Die unendliche Flucht - Pamela Francis - E-Book

Die unendliche Flucht E-Book

Pamela Francis

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht – Neue Edition: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert. Mercedes sah Nicanor in der Stierkampfarena. Mit tänzerischer Grazie reizte er das wutschnaubende Tier, das mit den Hufen den Sand aufwühlte. Doch nein, es war kein Stier. Diese Augen gehörten Manuel Apricio. Er spielte auf einer unsichtbaren Orgel und machte damit aus seinem Gegener eine gehorsame Puppe, die sich nach seiner Musik im Zakt wiegte. Ein teuflisches Schauspiel! Nicanor wurde zu einer kläglichen Marionette. Doch auf einmal zückte er seinen Degen und bohrte ihn Manuel mitten ins herz. Dabei lachte er triumphierend. Das Orgelspiel erstarb jäh. Der Getötete lag im Staub. Hand in Hand flanierten sie über die Rambles, Barcelonas Prachtstraße. Wenn sie sich auch spanische Zurückhaltung auferlegten, so konnte doch jeder erkennen, daß sie unsterblich ineinander verliebt waren. Hin und wieder blieben ein paar Leute stehen. Meistens handelte es sich um Touristen, die verzückt sagten: »Was für ein wundervolles Paar! Sie müssen sehr glücklich sein.« Mercedes Fuentes, eine dreiundzwanzigjährige Kunststudentin, lä­chelte verträumt. Ja, sie war glücklich. Sie hatte den Mann gefunden, der ihr alles bedeutete, und wußte sich von ihm wiedergeliebt. Nicanor Belmonte blickte sie zärtlich an.

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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Irrlicht - Neue Edition – 7 –

Die unendliche Flucht

Pamela Francis

Mercedes sah Nicanor in der Stierkampfarena. Mit tänzerischer Grazie reizte er das wutschnaubende Tier, das mit den Hufen den Sand aufwühlte. Doch nein, es war kein Stier. Diese Augen gehörten Manuel Apricio. Er spielte auf einer unsichtbaren Orgel und machte damit aus seinem Gegener eine gehorsame Puppe, die sich nach seiner Musik im Zakt wiegte. Ein teuflisches Schauspiel! Nicanor wurde zu einer kläglichen Marionette. Doch auf einmal zückte er seinen Degen und bohrte ihn Manuel mitten ins herz. Dabei lachte er triumphierend. Das Orgelspiel erstarb jäh. Der Getötete lag im Staub. Es war nun wieder der Stier …

Hand in Hand flanierten sie über die Rambles, Barcelonas Prachtstraße. Wenn sie sich auch spanische Zurückhaltung auferlegten, so konnte doch jeder erkennen, daß sie unsterblich ineinander verliebt waren.

Hin und wieder blieben ein paar Leute stehen. Meistens handelte es sich um Touristen, die verzückt sagten: »Was für ein wundervolles Paar! Sie müssen sehr glücklich sein.«

Mercedes Fuentes, eine dreiundzwanzigjährige Kunststudentin, lä­chelte verträumt. Ja, sie war glücklich. Sie hatte den Mann gefunden, der ihr alles bedeutete, und wußte sich von ihm wiedergeliebt.

Nicanor Belmonte blickte sie zärtlich an. Er lächelte. Ob er wohl ihre Gedanken erriet? Er war so einfühlsam. Es fiel Mercedes schwer, sich vorzustellen, daß er im Geschäftsleben harte Verhandlungen zu führen vermochte.

Welcher Art seine Geschäfte waren, wußte sie nicht genau. Sie hatte ihn während der vier Monate, seit sie den schwarzhaarigen Mann kannte, noch kein einziges Mal danach gefragt. Wozu auch? Sie wollte nicht von Geld, von finanzieller Sicherheit und Versorgtsein sprechen. Mit Nicanor konnte sie sich auch ein Leben in aller Bescheidenheit vorstellen. Wenn er nur bei ihr war, dann wollte sie schon zufrieden und glücklich sein.

Nicanor war sechs Jahre älter als sie. Sie hatten sich im Archäologischen Museum kennengelernt, draußen am Montjuic. Plötzlich hatte er vor ihr gestanden, stolz und unbeweglich wie eine der römischen Skulpturen. Nur viel schöner und vor allem unbeschädigt.

Es hatte sie wie ein flammender Blitz durchzuckt. Mercedes hatte sofort gewußt, daß dieser atemberaubende Mann ihr Schicksal sein würde. Als er sie angesprochen und darum gebeten hatte, einen Blick in ihren Museumsführer werfen zu dürfen, hatte sie das für völlig selbstverständlich gehalten. Sie waren füreinander bestimmt. Darüber gab es keinen Zweifel.

Seit jenem Tag im Februar hatten sie sich regelmäßig getroffen, waren häufige Gäste bei Konzerten und vor allem im Opernhaus gewesen, obwohl Nicanor die klassische Musik wohl nur ihr zuliebe erduldete.

Inzwischen hatte die warme Jahreszeit begonnen. Mercedes haßte den Winter, und sie spürte, daß auch Nicanor unter den Strahlen der Sonne förmlich auflebte.

Leider hatte er jetzt nicht mehr so viel Zeit für sie. Sein Beruf forderte ihn stärker, aber dafür brachte sie natürlich Verständnis auf. Schließlich war sie ganz sicher, daß keine andere Frau sein Interesse erregte. Das hätte sie gespürt.

»Ich habe noch eine wichtige Besprechung«, sagte der Mann an ihrer Seite zögernd. »Sehen wir uns heute abend?«

Mercedes Fuentes nickte zustimmend. »Ich könnte Karten für die Oper besorgen«, schlug sie vor. »Auf dem Spielplan steht ›Carmen‹. Ich liebe dieses Stück. Die Musik ist einfach herrlich.«

Nicanor Belmonte war einverstanden, und so trennten sie sich vor einer Boutique, deren Schaufensterauslagen Mercedes anstarrte, obwohl sie mit ihren Gedanken bei Nicanor war.

Am Abend trug sie ein dunkelblaues Seidenkleid, das wunderbar zu ihren langen blonden Haaren paßte. Niemand glaubte, daß ihre Haarfarbe echt sei, doch sie hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die aus Norwegen stammte und viel zu früh verstorben war. Früher noch als ihr Vater, den sie erst vor einem Jahr zu Grabe getragen hatten.

Aber Mercedes fühlte sich nicht allein. Jetzt nicht mehr. Sie spürte, daß Nicanor sie schon bald bitten würde, seine Frau zu werden. Ihre Antwort stand längst fest.

In seinem Smoking sah Nicanor blendend aus. Er könnte Tänzer sein, dachte Mercedes insgeheim. Sie wußte aber, daß er mit Tieren zu tun hatte, die er gelegentlich erwähnte. Soviel sie sich zusammengereimt hatte, besaßen seine Eltern südlich von Zaragoza eine Schafzucht, für deren Verkauf er offenbar zuständig war.

Mercedes mußte lächeln, als sie an Nicanors Seite das Foyer betrat. Bewundernde Blicke folgten ihnen. Es war ähnlich wie auf den Rambles.

»Dein Anblick verschlägt ihnen den Atem«, raunte Nicanor ihr belustigt ins Ohr. »Du bist die hübscheste von allen.«

»Unsinn!« widersprach Mercedes hastig. »Es sind hauptsächlich Frauen, die herüberschauen. Ich wette, sie möchten mir am liebsten die Augen auskratzen, weil ich nicht von deiner Seite weiche.«

Nicanor half ihr aus dem leichten Mantel, und Mercedes kontrollierte vor einem der hohen Spiegel ihre Frisur.

Hinter ihrer Schulter entdeckte sie einen jüngeren Mann mit leicht gewelltem Haar, der sie fasziniert anstarrte. Sie wich seinem Blick aus, wurde aber wie magisch erneut von ihm angezogen. Sie fand, daß sich dieser Mensch unmöglich benahm.

Sie war froh, als Nicanor ihren Arm ergriff, um sie die mit dicken Tep­pichen belegten Stufen hinaufzuführen.

Ihre Plätze befanden sich im zweiten Rang. Bessere hatte sie so kurzfristig nicht mehr bekommen. Mercedes genoß die Minuten vor dem Dunkelwerden und ließ ihren Blick über die festlich gekleideten Menschen im Parkett schweifen.

Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Da war er wieder. Der junge Mann vom Foyer saß in einer der vorderen Reihen. Er hatte sich umgedreht und richtete sein Theaterglas auf sie.

Mercedes schaute Nicanor an, doch dieser merkte nichts davon.

Peinlich berührt, hob sie ihr Programmheft und verbarg ihr Gesicht dahinter. Zum Glück erloschen nun die Lichter. Aufatmend lehnte sie sich zurück, bereit, sich von Bizets Musik gefangennehmen zu lassen.

Ein letztes Husten hier und dort, dann erklang höflicher Applaus für den Dirigenten.

Mit dem ersten Takt der Ouvertüre vergaß Mercedes alles um sich her. Sie fühlte sich nach Sevilla versetzt und folgte dem Geschehen auf der Bühne, das sie immer wieder von neuem faszinierte.

Sie litt mit der zarten Micaela, die den geliebten Mann an eine heißblütige Zigeunerin verlor.

Nach dem ersten Akt folgte eine kurze Pause. Sie blieben auf ihren Plätzen.

Mercedes suchte die Hand ihres Begleiters.

»Könnte es nicht sein, daß auch du eines Tages eine feurige Carmen triffst?« flüsterte sie. »Dann wirst du mich vergessen.«

Nicanor griff energisch zu. »Niemals!« beteuerte er. »Wir gehören zusammen. Uns kann nichts trennen, wenn du es nicht selbst willst. Ich möchte dich etwas fragen, Muchacha.«

»Etwas fragen?« wiederholte Mercedes mit klopfendem Herzen. Sie kannte die Frage schon im voraus. Beglückt schloß sie die Augen.

»Willst du meine Frau werden? Willst du ein Leben lang zu mir stehen und keinen anderen Mann lieben?«

»Pssst!« erklang es zischend hinter ihnen. Der Zuschauerraum hatte sich wieder verdunkelt. Man verbat sich jedes Geschwätz.

Sie würde die Frage in der großen Pause beantworten.

Auf der Bühne nahm das Schicksal der Akteure seinen Fortgang. José, der der Liebe zu Carmen seine militärische Karriere geopfert hatte und nun mit ihr ein Leben jenseits von Gesetz und Ordnung führte, mußte erkennen, daß sich die angebetete Frau einem anderen zuwandte. Carmen lockte ein neues Abenteuer, eine neue Liebe, ein neuer Mann.

Escamillo, der in der Schmugglerkneipe von allen, vor allem aber von der verführerischen Zigeunerin bejubelt wurde, begeisterte Mercedes trotz seiner populären Bravourarie nicht. Mit Stierkämpfern hatte sie nichts im Sinn. In diesem Punkt war sie wohl Norwegerin wie ihre Mutter. Es würde ihr niemals einfallen, ihren Fuß in eine der Arenen zu setzen, um Zeuge zu werden, wie ein chancenloses Tier unter dem frenetischen Beifall der Zuschauer hingemordet wurde.

Den Schmugglern auf der Bühne brachte sie durchaus Sympathie entgegen. Selbst für die leichtlebige Carmen fand sie eine Spur Verständnis. Sie war bereit, José seine Untreue zu verzeihen, doch Escamillo war in ihren Augen der wahre Bösewicht des Stückes. Mit seinem Tun vermochte sie sich nicht zu identifizieren.

Sie erwachte wie aus einem Traum, als die Musik verstummte und die Künstler ihren Zwischenapplaus entgegennahmen. Sie klatschte ebenfalls und freute sich bereits auf die zweite Hälfte der Aufführung.

Zunächst aber schlug Nicanor vor, im Foyer ein Glas Sekt zu trinken.

»Die Musik macht eine trockene Kehle«, meinte er schmunzelnd.

»Besonders, wenn man nicht selbst singen muß«, gab ihm Mercedes lachend recht.

An der Bar herrschte ein ziemliches Gedränge.

»Warte einen Augenblick«, bat Nicanor. »Ich bin gleich wieder zurück.

Die junge Frau benutzte die Gelegenheit, auf der Toilette ihr Make-up zu korrigieren. Als sie zurückkam, erschrak sie. Der junge Mann aus dem Parkett eilte auf sie zu und sprach sie an:

»Ich bitte um Vergebung für meine Kühnheit, Señorita. Ich habe eine große Bitte an Sie, die Sie mir hoffentlich nicht abschlagen werden.«

Mercedes runzelte die Stirn, als sie entgegnete:

»Ich fürchte, daß ich das allerdings tun werde. Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß ich mich in Begleitung befinde. Falls Ihnen das noch nicht genügt, so darf ich Ihnen sagen, daß ich demnächst heiraten werde.«

Der Fremde lächelte verbindlich und ließ sich durch diese Eröffnung nicht beirren.

»Meine herzliche Gratulation«, meinte er. »Ich wünsche Ihnen das Paradies auf Erden. Aber Ihre Pläne können mich in meiner Hoffnung nur bestärken.«

»Welche Pläne?« fragte Mercedes und schaute hilfesuchend zu Nicanor hinüber, der ihr jedoch den Rücken zuwandte. Sie wollte keinen Skandal und hoffte, daß der Mann sie endlich in Ruhe ließ.

»Ich flehe Sie an, mich dem Matador vorzustellen. Ich bin ein glühender Bewunderer seiner Kunst. Mein Name ist Enrico Guales.«

»Dem Matador?« wiederholte Mercedes kopfschüttelnd. »Was veranlaßt Sie zu der Vermutung, ich könnte den Sänger des Escamillo kennen? Da muß ich Sie enttäuschen. Mir sind sämtliche Künstler, die heute auftreten, ausschließlich von der Bühne bekannt. Ich nehme an, daß Sie mich mit einer anderen Frau verwechseln.«

Enrico Guales schaute sie verdutzt an. Dann brach er in wenig diskretes Gelächter aus.

»Bravo! Sie sind nicht nur wunderschön, Sie verfügen auch über einen köstlichen Humor.«

»Ich verstehe nicht.« Mercedes zeigte ihren Ärger deutlicher. Wurde sie diesen Menschen denn nie los?

Der Mann lachte noch immer. Als er Mercedes’ ungehaltenes Gesicht sah, wurde er wieder ernst und bequemte sich zu einer Erklärung seiner Heiterkeit:

»Ich spreche selbstverständlich nicht von dem Bariton auf der Bühne, Señorita, sondern von Ihrem Begleiter. Es ist doch Nicanor Belmonte? Ich habe ihn auch im Smoking sofort erkannt, obwohl es ein ungewohntes Bild ist.«

Mercedes war verwirrt. Sie verstand noch immer nicht, was der Fremde von ihr wollte. Natürlich lief Nicanor gewöhnlich nicht im Smoking herum.

»Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen?« mahnte sie ungeduldig. »Ich habe wirklich…«

»Ich flehe Sie an«, unterbrach sie Enrico Guales. »Ich muß mit Nicanor Belmonte sprechen. Wann hat man schon Gelegenheit, einen Torero um Rat zu fragen? Ich möchte ebenfalls in die Arena, verstehen Sie?«

»Das kann ich nicht behaupten. Señor Belmonte kann Ihnen bei Ihren Plänen kaum behilflich sein. Wie kommen Sie darauf, er könnte Torero sein? Diese Annahme ist absurd.«

Der junge Mann schwieg betroffen, aber er entfernte sich noch immer nicht.

Zu Mercedes’ großer Erleichterung näherte sich Nicanor mit zwei Gläsern.

»Wenn Sie jetzt bitte gehen würden«, rief Mercedes gepreßt. »Mein Freund ist überaus eifersüchtig.«

Das wirkte. Guales entschuldigte sich für die Belästigung und bat, sie ihm nichts nachzutragen. Er verließ eilig das Foyer, blieb aber noch sekundenlang an der Tür stehen, wandte sich um und schüttelte verständnislos den Kopf.

»Ein Bekannter von dir?« erkundigte sich Nicanor, als er Mercedes eines der Gläser reichte, in dem eiskalter Sekt perlte.

»Ein Mann, der wohl Gespenster sieht«, antwortete sie und nahm einen vorsichtigen Schluck. »Er wollte in dir einen Stierkämpfer erkannt haben. Ist das nicht sonderbar? Er hielt dich ausgerechnet für einen Torero, ohne zu ahnen, daß es wohl keinen Beruf gibt, der mir so zuwider ist wie der des Toreros.«

»Wundert dich das, Liebes? Schließlich stehst du in diesem Land mit deiner ablehnenden Meinung ziemlich allein da.«

»Das ist mir egal, Nicanor. Reden wir nicht mehr über diesen seltsamen Menschen.«

»Doch«, widersprach Necanor unerwartet. »Wir müssen über ihn sprechen.«

»Warum? Du kennst ihn doch nicht, und es besteht für dich wirklich kein Anlaß, eifersüchtig zu sein. Ich liebe nur dich. Das mußt du mir glauben.«

»Dann beantworte mir rasch eine Frage«, stieß Nicanor hervor. »Jetzt auf der Stelle, damit ich dich später beim Wort nehmen kann.«

»Von welcher Frage sprichst du?«

»Ich bat dich, mich zu heiraten, und du hast mir noch nicht geantwortet.«

»Muß ich das wirklich noch?« flüsterte Mercedes glücklich. »Du weißt doch, wie es um mein Herz steht.«

»Sage es mir«, drängte der Mann. Er wirkte plötzlich sehr aufgeregt. »Ja oder nein.«

Das Glas in Mercedes’ Hand begann zu zittern. Sie erbleichte.

»Was ist los mit dir?« fragte sie rauh. »Was verheimlichst du vor mir? Dieser Fremde war doch nur ein törichter Schwätzer, den ich nicht ernst nehme.«

»Weil du die Wahrheit nicht hören willst«, flüsterte der Mann. »Seit vier Monaten überlege ich, wie ich es dir beibringen soll. Genauso lange versuche ich, deine mir unverständliche Einstellung zu begreifen. Jetzt verlange ich eine Antwort von dir. Willst du mich, so wie ich bin?«

»Was willst du mir beibringen?« wich Mercedes aus. Sie ahnte Entsetzliches, ohne es glauben zu wollen.

»Ich arbeite in der Arena.«

Mercedes mußte ihr Glas abstellen, sonst wäre es zu Boden gefallen.

»Als Stierkämpfer?« fragte sie bestürzt.

»Als Matador«, bestätigte Nicanor Belmonte stolz.

»O nein!«

»Ich bin deshalb kein anderer«, begehrte der Mann auf. »Wenn du mich als Viehhändler geliebt hast, mußt du mich auch als Torero lieben.«

»Ja, ich liebe dich«, bestätigte die Kunststudentin bekümmert. »Aber ich hasse das, was du tust. Wenn du nur halb soviel für mich empfindest wie ich für dich, so gibst du diesen schrecklichen Beruf auf.«

»Das kannst du nicht von mir verlangen«, lehnte Nicanor ab. »Niemals! Fordere ich denn von dir, daß du dein Studium abbrichst?«

»Das kann man nicht miteinander vergleichen. Ich habe mir nicht das Töten als Aufgabe gemacht.«

Nicanor Belmonte lachte wild auf. »Welch große Worte! Der Stier ist eine Bestie, die dich durchbohrt, wenn du nicht schneller bist als sie.«

Das ließ Mercedes nicht gelten. Empört wandte sie ein, daß kein Kampfstier freiwillig in die Arena ginge.

»Ich habe mir sagen lassen, daß die Tiere gequält und geschwächt werden, bevor man sie absticht. Vor Schmerzen sind sie rasend und verlieren jegliche Übersicht. Ich sehe nichts Heldenhaftes darin, einer geschundenen Kreatur den Fangstoß zu versetzen.«

»Weil du es nicht verstehst«, begehrte der Matador auf. »Der Stierkampf ist uralt. Bereits im antiken Ägypten stellte er einen kultischen Brauch dar.«

»Ich will nicht mit dir über die Geschichte des Mordens diskutieren«, entgegnete Mercedes abweisend. »Durch die Historie ist noch kein Unrecht legitim geworden. Ich bin mir bewußt, daß ich hierzulande mit meiner Auffassung auf wenig Verständnis stoße. Das ändert nichts daran, daß ich diese Art von Sport aus tiefster Seele verabscheue.«

»Also verabscheust du auch mich«, resümierte Nicanor Belmonte frostig.

»Natürlich nicht«, versicherte Mercedes eilig. »Ich liebe dich. Ich bin sicher, daß du meine Empfindungen tolerieren wirst.«

Das erste Klingelzeichen rief die Zuschauer auf ihre Plätze zurück. Mercedes ließ ihren Sekt stehen und folgte Nicanor schweigend die Treppe hinauf. Sie fühlte sich, als wäre sie selbst der Stier und sollte den Todesstoß empfangen.

Bis zum Heben des Vorhangs wechselten sie kein Wort mehr. Eine Atmosphäre des Unverständnisses herrschte zwischen ihnen.

Die Sänger ahnten nicht, daß sich hoch oben im zweiten Rang ein Drama anzubahnen drohte, das jener Novelle, die Prosper Mérimée einst um seine Carmen ersann, kaum nachstand.

*

Von den beiden letzten Akten bekam Mercedes kaum etwas mit. Wie angewurzelt saß sie auf ihrem Platz und dachte immer nur das eine: »Er tötet, und doch kann er so zärtlich sein. Wie ist das möglich?«

Nach der Vorstellung regte Nicanor an, sich bei einer Flasche Wein auszusprechen.

Die junge Frau willigte ein. Sie hoffte, daß diese Unterhaltung ihre plötzlich aufgebrochenen Differenzen bereinigen würde.

Doch sie täuschte sich.

Nicanor beteuerte zwar, sie abgöttisch zu lieben, aber er verteidigte ebenso leidenschaftlich seinen Standpunkt.