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SÂR DUBNOTAL Nr. 5 enthält zwei Geschichten: Die Vampire vom Friedhof In Rennes treiben geldgierige Grabräuber ihr Unwesen, die man als "Vampire des Friedhofs" bezeichnet. Sâr Dubnotal lässt sich zum Schein dort bestatten und wartet auf die Verbrecher. Der rote Fleck Die kriminelle Vereinigung der "Anarchisten" treibt in Spanien ihr Unwesen. Sâr Dubnotal versucht, die Organisation mit allen Mitteln zu bekämpfen.
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Seitenzahl: 192
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In dieser Reihe bisher erschienen:
1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land
1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum
1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv
1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton
1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos
1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer
1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet
1008 Robert E. Howard Grabratten
1009 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 1
1010 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 01: Zurück vom Amazonas
1011 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 01: Das Spukschloss
1012 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 2
1013 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 3
1014 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 4
1015 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 02: Die Expedition
1016 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 5
1017 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 03: Im Dschungel
1018 Hein Patrik Kapitän Grant
1019 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 02: Der verhängnisvolle Brunnen
1020 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 03: Der blutige Streit
1021 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 04: Der Hypnotiseur
1022 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 6
1023 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 7
1024 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 05: Jack the Ripper
1025 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 06: Die Braut aus Gibraltar
1026 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 07: Die Vampire vom Friedhof
1027 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 08: Die Schlafwandlerin
Kult Romane
Buch 26
Die Vampire vom Friedhof
Makabre Umtriebe
Eine schreckliche Entdeckung
Sâr Dubnotal greift ein
Ein dunkles Drama
Ermittlungen
Der Angriff
Das Geheimnis wird noch undurchsichtiger
Was tun?
Das Vorgehen Sâr Dubnotals versetzt sein Gefolge in größte Ratlosigkeit
Der Tod eines Maharadscha
Die Vampire
Epilog
Der rote Fleck
Überraschungen auf einer Velada
Die Anarchisten
Eine Festnahme
Lichtet sich das Dunkel?
Unter der Erde
Die Racheerscheinung
Eine wundersame Rettung
Die Lösung des Rätsels
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Copyright © 2024 BLITZ-Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Hans-Peter Kögler
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Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
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ISBN: 978-3-68984-062-4
1026 vom 15.09.2024
„Ich sage Ihnen, dass dies eine echte Schande für unsere Stadt ist, mein Herr! Apachen* überfallen späte Spaziergänger am Abend an den Kais der Vilaine oder Einbrecher verschaffen sich bei bestimmten Bürgern Einlass; dem kann man nur mit Härte begegnen! Die Polizei keines einzigen Landes ist perfekt, und solange es Menschen auf dieser Welt gibt, wird es auch Schurken geben, die sich unter die anständigen Leute mischen. Doch ist es erforderlich, dass sich Letztere auch verteidigen können. Schauen Sie nur mal, wie es im Wilden Westen zugeht.“
„Waren Sie schon mal im Wilden Westen?“
„Ich? Nein, mein Herr, aber ich habe einen Bruder, der ausgewandert ist und der dort seit vielen Jahren lebt.“
„Als Goldsucher?“
„Nein, mein Herr, als Wirt. Das ist viel lukrativer, wenn auch gefährlicher, als in Goldminen zu arbeiten oder als Waldläufer sein Leben zu fristen. Wirte machen schnell ihr Glück, allerdings unter der Bedingung, dass ...“
„... dass sie einer ihrer Gäste nicht frühzeitig ins Jenseits schickt, nicht wahr?“
„So ist es, mein Herr. Sie werden reich, ohne große Anstrengung, sind aber auch unaufhörlich Gegenstand materieller Begierden ihrer Kundschaft, bei der es sich – wie Sie sich vorstellen können – nicht immer um die feinste handelt. Die Goldsucher rekrutieren sich zu etwa drei Vierteln aus internationalem Abschaum. Und die Cowboys sind auch nicht besser. Nun, trotzdem gibt es vielleicht im Wilden Westen weniger Morde als in unserem schönen Frankreich, denn dort braucht man nicht mit der Polizei zu rechnen. Jeder verteidigt sich selbst und jeder Schurke kann davon ausgehen, es mit einem Menschen zu tun zu bekommen, der mit einem Gewehr, einem Revolver oder einem Messer umzugehen weiß. In jedem Fall, mein Herr, hat mein Bruder mir oft geschrieben, dass er dort drüben im Westen niemals so abscheuliche Szenen erlebt hat, wie sie sich seit einigen Monaten hier in Rennes abspielen. Man könnte glauben, dass die Leichenfledderer, die Vampire vom Friedhof, zu einer Spezialität sogenannter zivilisierter Länder geworden sind. Ja, in einem Goldgräbercamp spricht man vielleicht von einer Grabschändung, wenn jemand meldet, dass das Grab seines Verwandten oder Freundes entweiht worden ist; das gesamte Camp würde zu den Waffen greifen, um die Schuldigen unverzüglich ohne Gnade zu jagen und zu bestrafen.“
„Sucht denn die Polizei von Rennes nicht auch nach den Individuen, die Sie als Vampire des Friedhofs be-zeich-nen?“
„Sie mag vielleicht suchen, aber wo bleibt der Erfolg? Diese Dunkelmänner gleiten ihr buchstäblich durch die Finger! Ein Dieb folgt dem anderen, eine Grabschändung der nächsten.“
Es herrschte eine Zeitlang Schweigen.
Sâr Dubnotal, der große Psychagoge, denn er hatte dieses Gespräch in Gang gesetzt, betrachtete aufmerksam seinen Gesprächspartner, der niemand anderer als der Besitzer des Hotels Der gekrönte Pfau war, eines der besten Häuser der Stadt Rennes.
Der große Psychagoge befand sich gerade mit seinen Leuten in der Hauptstadt der Bretagne, um ihr einen ausführlichen Besuch abzustatten und auch deren nähere Umgebung zu erkunden.
Der Zufall hatte es gefügt, dass ihr Aufenthalt in die Zeit fiel, in der es zu einer Häufung makabrer Umtriebe der unbekannten Leichenfledderer kam, die in schöner Regelmäßigkeit den Thabor, einen der schönsten Friedhöfe der Stadt, heimsuchten.
Die Ruhestätte, im Nordosten von Rennes gelegen, wurde beinahe jede Nacht von den abscheulichen Schurken entweiht. Sie plünderten die reichsten Gräber und raubten die Bestatteten aus.
Diese Folge von Untaten, welche mit unglaublicher Kühnheit und Raffinesse begangen worden waren, hatte das rege Interesse des Übermenschen erregt und ihn veranlasst, großmütig einzugreifen.
Sâr Dubnotal hatte rasch bemerkt, dass die Polizei unfähig war, die geheimnisvollen Vorgänge aufzuklären, und deshalb spontan beschlossen, seinen Aufenthalt in Rennes zu verlängern.
Zunächst versuchte er, durch geschickte Befragungen die mageren Angaben und Hinweise zu vervollständigen, welche er den Tageszeitungen zu den widerlichen Räubereien entnommen hatte.
Der Hotelier des Pfau war ihm hierfür besonders geeignet erschienen. Er hatte beschlossen, es hauptsächlich mit diesem Mann zu versuchen, und so erfuhr er, weil der Gute ein großes Bedürfnis hatte, sich mitzuteilen, viele Details, die er dank seines hervorragenden Gedächtnisses speicherte.
„Nun“, fuhr Sâr Dubnotal schließlich fort, „sagen Sie mir doch, seit wann sind denn diese Vampire auf dem Friedhof aktiv?“
„Seit nahezu sechs Monaten, mein Herr.“
„Gibt es dort nachts Wächter?“
„Bisher nur zwei, das war der Hauptwächter Bivic, der einen kleinen Pavillon in der Nähe des Haupttores bewohnt, und dann ein gewisser Gérôme.“
„Und zurzeit?“
„Jetzt hat man sie verdoppelt: Es sind vier, die jede Nacht dort auf einen Rundgang gehen, um die Vampire zu überraschen. Als man die erste Schändung entdeckt hat, war die Aufregung groß in der Stadt. Das Grab eines jungen Mädchens war während der Nacht geschändet, der Sarg gewaltsam aufgebrochen worden. Die Vampire, die es entweder sehr eilig hatten oder aber überrascht worden waren, hatten nicht die Zeit gefunden, alles wieder in Ordnung zu bringen. Ein Totengräber, der am Morgen durch die Allee ging, bemerkte, dass die Steinplatten leicht schief standen. Er meldete seine Beobachtung dem Hauptwächter. Dann hat man eine erste Ermittlung durchgeführt.“
„Und im Ergebnis hat man festgestellt, dass ein Diebstahl die Ursache für die Grabschändung war?“
„So ist es, mein Herr. Das junge Mädchen stammte aus einer reichen Familie der Stadt. Man bemerkte, dass Schmuck abhandengekommen war, den man ihr mit in den Sarg gelegt hatte.“
„Welchen Wert hatte der entwendete Schmuck etwa?“
„Mehrere tausend Francs. Das junge Mädchen hatte ein wertvolles Perlenkollier, Diamantringe an den Fingern, ein goldenes Armband, Ohrringe und was weiß ich noch alles getragen.“
„Dann“, sagte Sâr Dubnotal, „ist es wohl offensichtlich, dass die Banditen dieses Grab mit voller Überlegung ausgesucht haben?“
Der Hotelier bestätigte die Frage, indem er nickte.
„Zweifellos. Sie wussten ganz gewiss, was sie da taten, und dass sie gute Beute machen würden. Auch die in der Folge entweihten Gräber waren solche reicher Familien. In allen Fällen dürfte es sich jeweils um ein kleines Vermögen gehandelt haben. Soweit ich weiß, war das ausnahmslos so.“
„Dann müssen die Vampire doch im Vorhinein schon informiert worden sein“, meinte Sâr Dubnotal.
„Das ist wahrscheinlich, mein Herr“, entgegnete der Hotelier. „Aber von wem?“
Der Psychagoge lächelte verstohlen und vermied es, eine Antwort zu geben.
„Von dem, was Sie mir da erzählt haben, befremdet mich eine Sache ganz besonders“, sagte Sâr Dubnotal zu dem Besitzer des Hotels Der gekrönte Pfau.
„Dass die Verbrecher noch nicht geschnappt worden sind?“
„Nein, sondern die Leichtigkeit, mit der sie ihre Verbrechen begangen haben. Vier Wächter, sagten Sie, bewachen den Friedhof während der Nacht?“
„Ja, vier, mein Herr. Und das sind nicht zu viele. Der Friedhof von Thabor ist sehr groß. Er erstreckt sich über eine Fläche von gut einem Quadratkilometer und es gibt Bestrebungen, sogar nur zwei Wächter dort zu beschäftigen. Aber selbst wenn vier Leute dort tätig sind, bewegen die offenbar nicht viel. Sie haben es jedenfalls bis jetzt nicht geschafft, die Schuldigen zu stellen, ja, nicht einmal die Fortsetzung dieser dunklen Umtriebe zu verhindern.“
„Lassen wir die Wächter mal beiseite. Was hat die Stadtpolizei erreicht?“
„Die Stadtpolizei war auch nicht glücklicher. Die Inspektoren vom mobilen Einsatzkommando, die man an die entsprechenden Orte beordert hat, kamen mit leeren Händen zurück.“
„Das ist kaum eine Ehre für sie.“
„Zum Donnerwetter, nein. Und die Menschen hier sind empört. Wie auch nicht! Da gibt es ein halbes Dutzend Kerle, die wie Herkules gebaut sind, aber nicht einmal im Beisein von Wächtern ihre Augen überall haben, um zwei oder drei Grabräuber zu schnappen, die den Thabor heimsuchen.“
„Zwei oder drei. Ist das eine Zahl, die Sie zufällig in den Raum stellen? Ist es nicht möglich, dass die Einbrüche eventuell von einem Einzeltäter begangen worden sind?“
„Nein, mein Herr. Ich weiß nicht, ob es sich um drei, vier oder noch mehr Täter handelt, aber es müssen jedes Mal mindestens zwei gewesen sein, denn ein Mann allein könnte die schweren Marmor- oder Granitplatten nicht emporgehoben haben, auf denen man übrigens Spuren entdeckt hat, wonach sie gewogen und anschließend wieder auf die Sockel gelegt worden sind.“
„Aber wenn es mehrere Vampire gibt“, bemerkte Sâr Dubnotal, nachdem er einen Augenblick lang überlegt hatte, „wie zum Teufel sollen sie es dann angestellt haben, dass sie in einem Friedhof unbemerkt geblieben sind, der von vier Wächtern und Leuten der Stadtpolizei kontrolliert wurde? Ein Mann allein könnte dieser Überwachung entgehen, zumindest bestünde für ihn ein geringeres Risiko, in flagranti bei der Grabschändung entdeckt zu werden. Aber dass es mehrere Räuber, die eine solche Aktion gemeinsam durchführen, schaffen sollten, durch die Maschen eines so dichten Netzes zu schlüpfen, das übersteigt die Grenzen meiner Vorstellung.“
„Nun, mein Herr“, sagte der Hotelier, „Sie können mir glauben, dass wir alle hier im gleichen Boot sitzen. Bald verstehen wir gar nichts mehr. Vom Hauptaufseher und dem Polizeikommissar bis hin zum letzten Einwohner, so sucht jeder vergeblich nach dem Schlüssel dieses Rätsels. Die Sprachen gehen ihren Weg. Hier gibt es einen Universitätsprofessor, der Griechisch kann, der behauptet, dass es sich um das Auftreten von geisteskranken Personen handeln könnte, die unter dem Namen Vrykolakas* bekannt seien. Doch die Leute sagen, dass diese Vrykolakas nichts weiter als Hexer oder Zauberer seien.“
„Es gibt keine Zauberer mehr“, sagte Sâr Dubnotal ernst. „Es gibt lediglich Scharlatane, und die sind ganz leicht zu entlarven. Nein, nein, die Zauberei wollen wir mal beiseitelassen.“
„Oh“, rief der Hotelier lebhaft. „Ich frage hier besser nicht nach, denn ich für meinen Teil halte nichts von diesen Klatschgeschichten. Dennoch, mein Herr, ist es sinnvoll, Sie zu warnen, denn Sie scheinen sich für diese Sachen schon zu interessieren. Die Anhängerschaft für Phantastisches und Geheimnisvolles wird in unserer Stadt immer größer, nachdem Wächter und Polizisten behaupten, Schlag Mitternacht oder gegen ein Uhr morgens auf dem Friedhof eine Art Gespenst gesehen zu haben.“
Bei diesen Worten konnte der Psychagoge nicht verhindern, dass er zusammenzuckte. Würde die Geschichte mit den Vampiren eine unvorhergesehene Wendung nehmen, zum Bereich der Psychognosis überleiten und ihm die Möglichkeit zu viel interessanteren Studien bieten, als er je zu hoffen gewagt hätte?
Er verwarf diese Gedanken wieder. Es konnte sich tatsächlich doch nur um das unbestimmte Gefühl handeln, dass man irgendwelchen volkstümlichen Gerüchten keinesfalls Glauben schenken sollte. Doch selbst wenn man das Ganze auf eine realistische Basis stellte, war die Geschichte noch immer reichlich geheimnisvoll und allemal der Mühe wert, dass sich Sâr Dubnotal bemühte, Licht in dieses Dunkel zu bringen.
Falls es sich bei dem Phantom um einen Mythos handelte – und daran schien kein Zweifel zu bestehen – dann existierten die Vampire tatsächlich. In diesem Zusammenhang gab es für den Psychagogen nicht den geringsten Zweifel: Wesen, die schlimmer als Bestien und offenbar frei von jeglichen moralischen Skrupeln waren, verwüsteten den Friedhof Thabor jede Nacht, wobei sie vor allem die Leichen plünderten. Dadurch verursachten sie bei den trauernden Verwandten ihrer Opfer einen Hauch von Horror.
Ja, genau, die erwähnten Tatsachen waren schlüssig. Auf keinen Fall war es hinnehmbar, dass diese Freveltaten ungestraft blieben, wenn schon die örtliche Polizei versagte. Sâr Dubnotal musste hier eingreifen, er musste diesen makabren Umtrieben ein Ende setzen, welche die öffentliche Meinung erregten und eine ganze Stadt in Verruf brachten, außerdem Panik unter ihren Einwohnern erzeugten.
Doch wie sollte das erreicht werden?
Sâr Dubnotal wusste es auch noch nicht; in diesem Fall war er trotz all seiner Fähigkeiten im Augenblick ratlos. Aber er war kein Mann, der Angst vor dieser gewaltigen Aufgabe hatte, ganz im Gegenteil. Wie viele scheinbar unlösbare Rätsel hatte er nicht schon gelöst? Selbst die kompliziertesten Probleme hatten seine Intelligenz nie lange auf die Probe stellen können. Er hatte eine besondere Art, mit Geheimnissen umzugehen, und seine nahezu übernatürliche Wissenschaft ließ sich durch kein Hindernis abhalten, Rätseln auf den Grund zu gehen.
„Herr Hotelier“, sagte er daher zu dem Besitzer des Gekrönten Pfau. „Ich danke Ihnen. Sie haben recht: Die Sache mit den Vampiren ist in der Tat sehr beunruhigend. Dennoch sollte man sich bemühen, eines Tages die ganze Wahrheit zu entdecken, schon allein deshalb, damit diese Verbrecher unschädlich gemacht werden.“
„Ich bezweifle das, mein Herr, ich bezweifle das“, wiederholte der Hotelier und schüttelte seinen Kopf.
„Nun, diesmal irren Sie“, sagte der Psychagoge ernst. „Dieser Fall wird ab diesem Moment eine ganz neue Wendung nehmen. Sie werden das bald bemerken.“
Der Hotelier konnte seine Überraschung nicht verbergen. „Wer sind Sie, mein Herr“, fragte er fast ehrfürchtig.
Sâr Dubnotal lächelte. „Aber das wissen Sie doch, mein Lieber. Ich bin Severus el Tebib, Ihr Gast ganz einfach.“
Und indem er den guten Mann vollständig perplex zurückließ, verließ Sâr Dubnotal das Raucherzimmer des Hotels und suchte sein Appartement auf.
*Kleingauner und Schwerverbrecher
*Das griechische Wort βρικόλακας (vrykolakas) bezeichnet nach dem Volksglauben einen Vampir; unter slawischer Herkunft wird damit ein Werwolf bezeichnet. Der griechische Begriff wurde im Französischen zu broucolaque.
„Chef! Chef! Kommen Sie! Beeilen Sie sich, ach, es ist schrecklich!“
Mit diesen Rufen und einer von Aufregung erstickten Stimme klopfte jemand dumpf an die Tür.
Bivic, der Hauptwächter von Thabor, kam eilig aus seinem Pavillon, der neben dem Eingang zum Friedhof lag. Er stellte fest, dass vor ihm der Wächter Gérôme stand. Er war blass, zitterte und tupfte sich mit dem Ärmel den Schweiß von den Schläfen.
„Was ist denn los? Was gibt’s denn noch, großer Gott?“, fragte Bivic seinen Untergebenen.
„Kommen Sie!“, wiederholte der Mann und klapperte mit den Zähnen.
„Wohin?“
„Dorthin – zur Avenue Nummer 4!“
Gérôme wies mit seinem ausgestreckten Arm auf eine der Friedhofsalleen, die für Dauernutzung reserviert waren.
Bivic verstand. „Wieder die Vampire, nicht wahr?“, sagte er.
„Ja“, keuchte der Wärter. „Wieder und immer wieder diese Schurken. Ach, Sie werden’s ja sehen. Es ist eine abscheuliche Sache.“
„Zum Teufel nochmal!“
Die Worte waren mit großer Schnelligkeit zwischen den beiden Wächtern gesprochen worden. Der Tag war kaum angebrochen. Das schüchterne Licht der Morgendämmerung eines griesgrämigen und regnerischen Oktobertages bewirkte eine graue Färbung der aufgestellten Grabkreuze auf der ewigen Ruhestätte des Thabor.
Während er sich dem Tempo seines Mitarbeiters Gérôme anpasste, führte Bivic ein Selbstgespräch: „Was soll denn schon geschehen sein, zum Teufel? Was denn? Was denn? Die Polizei und wir haben doch die ganze Nacht aufgepasst. Hm, hm! Wir haben Runde um Runde gedreht und absolut nichts Verdächtiges bemerkt. Nichts, kein Gespenst, kein Geräusch von Platten, die bewegt worden wären, nichts! Ich bin ganz zufrieden in meinen Pavillon gegangen und war überzeugt davon, dass heute Nacht nichts geschehen würde. Und jetzt wieder diese verdammten Vampire.“
Er unterbrach sich. „Sagen Sie, Gérôme, irren Sie sich nicht? Kann es nicht sein, dass Sie einer Halluzination erlegen sind?“
Der Wärter antwortete, ohne sein Tempo zu verlangsamen: „Sie werden es mit eigenen Augen sehen, Chef! Auf mein Wort, es ist schrecklich! Noch nie haben die Vampire so etwas Entsetzliches getan!“
„Sie erschrecken mich, hm, hm! Was ist denn bloß passiert?“
„Sie werden es sehen, Sie werden es sehen! Ich kann nicht ... kann keine Worte finden, um Ihnen diese scheußliche Szene zu schildern. Da kann man den Verstand verlieren, Chef!“
Bivic, der seine Fäuste in ohnmächtiger Wut geballt hatte, trottete hinter seinem Untergebenen her, der zwischen den Gräbern und Mausoleen umherlief. Plötzlich blieb er am Gitter eines Grabes stehen, das etwas im Hintergrund zur Avenue Nummer 4 lag.
Bivic, der weniger ängstlich war, näherte sich einige Schritte, stieß aber dann auch einen gedämpften Schreckensschrei aus. Die Vampire waren tatsächlich hier eingedrungen! Das Gitter war noch geöffnet.
Eine Platte des unversiegelten Grabes war noch nicht wieder auf den Sockel gehievt worden, sondern lag einfach daneben. Waren die Schurken bei ihrem dunklen Treiben von einem sich nähernden Wächter oder Polizisten gestört worden? Hatte ihnen Zeit gefehlt oder war es einfach nur Schlamperei oder gar Missachtung gewesen, dass sie das Gitter nicht wieder verschlossen und die Platte an Ort und Stelle abgelegt hatten?
Diese Vermutung entbehrte nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Seit einigen Wochen schienen die Vampire tatsächlich Gefallen daran zu finden, die Wächter und Polizisten, die mit der Überwachung des Friedhofs beauftragt waren, herauszufordern: Man hätte meinen können, als wollten sie beweisen, dass die Überwachung des Friedhofs illusorisch sei und sie sich absolut sicher fühlten, nicht erwischt und bestraft werden zu können.
Das Schrecklichste aber war (und schien sogar trotz seiner beruflichen Routine das Blut in Bivic’ Adern gefrieren zu lassen), was er nun im Inneren des Grabgewölbes erblickte.
Die Verwüstung war vollständig. Auf dem Boden eines Lochs mit einer Tiefe von etwa drei Meter fünfzig lag ein offensichtlich beschädigter Sarg, der Deckel war aufgebrochen, das Leichentuch abgerissen und trotz der Dunkelheit gewahrte man eine Leiche, die bereits in Verwesung übergegangen war und deren Kopf schrecklich zu grinsen schien. Es handelte sich um die Leiche der Frau eines reichen Geschäftsmannes der Stadt, die erst vor einigen Monaten gestorben und begraben worden war.
Zum Zeitpunkt ihres Todes hatten die Vampire noch nicht von sich reden gemacht. Deshalb hatte die Familie einem alten französischen Brauch – aber auch anderer Länder – folgend, der Toten einen Teil ihres Schmuckes mit ins Grab gelegt.
Der Hauptwächter besaß eine Liste davon. Er überwand seine Erregung und wandte sich, mehr tot als lebendig, an Gérôme, dem er zurief: „Schnell, Gérôme, lauf zum Pavillon und bring mir eine Leiter. Ich muss in die Gruft hinunter, um zu prüfen, ob die Strolche alles mitgenommen haben.“
Gérôme gehorchte und kam nach ein paar Minuten mit der gewünschten Leiter zurück.
Bivic stieg langsam in die Grube, um dann hinab in die eigentliche Gruft zu steigen. Gérôme beobachtete ihn von oben.
Von dem wahnsinnigen Schrecken, der ihn vorher ge-packt hatte, war nichts mehr zu spüren, er zitterte nicht mehr, auch seine Blässe war gewichen. Bivic setzte eben seinen Fuß auf die fünfte Stufe, als plötzlich eine Latte brach und er, ohne sich halten zu können, in die Tiefe stürzte.
Noch ganz benommen von seinem Sturz versuchte er aufzustehen und rief nach Gérôme um Hilfe. Aber der war einfach weggelaufen. Dass nun auch noch seinem Chef etwas passiert war, das war zu viel für ihn gewesen. Gérôme war geflohen, ohne zu wissen, wohin.
Bivic’ Kopf war beim Sturz an eine Ecke des Sarges geknallt, deshalb floss nun Blut aus der Wunde. Doch nach einem kurzen Schwächeanfall hatte sich der Hauptwächter wieder unter Kontrolle. Er fuhr fort, weiterhin nach Gérôme zu rufen, der doch bald erscheinen musste, und machte sich nun daran, die Leiche zu untersuchen, ohne darauf zu achten, dass es in der Grube todbringende Gase gab. Eine der beiden Hände der Toten lag außerhalb des Sarges.
Bivic glaubte zunächst, dass er bei seinem Sturz eventuell selbst die Hand der Leiche verschoben haben könnte. Bald sah er ein, dass er sich geirrt hatte: Die Hand war nämlich sauber und präzise in Höhe des Gelenkes abgetrennt worden, und zwar entweder mit einem Beil oder einem Messer – dies war noch zu klären.
Weil sie die Kette, welche ein höchst wertvolles Armband am Handgelenk der Toten sichern sollte, nicht abzulösen vermochten, hatten die Vampire nicht gezögert, die ganze Hand mitsamt der Kette einfach abzutrennen, um an den Schmuck zu kommen.
Die blutleere und abgemagerte Hand war über die Platten am Boden gerollt, wo Bivic sie jetzt an sich nahm.
„Gérôme!“, rief er erneut, diesmal mit undeutlicherer Stimme. „Gérôme!“
Die giftigen Dämpfe der Gruft und seine allgemeine Schwäche, die durch Blutverlust begründet war, schienen durch die Feststellung dieser neuerlichen Untat verschwunden zu sein. Bivic beeilte sich, wieder an die frische Luft zu gelangen.
Aber seine Beine zitterten heftig, schienen unter ihm nachzugeben, und er fühlte sich nicht in der Lage, die Leiter ohne fremde Hilfe wieder anzulegen.
Schwindelgefühl ergriff ihn.
Sein Kopf drehte sich, er musste sich an die Wand der Gruft lehnen, um nicht zu stürzen. Mit einer gewaltigen Anstrengung versuchte er dennoch, die Leiter anzulehnen.
Doch sein Fuß glitt ab und die Leiter rutschte ihm aus der Hand. Wieder wollte er rufen, doch seine Stimmer war kaum mehr zu vernehmen: „Gérôme! Gé...“
Er kam nicht weiter. Plötzlich versank alles um ihn herum. Das tödliche Gas hatte ganze Arbeit geleistet. Bivic brach zusammen und es schien, als ob es in der Grube eine weitere Leiche gäbe.
Kaum war der Hauptwächter auf den mit Platten belegten Boden der Gruft gerollt, als sich zwei neugierige Köpfe über den Grubenrand beugten.
„Erledigt!“, murmelte eine Stimme. „Er hat seinen Teil.“
„Ja“, erwiderte die Stimme des Zweiten. „Ich glaube, sein Geschäft ist gut gelaufen diesmal. Was musste er auch seine Nase überall hineinstecken.“
„Eine großartige Idee, die du da mit dem Ansägen der Latte hattest!“, meinte der Erste.
„Nun, er hat wirklich eine saubere Bruchlandung gemacht. Wenn du das gesehen hättest! Ach, ach! Gute Reise, Vater Bivic, und alles Gute im Jenseits!“
Ein zweifaches, teuflisches Gelächter begleitete diese makabren Worte.
Die beiden Köpfe verschwanden wieder, der Körper des unglücklichen Hauptwächters blieb einsam zurück.
In der Avenue Nummer 4 war es wieder still.
* * *