Die Trüffel - Christian Volbracht - E-Book

Die Trüffel E-Book

Christian Volbracht

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Beschreibung

DIE GEHEIMNISSE EINER DELIKATESSE. MYTHEN, KURIOSITÄTEN UND FAKTEN Das Buch eröffnet einen spannenden, hochaktuellen Blick auf Trüffeln, die begehrte, von Legenden und Mythen umwobene Delikatesse. Denn Forscher haben neue Erkenntnisse über die Edelpilze gewonnen. Zwar ist die Krise der schwarzen Périgord-Trüffel in Frankreich nicht beendet, doch in Spanien haben sich die Erntemengen dank neuer Kulturmethoden verdoppelt. Und anstelle von künstlichem, penetrantem „Trüffel“-Aroma werden nun wahrhaftig natürliche Aromastoffe aus Trüffeln entwickelt. Christian Volbracht erforscht die Jahrtausende alte wissenschaftliche und kulturelle Geschichte der Trüffeln. Er untersucht und enthüllt ihre Geheimnisse und widerlegt erfundene Geschichten - über die Trüffeln als Liebesmittel oder das Gerücht, sie seien von den Nazis unter Naturschutz gestellt worden. Er erzählt, wie Frankreichs Gendarmen nachts Trüffeldiebe jagen und schildert die raffinierten Tricks von Betrügern und Händlern. Das Buch versteht sich als Huldigung an diese edelste aller Delikatessen und als kritischer Faktencheck für wissbegierige Genießer. Dafür hat es den Deutschen Kochbuchpreis in Gold erhalten.

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INHALT

EINLEITUNG: DER SCHLEIER WIRD GELÜFTET

„PÉRIGORD“-TRÜFFELN: VON SPANIEN NACH FRANKREICH

GRUNDLAGEN: TRÜFFELARTEN UND KULTUREN

UNBESCHREIBLICH: GERUCH UND GESCHMACK

SPURENSUCHE: ANTIKE UND MITTELALTER

NAMEN: VON TRÜFFELN UND TARTUFFELN

LUST: DIE LEGENDE VOM APHRODISIAKUM

SCHWEIN UND HUND: IMMER DER NASE NACH

WISSENSCHAFT: SPOREN UND SEX

GENÜSSE: AUS TEUFELS KÜCHE ZU LUKULLISCHEN FREUDEN

TRÜFFELMANIA: DELIKATESSEN FÜR DIE TAFELN DER KÖNIGE

GASTROCHAUVINISMUS: WEISS GEGEN SCHWARZ

ERFOLGSSTORY: WEISSE TRÜFFELN AUS ISTRIEN

GASTROSOPHIE: DIE GEBURT DER GASTRONOMIE

TRÜFFELKÜCHE: VOM KILO ZUM GRAMM

KULTIVIERUNG: ZURÜCK ZU DEN ANFÄNGEN

LUG UND TRUG: TRÜFFELTÄUSCHEREIEN

DEUTSCHLAND: WIE DIE TRÜFFELHUNDE ZU UNS KAMEN

KLIMAWANDEL: HOFFEN UND BANGEN

BILANZ: DER MYTHOS BLEIBT

FAKE UND FAKTEN

EPILOG: SECHS TRÜFFELN IM KÜHLSCHRANK

ANHANG

DER TRÜFFELSUCHER, STICH NACH ALEXANDRE-GABRIEL DECAMPS (CA. 1830-1860)

GRIMOD DE LA REYNIÈRE (1804): BIBLIOTHEK DES FEINSCHMECKERS

EINLEITUNG: DER SCHLEIER WIRD GELÜFTET

Die Geschichte der Trüffeln ist seit 4000 Jahren von Mythen und Legenden geprägt. Die köstlichen Knollen waren schon im alten Babylon begehrt, sie galten als die Frucht von Blitz und Donner, als Speise der Pharaonen, als das Manna der Bibel und als Aphrodisiakum. Viele dieser alten Geschichten sind heute widerlegt. Die Wissenschaft lüftet den Schleier der Geheimnisse um die Trüffeln und versucht, die letzten Rätsel ihrer Entstehung zu lösen. Und findige spanische Trüffelanbauer haben mit neuen Kulturtechniken die Ertragskrise der Périgord-Trüffel beendet.

Auch heute noch lebt das Image der Trüffeln von wahren und unwahren Geschichten. Sie werden in diesem Buch erzählt. Ich schildere die Fortschritte der Wissenschaft und der Trüffelzüchter in Spanien und beleuchte die anhaltende Trüffel-Krise in Frankreich. Ich betrachte die wachsende Trüffelbegeisterung in Deutschland. Und ich berichte über Lug und Trug und Trüffel-Kriminalität, über die anhaltende Irreführung der Verbraucher durch synthetische Aroma-Stoffe – aber auch über erste Erfolge bei der Herstellung von wirklich natürlichem Trüffelaroma.

Wer die Literatur und das Internet zum Thema Trüffeln durchforscht, findet immer wieder die gleichen Legenden, Fehlinterpretationen und die vielen voneinander abgeschriebenen Irrtümer. Die Geschichte der Trüffeln ist auch eine Story von Betrug und Verbrechen. Seit jeher werden die teuren Delikatessen gefälscht, geschmuggelt und gestohlen. Manch ein Trüffelbauer wurde gar ermordet. Hunderte von Hunden sind im Konkurrenzkampf der Trüffelsucher in Italien vergiftet worden.

Ich habe mich nicht damit begnügt, wie Alexandre Dumas die himmlische Speise zu genießen und Gott zu loben. Meine Suche nach gesicherten Fakten führte mich nach Frankreich und Spanien, nach Italien und auch nach Kroatien, zu Trüffelsuchern, Züchtern, Händlern, Historikern und Forschern. Ich machte lange Ausflüge in die eigene Pilzbuch-Bibliothek, stöberte in alten Kräuterbüchern, den frühen Schriften über Trüffeln, in Kochbüchern und Lexika und las aktuelle Forschungsberichte. Und ich lernte auch die kleine, enthusiastische Trüffelszene in Deutschland kennen. Seit der Wiederentdeckung der Sommertrüffeln an der Ahr im Jahr 2002 hat sich Goldgräberstimmung breitgemacht. Viele glauben den oft überhöhten Erfolgsversprechen der Verkäufer von Trüffel-Bäumchen.

Kulinarisch werden wir die vielfältigen Rezepte des Kochs der Päpste aus dem 17. Jahrhundert entdecken. Wir werden der Gier gewahr, mit der sich die Franzosen zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Trüffeln stürzen, als in Paris die Gastronomie begründet wird. Wir werden erfahren, wie man in den Phasen des Überflusses mit Trüffel-Pfunden wucherte, während heute Trüffeln nur noch grammweise verwendet werden.

„Sie haben die Wissenschaftler gefragt, was das für eine Knolle sei, und nach 2000 Jahren Diskussion haben die Wissenschaftler geantwortet wie am ersten Tag: ‚Wir wissen es nicht.’ Sie haben die Trüffel selbst befragt, und die Trüffel hat geantwortet: ‚Esst mich und lobet Gott!’” So hat der Romancier und Lebemann Alexandre Dumas die Trüffeln besungen. Für ihn sind sie das „sacrum sacrorum des gastronomes”, das Allerheiligste der Feinschmecker.1

Mehr als 150 Jahre danach kennen Forscher die „Mykorrhiza“, die Symbiose zwischen der Trüffel und den Wurzeln der Bäume. Sie haben die DNA der Trüffel entschlüsselt und ihre Sexualität geklärt. Aber sie wissen immer noch nicht genau, wie die Entwicklung der Fruchtkörper im Boden beginnt. Zu Dumas’ Zeiten war das nicht wichtig. Es gab in Frankreich Trüffeln im Überfluss. Mehr als 1000 Tonnen pro Jahr wurden vermarktet, zehnmal so viel wie heutzutage in ganz Europa. Erst nach dem Ersten Weltkrieg ging es bergab mit der Trüffelernte. Viele Bauern kamen nicht aus dem Krieg zurück, die Wälder wurden vernachlässigt oder abgeholzt. Heute kommt der Klimawandel dazu. Das Trüffelparadox der Franzosen lautet seit vielen Jahren: Je mehr wir über Trüffeln wissen und je mehr Trüffel-Bäumchen wir pflanzen, desto weniger Ertrag haben wir. Schaut man nach Spanien, sieht man ein Zusatz-Paradox: Dort werden nun Rekordmengen geerntet, man fürchtete gar Überproduktion, als 2020, zu Beginn der Corona-Krise, die Verkäufe an Feinschmecker-Restaurants einbrachen.

Mit verfeinerten Kulturmethoden und einer gezielten Bewässerung hat Spanien den Nachbarn Frankreich als größten Trüffel-Produzenten überholt. Ungeniert besorgen sich die Franzosen schwarze Edeltrüffeln aus dem Nachbarland und verkaufen sie als „Périgord“-Trüffeln. Ähnlich heimlich gelangen viele weiße Edeltrüffeln aus Kroatien nach Italien, um dort teurer als „Alba“-Trüffeln angeboten zu werden.

Die ältesten Belege über Trüffeln als Delikatesse stammen von den Sumerern aus Babylon. Die frühesten Mutmaßungen über die Entstehung der rätselhaften Knollen stellten die Griechen an, die auch den Ruf der Trüffeln als ein die Lust förderndes Aphrodisiakum begründeten. Die ersten Kochrezepte sind von den Römern überliefert. Sie kannten aber ebenso wie Sumerer und Griechen nur Terfezien, die faden Wüstentrüffeln aus Vorderasien und Nordafrika. Erst mit der Renaissance beginnt der Siegeszug der weißen und schwarzen Edeltrüffeln in Europa und damit die kulinarische Konkurrenz zwischen Frankreich und Italien: Auf der französischen Seite etabliert sich die schwarze Périgord-Trüffel Tuber melanosporum, der „Diamant der Küche” des Gastrosophen Jean Anthèlme Brillat-Savarin, auf der italienischen Seite strahlt die weiße Piemont- oder Alba-Trüffel Tuber magnatum, die Trüffel der Mächtigen.

Schon im 18. und 19. Jahrhundert grassiert in Europa Trüffelverrücktheit, die Trüffelmania. Fürstenhöfe beschenken einander mit Trüffeln. 1712 werden die ersten Suchhunde aus Italien nach Deutschland gebracht, wo man die weniger schmackhaften Sommer- oder Burgundertrüffeln (Tuber aestivum/ uncinatum) findet. Deutschland schwingt sich später kurzfristig gar zum Trüffel-Exporteur auf, obwohl die maximale Ausbeute nur ein Tausendstel der Erträge in Frankreich erreicht. Seit 1986 – und nicht schon seit der Zeit des Nazi-Regimes – stehen die Trüffeln bei uns als einzigem Land in Europa unter Naturschutz.

Der Ruf der Alba- und der Périgord-Trüffeln als Inbegriff des kulinarischen Luxus wird seit jeher dazu genutzt, auch das Image anderer echter und auch unechter Trüffeln aufzuwerten. Der Wirrwarr um die Benennung der Arten hält an. Selbst Fachleute der Gastronomie kennen die Unterschiede zwischen Edeltrüffeln und anderen Speisetrüffeln oft nicht – oder verschweigen sie gern. Künstliche, penetrant starke Aromastoffe werden nicht oder falsch deklariert. Viele Verbraucher kennen den eigentlichen Trüffelduft gar nicht, nur das synthetisch erzeugte Aroma. Sie lassen sich von den schönen Trüffelgeschichten ablenken. Denn wir bewerten besondere Nahrungsmittel wie Wein oder auch Trüffeln nicht nur nach objektiven geschmacklichen Kriterien, sondern nach ideellen Werten und ihrem Image, also nach ihrer symbolischen Qualität.2 Was wir essen oder zu essen glauben, peppt auch unser eigenes Image auf.

Und die Liebe? „Wer Trüffel sagt, spricht ein großes Wort aus, das beim Geschlecht in Röcken erotische und schlemmerhafte Erinnerungen weckt und beim Geschlecht mit Bärten schlemmerhafte und erotische Erinnerungen”, schrieb der Gastrosoph Brillat-Savarin 1825. In seiner „Physiologie des Geschmacks“ erörtert er galant die Frage, ob die Trüffel wirklich ein Potenzmittel sei, ob sie „eine Kraft erhöht, deren Ausübung mit den süßesten Freuden verbunden ist“. Er hat Frauen und Männer befragt, um schließlich die Entscheidung eines Männer-Rates zu verkünden: „Die Trüffel ist keineswegs ein wirksames Aphrodisiakum, aber sie kann in gewissen Situationen die Frauen nachgiebiger und die Männer liebenswürdiger machen.”

„PÉRIGORD“-TRÜFFELN: VON SPANIEN NACH FRANKREICH

Kulturell gilt Frankreich immer noch als das Trüffel-Land par excellence. Wer aber sehen will, wo die meisten „Périgord“-Edeltrüffeln ausgegraben werden, der muss nach Spanien reisen. Am Südrand der Pyrenäen treffe ich Victor Vellve Alvarez, der vor mehr als 20 Jahren als Erster kommerzielle Trüffelkulturen in Katalonien anlegte. Heute bewirtschaftet Victor, wie er sich unkompliziert vorstellt, rund 100 Hektar eigene und gepachtete Trüffelkulturen. Zudem ist er einer der größten Trüffelhändler Spaniens und liefert in jedem Jahr viele Tausend Kilo nach Frankreich.

Vom kleinen Ort Vilanova de Meià nördlich von Lleida geht es im Geländewagen über eine steinige Route von 600 auf 1300 Meter bis zur Hochebene Montsec de Rubies. Der Wagen klettert schaukelnd an felsigen Abgründen und steilen Felsvorsprüngen vorbei. Oben wurden früher einmal Kartoffeln angebaut. Heute reiht sich Trüffelfeld an Trüffelfeld, die meisten sind mit immergrünen Steineichen bepflanzt. Sie sind schon in der Baumschule mit Trüffelsporen infiziert worden, um die symbiotische Verbindung der Baumwurzeln mit dem Pilzgewebe zu erzeugen, die sogenannte Mykorrhiza. Im Süden reicht der Blick über dicht bewaldete Hänge bis weit in die Ebene, im Norden wird das Terrain von den gewaltigen Felsmassiven der Vor-Pyrenäen begrenzt. Neben gerade angewachsenen Setzlingen stehen übermannshohe, 15-jährige Eichen in Reihe, am Boden sind deutlich Brûlées zu sehen, die kreisförmigen, kaum bewachsenen Stellen, die eine gut gedeihende Mykorrhiza anzeigen.

Victor hat zwei Mitarbeiter mitgebracht und natürlich Lucky und Lucas, zwei seiner zehn Mischlings-Hunde. Kaum ist der Wildschwein-Schutzzaun aus grobem Montagegitter geöffnet, beginnen die Hunde an Trüffelstellen zu schnüffeln. Wenn sie kratzen und den Boden mit den Vorderpfoten aufwühlen, eilt einer der Männer herbei, kniet sich unter den Baum und gräbt und buddelt selbst mit einem spitzen Trüffeldolch und den Händen in Lederhandschuhen weiter. Victor hat eine gute Parzelle ausgesucht. Binnen einer halben Stunde finden sich fast zwei Kilo reife Trüffeln. Die Hunde werden mit kleinen Leckerlis belohnt. „Stückchen von Frankfurter Würstchen“, sagt Victor.

Kein Hund beißt eine Trüffel an, manchmal aber kommen die vierbeinigen Helfer zurück, um den Menschen beim Suchen zu unterstützen. „Die arbeiten hervorragend“, sagt Victor, „das sind gut funktionierende Maschinen.“ Meist finden sich zwei bis vier Trüffeln nebeneinander, manche nur zwei Zentimeter dick, andere faustgroß, die meisten schön rund. „Perfekte Trüffeln“, sagt Victor. Die Knollen sind erstaunlich sauber, nicht mit steiniger Lehmerde, sondern nur mit lockeren Resten schwarzer Erde umhüllt. Sie wachsen in sogenannten Trüffelnestern oder Trüffelfallen. Das sind rund 40 Zentimeter tiefe Löcher dicht neben den Bäumchen, die mit Blumenerde und Trüffelstückchen gefüllt worden sind, um die Entwicklung neuer Trüffeln zu fördern. Auch nach der Ernte kommen wieder getrocknete Trüffelstückchen in die Löcher. Zwei, drei Drehungen aus gebrauchten Mühlen für grobes Salz genügen.

Am nächsten Tag werde ich den Trüffelhändler Roque Sanchez aus Valencia treffen, der eine Spezialmaschine zum Anlegen der Trüffellöcher entwickelt hat. Es ist ein kleiner Raupenbagger, an dessen Greifarm eine spezielle Grabschaufel, ein Trichter mit Gärtner-Erde und ein Behälter für Wasser mit klein gemahlenen Trüffelstückchen befestigt sind. Die Schaufeln kratzen ein Loch in den Boden, dann wird Erde eingefüllt. Danach fließt das Wasser mit dem Trüffelgranulat hinzu und wird mit der Erde verquirlt, bevor der steinige Mutterboden wieder über das Loch geschoben wird.3 „Das ersetzt vier bis fünf Arbeitskräfte“, sagt Victor. Er hat eine der ersten Maschinen bestellt, um seine rund 25 000 Trüffel-Bäumchen zu bearbeiten. Die meisten Plantagen werden einmal pro Jahr besucht, um Trüffelnester zu graben. Auch die Trüffel-Bäumchen züchtet Victor mittlerweile aus Eicheln selbst.

GOUFFÉ, LE LIVRE DE CUISINE 1867: POULARDE NACH ART VON GODARD

Victor hat an der Universität von Lleida Forstwissenschaft studiert und im Jahr 2001 als Studienarbeit eine Trüffelkultur angelegt. Das faszinierte ihn so sehr, dass er die Studien-Truffiere später pachtete und mit seinem Vater zusammen weitere Flächen kaufte. Der Vater gab dafür sein Restaurant in Tarragona auf. So gehören die beiden zu den Trüffelpionieren von Katalonien.

DIE WIEDERENTDECKUNG DER SPANISCHEN TRÜFFELN

Trüffeln haben in Katalonien und im übrigen Spanien über Jahrhunderte eine nur unbedeutende Rolle gespielt. Die moderne Trüffelgeschichte des Landes beginnt erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Als erste tauchen in den 1950er Jahren französische Trüffelsucher im nördlichen Katalonien auf, berichtet der spanische Trüffelforscher Santiago Reyna Domenech.4 Die Einheimischen beobachten, wie die fremden Jäger aus dem Nachbarland mit Hund und ohne Gewehre in den Wald gehen und mit stark riechenden schwarzen Knollen zurückkommen. In den Quartieren stehen Säcke, aber die Franzosen verraten nicht, was sie tun. Und so werden sie von den Einheimischen verfolgt, die dann auch selbst Trüffeln finden.

Das Wissen um die Trüffelsuche breitet sich nach und nach aus. In Teruel nördlich von Valencia erinnert man sich, dass die eigenartigen schwarzen „Kartoffeln“ schon beim Anlegen von Schützengräben während des Spanischen Bürgerkrieges gefunden wurden. Die erste Trüffelkultur des Landes wird 1968 angelegt, bald darauf entsteht die 600 Hektar große Trüffelbaum-Anpflanzung der Firma Arotz bei Soria in der Region Kastilien und León. In den 1970er Jahren sind dann viele Trüffelgebiete im ganzen Land bekannt, und das Wissen um neue Kulturmethoden mit den präparierten Trüffel-Bäumchen verbreitet sich.

In den 1980er Jahren gehen die Trüffelfunde zurück, und man beginnt, mit staatlichen Hilfen große Plantagen im Gebiet von Teruel anzulegen. Die Regionalregierung von Aragon unterstützt die neuen Kulturen, um der verarmten Region mit ihren kargen Böden eine neue Perspektive zu verschaffen. Auf die Anpflanzungen bei Sarrión (Provinz Teruel) und in der Region Valencia bei den Dörfern Barracas und El Toro (Provinz Castellón) folgen weiter im Norden die von Victor Vellve und anderer Anbauer in Katalonien.

Heute sind die Erträge pro Hektar in Spanien deutlich höher als in den anderen Ländern Europas. Dabei steht der rasante Aufbau der Kulturflächen in keinem Verhältnis zur Rolle der Trüffeln in der spanischen Küche. Als Trüffeln in Frankreich und Italien schon längst als Delikatessen begehrt waren, wurden sie in Spanien noch fast vollständig ignoriert. Trüffelforscher Reyna sieht dafür historische Gründe. Der berühmte spanische Mediziner Andrés de Laguna hatte 1666 streng vor angeblichen gesundheitlichen Schäden durch die Erdknollen gewarnt. „Dieses trostlose pathologische Panorama von Dr. Laguna trug wahrscheinlich dazu bei, dass sich in Spanien nie eine gastronomische Kultur um diesen wertvollen Pilz entwickelte, da sein Buch ein Meilenstein der spanischen Arzneilehre war“, meint Reyna.

Durch die zunehmende Trockenheit gibt es inzwischen auch in Spanien kaum noch wilde Trüffelvorkommen. Victor zeigt auf einen dicht bewaldeten Berghang. „Dort habe ich mit meinem Vater früher 300 oder 400 Kilogramm pro Jahr gefunden, jetzt lohnt sich die Suche nicht mehr.“ Über den Felswänden am Pyrenäenrand kreisen Gänsegeier, ein toter Raubvogel liegt in einem der großen, von Victor angelegten Wasserbecken. „Ohne Bewässerung funktioniert hier nichts mehr“, sagt er. Beim Mittagessen im einfachen Dorfrestaurant Racò del Montsec in Vilanova de Meià ist seine Schwester Nuria zu Besuch. Sie will in der Heimat der Familie auf der Hochebene Priorat Trüffelbäume pflanzen, doch ihr Bruder ist skeptisch. Er ist ohnehin vorsichtig, beurteilt die Zukunft abwartend. Er hat viel investiert, ein Hektar Trüffelkultur kostet mit Bäumen, Bewässerungssystem und Umzäunung um die 10 000 Euro. Victor fragt sich, was mit den Preisen geschieht, wenn Hunderttausende von neu gepflanzten Trüffelbäumen in Spanien ergiebige Ernten bringen. Heute hat er fünf Mitarbeiter, seine Trüffeln gehen zu 90 Prozent nach Frankreich. Er beliefert zudem Deutschlands größten Trüffelhändler Ralf Bos.

Auch der Trüffelforscher Prof. Reyna sieht skeptisch in die Zukunft. „Ich glaube, dass der Sektor aufhören sollte zu subventionieren, es gibt eine Überproduktion“, schreibt er mir. In Spanien gebe es zu wenig Nachfrage, da Trüffeln nicht zur traditionellen spanischen Küche gehören und eine kulturelle Neuheit darstellen. Preissenkungen seien keine Lösung, Trüffeln müssten auch in populären Restaurants angeboten werden. Außerdem verweist Reyna auf eine Trüffelplage, den schädlichen Trüffelkäfer Leiodes cinnamomea, der viele Kulturen um Teruel befällt.

TRÜFFELN IM HALBDUNKEL – DER GRÖSSTE TRÜFFELMARKT DER WELT

Fast jedes Wochenende fährt Victor Vellve in der Trüffelsaison mehr als 400 Kilometer weit in den Süden zum Einkauf auf dem Trüffelmarkt von Teruel in Mora de Rubielos, wo ich vor Jahren schon einmal mit dem französischen Trüffelhändler Pierre-Jean Pébeyre aus Cahors war. Die weite, winterlich kahle Hochebene der Trüffelprovinz Teruel mit ihrem rotbraun geschichteten, steinigen Untergrund wird von einer freundlichen Wintersonne beschienen. Große Schafherden ziehen vorbei. Vor einer Woche brachte ein Kälteeinbruch 25 Zentimeter Neuschnee. Auf dem Trüffelmarkt gab es nur wenig Ware. Jetzt sind an der Strecke nur noch vereinzelte Schneeflecken zu sehen, lediglich die Höhen des Skigebietes von Gúdar-Javalambre zeigen ihre weißen Hänge. 17 Grad, von Afrika her nähert sich eine Hitzewelle. An diesem Samstag wird es deshalb umso mehr Trüffel geben. Für die Trüffelhändler ist es ein schwieriges Wochenende und der Beginn einer schwierigen Zeit. Denn schon Anfang Februar 2020 macht das in China ausgebrochene Corona-Virus die weltweite Abhängigkeit des Trüffelhandels bemerkbar – Luxusrestaurants in Hongkong, Macao und auch Singapur sind schlecht besucht oder geschlossen und ordern weniger Trüffeln.

Vor dem Besuch des Trüffelmarktes fahren wir noch bei einem Trüffelanbauer vorbei, der mehrere Säcke mit Trüffeln vorbereitet hat. Er bewirtschaftet ganz allein 60 Hektar Trüffelplantagen und zeigt seine rechte Hand, die vom Ausgraben der Trüffeln viel kräftiger ist als die linke. Er will mehr verkaufen, als Victor brauchen kann. Vor dem abendlichen Trüffelmarkt folgt eine Trüffelsuche auf den Plantagen der Familie Pérez, der auch das Hotel La Trufa Negra in Mora gehört. Auf der Truffiere sind Insektenfallen zur Bekämpfung der Trüffelkäfer angebracht. Die etwa vier Millimeter großen Schädlinge aus der Familie der Schwammkugelkäfer leben wie die Trüffeln unterirdisch. Die dicken Larven fressen sich durch die Trüffeln, und die erwachsenen Tiere bohren sich mit dornigen Grabbeinen in die Knollen. Später siedeln sich an den verletzten Stellen Kleinpilze und die Maden von Trüffelfliegen an und zerstören den Fruchtkörper völlig. Die Verluste sind erheblich: Verringerung des Marktwertes durch die Löcher in der Trüffel, Geruchs- und Geschmackseinbußen, weil die Insekten giftige Stoffe im Speichel produzieren und schließlich ein völliger Ertragsausfall.5 Dass die Käfer und Fliegen auch für die natürliche Verbreitung der Sporen der Trüffeln sorgen, ist nur ein schwacher Trost.

Der Trüffelmarkt am Hotel Peiro nahe der Bahnstation beginnt immer erst nach Sonnenuntergang – eine alte Tradition aus der Zeit, als der Handel noch ganz geheim ablief. „Vor einigen Jahren ging man noch mit einem Rucksack voller Bargeld zum Markt“, sagt Victor. Heute sei das anders, so gut wie alle Geschäfte laufen nach seinen Worten legal ab, mit schriftlichen Bestätigungen und der Zahlung über Bankkonten. Unter dem wolkenlosen Sternenhimmel mit einer schmalen Mondsichel haben sich die Trüffelhändler zum schweigsamen Stehkonvent versammelt. Hier wird mit großen Mengen Trüffeln gehandelt, weit mehr als auf dem größten französischen Markt von Richerenches im Rhônetal oder den anderen pittoresken kleinen Trüffelmärkten in Frankreich, wo einfache Trüffelsucher ihre bescheidene Ernte in Körben und Plastiktüten anbieten. In Teruel stehen etwa 70 Autos kreuz und quer unter ein paar Pinien auf einem langgestreckten Parkplatz und vor den Garagen des Hotels. Nebenan ist der Bahnhof der Ortschaft hell erleuchtet, während sich der Trüffelhandel rätselvoll im Halbdunkel abspielt. Ab und zu öffnet sich die Heckklappe eines Kleintransporters, man sieht weiße Säcke, prall gefüllt mit Trüffeln, es wird flüsternd verhandelt und verkauft, die Säcke wandern in ein anderes Auto, man unterschreibt Lieferpapiere.

Victor fährt mit einem seiner Transporter hinter das Hotel, diskret wird die Ware geprüft, gewogen und bewertet. Er will sich mit seinem Mitarbeiter Manolo noch in der Nacht auf die Heimfahrt machen. Nach vier Stunden Autofahrt werden die Trüffeln dann bis in die frühen Morgenstunden gewaschen und sortiert, bevor die Ware weitere 600 Kilometer weit nach Frankreich gebracht wird. „Da hat man manchmal nur drei Stunden Schlaf“, sagt Victor. Er beliefert den größten Trüffelhändler Frankreichs. Er sagt den Namen nicht, doch ich komme nächste Woche ohnehin bei der Trüffelfirma Plantin im Département Drôme vorbei.

300 bis 400 Euro dürfte das Kilogramm frischer, noch ungereinigter Trüffeln heute kosten, verrät ein Händler. „Die endgültigen Preise wissen wir erst nach dem Ende des Marktes“, sagt Victor. Er hat schon vor Marktbeginn mehrere hundert Kilogramm gekauft und in den Lieferwagen verstaut. Viele Geschäfte wickeln die Händler direkt bei den Produzenten ab. Auf dem Markt werden an diesem Tag wohl vier bis fünf Tonnen frische Trüffel angeboten. Insgesamt ist das Handelsvolumen noch größer, es erscheint fast zu groß, auf jeden Fall rekordverdächtig.

CORONA UND DIE ANGST VOR ÜBERPRODUKTION

Wenige Wochen später kommt die offizielle Bestätigung. Julio Perales, Präsident der Gesellschaft der Trüffelanbauer von Teruel, verkündet als Gesamternte der Region mehr als 100 Tonnen Trüffeln.6 Dazu kämen etwa 12 Tonnen in den anderen spanischen Gebieten, wo weniger Trüffelkulturen bewässert werden. Ingesamt 112 Tonnen – inoffiziell wird nach Angaben des Trüffel-Experten der französischen Trüffelbauervereinigung FFT sogar von 150 bis 200 Tonnen gesprochen.

In Teruel zeigt sich Perales erfreut, aber auch besorgt. Die Preise sind in den letzten Wochen der stets bis Mitte März laufenden Saison eingebrochen. Schon 2018 hatten sie sich im Vergleich zu 2017 auf 250 bis 450 Euro pro Kilogramm halbiert, weil die Qualität der Trüffeln unter Regen litt und die Mengen in Frankreich und Italien relativ groß waren. Erstmals haben die spanischen Produzenten aber in der Saison 2019/2020 nicht alle Trüffeln absetzen können. Der Grund liegt nur teilweise in der Corona-Krise, die den Verkauf nach Asien und in die USA vorübergehend gestoppt und auch die Lieferungen nach Frankreich eingeschränkt hat.

Es droht Überproduktion. Bisher sei der Trüffelsektor „komfortabel“ gewesen, sagt Perales, weil alles, was gesammelt wurde, auch verkauft werden konnte. Nun müssten die Trüffelanbauer erkennen, dass sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen dürften. Es sei nicht dasselbe, ob 300 oder am Ende nur noch 200 Euro pro Kilo bezahlt würden. „Wir haben die Verpflichtung, weltweit führend in Produktion, Forschung und Werbung zu sein“, sagt Perales. Er fordert eine landesweite Marketingkampagne. Man müsse die Verwendung der schwarzen Edeltrüffeln auch in Spanien „verallgemeinern, ohne das Produkt zu trivialisieren“.

Trüffelanbauer Miguel Perez ist von der Trüffelschwemme nicht überrascht. „Wir wussten, dass dies passieren wird, da das Angebot steigt und wir nicht genug daran gearbeitet haben, die Trüffeln zu fördern, damit die Nachfrage wächst.“ Perez erwartet, dass in den kommenden Jahren jeweils bis zu 30 Tonnen mehr Trüffeln angeboten werden.

TRÜFFELN IM TRICASTIN

Der Trüffelmarkt von Richerenches gilt für viele Franzosen immer noch als der größte der Welt. Am Wochenende meines Besuches in Teruel werden in Richerenches gerade mal 80 Kilogramm schwarze Edeltrüffeln zum Kilo-Preis von 550 Euro angeboten.7 In der gesamten Saison 2019/2020 kommen hier nach den offiziellen Zahlen 1295 Kilogramm zusammen, eine verschwindend geringe Menge gegenüber den Umsätzen in Teruel.

Der spanische Trüffelboom steht im krassen Kontrast zur Lage in Frankreich. Auch in Spanien ist die Trüffel nach wie vor keine wirklich domestizierte Kulturpflanze wie Äpfel oder Kartoffeln. Aber die Kulturen der spanischen Trüffelanbauer wirken wie gut funktionierende Plantagen, professionell geplant und geführt. Schlagartig wird der Unterschied deutlich, als ich von Valencia zurück ins Tricastin komme, in die zentrale Trüffelregion Frankreichs in den Départements Drôme und Vaucluse im Rhônetal. Hier liegen zwischen Montélimar im Norden und Orange im Süden die meisten Truffieren des Landes.

Ich will bei Saint-Paul-Trois-Châteaux Truffieren besuchen und in Puyméras die größte Trüffelfirma Frankreichs, Plantin. In Grignan treffe ich dann auch André Faugier, der sich als Gendarm auf die Verfolgung von Trüffeldieben spezialisiert hat. Man sieht auch hier größere, gut gepflegte Trüffelkulturen, aber viel öfter kleine, verwilderte Waldstücke mit alten Bäumen, ohne Zäune und ohne Bewässerungsanlagen. Die Landschaft mit ihren Lavendelfeldern, Olivenbäumen und Weingärten ist lieblicher, charmanter als die um Teruel in Spanien.

Der französische Trüffelexperte Pierre Sourzat hat mir gesagt, der Trüffelanbau in Spanien sei eine Investition mit Gewinninteressen, während die Franzosen sich ähnlich wie die Italiener darauf verlegten, ihre traditionelle Trüffelkultur als Teil der eigenen kulturellen Identität zu pflegen. Dazu gehört die Liebe zum „Terroir“, der eigenen Region mit ihrer Gastronomie, dem Brauchtum und der Folklore, mit den im Vergleich zu Spanien viel zahlreicheren Märkten, Museen und kleinen Festen.

MARTIN (1828): DER TRÜFFELLIEBHABER BEIM EINKAUF

1982 wurde die Trüffelbruderschaft des Tricastin gegründet, unter anderem von Bernard Duc-Maugé, der auch Chef des kleinen Trüffelmuseums in Saint-Paul-Trois-Châteaux ist. Die Straße in das von den Römern gegründete Städtchen führt von Richerenches durch hügelige Weinberge, vorbei an den blau-grünen Wellen der Lavendelfelder und den Trüffelkulturen. An einer waldigen Truffiere am Straßenrand steht ein Schild: „Warnung für Diebe!“ Unter dem Text droht eine schwarze Trüffel mit Knochenkreuz wie ein Totenkopf.

Duc-Maugé ist stolz, im größten Trüffelgebiet Frankreichs zu leben. Doch bedrückt ihn in diesem Jahr die abermals schlechte Ernte: „Ich erwarte kaum zehn Tonnen für ganz Frankreich“, sagt er. Auch auf der eigenen, nicht bewässerten Truffiere hat sein Trüffelhund vergeblich herumgeschnuppert. Aber zum jährlichen Trüffelfest des Ortes im Februar kommen wieder rund 2600 Besucher. Man will die Trüffel hier „demokratisieren“. Es gibt für 35 Euro ein Trüffelessen, dazu Wein und einen Aperitif. „Das ist in etwa zum Selbstkostenpreis, aber so lernen die Leute die echten Trüffeln kennen“, sagt Duc-Maugé.

Denn Produkte mit künstlichem Aroma sind bei ihm verpönt: „Dass es nicht genug echte Trüffeln gibt, ist kein Grund, Aromastoffe zu essen!“ Duc-Maugé setzt sich für klare, eindeutige Bezeichnungen ein, damit die Verbraucher nicht getäuscht werden. Seit 1978 sind Konserven mit der schwarzen Edeltrüffel Tuber melanosporum aus dem Tricastin mit einer Appellation d’Origine controllée geschützt, einer kontrollierten Ursprungsbezeichnung. Trüffel-Produkte mit industriell hergestelltem Aroma sind mittlerweile auf dem Fest von Saint-Paul-Trois-Châteaux verboten. Der Verband der Trüffelanbauer in Frankreich vergibt entsprechende Zertifikate – bisher wurden die aber von nur wenigen Veranstaltern der mehr als 150 Trüffelmärkte und -feste des Landes beantragt.8 „In Richerenches weigern sich die Leute, auf Aroma-Produkte zu verzichten“, sagt Duc-Maugé. Er selbst stellt in seiner kleinen Firma ein Öl her, das nur Auszüge aus echten Mélano-Trüffeln enthalten soll. „Ich nehme 60 Gramm Trüffeln pro Liter.“

Jede Region solle verkaufen, was sie hat, und ihre Produkte zur Geltung bringen, sagt Duc-Maugé. Natürlich könne man auch andere Trüffelarten essen – aber unter der Bedingung, dass man nicht betrügt. „Man muss den Leuten beibringen, wie eine Mélano schmeckt, wie die Sommertrüffel und wie die Netztrüffel Tuber mesentericum.“ Er ist empört: „Ich kenne Leute, die sagen mir: Gut, dass es China-Trüffeln gibt, gut, dass wir künstliche Aromen haben, da lernen die Leute Trüffeln kennen. Wollen die uns verarschen? Das sind keine Trüffeln! Sagt lieber offen, dass ihr Kohle verdienen wollt!“

Besonders Deutschland ist ihm ein Dorn im Auge: „Ich glaube, Deutschland hat ein echtes Problem, denn ich denke, die Deutschen sind das Paradebeispiel für Leute, die an Aromastoffe gewöhnt sind.“ In Deutschland sei man italienisch ausgerichtet. „In Italien ist alles voller Aromastoffe. Nicht nur im Öl.“ Er denkt an die weiße Albatrüffel Tuber magnatum: „Das ist eine Trüffel, die man nicht kocht. Aber man findet dennoch Konserven mit weißen Trüffeln. Die haben auch Geschmack, aber nur, weil man Aroma hinzugefügt hat. Schauen Sie sich die Etiketten von Pasta-Produkten an: Aroma, Aroma, Aroma! Man nimmt sogar Tuber borchii oder die Sommertrüffel und sagt, das sei die weiße italienische Trüffel. Aber die Deutschen mögen es, und die Italiener wissen das.“

Von Saint-Paul-Trois-Châteaux führt die Route durch die Olivenregion um Nyons nach Puyméras zur Firma Plantin, dem führenden französischen Trüffelunternehmen. Bei einem Jahresumsatz von 21 Millionen Euro verarbeitet Plantin pro Jahr 50 Tonnen frische Trüffel. 15 davon seien schwarze Edeltrüffeln, sagt Direktor Luc Moulin. Daneben wird mit Sommer- und Burgundertrüffeln gehandelt, auch mit der Wintertrüffel Tuber brumale, dazu mit weißen Piemont-Edeltrüffeln aus Italien sowie Trüffelprodukten mit künstlichem Aroma. Die Hälfte der schwarzen Edeltrüffeln wird frisch verkauft.

Moulin will mich glauben machen, dass die Firma die Trüffeln so gut wie ausschließlich aus Frankreich bezieht. Auf der Internet-Seite steht, man kaufe vor allem auf den Märkten in Richerenches und Valréas ein, im Sommer auch in Australien. Kein Wort von Spanien, wo ich doch in Teruel die für die Lieferung nach Frankreich bestimmten Trüffelsäcke gesehen habe. Zudem wäre das Angebot in Richerenches viel zu gering. Moulin sagt, viele Trüffelanbauer belieferten Plantin direkt. Immerhin gibt er zu, die spanischen Trüffel seien in der Qualität keineswegs schlechter als die aus Frankreich. Das muss er auch, denn man hatte mir vorher in seiner schicken Trüffel-Boutique erzählt, dass die Firma gerade eine eigene Plantage in Spanien erworben hat.

„DIE SPANIER HOLEN WIR NICHT MEHR EIN“

100 Kilometer weiter südwestlich auf der anderen Seite der Rhône liegt das Trüffel-Département Gard. Etwas außerhalb der wunderschönen Stadt Uzès mit ihren alten Mauern treffe ich den Präsidenten der Vereinigung der französischen Trüffelanbauer, Michel Tournayre. Er bewirtschaftet zusammen mit seiner Tochter die „Truffieres d’Uzès“ – 25 Hektar Trüffelfläche und ein kleines Restaurant. Tournayre hat sich eine grüne Schürze umgebunden, die Brille aufs graue Haar geschoben und putzt Trüffeln. „Entschuldigung, ich muss noch eine Bestellung fertig machen.“ Er bürstet die Erde von den schwarzen Knollen, schneidet hier und da eine weiche Stelle heraus und sortiert die Trüffeln in Holzkästen. Das durch eine Glasscheibe von ihm abgetrennte Restaurant mit wenigen Tischen ist wie ein Museum ausgestattet. In einer Vitrine werden historische Trüffelbücher ausgestellt, daneben alte Trüffelgläser, Konserven, Postkarten, Dokumente, Zeitungsausschnitte und Arbeitsgeräte. Auf einer alten Handwaage liegt eine getrocknete Riesentrüffel, andere Exemplare von 900 und 750 Gramm Gewicht mit den Funddaten 2013 und 2014 sind in Gläsern konserviert.

Die Truffieres d’Uzès sind aus dem landwirtschaftlichen Betrieb von Großvater Pierre Tournayre hervorgegangen. Der baute anfangs neben Trüffeln auch Wein, Getreide, Obst und Spargel an. Seit nunmehr 20 Jahren konzentriert sich sein Enkel ganz auf die schwarzen Knollen. In dem kleinen Ladengeschäft im Restaurant werden regionale Produkte wie Olivenöl, Tapenaden oder Safran verkauft. Auch bei Tournayre sind industriell erzeugten Aromen tabu. „Aus Rücksicht auf den Verbraucher werden Produkte, die vorgeblich aus Trüffeln mit Aromen hergestellt wurden, nicht zum Verkauf angeboten“, steht auf der Website.

Schon der Gedanke an synthetisch erzeugtes Trüffelaroma macht Tournayre wütend: „Diese chemischen Produkte sind Verbrauchertäuschung, mit ihren Bezeichnungen werden nur Gesetzeslücken ausgenutzt“, sagt er. „Trüffeln haben mit ihren 50 Aromakomponenten ein außerordentlich komplexes und subtiles Aroma. Es hüllt einen förmlich ein, aber diese chemischen Scheißprodukte – so muss man sie nennen, denn das sind sie – die sind doch ein Schlag in die Fresse!“ Und wie findet er, dass sogar Spitzenköche wie Frankreichs Star Alain Ducasse sie verwenden? „Ich kann nicht verstehen, wie Sterneköche diese Produkte benutzen können, das ist doch ekelerregend!“ Wer das ganze Jahr über Trüffeln benutzen will, solle Konserven oder Tiefkühltrüffeln nehmen oder im Sommer in Australien einkaufen. „Aber wer diese Produkte nimmt, dem sind doch die Kunden völlig egal.“

Tournayre ist ein Mann fester Überzeugungen, seit sechs Jahren vertritt er sie als Präsident der Trüffelanbauer-Vereinigung des Landes. Er ist ein belesener Experte, kennt die Krise der stark zersplitterten französischen Trüffelwirtschaft. „Wir sind in der Gefahr, alles zu verlieren, weil die Welt der Trüffelanbauer nichts ändern und sich weiter verstecken will. Die Heimlichtuerei bringt uns um, der mangelnde Austausch unseres Wissens und unserer Erfahrungen“, warnt er. „Die Bauern hier machen alles, denn Trüffelanbau ist in Frankreich ein Zusatzgeschäft.“ Die meisten Truffieren seien nur ein oder zwei Hektar groß. Bis zu 1,5 Hektar Fläche wird in Frankreich pauschal mit 700 Euro besteuert, unabhängig von den wirklichen Erträgen, die vielleicht Tausende Euro betragen können. So hätten viele Trüffelbauern leider kein Interesse, größere Flächen anzulegen und sich zu professionalisieren, bedauert Tournayre.

Tournayre ist tief beeindruckt vom Trüffelanbau in Spanien. „Spanien hat in kurzer Zeit 200 Jahre aufgeholt – was den Anbau betrifft, nicht die gastronomische Kultur“, sagt er. »Die Spanier sind weg, die holen wir nicht mehr ein.“ Ihr Erfolg sei in ihrer Professionalität begründet, nicht darin, dass es staatliche Kredite gegeben habe. In Frankreich gebe es nur wenige große Projekte, auch Erfolge mit Bewässerungsprojekten, aber es fehle eine dynamische Weiterentwicklung. „Denn, Vorsicht“, sagt Tornayre mit erhobenem Zeigefinger, „es ist keine Frage der Hektarerträge, da sind wir genauso gut wie die Spanier.“ 20 bis 25 Kilogramm Trüffeln je Hektar erreiche man dort wie hier, wenn die Flächen nur gut bewässert würden. Tournayre ist aber empört, dass viele Tonnen Trüffeln in Spanien eingekauft und dann von Händlern oder auf Märkten wie Richerenches als französische Trüffeln verkauft würden. „Das ist gegen das Gesetz.“

Von den 25 Hektar der eigenen Truffieren nutzt Tournayre im Moment nur vier bis fünf. Zehn Hektar sind noch zu jung, zehn Hektar zu alt. Erst nach sieben bis acht Jahren wachsen unter neuen Bäumchen auch Trüffeln, nach etwa 25 Jahren gehen die Erträge stark zurück. „Das Jahr ist schwierig“, sagt er, „aber bei mir ist es gut.“ Er hat drei Hektar Trüffelfläche bewässert. Die Rohre sind nicht fest installiert, sondern werden immer neu ausgelegt. Bewässert wird ab Mitte Mai, wenn die jungen Trüffeln entstehen. Mit einem Gesamtertrag von 100 Kilogramm pro Jahr und den Einkünften aus dem Restaurant, mit Vorträgen und touristischen Angeboten kann er leben.

PESSIMISMUS, NOSTALGIE UND GESCHÄFT

Über Toulouse weiter nach Cahors in der Region Quercy. Sie grenzt an das Périgord, dessen Namen trotz der schwindend geringen Erträge aus der Region immer noch für die schwarzen Edeltrüffeln der Art Tuber melanosporum