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Abgründige Spannung, fesselnde Charaktere: Der schwedische Kriminalroman „Und die Götter schweigen“ von Anna Jansson jetzt als eBook bei dotbooks. Wie ein grausames Kunstwerk schwingen sie im kalten Wind: acht tote Tiere – und ein Mann. Mit einer Lanze durchbohrt, ausgeblutet und an einen Baum aufgehängt. Alles deutet auf einen Ritualmord hin. Doch wer ist zu einem solchen Wahnsinn fähig? Angst breitet sich aus im kleinen schwedischen Kronköping. Ihre Ermittlungen führen die junge Polizeiassistentin Maria Wern zu einem Professor für Völkerkunde und nordische Mythologie. So findet sie heraus, dass es vor Jahren einen nahezu identischen Mord in Uppsala gab – doch die damalige Täterin ist tot. Wer hat ein Motiv, in ihre Fußstapfen zu treten … und wen wird es als Nächstes treffen? „Anna Jansson ist die neue literarische Stimme aus dem Norden.“ Berliner Morgenpost Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Skandinavien-Krimi „Und die Götter schweigen“ von Anna Jansson ist der fesselnde Auftakt ihrer schwedischen Spannungsreihe um die Polizistin Maria Wern, der alle Fans von Johanna Mo und Lina Areklew begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 354
Über dieses Buch:
Wie ein grausames Kunstwerk schwingen sie im kalten Wind: acht tote Tiere – und ein Mann. Mit einer Lanze durchbohrt, ausgeblutet und an einen Baum aufgehängt. Alles deutet auf einen Ritualmord hin. Doch wer ist zu einem solchen Wahnsinn fähig? Angst breitet sich aus im kleinen schwedischen Kronköping. Ihre Ermittlungen führen die junge Polizeiassistentin Maria Wern zu einem Professor für Völkerkunde und nordische Mythologie. So findet sie heraus, dass es vor Jahren einen nahezu identischen Mord in Uppsala gab – doch die damalige Täterin ist tot. Wer hat ein Motiv, in ihre Fußstapfen zu treten … und wen wird es als Nächstes treffen?
»Anna Jansson ist die neue literarische Stimme aus dem Norden.« Berliner Morgenpost
Über die Autorin:
Anna Jansson, geboren 1958 auf Gotland, ist gelernte Krankenschwester und begann 1997, Kriminalromane, Sach- und Kinderbücher zu schreiben. Zahlreiche ihrer Krimis um die Kommissarin Maria Wern wurden verfilmt und in Deutschland unter dem Serientitel »Maria Wern, Kripo Gotland« ausgestrahlt. Anna Jansson lebt mit ihrer Familie in Örebo.
Bei dotbooks ermittelt Maria Wern in folgenden Kriminalromanen: »Und die Götter schweigen« »Totenwache« »Tod im Jungfernturm« »Schwarze Schmetterlinge« »Das Geheimnis der toten Vögel«
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Vorbemerkung der Autorin:
Die Ideen zu diesem Roman habe ich in meiner Umgebung gesammelt. Einige Kleinigkeiten entstammen allerdings meiner eigenen Phantasie, auch wenn das unwahrscheinlich klingt. Beispielsweise weiß ich nicht, ob vor dem Polizeigebäude in Uppsala Weidenbäume stehen. Sollte das nicht der Fall sein, so empfehle ich den Verantwortlichen, sich darüber Gedanken zu machen. Weiden sind schöne Bäume.
Auch keiner der Protagonisten des Buches existiert so in der Wirklichkeit. Ich habe sie alle nach meinen Vorstellungen erfunden. Das betrifft ganz besonders die Schwiegermutter, die in keiner Weise meiner geliebten Schwiegermutter gleicht.
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eBook-Neuausgabe Oktober 2017
Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Stum Sitter Guden« bei Bokförlaget Prisma, Stockholm.
Copyright © der Originalausgabe 2000 by Anna Jansson
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Amy Johansson
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-95824-899-1
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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
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Anna Jansson
Und die Götter schweigen
Ein Fall für Maria Wern – Band 1
Aus dem Schwedischen von Eckehard Schultz
dotbooks.
Für meinen Vater, den großen Geschichtenerzähler
STUMM SITZT DER GOTT
Wo flattern Hugin und Munin jetzt,wenn nachts der Fenriswolf heult?Kann man mit Odin sprechen,wenn er schweigend dort an Mimirs Wasser sitzt?
Alles Wissen ist so hoffnungslos unbedeutend,das gilt auch für die Asen, die hohen.Und Jahre und Opfer helfen da wenig.
Stumm sitzt der Gott an Mimirs BrunnenUnd starrt regungslos auf sein ertränktes Auge.
Nils Ferlin
Entnommen der Gedichtsammlung »Aus meiner Tretmühle«
22. DEZEMBER
Schneeflocken tanzten in der kalten Morgendämmerung. Langsam sanken sie auf die Erde und bedeckten den feuchten Lehmboden. Der Himmel hing mächtig und grau wie Blei über den Bäumen. Zwischen den Fichten war die Dunkelheit undurchdringlich. Ein dumpfes Geräusch erfüllte den Wald. Kriminalinspektor Hartman bahnte sich mühsam einen Weg durch das Gebüsch. Ihm folgte ein alter Mann in Blaumann, Sportmütze und abgetragener Lederjacke. Edvin atmete schwer. Der tote Hund in seinen Armen ließ ihn immer wieder stolpern. Flüsternd wiederholte er den Namen des Tieres und strich mit der Hand über das weiße, blutgetränkte Fell. Maria Wern legte den Arm um die mageren Schultern des Alten, um ihn zu stützen. Ihr eigenes Zittern versuchte sie zu verbergen. Sie war noch nicht so lange bei der Polizei, als dass sie solch grausamen Taten gleichgültig gegenübergestanden hätte. Vorsichtig lief sie über kantige Steine und schlüpfrige Wurzeln. Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt unsicher zwischen den Bäumen hin und her. Das Geräusch wurde jetzt lauter und dumpfer. Die kahlen Zweige der Laubbäume zeichneten sich gegen das Grau des Himmels ab. Der Wind heulte um die Bäume.
»Da«, zeigte Edvin, »da war es!« Hartman gab ihnen mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie stehen bleiben sollten. Der Boden war weich. Je weniger Fußabdrücke, desto besser.
Im Licht der Taschenlampe war jetzt ein großes schwarzes Bündel zu erkennen, das an einem Ast hing und gegen den Baumstamm schlug. Das weiße Gesicht und die bloßen Hände leuchteten nackt und bizarr. Das Hemd des Mannes war zerrissen, der Bauch von einem Stab durchbohrt. Die Zunge hing schwarz aufgequollen zwischen den Zähnen. Die Augen waren halb geschlossen. Weiße Flocken setzten sich vorwitzig in das Haar des Mannes. Vielleicht eine besondere Laune der Natur, um das Geschehen zu verstecken, kam es Hartman in den Sinn. Plötzlich merkte er, dass er fror.
Nachdem das Gelände abgesperrt und die Verstärkung eingetroffen war, brachte Maria Wern den alten Mann nach Hause. Erika Lund von der Spurensicherung hatte den Hund an sich genommen. Nur widerwillig hatte der Besitzer ihn hergegeben. Erika musste ihm versprechen, dass er den Körper zurückbekommen würde, damit er den Hund zu Hause auf seinem Grundstück unter der Birke begraben konnte.
Sie gingen nebeneinander den Schotterweg entlang. Düstere Fichten standen zu beiden Seiten des Weges. Nur allmählich wurden sie durch schlanke Birken und dunkle Wacholderbüsche ersetzt, die den Anfang des Sumpfgebietes anzeigten. Ein halb verrotteter Hochsitz ragte in den grauen Himmel. Am anderen Ende des Moores konnte man ein dunkelrotes Häuschen erahnen. Maria und Edvin bewegten sich langsam darauf zu. Der Alte sprach ununterbrochen über das Ereignis. Ständig wiederholte er, was geschehen war, und Maria ließ ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Wer weiß, ob er jemanden hatte, mit dem er über das schreckliche Erlebnis sprechen konnte. Maria hatte schon oft alte Menschen erlebt, deren Leben durch einen erschütternden Vorfall zerstört wurde, weil sie niemanden hatten, mit dem sie reden konnten. Ein Einbruch, ein Handtaschenraub, und schon saß der Schock so tief, dass sie sich vollkommen zurückzogen und kaum mehr hinauswagten.
Die Küche war klein und unmodern, die braune großgemusterte Tapete und die türkisfarbenen Küchenmöbel passten ganz und gar nicht zusammen. Auf einer Leine über dem mit Holz beheizten Herd hingen zwei Paar grobe Wollsocken, die leicht dampften. Die Kupferkessel an den Wänden blitzten frisch geputzt in hellem Glanz. In einem dreibeinigen Leuchter auf der Herdplatte warteten die Kerzen darauf, angezündet zu werden, wenn die Feiertage begannen. Edvin bat Maria Platz zu nehmen und setzte den Wasserkessel auf. Maria zog eine Karte aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Zusammen folgten sie auf dem Papier dem Bach in den Wald hinein bis zum Tatort. Das Gebiet stand als vorgeschichtliche Kultstätte unter Schutz, es war ein steinzeitliches Grabfeld mit Steinhaufen. Der Abstand zwischen den Häusern war groß. Der nächste Nachbar wohnte beinahe fünf Kilometer weiter weg, stellte Maria fest und faltete die Karte zusammen, um Platz für die Kaffeetassen zu machen. Aus der Vorratskammer holte Edvin eine Platte mit Apfelkuchen. Maria sah, dass Schimmel wie weißer Flor über dem Gebäck lag, nahm aber höflich ein Stück an. Edvin war schrecklich traurig. Der Hund war seine ganze Familie, sein einziger Kamerad im Leben. Loki sei so lieb und gehorsam gewesen. Und so viele Preise habe er auf Ausstellungen eingeheimst. Nie habe er ihn anleinen müssen. Er habe ihn nur zur Tür hinausgelassen, und dann sei er rüber in den Wald gelaufen und habe sein Geschäft gemacht. Vorgestern, am 20. Dezember, sei Loki nachmittags nicht zurückgekommen. Den ganzen Abend lang habe er ihn gesucht, und auch gestern sei er schon in der Morgendämmerung hinausgegangen und habe den Wald durchkämmt. Einen Dachs oder ein Fuchseisen habe er sich vorstellen können, aber doch nicht ... Seine Stimme versagte.
»Haben Sie heute Nacht etwas schlafen können?« Maria schämte sich der Frage nach dem nächtlichen Tun ein wenig. Sie hatte Angst, der alte Mann würde sich beschuldigt vorkommen.
»Kein Auge habe ich zugetan. Zweimal bin ich aufgestanden und habe Kaffee gekocht.«
»Aber Sie waren die ganze Nacht über hier im Haus?«
»Ja, größtenteils war ich das wohl.«
»Größtenteils?«
»Ein Gentleman bringt eine Dame nicht in Verlegenheit, indem er ihr von seinen nächtlichen Verabredungen erzählt.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, hatten Sie also eine nächtliche Verabredung mit einer Dame?« Der Alte kniff den Mund zu einem schmalen Strich zusammen, unter dem Schirm der Mütze blitzten seine Augen keck.
»Können Sie mir sagen, von wann bis wann Sie unterwegs gewesen sind?«
»Um sieben bin ich mit dem Rad von zu Hause aus weg, und um neun war ich wieder da.« Maria konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. So richtig nächtlich war die Verabredung ja wohl nicht zu nennen.
»Waren Sie vielleicht in diesem kleinen Haus an der Bushaltestelle zu Besuch?« Edvin Rudbäck starrte Maria entgeistert an. »Woher wissen Sie das?«
»Das scheint Ihr einziger Nachbar im Umkreis von mehreren Kilometern zu sein. Wenn Sie also keinen Motor an Ihrem Rad haben, können Sie es meiner Schätzung nach in der kurzen Zeit nicht weiter geschafft haben.«
»Kann ja sein, kann ja sein«, lachte der alte Mann verlegen und schob sich die Mütze in die Stirn.
Das laute Pfeifen des Wasserkessels ließ Maria vom Stuhl hochfahren. Edvin blickte sie erstaunt an und goss den Kaffee ein. Maria probierte vorsichtig und musste sich zusammenreißen, nicht gleich alles wieder auszuspucken. Der Kaffee war mit Brackwasser gemacht und schmeckte total versalzen. Anscheinend hatte Edvin Rudbäck einen eigenen Brunnen und war so an den Geschmack gewöhnt, dass er nicht merkte, wie salzig der Kaffee schmeckte. Maria schluckte tapfer und lächelte dem alten Mann freundlich zu.
Früh am Morgen hatte Edvin seine Taschenlampe genommen und am Bach gesucht. Es war noch dunkel gewesen. Das Gelände war dicht mit Büschen bewachsen, und er war nur langsam vorangekommen. Er hatte wenig erkennen können und war über eine Wurzel gestolpert und hingefallen. Als er da in der Nässe saß, war ihm etwas Großes und Schwarzes aufgefallen, das in einem Baum oberhalb des Baches hing. Die Stimme des Mannes stockte.
»Da war ein Mensch, ein Toter, der da am Baum hing, und neben ihm hing Loki. Der hatte auch eine Schlinge um den Hals. Ich ging nach Hause, holte ein Messer und schnitt ihn ab.« Die Stimme des Alten wurde leise und erstarb. Maria legte ihre Hand auf die runzlige Faust. Das Ticken der Küchenuhr war der einzige Laut im Raum. Maria unterdrückte ein Schütteln, als ihr bewusst wurde, dass das Messer, mit dem der Mann den Apfelkuchen geschnitten hatte, das gleiche sein musste, mit dem er den Hund losgeschnitten hatte. Es lag kein Brotmesser in dem ansonsten vollen Spülbecken.
»Es hingen mehrere Tiere im Baum. Da waren ein Hahn, ein Kaninchen und eine Katze. Das weiß ich ziemlich genau. Elin, die an der Bushaltestelle wohnt, vermisst seit dem Wochenende ihre Katze. Vorgestern Abend haben wir darüber gesprochen. Was ist das für ein Verrückter, der die Tiere von anderen Leuten umbringt? Kann das der Tote gewesen sein, der zuerst die Tiere und dann sich selbst aufgehängt hat? Und wenn er das nicht gewesen ist, ist es doch Mord!« Die wässrigen Augen des Alten, die auf die Tischplatte gestarrt hatten, suchten fragend Marias Blick. Mit einer Geste der Ehrfurcht vor dem Tod nahm er die Mütze ab und legte sie auf den Küchentisch. Das graue Haar war platt und von der Kopfbedeckung geformt.
»Haben Sie in der letzten Woche hier in der Gegend fremde Leute gesehen, oder ist Ihnen irgendwas anderes Ungewöhnliches oder Merkwürdiges aufgefallen?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. Er war zu aufgeregt, um klar denken zu können. Maria bat ihn um den Busfahrplan, einen Stift und ein Stück Papier. Der letzte Bus fuhr um 18.00 Uhr von der Haltestelle ab, der erste um 7.00 in der Frühe. Am wahrscheinlichsten war wohl, dass das Opfer und der Täter mit dem Auto gekommen waren, zusammen oder jeder für sich. Maria schrieb ihre Telefonnummer auf einen Zettel und gab ihn dem Mann, lehnte höflich eine weitere Tasse Kaffee ab und bedankte sich für den Apfelkuchen. In der Tür zögerte sie.
»Wenn Ihnen was einfällt, es kann noch so nebensächlich sein, dann rufen Sie mich unbedingt an.« Edvin Rudbäck nickte und setzte sich die Mütze wieder auf. Den Schirm zog er so weit herunter, dass seine Augen im Schatten verborgen lagen. Er blickte Maria nach, bis sie im Wald verschwunden war.
Verdammt, beinahe wäre er erwischt worden! Edvin eilte hinaus in den Holzschuppen, seine eigene Dummheit verfluchend. Sorgfältig versteckte er sein Geheimnis im Holzstapel. Zwischendurch hielt er inne und lauschte. Aber alles war ruhig und still. Die einzigen Geräusche waren sein eigenes Atmen und das Spiel des Windes mit den trockenen Blättern auf dem Hof.
Der Schneefall hatte zugenommen. Der Tatort war vollkommen in Weiß gehüllt. Erleichtert stellte Maria fest, dass der Tote vom Baum abgenommen worden war. Nur die Tiere hingen noch da. Hartman kam Maria entgegen und teilte ihr die neuesten Erkenntnisse mit. Ein Mensch und acht männliche Tiere waren in dem Baum aufgehängt worden, einer Esche, wie Erika festgestellt hatte. Der Mann war identifiziert worden. Die Brieftasche in seiner Hosentasche enthielt den Führerschein und Geld. Er hieß Dick Wallström, war Schlachter, 57Jahre alt und allein stehend, oder zumindest allein lebend.
»Arvidsson ist jetzt in der Stadt und spricht mit den Kollegen. Wir müssen die Angehörigen informieren, bevor die Presse hier auftaucht und sich mit ihren Kameras an uns hängt. Wenn wir Glück haben, erscheint der Fall erst morgen in der Zeitung«, schloss Hartman seine Ausführungen.
Erika Lund erhob sich mühsam mit der Hand auf dem Rücken. Auf ihrem braunen Haarschopf lag eine weiße Schneeschicht. Steifbeinig trat sie auf die beiden zu.
»Wir haben Fußspuren gesichert. Außer den Graninge-Jagdstiefeln des alten Mannes haben wir zwei verschiedene Schuhpaare, die Abdrücke im Lehm hinterlassen haben, große Abdrücke, etwa Schuhgröße 42 und 46, würde ich meinen. Das Opfer hat keine Schuhe an. Das ist eigenartig.« Erika Lund fuhr sich mit der Hand durch die braunen Locken und blickte Hartman fragend an. »Außerdem haben wir Haare gefunden, wahrscheinlich menschliche, in unterschiedlichen Farben und Längen. Es sieht so aus, als ob uns jemand hinters Licht führen will, als ob wir viel Zeit mit DNA-Analysen vergeuden sollen. Der oder die Mörder scheinen viel Zeit gehabt und gründlich geplant zu haben. Die Tat hat etwas von einem Ritual. Es steht ein starker Wille dahinter. Wir haben eine Weizenähre, eine alte Sichel und getrocknete Ebereschenzweige mit Beeren dran gefunden. Auf dem Boden unter dem Toten war ein Zeichen im Lehm, viel zu kompliziert, als dass es zufällig dahingekommen sein kann. Das gleiche Zeichen ist in den Stein unten am Bach geritzt worden.« Maria sah schemenhaft einen großen Stein unten in der Senke, bei dem mehrere Kollegen standen. »Ein sehr ungewöhnliches Detail sind die Nägel des Opfers. Sie sind bis weit ins Fleisch hinein abgeschnitten, sowohl die Finger- als auch die Fußnägel«, fuhr Erika fort und verzog das Gesicht. »Wenn es vor dem Tod geschehen ist, muss es sehr wehgetan haben!«
Maria berichtete von ihrem Gespräch mit dem alten Mann und erwähnte die Frau, deren Katze verschwunden war.
»Sie ist die nächste Nachbarin im Umkreis von mehreren Kilometern. Ich kann mit ihr sprechen und ebenso mit den Busfahrern, die in der letzten Woche diese Linie gefahren sind.« Hartman nickte.
Ein Auto näherte sich der Absperrung und bremste. Kommissar Åke Ragnarsson stieg aus, die obligatorische Kippe im Mundwinkel. Der allzu kurze und weite Mantel flatterte im Wind. Mit mürrischem Grunzen begrüßte er seine Untergebenen. Maria blickte ihren Chef an, und die Züge um ihren Mund wurden härter. Obwohl sie noch nicht lange in Kronköping war, wusste sie schon, dass die Arbeit unter der Leitung von Kriminalinspektor Hartman umso reibungsloser funktionierte, je weniger Kommissar Ragnarsson sich einmischte. Maria und ihre Kollegen Arvidsson und Ek bezeichneten die beiden klammheimlich als Ruhe und Sturm. Arvidsson ließ sich manchmal dazu verführen, sie Sturm und Flaute zu nennen. Aber das war ungerecht gegenüber Hartman. Hinter seiner unerschütterlichen Ruhe verbarg sich eine ungeahnte Effektivität.
Kommissar Ragnarsson-Sturm hingegen war immer geschäftig. Seine Stimme war unüberhörbar, und er setzte sie vor allem dazu ein, seine Untergebenen zu kritisieren. Ein freundliches Wort war höchst selten, und noch nie hatte ihn jemand lachen sehen. Derjenige, der es schaffen würde, Ragnarsson zum Lachen zu bringen, wäre um 560 Kronen reicher – so hoch war inzwischen der Wetteinsatz. Jede Woche war ein Zehner als Einsatz fällig, und die Versuche steigerten sich im gleichen Maß, wie der Jackpot wuchs. Zu allem Überfluss hielt Ragnarsson nichts von Polizistinnen und ließ keine Gelegenheit aus, dies kundzutun. Als Ragnarsson-Sturms kräftig gebaute Frau zu Besuch war, hatte Erika Lund Maria zugeflüstert: »Es sind die kleinen Hunde, die am lautesten bellen, die kleinen Hunde an der Leine.«
»Wern, du kannst auf die Wache fahren und ein paar Thermoskannen Kaffee machen. Frag mal, wie viele von den Jungs Pizza haben wollen. Die kannst du auf dem Rückweg abholen, wenn du sie jetzt bestellst.« Maria kniff den Mund zusammen. Diskussion war fehl am Platze.
Arvidsson saß im Pausenraum. Seine langen Beine reichten bis auf die andere Seite des Tisches. Vor ihm lag auf einem der viel zu kleinen Teller der Wache eine enorme Pizza. Mit seinen großen Händen schaufelte Arvidsson das Essen in sich hinein. Maria versuchte vergeblich, Augenkontakt mit ihm zu bekommen. Stattdessen sah sie nur seinen roten Haarschopf. Arvidsson war vollkommen auf seine Mahlzeit konzentriert.
»Neid ist das beste Gewürz, sagt man. Die Pizza sieht gut aus. Ich habe heute nur verschimmelten Apfelkuchen gegessen.«
Arvidsson errötete. Er ärgerte sich über sich selbst, aber auch über Maria, weil er rot wurde, wenn sie ihn ansprach. Sie war so herausfordernd hübsch. Damit konnte er schlecht umgehen. Wenn er nicht so fürchterlich schüchtern gewesen wäre, hätte er ihr etwas von der Pizza abgeben können. Daraus wurde nun nichts.
Arvidsson war in Kronköpings Genossenschaftsschlachterei gewesen, wo Dick Wallström gearbeitet hatte. Die Kollegen hatten Dick eigentlich nicht vermisst. Niemand hatte auf ihn und seine Arbeitszeiten geachtet. Als einzige Angehörige hatte Arvidsson mit einiger Mühe Wallströms Freundin, Stina Ohlsson, ausfindig gemacht. Am Telefon hatte sie Arvidsson angeschrien und sich geweigert, mit der Polizei zu sprechen. Sie wollte keinen Polizisten sehen, allenfalls konnte sie sich vorstellen, mit einer Polizistin zu reden. Entscheiden würde sie das aber erst, wenn sie die Frau gesehen habe. Arvidsson war sich sicher, dass die Frau angetrunken gewesen war. Maria konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es lief wohl darauf hinaus, dass sie die Pizza und das Verhör mit Edvins Nachbarin gegen Stina Ohlsson tauschte, die ungern mit männlichen Kollegen sprach. Arvidsson war erleichtert, weil er sich nicht mehr um die Frau kümmern musste. Ein Lächeln zeigte sich auf seinem von Aknenarben übersäten Gesicht, und seine grünen Augen sahen Maria dankbar an.
»Danke für deine Hilfe.«
Dichter Schnee fiel, als Maria nach Videvägen einbog, dem verrufenen Wohngebiet am östlichen Stadtrand. Maria wollte auf keinen Fall Vorurteile haben, aber sie hatte in der kurzen Zeit in Kronköping bereits festgestellt, dass die Bewohner von Videvägen häufiger zum Verhör bei der Polizei vorgeladen wurden als andere Leute. Allerdings ging es meist um Schwarzbrennen, illegalen Schnapsverkauf, kleinere Einbrüche oder Hehlerei, selten um schwerere Vergehen.
Auf dem großen Parkplatz standen nur wenige Autos. Maria bemerkte, wie sich in der dritten Etage die Gardine bewegte. Sie musste lange klingeln, ehe trippelnde Schritte ihr zu verstehen gaben, dass jemand zu Hause war. Gründlich wurde sie durch den Türspion beobachtet, ehe sie für gut befunden und hereingelassen wurde. Die Frau, die die Tür öffnete, sah aus wie eine Sahnetorte. Ihr Mund glich einer Cocktailkirsche, der Rest war pures Marzipan. Sie sah überhaupt nicht aus wie jemand, der die Polizei am Telefon anschreit, wenn es denn für solche Leute einen gemeinsamen Nenner gab.
Ein mit Schleifchen geschmückter Pudel tänzelte vor ihnen her ins Wohnzimmer, das voller Seidenblumen, Duftbällchen, Trockensträuße und geblümter Kissen war. Überall hingen Bilder mit »weinenden Kindern«. Maria hätte nie gedacht, dass es so viele unterschiedliche Bilder mit weinenden Kindern geben könnte. Diese Sammlung hätte jeden trübsinnig werden lassen. Wenn man dann auch noch eine Trauernachricht zu überbringen hatte, war es kaum auszuhalten.
»Dieser Polizist hat gesagt, irgendwas ist mit Dick passiert.« Der Alkoholgeruch drang trotz aller künstlichen Düfte in Marias Nase. Sie setzte sich unaufgefordert neben Stina Ohlsson auf das Sofa mit dem auffälligen Blumenmuster und erklärte so schonend wie möglich, was geschehen war. Zunächst saß Stina schweigend und bleich da, wie ein Kind, das sich gestoßen hat und nach Luft ringt. Maria hielt den Atem an und wartete. Ein gellender Schrei hallte durch die Wohnung, hinterher flogen ein Porzellanengel und ein Aschenbecher aus Glas. Maria spürte, wie sie erstarrte. Könnte man sich jemals daran gewöhnen, Trauernachrichten zu überbringen? Der Schrei der Frau verstummte, aber ihr Blick war gefährlich. Ununterbrochen kniff sie sich in den kräftigen Unterarm und wiegte den Oberkörper vor und zurück.
»Sie lügen! Sagen Sie, dass Sie lügen«, flüsterte sie drohend. »Dick ist nicht tot! Er ist nur weg zu einer anderen Frau. Er hat manchmal andere Frauen, aber die bedeuten ihm nichts. Dick weiß, wo sein Zuhause ist. Er kommt immer wieder zurück zu seiner kleinen Stina, immer!«
»Hatte Dick Feinde? Jemanden, der ihm möglicherweise Böses antun wollte?« Maria versuchte, ihre Stimme ruhig und fest klingen zu lassen, konnte aber ein Zittern nicht unterdrücken.
»Sicher gibt es den einen oder anderen Ehemann, der ihm mit Freuden den Pimmel abschneiden würde.« Stina stieß ein freudloses Lachen aus. Maria spürte, wie sich ihr Nacken verkrampfte. »Er hat mir immer von seinen Eroberungen erzählt, wenn er nach Hause kam. Ganz genau hat er beschrieben, wie er die dummen Kühe verführt hat. Es hat ihn scharf gemacht, wenn ich davon wusste.« Das Lachen ging in ein hemmungsloses Weinen über. Maria wartete ab, bis die Wogen sich ein wenig geglättet hatten, und kam dann auf ein unverfänglicheres Thema zu sprechen.
»Soviel wir wissen, arbeitete Dick in der Genossenschaftsschlachterei. Wissen Sie, wo er gearbeitet hat, ehe er dort anfing?« Stina schniefte heftig.
»Eine Zeit lang war er Busfahrer, Hollandreisen zur Tulpenblüte und so was, davor war er in einer Anstalt in Uppsala angestellt, glaube ich. Irgendwas Privates mit Psychiatrie.«
»Und außerdem hat er für die Gewerkschaft gearbeitet?«
»Ja, hat er.« Stina atmete tief durch und setzte sich aufrecht hin.
»Wollte Dick gestern Abend hierher kommen?«
»Ja, ich hatte Beefsteak Tatar gemacht. Das mag er so gern. Ich saß am Telefon und wartete, aber er kam nicht, der Scheißkerl! Er hat nicht mal angerufen.«
»Was haben Sie getan, als er nicht auftauchte?«
»Ich hab meine Schwester Didi angerufen.«
»Um welche Uhrzeit war das?«
»Vielleicht um eins. Wir haben uns das Essen schmecken lassen, eine Flasche Rotwein dazu getrunken. Dann haben wir die angerufen, bei denen er manchmal übernachtet.«
»Frauen?«
»Ja, was glauben Sie denn? Er war doch nicht schwul! Das war lustig. Wir haben deren Männer aufgeweckt, und das gab natürlich Krach. Gehörigen Krach! Ist doch nur gerecht, oder was?« Stina blickte Maria in die Augen und wartete auf eine Antwort.
»Vielleicht«, stimmte Maria zu und fühlte sich einen Augenblick lang überrumpelt. »Dies ist eine schlimme Nachricht für Sie. Haben Sie jemanden, der zu Ihnen kommen kann? Didi vielleicht?« Stina nickte stumm. Ihre füllige Unterlippe zitterte.
Draußen hatte es aufgehört zu schneien. Der weiße Ford war fast unter einer Schneewehe verschwunden. Maria kroch in den Wagen und drehte den Zündschlüssel um. Der Motor blieb stumm. Nicht den geringsten Laut gab er von sich. Sie hatte das Licht angelassen! Wütend warf sie den Duftbaum hinaus, den Hartman an den Zigarettenanzünder gehängt hatte. Von Düften hatte sie heute genug! In ihrer Nase war noch immer der Geruch der Duftbälle und Lavendelkissen, und ihr Magen hatte heute außer verschimmeltem Apfelkuchen noch keine Nahrung bekommen. Wütend stieg sie wieder aus und trat kräftig gegen den Vorderreifen. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht hinauszuschreien, was sie gerade dachte. Stina Ohlsson musste am Fenster gestanden und sie beobachtet haben, denn sie kam in einem eleganten rosa Synthetikpelz über den Parkplatz geschritten, in der Hand ein Starthilfekabel. Gemeinsam schoben sie den Ford mühsam so weit vor, dass er Motorhaube an Motorhaube mit Stinas kleinem roten Saab stand. Maria wunderte sich, wie kräftig diese Frau war. Sie trennten sich im besten Einvernehmen über die Widrigkeiten des Winters und die Unzuverlässigkeit von Autos.
Die Landstraße war schlecht geräumt. Maria stellte das Auto an den Wegrand und ging das letzte Stück auf dem Waldweg bis zur Absperrung zu Fuß. Was konnte das Opfer hier draußen im Wald vorgehabt haben? Vielleicht handelte es sich um eine geheimnisvolle Sekte, ein religiöses Ritual, das in Mord ausgeartet war. Der alte Mann und Elin mit der Katze konnten gleichermaßen Beteiligte wie Opfer sein. Vielleicht hatte Dick Wallström ihre Haustiere getötet, und sie hatten sich gerächt, indem sie ihn an der Esche aufgehängt hatten. Maria schüttelte den Kopf. Diese Erklärung war ein wenig zu einfach, auch wenn es zwei Fußspuren im Lehm gab. Der Mord war bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet, nichts war dem Zufall überlassen worden. Außerdem war Edvin Rudbäck alt und klapprig. Er hätte kaum die Kraft, einen Kerl wie Dick Wallström zu überwältigen.
Maria ging an einer Gruppe neugieriger Zuschauer vorbei, die sich außerhalb der Absperrung angesammelt hatte. Erika Lund und zwei Polizisten, die ihr zur Hand gingen, waren noch am Tatort.
»Die anderen sind runter zur Wache gefahren. Sie wollen sich um 16.00 Uhr im Besprechungsraum treffen.« Diesmal stand Erika nicht auf. Die Dämmerung setzte bereits ein, und es gab noch eine Menge zu tun, bevor es richtig dunkel wurde. Zwei Scheinwerfer waren in der Esche aufgehängt worden, aber das war nicht dasselbe, wie bei Tageslicht zu arbeiten. Erika steckte eine weitere Probe in eine Plastiktüte und verschloss sie.
»Man merkt schon, dass es der dunkelste Tag des Jahres ist. Grüß die anderen und sag ihnen, dass ich innerhalb der nächsten Stunde komme.«
Eine lange Autoschlange bewegte sich im Schneckentempo Richtung Zentrum. Sicher fuhr da ein Schneepflug an der Spitze. Der Gegenverkehr schlitterte mit deutlich höherer Geschwindigkeit vorbei. Maria schaltete das Radio ein. Das 3. Programm hatte zu dem Mord an Dick Wallström nichts zu sagen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Medien loslegen würden. Nach den Nachrichten folgte ein Programm über Weihnachtsbrauchtum. Eine glockenreine, verdächtig nach Trachten klingende Frauenstimme sang: Schneidet, schneidet Hafer. Wer soll Hafer binden. Das soll der Allerliebste mein, wo kann ich ihn nur finden. Ich sah ihn gestern Abend wohl im hellen Mondenschein. Wenn jeder nimmt den Seinen und ich nehm mir den Meinen, dann bleibt der Troll alleine. Schäm dich, schäm dich, denn keiner will dich haben ...
Maria stellte das Radio ab, die Stimmung des Liedes ließ sie aber nicht los. Eine Sichel hatte man am Tatort gefunden, eine Sichel und eine Weizenähre. Uralte Symbole für Ernte und Fruchtbarkeit. Eigenartig, dass Schneidet, schneidet Hafer zu den Weihnachtsliedern gehörte. Es wirkte eher heidnisch, überlegte Maria. Schäm dich, schäm dich, keiner will dich haben ... Sie konnte sich vage an ein Weihnachtsfest in der ersten Klasse erinnern, als jedes Mädchen sich einen Partner gesucht hatte und ein kleiner Junge übrig geblieben war. Sie hatten mit dem Finger auf ihn gezeigt und schäm dich gesungen, genauso wie man es in dem Lied machen sollte, und er hatte angefangen zu weinen. Niemand hatte ihm wirklich etwas Böses antun wollen, und dennoch hatten sie ihm übel mitgespielt. In diesem Moment fielen Maria die Kinder ein. Krister war zu einem Kurs gefahren. Die Kinder sollten um fünf von der Tagesstätte abgeholt werden. Sie würde nun gezwungen sein, die Schwiegermutter darum zu bitten, die Kleinen zu versorgen, und damit den ständigen Klageliedern neuen Stoff geben. Eine gute Mutter erzieht ihre Kinder selbst. Sie gibt sie nicht weg zu fremden Menschen. Eine gute Mutter sorgt für Ordnung und Sauberkeit in ihrem Haus, backt Kuchen, kocht Marmelade und umsorgt ihren Mann. Eine gute Mutter wird jedenfalls nicht Polizistin, trinkt kein Bier und fährt nicht Motorrad. So konnte man das wohl zusammenfassen. Sie hätten niemals nach Kronköping ziehen sollen. Maria sehnte sich so stark nach Uppsala, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Der Schwiegervater hatte Krister eine Teilhaberschaft als EDV-Berater in einer Firma verschafft. In Uppsala war er selbständig gewesen. Das Einkommen war zwar weniger sicher gewesen, aber sie waren allemal glücklicher gewesen. Ahnungslos waren sie auf das Angebot der Schwiegereltern eingegangen, ihr Haus zu übernehmen. Die ältere Generation war in eine Wohnung eine Straße weiter gezogen. Das war der größte Fehler gewesen. Die Schwiegermutter hatte ihren Schlüssel behalten. Mehrere Male hatte Maria ihren Mann angefleht, er möge seine Mutter bitten, den Schlüssel herzugeben, oder das Türschloss auswechseln, aber er hatte sich nicht dazu durchringen können. Nicht mal, als sie an einem Sonntagmorgen vor zwei Wochen eine Weile Zeit für sich hatten. Die Kinder saßen vor dem Fernseher. Sie waren ausgeruht. Die Lust und die Nähe waren da. Ein seltener Augenblick und eine günstige Gelegenheit. Endlich einmal wieder waren sie sich nahe gekommen. Doch dann war die Stimmung plötzlich auf den Nullpunkt gesunken.
»Überraschung! Wo sind denn meine kleinen Lieblinge? Aber Krister, seid ihr noch nicht aufgestanden, es ist doch schon fast elft« Maria wurde bei der Erinnerung daran so wütend, dass sie unabsichtlich Gas gab und beinahe auf den Wagen vor ihr aufgefahren wäre. In Uppsala hatten sie am Küchentisch gesessen, kleine Papiermöbel ausgeschnitten und Skizzen für den geplanten Umbau der Küche und des Badezimmers angefertigt. Auf dem Papier hatte das so schön ausgesehen. In Wirklichkeit war daraus ein großer Familienkrieg geworden, als sie die alte Kücheneinrichtung hinausgeworfen hatten und die Schwiegermutter den Trümmerhaufen auf ihrem täglichen Spaziergang am alten Zuhause vorbei zu sehen bekam. Krister hatte zuerst geglaubt, sie würde einen Schlaganfall kriegen. Völlig hysterisch hatte sie geschrien:
»Immer raus damit! Schmeiß den Scheiß weg und kauf was Neues! Vergiss einfach, dass dein Vater bis tief in die Nacht hinein geschuftet hat, damit die Küche fertig wurde.« Das war irgendwann in den fünfziger Jahren gewesen, soweit sich Krister erinnern konnte, und der Vater hatte wirklich getischlert und sich abgerackert. Die Spüle war niedrig und wenig rückenfreundlich, und der Herd stammte aus einer Zeit, als das Wort kindersicher noch nicht erfunden war. Auch die elektrischen Leitungen hatte der Schwiegervater ausnahmslos allein installiert. Krister, der mit der Lebensweisheit aufgewachsen war, »wenn du die Spüle und den Herd gleichzeitig berührst, dann stirbst du«, hatte Marias Erschrecken nicht ganz nachvollziehen können. Es war doch bisher niemand zu Schaden gekommen, oder? Nach dem Umbau der Küche hatte die Schwiegermutter mehrere Wochen lang kein Wort mit ihnen gewechselt. Dennoch wollten sie jetzt auch das Bad renovieren lassen.
Einmal hatte Maria in ihrer Einfalt geglaubt, es sei ihr geglückt, an den Schlüssel der Schwiegermutter zu kommen. Das war im Herbst gewesen, kurz nachdem sie eingezogen waren. Maria war mit den Kindern auf dem Spielplatz gewesen. Den ganzen Nachmittag war sie auf dem Gras herumgekrochen und hatte für Emil und Linda das Pferd gespielt. Als sie aufbrechen wollten, hatte sie gemerkt, dass der Schlüssel fehlte. Sie hatte ihn nicht wiedergefunden, obwohl Berit, die Nachbarin, ihr bei der Suche geholfen hatte. Das war eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Schwiegermutter um ihren Schlüssel zu bitten. Ohne den geringsten Streit hatte er in ihrer Hand gelegen, blinkend und willkommen. Triumphierend hatte sie ihn an ihrem Schlüsselbund befestigt. Die Freude hatte genau bis zum nächsten Tag gedauert, als sie von der Arbeit nach Hause kam und die Tür unverschlossen und die Schwiegermutter am Bügelbrett stehend vorfand. Natürlich hatte sie noch weitere Schlüssel gehabt. Das hätte ja gerade noch gefehlt!
Maria vermisste Karin, ihre beste Freundin in Uppsala. Sie hatten versprochen, sich zu treffen, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Aber selbst mit der besten Absicht war das schwer. Die Einzige, der sie sich hier in Kronköping anvertrauen konnte, war Berit. Sie war weit gereist und konnte die phantastischsten Geschichten erzählen. Nichts schien für sie unmöglich zu sein. Vielleicht konnte sie es wagen, Berit zu bitten, sich um die Kinder zu kümmern, wenn es das nächste Mal kritisch wurde.
Durchgefroren und hungrig trat Maria in den Besprechungsraum. Eine große Schale mit Safrangebäck und Pfefferkuchen zog sie magisch an. Eine Thermoskanne mit Kaffee machte die Runde. Staatsanwalt Stefan Berg ließ es sich gut schmecken, trotz der makabren Dinge, die an diesem Tisch besprochen wurden.
»Ragnarsson spricht mit der Presse«, teilte Hartman ihr mit, »wir haben schon mal ohne ihn angefangen.« Arvidsson, der bei Elin mit der Katze gewesen war, fuhr in seinem Bericht fort. Elin Svensson hatte die tote Katze als die ihre identifiziert. Es hatte sich auch herausgestellt, dass sie am Abend des 21. Dezembers Besuch gehabt hatte, sie hatte sich aber nachdrücklich geweigert zu erzählen, wer der Besucher gewesen sei.
»Ich habe sie sehr deutlich darauf hingewiesen, wie wichtig es für uns ist, Klarheit über die Ereignisse zu bekommen, und dass wir uns mit dieser Frage nochmal an sie wenden werden. Vielleicht weiß sie etwas und fühlt sich bedroht?« Arvidsson errötete leicht und versteckte sein Gesicht im Kaffeebecher. Maria schüttelte ihren dicken weizenblonden Zopf. Ihre braunen Augen blitzten. Ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.
»Elins guter Nachbar, der ein richtiger Gentleman ist, hat mir gegen das Versprechen absoluter Diskretion anvertraut, dass er Elin zwischen 19.00 und 21.00 Uhr einen Besuch abgestattet hat.«
Arvidssons Nase verschwand noch tiefer im Kaffeebecher. »Auf dem Weg hat er niemanden anders als Elin getroffen.«
»Du bist bei Stina Ohlsson gewesen.« Hartman nahm sein viertes Kuchenstück und nickte Maria zu, die so ausführlich wie möglich von dem Gespräch berichtete. Nur ihren Ärger mit dem Auto, das nicht anspringen wollte, behielt sie für sich, denn das war ihr persönliches kleines Geheimnis.
»Wir müssen bei der Telefongesellschaft in Erfahrung bringen, ob diese Gespräche mit den Freundinnen von Dick Wallström tatsächlich stattgefunden haben. Ek kann sich dann mit den Damen in Verbindung setzen.« Jesper Ek pfiff leise durch die Zähne. Arvidsson errötete noch ein wenig mehr. »Im Laufe des morgigen Tages müssten wir vorläufige Obduktionsresultate bekommen. Worum könnte es bei diesem Mord gehen? Was wissen wir? Der Mann ist erhängt worden. Der Stab, der durch seinen Bauch gestoßen wurde, ist ein Speer, wie sich herausgestellt hat. Er sah recht alt aus, ebenso die Sichel. Der Tote hat auch eine Stichwunde am Hals, wahrscheinlich von einem Messer. Wir haben die Weizenähre und die Eberesche, die nicht dort gewachsen ist, sondern aus irgendeinem Grund dorthin gebracht wurde. Ein Zeichen war in den Stein geritzt und in den Lehm gemalt. Es sieht aus wie zwei Textklammern, die ineinander gehakt sind. Fußabdrücke sind auch gefunden worden. Sie scheinen von großen Schuhen verursacht worden zu sein. Zwei Männer?«
»Erika hat gesagt, dass die Nägel des Opfers bis ins Fleisch hinein abgeschnitten waren und dass sie die Nägel am Boden bei dem Erhängten gefunden hat«, warf Ek ein und fuhr sich mit der Hand übers Kinn.
»Es waren Haare in verschiedenen Farben und von unterschiedlicher Qualität über den Boden verstreut. Ich stimme Erika zu, es scheint, als wolle uns der Mörder an der Nase herumführen«, fuhr Hartman fort. »Selbstmord können wir ausschließen. Der Mann kann sich kaum selbst den Speer in den Bauch gebohrt, sich in den Hals gestochen und sich danach erhängt haben, oder umgekehrt. Also kein Selbstmord.«
»Dick Wallström hatte keine Schuhe an den Füßen. Kann die eine Spur von ihm stammen? Ging er selbst zu seinem Hinrichtungsplatz? Wo sind die Schuhe? Er kann bei diesem Winterwetter wohl kaum barfuß gelaufen sein.« Maria zeichnete ein paar Striche auf das Papier vor sich, skizzierte den Tatort.
»Wir müssen Erika fragen, wenn sie kommt. Hat jemand irgendeine Idee, was da passiert sein kann?«
»Kann es irgendeine merkwürdige Sekte sein? Teufelsanbeter vielleicht? Es sieht nach einem Ritual aus. Wenn man ihn einfach umbringen wollte, hätte das Hängen ja gereicht. Wissen wir etwas über das Zeichen, das in den Stein geritzt ist? Man sollte vielleicht in einem Symbollexikon nachschlagen. Ich kann nachher mal rüber in die Bibliothek gehen, wollte nach der Arbeit sowieso hin.« Arvidsson schnippte ein nicht vorhandenes Staubkorn von seinem Hemdsärmel.
»Das Zeichen war in einen Stein geritzt, vielleicht eine Rune? Bei Runen denke ich an Nazis. Die Rune Yoga, ein nordgermanisches Schriftzeichen, wurde auch von okkultistischen Nazigesellschaften verwendet. Die SS-Zeichen beispielsweise sind stilisierte Blitze von Thors Hammer, und die Odalrune, die für Kultur, Ackerbau und Familie steht, ist auch ein Zeichen, das von den Nazis verwendet wurde. Aber dieses Zeichen auf dem Stein kenne ich nicht.«
Maria zeichnete das Symbol, so wie sie es vom Tatort in Erinnerung hatte, auf ihren Block.
»Dieser Dick war ja alles andere als homosexuell, Asylbewerber war er auch nicht. Warum sollte er den Hass von Nazis auf sich ziehen? Ich glaube eher, dass zwei Ehemänner ihn aufgehängt haben. Das scheint am nächsten zu liegen. Beide töten ihn, jeder auf seine Weise. Obwohl das nicht die toten Tiere erklärt. Oder es waren militante Veganer, also solche, die nur pflanzliche Produkte und zum Beispiel keine Milch zu sich nehmen. Dick war ja Schlachter!«, gab Ek zu bedenken.
»Das wäre möglich, aber militante Veganer hätten die Tiere nicht geschlachtet«, sagte Hartman nachdenklich und stocherte mit dem Kaffeelöffel in seinem Ohr. »Wenn es Tiere gewesen wären, die von der Fleischindustrie geschlachtet und aufgehängt werden, hätte das einen deutlichen Symbolwert gehabt, aber Katzen und Hunde gehören ja irgendwie nicht dazu.«
Die Tür des Sitzungszimmers ging auf, und eine rotwangige Erika Lund stand in der Türöffnung. Hartman fasste schnell ihre bisherigen Erkenntnisse zusammen und bot Erika das letzte Kuchenstück an. Sie nahm es und begann mit ihrem Bericht.
»Wir haben Reifenspuren gefunden, ich glaube, die Abdrücke werden sehr brauchbar sein. Auch die Schuhabdrücke konnten wir sichern. Beide Spuren führen zum Mordplatz und zurück hinauf zum Weg. Das Opfer ist also wahrscheinlich vom Weg bis zu dem Baum getragen worden. Im Hinblick auf die Schuhgröße ist es wahrscheinlich, dass zwei Männer die Tat ausgeführt haben, aber da kann man nie sicher sein. Überlegungen müssen frei und vorurteilslos angestellt werden.« Hartman lächelte vor sich hin. Erika Lunds Vermutungen waren stets hervorragend durchdacht, trotzdem legte sie sich nie richtig fest und sprach stets von Mutmaßungen. »Ich denke an eine Art Opfer«, fuhr sie fort. »Ein Wintersonnenwendeopfer. Guckt im Kalender nach, es ist Wintersonnenwende. Was mich als Erstes daran hat denken lassen, ist außer den Tierkörpern die Ausführung des Mordes. Odin wird üblicherweise der Gott der Gehängten genannt. Er hing neun Tage von einem Speer durchbohrt in der Esche Yggdrasil, dem Baum des Lebens, um Zugang zu den Runen zu bekommen. So geht der Mythos. Mein Vater war Volksschullehrer und pflegte uns Kindern aus der Hávamál vorzulesen, um uns zu bilden: Ich weiß, dass ich hing am windigen Baum neun Nächte lang, mit dem Ger verwundet, geweiht dem Odin, ich selbst mir selbst.«
»Das nenne ich ins Schwarze getroffen«, rief Hartman beeindruckt. »Ich würde vorschlagen, wir wenden uns an einen Experten für Ethnologie oder Archäologie.«
»Ich kenne einen pensionierten Professor, der an der Universität in Uppsala gelehrt hat. Ein Freund der Familie.« Marias Augen leuchteten, als sie an den alten Mann dachte, der so oft in ihrer Familie zu Gast gewesen war. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein räudiges Wiesel, aber wenn er über das nordische Altertum sprechen durfte, zog er alle in seinen Bann. Mit großem Ernst hatte er von Erik Blutaxt erzählt, bis Maria, damals noch klein, überzeugt war, dass es Blutaxt in Wirklichkeit gab, genauer gesagt unter ihrem Bett, und sich deshalb weigerte, allein in ihrem Zimmer zu schlafen.
»Am besten wäre es, wenn er bereits morgen herkommen und sich den Platz und das fotografierte Material ansehen könnte. Setzt du dich mit ihm in Verbindung, Maria?«, fragte Hartman mit einem enttäuschten Blick auf die leere Plätzchenschale.
Es war bereits neun Uhr, als Maria in ihrem Haus in Smedjegränd den Schlüssel ins Schloss steckte und von ihrer Schwiegermutter begrüßt wurde.
»Die haben beide tüchtig zugelangt, richtig ordentlich. Soll ich dir ein paar Fleischklößchen aufwärmen?« Einen kurzen Augenblick hatte Maria das Gefühl, dass sie zu hart über ihre Schwiegermutter urteilte. Vielleicht konnte sie die alte Frau sogar gern haben. Doch dieser Moment war schnell vorbei. Alle Dienstleistungen haben ihren Preis.
»Artur muss sich heute Abend mit Butterbroten zufrieden geben. Ich kann ja nicht gleichzeitig überall sein, und jetzt noch Essen für ihn zu kochen schaffe ich einfach nicht mehr. Du hältst dein Heim nicht in Ordnung, Maria! Ich habe in der Küche und im Wohnzimmer gebohnert, einen schlimmeren Fußboden habe ich noch nie gesehen!« Da hab ich es, dachte Maria und versicherte wahrheitsgemäß, dass sie sich viel zu viel Arbeit gemacht habe. Die Schwiegermutter hätte sich wirklich nicht über den Fußboden hermachen müssen, und sich Fleischklöße aufzuwärmen schaffte sie bestimmt auch allein.
»So wie der aussah, war ich regelrecht gezwungen, den Fußboden zu bohnern«, hörte sie die beleidigte Stimme aus der Diele, bevor die Tür zugeschlagen wurde.
In den Nachrichten um 22.00 Uhr war der Mord im Kronwald das Hauptthema. Ragnarsson genießt solche Auftritte, stellte Maria gehässig fest. Jetzt sitzt er sicher zu Hause und regt sich darüber auf, dass sie sein Interview zusammengeschnitten haben. Die Worte des Reporters und die Bilder waren wie eine kalte Dusche für Maria. Es war, als hätte sie den ganzen Tag über gar nicht richtig begriffen, was geschehen war. Das ganze Ausmaß wurde ihr erst jetzt bewusst, da sie es von einem außenstehenden Reporter in den Nachrichten hörte. Den Tag über hatte sie immer Menschen um sich herum, hatte Aufgaben zu erledigen gehabt. Ein Mörder, vielleicht auch zwei waren hier