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Bisher konnte Kommissar Bark noch jeden kniffligen Cold-Case-Fall lösen, doch diesmal ist es ein Rennen gegen die Zeit, ein tödliches!
1945: Zwei junge Männer steigen in eine Grube in Bergslagen, in der sie Silber vermuten – nur einer von ihnen wird je wieder das Tageslicht erblicken. Wieso musste Vilho sterben? Hat Tom seinen Freund erschlagen?
2021: Als Kristoffer Bark auf dem Weg zu einem Tatort bei den alten Silbergruben ist, erreicht ihn ein Notruf: Ein Mann ist in die Kita seiner Urenkel eingedrungen und bedroht Kinder und Erziehende mit einem Gewehr! Bark eilt sofort dorthin und kann den Täter überwältigen. Was ist in den 90-jährigen Tom Gruvberg gefahren? Cold-Case-Kommissar Bark hat es diesmal mit einem Fall zu tun, der jeden Moment neue Opfer fordern könnte ...
Lesen Sie auch die anderen Bände der spannenden »Kristoffer Bark«-Reihe von der schwedischen SPIEGEL-Bestsellerautorin Anna Jansson!
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Seitenzahl: 533
Veröffentlichungsjahr: 2025
1945: Zwei junge Männer steigen in eine Grube in Bergslagen, in der sie Silber vermuten – nur einer von ihnen wird je wieder das Tageslicht erblicken. Wieso musste Vilho sterben? Hat Tom seinen Freund erschlagen?
2021: Als Kristoffer Bark auf dem Weg zu einem Tatort bei den alten Silbergruben ist, erreicht ihn ein Notruf: Ein Mann ist in die Kita seiner Urenkel eingedrungen und bedroht Kinder und Erziehende mit einem Gewehr! Bark eilt sofort dorthin und kann den Täter überwältigen. Was ist in den 90-jährigen Tom Gruvberg gefahren? Cold-Case-Kommissar Bark hat es diesmal mit einem Fall zu tun, der jeden Moment neue Opfer fordern könnte …
Die Schwedin Anna Jansson gehört zu den erfolgreichsten Schriftsteller*innen ihres Landes. In mehr als zwanzig Jahren hat sie über 60 Bücher geschrieben; als gebürtige Gotländerin ist sie bekannt für ihre Krimireihe Maria Wern, Kripo Gotland. Allein in ihrem Heimatland haben sich Janssons Bücher über vier Millionen Mal verkauft, und sie werden in 17 Sprachen übersetzt. Auf Maria Wern folgte Kristoffer Bark, auch diese Reihe landete auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Mit Kommissar Bark hat sie einen neuen charismatischen sowie abgründigen Ermittler geschaffen, der im schwedischen Örebro Cold Cases löst. Hier lebt Jansson selbst und recherchiert an den malerischen Originalschauplätzen.
Leichenschilf · Witwenwald · Puppenblut · Mädchenfeuer
ANNA JANSSON
Ein Kommissar-Bark-Krimi
Deutsch von
Susanne Dahmann
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Må evigheten förlåta« bei Norstedts, Stockholm.
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Copyright der Originalausgabe © Anna Jansson 2023
by Agreement with Grand Agency
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025
by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich
Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Julie Hübner
Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign;
unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com
(Palsur; Lana Kray; Rik; MindestensM; Conny Sjostrom;
avelksndr; cat_arch_angel)
JS · Herstellung: DiMo · ChS
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN 978-3-641-32488-9V001
www.blanvalet.de
Mai 1945
Tom Gruvberg wusste, dass es eine riskante Sache war, ja geradezu lebensgefährlich, aber er hatte Vilho Björk versprochen mitzukommen. Sie würden sich klammheimlich in die aufgelassene Grube begeben, wo man in alten Zeiten Silber geschürft hatte.
Als sie losgingen, war es immer noch dunkel, und nachdem es die ganze Nacht über geschüttet hatte, regnete es jetzt nicht mehr. Tom trug eine Karbidlampe, die einen weißen Schein über dunkle Bäume und glitschige Wurzeln warf. Der Rucksack wog schwer von den Dynamitstangen, einigen Seilen und einem benzingetriebenen Bohrer, einem Cobra, den er heimlich aus der Eisengießerei mitgebracht hatte. Um die Löcher für das Dynamit zu bohren, wäre ein richtiger Kernbohrer besser gewesen, aber der war zu schwer für eine Wanderung in unwegsamem Gelände. Vilho ging hinter ihm, mit Vorschlaghammer und Hacke über der Schulter. Unterhalb ihres Wanderwegs breitete sich der Ormtjärnen, der Schlangenteich, aus, ein glitzerndes schwarzes Auge, das aussah, als würde es blinzeln, wenn Wolkenbänder den See im Mondlicht mal bedeckten und dann wieder offenbarten.
Die haben Ende des 18. Jahrhunderts nicht alles Silber abgebaut, was es hier gibt. Vilhos Worte aus ihrem Gespräch, in dem Tom sich hatte überreden lassen, hallten in ihm nach. Ein Mann aus dem Arbeitstrupp konnte den Grubenchef nicht leiden und sagte deshalb, da käme nur noch Gneis, obwohl sich die Silberader noch weiter in den Berg hinein erstreckte. Ein Geheimnis, das fortan vom Vater an den Sohn weitergegeben worden war, bis es bei Vilho ankam. Und jetzt hatte er Tom, seinen besten Freund, eingeweiht.
Vilho war ein Nachkomme der sogenannten Waldfinnen aus Savolax, denen man in Schweden Steuerfreiheit gewährte, damit sie im Gegenzug Waldgebiete urbar machten. Das geschah durch Brandrodung, und auf dem noch warmen, nährstoffreichen Ascheboden wurde dann Roggen gesät. Abgesehen von der Landwirtschaft arbeiteten die Waldfinnen später auch als Köhler und in den Gruben. Der erste finnische Siedler in der Gegend um Hällefors hieß Simon – er ließ sich am See Sången nieder. Die Silberader wurde 1634 von seinem Sohn Göran entdeckt, der die Sache eigentlich geheim halten wollte, dann aber im Suff versehentlich ausplauderte, was er da gefunden hatte.
Vilho blieb stehen, um Atem zu schöpfen.
»Es sollte eigentlich die Silbergruben heißen, denn es sind mehrere Einstiege, nicht nur einer«, sagte er und zeigte auf der Karte, wohin sie gehen sollten. Der kleine Ort, der am nächsten lag, hatte auch den Namen Silvergruvan, »Silbergrube«, erhalten. Vilho klang kurzatmig und musste manchmal stehen bleiben, um zu husten. Kürzlich erst war sein Vater an Tuberkulose gestorben, und wahrscheinlich trug sein Freund die Krankheit ebenfalls in sich. Er war siebzehn Jahre alt, Tom ein halbes Jahr jünger, und es war nur eine Frage der Zeit, wie lange Vilho seine Arbeit in der Granatenfabrik noch würde bewältigen können. Aber da nun der Frieden in Sichtweite war, würde dieser Industriezweig ja sowieso bald stillgelegt werden. Tom selbst arbeitete in der Eisengießerei unten in Hällefors. Viele Männer im arbeitsfähigen Alter waren einberufen worden. Wenn der Frieden kam, würden sie zurückkehren. Vilho hatte Angst, seine Arbeit zu verlieren, wenn es andere gab, die besser geeignet waren als er. Deshalb wollte er so verzweifelt in die Grube hinunter, um Silbererz zu finden, das abzubauen sich lohnen würde. Danach wollte er den Fund beim Bergmeister in Nora muten. Er hoffte, dass sein gespartes Geld sowohl für die Abbaugenehmigung als auch für die Reise dorthin reichen würde.
Sie wanderten weiter und sprachen leise über den Krieg und darüber, was der Frieden mit sich bringen würde.
»Man stelle sich vor, jetzt hat sich der Teufel das Leben genommen«, sagte Tom. Am Tag zuvor hatten sie in der Nerikes Allehanda gelesen, dass Adolf Hitler Selbstmord begangen hatte. Noch kurz zuvor war im deutschen Rundfunk behauptet worden, er sei auf seinem Befehlsposten gefallen. Das war also nicht die Wahrheit gewesen.
Vilho bekam einen neuen Hustenanfall.
»Kannst du begreifen, dass er sich 105 Tage in diesem Bunker versteckt hat? Seit dem 16. Januar hat er da gehockt. Stand ja in der Zeitung. Und der Bunker, in dem er sich erschossen hat, lag unter der Reichskanzlei und hatte wahnsinnig dicke Wände! Und was macht Hitler am Tag, bevor er ans Höllentor klopft? Er heiratet! Wenn ich noch einen Tag zu leben hätte, dann würde ich nicht heiraten, sondern mich sinnlos betrinken.«
»Muss man da wählen? Ich würde erst heiraten und mich dann sinnlos betrinken«, erwiderte Tom lachend.
Während sie liefen, redete Vilho die ganze Zeit von Hitlers Tod. Tom beschäftigte diese Neuigkeit nicht so sehr. Er wollte sich auf die Aufgabe vorbereiten, die vor ihnen lag.
»Woher weißt du, dass die Grube nicht mit Wasser gefüllt ist? Wahrscheinlich haben die Leute damals aufgegeben, weil es so schwer war, das Wasser wegzukriegen, als die Grube immer tiefer wurde.«
Vilho nahm seine Kappe ab und kratzte sich das kurze dunkle Haar. Seine braunen Augen leuchteten vor Eifer. »Es gibt so unheimlich viel, was du nicht weißt. Ich war hier schon mal mit Vater, ehe er krank wurde. Das Wasser steht höchstens einen Meter hoch. Aber stell dich drauf ein, dass es eiskalt ist.«
Sie gingen in die Richtung, in die Vilho gezeigt hatte. Der Wald öffnete sich, und er blieb stehen, nahm wieder die Kappe ab und fächelte sich Luft zu, während er nach Atem rang. »Dahinten ist es«, erklärte er, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Kurz darauf standen sie vor einem Haufen tauben Gesteins, aus dem scharfe, mit Moos und vergilbtem Gras bedeckte Steine ragten. Ein kleines Stück davon entfernt entdeckten sie den Einstieg zur Grube, einen fast zugewucherten Gang direkt ins Granitgestein. Nachdem sie ein Stück in den Berg hineingegangen waren, kamen sie zu einem lotrechten Schacht direkt in die Unterwelt. Tom trat mit der Lampe näher. Zu Beginn war das Grubenloch abgerundet, was darauf hindeutete, dass es nicht aufgesprengt worden war. Stattdessen hatte man Feuer im Fels gemacht und das Gestein dann Stück für Stück abgeschlagen, was eine sanft geschwungene Bergwand ergeben hatte. Eine Leiterkonstruktion führte nach unten. Wie zuverlässig konnte die Leiter nach all der Zeit wohl noch sein, und wie tief war es bis zum Boden der Grube? Ein durchdringender und unbestimmbarer Gestank schlug ihnen entgegen – wie der Atem des Todes selbst.
»Vater ist hier runtergeklettert«, erklärte Vilho aufgeregt. »Es ist nicht so gefährlich, wie es aussieht. Meine Vorfahren haben das beste Seil verwendet, und das Dach hat die Grube immer gegen Regen und Schnee geschützt. Ich habe keine Angst. Ich kann zuerst hinunterklettern, dann fierst du den Vorschlaghammer und den Rucksack runter und kommst hinterher.«
Plötzlich war Tom übel vor Angst. Seit dem Haferbrei am Abend zuvor hatte er nichts gegessen. Das Ziehen im Bauch konnte Hunger sein. Oder Angst. Um nicht feige zu wirken, nickte er bloß. Würde er jetzt sterben? Er dachte an Ester, mit der er sich – wie in jeder Woche davor auch – am Samstag auf der Tanzdiele getroffen hatte.
Früher war man mit einem von Schlachter-Erik und seinem Schwager an einem Seil gezogenen Floß umsonst über den Svartälven zum Krokbornspark gekommen, aber jetzt, nachdem das Militär eine Brücke gebaut hatte, kostete es fünf Öre, hinüberzukommen. Tom hatte keine fünf Öre übrig gehabt – er musste ja noch die Eintrittskarten zum Tanz kaufen –, also war er hinübergeschwommen und hatte sein Kleiderbündel auf einer Rettungsboje hinter sich her gezogen. Und Ester war da gewesen, wie sie es versprochen hatte. So schön in einem geblümten Kleid, das über ihrer Brust und der schmalen Taille aufregend eng anlag. Wenn sie ging, tanzte das lange dunkle Haar auf ihrem Rücken. Nach vielen Küssen und heftigen Umarmungen, die seine Hose spannen und seinen Verstand schwinden ließen, hatten sie sich von den anderen entfernt und sich ein eigenes Nest in einem grünen Busch gesucht. Da war sie sein gewesen, hatte sich ihm voll und ganz und ohne Scheu hingegeben. Von diesem Moment erfüllt, hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Und sie hatte Ja gesagt, als würde sie es auch wirklich meinen, ohne zu kokettieren oder um Bedenkzeit zu bitten.
Jeden Augenblick, an dem Tom nicht gezwungen war, an anderes zu denken, dachte er an sie. Auch jetzt, als er in das finstere Loch der Grube starrte, dachte er an Ester. Sie war so schön, vielleicht manchmal ein wenig traurig, aber wenn sie lachte, wurde alles um sie herum licht. Sie war erst kürzlich von Stockholm in die Gegend gezogen und wohnte nun bei ihrer Großmutter namens Rakel in der Nähe vom Ormtjärnen und arbeitete auf dem Gutshof. Mehr wusste er nicht. Auf dem Weg zur Grube hatte er Vilho anvertraut, dass er rettungslos verliebt war. Damit Vilho begriff, wie ernst es ihm war, hatte Tom von dem Heiratsantrag erzählt und davon, dass Ester seine Ehefrau werden sollte. Er hatte gedacht, dass Vilho ihn auslachen und sagen würde, dass sie zu jung seien, aber der Freund war mit einem Mal todernst gewesen. Wie Peitschenschläge waren die Worte gekommen: »Halt dich von Ester fern, Tom. Sie ist nichts für dich«, hatte Vilho gesagt.
Tom hatte ihn gefragt, was er damit meine, doch der Freund hatte nicht geantwortet. Das Unausgesprochene stand scharf wie Granatsplitter zwischen ihnen, und jetzt, am Rand der Grube, kam Tom der Gedanke, dass sein bester Freund vielleicht auch in Ester verliebt sein könnte.
Vilho hatte begonnen, die Leiter hinunterzuklettern. Tom beugte sich mit der Lampe vor, um zu sehen, wie weit er gekommen war. Wie eine fette Spinne in einem Netz aus braunem Seil bewegte sich ein graues Wesen in dem komplett schwarzen Loch nach unten. Es war, als würden Vilhos keuchende Atemzüge aus dem Reich des Todes widerhallen. Plötzlich brach eine Stufe, und Vilho blieb nur noch an den Armen hängen. Tom durchfuhr ein Schreck, und er schwankte, als würde er selbst das Gleichgewicht verlieren. Wie sollte er Vilho denn wieder heraufholen, wenn der sich ernsthaft verletzte? Niemand wusste, dass sie hier waren. Doch schon bald konnte er aufatmen. Vilho war außerordentlich stark und schwang sich weiter in die Dunkelheit hinunter.
Toms Großmutter hatte erzählt, dass sie die Erzloren früher mit einer Pferdewinde oder mit Tretmühlen, in denen erwachsene Menschen wie in einem Hamsterrad laufen mussten, hochgefiert hatten.
»Verdaaammt, ist das Wasser kalt! Beeil dich, den Rucksack runterzubringen!« Ein neuerlicher Fluch von Vilho hallte aus der Tiefe des Berges, während Tom den Rucksack hinunterließ. »Hier unten liegt ein stinkender toter Fuchs, ich bin grad auf den Kadaver getreten. Jetzt komm endlich runter!«
»Bin schon auf dem Weg!«
Vilho war klein und besaß kräftige Muskeln im Gegensatz zu Tom, der lang und schmal war und mit Schwindel kämpfte. Das wurde auch nicht besser davon, dass Vilho ihn antrieb. Sie mussten Löcher für das Dynamit in den Fels bohren, und der Weg runter war ein schwankender Albtraum, aber irgendwann erreichte auch Tom den Boden, und sie bewegten sich in den Gang hinein.
»Hier haben sie früher schon mal gesprengt«, erklärte Vilho. »Hoffen wir mal, dass wir nicht auf einen Blindgänger treffen.« Seine angespannte Miene wirkte ernst.
»Einen Blindgänger?« Tom war nicht sicher, was Vilho damit meinte.
»Es kann von der Zeit, als die das letzte Mal hier unten waren, noch Dynamit im Felsen sitzen, Ladungen, die nicht losgegangen sind. Wenn wir falsch bohren …« Er machte eine explosive Geste mit den Armen. »Aber jetzt sind wir hier. Kannst du mal leuchten, damit ich was sehe?«
Vilho zeigte auf die Stellen, wo sie die Löcher für das Dynamit bohren würden.
Mit zitternden Händen holte Tom den Bohrer heraus. Er redete nervös weiter, um die gefährliche Situation hinauszuzögern.
»Von den alten Bohrern konnte man Stahlsplitter in die Augen kriegen«, sagte er. »Mein Großvater ist davon auf einem Auge blind geworden. Und als es die Grubenmägde noch gab und man eine Bohrleier benutzte, da war es oft die Aufgabe der Frauen, den Bohrer zu drehen, während die Männer mit dem Hammer schlugen. Die kriegten für ihre Arbeit genauso viel Geld wie die Männer. Aber Anfang des 20. Jahrhunderts hat man den Frauen dann verboten, in der Grube zu arbeiten. Es gab viele, denen die Hände so zitterten, dass sie sich nicht mehr länger versorgen konnten.«
Toms Ururgroßmutter war Grubenmagd gewesen und hatte an der einen Hand die Finger verloren. Der Mann, der den Vorschlaghammer bedient hatte, heiratete sie aus bloßem Schuldgefühl. Die Arme konnte sich schließlich nicht mehr ernähren, nicht ohne Finger. Tom schauderte es bei dem Gedanken, wie es wohl sein musste, mit jemandem zu leben, den man so schwer verletzt hatte, also aus Schuld und nicht aus Liebe zusammenzuleben.
»Worauf wartest du noch?«, schimpfte Vilho. »Es ist kalt wie Teufel, und du redest nur von irgendwelchem alten Zeug.«
»Ich bin ja schon still«, sagte Tom und warf den Benzinmotor an. Er setzte den Bohrer auf den Fels und begann zu arbeiten.
Als die Löcher für das Dynamit tief genug waren, hatte er schon lange kein Gefühl mehr in den Füßen. Sie waren nicht geübt, und der Bohrer hatte sich mehrmals im Fels festgefressen. Stunden hatte es gedauert. Jetzt waren sie erleichtert, es geschafft zu haben, ohne in die Luft geflogen zu sein.
»Sind die Lunten noch trocken?«, fragte Vilho und lächelte ihn an, sodass man seine krummen weißen Zähne sah. Natürlich hatte auch er Angst gehabt, es aber nicht zeigen wollen.
Tom erwiderte das Lächeln. Es war befreiend, endlich in die Morgendämmerung hinaufklettern zu können, deren Licht durch das Gestrüpp vor der Einmündung der Grube sickerte. Es war fast vollkommen still, bis auf die Laute eines Birkhuhns, die der Wind herantrug. Aus der Ferne war das gluckernde Rollen zu hören, das manchmal in Schreie überging, wenn die Hähne miteinander kämpften, um den Hühnern unten auf dem Moos zu imponieren.
Vilho zündete die Lunte an, und sie brachten sich eilig in Sicherheit. Dann warteten sie auf den Knall – der nicht kam.
»Teufel noch mal!«, rief Vilho schließlich und ging mit entschlossenen Schritten auf das Grubenloch zu. »Wir müssen runter und nachsehen, was schiefgegangen ist. Du bist doch wohl nicht feige, oder? Vielleicht ist die Lunte ins Wasser gerutscht und ausgegangen. Oder sie ist abgefallen.«
Vilho kletterte hinunter, und Tom folgte ihm langsam. Als feige wollte er sich nicht bezeichnen lassen, aber trotzdem war ihm übel vor Angst. Er hatte gesehen, was Dynamit mit einem Körper machen konnte. Das hier war ernst. Nichtsdestotrotz folgte er Vilho gehorsam Schritt für Schritt mit der Lampe in der Hand in die Dunkelheit.
Gerade als Vilho auf dem Boden des Schachts angekommen war, kam der Knall. Es dröhnte in der Felsenhalle. Das Krachen und die Erschütterungen im Gestein vibrierten durch seinen Körper, und Tom fiel hilflos von der Leiter ins Wasser, die Lampe hielt er immer noch krampfhaft umklammert. Er hörte Steine herunterrutschen und ins Wasser auf den Grund der Grube plumpsen, und dann wurde es still. So schrecklich still. Er lag im eiskalten Wasser und starrte zu dem grauen Licht hinauf. Die Lampe war erloschen. »Vilho, wo bist du? Lebst du noch?«
Von seinem Kameraden war ein schwaches Jammern zu hören. Er lebte. Tom kroch näher. Seine Ohren waren fast taub, deshalb hörte er das Geräusch nur gedämpft. Er fasste sich ans linke Ohr, das wehtat, und spürte da etwas Warmes und Feuchtes, vielleicht Blut. Die linke Hand pochte von einem immer stärker werdenden Schmerz, und als er sie mit der rechten Hand abtastete, merkte er zu seinem Entsetzen, dass da Finger fehlten. Müsste das nicht eigentlich mehr wehtun? Wahrscheinlich würde der Schmerz später kommen, ihn mit Macht überspülen, so wie wenn man sich den kleinen Zeh an einer scharfen Ecke stößt. Nur schlimmer. Tom tastete sich mit der unverletzten Hand an der rauen Steinwand entlang. Dann fuhr er mit den Fingern durchs Wasser und bekam den Kadaver des Fuchses zu fassen, den er mit einem Schrei losließ. Schließlich spürte er etwas, das Vilhos Bein sein musste. Es war unter den Felsmassen eingeklemmt. Tastend arbeitete sich Tom zu seinem Kopf hinauf.
»Vilho!«
Vilhos Stimme war nur ein Krächzen.
»Ich werde hier unten sterben. Ich sitze fest, und alles Blut läuft aus mir heraus.« Die Worte kamen stoßweise. »Hilf meiner Mutter und meinen Geschwistern, wenn du kannst. Mein Onkel wird für sie sorgen und mein Vetter Matti. Aber tu für sie, was du kannst.«
»Du wirst nicht sterben! Ich werde Hilfe rufen!«
»Die kommt zu spät. Hör mir zu, Tom! Mir wird schon schwarz vor Augen, ich habe also nicht mehr viel Zeit, und es gibt noch etwas, das du erfahren musst. Aus irgendeinem Grund habe ich mich gescheut, es dir zu erzählen. Weil es so schwerwiegend ist.« Vilhos Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern und kaum zu vernehmen. Aber als Tom dann begriff, was sein Freund da sagte, waren Vilhos Worte von unfassbarer Macht und verletzten Tom mehr als die eben detonierte Sprengladung.
»Das ist nicht wahr«, widersprach Tom, als er genug gehört hatte, um zu verstehen, was das bedeutete. Er wollte es nicht an sich heranlassen.
»Es ist wahr. Gott ist mein Zeuge. Es war kein Bär, der deinen Vater zerrissen hat. Es war eine Strafe für das Böse, das er getan hat.«
»Aber hast du irgendjemandem sonst davon erzählt?«, fragte Tom entsetzt.
»Wenn ich überlebe, muss ich es dem Pfarrer sagen! Ich kann nicht mehr schweigen. Die Wahrheit über deinen Vater und alles, was er getan hat, muss ans Tageslicht!«
Völlig außer sich griff Tom nach einem großen Stein und schlug ihn dem Kameraden auf den Kopf. Erst das Geräusch von Stein auf Knochen und der platschende Laut von Weichteilen ließen ihn erkennen, was er getan hatte. Aber er schlug trotzdem weiter zu, bis kein Zweifel mehr bestand, dass Vilho tot war.
Dann setzte sich Tom in das eiskalte Wasser und weinte um seinen besten Freund. Er weinte vor Verzweiflung und Angst und Ekel. Er hatte keinen anderen Ausweg gesehen – was ihn dennoch zum Mörder machte. Er musste hier weg, musste vergessen, was geschehen war. Sonst war es aus mit ihm.
Erst als er sich mit großer Mühe hinauf ins Licht der Morgendämmerung gearbeitet hatte und deutlich sah, dass an seiner linken Hand drei Finger fehlten, fiel er vor Schmerzen in Ohnmacht.
Kristoffer Bark erwachte vor dem Klingeln des Weckers. Er kochte sich einen Kaffee und beschloss dann, sich auf den kühlen Balkon zu setzen. Die Herbstfarben hatten sich allmählich in die Baumkronen um den Spielplatz geschlichen. Er blickte über den kleinen Hügel und den Streifen mit Wiesenblumen, der als ein Restaurant für Bienen und Schmetterlinge angelegt worden war. Hier im Park hatte er mit seiner Tochter gespielt. Da waren Ella und er noch verheiratet und wohnten in einer Vierzimmerwohnung in derselben Gegend. Er konnte Vera immer noch hören, wie sie auf der Schaukel fröhlich kreischte. Sie hatte so viel Lachen und Lebensfreude in sich gehabt, als sie klein war. Obwohl sie jetzt schon fünf Jahre nicht mehr lebte, war sie doch immer an seiner Seite.
Im Bus in die Stadt bekam Bark einen Anruf von Regina Zimmermann, der Polizeichefin der Region. Er sollte sich um neun Uhr in ihrem Büro einfinden. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn man zur Chefin gerufen wurde. Seit einiger Zeit war Bark für ein Team versetzter Kolleginnen und Kollegen verantwortlich. Gemeinsam sollten sie alte ungelöste Fälle bearbeiten, und dafür hatten sie das Turmzimmer bekommen, einen entlegenen Ort in sicherem Abstand zum ereignisreichen Zentrum der Polizeizentrale. Bark war sogar bereit gewesen, sein Gehalt zu reduzieren, wenn ihm die Führungsverantwortung in einem Team erspart geblieben wäre, aber Zimmermann hatte in der Sache nicht mit sich verhandeln lassen. Jetzt, da das Team gut etabliert war, machte er sich große Sorgen, dass es wegrationalisiert werden würde. Immerhin hatten sie gemeinsam, trotz persönlicher Defizite und Benachteiligungen, recht anständige Ergebnisse erzielt.
Weil der Fahrstuhl immer viel zu langsam war, nahm Bark die Treppe hinauf zum Turmzimmer. Der Raum lag wie ein Kubus über dem Gerichtszentrum. Er hatte große Fenster in drei Himmelsrichtungen und Glasscheiben zum Flur, dazu eine Teeküche. Gegenüber der Küche hatte Ingrid ihre Abseite. Sie arbeitete am besten, wenn man sie nicht störte.
Ingrid und Alex waren schon da, Henrik jedoch hatte mitgeteilt, dass er zu Hause bleiben musste, weil sein Kleinster krank war.
»Um es mit Henriks eigenen Worten zu sagen: Ein Teufelsding mit Fieber, grünem Rotz und schleimigem Husten«, erklärte Alex und warf seinen langen schwarzen Pony herum, sodass seine intensiv dunkelblauen Augen kurz sichtbar waren.
»Danke, das genügt«, beeilte sich Bark zu sagen, um einer ausführlicheren Beschreibung vorzubeugen. Von der vorangegangenen Ermittlung war noch eine Menge administrativer Arbeit zu erledigen. Er erkundigte sich danach, und es schien alles zu laufen. Als Bark aufstand, um zu seiner Besprechung zu gehen, hielt Ingrid ihn mit einer Geste auf.
»Hat jemand mein Handy gesehen? Ich habe versucht es anzurufen, aber das Klingeln ist nicht zu hören.«
»Hast du die Suchfunktion eingeschaltet?«, fragte Alex.
»Bin irgendwie nicht dazu gekommen«, erwiderte Ingrid verärgert.
»Wann hattest du das Handy denn zuletzt?«, erkundigte sich Bark.
»Heute Morgen. Da hat mich eine Frau angerufen, die was verkaufen wollte, obwohl ich ihnen vorher schon verboten hatte, meine Kontaktdaten zu speichern. Ich hab ihr gesagt, dass ich solche Gespräche immer aufnehme, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung besser nachvollziehen zu können.« Ingrid verdrehte die Augen. »Aber die Frau, die da angerufen hat, meinte, sie würde nichts verkaufen, was verordnet werden müsste.« Sie lachte laut.
Als Bark um neun Uhr hinunter zum Büro seiner Chefin kam, stand Zimmermanns Tür schon offen. Das Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, suchte sie zwischen irgendwelchen Papieren herum, um dann ihre übliche Wanderung durchs Zimmer zu beginnen. Die Absätze der hochhackigen Schuhe knallten aufs Parkett, während sie in regelmäßigen Abständen zustimmend brummte. Regina Zimmermann war knapp sechzig, hatte aber die Figur eines Teenagers, die langen kreideweißen Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Wie gewöhnlich trug sie ein maßgeschneidertes marineblaues Kostüm und war diskret geschminkt.
Jetzt winkte sie ihn herein und legte einen Zeigefinger auf den Mund, um ihm zu signalisieren, dass er still sein sollte.
Bark nickte, dass er verstanden hatte, und ließ sich im Besucherstuhl nieder. Es war deutlich zu hören, dass Zimmermann mit Gaby Wide sprach, der Staatsanwältin, der Bark unter dramatischen Umständen bei der Geburt ihres Kindes im Auto direkt vor dem Eingang zum Kreißsaal des Bezirkskrankenhauses geholfen hatte. Die Staatsanwältin war nach einer sehr kurzen Elternzeit mit der kleinen Ruth inzwischen wieder zurück im Job.
Gaby sprach mit lauter Stimme, und Bark konnte jedes einzelne Wort verstehen. Es ging um jemanden von der Polizei, der oder die beim Stehlen im Umkleideraum ertappt worden war. Gaby selbst waren der Geldbeutel und ein Paar schweineteure Sportschuhe geklaut worden, irgendwem anders systematisch sämtliche Lunchdosen.
»Okay, ich kümmere mich heute Nachmittag darum«, sagte Zimmermann und beendete das Gespräch. Sie sah Bark mit leicht verwirrtem Blick an, als würde sie erst nicht richtig begreifen, was er in ihrem Büro zu suchen hatte. Dann wurde ihre Miene wieder klar.
»Es geht um eine Mordermittlung. Kannst du nach Hällefors fahren? Eine Beerensammlerin hat in einem Moorgebiet einen toten Säugling gefunden. Der Fundort ist bereits abgesperrt, und ein Kriminaltechniker ist schon da. Ich will, dass du den Fall mit deinem Team übernimmst. Im Moment kann ich keine weiteren Ressourcen auf die Sache verwenden, ehe wir nicht wissen, worum es dabei geht. Staatsanwältin für die Voruntersuchung wird Gaby Wide.« Zimmermann machte eine Pause. »Ich habe dich hierhergebeten, damit wir gemeinsam besprechen, ob du mit deinen momentanen Ressourcen eine Mordermittlung bewältigen kannst.«
»Das haben wir doch in der Vergangenheit bereits mehrfach getan. Gab es Klagen? Henrik hat zwar fünf Kinder und ist ihretwegen etwa fünfzig Prozent abwesend. Aber wenn er da ist, macht er ausgezeichnete Ermittlerarbeit. Alex hat Probleme mit seiner Impulskontrolle, deshalb kann man ihn in gefährlichen Situationen nicht gebrauchen. Er denkt aber schnell, und ich werde ihn noch eine Weile als Chauffeur benötigen. Und dann haben wir noch Ingrid, die kürzlich einen schweren psychischen Zusammenbruch erlitten hat. Sie verweigert eine Krankschreibung. Ich weiß, dass sie als Ermittlerin ein echter Gewinn ist. Sie ist ein Phänomen darin, in Registern und alten Archiven Sachen zu finden, und was sie da nicht findet, erfährt sie über die Bekannten von Bekannten.«
»Müsste Ingrid nicht bald in Rente gehen?« Das war wohl eher Wunschdenken, denn Zimmermann und Ingrid hatten in der Vergangenheit ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt.
»Ich glaube nicht, dass sie das vorhat.« Bark holte tief Luft und fuhr fort: »Und dann hatten wir noch Sara, die, wie du weißt, nicht länger unter uns weilt.« Bark spürte einen Kloß im Hals und beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Du hast gesagt, es gehe um eine Mordermittlung. Ich bräuchte einen weiteren Ermittler und hätte gern Mia Berger als Verstärkung«, sagte er ganz direkt. Einen Versuch war es wert, sie aus Stockholm zurückzuholen, wohin sie vorübergehend versetzt worden war. Er hoffte, dass man ihm nicht ansah, wie wahnsinnig schön er das finden würde. Mia war seine Therapeutin gewesen, und er hatte sich ebenso unpassend wie unsterblich in sie verliebt.
Zimmermann lachte, aber nicht gehässig, sondern um zu zeigen, wie hoffnungslos sein Begehren war. »Das kommt nicht infrage, jedenfalls nicht in dieser Phase der Ermittlung. Wenn du dir vor Ort ein Bild gemacht hast, dann reden wir zusammen mit Gaby noch einmal neu über den Fall. Wir wissen ja noch gar nicht, ob es sich überhaupt um Mord handelt. Und noch weniger haben wir einen Täter, zu dem wir einen Profiler gebrauchen könnten – was ja Mias Spezialgebiet ist.«
»Mia Berger ist zwar Zivilangestellte, aber trotzdem eine ausgezeichnete Ermittlerin und Vernehmungsleiterin.« Bark kannte Zimmermanns Meinung über Zivilangestellte.
»Das ist mir bewusst, aber momentan wird ihre Kompetenz in Stockholm dringender benötigt.«
Dem gab es nichts mehr hinzuzufügen. Bark würde sich nach Hällefors begeben. Aufgrund einer ungewöhnlichen Form von Epilepsie, die kürzlich bei ihm diagnostiziert worden war, war er vorübergehend mit einem Fahrverbot belegt worden. Er würde im Turmzimmer nachfragen, ob jemand Lust auf einen Ausflug hatte. Alex liebte solche Unterbrechungen der administrativen Arbeit in der Regel sehr.
Alex saß mit krummem Rücken vor dem Computer, starrte auf den Bildschirm, seufzte tief und vollführte mit dem Stuhl eine halbe Drehung. Er sah immer so aus, als würde es ihm im ganzen Leib kribbeln von all dem formalen Kram, und es fiel ihm sichtlich schwer, Aufgaben zu Ende zu bringen, die ihn langweilten.
»Du musst mich nach Hällefors fahren«, erklärte Bark. »Eine Beerenpflückerin hat heute früh einen Säugling in einem Gebiet gefunden, das, warum auch immer, Tyskmossen heißt, ›das Deutschmoor‹. Das tote Baby war nur einen knappen Monat alt.«
»Wie schrecklich«, sagte Ingrid. »Ist es gerade passiert?«
»Mehr weiß ich noch nicht. Ein Techniker ist schon vor Ort, und ein Streifenwagen von Karlskoga ist unterwegs. Wir sollen die Beerenpflückerin vernehmen.«
»Haben die in Hällefors denn keine eigenen Polizisten?«, fragte Alex, während er sich aus seinem Computer ausloggte.
»Doch«, entgegnete Ingrid und tickerte schnell auf ihrem Laptop. »Normalerweise hat die dortige Polizeistation montags und donnerstags von neun bis fünfzehn Uhr geöffnet, aber wegen Krankheit hat man das Revier heute nicht besetzen können. Die Polizei in Karlskoga springt für die Kollegen ein.«
Alex warf den schwarzen Haarschopf wieder herum. Seine Augen leuchteten. »Okay, dann sollte man also weder am Montag noch am Donnerstag einen Anschlag auf den Geldautomaten planen. Ich habe von einem Freund gehört, dass irgendjemand den vor ein paar Jahren in die Luft gejagt hat.«
Ingrid schob die Lesebrille in das graue Haar, das ihr bis zur Taille reichte, und rückte ihre grün gebatikte Tunika zurecht. »Das ist lange her. Aber in der Region ist schon eine ganze Menge explodiert. Offenbar ist es da oben leicht, an Dynamit zu kommen, und das ist zu einem selbstverständlichen Mittel der Konfliktbewältigung geworden«, erklärte sie trocken. »In den Siebzigerjahren hat man Hällefors ›das kleine Chicago‹ genannt. Zu der Zeit ist die Tür zum Polizeirevier mehrmals mit Dynamit in die Luft gesprengt worden. Womöglich war es jemand von auswärts, der nicht begriffen hat, dass die Bank eine Treppe tiefer lag. Oder jemand, der eine Rechnung mit der Polizei offen hatte. Einmal haben Hooligans einen toten Elch vor die Tür des Reviers gelegt. Sie hatten vom Pferdekopf in Der Pate gehört und wollten das übertrumpfen. Heute sind die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Polizei respektvoll und gut. Aber unter Umständen kann es immer noch schwierig sein, Zeugen in Hällefors zum Reden zu bringen. Mach dich darauf gefasst, Bark!«
Der wurde langsam unruhig und ging schon mal zur Tür, während Alex noch seine Sachen zusammensuchte. »Ja, aber die Gerüchte sind übertrieben. Ich glaube, es gibt tatsächlich nur für zwei Sprengungen der Tür des Polizeireviers Belege, einmal mit einer Handgranate und ein zweites Mal mit ungewöhnlich viel Dynamit«, ergänzte Bark.
Doch Ingrid hatte noch mehr hinzuzufügen. »Und ich weiß zufällig noch, dass die Polizei vor ein paar Jahren einen Tag der offenen Tür hatte. Bei der Gelegenheit sind aus der Asservatenkammer eine meterhohe Cannabis-Pflanze und ein paar Haschpfeifen gestohlen worden.«
Das erstaunte Bark wenig. »Kürzlich habe ich in der Zeitung gelesen, dass jemand in seinem Gewächshaus Cannabis gezüchtet und dann behauptet hat, die Hühner seien schuld. In deren Futter wären schließlich Hanfsamen.«
»Und wie ging das aus?«
»Darüber reden wir ein andermal.« Bark hatte es eilig loszukommen, auch wenn sich schon Polizeikollegen vor Ort befanden. Vielleicht gab es Zeugen. Ein Säugling konnte nicht einfach so verschwinden oder sich aus eigener Kraft ins Moor begeben. Jemand musste das Kind getötet oder es zum Sterben zurückgelassen haben.
Alex war während der achtzig Kilometer langen Fahrt nach Hällefors ungewöhnlich schweigsam. Eigentlich passte es Bark ganz gut, seine Gedanken sammeln zu können, aber er hatte doch das Gefühl, nachfragen zu wollen, ob den jungen Kollegen etwas bedrückte.
Alex nahm den Blick für einen kurzen Moment von der Straße. »Ich mache mir Sorgen um meine Mutter.«
Bark verspürte ein Ziehen im Bauch. Alex, ursprünglich als Polizeianwärter ins Team gekommen, war Mia Bergers Sohn. Davon hatte Bark zuerst allerdings keine Ahnung gehabt. Alex seinerseits hatte bisher bestenfalls noch nicht gemerkt, dass Bark Gefühle für seine Mutter hegte. Hoffentlich spürte er jetzt nicht, wie ihn seine Worte berührten. »Ich habe gehört, Mia ist in Stockholm. Ist denn etwas passiert?«
Mia hatte ihm erzählt, dass sie früher eine toxische Beziehung zu einem Mann gehabt hatte, der jetzt im Gefängnis saß. Ging es um jenen Verrückten? Alex’ Kindheit mit dem Stiefvater war die reine Hölle gewesen, so viel hatte Bark schon begriffen. Laut Mia war der Mann ein Vollblutpsychopath. Sie hatte über mehrere Jahre hinweg versucht, sich von ihm frei zu machen. Nach der Gerichtsverhandlung dann hatten Mia und Alex ihre Namen geändert und waren untergetaucht. Sie war die Frau ohne Vergangenheit. Auch Alex hatte nichts von sich selbst erzählen dürfen – so viel Macht besaß der Mann immer noch über ihrer beider Leben, obwohl er im Gefängnis saß.
»Meine Mutter wollte nicht nach Stockholm. Ich kann nicht sagen, warum, aber dort ist natürlich die Gefahr größer, dass sie erkannt werden könnte. Und es ist eine ziemlich unerklärliche Sache passiert …« Alex fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar, während er abzuwägen schien, wie viel er sagen durfte.
Bark versuchte, es ihm leichter zu machen. »Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich würde alles tun, was in meiner Macht steht, um euch zu helfen, falls etwas passiert.«
»Genau dem will meine Mutter niemanden aussetzen. Mein Stiefvater ist gefährlich. Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, zu was der imstande ist! Deshalb lebt Mama auch allein.«
»Wenn es okay für dich ist, kannst du mir gerne erzählen, was passiert ist.«
Alex’ Hände auf dem Steuer fingen an zu zittern, er fuhr rechts ran und stoppte den Wagen. »Ich weiß nicht, ob …«
Bark wurde klar, dass es richtig schlimm war. »Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich trage nichts weiter.«
Offenbar hatte Alex beschlossen zu sagen, wie es war, denn er fing an zu erzählen. »Meine Mutter hat gesagt, sie hätte den Kerl gesehen. Ich hab ihr gesagt, dass das nicht sein kann, aber sie ist sich ganz sicher. Am Stockholmer Hauptbahnhof. Er kam aus der U-Bahn und sie von der Regionalbahn. Er hat im Buchladen Taschenbücher angeschaut. Sie ist ganz sicher, dass er es war.«
»Hat er sie gesehen?« Bark verspürte einen Schlag in die Magengrube. Mia durfte nichts zustoßen. Er musste alles erfahren. Und ihr helfen, wenn sie in Gefahr war.
»Ja, er hat ihr ins Gesicht gesehen und sein widerliches Grinsen draufgehabt. Aber sie glaubt nicht, dass er ihr gefolgt ist. Sowie meine Mutter ins Hotel kam, hat sie den Anwalt angerufen, der sie vor Gericht vertreten hat, und der hat sich im Gefängnis erkundigt.« Alex schüttelte den Kopf. »Aber der Satanspsychopath war die ganze Zeit im Gefängnis und auch nicht auf Freigang oder so draußen gewesen. Total fucking unbegreiflich, denn Mama war absolut sicher. Sie traut sich nicht, weiter in Stockholm zu bleiben, und will jetzt zurückkommen. Es ist zu unsicher, den Zug oder den Bus zu nehmen. Ich werde morgen rauffahren und sie nach Hause holen. Sie hat gesagt, falls der Wahnsinnige sie überwacht, darf ich nicht mit meinem eigenen Auto kommen. Also fahre ich mit einem Leihwagen.«
Bark wollte eben anbieten zu fahren, als ihm klar wurde, dass er nicht ans Steuer durfte, solange die Epilepsie nicht unter Kontrolle war.
Bis sie in Hällefors waren, sprachen sie weiter über Mias Sicherheit. Alex hatte Angst, dass Mia verrückt werden könnte, da sie am helllichten Tag Gespenster aus der Vergangenheit sah. »Du kannst dir nicht vorstellen, was sie und ich durchgemacht haben. Ich würde es dir gern erzählen, aber es geht nicht. Zu gefährlich.«
Bark wünschte wirklich, dass Mia sich ihm anvertrauen würde, aber das konnte er Alex natürlich nicht sagen.
Die Ebene der Provinz Närke war während der Fahrt in eine bergige Waldlandschaft mit Seen übergegangen. Nördlich von Hällefors nahmen sie die Straße nach Svartälven, bogen dann nach Jordbro ab und dann links Richtung Tyskmossen, wie die Gegend genannt wurde. Ungefähr einen Kilometer vor dem kleinen Ort Silvergruvan wartete der Chef der Kriminaltechnik Ali Kathami auf sie. Schon von Weitem sahen sie die Absperrung, den Technikerbus und das hellblaue Modell eines VW, das gut und gerne als Oldtimer bezeichnet werden konnte.
Ali kam auf sie zu, als sie aus dem Auto stiegen. »Es ist noch zu früh, als dass ich schon etwas sagen könnte. Es ist ein Säugling, ungefähr einen Monat alt. Die alte Dame, die das Kind gefunden hat, ist sehr erschüttert, seid also vorsichtig mit ihr.«
Bark nickte. Die Frau stieg gerade aus dem Technikerbus. Sie trug Mantel, Mütze und Handschuhe und hatte eine Dose Red Bull in der Hand, mit der sie der Techniker Rödeby wahrscheinlich in Ermangelung von Kaffee versorgt hatte. Bark ging ihr entgegen und schlug vor, dass sie sich auf den Rücksitz des Streifenwagens setzen sollten, sodass er sie befragen konnte.
Er schaltete das Aufnahmegerät ein. Berit Nilssons Personennummer verriet, dass sie schon über achtzig Jahre alt war. Sie sah zehn Jahre jünger aus und wirkte noch sehr beweglich. »Das ist so schrecklich! Ein kleines Kind. Wer macht denn etwas so Furchtbares?« Berit Nilsson schauderte es, und Bark legte ihr eine Decke über die Knie. »Ich bin so dankbar, dass die Leute mich erst nach Hause gefahren haben, damit ich mir etwas Trockenes anziehen konnte. Normalerweise gehe ich nie alleine ins Moor. Wenn keine Freundin mitgeht, dann halte ich mich immer an die Planken, die ausgelegt worden sind, damit man trockenen Fußes darübergehen kann und nicht einsinkt. Aber die Multbeeren waren einfach so schön. Dumme Alte, die ich bin, konnte ich mich nicht beherrschen. Erst als ich mit den Füßen im eiskalten Wasser einsank, habe ich gemerkt, wie weit ich schon draußen war.«
»Frieren Sie denn noch?«, fragte Bark. »Wir können auch die Heizung im Auto anmachen.« Wenn sie unter den Schwingrasen des Moores eingesunken war, dann war es ein Wunder, dass sie sich überhaupt selbst wieder hatte herausarbeiten können.
»Jetzt, wo ich aus den nassen Kleidern raus bin, ist es kein Problem mehr. Aber natürlich dachte ich, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, als ich plötzlich so wegsackte und keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Man muss sehr schnell Arme und Beine ausbreiten, das habe ich schon als kleines Kind gelernt. Es ist mir gelungen rauszukrabbeln, und ich wollte gerade zum Weg zurückkriechen, als ich einen kleinen … Fuß sah.« Berit Nilsson schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut. »Es war ein Säugling, vielleicht einen Monat oder zwei alt. Wer tut seinem Kind so etwas an? Inzwischen gibt es doch ganz andere Möglichkeiten, ein Kind zu versorgen als früher, da war es noch eine Schande, wenn man unverheiratet schwanger wurde. Was für ein Mensch ist das, der sein Kind ertränkt?«
»Was haben Sie gemacht, als Sie das Baby sahen?«, flocht Alex ein, der sich auf dem Fahrersitz niedergelassen hatte. Der Motor lief, damit es im Auto warm blieb.
»Ich habe das Kleine nicht losgelassen. Erst dachte ich, es könnte ja noch am Leben sein. Aber es war ganz kalt, hat nicht geatmet. Am Leib hatte es Lumpen und eine Halskette, eine schwarze Kette mit einem kleinen Anhänger. Als ich zum Weg kam, habe ich es auf die Planken gelegt. Ich dachte, ich könnte das Kind noch retten, habe versucht, Luft in seine Lunge zu blasen und mit zwei Fingern über dem Brustkorb Herzmassage gemacht. Ihr Kollege, der Ali heißt, hat gesagt, es wäre nicht meine Schuld, ich hätte alles richtig gemacht. Ich hätte das Kind nicht retten können.« Berit Nilsson wischte sich die Tränen aus den Augen. »Das Handy hatte ich im Auto vergessen, und das war nur Glück. Sonst hätte es nämlich nicht funktioniert, und ich wäre erfroren. Ich habe die 112 angerufen, und der Krankenwagen kam. Aber sie haben die Leiche nicht mitgenommen, haben festgestellt, dass die Kleine tot war. Das ist so furchtbar traurig. Ein kleines Kind!«
»Ja, das ist schlimm«, ergänzte Bark mit seiner sanftesten Stimme. »Ich verstehe, dass Sie das sehr erschüttert.« Die Decke war runtergerutscht, und er steckte sie wieder um die alte Dame fest. Ihre schmalen Beine zitterten immer noch. »Haben Sie eine Ahnung, wessen Kind das sein könnte?«
Berit Nilsson schien nachzudenken. »Sie meinen, es könnte jemand aus Hällefors oder aus der Gegend hier sein? Ich weiß nicht. Inzwischen macht jeder sein Eigenes, die Alten bleiben unter sich und die Jungen ebenso. Ich habe keine Kinder oder Enkel und kenne niemanden, der kleine Kinder hat.«
Nachdem Bark die Zeugenvernehmung abgeschlossen hatte und wieder aus dem Wagen gestiegen war, sah er einen roten Mazda MX-5 vor der Absperrung halten und ahnte das Schlimmste. Seine Schwester Kristina war Journalistin und hatte angefangen, als Freelancerin bei der Lokalzeitung zu arbeiten. In den letzten Jahren hatte sie einen Schönheitssalon namens Ganz du in Kumla betrieben, doch während der Pandemie waren die Kunden weggeblieben, und sie hatte den Laden aufgeben müssen. Die Aufträge für die Lokalzeitung, die sich vielleicht zu einem Vertretungsjob entwickeln konnten, waren da genau im richtigen Moment aufgetaucht.
Kristina Barklöv stieg aus ihrem Auto und kam mit ausgestreckten Armen und zuckersüßer Miene auf ihn zu. Sie sah ihrer Mutter so ähnlich mit dem halblangen blonden Haar, das auf dem Rücken tanzte, und den melierten Augen, die – genau wie seine eigenen – Stimmungen und Licht einfingen. Sie galt als schön, aber da sie seine Schwester war, konnte er das nicht recht beurteilen.
»Die Antwort lautet nein«, sagte Bark, noch ehe sie den Mund aufmachen konnte. »Es ist zu früh, um etwas zu sagen. Regina Zimmermann wird später am Nachmittag eine Pressekonferenz abhalten, bis dahin musst du dich gedulden.«
»Komm, bitte, Kristoffer. Du weißt doch, was für eine Chance das für mich ist. Ich habe gehört, dass ihr einen Säugling gefunden habt. Eine meiner ehemaligen Kundinnen vom Salon hat mich angerufen und mir den Tipp gegeben.«
»Wer denn?«, erkundigte sich Bark.
»Das darfst du nicht fragen, und ich darf keine Quelle preisgeben. Das weißt du genau!«
»Okay, dann schweigen wir. Wie laufen denn Leben und Liebe so?«
Kristina senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich dachte mir schon, dass du das fragen würdest. Morgan und ich üben uns darin, wieder Vertrauen zueinander zu haben. Zu meinem Verdacht, dass er mir untreu wäre, sagt er, wenn ich das schon glauben würde, dann könnte er es ja genauso gut auch sein. Wie soll ich ihm da vertrauen?«
»Dann wirst du ihm wohl eine Zwangsjacke anlegen müssen«, erwiderte Kristoffer mit einem Zwinkern. Diese Art von Humor besaß Kristina allerdings nicht, das war schon immer so gewesen.
»Wenn du und Ella eine Therapie gemacht hättet, dann wärt ihr vielleicht immer noch verheiratet!«, sagte sie mit lauter Stimme.
»Schrecklicher Gedanke«, entgegnete Kristoffer, der diese Sache nicht am Arbeitsplatz mit Alex, Ali und Rödeby in Hörweite diskutieren wollte.
»Aber du bist doch zur Therapie gegangen, oder? Musstest du das nicht machen, um deinen Job nicht zu verlieren? Mia Berger, so hieß sie doch, deine Therapeutin. War sie gut?«
Jetzt genügte es, fand Kristoffer. Niemand konnte so passiv-aggressiv und nervig sein wie Kristina, wenn sie diese Seite herauskehrte. Dennoch würde er alles für sie tun, wenn es wirklich einmal darauf ankam. »Ich finde, du solltest jetzt nach Hause fahren und den Fernseher einschalten, damit du Zimmermanns Pressekonferenz nicht verpasst«, sagte er und schob sie mehr oder weniger vor sich her.
Doch Kristina blieb stehen, und er machte einen Schritt zurück. »Wer ist die Dame da im Streifenwagen? Hat sie das Kind im Moor gefunden? Die muss ich interviewen!«
»Jetzt ziehst du dich gefälligst zurück und begreifst bitte mal, dass in der Frage, was hier passiert sein könnte, die Ermittlung der Polizei über das allgemeine Interesse geht. Es kann Mord oder Totschlag oder ein Unfall gewesen sein. Wir wissen es nicht. Wenn die Zeugen vernommen worden sind, dann kannst du mit ihnen sprechen, aber nicht vorher.«
Lydia
Als ich zu Ester in die Hütte am Schlangenteich komme, ist sie schwer erschüttert.
»Was ist los mit dir?«, frage ich, und weil es bitterkalt ist, schiebe ich einen Holzkloben in den Ofen. In den letzten Wochen habe ich sie öfter besucht, aber noch nie war sie so aufgewühlt.
Sie weint. Tränen der Angst und der Scham rollen über ihre runzligen Wangen. Die Nase läuft. Aber obwohl ich ihr Papier reiche, schnäuzt sie sich nicht, wischt sich nicht die Tränen ab. Das weiße Haar ist offen und struppig wie ein Elsternest, und sie friert so, dass sie in ihrem dünnen weißen Spitzennachthemd zittert.
Stammelnd erzählt sie, dass man im Tyskmossen eine Kinderleiche gefunden hat. Im Lokalradio wird von nichts anderem mehr gesprochen. Das Transistorradio, eine schmutzig braune Kiste mit einem Stecken als Antenne, steht auf dem Küchentisch und gibt undeutliche und knisternde Laute von sich. Die Lokalnachrichten gehen in den Wetterbericht über. Die Wortkombination aus Skagerrak, Kattegat und Doggerbank klingt wie ein Kinderreim. Es ist die Nachricht von dem Kind im Moor, die sie aus der Fassung gebracht hat. Und ich denke, dass es sie vielleicht an etwas erinnert, was passiert ist, als sie jung war. Aber als sie dann anfängt zu sprechen, begreife ich, dass es schlimmer ist als das, viel schlimmer. Wenn ich nicht ausgerechnet heute gekommen wäre, wenn ich nicht das Feuer geschürt und ihr in dem Moment, als sie Trost brauchte, heißen Tee zu trinken gegeben hätte, dann hätte ich nie erfahren, wie alles passiert ist.
Stück für Stück entlocke ich ihr die Wahrheit, Fragment um Fragment all des Schrecklichen, was so lange verborgen lag und das Leben von Menschen auf furchtbare Weise beeinflusst hat, ohne dass die Betroffenen eine Ahnung davon gehabt hätten, was ihr Schicksal lenkte.
Esters Geschichte formt das Undenkbare zu einem Muster, das sich mir jetzt endlich erschließt. Es spiegelt auch mein Leben, und die Puzzleteile werden zu etwas Begreiflichem zusammengefügt. So wird deutlich, was nun meine Aufgabe ist – die ich mir keineswegs wünsche, ich will nicht, denn die Verantwortung wiegt so schwer, und das macht mir Angst. Aber es gibt niemanden sonst, der die Ordnung wiederherstellen könnte.
Tom Gruvberg wusste, dass die Zeit gekommen war. In der Morgenzeitung hatte er von dem Säugling gelesen, den man im Tyskmossen gefunden hatte. Die Zeitung lag aufgeschlagen auf dem Küchentisch. Tom sah auf seine linke Hand hinunter, an der drei Finger fehlten. Nur der Daumen und der Zeigefinger waren noch da, wie eine Greifzange. Er hatte Glück, dass er die Explosion damals überlebt hatte und mit über neunzig immer noch einen Elchstutzen bedienen konnte. Nun hatte er sein altes Remington-Gewehr aus dem Waffenschrank geholt und geladen. Im tiefsten Innern hatte er lange befürchtet, dass dieser Tag kommen würde. Er zog Mantel und Stiefel an. Die Schuhe anzuziehen war schwer, obwohl er die Schnürsenkel gegen Klettverschlüsse ausgetauscht hatte. Obwohl es regnete, ließ er den Mantel offen. Er hatte keine Zeit, sich mit den Knöpfen aufzuhalten. Um die Waffe wickelte er ein Stück Wachstuch. Unten an der Treppe stand der Rollator bereit, und er platzierte das Gewehr im Korb. Er musste sich beeilen, hoffentlich war es noch nicht zu spät. Guter Gott, hilf mir! Lass die Kinder nicht zu Schaden kommen. Meine Zeit ist bald vorbei, aber lass sie leben.
Etwas früher am selben Morgen hatte die Alte vom Schlangenteich, wie sie im Volksmund genannt wurde, ihm einen Besuch abgestattet. Zeit und Stunden flossen ineinander, aber es war sicherlich Jahrzehnte her, dass er sie zuletzt gesehen hatte: Ester, die Frau, die er einst mehr geliebt hatte als sein eigenes Leben. Ihre Haut war grau und wettergegerbt, und das offene Haar hing weiß und wellig über die maulwurfsgraue Jacke. Ester war in ihrem alten, rostigen Saab in den Ort hinuntergekommen, um ihn zu warnen. Sie sagte, es könnte das letzte Mal sein, dass sie sich in diesem Leben sähen. Das wollte er nicht hören, aber sie half ihm, den Ernst der Lage zu erkennen. Sie war gekommen, um ihn zu warnen, und hatte gesagt, die Zeit sei jetzt da. Das Kind im Moor sei gefunden worden, und er müsse seine Familie beschützen. Ehe sie wieder fuhr, lud er sie noch zu Punsch mit Kräutern ein, damit sie wieder warm würde, denn draußen war es bitterkalt, und sie hatte keine Heizung im Wagen. Sie hatten Punsch getrunken und einander in die Augen gesehen – so wie damals in einer anderen Zeit, als alles leicht gewesen war und nichts gefährlich. Als sie dann auf der Schwelle stand, um zu gehen, drehte sie sich noch einmal um und sah ihn ein letztes Mal an. Sie hatte Tränen in den Augen. »Tu, was du tun musst, um die Deinen zu schützen! Und wenn du nach Mitternacht zum Millesparken kommen kannst, dann werde ich dort sein.« Hatte sie das wirklich gesagt? Oder war es nur sein Wunsch, dass sie sich so bald wiedersehen würden?
Diejenigen, die es nicht besser wussten, behaupteten, das Gerede von der Alten vom Schlangenteich sei eine Lügengeschichte. Doch es gab sie seit Urzeiten, und sie wachte über alles, was unter der Erde lag. Nicht allen zeigte sie sich in menschlicher Gestalt, manchmal entschied sie sich, als Wölfin aufzutreten, als Luchs, als Falke oder Fledermaus in den finsteren Gruben. Manche sagten, sie besäße ewige Jugend, und andere waren überzeugt, dass die Aufgabe der Grubenhexe von der Mutter auf die Tochter überginge. Was die Wahrheit war. Diejenigen, die ihr Böses wollten, behaupteten, dass sie Kinder in den Berg locken würde und dass bei den so Verschollenen, wenn sie es denn jemals zurück zu den Menschen schafften, der Sinn verkehrt und die Haut grau wäre wie bei den Trollen. Doch das war reine Lüge, das würde sie niemals tun. So wollte man einfach den Kindern Angst machen, damit sie sich nicht in die alten Grubengänge verirrten. Doch Tom kannte sie besser als das. Vor Ester hatte er keine Angst.
Der alte Mann eilte hinaus in den Regen und dachte an den Fluch, den Esters Großmutter einst über seine Familie ausgesprochen hatte. Das war vor seiner Geburt geschehen, und wenn in diesem Fluch irgendeine Kraft gewesen wäre, dann hätte er längst tot, verrückt oder ein Krüppel sein müssen. Doch das Schicksal hatte anderes für ihn bereitgehalten. Er war vor eine schwere Wahl gestellt worden und hatte dann seinen besten Freund Vilho getötet, damit der nicht das furchtbare Geheimnis ausplauderte, das sein eigenes Leben zerstört hätte. Vielleicht hatte die Alte vom Schlangenteich damals über ihn gewacht, hatte eine Ausnahme gemacht und ihm die Chance gegeben zu überleben.
Natürlich hatte es einen Aufstand gegeben, als Vilho verschwand. Seine Mutter war untröstlich. Um kein Misstrauen zu erregen, nahm Tom selbst an der Suchkette teil. Wenn ihn jemand fragte, wie er seine Finger verloren hätte, antwortete er, dass er von einem Wolf gebissen worden sei. Vilhos Cousin, Matti Björk, glaubte ihm nicht, doch nach einer Vernehmung bei der Polizei wurde Tom freigelassen. Er hatte beteuert, die ganze Nacht geschlafen zu haben, bis im Morgengrauen die Hühner gackerten, schrien und furchtbaren Lärm machten. Da sei er rausgegangen und habe einen Wolf im Hühnerhaus entdeckt. Der habe sich wohl in die Enge getrieben gefühlt, und als Tom den Ausgang blockierte, sei er zum Angriff übergegangen. Jedem, der es hören wollte, sagte er, dass es der größte Wolf gewesen sei, den er je gesehen habe. Und der habe ihm die Finger abgebissen, behauptete er, denn er konnte ja schlecht die Wahrheit sagen, dass er sie sich weggesprengt hatte. Vielleicht war es auch ein Fuchs im Hühnerhaus gewesen, mit der Zeit war die Erinnerung verblasst. Tom war nicht mehr sicher, was seine eigenen Gedanken waren und was wirklich in jener Nacht im Mai 1945 passiert war. Seine Mutter hatte bestätigt, dass er die Wahrheit sagte, sie hätte die Hühner ebenfalls lärmen hören. Und sein Onkel, der sich nach dem Tod des Vaters um ihn und seine Mutter gekümmert hatte, sagte ebenfalls aus, dass Tom zu Hause gewesen sei und dass sich im Hühnerhaus ein Raubtier verlustiert hätte. Vier der Hühner waren tot. Nachdem die Suchkette für Vilho aufgegeben worden war, gingen in Hällefors die Grubenarbeiter gemeinsam auf Wolfsjagd.
Tom ließ die Vergangenheit sein und konzentrierte sich auf das, was er tun musste. Es regnete jetzt noch stärker, und die Tropfen hüpften auf dem Asphalt, wo er ging. Feuchtigkeit und Kälte krochen ihm durch die Kleider bis auf die Haut. Er fasste sich ans Herz. Atmen fiel ihm schwer. Er hätte eigentlich seine entwässernden Tabletten nehmen müssen, aber das hatte er absichtlich nicht getan, um sich nicht einzupinkeln. Für so etwas hatte er jetzt keine Zeit. Der Teufel, der den Kindern Übles wollte, würde nicht warten. Tom wusste nicht, in welcher Erscheinung das Böse auftreten würde, oder wie die Kinder zu Schaden kommen sollten, doch er musste bereit sein. Er kontrollierte, dass der Elchstutzen noch im Rollatorkorb lag, und ging mit eiligen Schritten Richtung Kita. Der Hass gegen den, der ihnen Böses wollte, blitzte in seinem Kopf auf. Und wenn es das Letzte war, was er in seinem Leben zustande brachte – er würde diesen Satan mit ins Grab nehmen.
Es war kurz vor acht am Dienstagmorgen. Kristoffer Bark befand sich im Turmzimmer, wo Ingrid und Henrik darauf warteten, dass Kriminaltechniker Ali Kathami seinen Bericht abgeben würde. Alex war nach Stockholm gefahren, um seine Mutter zu holen. Bark hoffte, dass Mia nicht noch mehr Unannehmlichkeiten begegnet waren.
Den Säugling, der am Tag zuvor tot im Tyskmossen bei Hällefors gefunden worden war, hatte man zur gerichtsmedizinischen Obduktion nach Linköping geschickt. Es würde dauern, ehe sie Antworten auf ihre Fragen bekamen. Bark hoffte, dass Ali wenigstens eine Vermutung zur Todesursache hatte. Im Polizeidistrikt Bergslagen, zu dem außer dem Landkreis Örebro auch die Provinzen von Värmland und Dalarna gehörten, verschwanden jährlich circa 600 Personen. Die allermeisten kehrten zurück. Die Polizei im Landkreis Örebro hatte derzeit 31 offene Ermittlungen über verschwundene Personen. In den Fällen, die über zwanzig Jahre alt waren, hatte man die Personen für tot erklärt. Doch die Nachforschungen waren immer noch nicht endgültig eingestellt worden, da man die Leichen nicht gefunden hatte. Manche Menschen verschwanden auch aus freiem Willen, aber das traf auf einen Säugling natürlich nicht zu.
Ingrid hatte einen riesigen Becher mit Kaffee vor sich. Normalerweise trank sie daraus Suppe. Ihre grauen Haare waren geflochten, die Lesebrille war ihr auf die Nasenspitze gerutscht. Meist war sie morgens wortkarg, doch der Fall mit dem kleinen Kind hatte sie offensichtlich tief berührt. Am Abend hatte sie das Turmzimmer als Letzte verlassen und war am Morgen als Erste wieder da gewesen. »Es gibt keinen ähnlichen Vermisstenfall«, erklärte sie. »Keine Suche nach einem so kleinen Kind in den letzten fünf Jahren. Weiter bin ich noch nicht gekommen. In welchem Zustand befand sich die Leiche?«
Bark schauderte es bei der Erinnerung. »Schwer zu sagen, ein Baby, vielleicht zwei Monate alt. In Lumpen eingewickelt, die aussahen wie ein kleines Kleid. Weichteile waren noch vorhanden, offensichtlich sind keine Tiere an die Leiche gekommen. Das Kind hatte noch keine Haare oder Zähne. Ali hat gesagt, es sei ein kleines Mädchen, und es trug eine Kette.«
»Wie kann man einen Säugling töten?«, fragte Henrik. Er sah wie immer übermüdet aus.
Ingrid hatte eine Theorie. »Es gibt Beispiele für Eltern mit psychotischen Wahnvorstellungen, die ihr Kind als ein böses Wesen erleben und es deshalb töten.«
Bark stimmte widerwillig zu. »Das kommt nicht oft vor, aber ich habe solche Fälle auch schon gehabt.«
Ingrid schlang die Arme um ihren Körper. »Das ist furchtbar und schrecklich traurig, wenn so etwas passiert. Man muss sich Eltern vorstellen, die bis zum Zerspringen unter Druck stehen. Aber warum hat denn niemand Alarm geschlagen? Da muss es doch Anzeichen gegeben haben. Vielleicht war es auch ein unerwünschtes Kind. Von jemandem, der wirklich keine Kinder wollte.«
Henrik war skeptisch. »Aber passiert so was denn heute noch? Das scheint mir unwahrscheinlich, wo es doch Verhütungsmittel und Abtreibung gibt. Und warum sollte man neun Monate warten, bis einem einfällt, dass man kein Kind will? In dem Fall muss die Mutter doch völlig blockiert gewesen sein und nicht begriffen haben, dass sie schwanger war. Oder derjenige, mit dem sie das Kind großziehen wollte, ist einfach verschwunden oder hat ihr etwas richtig Schlimmes angetan, sodass sie keine Verbindung mehr zu ihm wollte.«
»Was, wenn es ein Unfall war«, sagte Ingrid. »Ein Elternteil lässt das Baby zu Hause fallen, da reicht schon ein unbeaufsichtigter Moment auf dem Wickeltisch. Das Baby schlägt sich den Kopf an und stirbt, und sie vertuschen das, indem sie das Kind im Moor beerdigen.«
»Aber da würde man doch meinen, dass die übrige Familie, Nachbarn oder Freunde reagieren würden, wenn das Kind plötzlich weg ist«, gab Bark zu bedenken. »Wir müssen die Leute in Hällefors und Umgebung befragen. Die Kollegen, die in Hällefors stationiert sind, organisieren das gerade mit Verstärkung aus Karlskoga. Scheinbar ist das Revier in Hällefors für eine Weile besser besetzt.«
Mehr konnte Bark nicht sagen, da Ali in Hemd, Schlips, dunkelblauem Jackett und passenden Hosen im Fischgrätmuster das Turmzimmer betrat. Ali war mit der Flüchtlingswelle in den Siebzigerjahren aus dem Iran nach Örebro gekommen. Er war ein Gesundheitsapostel, der weder Alkohol noch Tabak konsumierte und gerne vor der Arbeit diverse Kilometer joggte. Seine Körpersprache war energisch, die Haare streng zum Seitenscheitel gekämmt, und die intelligenten braunen Augen waren voller Leben.
»Kannst du etwas über das tote Kind sagen?«, fragte Bark ohne Umschweife.
Ali sank mit kerzengeradem Rücken auf einen Stuhl an dem ovalen Tisch. Er runzelte die Stirn und sah sie an. »Ich verstehe eure Frage. Das Problem mit Moorleichen ist nur, dass sie, ohne dass die Weichteile zerstört sind, trotzdem sehr alt sein können. Das Moor konserviert sie. Wir haben ein Beispiel von 1942, das sogenannte Arden-Mädchen. Die Polizei ist zum Fundort gerufen worden, weil man glaubte, es würde sich um einen jüngst geschehenen Mord handeln. Doch nachdem die Leiche untersucht worden war, musste man feststellen, dass das Mädchen in der Eisenzeit gelebt hatte. Die Kleider, die es trug, passten dazu.« Ali schüttelte bedauernd den Kopf. »Es ist unmöglich zu sagen, ob das kleine Mädchen im Tyskmossen vor ein paar Monaten gestorben ist, oder ob es sich bei ihr um einen vorzeitlichen Fund handelt. Wir haben keine Hinweise, abgesehen von dem Stück Stoff, in das sie eingewickelt war, und die silberne Halskette.«
»Die Kette war schwarz. Ich dachte, es sei Eisen«, meinte Bark.
Ali lächelte ein wenig von oben herab. »Silber wird im Laufe der Zeit schwarz. Es ist eine dünne Kette, und der Anhänger besteht aus einem in Silber gefassten blau-grünen Stein.«
»Kannst du etwas darüber sagen, wie das Kind gestorben ist?«, fragte Bark.
Ali schien seine Worte genau abzuwägen. »Ich glaube, das Mädchen war physischer Gewalt ausgesetzt, es sieht aus, als sei ihm das Genick gebrochen worden.«
Ein Auto fuhr in hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei und spritzte Tom schlimmer nass als der Regen, der noch mehr zugenommen hatte. Auf dem Beifahrersitz saß Adrian, ein pickliger junger Mann, der sich wichtigmachen wollte, doch Tom war das alles egal. Er strebte durch den eisigen Wind, der seine Finger steif werden ließ. Es war nicht weit bis zur Kita Lillbacka, aber der Weg zum Tor kam ihm unendlich lang vor.
Ein Stahlseil mit Karabinerhaken an den Enden, das verhindern sollte, dass die Kinder eigenständig die Tür öffnen konnten, erschwerte es auch Tom. Sein Rheumatismus war vor allem bei schlechtem Wetter eine Geißel, und mit seinen krummen Fingern gelang es ihm nur mit großer Mühe, das Tor aufzuhaken.
Draußen auf dem Hof waren keine Kinder. Die Schaukeln wiegten sachte im Wind, und die Rutsche war leer. Im Sandkasten hatte jemand einen Tunnel und ein Schloss mit einem Eisstiel als Spitze gebaut. Ein vergessenes, von der Sonne ausgebleichtes Spielzeugauto mit fehlendem Rad lag herum.
Tom stolperte auf den langgestreckten, gelb gestrichenen Bungalow zu. Er näherte sich dem Fenster und spähte hinein. Die Kinder saßen in einem Kreis auf dem Fußboden und sangen ein Lied, das er kannte:
»In dem Walde steht ein Haus, schaut ein Reh zum Fenster raus, kommt ein Häslein angerannt, klopfet an die Wand. Hilfe, Hilfe, große Not, sonst schießt mich der Jäger tot …«