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Die heutige Welt begünstigt Narzissten - so die These der Psychoanalytikerin und Bestsellerautorin Marie-France Hirigoyen. Narzissten gewinnen immer mehr Macht in unserer Gesellschaft und vergiften das Zusammenleben, von der Politik über die Arbeitswelt bis hinein in die Familien. Hirigoyen deckt die Ursachen dieser fatalen Entwicklung auf und erklärt, wie wir dem Vormarsch des Narzissmus entgegentreten können.
Je ungehemmter unsere Zeit auf Performance, Wettbewerb und Konsum setzt, desto mehr verstärkt sie die narzisstischen Züge der Einzelnen und umso häufiger spült sie die größten Narzissten auf die höchsten Posten. Die Erziehung unserer Kinder, die Selbstinszenierung in den sozialen Medien, das florierende Persönlichkeitscoaching – all dies und mehr hat es dem Narzissmus erlaubt, sich tief in unserer Gesellschaft einzunisten. Marie-France Hirigoyen erklärt, was einen gesunden Narzissmus von einem pathologischen unterscheidet, welche Symptome Narzissten entwickeln und wieso manche von ihnen megaloman, andere dagegen höchst verletzlich sind. Die Folgen des herrschenden Narzissmus reichen von Machtmissbrauch bis zu permanenten Lügen und Tricksereien. Hirigoyens Buch wappnet uns gegen den Narzissmus in unserer Welt und zeigt, wo die Gegenmittel zu finden sind.
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Marie-France Hirigoyen
DIE TOXISCHE MACHT DER NARZISSTEN
und wie wir uns dagegen wehren
Aus dem Französischenvon Thomas Schultz
C.H.Beck
Die heutige Welt begünstigt Narzissten – so die These der Psychoanalytikerin und Bestsellerautorin Marie-France Hirigoyen. Narzissten gewinnen immer mehr Macht in unserer Gesellschaft und vergiften das Zusammenleben, von der Politik über die Arbeitswelt bis hinein in die Familien. Hirigoyen deckt die Ursachen dieser fatalen Entwicklung auf und erklärt, wie wir dem Vormarsch des Narzissmus entgegentreten können.
Je ungehemmter unsere Zeit auf Performance, Wettbewerb und Konsum setzt, desto mehr verstärkt sie die narzisstischen Züge der Einzelnen und umso häufiger spült sie die größten Narzissten auf die höchsten Posten. Die Erziehung unserer Kinder, die Selbstinszenierung in den sozialen Medien, das florierende Persönlichkeitscoaching – all dies und mehr hat es dem Narzissmus erlaubt, sich tief in unserer Gesellschaft einzunisten. Marie-France Hirigoyen erklärt, was einen gesunden Narzissmus von einem pathologischen unterscheidet, welche Symptome Narzissten entwickeln und wieso manche von ihnen megaloman, andere dagegen höchst verletzlich sind. Die Folgen des herrschenden Narzissmus reichen von Machtmissbrauch bis zu permanenten Lügen und Tricksereien. Hirigoyens Buch wappnet uns gegen den Narzissmus in unserer Welt und zeigt, wo die Gegenmittel zu finden sind.
«Das Buch von Marie-France Hirigoyen erfasst bravourös die narzisstischen Zeichen unserer Zeit.» Le Quotidien du Médecin
«Eine Lektüre, die jedem erlaubt, die Narzissten zu erkennen und sich vor ihnen zu schützen.» Psychologies
Marie-France Hirigoyen ist Psychoanalytikerin und Familientherapeutin. Ihr Buch Die Masken der Niedertracht über seelische Gewalt im Alltag ist auch in Deutschland ein anhaltender Bestseller (C.H.Beck 42000, dtv 192018). Bei C.H.Beck sind von ihr außerdem erschienen: Wenn der Job zur Hölle wird (2002), Warum tust du mir das an? Gewalt in Partnerschaften (2006) und Solotanz. Anleitung zum Alleinsein (2008).
Einleitung: DIE NARZISSTEN AN DER MACHT
Kapitel 1: DER PATHOLOGISCHE NARZISSMUS DES DONALD TRUMP
Klinische Diagnose: Trump erfüllt alle Kriterien
Die neun Kriterien der «narzisstischen Persönlichkeitsstörung»
Die anderen Diagnosevorschläge
Die ADHS
Die Psychopathie oder Soziopathie
Paranoia, neurologische Schädigung oder «delirantes Syndrom»?
Die Ursprünge von Trumps pathologischem Narzissmus
Die Schwächen des Präsidenten
Das Erfordernis, seine Inkompetenz zu verbergen
Trumps Kommunikation und seine Trümpfe
Warum er sich nicht ändern wird: Er ist der Spiegel einer Gesellschaft
Kapitel 2: DAS KONZEPT DES NARZISSMUS
Der Mythos von Narziss und der Freud’sche Narzissmus
Die Ansätze zum Narzissmus in den USA
Die Ich-Psychologie
Die Selbstpsychologie
Selbstwert und Selbstvertrauen
Hoher Selbstwert
Geringer Selbstwert
Wie man sich aufwerten kann
Die zentrale Rolle des Schamgefühls
Der Narzissmus aus Sicht der Soziologen
Kapitel 3: DIE NARZISSTISCHEN PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Der «subklinische» Narzissmus: ärgerlich, aber akzeptabel
Der pathologische Narzissmus und das DSM-5
Wer sind die Narzissten?
Kapitel 4: DIE WICHTIGSTEN NARZISSTISCHEN PATHOLOGIEN
Die grandiosen oder größenwahnsinnigen Narzissten
Die verletzlichen Narzissten
Die narzisstischen Perversen oder Psychopathen
Kapitel 5: DIE WURZELN DES PATHOLOGISCHEN NARZISSMUS
Die Entstehung des Narzissmus: Vom elterlichen Versagen in der Kindheit …
… zum Kult des Königs Kind
Wie die moderne Welt Narzissten produziert
Der Leistungskult
Der Ausverkauf der Gesellschaft
Die Überschwemmung durch das Sexuelle
Wenn die Verweigerung des Andersseins den Einfluss der Coaches begünstigt
Kapitel 6: DAS BILD ALS SPIEGEL DES SELBST
Der Imperativ der Schönheit des Körpers
Das Suchtpotenzial des Internets, der sozialen Netzwerke und der Videospiele
Warum die Attraktion der Bildschirme den Narzissten nutzt
Das Reality-TV und die Talkshows: Narzisstische Spiegel
Kapitel 7: DIE AUSWIRKUNGEN DES NARZISSMUS IM ALLTAG
Die Beschädigung der Arbeitswelt
Tiefgreifende Veränderungen in den Familien
Die flüssige Liebe
Das Geschäft mit dem Dating
Kinder machen
Trennungen
Infragestellung der männlichen Macht
Kapitel 8: DIE AUSWIRKUNGEN DES NARZISSMUS AUF DIE GESELLSCHAFT
Die den Narzissten gewährte Macht
Die Bedeutung des Äußeren
Narzissten in Unternehmen
Lügen und Betrügereien
Narzisstische Wissenschaftler und «Pseudo-Wissenschaft»
Der Narzissmus der Politiker
Die Auswüchse der politischen Kultur in Frankreich
Putin, Xi Jinping und die anderen: Überall auf der Welt sind pathologische Narzissten an der Macht
Schluss: DIE PATHOLOGIEN DES NARZISSMUS ÜBERWINDEN
Die Ursprünge: Auswüchse der neoliberalen Globalisierung
Wachsendes Bewusstsein
ANMERKUNGEN
Einleitung: Die Narzissten an der Macht
1. Der pathologische Narzissmus des Donald Trump
2. Das Konzept des Narzissmus
3. Die narzisstischen Persönlichkeitsstörungen
4. Die wichtigsten narzisstischen Pathologien
5. Die Wurzeln des pathologischen Narzissmus
6. Das Bild als Spiegel des Selbst
7. Die Auswirkungen des Narzissmus im Alltag
8. Die Auswirkungen des Narzissmus auf die Gesellschaft
Die Pathologien des Narzissmus überwinden
Einleitung
In einer Welt, die sich in der Politik, im Geschäftsleben und in der Kommunikation immer komplexer und immer stärker im Zeichen des Wettbewerbs präsentiert, stehen die Narzissten heute ganz vorn. Viele dieser einnehmenden und zugleich dominanten Männer (seltener Frauen), die laut und deutlich ihre Überlegenheit herausstellen, haben die höchsten Posten inne. Gewiss sind dank etlicher Skandale, insbesondere infolge der Weinstein-Affäre, einige von ihrem Sockel gestürzt, aber deshalb ist der volle Umfang ihres Machtmissbrauchs noch lange nicht zur Anzeige gebracht, denn wir üben weiterhin unglaublich viel Nachsicht mit ihnen.
Seit den 2000er Jahren hat der Narzissmus als aktuelles Thema zu zahlreichen Beiträgen in den Medien Anlass gegeben und ein Interesse geweckt, das weit über Fachkreise hinausreicht. Aber der alltäglich gewordene und allgemein verbreitete Gebrauch des Begriffs befördert eine Art moralisches Urteil, das nur dessen abwertende Seite im Auge hat, das heißt den Größenwahn, die Ich-Bezogenheit und die Gleichgültigkeit gegenüber anderen. Fachleute haben unterschiedliche Ansichten zu dieser Problematik: Viele Psychiater und Psychologen prangern den allgegenwärtigen Narzissmus und seine katastrophalen Folgen für ihre Patienten an. Sie versuchen, das gegenwärtige Unbehagen zu verstehen, etwa die Einsamkeit, die Leiden in der Arbeitswelt, die gestörten Liebesbeziehungen und vor allem die Stimmung von Sinn- und Hoffnungslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen. Während Psychiater in den siebziger Jahren von Neurotikern aufgesucht wurden, die ihr seelisches Innenleben begreifen wollten, behandeln wir heute Personen, die über die Härte ihres Alltags klagen, denn in allen Bereichen wird eine Leistungsfähigkeit verlangt, die die Menschen bisweilen überfordert. Da bitten Eltern um Hilfe im Umgang mit einem «online-süchtigen» Jugendlichen; Paare zerfleischen sich im Verlauf ihrer Trennung, zu allen Manipulationen bereit, um das Sorgerecht für die Kinder zu erstreiten; oder an ihrem Arbeitsplatz gemobbte Angestellte suchen ganz einfach «durchzuhalten».
Andere Spezialisten hingegen führen, indem sie Narzissmus und Selbstvertrauen miteinander vermengen, die Adaptation des Individuums an die Gesellschaft ins Feld und preisen den Narzissmus als eine Art der Selbstverwirklichung. Mit der Behauptung, die gegenwärtigen Übel entsprängen unserem Mangel an Selbstvertrauen, empfehlen sie, den eigenen Narzissmus zu stärken.
Unsere Zeit bietet somit den Narzissmus in allen Variationen an und vermischt dabei den gesunden, positiven Narzissmus, der genügend Selbstvertrauen ermöglicht, um sich selbst zu behaupten, mit dem krankhaften Narzissmus, der darin besteht, sich arrogant und häufig auf Kosten anderer in den Vordergrund zu rücken. Derartige Debatten sind nicht neu, denn der Narzissmus ist eine komplexe Vorstellung, die seit Freud Gegenstand zahlreicher Forschungen in verschiedenen Fachbereichen ist. Und wenngleich all diese Studien lange Zeit im Widerstreit zueinander standen, werden wir sehen, dass sie sich letztendlich eher ergänzen.
Versuchen wir zunächst, den pathologischen Narzissmus zu verstehen, um herauszufinden, inwiefern diese Persönlichkeitsstörung unsere Epoche beeinflusst. Um meine These zu verdeutlichen und die verschiedenen charakteristischen Symptome genau zu beschreiben, analysiere ich den – zugegebenermaßen karikaturesken – Fall von Donald Trump, denn er scheint ein offenkundiges Beispiel zu sein und verwirklicht angesichts seines hohen Amtes den Traum eines jeden Narzissten (Kapitel 1). Seine Prahlsucht, sein extravertiertes Verhalten, sein völlig hemmungs- und empathieloses Auftreten machen ihn zu einem Schulbeispiel, das uns alle Merkmale des «grandiosen Narzissmus» vorführt. Ohne jegliche Komplexe, zögert er nicht, etwas x-Beliebiges zu sagen, um für sich selbst zu werben. Die sichtbarste Dimension seines Narzissmus ist seine Arroganz, eine sehr hohe Meinung von sich selbst, eine selten anzutreffende Selbstsucht und das völlige Fehlen von Scham. Dennoch wird sich zeigen, dass sein Fall gar nicht so einfach liegt, was wiederum zu der Frage Anlass gibt, welchen Stellenwert der Narzissmus unter den führenden Politikern von heute und in den gegenwärtigen Gesellschaften einnimmt, und zwar auf der ganzen Welt. Ist der Aufstieg eines Narzissten zum Präsidenten der USA nicht das – wenn auch karikaturhafte – Abbild der Richtungslosigkeit unserer modernen Welt, in der immer mehr Individuen in ihrer Social-Media-Sucht hauptsächlich mit sich selber beschäftigt sind und sich unaufhörlich in den Vordergrund drängen, um zu beweisen, dass sie die Besten sind?
Wir alle kennen Narzissten, darum stellt sich die Frage, wie wir eine nur etwas prahlerische Person von einem krankhaften Narzissten unterscheiden können. Wie unterscheiden wir narzisstische Züge, die sich im gesellschaftlichen und beruflichen Leben positiv auswirken können, von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung? Um auf diese Frage zu antworten und etwas Klarheit zu schaffen, ist es nützlich, auf die Entstehung des Begriffs Narzissmus zurückzukommen, zunächst in der Freud’schen Psychoanalyse, um dann seine Entwicklung in der US-amerikanischen Psychoanalyse zu verfolgen, die die Betonung auf das «Es» legte (Kapitel 2). Diese Psychiater hatten das Krankheitsbild damals sehr sorgsam analysiert und beschrieben eine Symptomatik, die im klinischen Bereich bis heute Gültigkeit hat.
Der Begriff Narzissmus wurde von Freud zuerst verwendet, um die «Liebesobjektwahl» (Wahl eines Sexualpartners) bei homosexuellen Männern zu erklären. In der Folge entwickelte Freud seinen Gedanken weiter und führte den Begriff als eine Stufe in seiner Theorie der psychosexuellen Entwicklung ein, wobei er den primären Narzissmus vom sekundären Narzissmus unterschied. Seine Schriften über den Narzissmus gaben den Anstoß zu zahlreichen theoretischen Arbeiten, doch während er den Begriff einzig und allein verwendete, um über die Selbstliebe zu reden, ist bei amerikanischen Psychoanalytikern seit den siebziger Jahren vielmehr von «Selbstwert» die Rede, auf dem ein Ich im «amerikanischen» Stil aufbauen soll, ein starkes Ich, das den harten Prüfungen der Realität gewachsen ist. Die verschiedenen Strömungen der Psychoanalyse in den USA wurden schon bald vom Gedanken des Wohlbefindens und der Anpassung an die Gesellschaft durchzogen, der mit der Freud’schen Auffassung unvereinbar ist. Aber die Dinge wurden noch komplizierter, denn es wurde offenbar, dass der Begriff des Narzissmus nicht nur auf ein klinisches oder psychiatrisches Problem verweist: Er hinterfragt auch den eng mit ihm verbundenen tiefgreifenden Wertewandel der heutigen Gesellschaft, insbesondere den Individualismus. Die Forschungen weiteten sich folglich auf die Soziologie aus, die im Narzissmus ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen sah, das es zu analysieren galt.
Je nachdem, ob man sich auf die klinische und psychiatrische Ebene begibt oder eine psychosoziale Sicht einnimmt, sieht man sich plötzlich unterschiedlichen Definitionen des Narzissmus gegenüber. Psychiater, Psychologen, Soziologen und Philosophen entwickeln ihre eigenen Theorien oder Werkzeuge, was die Verwirrung vergrößert. Es ist nicht einfach, eine psychologische Herangehensweise, die von klinischen Erfahrungen und dem Leiden der Personen ausgeht, mit einem soziologischen oder philosophischen Ansatz in Einklang zu bringen, der den Wandel der Gesellschaft infrage stellt. Indessen sind diese verschiedenen theoretischen Felder nicht unvereinbar. Der Narzissmus ist als Thema weiterhin aktuell, nur ist er zu einer Banalität verkommen. Von Studien über Wellness und Glück vereinnahmt, wurde er zu einem so dehnbaren Begriff, dass ihn jeder auf seine Art deuten kann, ohne sich um seine Komplexität zu kümmern.
Wie sich später noch zeigen wird, ist der Narzissmus an sich keine Krankheit, er spielt sogar eine wesentliche Rolle beim Aufbau unserer Identität. Er ermöglicht es einer Person, ein hinreichend solides Selbstwertgefühl zu entwickeln, um an die eigenen Begabungen zu glauben, sich vorzuwagen und zu handeln, ohne dabei allein auf den Blick eines anderen angewiesen zu sein. Mit anderen Worten, er erlaubt es uns, genügend Selbstbewusstsein zu entwickeln, um unseren Selbstwert gegenüber Kritik und Scheitern zu bewahren, positiv über uns selbst zu urteilen und zugleich die eigenen Fehler anzuerkennen, das heißt, den eigenen negativen Teil nicht auf andere zu projizieren. Narzissmus wird erst pathologisch, wenn eine Person so sehr auf sich selbst fixiert ist, dass die anderen nur noch als Spiegel existieren mit dem einzigen Zweck, ein grandioses Bild der eigenen Person zu reflektieren. Unter den Varianten der «narzisstischen Persönlichkeitsstörung» (NPS) erscheinen die grandiosen Narzissten als arrogant und selbstsicher, während die verletzlichen Narzissten ihr Verlangen nach Allmacht hinter einer Fassade von Bescheidenheit verbergen (Kapitel 3 und 4). Es gibt also verschiedene Grade von Narzissmus, so dass manche Personen verhältnismäßig gutartige narzisstische Züge an den Tag legen, die es ihnen erlauben, sich in Gesellschaft wohl zu fühlen, während andere als regelrechte Psychopathen in Erscheinung treten. In Frankreich richtet sich das Interesse einer breiten Öffentlichkeit auf eine besondere Form der narzisstischen Pathologie, die narzisstische Perversion. Wie später zu sehen sein wird, handelt es sich dabei um eine extreme und gefährliche NPS, denn sie weist einen Zug moralischer Perversion auf.
Zahlreiche US-amerikanische Studien haben gezeigt, dass der Narzissmus in den Vereinigten Staaten seit den 1970er Jahren ständig zugenommen hat, insbesondere unter Jugendlichen. Folglich fragten die Forscher nach den Gründen eines so schnellen Wandels einer Gesellschaft und ihrer Individuen. Mit dem Ziel, die verschiedenen Facetten dieser Problematik zu verstehen und ihre Folgen zu analysieren, erschien 2011 ein umfangreicher Band, den der herausragende Spezialist für Narzissmus W. Keith Campbell und sein Kollege Joshua D. Miller herausgegeben hatten und der die gesammelten Arbeiten und Beobachtungen von 78 Wissenschaftlern enthielt.[1] Das in den USA so offenkundig in Erscheinung tretende Phänomen ist in Europa weniger gut erforscht, vermutlich weil sich die Problematik hier in subtilerer Weise bemerkbar macht, aber auch weil die Bewertungsmaßstäbe der USA nicht unbedingt geeignet scheinen, ein Phänomen zu beurteilen, das sich hier auf andere Art manifestiert. Und doch sind die Europäer genauso davon betroffen.
Wir müssen den gegenwärtigen Narzissmus global begreifen, als ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen, das sich darauf auswirkt, wer wir sind. Ob wir es nun aus einem psychologischen oder einem soziologischen Blickwinkel betrachten, müssen wir feststellen, dass die Globalisierung einen tiefgreifenden Wandel der Individuen bewirkt hat (Kapitel 5). Wir sind von einer paternalistischen Kultur, die auf notwendigen Opfern beruht und das Auftreten von Neurosen begünstigt, zu einer Kultur übergegangen, die auf individueller Freiheit und Frustrationsintoleranz gründet, was narzisstisch anfällige Menschen noch leichter aus dem Gleichgewicht geraten lässt. Die Psychopathologie der Individuen spiegelt die Veränderungen in der Gesellschaft wider. Die Tatsache, dass derzeit ein deutlicher Zuwachs an narzisstischen Erkrankungen zu beobachten ist, bedeutet zum einen, dass dieser Persönlichkeitstyp besonders gut an die moderne Welt angepasst ist. Zum anderen führt der zunehmende Narzissmus der einzelnen Personen zu Veränderungen in der gesamten Gesellschaft (beispielsweise zur Wahl von Donald Trump). Unsere neoliberale Gesellschaft produziert Narzissten, und einige unter ihnen werden zu pathologischen Narzissten, die dem Größenwahn verfallen.
Eine der ersten Erklärungen für die steigende Häufigkeit dieser Art von Persönlichkeitsstörungen, die von den Soziologen ins Feld geführt wird, ist die antiautoritäre Erziehung der Jugendlichen und die permissive Sozialisierung in Familie und Schule. Ihrer Ansicht nach führen diese dazu, dass die Kinder sich den herrschenden Gesellschaftsnormen anpassen. Das Übel dehnt sich nicht zuletzt deshalb aus, weil die kapitalistische Gesellschaft über den Individualismus und den Massenkonsum, sei es von Gegenständen, Informationen oder Wellness-Produkten, die narzisstischen Züge in jedem und jeder von uns verstärkt. In einer um Konsum und Displays kreisenden Bild- und Informationsgesellschaft existiert das Individuum demzufolge nur noch in den Augen und unter den Blicken der anderen (Kapitel 6).
Die Folgen des überhandnehmenden Narzissmus sind überall sichtbar (Kapitel 7). Um im Beruf oder privat «Erfolg zu haben», muss man sich hervortun, sich aufwerten. Ganz offenkundig wird dies in den sozialen Netzwerken und in Reality-TV-Sendungen, wo man sich bemüht, Entgleisungen zu glätten, aber auch in den Familien, wo die Paarbeziehungen immer kurzlebiger werden. Und natürlich am Arbeitsplatz, wo im Zusammenhang mit Mobbing und Burn-out immer mehr Druck und seelisches Leiden zu beobachten sind. Zweifellos begünstigen die neuen Gesellschaftsnormen, die das äußere Erscheinungsbild in den Mittelpunkt stellen, das Lügen und Betrügen, denn jeder muss für sich werben, selbst wenn er dafür die Wahrheit zu verbiegen hat. Überall sind richtungslose Verhaltensweisen zu beobachten, die sich nicht mehr nach moralischen Kriterien richten.
Zum Schluss werden wir zu begreifen versuchen, warum Narzissten häufig auf leitenden Posten großer Unternehmen und in der Politik anzutreffen sind (Kapitel 8). Bekanntlich fördert der pathologische Narzissmus die Risikobereitschaft, das kurzfristige Profitstreben, und er steht häufig am Anfang niederträchtigen und korrupten Handelns; dennoch setzen wir weiterhin Narzissten an die Spitze von Staaten und großen Firmen. Natürlich lassen ihr Machthunger, ihre Verführungskünste und ihr manipulatives Geschick sie als charismatische Führer erscheinen. Ihre Herrschsucht und ihre Skrupellosigkeit verleihen ihnen aber auch einen beträchtlichen Vorteil, wenn es darum geht, einen begehrten Posten zu ergattern.
Als Psychiaterin und Psychotherapeutin, die sich mit psychischer Gewalt und Mobbing beschäftigt, habe ich diese Narzissten zwangsläufig genauer kennengelernt. Die mit dem ausgeprägtesten Größenwahn wählten mich aus, «weil ich die Beste war», was für sie eine Art war, sich selber aufzuwerten. Sie suchten mich nicht auf, um sich in ihrem Verhalten besser verstehen zu lernen, sondern weil sie sich an den Konsequenzen ihres Narzissmus störten, zum Beispiel an der Schwierigkeit, eine Dauerbeziehung zu führen. Die verletzlichen Narzissten hingegen, die überempfindlich auf Kritik und Kränkungen reagieren, kommen häufiger, weil sie Situationen von Mobbing erduldet haben. Aber es sind vor allem die Partner oder Ex-Partner von Narzissten, die Hilfe benötigen, denn sie leiden darunter, für sie nur ein Gebrauchsgegenstand zu sein.
In einer von allmächtigen Narzissten geführten Welt kann man nur beunruhigt sein. Einige Narzissten sind entlarvt worden, doch weniger im Zuge der menschlichen Folgen ihrer Entgleisungen als vielmehr auf Grund der Tatsache, dass ihr Erfolg illusorisch und selten von langer Dauer ist. Wir müssen lernen, sie ausfindig zu machen, um ihren Aufstieg zu stoppen. Es geht nicht darum, über verschwindende Wertvorstellungen zu klagen und der Ansicht zu sein, dass «es früher besser war»; wichtig ist, den Narzissmus genau zu definieren und die psychischen Mechanismen narzisstischer Individuen zu verstehen, um die daraus erwachsenden gesellschaftlichen Folgen zu ermessen. Und auch die Mechanismen der modernen Welt müssen wir verstehen lernen, indem wir auf der Grundlage multidisziplinärer Ansätze einen erneuerten Dialog zwischen Psychoanalyse und Soziologie ermöglichen.
Aber erste Reaktionen scheinen sich bereits abzuzeichnen. Der Schock über Donald Trumps Regierungsübernahme hat dazu beigetragen, ebenso wie die zahlreichen Betrugs- und Fälschungsskandale. Doch obgleich immer mehr Menschen sich der unheilvollen Auswirkungen jener Mechanismen bewusst werden, stehen ihnen die negativen Kräfte von Profit und Rentabilität entgegen. Darum ist es so wichtig, die unzähligen, weit weniger bekannten, aber ganz wesentlichen Erfahrungen mit der Gründung und Entwicklung von Arbeits- und Lebenskollektiven publik zu machen, wo narzisstische Verhaltensweisen nicht länger Bestand haben.
Kapitel 1
Auch jemand, der kein Psychologe oder Psychiater ist, merkt sofort, dass mit Donald Trump etwas nicht stimmt. Denen, die nicht wissen, was unter «pathologischem Narzissmus» genau zu verstehen ist, liefert der im November 2016 gewählte Präsident der Vereinigten Staaten mit seiner Prahlerei, seinem extravertierten Verhalten, seiner absoluten Hemmungs- und Empathielosigkeit ein karikatureskes Beispiel.
Seit Beginn von Donald Trumps Wahlkampf hatten US-amerikanische Psychiater in seinen Persönlichkeitsstörungen ein Alarmzeichen gesehen. Am 4. Oktober 2016 strengte der Anwalt James A. Herb ein erstes offizielles Unfähigkeitsverfahren beim Gericht von Florida an, das vom Gerichtshof unverzüglich abgewiesen wurde.[1] Am Tag nach der Wahl reichte John Gartner, Professor für Psychiatrie an der Johns Hopkins University (Maryland), eine Petition ein, in der es hieß: «Donald Trump leidet an einer schwerwiegenden seelischen Krankheit, die ihn psychisch unfähig und inkompetent macht, die Amtsgeschäfte eines Präsidenten der Vereinigten Staaten auszuüben»[2] (seine Petition erhielt mehr als 70.000 Unterschriften). Ende 2016 schrieben drei Professoren der Psychiatrie an Präsident Obama mit der Forderung, den neu gewählten Präsidenten einer psychiatrischen Begutachtung zu unterziehen, wobei sie ihre «große Besorgnis» zum Ausdruck brachten hinsichtlich seiner «Impulsivität, Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und offensichtlichen Unfähigkeit, Hirngespinste von der Wirklichkeit zu unterscheiden».[3]
Nach Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 kam das Thema erneut zur Sprache. James A. Herb strengte ein weiteres Verfahren an, in dem er Absatz 4 des 25. Zusatzartikels zur amerikanischen Fassung geltend machte (der für den Fall der Unfähigkeit des Präsidenten, die Geschäfte und Pflichten seines Amtes auszuüben und zu erfüllen, seine Ablösung durch den Vizepräsidenten vorsieht); das Verfahren wurde am 21. Februar 2017 vom Gerichtshof abgewiesen.
Noch im selben Monat gründete eine Gruppe von mehr als tausend Psychiatern und Psychologen die Vereinigung Citizen Therapists against Trumpism, um auf das beunruhigende Persönlichkeitsprofil des neuen Präsidenten aufmerksam zu machen. Im März 2017 warnten zwei angesehene US-amerikanische Psychiater, Robert Jay Lifton und Judith Herman, in einem offenen Brief in der New York Times vor dem gefährlichen Persönlichkeitsprofil von Trump.[4] In der Folge erhielt eine weitere Petition, «Need to Impeach», die der Milliardär Tom Steyer lanciert hatte, die Unterschrift von mehr als 5 Millionen US-Bürgern. Aber der Widerstand fand auch auf der Straße statt, denn fast 4 Millionen Menschen protestierten beim «Marsch der Frauen» am Tag nach Donald Trumps Amtseinführung.
Und doch sind sich nicht alle Spezialisten über die komplexe Persönlichkeit Donald Trumps einig. Während exzellente US-Psychiater der Ansicht sind, dass er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aufweist, meinen andere, dass er nur eine starke Persönlichkeit besitzt. Die Schwierigkeit der Beurteilung erwächst aus dem Gebot der Berufsethik, demzufolge ein Psychiater nur dann eine Diagnose stellen kann, wenn er den Patienten persönlich kennengelernt hat. Aus diesem Grund hatte schon im August 2016 die American Psychiatric Association (APA) eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie die Praxis der Ferndiagnose verurteilte: Ihrer Ansicht nach könne dadurch «das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Psychiatrie»[5] Schaden nehmen. Sie bezog sich dabei auf die 1973 von der Gesellschaft angenommene «Goldwater-Regel», nach der die Diagnose einer öffentlichen Person ohne angemessene Untersuchung und ohne ihre Erlaubnis der ärztlichen Ethik zuwiderlaufe. Diese Problematik hatte bereits während des Wahlkampfs zur Präsidentschaftswahl von 1964 Debatten ausgelöst, als eine Zeitschrift Tausende Psychiater danach befragte, ob der republikanische Kandidat Barry Goldwater für das Präsidentenamt psychisch geeignet sei. Mehr als tausend Psychiater erklärten daraufhin seine Unfähigkeit, woraufhin Goldwater einen Prozess wegen Verleumdung gewann.
Der pathologische Narzissmus einer Person wird meistens anhand einer Bewertungstabelle aus dem DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) beurteilt, dem internationalen Handbuch zur Klassifizierung von psychischen Störungen, dessen 5. Auflage 2013 erschien[6] (s. unten, Kapitel 3). Nach Ansicht des Psychiaters Allen James Frances, Koautor des DSM-IV, kann Trump «ein erstklassiger Narzisst sein, was aber noch keinen psychisch Kranken aus ihm macht».[7] Die Argumente, die Frances dafür ins Feld führt, überraschen ziemlich: «Denn er leidet nicht an der Verzweiflung und Schwäche, die zur Diagnose einer psychischen Störung führen.» Und er fügt hinzu: «Ein schlechtes Verhalten deutet selten auf eine psychische Krankheit hin.» Tatsächlich müssen laut DSM die auffälligen Krankheitsmerkmale ein persönliches Leiden oder eine Unfähigkeit nach sich ziehen, was bei Donald Trump offensichtlich nicht der Fall ist. Wir werden auf diese Argumentation noch zurückkommen, denn hier steht die Stichhaltigkeit der vom DSM gestellten Diagnosen insgesamt in Frage: Kann eine psychische Störung oder Krankheit wirklich erst anhand des Leidens diagnostiziert werden, das die betreffende Person empfindet?
Die Warnungen ihrer Kollegen haben 27 US-Psychiater und -Psychologen nicht daran gehindert, ihre berufliche Neutralität zu verlassen: Nach einem Vortrag an der Yale School of Medicine im April 2017 mit dem Titel «Duty to Warn» publizierten sie gemeinsam ein Buch, in dem sie die Bürger ihres Landes vor der Gefährlichkeit Donald Trumps warnten.[8] In der Tat kann ein Psychiater, auch ohne eine Diagnose über eine nicht von ihm selbst untersuchte Person abzugeben, deren Symptome beschreiben und sich dazu äußern, ob diese Person «für sich selbst oder andere» gefährlich ist. Wenn man davon ausgeht, dass Donald Trump eine narzisstische Persönlichkeit besitzt, handelt es sich dann bei ihm einfach um narzisstische Züge, die er mit einem großen Teil der US-Bürger teilt? Oder um eine Persönlichkeitsstörung, das heißt einen Komplex von Verhaltensweisen und Beziehungen, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen? Oder gar um eine noch schwerwiegendere Pathologie? Die Medien bleiben allgemein und sprechen von «Wahnsinn». Versuchen wir, etwas mehr Klarheit hineinzubringen.
Ich werde später über die Stichhaltigkeit der Bewertungstabelle des DSM reden, die meiner Ansicht nach zu wenig nuanciert ist (s. unten, Kapitel 3), aber da die US-Psychiater sich an ihr orientieren, will ich sie hier benutzen, um Donald Trumps Persönlichkeit zu analysieren. Es wird sich zeigen, dass er sämtliche Merkmale der narzisstischen Persönlichkeitsstörung erfüllt, wie sie im DSM-5 beschrieben wird. Natürlich weist er auch Züge auf, die zu anderen Persönlichkeitsstörungen gehören, aber das ist nebensächlich. Laut DSM-5 wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung folgendermaßen definiert: «Demnach handelt es sich bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung um ein tiefgreifendes Muster von Großartigkeit (in Fantasie oder Verhalten), dem Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Einfühlungsvermögen. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und die Störung zeigt sich in verschiedenen Situationen. […] Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein […].»[9] Diese Kriterien will ich jetzt zitieren und kommentieren.
«1. Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (z.B. übertreibt die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden).»
Donald Trump hält sich – und hielt sich schon immer – für allmächtig. Er betrachtet sich als jemand Besonderen, der über allem und allen steht: «Anything we want is now possible» («Alles, was wir wollen, ist jetzt möglich»). Schon 1984 verkündete er in einem Interview mit der Washington Post, dass er durchaus imstande wäre, mit der UdSSR über das Atomwaffen-Arsenal zu verhandeln: «Es würde anderthalb Stunden brauchen, um alles zu lernen, was es über Raketen zu lernen gibt … Übrigens denke ich, dass ich das Wichtigste weiß.» Trump prahlt ohne jedes Schamgefühl: «Der einzige Unterschied zwischen mir und den anderen Bewerbern ist, dass ich ehrlicher bin. Und meine Frauen sind schöner.» «Meine Finger sind lang und schön, ganz wie – und das ist dokumentiert – gewisse andere Teile meines Körpers.» Seine Wahl in das höchste politische Amt der USA hat ihn nicht besänftigt, er rückt sich weiterhin in den Vordergrund, denn Prahlen ist etwas Instinktives bei ihm, ohne jede Kontrolle. Und genau das kann ihn dazu verleiten, aus lauter Übertreibung Fehler zu machen – etwa in seiner Pressekonferenz vom 16. Februar 2017: «Ich glaube nicht, dass es je einen gewählten Präsidenten gegeben hat, der in so kurzer Zeit getan hat, was wir getan haben.» Im Januar 2018 twitterte er: «Mein Leben lang waren meine beiden größten Qualitäten psychische Stabilität und, sagen wir mal, wirklich schlau zu sein.» Und im August 2018, nach den Anschuldigungen durch seinen ehemaligen Rechtsanwalt, er habe gegen das Wahlkampfgesetz verstoßen, erklärte er auf Fox News: «Ich verstehe nicht, warum man jemanden absetzen will, der einen Superjob macht.»
«2. Ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe.»
Trump bewegt sich ständig zwischen Emphase, Superlativ und Hyperbel: «Ich sagte, ich werde der größte Job-Produzent sein, den Gott je erschaffen hat.» Während seiner Amtsantrittsrede vom 20. Januar 2017 wiederholte er viele Male die Wörter «great», «fantastic», «incredible» und «brillant», insbesondere um die Mitglieder seiner künftigen Regierung zu charakterisieren.
Wenn er seine Mitarbeiter vorstellt, benutzt er stets den Superlativ. Über den Chef von ExxonMobil, Rex Tillerson, den er im Februar 2017 zum Außenminister ernannte (und ein Jahr später feuerte), sagte er: «Er ist der größte, geschickteste Geschäftsmann der Erde, er ist unglaublich!»
Alles, was ihn betrifft, muss möglichst groß sein: die Marke Trump die größte, der Trump Tower der höchste und auffälligste – so dass er sogar die Nummerierung der Etagen veränderte, um das Gebäude noch größer erscheinen zu lassen, als es in Wirklichkeit ist. In seiner Rede vom 30. Januar 2018 bezeichnete er seine Steuerreform als die bedeutendste in der Geschichte des Landes und versicherte, die alte «Stärke und Stellung» der Vereinigten Staaten wiederherstellen zu wollen.[10] Nichts ist ihm groß genug, er will den Rückstand der USA auf dem Gebiet der Weltraumeroberung wieder aufholen und eine amerikanische Vorherrschaft im Weltraum erreichen.
«3. Glaubt von sich, ‹besonders› und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können.»
Auch wenn Donald Trump sich als Populist präsentiert, verkehrt er nur mit den Größten, die als Einzige seiner würdig sind. Unter den Politikern achtet er nur die Männer, die den Ton angeben, die, die ihm ebenbürtig sind, mit denen er sich in einem Kraftakt messen kann. Der lange Händedruck, den er am 25. Mai 2017 in Brüssel mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron tauschte, war als ein Test gegenseitiger Anerkennung zu verstehen. Macron hielt wacker stand, was ihm ermöglichte, danach von dem Älteren akzeptiert zu werden; doch im Anschluss konnte der US-Präsident seinem Bedürfnis nach Selbsterhöhung nicht widerstehen und klopfte in einer paternalistischen Geste Macron ein paar Staubkörnchen von der Schulter. In seinem Team hat Trump mehreren Multimillionären die höchsten Ämter anvertraut. Die meisten dieser Personen wurden reich geboren, haben Eliteschulen besucht und als Erwachsene ihr Vermögen ständig vermehrt.
Trump schätzt starke Männer, und er findet mehr lobende Worte für Autokraten und Diktatoren als für gemäßigte Regierungschefs. So lobte er die Verdienste des im Mai 2016 gewählten philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte trotz dessen übereiltem Vorgehen im blutigen Krieg gegen die Drogenhändler: Im Mai 2017 erklärte er, Duterte mache einen «unglaublichen Job bei der Lösung des Drogenproblems» («He is doing an unbelievable job on the drug problem»). Eigentlich hätte Donald Trump gern noch mehr Macht, denn Demokratie bedeutet ihm wenig: Seinem Streben nach Allmacht ist sie nur hinderlich. Deshalb bewunderte er auch die Entscheidung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im März 2018, die Beschränkung seiner Amtszeit abzuschaffen, und nannte ihn in diesem Zusammenhang «genial». Verlieh Trump seiner Bewunderung für Wladimir Putin deshalb schon sehr früh Ausdruck, weil er glaubte, nur von den Mächtigen verstanden werden zu können? Mit dem seit 2012 in Nordkorea regierenden jungen Machthaber Kim Jong-un stürzte er sich in eine Ego-Schlacht, als er im Januar 2018 damit prahlte, einen Atomknopf zu besitzen, der «größer sei als der von Rocket Man». Aber da er zu einem erfolgreichen deal gelangen wollte, wo seine Vorgänger gescheitert waren, und um «‹besonders› und einzigartig» zu sein, fand er den nordkoreanischen Präsidenten schließlich «nett» und lustig, was diesem vermutlich sehr gelegen kam, um sein Image auf der internationalen Bühne aufzubessern.
«4. Verlangt nach übermäßiger Bewunderung.»
Trump hat früh begriffen, dass er wie die Stars des Showbiz oder die Queen leicht erkennbar sein muss. Daher pflegt er sein Äußeres, um nicht unbemerkt zu bleiben. Indem er 2004 die Reality-TV-Show The Apprentice ins Leben rief, konnte er sein unstillbares Verlangen nach Öffentlichkeit befriedigen und seine Berühmtheit steigern. In seinem zwanghaften Bedürfnis, stets der Mittelpunkt zu sein, hat er alle von ihm vermarkteten Produkte mit seinem Namen versehen: seine Kasinos, seine Steaks, seinen Wein, seine Immobilien, seine Universität. Wichtig ist ihm nur, dass er berühmt ist, dass man über ihn redet, und sei es, dass man über ihn herzieht. Dafür ist er zu allen erdenklichen rassistischen und sexistischen Ausfälligkeiten bereit, zur großen Freude der Medien: «Wissen Sie, es ist völlig egal, was die Medien schreiben, solange man sich einen jungen, schönen Arsch geangelt hat.» Er prahlt in einem fort mit seinen Leistungen und gibt wie ein kleiner Junge geheime Informationen preis, um seine Gäste zu beeindrucken. Selbst wenn seine Politik gar nichts damit zu tun hat, nutzt er sofort jede gute Nachricht von den Finanzmärkten, um sie in seinen Tweets als sein Verdienst zu verkaufen. Die Außenpolitik ist für ihn wie eine Reality-Show: Man beginnt mit teasing, dann folgt eine Ankündigung, und schließlich muss das Ereignis, wie etwa sein Treffen mit Kim Jong-un, ein besonderes Event sein, das live ausgestrahlt und in allen Medien kommentiert wird. Auf diese Weise kann er der ganzen Welt zeigen, dass er es besser macht als seine Vorgänger.
«5. Legt ein Anspruchsdenken an den Tag (d.h. übertriebene Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen).»