nicht den geringsten Laut gab er von sich. Sie hatte das Licht angelassen! Wütend warf sie den Duftbaum hinaus, den Hartman an den Zigarettenanzünder gehängt hatte. Von Düften hatte sie heute genug! In ihrer Nase war noch immer der Geruch der Duftbälle und Lavendelkissen, und ihr Magen hatte heute außer verschimmeltem Apfelkuchen noch keine Nahrung bekommen. Wütend stieg sie wieder aus und trat kräftig gegen den Vorderreifen. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht hinauszuschreien, was sie gerade dachte. Stina Ohlsson musste am Fenster gestanden und sie beobachtet haben, denn sie kam in einem eleganten rosa Synthetikpelz über den Parkplatz geschritten, in der Hand ein Starthilfekabel. Gemeinsam schoben sie den Ford mühsam so weit vor, dass er Motorhaube an Motorhaube mit Stinas kleinem roten Saab stand. Maria wunderte sich, wie kräftig diese Frau war. Sie trennten sich im besten Einvernehmen über die Widrigkeiten des Winters und die Unzuverlässigkeit von Autos.

Kapitel 3

Die Landstraße war schlecht geräumt. Maria stellte das Auto an den Wegrand und ging das letzte Stück auf dem Waldweg bis zur Absperrung zu Fuß. Was konnte das Opfer hier draußen im Wald vorgehabt haben? Vielleicht handelte es sich um eine geheimnisvolle Sekte, ein religiöses Ritual, das in Mord ausgeartet war. Der alte Mann und Elin mit der Katze konnten gleichermaßen Beteiligte wie Opfer sein. Vielleicht hatte Dick Wallström ihre Haustiere getötet, und sie hatten sich gerächt, indem sie ihn an der Esche aufgehängt hatten. Maria schüttelte den Kopf. Diese Erklärung war ein wenig zu einfach, auch wenn es zwei Fußspuren im Lehm gab. Der Mord war bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet, nichts war dem Zufall überlassen worden. Außerdem war Edvin Rudbäck alt und klapprig. Er hätte kaum die Kraft, einen Kerl wie Dick Wallström zu überwältigen.

Maria ging an einer Gruppe neugieriger Zuschauer vorbei, die sich außerhalb der Absperrung angesammelt hatte. Erika Lund und zwei Polizisten, die ihr zur Hand gingen, waren noch am Tatort.

»Die anderen sind runter zur Wache gefahren. Sie wollen sich um 16.00 Uhr im Besprechungsraum treffen.« Diesmal stand Erika nicht auf. Die Dämmerung setzte bereits ein, und es gab noch eine Menge zu tun, bevor es richtig dunkel wurde. Zwei Scheinwerfer waren in der Esche aufgehängt worden, aber das war nicht dasselbe, wie bei Tageslicht zu arbeiten. Erika steckte eine weitere Probe in eine Plastiktüte und verschloss sie.

»Man merkt schon, dass es der dunkelste Tag des Jahres ist. Grüß die anderen und sag ihnen, dass ich innerhalb der nächsten Stunde komme.«

Eine lange Autoschlange bewegte sich im Schneckentempo Richtung Zentrum. Sicher fuhr da ein Schneepflug an der Spitze. Der Gegenverkehr schlitterte mit deutlich höherer Geschwindigkeit vorbei. Maria schaltete das Radio ein. Das 3. Programm hatte zu dem Mord an Dick Wallström nichts zu sagen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Medien loslegen würden. Nach den Nachrichten folgte ein Programm über Weihnachtsbrauchtum. Eine glockenreine, verdächtig nach Trachten klingende Frauenstimme sang: Schneidet, schneidet Hafer. Wer soll Hafer binden. Das soll der Allerliebste mein, wo kann ich ihn nur finden. Ich sah ihn gestern Abend wohl im hellen Mondenschein. Wenn jeder nimmt den Seinen und ich nehm mir den Meinen, dann bleibt der Troll alleine. Schäm dich, schäm dich, denn keiner will dich haben ...

Maria stellte das Radio ab, die Stimmung des Liedes ließ sie aber nicht los. Eine Sichel hatte man am Tatort gefunden, eine Sichel und eine Weizenähre. Uralte Symbole für Ernte und Fruchtbarkeit. Eigenartig, dass Schneidet, schneidet Hafer zu den Weihnachtsliedern gehörte. Es wirkte eher heidnisch, überlegte Maria. Schäm dich, schäm dich, keiner will dich haben ... Sie konnte sich vage an ein Weihnachtsfest in der ersten Klasse erinnern, als jedes Mädchen sich einen Partner gesucht hatte und ein kleiner Junge übrig geblieben war. Sie hatten mit dem Finger auf ihn gezeigt und schäm dich gesungen, genauso wie man es in dem Lied machen sollte, und er hatte angefangen zu weinen. Niemand hatte ihm wirklich etwas Böses antun wollen, und dennoch hatten sie ihm übel mitgespielt. In diesem Moment fielen Maria die Kinder ein. Krister war zu einem Kurs gefahren. Die Kinder sollten um fünf von der Tagesstätte abgeholt werden. Sie würde nun gezwungen sein, die Schwiegermutter darum zu bitten, die Kleinen zu versorgen, und damit den ständigen Klageliedern neuen Stoff geben. Eine gute Mutter erzieht ihre Kinder selbst. Sie gibt sie nicht weg zu fremden Menschen. Eine gute Mutter sorgt für Ordnung und Sauberkeit in ihrem Haus, backt Kuchen, kocht Marmelade und umsorgt ihren Mann. Eine gute Mutter wird jedenfalls nicht Polizistin, trinkt kein Bier und fährt nicht Motorrad. So konnte man das wohl zusammenfassen. Sie hätten niemals nach Kronköping ziehen sollen. Maria sehnte sich so stark nach Uppsala, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Der Schwiegervater hatte Krister eine Teilhaberschaft als EDV-Berater in einer Firma verschafft. In Uppsala war er selbständig gewesen. Das Einkommen war zwar weniger sicher gewesen, aber sie waren allemal glücklicher gewesen. Ahnungslos waren sie auf das Angebot der Schwiegereltern eingegangen, ihr Haus zu übernehmen. Die ältere Generation war in eine Wohnung eine Straße weiter gezogen. Das war der größte Fehler gewesen. Die Schwiegermutter hatte ihren Schlüssel behalten. Mehrere Male hatte Maria ihren Mann angefleht, er möge seine Mutter bitten, den Schlüssel herzugeben, oder das Türschloss auswechseln, aber er hatte sich nicht dazu durchringen können. Nicht mal, als sie an einem Sonntagmorgen vor zwei Wochen eine Weile Zeit für sich hatten. Die Kinder saßen vor dem Fernseher. Sie waren ausgeruht. Die Lust und die Nähe waren da. Ein seltener Augenblick und eine günstige Gelegenheit. Endlich einmal wieder waren sie sich nahe gekommen. Doch dann war die Stimmung plötzlich auf den Nullpunkt gesunken.

»Überraschung! Wo sind denn meine kleinen Lieblinge? Aber Krister, seid ihr noch nicht aufgestanden, es ist doch schon fast elft« Maria wurde bei der Erinnerung daran so wütend, dass sie unabsichtlich Gas gab und beinahe auf den Wagen vor ihr aufgefahren wäre. In Uppsala hatten sie am Küchentisch gesessen, kleine Papiermöbel ausgeschnitten und Skizzen für den geplanten Umbau der Küche und des Badezimmers angefertigt. Auf dem Papier hatte das so schön ausgesehen. In Wirklichkeit war daraus ein großer Familienkrieg geworden, als sie die alte Kücheneinrichtung hinausgeworfen hatten und die Schwiegermutter den Trümmerhaufen auf ihrem täglichen Spaziergang am alten Zuhause vorbei zu sehen bekam. Krister hatte zuerst geglaubt, sie würde einen Schlaganfall kriegen. Völlig hysterisch hatte sie geschrien:

»Immer raus damit! Schmeiß den Scheiß weg und kauf was Neues! Vergiss einfach, dass dein Vater bis tief in die Nacht hinein geschuftet hat, damit die Küche fertig wurde.« Das war irgendwann in den fünfziger Jahren gewesen, soweit sich Krister erinnern konnte, und der Vater hatte wirklich getischlert und sich abgerackert. Die Spüle war niedrig und wenig rückenfreundlich, und der Herd stammte aus einer Zeit, als das Wort kindersicher noch nicht erfunden war. Auch die elektrischen Leitungen hatte der Schwiegervater ausnahmslos allein installiert. Krister, der mit der Lebensweisheit aufgewachsen war, »wenn du die Spüle und den Herd gleichzeitig berührst, dann stirbst du«, hatte Marias Erschrecken nicht ganz nachvollziehen können. Es war doch bisher niemand zu Schaden gekommen, oder? Nach dem Umbau der Küche hatte die Schwiegermutter mehrere Wochen lang kein Wort mit ihnen gewechselt. Dennoch wollten sie jetzt auch das Bad renovieren lassen.

Einmal hatte Maria in ihrer Einfalt geglaubt, es sei ihr geglückt, an den Schlüssel der Schwiegermutter zu kommen. Das war im Herbst gewesen, kurz nachdem sie eingezogen waren. Maria war mit den Kindern auf dem Spielplatz gewesen. Den ganzen Nachmittag war sie auf dem Gras herumgekrochen und hatte für Emil und Linda das Pferd gespielt. Als sie aufbrechen wollten, hatte sie gemerkt, dass der Schlüssel fehlte. Sie hatte ihn nicht wiedergefunden, obwohl Berit, die Nachbarin, ihr bei der Suche geholfen hatte. Das war eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Schwiegermutter um ihren Schlüssel zu bitten. Ohne den geringsten Streit hatte er in ihrer Hand gelegen, blinkend und willkommen. Triumphierend hatte sie ihn an ihrem Schlüsselbund befestigt. Die Freude hatte genau bis zum nächsten Tag gedauert, als sie von der Arbeit nach Hause kam und die Tür unverschlossen und die Schwiegermutter am Bügelbrett stehend vorfand. Natürlich hatte sie noch weitere Schlüssel gehabt. Das hätte ja gerade noch gefehlt!

Maria vermisste Karin, ihre beste Freundin in Uppsala. Sie hatten versprochen, sich zu treffen, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Aber selbst mit der besten Absicht war das schwer. Die Einzige, der sie sich hier in Kronköping anvertrauen konnte, war Berit. Sie war weit gereist und konnte die phantastischsten Geschichten erzählen. Nichts schien für sie unmöglich zu sein. Vielleicht konnte sie es wagen, Berit zu bitten, sich um die Kinder zu kümmern, wenn es das nächste Mal kritisch wurde.

Durchgefroren und hungrig trat Maria in den Besprechungsraum. Eine große Schale mit Safrangebäck und Pfefferkuchen zog sie magisch an. Eine Thermoskanne mit Kaffee machte die Runde. Staatsanwalt Stefan Berg ließ es sich gut schmecken, trotz der makabren Dinge, die an diesem Tisch besprochen wurden.

»Ragnarsson spricht mit der Presse«, teilte Hartman ihr mit, »wir haben schon mal ohne ihn angefangen.« Arvidsson, der bei Elin mit der Katze gewesen war, fuhr in seinem Bericht fort. Elin Svensson hatte die tote Katze als die ihre identifiziert. Es hatte sich auch herausgestellt, dass sie am Abend des 21. Dezembers Besuch gehabt hatte, sie hatte sich aber nachdrücklich geweigert zu erzählen, wer der Besucher gewesen sei.

»Ich habe sie sehr deutlich darauf hingewiesen, wie wichtig es für uns ist, Klarheit über die Ereignisse zu bekommen, und dass wir uns mit dieser Frage nochmal an sie wenden werden. Vielleicht weiß sie etwas und fühlt sich bedroht?« Arvidsson errötete leicht und versteckte sein Gesicht im Kaffeebecher. Maria schüttelte ihren dicken weizenblonden Zopf. Ihre braunen Augen blitzten. Ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.

»Elins guter Nachbar, der ein richtiger Gentleman ist, hat mir gegen das Versprechen absoluter Diskretion anvertraut, dass er Elin zwischen 19.00 und 21.00 Uhr einen Besuch abgestattet hat.«

Arvidssons Nase verschwand noch tiefer im Kaffeebecher. »Auf dem Weg hat er niemanden anders als Elin getroffen.«

»Du bist bei Stina Ohlsson gewesen.« Hartman nahm sein viertes Kuchenstück und nickte Maria zu, die so ausführlich wie möglich von dem Gespräch berichtete. Nur ihren Ärger mit dem Auto, das nicht anspringen wollte, behielt sie für sich, denn das war ihr persönliches kleines Geheimnis.

»Wir müssen bei der Telefongesellschaft in Erfahrung bringen, ob diese Gespräche mit den Freundinnen von Dick Wallström tatsächlich stattgefunden haben. Ek kann sich dann mit den Damen in Verbindung setzen.« Jesper Ek pfiff leise durch die Zähne. Arvidsson errötete noch ein wenig mehr. »Im Laufe des morgigen Tages müssten wir vorläufige Obduktionsresultate bekommen. Worum könnte es bei diesem Mord gehen? Was wissen wir? Der Mann ist erhängt worden. Der Stab, der durch seinen Bauch gestoßen wurde, ist ein Speer, wie sich herausgestellt hat. Er sah recht alt aus, ebenso die Sichel. Der Tote hat auch eine Stichwunde am Hals, wahrscheinlich von einem Messer. Wir haben die Weizenähre und die Eberesche, die nicht dort gewachsen ist, sondern aus irgendeinem Grund dorthin gebracht wurde. Ein Zeichen war in den Stein geritzt und in den Lehm gemalt. Es sieht aus wie zwei Textklammern, die ineinander gehakt sind. Fußabdrücke sind auch gefunden worden. Sie scheinen von großen Schuhen verursacht worden zu sein. Zwei Männer?«

»Erika hat gesagt, dass die Nägel des Opfers bis ins Fleisch hinein abgeschnitten waren und dass sie die Nägel am Boden bei dem Erhängten gefunden hat«, warf Ek ein und fuhr sich mit der Hand übers Kinn.

»Es waren Haare in verschiedenen Farben und von unterschiedlicher Qualität über den Boden verstreut. Ich stimme Erika zu, es scheint, als wolle uns der Mörder an der Nase herumführen«, fuhr Hartman fort. »Selbstmord können wir ausschließen. Der Mann kann sich kaum selbst den Speer in den Bauch gebohrt, sich in den Hals gestochen und sich danach erhängt haben, oder umgekehrt. Also kein Selbstmord.«

»Dick Wallström hatte keine Schuhe an den Füßen. Kann die eine Spur von ihm stammen? Ging er selbst zu seinem Hinrichtungsplatz? Wo sind die Schuhe? Er kann bei diesem Winterwetter wohl kaum barfuß gelaufen sein.« Maria zeichnete ein paar Striche auf das Papier vor sich, skizzierte den Tatort.

»Wir müssen Erika fragen, wenn sie kommt. Hat jemand irgendeine Idee, was da passiert sein kann?«

»Kann es irgendeine merkwürdige Sekte sein? Teufelsanbeter vielleicht? Es sieht nach einem Ritual aus. Wenn man ihn einfach umbringen wollte, hätte das Hängen ja gereicht. Wissen wir etwas über das Zeichen, das in den Stein geritzt ist? Man sollte vielleicht in einem Symbollexikon nachschlagen. Ich kann nachher mal rüber in die Bibliothek gehen, wollte nach der Arbeit sowieso hin.« Arvidsson schnippte ein nicht vorhandenes Staubkorn von seinem Hemdsärmel.

»Das Zeichen war in einen Stein geritzt, vielleicht eine Rune? Bei Runen denke ich an Nazis. Die Rune Yoga, ein nordgermanisches Schriftzeichen, wurde auch von okkultistischen Nazigesellschaften verwendet. Die SS-Zeichen beispielsweise sind stilisierte Blitze von Thors Hammer, und die Odalrune, die für Kultur, Ackerbau und Familie steht, ist auch ein Zeichen, das von den Nazis verwendet wurde. Aber dieses Zeichen auf dem Stein kenne ich nicht.«

Maria zeichnete das Symbol, so wie sie es vom Tatort in Erinnerung hatte, auf ihren Block.

»Dieser Dick war ja alles andere als homosexuell, Asylbewerber war er auch nicht. Warum sollte er den Hass von Nazis auf sich ziehen? Ich glaube eher, dass zwei Ehemänner ihn aufgehängt haben. Das scheint am nächsten zu liegen. Beide töten ihn, jeder auf seine Weise. Obwohl das nicht die toten Tiere erklärt. Oder es waren militante Veganer, also solche, die nur pflanzliche Produkte und zum Beispiel keine Milch zu sich nehmen. Dick war ja Schlachter!«, gab Ek zu bedenken.

»Das wäre möglich, aber militante Veganer hätten die Tiere nicht geschlachtet«, sagte Hartman nachdenklich und stocherte mit dem Kaffeelöffel in seinem Ohr. »Wenn es Tiere gewesen wären, die von der Fleischindustrie geschlachtet und aufgehängt werden, hätte das einen deutlichen Symbolwert gehabt, aber Katzen und Hunde gehören ja irgendwie nicht dazu.«

Die Tür des Sitzungszimmers ging auf, und eine rotwangige Erika Lund stand in der Türöffnung. Hartman fasste schnell ihre bisherigen Erkenntnisse zusammen und bot Erika das letzte Kuchenstück an. Sie nahm es und begann mit ihrem Bericht.

»Wir haben Reifenspuren gefunden, ich glaube, die Abdrücke werden sehr brauchbar sein. Auch die Schuhabdrücke konnten wir sichern. Beide Spuren führen zum Mordplatz und zurück hinauf zum Weg. Das Opfer ist also wahrscheinlich vom Weg bis zu dem Baum getragen worden. Im Hinblick auf die Schuhgröße ist es wahrscheinlich, dass zwei Männer die Tat ausgeführt haben, aber da kann man nie sicher sein. Überlegungen müssen frei und vorurteilslos angestellt werden.« Hartman lächelte vor sich hin. Erika Lunds Vermutungen waren stets hervorragend durchdacht, trotzdem legte sie sich nie richtig fest und sprach stets von Mutmaßungen. »Ich denke an eine Art Opfer«, fuhr sie fort. »Ein Wintersonnenwendeopfer. Guckt im Kalender nach, es ist Wintersonnenwende. Was mich als Erstes daran hat denken lassen, ist außer den Tierkörpern die Ausführung des Mordes. Odin wird üblicherweise der Gott der Gehängten genannt. Er hing neun Tage von einem Speer durchbohrt in der Esche Yggdrasil, dem Baum des Lebens, um Zugang zu den Runen zu bekommen. So geht der Mythos. Mein Vater war Volksschullehrer und pflegte uns Kindern aus der Hávamál vorzulesen, um uns zu bilden: Ich weiß, dass ich hing am windigen Baum neun Nächte lang, mit dem Ger verwundet, geweiht dem Odin, ich selbst mir selbst.«

»Das nenne ich ins Schwarze getroffen«, rief Hartman beeindruckt. »Ich würde vorschlagen, wir wenden uns an einen Experten für Ethnologie oder Archäologie.«

»Ich kenne einen pensionierten Professor, der an der Universität in Uppsala gelehrt hat. Ein Freund der Familie.« Marias Augen leuchteten, als sie an den alten Mann dachte, der so oft in ihrer Familie zu Gast gewesen war. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein räudiges Wiesel, aber wenn er über das nordische Altertum sprechen durfte, zog er alle in seinen Bann. Mit großem Ernst hatte er von Erik Blutaxt erzählt, bis Maria, damals noch klein, überzeugt war, dass es Blutaxt in Wirklichkeit gab, genauer gesagt unter ihrem Bett, und sich deshalb weigerte, allein in ihrem Zimmer zu schlafen.

»Am besten wäre es, wenn er bereits morgen herkommen und sich den Platz und das fotografierte Material ansehen könnte. Setzt du dich mit ihm in Verbindung, Maria?«, fragte Hartman mit einem enttäuschten Blick auf die leere Plätzchenschale.

Kapitel 4

Es war bereits neun Uhr, als Maria in ihrem Haus in Smedjegränd den Schlüssel ins Schloss steckte und von ihrer Schwiegermutter begrüßt wurde.

»Die haben beide tüchtig zugelangt, richtig ordentlich. Soll ich dir ein paar Fleischklößchen aufwärmen?« Einen kurzen Augenblick hatte Maria das Gefühl, dass sie zu hart über ihre Schwiegermutter urteilte. Vielleicht konnte sie die alte Frau sogar gern haben. Doch dieser Moment war schnell vorbei. Alle Dienstleistungen haben ihren Preis.

»Artur muss sich heute Abend mit Butterbroten zufrieden geben. Ich kann ja nicht gleichzeitig überall sein, und jetzt noch Essen für ihn zu kochen schaffe ich einfach nicht mehr. Du hältst dein Heim nicht in Ordnung, Maria! Ich habe in der Küche und im Wohnzimmer gebohnert, einen schlimmeren Fußboden habe ich noch nie gesehen!« Da hab ich es, dachte Maria und versicherte wahrheitsgemäß, dass sie sich viel zu viel Arbeit gemacht habe. Die Schwiegermutter hätte sich wirklich nicht über den Fußboden hermachen müssen, und sich Fleischklöße aufzuwärmen schaffte sie bestimmt auch allein.

»So wie der aussah, war ich regelrecht gezwungen, den Fußboden zu bohnern«, hörte sie die beleidigte Stimme aus der Diele, bevor die Tür zugeschlagen wurde.

In den Nachrichten um 22.00 Uhr war der Mord im Kronwald das Hauptthema. Ragnarsson genießt solche Auftritte, stellte Maria gehässig fest. Jetzt sitzt er sicher zu Hause und regt sich darüber auf, dass sie sein Interview zusammengeschnitten haben. Die Worte des Reporters und die Bilder waren wie eine kalte Dusche für Maria. Es war, als hätte sie den ganzen Tag über gar nicht richtig begriffen, was geschehen war. Das ganze Ausmaß wurde ihr erst jetzt bewusst, da sie es von einem außenstehenden Reporter in den Nachrichten hörte. Den Tag über hatte sie immer Menschen um sich herum, hatte Aufgaben zu erledigen gehabt. Ein Mörder, vielleicht auch zwei waren hier, in Kronköping. Verrückte, Wahnsinnige, eiskalt planende Mörder konnten sich irgendwo in der Nähe befinden! Krister war nicht zu Hause. Er leitete einen Kurs irgendwo in Blekinge. Hier war sie, allein mit ihren Kindern. Das Haus kam ihr viel zu groß vor, und es war voller dunkler Ecken und Winkel. Hier einzubrechen war ein Kinderspiel. Maria sah noch einmal nach ihren schlafenden Kindern. Emil hatte die Bettdecke abgeworfen, und seine Arme hatten eine Gänsehaut von der Kälte. Das Haus wollte im Winter nie richtig warm werden. Artur, der große Handwerker, hatte bei der Isolierung gepfuscht. Linda schlief mit der Stoffpuppe Lavendela im Arm und dem Daumen im Mund. Maria stopfte die Decken um ihre Kinder fest. Neben den Kopfkissen der beiden lagen leere Bonbontüten. Sicher hatten sie sich heute Abend auch die Zähne nicht geputzt, dachte Maria verärgert und ging ins Bad. Die Zahnbürsten waren staubtrocken, genauso wie sie es erwartet hatte. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, muss ich Berit fragen, ob sie nicht mal nach den Kindern sehen kann, überlegte Maria. Das Problem war nur, dass sie als Polizistin im Gegensatz zu allen anderen nicht schwarz bezahlen konnte, und alles andere konnte sie sich nicht leisten. Das muss ich irgendwie lösen, sonst werde ich verrückt, sagte Maria vor sich hin und heftete die Augen auf Krister, der ihr vom Hochzeitsfoto entgegenlächelte.

Maria zog die Vorhänge im Wohnzimmer zu und das Rollo im Schlafzimmer herunter. Sie zog ihr Nachthemd an. Die ganze Zeit über kam sie sich beobachtet vor. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie ihre Wettkampfpistole, eine französische Unique, aus dem verschlossenen Schrank nehmen und neben sich auf den Nachttisch legen sollte. Dann dachte sie daran, was sie über die Verfügbarkeit von Waffen in den USA gelesen hatte, und schüttelte sich. Wie viele Leute waren aus Versehen erschossen worden! Nicht auszudenken, wenn Krister überraschend nach Hause käme und sie auf den potenziellen Einbrecher oder Mörder schießen würde. Nach den Ereignissen des Tages war sie wohl doch ein wenig überspannt. Die Angst folgte ihr zwischen die Decken, kroch unter ihre Haut. Bilder des erhängten Wallström und von dem Hund, der leblos in den Armen des alten Mannes lag, standen ihr vor Augen. Stina Ohlssons hysterische Schreie dröhnten ihr in den Ohren. Maria wälzte sich im Bett, bis das Laken so zerknüllt war, dass sie aufstehen und das Bett neu machen musste. Sie musste versuchen einzuschlafen. Morgen war wieder ein Tag. Ein Geräusch ließ sie hochfahren. Maria stand regungslos da und lauschte. Ein Auto näherte sich von weitem und fuhr vorbei. Es wurde wieder still. Sie schob das Rollo zur Seite und blickte in die Nacht hinaus. Draußen war es stockdunkel. Weder Mond noch Sterne waren zu sehen. Der Schnee war geschmolzen. Nur ein kleiner Adventsstern im Mietshaus nebenan leuchtete in die Nacht. Ein Hund jaulte traurig und eintönig. Sicher der Schäferhund von Edith Bäckman. Edith war eine ausgesprochen neugierige und gesprächige kleine Frau, die in der Wohnung gegenüber von Berit wohnte. Zeitweise soff sie unmäßig und war dann ein paar Wochen lang verschwunden, sonst aber war sie über alle Maßen kontaktfreudig. Der Hund bekam wohl während der feuchten Zeiten nicht die Pflege und Zuneigung, die er brauchte. Jetzt stand Weihnachten bevor. »Edith ist kein Weihnachten nüchtern gewesen, seit ich hier eingezogen bin«, hatte Berit ihr im Vertrauen erzählt. »Sie versteckt sich über die Feiertage, damit niemand sieht, wie einsam sie ist.«

Maria schlich in die Küche und machte sich ein wenig Glühwein warm. Die weißen Hyazinthen am Fenster dufteten intensiv, und der Duft vermischte sich mit dem des Glühweins. Weiße duftende Blumen. Der Duft von Nelken. Weiße Nelken, Leichengeruch. Maria kniff sich in den Unterarm, damit der Schmerz sie dazu brachte, sich zusammenzureißen. Der Papierstern lächelte milde und golden. Die Unruhe wollte nicht weichen. Noch einmal kontrollierte sie, ob die Außentür abgeschlossen war. Ein wenig verschämt suchte sie nach einem Paket Zigaretten, das sie in der Schublade mit Unterwäsche und Strümpfen versteckt hatte. Sie hatte schon vor längerer Zeit mit dem Rauchen aufgehört, damals, als sie mit Emil schwanger war. Eigentlich wusste sie gar nicht mehr, was sie dazu gebracht hatte, Zigaretten zu kaufen. Auf Hartmans 55. Geburtstag hatte sie geraucht, als sie mit den Kollegen zum Gratulieren da gewesen war. Am Tag danach war dann ein Paket so mitgegangen, als sie beim Einkaufen gewesen war. Vielleicht war das eine Art von Protest. Ich fühle mich hier nicht wohl! Seht mich an! Oder war es so, wie Berit sich immer zynisch ausdrückte: »Einmal nikotinabhängig – immer nikotinabhängig?« Sie hatte die Zigaretten versteckt. Krister wusste nichts davon. Sie hatte das Paket in einen grünen Strumpf geschoben, aber der Strumpf war leer!

Sie wusste sicher, dass sie es in den grünen Strumpf gesteckt hatte. Nun war der mit dem zweiten sorgfältig zusammengerollt, so als ob es nie eine Zigarettenpackung gegeben hatte.

»Verdammtes Weib. Sie hat in meinen Schubladen herumgeschnüffelt«, sagte Maria laut. »In dem Fach mit der Unterwäsche! Das ist so frech, da bleibt einem doch die Luft weg!« Einen Augenblick lang überlegte sie, ihre Schwiegermutter anzurufen, ließ es dann aber bleiben. Nach einer solchen Konfrontation würde sie nicht schlafen können, und schlafen musste sie. Krister hatte sich gefälligst darum zu kümmern, wenn er nach Hause kam. Es war schließlich seine Mutter, und wenn sich grundsätzlich etwas ändern sollte, mussten sie sich einig sein.

Ein lautes Klopfen am Fenster in der Küche ließ die Scheiben klirren. Wenn Maria nicht so wütend gewesen wäre, hätte sie es mit der Angst bekommen. Ein Paar runde Augen starrten sie durch die Hyazinthen an. Es dauerte zwei Sekunden, bis Maria begriff, dass es sich bei der verschmierten Masse unter den Augen um Nase und Mund handelte, die gegen die Scheibe gedrückt wurden, wie ein Kaugummi unter dem Tisch im Speisesaal einer Schule. Ohne die Kraft, die ihr Zorn ihr gab, hätte sie es nie gewagt, die Balkontür aufzumachen, jetzt riss sie sie, ohne zu zögern, auf.

»Was tust du hier?«

»Ich wollte nur mal nachsehen, ob jemand zu Hause ist«, lispelte Edith und hielt sich gut am Fensterbrett fest. »Wie schön, dass du da bist.«

»Willst du was Bestimmtes?« Maria fror in ihrem dünnen Nachthemd.

»Nein, ich bin nur so vorbeigekommen. Du hast nicht zufällig was Starkes zu Hause, das du mir die Feiertage leihen kannst? Du kriegst es zurück, sobald der Schnapsladen wieder aufhat. Das verspreche ich dir!«

»Ich glaube nicht. Willst du nicht nach Hause gehen und schlafen? Es ist Nacht!« Maria sah, wie die alte Frau mit gebeugten Schultern dastand und sich mit weißgefrorenen Fingern an der Fensterbank festhielt.

»Okay, ich bringe dich nach Hause, wenn du versprichst, nicht mehr nachts in unserem Garten herumzuschleichen. Das ist nämlich alles andere als angenehm.« Edith murmelte irgendwas Unverbindliches. Maria wickelte sich in ihren langen Wollmantel und stieg in die Stiefel. Kontrollierte zweimal, dass die Haustür wirklich abgeschlossen war, und ging danach hinaus in die Nacht.

Kapitel 5

23. DEZEMBER

Am Sonnabend, dem 23. Dezember, setzte sich Maria mit einer Tasse Kaffee an ihren Schreibtisch. Sie hatte Lust auf eine Zigarette, nur eine einzige, aber sie konnte sich beherrschen. Sie hatte ja auch gar keine Zeit, hinauszugehen und welche zu kaufen. Einen Augenblick überlegte sie, sich eine von Sturm zu pumpen, schob den Gedanken aber mit Nachdruck von sich. Wie tief war sie in ihrer Begierde schon gesunken, dass sie überhaupt auf so einen Gedanken kam. Maria biss sich in den Daumennagel. Der Kaffee malträtierte ihren Gaumen und hielt die Erinnerung an das Aroma einer Zigarette wach. Sie musste sich entspannen. Gerade jetzt war an allen Fronten Stress angesagt. Heute Morgen hatte ein toter Rabe eingeklemmt in der Terrassentür gelegen. Maria wusste, dass sie die Tür abgeschlossen hatte. Oder etwa nicht? Als sie aufwachte, war das Haus ausgekühlt gewesen und die Tür zur Terrasse hatte einen Spaltbreit aufgestanden. Vielleicht hatte eine Katze den toten Vogel hereingeschleppt, aber dann hätte die Tür richtig offen sein müssen. Das war unwahrscheinlich! Sie wusste genau, dass sie alle Türen kontrolliert hatte, bevor sie sich hingelegt hatte. Mehrmals hatte sie die Griffe probiert. Das Ganze war so absurd, dass sie gar nicht daran dachte, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Maria hatte eine Plastiktüte über die Hand gezogen und das tote Tier weggeworfen, ehe die Kinder aufwachten und es entdeckten. Erst als sie im Vogelbuch nachgeschlagen hatte, hatte sie überhaupt festgestellt, dass es ein Rabe war. Raben kamen in der Küstenregion nur selten vor. Weiter im Inland konnte man sie häufiger beobachten. Das Ganze war sehr seltsam.

Ziemlich apathisch hatte sie die Kinder am Morgen aus den Betten geholt. Maria hatte nicht besonders gut geschlafen, und als sie endlich doch eingeschlafen war, hatte Krister angerufen, er hatte Nachrichten gehört und machte sich Sorgen. Früh am Morgen, so gegen fünf, hatte die Schwiegermutter aus demselben Grund angerufen. Was sie allerdings nicht daran hinderte, später Fragen zu stellen, die für Kleinkinderohren ganz gewiss nicht geeignet waren. Emil hatte seine Mutter mit großen Augen angeschaut und sie gefragt, ob es dem Onkel wehtat, wenn er einen Speer im Bauch hatte.

Die Kinder waren bei der Großmutter. Im Augenblick gab es keine andere Lösung. Maria musste Überstunden machen. Um zehn Uhr sollte sie Professor Höglund vom Bahnhof abholen, bis dahin hatte sie eine Menge Schreibarbeit zu erledigen. Hartman überließ ihr gern diesen Teil der Arbeit, und Maria fand das nicht schlecht, insbesondere nachdem sie im Schreibtisch des älteren Kollegen Formulare gefunden hatte. Diese kopierte er bei Bedarf und umging dadurch den Computer, den er »dieses unzuverlässige Monster« nannte. Maria hatte ihm versprochen, ihm ruhig und methodisch zu erklären, wie man mit dem »Monster« arbeiten konnte. Die geplanten Privatstunden waren auf eine Zeit verschoben, »wenn es mal ruhiger ist«, was es wohl niemals werden würde.

Hartman und Erika Lund waren in den frühen Morgenstundenin Dick Wallströms Wohnung gewesen. Erika war ungewohnt kurz angebunden gewesen. Sicher litt sie an Schlafmangel. Sie hatte auch Probleme mit ihren Wechseljahren, worauf Ragnarsson-Sturm auch jetzt wieder gern hinwies.

»Rieche ich nach Schweiß, Jungs? Ist das so?«, hatte er gefragt und seine grobporige Nase in die Achselhöhle gesteckt. »Oho, ich glaube, ich werde rot.«

»Wegen zu viel Arbeit schwitzt du ganz bestimmt nicht, du hast also Grund genug, rot zu werden, finde ich.« Hartman hatte die Stimme erhoben und seinen Vorgesetzten mit Blicken durchbohrt, der es für angebracht hielt, eine Weile hinüber zur Staatsanwaltschaft zu gehen.

Als Maria das Protokoll über ihr Verhör mit Stina Ohlsson schrieb, fiel ihr ein, dass sie versäumt hatte, die Frau danach zu fragen, welcher Arbeit sie nachging. Eine Routinefrage, die von einer Tränenattacke unterbrochen worden war. Als Maria gerade nach dem Hörer griff, um dieses Detail zu klären, klingelte das Telefon. Professor Morgan Höglund war mit einem früheren Zug eingetroffen und bat darum, vom Bahnhof abgeholt zu werden.

Als die Menschenmenge sich auf dem Bahnsteig verlaufen hatte, entdeckte Maria den kleinen Mann mit den runden Brillengläsern und dem safrangelben Mantel.

»Maria, mein Herzenskind und mein Augenstern. Du bist schön wie ein Engel«, rief Morgan fröhlich auf seine feierliche Art und sah Maria prüfend von oben bis unten an. »Nun ja, einen schönen Menschen entstellt nichts«, fügte er hinzu, nachdem sein Blick deutlich gesagt hatte, was er von ihrer unweiblichen Kleiderwahl hielt.

Der Besprechungsraum duftete nach Glühwein. Im Adventsständer brannten drei der vier Kerzen, und Hartman hatte wieder seinen selbst gebackenen Safrankuchen mitgebracht. Der Professor konnte sich nicht zurückhalten und fing an, die Form der Kuchen zu kommentieren. »Lussekatt, also Lussekatze, kommt von dem Wort Luzifer. Dem Mythos nach fuhr die Göttin Freyja (wahrscheinlich auch Lusse genannt) in einem von Katzen gezogenen Wagen umher. Eine Lussekatze, also Lussekatt, ist ein Safrangebäck, das einen Wagen mit vier Rädern vorstellt. In der Lussenacht fuhr Lusse mit einer großen Menge von Läusen umher und setzte das Ungeziefer auf den Höfen ab, die ihrem Befehl, in dieser Nacht ›nicht zu brauen, nicht zu backen, keine großen Feuer zu schüren‹, nicht gefolgt waren. Diese einfachere Form des Gebäcks mit einem Haken an beiden Enden wurde allerdings Weihnachtseber genannt«, fuhr der Professor fort. Maria räusperte sich vorsichtig. Wenn der Professor nicht auf das Wesentliche hingewiesen wurde, konnte der Tag sicher für alle unvergesslich werden, aber sie würden nichts erfahren, was ihnen bei der Lösung des Mordfalles Dick Wallström weiterhelfen konnte.

Das Zeichen, das in den Stein geritzt und in den Lehm gemalt worden war, erkannte der Professor sofort.

»Das ist eine Fruchtbarkeitsrune, Jara«, rief er begeistert aus und fuhr sich durch den schütteren Kinnbart. »Die Sichel und die Ähre gehören auch zu den Symbolen der Fruchtbarkeitsgöttin Freyja. Die Ebereschenzweige ordne ich eher Thor zu. Ebereschenzweige wurden ›Thors Trost‹ genannt, nachdem er sich auf seiner Fahrt zu dem Riesen Geirrödr auf einen solchen Baum gerettet hatte. Über das Mittwinteropfer weiß man nicht viel mehr, als was Meister Adam von Bremen 1070 aufgezeichnet hat, er beschreibt ein Opfer im Heidentempel in Uppsala. Ihm zufolge wurden von jeder Art neun männliche Tiere geopfert, durch deren Blut man sich mit den Göttern versöhnte. Neun ist eine heilige Zahl in der Mythologie des nordischen Altertums.«

Erika wurde vor Eifer rot:

»Das waren neun männliche Wesen, ein Mann und acht Tiere! Das vorläufige Obduktionsresultat, das heute Morgen kam, zeigt, dass das Opfer mit einem Messer von vorn direkt in den Hals gestochen wurde. Er hat mehrere Liter Blut verloren, ebenso der Hund. Auf dem Erdboden am Tatort befand sich aber kein Blut. Wir können also annehmen, dass der Mann woanders ermordet wurde und danach zu der Esche in Kronwald gebracht wurde. Die Blutprobe ergibt, dass Dick Wallström alkoholisiert war, 2,2 Promille.«

»Es ist interessant, dass Sie die Esche erwähnen. Der Baum des Lebens, an dem Odin hing, war der Mythologie nach eine Esche. Das Opferblut der Tiere wurde in Schalen gesammelt und mit Holzspänen auf die Wände des Tempels, auf Menschen und auf Götterbilder geschmiert. Von dem Opfer im Heidentempel in Uppsala wird berichtet, dass Thor in der Mitte stand und links und rechts von ihm Odin und Freyja, ›cum ingenti priapo‹, mit einem mächtigen Phallus, wie es lateinisch heißt. ›Im Übrigen singt man bei diesen Opferfeierlichkeiten üblicherweise vielerlei Gesänge, die unanständig sind und deshalb am besten verschwiegen werden‹, so berichtet Adam von Bremen. Es kamen auch Menschenopfer vor, häufig Fremde oder Sklaven, aber in schweren Zeiten schlechter Ernten wurde der König geopfert. Ihr kennt vielleicht Carl Larssons großes Werk ›Mittwinteropfer‹, wo der König von Svea geopfert wird. Das Opferfleisch wurde gekocht und gegessen. Aus dem Blut der Opfertiere las man die Zukunft.«

»Wie ekelhaft! Aßen die Menschenfleisch? Ich hoffe, dass bei Dick Wallström keine wesentlichen Teile fehlen«, sagte Ek und runzelte die Stirn.

»Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Schilderung von Bischof Adams Ansichten über die Heiden beeinflusst ist«, gab Professor Höglund, immer noch ganz in die Welt des Mythos versunken, zu bedenken. »Es gibt keine Belege dafür, dass Menschenfleisch gegessen wurde, keinerlei Beweise, aber die Opfertiere wurden gekocht und gegessen. Bei richtigen Festessen und Feiern konnten auch Rededuelle ausgetragen werden, einfach zur Unterhaltung provozierte man sein Gegenüber mit Schamlosigkeiten. Die brauchten nicht wahr zu sein, nur grob genug, um den anderen zu verblüffen.«

Maria, die merkte, dass der Professor sich schon wieder vom eigentlichen Thema entfernte, wollte wissen, was man denn während der Wikingerzeit für Moralbegriffe und Lebensanschauungen gehabt hatte.

»Wenn der Mörder so viel vom Asen-Glauben angenommen hat, wie es bisher scheint, hat er sich vielleicht auch die Wertvorstellungen jener Zeit angeeignet.«

»Natürlich gab es Moral! Das Schlimmste, was ein Mensch tun konnte, war, seinen Eid zu brechen oder einen Meuchelmord zu begehen. Außerdem waren verwandtschaftliche Bande und Rache zentrale Begriffe. Wenn beispielsweise der Ehemann den Bruder seiner Frau tötete, war sie verpflichtet, das zu rächen, indem sie ihren Mann und die gemeinsamen Kinder tötete. Gaben und Gegengaben waren auch wichtig, man sammelte keine Schätze an, sondern schenkte alles, was man hatte, seinen Freunden. Außerdem glaubte man sehr stark an das Schicksal und fasste häufig Beschlüsse, indem man das Los warf. Die drei Schicksalsgöttinnen, die Nornen, spannen die Fäden des Lebens und verteilten das Schicksal an die Menschenkinder. Diebstahl war ein viel schwereres Verbrechen als der Mord an einem Fremden.«

»Der Mann war von einem Speer durchbohrt.« Erika nahm ein Foto der Waffe und zeigte es dem Professor, der in Entzücken ausbrach und die Brille auf die Nasenwurzel drückte, um besser sehen zu können.

»Seht ihr die Verzierung mit Silber- und Kupferdraht? Das ist einzigartig, phantastisch schön! Das könnte ein Speer aus dem achten Jahrhundert sein, der auf Valsgärde in Uppland gefunden und im November 1986 aus dem dortigen Landesmuseum gestohlen wurde. Es war im gleichen Jahr wie das Unglück in Tschernobyl. Wenn ich mich nicht täusche, so erinnere ich mich vage daran, dass kurz nach dem Diebstahl ein Mann in einem Gehölz nahe bei der Kirche in Gamla Uppsala erhängt wurde. Ein Mord! Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ein solcher Speer, wie Sie ihn hier auf dem Foto haben, im November 1986 aus dem Upplandsmuseum gestohlen wurde. Für das Museum, das die Ausstellung aus Stockholm ausgeliehen hatte, war es ein großer Verlust.«

»Dann lägen also neun Jahre zwischen den beiden Morden durch Erhängen. Neun war doch eine heilige Zahl?« Hartman sah den Professor fragend an. Der lächelte zustimmend.