Die vergessene Welt - Arthur Conan Doyle - E-Book

Die vergessene Welt E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

A.C. Doyle - Die vergessene Welt - Illustriert Um 1910 reist der exzentrische Professor Challenger mit einer Expedition in den Dschungel des Amazonas. Ausgerüstet mit einer alten Landkarte begibt sich eine bunte Truppe auf die Suche nach einer vergessen geglaubten Welt und entdeckt tatsächlich seit Millionen von Jahren ausgestorbene Dinosaurier. Doch die faszinierende Reise entwickelt sich für alle zu einem Albtraum. Gefahr droht nicht nur von den Riesenechsen, sondern auch von feindlichen Affenmenschen. Es beginnt ein Kampf ums Überleben. Sir Arthur Conan Doyle schrieb neben seinen bekannten Sherlock Holmes-Geschichten auch mehrere Abenteuer rund um die Figur des Professor Challenger. "Die vergessene Welt" diente etlichen Fernseh- und Filmproduktionen als Vorlage. In diesem spannenden, aber dank der berühmtem britischen Spleenigkeit auch äußerst humorvollem Werk, findet sich der Vorläufer aller Jurassic Park-Bücher von Michael Crichton. Der vorliegende Band ist geschmückt mit 8 Zeichnungen der deutschen Erstveröffentlichung und mit Fußnoten kommentiert. Null Papier Verlag

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Arthur Conan Doyle

Die vergessene Welt

Illustriert

Arthur Conan Doyle

Die vergessene Welt

Illustriert

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Jürgen Schulze 2. Auflage, ISBN 978-3-954186-04-4

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Inhaltsverzeichnis

Buch

Ers­tes Ka­pi­tel – Es gibt über­all Ge­le­gen­heit zu Hel­den­ta­ten.

Zwei­tes Ka­pi­tel – Ver­su­chen Sie Ihr Glück mit Pro­fes­sor Chal­len­ger.

Drit­tes Ka­pi­tel – Er ist ein ganz un­mög­li­cher Mensch.

Vier­tes Ka­pi­tel – Das ist die er­staun­lichs­te Sa­che, von der ich je ge­hört habe.

Fünf­tes Ka­pi­tel – Das ist die Fra­ge!

Sechs­tes Ka­pi­tel – Ich war die Got­tes­gei­ßel.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Mor­gen tre­ten wir die Rei­se in das un­be­kann­te Land an.

Ach­tes Ka­pi­tel – Die Vor­pos­ten der neu­en Welt.

Neun­tes Ka­pi­tel – Wer hät­te das vor­aus­se­hen kön­nen?

Zehn­tes Ka­pi­tel – Die selt­sams­ten Din­ge ha­ben sich er­eig­net.

Elf­tes Ka­pi­tel – Dies­mal war ich der Held.

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Es war furcht­bar im Wald.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein An­blick, den ich nie ver­ges­sen wer­de.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Das wa­ren wirk­li­che Erobe­run­gen.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Un­se­re Au­gen ha­ben große Wun­der ge­se­hen.

Sechs­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein Um­zug! Ein Um­zug!

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Buch

Um 1910 reist der ex­zen­tri­sche Pro­fes­sor Chal­len­ger mit ei­ner Ex­pe­di­ti­on in den Dschun­gel des Ama­zo­nas. Aus­ge­rüs­tet mit ei­ner al­ten Land­kar­te be­gibt sich eine bun­te Trup­pe auf die Su­che nach ei­ner ver­ges­sen ge­glaub­ten Welt und ent­deckt tat­säch­lich seit Mil­lio­nen von Jah­ren aus­ge­stor­be­ne Di­no­sau­ri­er. Doch die fas­zi­nie­ren­de Rei­se ent­wi­ckelt sich für alle zu ei­nem Alb­traum. Ge­fahr droht nicht nur von den Rie­se­nech­sen, son­dern auch von feind­li­chen Af­fen­menschen. Es be­ginnt ein Kampf ums Über­le­ben.

Sir Ar­thur Co­nan Doy­le schrieb ne­ben sei­nen be­kann­ten Sher­lock Hol­mes-Ge­schich­ten auch meh­re­re Aben­teu­er rund um die Fi­gur des Pro­fes­sor Chal­len­ger. „Die ver­ges­se­ne Welt“ diente et­li­chen Fern­seh- und Film­pro­duk­tio­nen als Vor­la­ge.

In die­sem span­nen­den, aber dank der be­rühm­tem bri­ti­schen Splee­nig­keit auch äu­ßerst hu­mor­vol­lem Werk, fin­det sich der Vor­läu­fer al­ler Ju­ras­sic Park-Bü­cher von Mi­cha­el Crichton.

Die großen häu­ti­gen Flü­gel wa­ren über dem Kör­per zu­sam­men­ge­fal­tet, so­dass sie aus­sa­hen wie rie­sen­haf­te alte Wei­ber, die mit häss­li­chen grau­en, nur die wil­den Köp­fe frei­las­sen­den Tü­chern be­klei­det wa­ren. Min­des­tens tau­send von die­sen schmut­zi­gen großen und klei­nen Ge­schöp­fen be­fan­den sich in der Nie­de­rung vor uns.

Erstes Kapitel – Es gibt überall Gelegenheit zu Heldentaten.

Mis­ter Hun­ger­ton, ihr Va­ter, war der takt­lo­ses­te Mensch auf der Welt – ein flau­mi­ger, fed­ri­ger, schmud­de­li­ger Ka­ka­du von ei­nem Men­schen, durch­aus gut­mü­tig, aber rest­los ein­ge­stellt auf sein ei­ge­nes lä­cher­li­ches Selbst. Wenn ir­gen­det­was mich von Gla­dys hät­te weg­trei­ben kön­nen, so wäre es der Ge­dan­ke an solch einen Schwie­ger­va­ter ge­we­sen. Ich bin über­zeugt, dass er in der Tie­fe sei­nes Her­zens glaub­te, ich käme drei­mal in der Wo­che zu den al­ten Kas­ta­ni­en­bäu­men her­um, um das Ver­gnü­gen sei­ner Ge­sell­schaft zu ge­nie­ßen, ins­be­son­de­re aber um sei­ne An­sich­ten über Bi­me­tal­lis­mus1 – eine Ma­te­rie, in der er eine Art von Au­to­ri­tät war – zu hö­ren.

Län­ger als eine Stun­de schon ließ ich an die­sem Abend sein ein­tö­ni­ges Ge­schwätz über Ver­schlech­te­rung des Gel­des, über den an­ge­nom­me­nen Wert des Sil­bers, die Ent­wer­tung der Ru­pie und die wah­ren Nor­men der Wech­sel­kur­se über mich er­ge­hen.

»Stel­len Sie sich vor«, rief er in ei­nem An­fall von Hef­tig­keit aus, »dass alle Schul­den in der Welt zu glei­cher Zeit und so­fort be­zahlt wer­den müss­ten! Was wür­de un­ter den ge­gen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­sen ge­sche­hen?«

Ich gab die selbst­ver­ständ­li­che Ant­wort, dass ich dann ein rui­nier­ter Mann sein wür­de, wor­auf er von sei­nem Stuhl auf­fuhr, mir mei­nen ge­wohn­ten Leicht­sinn, der es ihm un­mög­lich ma­che, ir­gend­ei­nen ernst­haf­ten Ge­gen­stand in mei­ner Ge­gen­wart zu dis­ku­tie­ren, vor­warf, wü­tend aus dem Zim­mer stampf­te und die Tür hef­tig ins Schloss warf, um sich für die Loge um­zu­zie­hen.

Ich war also end­lich al­lein mit Gla­dys, und der Au­gen­blick, der mein Schick­sal ent­schei­den soll­te, war ge­kom­men! Den gan­zen Abend hat­te ich das Ge­fühl ei­nes Sol­da­ten, der das Si­gnal er­war­tet, das ihn auf einen ver­lo­re­nen Pos­ten schickt, ein Ge­fühl, in dem die Hoff­nung auf den Sieg mit der Furcht vor der Nie­der­la­ge ab­wech­selt.

Sie saß vor mir, ihr stol­zes und zar­tes Pro­fil hob sich klar ge­gen den ro­ten Vor­hang ab. Wie schön sie war! Und doch wie fern! Wir wa­ren bis­her gute Freun­de ge­we­sen, recht gute Freun­de, nie­mals aber war es mir ge­lun­gen, über je­nen Grad von Ka­me­rad­schaft­lich­keit hin­aus­zu­kom­men, wie er etwa zwi­schen mir und ei­nem Kol­le­gen von der Zei­tung hät­te be­ste­hen kön­nen – ganz auf­rich­tig, sehr lie­bens­wür­dig und völ­lig pla­to­nisch. Mei­ne in­ners­ten Ge­füh­le sind im­mer ge­gen ein weib­li­ches We­sen ein­ge­nom­men, das mir ge­gen­über frei und un­be­fan­gen ist. Die­se Hal­tung ist kein Kom­pli­ment für einen Mann. So­bald der Ge­gen­satz der Ge­schlech­ter er­wacht, re­gen sich Furcht und Miss­trau­en, die­se Erb­schaft aus ro­he­ren Zei­ten, als Lie­be und Ge­walt noch Hand in Hand gin­gen. Das ge­senk­te Haupt, die ab­ge­wen­de­ten Au­gen, die sto­cken­de Stim­me, die be­ben­de Ge­stalt – all dies und nicht der freie Blick und die un­ge­zwun­ge­ne Ant­wort sind der wah­re Aus­druck der Lei­den­schaft. So­viel hat­te ich so­gar schon wäh­rend mei­nes kur­z­en Le­bens er­fah­ren – oder leb­te doch als In­stinkt, wie wir das Ras­sen­ge­dächt­nis nen­nen, in mir.

Gla­dys be­saß alle echt weib­li­chen Ei­gen­schaf­ten. Ei­ni­ge hiel­ten sie für kalt und ge­fühl­los, aber dies Ur­teil war nicht zu­tref­fend. Der zar­te Bron­ze­ton ih­rer Haut, fast ori­en­ta­lisch in der Fär­bung, das ra­ben­schwar­ze Haar, die großen sanf­ten Au­gen, die vol­len, aber ent­zückend ge­form­ten Lip­pen – alle die­se Zei­chen der Lei­den­schaft wa­ren vor­han­den. Aber ich war mir schmerz­lich be­wusst, dass ich bis jetzt das Ge­heim­nis, die­se Lei­den­schaft zu ent­flam­men, nicht ent­deckt hat­te. In­des­sen, moch­te kom­men, was da woll­te, ich muss­te der Un­ge­wiss­heit ein Ende ma­chen und mei­ne Sa­che heu­te Abend noch zur Ent­schei­dung brin­gen. Moch­te sie mich ab­wei­sen; bes­ser ein zu­rück­ge­sto­ße­ner Lieb­ha­ber als ein ge­dul­de­ter Bru­der.

So­weit war ich in mei­nen Ge­dan­ken ge­kom­men und im Be­griff, das lan­ge und pein­li­che Schwei­gen zu bre­chen, als zwei kri­ti­sche, dunkle Au­gen sich auf mich rich­te­ten und Gla­dys, vor­wurfs­voll lä­chelnd, das stol­ze Haupt schüt­tel­te.

»Ich habe das Ge­fühl, dass Sie im Be­griff sind, mir einen Hei­rats­an­trag zu ma­chen, Ned. Ich möch­te nicht, dass Sie es tun, es ist viel hüb­scher so, wie es jetzt ist.«

Ich zog mei­nen Stuhl et­was nä­her her­an.

»So, wo­her wis­sen Sie denn, dass ich die Ab­sicht habe, Ih­nen einen Hei­rats­an­trag zu ma­chen?«, frag­te ich ehr­lich er­staunt.

»Wis­sen Frau­en nicht im­mer al­les? Glau­ben Sie, dass es ir­gend­ein Weib auf der Welt gibt, das es nicht merkt, wenn sich je­mand für sie in­ter­es­siert? Nein, Ned, un­se­re Freund­schaft war so schön und so reiz­voll! Wie scha­de wäre es, sie zu zer­stö­ren! Füh­len Sie nicht, wie herr­lich es ist, wenn ein jun­ger Mann und ein jun­ges Mäd­chen so frei­mü­tig mit­ein­an­der spre­chen, wie wir es ge­tan ha­ben?«

»Ich weiß nicht, Gla­dys. Frei­mü­tig spre­chen kann ich auch mit – dem Sta­ti­ons­vor­ste­her.« Ich habe kei­ne Ah­nung, wie die­ser Be­am­te in un­se­re Un­ter­hal­tung hin­ein­ge­riet, aber er ge­riet hin­ein, und wir muss­ten bei­de la­chen.

»Das ge­nügt mir auf die Dau­er nicht. Ich möch­te mei­nen Arm um Sie le­gen und Ihren Kopf an mei­ne Brust drücken, und, ach Gla­dys, ich möch­te …«

Sie sprang vom Stuh­le auf, da ihr klar wur­de, dass ich die Ab­sicht hat­te, mei­ne wei­te­ren Wün­sche in die Tat um­zu­set­zen.

»Sie ha­ben al­les zer­stört, Ned«, sag­te sie, »es ist al­les so schön und na­tür­lich, bis eine ge­wis­se Gren­ze über­schrit­ten wird. Es ist so scha­de. Wa­rum kön­nen Sie sich nicht bes­ser be­herr­schen?«

»Das ist kei­ne Er­fin­dung von mir«, ver­tei­dig­te ich mich, »das ist Na­tur, das ist Lie­be.«

»Es mag wohl an­ders sein, wenn bei­de lie­ben. Ich habe noch nie­mals ge­liebt.«

»Aber Sie müs­sen – – – Sie mit Ih­rer Schön­heit, mit Ih­rer See­le! O Gla­dys, Sie sind ja ge­schaf­fen für die Lie­be. Sie müs­sen lie­ben!«

»Man muss war­ten, bis die Lie­be kommt.«

»Aber warum kön­nen Sie mich nicht lie­ben, Gla­dys? Ist es mein Äu­ße­res oder was sonst?«

Ihr Ge­sicht hell­te sich auf. Sie streck­te eine Hand aus – ihre gan­ze Hal­tung war so gü­tig und so her­ab­las­send – und bog mei­nen Kopf zu­rück. Dann sah sie mir mit ei­nem ge­dan­ken­vol­len Lä­cheln in das auf­wärts­ge­rich­te­te Ge­sicht.

»Nein, das ist es nicht«, sag­te sie schließ­lich, »Sie sind nicht ge­ra­de ein häss­li­cher Mann, und dar­um kann ich wohl sa­gen, dass es das nicht ist. Es liegt tiefer.«

»Mein Cha­rak­ter?«

Sie nick­te ernst.

»Was kann ich tun, um ihn zu ver­bes­sern? Set­zen Sie sich doch und sa­gen Sie mir et­was dar­über. Nein, bit­te, ich möch­te, dass Sie sich set­zen.«

Sie sah mich mit ei­nem er­staun­ten Miss­trau­en an, das mir viel bes­ser ge­fiel als ihr Ver­trau­en bei un­be­weg­tem Her­zen.

Wie pri­mi­tiv und dumm das al­les aus­sieht, wenn man es schwarz auf weiß nie­der­schreibt! Aber schließ­lich ist es viel­leicht eine Emp­fin­dung, die nur mir selbst ver­ständ­lich ist. Ge­nug, sie setz­te sich.

»Nun, sa­gen Sie mir, wor­an es mir fehlt.«

»Ich lie­be je­mand an­ders«, sag­te sie.

Jetzt war die Rei­he an mir, vom Stuh­le auf­zu­sprin­gen.

»Es ist nie­mand im Be­son­de­ren«, fuhr sie, über mei­nen Ge­sichts­aus­druck la­chend, fort, »es ist nur ein Ide­al. Ich bin ei­nem sol­chen Mann, wie er mir vor­schwebt, nie­mals be­geg­net.«

»Er­zäh­len Sie mir et­was über ihn. Wie sieht er aus?«

»Oh, er könn­te Ih­nen sehr ähn­lich sein.«

»Wie ent­zückend von Ih­nen, das zu sa­gen! Gut, und was tut er, was ich nicht täte? Sa­gen Sie es mir ge­ra­de her­aus! Absti­nenz­ler, Ve­ge­ta­ri­er, Luft­schif­fer, Theo­soph, Über­mensch – ich wer­de al­les ver­su­chen, Gla­dys, wenn Sie mir nur eine Vor­stel­lung da­von ge­ben wol­len, was Ih­nen ge­fal­len könn­te.«

Sie lach­te über die Elas­ti­zi­tät mei­nes We­sens.

»Gut, zu­nächst ein­mal glau­be ich, mein Ide­al wür­de nicht so re­den«, sag­te sie. »Er wür­de ein küh­ner, ener­gi­scher Mann sein, der nicht so leicht be­reit wäre, der Lau­ne ei­nes tö­rich­ten Mäd­chens zu ent­spre­chen. Auf je­den Fall aber müss­te er ein Mann der Tat sein, der dem Tode ohne Furcht ins Auge blickt – ein Mann von großen Ta­ten und au­ßer­or­dent­li­chen Er­leb­nis­sen. Es ist nie­mals der Mann, den ich lie­ben wür­de, son­dern im­mer der Ruhm, mit dem er sich be­deckt. Denn da­von wür­de ein Ab­glanz auf mich fal­len. Den­ken Sie an Richard Bur­ton!2 Als ich die Bio­gra­fie sei­ner Frau über ihn las, konn­te ich ihre Lie­be ver­ste­hen. Und Lady St­an­ley!3 Ha­ben Sie das wun­der­vol­le letz­te Ka­pi­tel über ih­ren Mann je­mals ge­le­sen? Das ist die Art von Män­nern, die eine Frau von gan­zer See­le an­be­tet, die da­bei doch und nicht zum we­nigs­ten durch ihre Lie­be die Grö­ße­re sein kann, die von al­ler Welt ge­ehrt wird als die Ur­he­be­rin ed­ler Ta­ten.«

Sie sah so schön aus in ih­rem En­thu­si­as­mus, dass ich fast das Ziel un­se­rer Un­ter­hal­tung aus dem Auge ver­lor. Ich riss mich zu­sam­men, um in mei­ner Be­weis­füh­rung fort­zu­fah­ren.

»Wir kön­nen nicht alle St­an­leys und Bur­tons sein«, sag­te ich. »Üb­ri­gens trifft der Glücks­fall nicht je­den – mir je­den­falls hat im­mer die rich­ti­ge Ge­le­gen­heit ge­fehlt. Soll­te der Zu­fall mir güns­tig sein, so wür­de ich ihn nut­zen.«

»Aber Ge­le­gen­heit zu Hel­den­ta­ten gibt es doch über­all. Es ist das Zei­chen die­ser Art von Män­nern, die ich mei­ne, dass sie ih­res ei­ge­nen Glückes Schmied sind. Solch ein Mann lässt sich nicht zu­rück­hal­ten. Ich habe ihn nie­mals ge­trof­fen, und doch ist mir, als ken­ne ich ihn ganz ge­nau. Es gibt so vie­le he­ro­i­sche Ta­ten rings um uns her­um, die nur dar­auf war­ten, ge­tan zu wer­den. Es ist die Auf­ga­be der Män­ner, sie zu tun, und die Auf­ga­be der Frau­en, ihre Lie­be als Ge­schenk für sol­che Män­ner aus­zu­he­ben. Se­hen Sie die­sen jun­gen Fran­zo­sen, der in der vo­ri­gen Wo­che mit ei­nem Bal­lon auf­stieg. Es weh­te eine stei­fe Bri­se, aber da die Bal­lon­fahrt ein­mal an­ge­zeigt war, be­stand er dar­auf, auf­zu­stei­gen. Der Wind trieb ihn 1500 Mei­len weit in 24 Stun­den, und er kam mit­ten in Russ­land zu Bo­den. Das ist die Art von Mann, die ich mei­ne. Den­ken Sie an die Frau, die er lieb­te, und wie die an­de­ren Frau­en sie be­nei­det ha­ben müs­sen! Das ist es, was ich lie­be – be­nei­det wer­den mei­nes Man­nes we­gen.«

»Ich wür­de es ge­tan ha­ben, um Ih­nen zu ge­fal­len.«

»Aber Sie sol­len es nicht tun, nur um mir zu ge­fal­len, Sie sol­len es tun, weil Sie nicht an­ders kön­nen, weil es Ihre Na­tur ist – weil al­les in Ih­nen schreit nach ei­ner he­ro­i­schen Tat. Wa­rum konn­ten Sie nicht, als Sie neu­lich von der Koh­len­staub-Ex­plo­si­on in Wi­gan be­rich­te­ten, in den Schacht hin­un­ter­stei­gen, um trotz der gif­ti­gen Gase den Berg­leu­ten zu hel­fen?«

»Ich tat es.«

»Aber Sie ha­ben nie­mals da­von ge­spro­chen.«

»Das war nichts, was der Rede wert ge­we­sen wäre.«

»Das wuss­te ich nicht.«

Ihre Au­gen ruh­ten mit stär­ke­rem In­ter­es­se auf mir. »Das war brav von Ih­nen.«

»Ich muss­te das doch tun. Wenn man einen gu­ten Be­richt schrei­ben will, muss man doch da sein, wo et­was pas­siert.«

»Was für eine pro­sa­i­sche Be­grün­dung. Da­mit neh­men Sie Ih­rer Hand­lungs­wei­se al­les Ro­man­ti­sche. Aber im­mer­hin, was auch Ihr Grund ge­we­sen sein mag, ich freue mich, dass Sie in den Schacht hin­un­ter­ge­stie­gen sind.«

Sie reich­te mir ihre Hand, aber mit sol­cher An­mut und Wür­de, dass ich mich nur dar­über beu­gen und sie küs­sen konn­te.

»Ich möch­te sa­gen, ich bin ja nur ein tö­rich­tes Weib mit den Fan­tasi­en ei­nes jun­gen Mäd­chens im Kop­fe; und doch ist mei­ne Emp­fin­dung so. Sie ist so völ­lig ein Aus­druck mei­nes in­ne­ren We­sens, dass ich nicht an­ders han­deln kann. Wenn ich je­man­den hei­ra­te, so muss er ein be­rühm­ter Mann sein.«

»Na, und warum denn nicht?«, rief ich aus. »Gera­de ein Weib wie Sie macht den Mann stark. Ge­ben Sie mir eine Ge­le­gen­heit, und Sie wer­den se­hen, dass ich sie aus­nut­ze. Üb­ri­gens, wie Sie sa­gen, soll der rich­ti­ge Mann sich die Ge­le­gen­heit sel­ber schaf­fen und nicht war­ten, bis sie ihm ge­ge­ben wird. Se­hen Sie Cli­ve4 – nur ein klei­ner Schrei­ber, und doch er­ober­te er In­di­en. Beim hei­li­gen Sankt Ge­org! Ich wer­de schon noch et­was un­ter­neh­men in der Welt!«

Sie lach­te über mein plötz­li­ches iri­sches Feu­er.

»Wa­rum nicht«, sag­te sie. »Sie ha­ben al­les, was ein Mann ha­ben kann – Ju­gend, Ge­sund­heit, Kraft, Bil­dung, Ener­gie. Ich war so trau­rig, dass Sie ge­spro­chen ha­ben, und jetzt bin ich froh – so froh, wenn un­ser Ge­spräch sol­che Ge­dan­ken in Ih­nen er­weckt hat.«

»Und wenn ich es tue –––?«

Ihre Hand leg­te sich wie war­mer Samt auf mei­ne Lip­pen.

»Kein Wort mehr, mein Herr! Sie soll­ten schon vor ei­ner hal­b­en Stun­de in der Aben­dre­dak­ti­on sein. Ich konn­te es nur nicht übers Herz brin­gen, Sie dar­an zu er­in­nern. Wenn Sie ei­nes Ta­ges viel­leicht sich Ihren Platz in der Welt er­obert ha­ben wer­den, dann wol­len wir von neu­em dar­über re­den.«

Und so ent­deck­te ich mich selbst an die­sem neb­li­gen No­vem­ber Abend, als ich hin­ter der Tram­bahn, die nach Cam­ber­wall5 fährt, her­lief, mit glü­hen­dem Her­zen in der Brust und fest ent­schlos­sen, kei­nen Tag ver­ge­hen zu las­sen, be­vor ich die Tat aus­fin­dig ge­macht hät­te, die mich mei­ner Her­zens­da­me wür­dig mach­te.

Aber wer in al­ler Welt hät­te sich eine Vor­stel­lung ma­chen kön­nen von der un­glaub­li­chen Ge­stalt, die die­se Tat an­nahm, oder von den selt­sa­men We­gen, die ich zu ge­hen hat­te, um sie aus­zu­füh­ren?

Und am Ende wird es dem Le­ser noch schei­nen, als ob dies Ein­lei­tungs­ka­pi­tel gar nichts mit mei­ner Er­zäh­lung zu tun hat. Und doch wür­de die­se Er­zäh­lung ohne die­ses Ka­pi­tel nicht zu­stan­de ge­kom­men sein, denn nur, wenn ein Mann mit dem Ge­dan­ken in die Welt hin­aus­geht, dass über­all he­ro­i­sche Ta­ten mög­lich sind, und mit dem im­mer le­ben­di­gen Wun­sche im Her­zen, eine sol­che aus­zu­füh­ren, so­bald sie sich ihm dar­bie­tet, wird er mit sei­nem Le­ben bre­chen, wie ich es ge­tan habe, und sich hin­aus­wa­gen in das zau­ber­haft mys­ti­sche Däm­mer­land, wo die großen Aben­teu­er und die großen Er­fol­ge ihm win­ken. Schaut mich an, denn ihr in der Re­dak­ti­on der Dai­ly Ga­zet­te, de­ren höchst un­be­deu­ten­des Mit­glied ich bis­her war, wie ich fest ent­schlos­sen bin, wenn mög­lich noch in die­ser Nacht das Aben­teu­er zu su­chen, das mich mei­ner Gla­dys wür­dig macht.

War es Hart­her­zig­keit, war es Ei­gen­nutz, wenn sie mich auf­ge­for­dert hat, mein Le­ben für ihre Ruhm­sucht zu wa­gen? Sol­che Ge­dan­ken mö­gen ei­nem Man­ne rei­fe­ren Al­ters kom­men, nie­mals aber ei­nem küh­nen drei­und­zwan­zig­jäh­ri­gen Jüng­ling im Feu­er sei­ner ers­ten Lie­be.

spe­zi­el­les Wäh­rungs­sys­tem  <<<

Sir Richard Fran­cis Bur­ton, 1821 – 1890, war ein bri­ti­scher Afri­ka­for­scher, Of­fi­zier, Kon­sul, Über­set­zer, Ori­en­ta­list und Mit­glied der Roy­al Geo­gra­phi­cal So­cie­ty  <<<

Ehe­frau von Fre­de­rick Ar­thur St­an­ley, 16. Earl of Der­by, war von 1878 bis 1880 Kriegs­mi­nis­ter und 1885/86 Ko­lo­nial­mi­nis­ter in kon­ser­va­ti­ven Re­gie­run­gen.  <<<

Ro­bert Cli­ve, 1725 – 1774, auch »Cli­ve of In­dia«, der Ero­be­rer Ben­ga­lens, war ein bri­ti­scher Ge­ne­ral und Staats­mann. Er war der Be­grün­der der bri­ti­schen Macht in In­di­en.  <<<

Cam­ber­well ist ein Stadt­teil des Be­zirks Southwark in Lon­don.  <<<

Zweites Kapitel – Versuchen Sie Ihr Glück mit Professor Challenger.

Ich hat­te McArd­le im­mer gern, die­sen al­ten, mür­ri­schen, rund­bä­cki­gen Ver­lags­di­rek­tor mit dem ro­ten Ge­sicht, und glaub­te zu füh­len, dass er auch mich gern moch­te. Na­tür­lich war Beau­mont der ei­gent­li­che Prin­zi­pal,1 aber der leb­te in der ver­dünn­ten At­mo­sphä­re ir­gend­ei­ner olym­pi­schen Höhe, von wo aus er klei­ne­re Din­ge als eine in­ter­na­tio­na­le Kri­sis oder eine Spal­tung im Ka­bi­nett nicht mehr un­ter­schei­den konn­te. Wir sa­hen ihn zu­wei­len in ein­sa­mer Ma­je­stät in das in­ne­re Hei­lig­tum schrei­ten, mit ei­nem un­be­stimm­ten Aus­druck in den Au­gen und im Geis­te über dem Bal­kan oder dem per­si­schen Meer­bu­sen schwe­bend. Er war für uns un­er­reich­bar. Aber McArd­le war sei­ne rech­te Hand, und ihn kann­ten wir. Der alte Mann nick­te mit dem Kopf, als ich sein Zim­mer be­trat, und schob die Bril­lenglä­ser weit hin­auf auf die kah­le Stirn.

»Nun, Herr Ma­lo­ne, nach al­lem, was ich höre, scheint es Ih­nen recht gut zu ge­hen«, sag­te er mit sei­nem freund­li­chen schot­ti­schen Ak­zent.

Ich ver­beug­te mich dan­kend.

»Die Berg­werks­ex­plo­si­on war aus­ge­zeich­net. Auch das Feu­er in Southwark. Sie ha­ben das rich­ti­ge Ge­fühl für Be­schrei­bung. Was führt Sie denn heut zu mir?«

»Ich möch­te Sie um eine Gunst bit­ten.«

In sei­nem Ge­sicht mal­te sich Er­schre­cken, und er ver­mied es, mich an­zu­se­hen.

»Na nu, na nu, um was han­delt es sich denn?«

»Glau­ben Sie, Herr McArd­le, dass es mög­lich wäre, mir ir­gend­ei­nen be­son­de­ren Auf­trag für die Zei­tung zu ge­ben? Ich wür­de ver­su­chen, das Best­mög­li­che zu leis­ten, die Sa­che or­dent­lich durch­zu­füh­ren, und Ih­nen gute Be­rich­te lie­fern.«

»An wel­che Art von Auf­trä­gen dach­ten Sie, Herr Ma­lo­ne?«

»An ir­gen­det­was, das mit Aben­teu­ern und Ge­fah­ren ver­bun­den ist, Herr McArd­le. Ich wür­de mir die aller­größ­te Mühe ge­ben. Je schwie­ri­ger die Auf­ga­be wäre, de­sto mehr wür­de sie mir zu­sa­gen.«

»Sie schei­nen ja sehr be­gie­rig zu sein, Ihr Le­ben zu ver­lie­ren.«

»Mein Le­ben zu recht­fer­ti­gen, Herr McArd­le.«

»Ach, du lie­ber Gott, Herr Ma­lo­ne, das klingt ja sehr, sehr er­ha­ben. Ich fürch­te, die Zei­ten für der­ar­ti­ge Din­ge sind ge­we­sen. Die Aus­ga­ben für einen Spe­zi­al­auf­trag wer­den kaum durch den Er­folg ge­recht­fer­tigt, und man wür­de einen sol­chen Auf­trag na­tür­lich auch nur an einen er­fah­re­nen Mann mit be­kann­tem Na­men ge­ben, der das öf­fent­li­che Ver­trau­en ge­nießt. Die großen wei­ßen Stel­len auf der Land­kar­te sind heu­te ziem­lich ver­schwun­den, und es gibt da kaum noch ir­gend­ei­ne Stel­le für ro­man­ti­sche Er­leb­nis­se. War­ten Sie mal, doch«, füg­te er hin­zu, wäh­rend ein plötz­li­ches Lä­cheln über sein Ge­sicht husch­te, »die wei­ßen Stel­len auf der Land­kar­te brin­gen mich auf eine Idee. Wie wäre es da­mit, wenn Sie einen Schwind­ler – einen mo­der­nen Münch­hau­sen – bloß­stel­len und ihn lä­cher­lich ma­chen könn­ten. Sie könn­ten ihn als einen Lüg­ner, der er si­cher­lich ist, fest­na­geln. Mann, das wäre eine fei­ne Sa­che! Wie ge­fällt Ih­nen das?«

»Ir­gen­det­was – ir­gend­wo – mir ganz gleich­gül­tig.«

McArd­le ver­sank für ei­ni­ge Mi­nu­ten in Ge­dan­ken. »Ich wäre doch neu­gie­rig, ob es Ih­nen ge­lingt, eine nä­he­re oder we­nigs­tens doch eine ober­fläch­li­che Be­kannt­schaft mit dem Bur­schen zu schlie­ßen«, sag­te er schließ­lich. »Sie schei­nen eine Art Ta­lent zur An­knüp­fung gu­ter Be­zie­hun­gen zu ha­ben – Sym­pa­thie, neh­me ich an, oder tie­ri­scher Ma­gne­tis­mus oder ju­gend­li­che Le­bens­kraft – oder sonst et­was. Ich füh­le das an mir selbst.«

»Sie sind sehr lie­bens­wür­dig, Herr McArd­le.«

»Wa­rum soll­ten Sie nicht Ihr Glück ver­su­chen, bei Pro­fes­sor Chal­len­ger in En­mo­re Park?«

Ich muss ge­ste­hen, ich sah ihn et­was über­rascht an.

»Chal­len­ger«, rief ich aus, »Pro­fes­sor Chal­len­ger, der be­rühm­te Zoo­lo­ge? War das nicht der Mann, der dem Blun­dell vom Te­le­graph einen Schä­del­bruch bei­brach­te?«

Der Ver­lags­di­rek­tor lä­chel­te grim­mig.

»Erin­nern Sie sich dar­an? Sag­ten Sie nicht, Sie wä­ren auf Aben­teu­er aus?«

»So­weit der Be­ruf sie mit sich bringt«, ant­wor­te­te ich.

»Ganz recht. Ich glau­be ja nicht, dass er im­mer so ge­walt­tä­tig ist. Ich neh­me an, Blun­dell ist zu ei­nem un­güns­ti­gen Zeit­punkt bei ihm er­schie­nen. Vi­el­leicht war er auch un­ge­schickt. Sie kön­nen ja mehr Glück ha­ben oder mehr Takt in der Art, ihn zu neh­men. Ich bin über­zeugt, das ist eine Sa­che, die Ih­nen lie­gen müss­te. Das soll­ten wir zu­sam­men ma­chen!«

»Ich weiß tat­säch­lich gar nichts von ihm«, sag­te ich. »Ich er­in­ne­re mich sei­nes Na­mens nur in Ver­bin­dung mit den Vor­gän­gen beim Po­li­zei­ge­richt we­gen des Schla­ges, den er Blun­dell ver­setzt hat.«

»Hier sind ein paar No­ti­zen zu Ih­rer In­for­ma­ti­on, Herr Ma­lo­ne. Ich habe den Pro­fes­sor seit ei­ni­ger Zeit im Auge.« Er nahm ein Stück Pa­pier aus ei­nem Schub­fach. »Dies ist eine klei­ne Über­sicht über sei­nen Le­bens­lauf. Da heißt es kurz:

Chal­len­ger, Ge­or­ge Ed­ward, geb. Largs N. B. 1863. Aus­bil­dung: Largs Aca­de­my; Uni­ver­si­tät Edin­bur­gh. As­sis­tent am Bri­ti­schen Mu­se­um, 1892. Ku­stos der Ab­tei­lung für ver­glei­chen­de An­thro­po­lo­gie, 1893. Zu­rück­ge­tre­ten nach ei­nem hef­ti­gen wis­sen­schaft­li­chen Streit im sel­ben Jahr. Ver­lei­hung der Cray­ston-Me­dail­le für zoo­lo­gi­sche Un­ter­su­chun­gen. Aus­wär­ti­ges Mit­glied von – hm, das ist ja eine gan­ze Mas­se auf zwei Zoll in klei­ner Schrift – Bel­gi­sche Ge­sell­schaft, Ame­ri­ka­ni­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten, La Pla­ta usw. usw., Ex­prä­si­dent der Pa­lä­on­to­lo­gi­schen Ge­sell­schaft, Sek­ti­on H., Bri­ti­sche Ge­sell­schaft usw. usw. – Ver­öf­fent­li­chun­gen: Ei­ni­ge Un­ter­su­chun­gen über eine Rei­he von Kal­mücken­schä­deln;2 Abriss der Ent­wick­lung der Wir­bel­tie­re und zahl­rei­che Zei­tungs­ar­ti­kel, dar­un­ter ›Der dem Weis­man­nis­mus3 zu­grun­de lie­gen­de Irr­tum‹, der eine er­bit­ter­te Dis­kus­si­on auf dem zoo­lo­gi­schen Kon­gress in Wien her­vor­rief. Lieb­lings­be­schäf­ti­gung: Wan­dern, Berg­stei­gen. Adres­se: En­mo­re Park, Ken­sing­ton, W.

Hier, neh­men Sie das an sich. Das ist al­les, was ich heu­te für Sie habe.«

Ich steck­te das Stück Pa­pier in die Ta­sche.

»Ei­nen Au­gen­blick, Herr McArd­le«, sag­te ich, als ich er­kann­te, dass mich ein kah­ler Kopf statt ei­nes ro­ten Ge­sichts er­war­ten wür­de. »Ich bin mir noch nicht ganz klar dar­über, warum ich die­sen Gent­le­man be­su­chen soll. Was hat er ge­tan?« Das röt­li­che Ge­sicht leuch­te­te von neu­em auf.

»Er ging vor zwei Jah­ren nach Süd­ame­ri­ka, um eine ge­heim­nis­vol­le Ex­pe­di­ti­on aus­zu­füh­ren. Kam im ver­gan­ge­nen Jahr zu­rück. Ist zwei­fel­los in Süd­ame­ri­ka ge­we­sen, lehnt ab, ge­nau an­zu­ge­ben, wo. Er­zählt in un­be­stimm­ten Aus­drücken von sei­nen Er­leb­nis­sen; aber als je­mand Nä­he­res aus ihm her­aus­ho­len woll­te, wur­de er ver­schlos­sen wie eine Aus­ter. Da ist ent­we­der ir­gen­det­was Wun­der­ba­res pas­siert – oder der Mann ist ein ko­los­sa­ler Lüg­ner. Das Letz­te­re ist das Wahr­schein­li­che­re. Hat­te ei­ni­ge be­schä­dig­te Fo­to­gra­fi­en, die man aber für Schwin­del hält. Wur­de so reiz­bar, dass er je­den an­griff, der et­was von ihm wis­sen woll­te, und warf Re­por­ter die Trep­pe hin­un­ter. Mei­ner Mei­nung nach ist er nur ein ver­bre­che­ri­scher Grö­ßen­wahn­sin­ni­ger mit ei­nem Dreh ins Wis­sen­schaft­li­che. Das ist der rich­ti­ge Mann für Sie, Herr Ma­lo­ne. So, nun sau­sen Sie los und se­hen Sie zu, was Sie mit ihm ma­chen kön­nen. Sie sind groß ge­nug, um auf sich selbst acht­ge­ben zu kön­nen. Pas­sie­ren kann Ih­nen nichts. Üb­ri­gens sind wir, wie Sie wis­sen, in der Haft­pflicht­ver­si­che­rung.«

Ein grin­sen­des ro­tes Ge­sicht ver­wan­del­te sich aufs Neue in ein rosa, von den Fran­sen ei­nes ing­wer­far­be­nen Flaums um­ge­be­nes Oval. Die Un­ter­re­dung war zu Ende.

Ich ging hin­über zum Sa­va­ge-Club, aber, statt hin­ein­zu­ge­hen, lehn­te ich mich an das Git­ter der Adel­phi Ter­ras­se und blick­te lan­ge ge­dan­ken­voll in das brau­ne, öli­ge Was­ser des Flus­ses hin­un­ter. Ich kann in fri­scher Luft im­mer viel rich­ti­ger und kla­rer den­ken. Ich zog die Lis­te von Pro­fes­sor Chal­len­gers Ta­ten aus der Ta­sche und las sie von neu­em un­ter der elek­tri­schen Bo­gen­lam­pe. Und dann über­kam mich et­was, das ich nur für eine Ein­ge­bung hal­ten konn­te.

Als Mann der Pres­se fühl­te ich mit Si­cher­heit, dass ich nach al­lem, was ich ge­hört hat­te, nie­mals hof­fen konn­te, mit die­sem streit­süch­ti­gen Pro­fes­sor in Ver­bin­dung zu kom­men. Aber die zwei­mal in sei­ner bio­gra­fi­schen Über­sicht wie­der­hol­ten Ge­gen­be­schul­di­gun­gen konn­ten doch nur be­deu­ten, dass er ein Fa­na­ti­ker der Wis­sen­schaft war. Ob das nicht die schwa­che Stel­le war, durch die man an ihn her­an­kom­men könn­te? Das muss­te ich ver­su­chen.

Ich be­trat den Klub. Es war kurz nach 11 Uhr, und der große Raum war ziem­lich voll, ob­gleich der An­sturm noch nicht be­gon­nen hat­te. In ei­nem Arm­stuhl am Ka­min sah ich einen lan­gen, dün­nen, ecki­gen Men­schen sit­zen. Er wand­te sich zu mir, als ich mit mei­nem Stuhl in sei­ne Nähe rück­te. Das war ge­ra­de der­je­ni­ge in der gan­zen Men­ge, der mir in die­sem Au­gen­blick am will­kom­mens­ten war – Tarp Hen­ry von der Re­dak­ti­on der Na­ture,4 ein dür­res, tro­ckenes, le­der­ar­ti­ges We­sen, das sich durch große Men­schen­freund­lich­keit al­len sei­nen Be­kann­ten ge­gen­über aus­zeich­ne­te. Ich ging di­rekt auf mein Ziel los.

»Was wis­sen Sie von Pro­fes­sor Chal­len­ger?«

»Chal­len­ger?« Er zog die Brau­en in wis­sen­schaft­li­cher Miss­bil­li­gung zu­sam­men. »Chal­len­ger war der Mann, der mit ei­ni­gen Am­men­mär­chen aus Süd­ame­ri­ka zu­rück­kam.«

»Was für Mär­chen denn?«

»Ach, das war ein üp­pi­ger Blöd­sinn über ei­ni­ge selt­sa­me Tie­re, die er ent­deckt ha­ben woll­te. Ich glau­be, er hat spä­ter wi­der­ru­fen. Ir­gend­wie hat er al­les un­ter­drückt. Er gab Reu­ters5 ein In­ter­view, und dar­auf er­hob sich ein der­ar­ti­ges Ge­heul, dass ihm klar wur­de, er wür­de mit sei­nen An­sich­ten nicht durch­drin­gen. Es war eine bla­ma­ble An­ge­le­gen­heit. Es gab einen oder den an­de­ren, der ge­neigt war, ihn ernst zu neh­men. Aber er brach­te sie bald zum Schwei­gen.«

»Wie denn?«

»Na, durch sei­ne un­er­träg­li­che Grob­heit und sein un­mög­li­ches Be­neh­men. Da war der arme alte Wad­ley vom Zoo­lo­gi­schen In­sti­tut. Wad­ley schrieb ihm: ›Der Prä­si­dent des Zoo­lo­gi­schen In­sti­tuts emp­fiehlt sich Pro­fes­sor Chal­len­ger und wür­de es als eine per­sön­li­che Aus­zeich­nung emp­fin­den, wenn er ihm die Ehre er­wei­sen wür­de, zu ih­rer nächs­ten Sit­zung zu kom­men.‹ Die Ant­wort war nicht druck­fä­hig.«

»Kön­nen Sie sie mir sa­gen?«

»Ja, da läuft eine ver­ball­horn­te Les­art um: ›Pro­fes­sor Chal­len­ger lässt sich dem Prä­si­den­ten des Zoo­lo­gi­schen In­sti­tuts emp­feh­len und wür­de es als eine per­sön­li­che Aus­zeich­nung emp­fin­den, wenn er sich zum Teu­fel sche­ren wür­de.‹«

»Um Got­tes wil­len!«

»Ja, ich neh­me an, dass das auch der alte Wad­ley ge­sagt bat. Ich er­in­ne­re mich sei­ner Weh­kla­gen in der Sit­zung. Sie be­gann: Eine fünf­zig­jäh­ri­ge Er­fah­rung in wis­sen­schaft­li­chem Um­gang – – – Der alte Mann war ganz ge­bro­chen.«

»Wis­sen Sie sonst noch et­was von Chal­len­ger?«

»Nun, ich bin Bak­te­rio­lo­ge, wie Sie wis­sen. Ich lebe in ei­nem 900-Dia­me­ter-Mi­kro­skop. Ich kann kaum den An­spruch er­he­ben, ein ernst­haf­ter Ken­ner von ir­gend­ei­ner Sa­che zu sein, die ich mit blo­ßen Au­gen se­hen kann. Ich bin ein Pio­ni­er vom äu­ßers­ten Ran­de des Wis­sens, und ich suh­le mich gar nicht auf mei­nem rich­ti­gen Plat­ze, wenn ich mein Stu­dier­zim­mer ver­las­se und in Berüh­rung mit euch al­len, euch großen, ro­hen und plum­pen Ge­schöp­fen, tre­te. Ich bin zu iso­liert, um mich für Skan­dal­ge­schich­ten zu in­ter­es­sie­ren. Aber ich habe doch bei wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­hal­tun­gen ei­ni­ges über Chal­len­ger ge­hört; denn er ist ei­ner von die­sen Men­schen, an de­nen man nicht vor­bei­ge­hen kann. Er ist tat­säch­lich so ver­we­gen, wie sie ihn schil­dern. Er gleicht ei­ner scharf ge­la­de­nen Bat­te­rie von Kraft und Le­bens­ener­gie, aber er ist ein streit­süch­ti­ger, bos­haf­ter, skru­pel­lo­ser Son­der­ling mit selt­sa­men Lieb­ha­be­rei­en. Er ist so weit ge­gan­gen, ei­ni­ge schwin­del­haf­te Fo­to­gra­fi­en von der süd­ame­ri­ka­ni­schen Ex­pe­di­ti­on vor­zu­le­gen.«

»Sie sa­gen, er hat Lieb­ha­be­rei­en. Was ist denn sein be­son­de­res Ste­cken­pferd?«

»Er hat tau­send. Aber das Letz­te ist et­was über Weis­mann und Evo­lu­ti­on. Er hat­te einen fürch­ter­li­chen Streit dar­über in Wien, glau­be ich.«

»Kön­nen Sie mir den Grund­ge­dan­ken da­von an­ge­ben?«

»Im Au­gen­blick nicht. Aber es exis­tiert eine Über­set­zung die­ser Ver­hand­lun­gen. Wir ha­ben sie in un­se­rem Archiv. Wür­den Sie sich die Mühe ma­chen, mit­zu­kom­men?«

»Das ist ge­ra­de das, was ich brau­che. Ich soll den Bur­schen näm­lich in­ter­view­en, und ich brau­che ir­gen­det­was zur An­knüp­fung. Es ist wirk­lich rie­sig nett von Ih­nen, dass Sie mir hel­fen wol­len. Ich wür­de gern selbst mit­ge­hen, wenn es noch nicht zu spät ist.«

Eine hal­be Stun­de spä­ter saß ich in sei­nem Re­dak­ti­ons­zim­mer mit ei­ner mäch­ti­gen Ak­ten­map­pe vor mir, die bei dem Ar­ti­kel »Weis­mann ge­gen Dar­win« auf­ge­schla­gen war. Der Ar­ti­kel trug die Über­schrift: »Leb­haf­ter Pro­test in Wien. Tem­pe­ra­ment­vol­le Ver­hand­lun­gen.« Da ich mei­ne wis­sen­schaft­li­che Aus­bil­dung et­was ver­nach­läs­sigt hat­te, war es mir nicht mög­lich, der gan­zen Be­weis­füh­rung zu fol­gen, aber es war klar, dass der eng­li­sche Pro­fes­sor sei­nen Ge­gen­stand in ei­ner sehr ag­gres­si­ven Form be­han­delt und sei­ne Kol­le­gen vom Kon­ti­nent voll­stän­dig ver­är­gert hat­te. »Pro­test«, »Lärm«, »An­ru­fung des Vor­sit­zen­den« wa­ren drei der ers­ten ein­ge­klam­mer­ten Aus­drücke, die mir ins Auge fie­len. Vom In­halt des Ar­ti­kels ver­stand ich ge­ra­de so­viel, als ob er chi­ne­sisch ge­schrie­ben wäre.

»Es wäre mir lieb, wenn Sie das für mich ins Eng­li­sche über­set­zen könn­ten«, sag­te ich pa­the­tisch zu mei­nem hilfs­be­rei­ten Kol­le­gen.

»Aber es ist doch eine Über­set­zung.«

»Dann tue ich viel­leicht bes­ser, mein Glück beim Ori­gi­nal­ar­ti­kel zu ver­su­chen.«

»Es ist si­cher­lich ziem­lich schwie­rig für einen Lai­en.«

»Wenn ich nur einen ein­zi­gen gu­ten, sinn­vol­len Satz, der ge­eig­net wäre, mir eine Art von kla­rer mensch­li­cher Idee zu ver­mit­teln, her­aus­fin­den könn­te, wür­de mir das ge­nü­gen. Ah, ja, dies hier wird ge­hen. Es scheint mir fast, als ob ich das ver­ste­he. Das wer­de ich ab­schrei­ben. Das wird das Bin­de­glied sein zwi­schen mir und dem fürch­ter­li­chen Pro­fes­sor.«

»Kann ich Ih­nen sonst noch ir­gend­wie hel­fen?«

»Ja, frei­lich, ich den­ke, ich schrei­be ihm. Wenn ich den Brief hier auf­set­zen und Ihre Adres­se be­nut­zen könn­te, so wür­de mir das ein ge­wis­ses Re­lief ge­ben.«

»Der Bur­sche wird hier­her kom­men, uns einen Krach ma­chen und un­se­re Mö­bel zu­sam­menschla­gen.«

»Nein, nein, Sie sol­len den Brief se­hen – nichts Kampf­lus­ti­ges, ver­las­sen Sie sich dar­auf.«

»Also bit­te, da ist mein Stuhl und mein Schreib­tisch. Pa­pier fin­den Sie dort. Ich möch­te den Brief ganz gern durch­se­hen, be­vor er ab­ge­ht.«

Die Ar­beit mach­te mir ei­ni­ge Mühe. Als der Brief fer­tig war, schmei­chel­te ich mir aber, dass er mir gar nicht so schlecht ge­lun­gen sei. Mit ei­nem ge­wis­sen Stolz auf mein Hand­werk las ich ihn laut dem kri­ti­schen Bak­te­rio­lo­gen vor:

Sehr ge­ehr­ter Herr Pro­fes­sor!

Als be­schei­de­ner Stu­dent der Na­tur­wis­sen­schaf­ten habe ich im­mer das größ­te In­ter­es­se an Ihren Theo­ri­en über den Un­ter­schied zwi­schen Dar­win und Weis­mann ge­nom­men. Eine er­neu­te Lek­tü­re …

»Sie in­fer­na­li­scher Lüg­ner«, mur­mel­te Tarp Hen­ry.

… eine er­neu­te Lek­tü­re Ih­rer meis­ter­haf­ten Wie­ner Denk­schrift hat mir die An­ge­le­gen­heit wie­der ins Ge­dächt­nis zu­rück­ge­ru­fen. Die­se über­aus kla­ren und be­wun­derns­wer­ten Dar­le­gun­gen schei­nen das letz­te Wort in der Ma­te­rie zu sein. In­des­sen fin­de ich dar­in fol­gen­den Satz: ›Ich pro­tes­tie­re ener­gisch ge­gen die un­er­träg­li­che und völ­lig dog­ma­ti­sche Be­haup­tung, dass je­des Ein­zel­we­sen einen Mi­kro­kos­mos mit ei­nem his­to­risch ent­wi­ckel­ten in­ne­ren Auf­bau, der lang­sam in der Fol­ge der Ge­ne­ra­tio­nen her­aus­ge­bil­det ist, dar­stellt.‹ Soll­ten Sie nicht mit Rück­sicht auf spä­te­re Un­ter­su­chun­gen den Wunsch ha­ben, die­se Be­haup­tung zu mo­di­fi­zie­ren? Glau­ben Sie nicht, dass sie et­was reich­lich zu­ge­spitzt ist? Mit Ih­rer gü­ti­gen Er­laub­nis bit­te ich Sie, mir eine Un­ter­re­dung zu ge­wäh­ren, da ich an die­ser Sa­che stark in­ter­es­siert bin und Ih­nen ge­wis­se Vor­schlä­ge ma­chen möch­te, die ich Ih­nen nur in ei­ner per­sön­li­chen Un­ter­re­dung ent­wi­ckeln könn­te. Mit Ih­rer Zu­stim­mung hof­fe ich die Ehre zu ha­ben, Ih­nen über­mor­gen (Frei­tag) um 11 Uhr mei­ne Auf­war­tung ma­chen zu dür­fen.

Ich bin mit der Ver­si­che­rung aller­größ­ter Hochach­tung

Ihr ganz er­ge­be­ner Eduard M. Ma­lo­ne.

»Nun, was sa­gen Sie dazu?«, frag­te ich tri­um­phie­rend.

»Gut, wenn Sie es mit Ihrem Ge­wis­sen ver­ein­ba­ren kön­nen.«

»Das hat mich noch nie im Stich ge­las­sen.«

»Aber was ge­den­ken Sie, jetzt zu tun?«

»Hin­zu­ge­hen. Wenn ich erst in sei­nem Zim­mer sit­ze, wer­de ich schon ir­gend­wie wei­ter­kom­men. Un­ter Um­stän­den wer­de ich ihm ein of­fe­nes Be­kennt­nis ma­chen. Wenn er Sports­mann ist, wird ihn das kit­zeln.«

»Kit­zeln ist gut. Er scheint mir der Mann zu sein, Sie zu kit­zeln! Ein Pan­zer­hemd oder eine ame­ri­ka­ni­sche Fuß­bal­ler­aus­rüs­tung ist das, was Sie jetzt ge­brau­chen.«

»Auf Wie­der­se­hen also!«

»Ich wer­de die Ant­wort am Frei­tag­mor­gen hier für Sie be­reit­hal­ten – wenn er über­haupt ge­ruht, Ih­nen zu ant­wor­ten. Er ist ein ge­walt­tä­ti­ger, ge­fähr­li­cher und streit­süch­ti­ger Cha­rak­ter. Ge­hasst von je­dem, der ihm in die Que­re kommt, und die Ziel­schei­be des Spotts für die Stu­den­ten, so­weit sie es über­haupt wa­gen, sich ihm ge­gen­über eine Frei­heit her­aus­zu­neh­men. Es wäre viel­leicht das Bes­te für Sie, wenn Sie über­haupt nichts mehr von dem Bur­schen hör­ten.«

Chef, Auf­trag­ge­ber, Bro­therr  <<<

Kal­mücken sind ein west­mon­go­li­sches Volk, das heu­te vor al­lem in der Au­to­no­men Rus­si­schen Teil­re­pu­blik Kal­mücki­en sie­delt.  <<<

Fried­rich Leo­pold Au­gust Weis­mann, deut­scher Wis­sen­schaft­ler, 1834 – 1914, be­deu­tends­ter Evo­lu­ti­ons­theo­re­ti­ker des 19. Jahr­hun­derts nach Charles Dar­win, gilt als Be­grün­der des Neo­dar­wi­nis­mus.  <<<

Wö­chent­lich er­schei­nen­de, eng­lisch­spra­chi­ge Fach­zeit­schrift mit The­men aus ver­schie­de­nen, vor­wie­gend na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen, Erst­aus­ga­be 1869  <<<

ehe­mals welt­weit größ­te in­ter­na­tio­na­le Nach­rich­ten­agen­tur, ge­grün­det 1851  <<<

Drittes Kapitel – Er ist ein ganz unmöglicher Mensch.

Mei­nes Freun­des Be­fürch­tung oder Hoff­nung soll­te sich nicht ver­wirk­li­chen. Als ich am Frei­tag­mor­gen bei ihm vor­sprach, lag da ein Schrei­ben mit der West-Ken­sing­ton-Brief­mar­ke bei ihm, auf des­sen Um­schlag mein Name in ei­ner Hand­schrift, die wie ein Sta­chel­draht­zaun aus­sah, ge­krit­zelt war. Der In­halt lau­te­te wie folgt:

En­mo­re Park W.

Mein Herr!

Ich habe Ihr Schrei­ben er­hal­ten, in dem Sie mir be­kannt­ge­ben, dass Sie mei­ne An­schau­un­gen be­stä­ti­gen, ob­gleich ich nicht wüss­te, dass sie von ir­gend­ei­ner Be­stä­ti­gung von die­sem oder von je­nem ab­hän­gig wä­ren. Sie ha­ben es ge­wagt, das Wort »Theo­ri­en« hin­sicht­lich mei­ner Dar­le­gun­gen über die Fra­ge des Dar­wi­nis­mus zu ge­brau­chen. Ich möch­te Sie dar­auf auf­merk­sam ma­chen, dass ein sol­ches Wort in die­ser Ver­bin­dung bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de be­lei­di­gend ist. Der wei­te­re Text Ihres Brie­fes zeigt mir in­des­sen, dass dies mehr aus Dumm­heit oder Takt­lo­sig­keit als aus Bos­heit ge­sche­hen ist, und ich bin da­her be­reit, die­se An­ge­le­gen­heit auf sich be­ru­hen zu las­sen. Sie rei­ßen einen ein­zel­nen Satz aus dem Zu­sam­men­hang mei­ner Dar­le­gung her­aus, und es scheint, dass Ih­nen ei­ni­ge Schwie­rig­kei­ten, ihn zu ver­ste­hen, be­geg­net sind. Ich soll­te mei­nen, dass nur eine recht ge­ring ent­wi­ckel­te In­tel­li­genz am Kern­punkt der Sa­che Vor­bei­ge­hen könn­te. Wenn Sie aber eine wei­te­re Er­ör­te­rung als not­wen­dig emp­fin­den, bin ich be­reit, Sie zu der von Ih­nen an­ge­ge­be­nen Stun­de zu emp­fan­gen, ob­gleich ich Be­su­che und Be­su­cher je­der Art aufs äu­ßers­te ver­ab­scheue. Be­züg­lich Ih­rer Auf­for­de­rung, mei­ne Mei­nung zu än­dern, möch­te ich Ih­nen sa­gen, dass das nicht mei­ne Ge­wohn­heit ist, nach­dem ich mei­nen ge­reif­ten An­schau­un­gen einen kla­ren Aus­druck ge­ge­ben habe. Sie wol­len freund­lichst, wenn Sie bei mir vor­spre­chen, den Um­schlag die­ses Brie­fes mei­nem Die­ner Aus­tin vor­zei­gen, da er den Auf­trag bat, mir sorg­fäl­tigst alle auf­dring­li­chen Schuf­te, die sich »Jour­na­lis­ten« nen­nen, vom Lei­be zu hal­ten.

Ihr er­ge­be­ner Ge­or­ge Ed­ward Chal­len­ger.

Das war der Brief, den ich laut Tarp Hen­ry vor­las, der so­gleich her­un­ter­ge­kom­men war, um das Re­sul­tat mei­nes Wa­g­nis­ses zu er­fah­ren. Er be­merk­te nur dazu: »Es gibt da eine neue Art Sei­fe, Cu­ti­cu­ra1 oder so ähn­lich, die für Wund­be­hand­lung bes­ser ist als Ar­ni­ca.« Man­che Leu­te ha­ben einen selt­sa­men Be­griff von Hu­mor.

Es war fast ½ 11 Uhr, als ich das Schrei­ben er­hal­ten hat­te. Aber eine Kut­sche brach­te mich in kur­z­er Zeit an den Ort mei­ner Be­stim­mung. Wir hiel­ten vor ei­nem im­po­san­ten, mit ei­nem Por­ti­kus ver­se­he­nen Haus. Die schwe­ren Vor­hän­ge an den Fens­tern lie­ßen deut­lich er­ken­nen, dass die­ser schreck­li­che Pro­fes­sor ein ver­mö­gen­der Mann war. Die Tür wur­de ge­öff­net von ei­nem wun­der­li­chen, dun­kel­far­bi­gen, ver­trock­ne­ten Men­schen un­be­stimm­ten Al­ters, der eine schwar­ze Steu­er­manns­ja­cke und brau­ne Le­der­ga­ma­schen trug. Ich er­fuhr hin­ter­her, dass es der Chauf­feur war, der den in­fol­ge be­stän­di­gen Wech­selns lee­ren Platz des ers­ten Die­ners ein­nahm. Er sah mich mit sei­nen hel­len blau­en Au­gen for­schend von un­ten bis oben an.

»Er­war­tet?«, frag­te er.

»Eine Verab­re­dung.«

»Ha­ben Sie einen Brief er­hal­ten?«

Ich zog den Um­schlag her­vor.

»Rich­tig.«

Er schi­en ein Mensch von we­nig Wor­ten zu sein. Als ich hin­ter ihm den Vor­raum be­trat, wur­de ich plötz­lich von ei­ner klei­nen Frau, die aus ei­ner of­fen­bar in einen Spei­se­raum füh­ren­den Tür her­vor­trat, zu­rück­ge­hal­ten. Es war eine klu­ge, leb­haf­te, dun­kel­äu­gi­ge Dame, mehr fran­zö­sisch als eng­lisch im Ty­pus.

»Ei­nen Au­gen­blick«, sag­te sie. »Sie kön­nen war­ten, Aus­tin. Wol­len Sie bit­te her­ein­kom­men, mein Herr. Darf ich fra­gen, ob Sie be­reits frü­her mit mei­nem Mann zu­sam­men­ka­men?«

»Nein, gnä­di­ge Frau, ich hat­te noch nicht die Ehre.«

»Dann bit­te ich Sie im Voraus um Ent­schul­di­gung. Ich muss Ih­nen näm­lich sa­gen, dass er ein ganz un­mög­li­cher Mensch ist – ab­so­lut un­mög­lich. Wenn Sie vor­her ge­warnt wor­den sind, wer­den Sie ge­wiss be­reit sein, Nach­sicht zu üben.«

»Das ist sehr rück­sichts­voll von Ih­nen, gnä­di­ge Frau.«

»Ver­las­sen Sie schnell den Raum, wenn er den Ein­druck macht, ge­walt­tä­tig zu wer­den. Er­war­ten Sie nicht, mit ihm dis­ku­tie­ren zu kön­nen. Ver­schie­de­ne Leu­te ha­ben sich Be­lei­di­gun­gen zu­ge­zo­gen, weil sie es ver­sucht ha­ben. Hin­ter­her gibt es einen öf­fent­li­chen Skan­dal, und das fällt dann auf mich und auf uns alle. Ich hof­fe, dass Sie nicht we­gen Süd­ame­ri­ka zu ihm kom­men.«

Ich konn­te ei­ner Dame nichts vor­lü­gen.

»Um Got­tes wil­len! Das ist sein ge­fähr­lichs­tes The­ma. Sie wer­den kein Wort von dem, was er sagt, glau­ben – ich wür­de mich dar­über nicht wun­dern. Aber sa­gen Sie ihm das nicht; denn das macht ihn ra­send. Tun Sie so, als ob Sie ihm glau­ben, dann wer­den Sie mit ihm zu­recht­kom­men. Den­ken Sie im­mer dar­an, dass er es sel­ber glaubt. Da­von kön­nen Sie über­zeugt sein. Es gibt kei­nen eh­ren­haf­te­ren Mann auf der Welt. Blei­ben Sie nicht zu lan­ge. Sonst schöpft er Ver­dacht. Wenn Sie den Ein­druck ha­ben, dass er ge­fähr­lich wird – wirk­lich ge­fähr­lich – dann läu­ten Sie und hal­ten Sie ihn sich vom Lei­be, bis ich kom­me. Selbst in sei­nem schlimms­ten Zu­stand bin ich meist in der Lage, ihn zu be­ru­hi­gen.«

Mit die­sen er­mu­ti­gen­den Wor­ten übergab mich die Dame des Hau­ses dem schweig­sa­men Aus­tin, der wäh­rend un­se­rer kur­z­en Un­ter­re­dung wie eine Bron­ze­sta­tue der Ver­schwie­gen­heit ge­war­tet hat­te, und ich wur­de von ihm an das Ende ei­nes Kor­ri­dors ge­führt. Ein Schlag ge­gen die Tür, eine Stier­brül­len von drin­nen, und ich stand vor dem Pro­fes­sor.

Er saß in ei­nem Dreh­stuhl hin­ter ei­nem brei­ten Tisch, der mit Bü­chern, Kar­ten und Zeich­nun­gen be­deckt war. Als ich ein­trat, flog sein Stuhl her­um, und er fass­te mich ins Auge. Sein Äu­ße­res ver­setz­te mir den Atem. Ich war dar­auf vor­be­rei­tet, et­was sehr Selt­sa­mes zu se­hen, aber eine so über­wäl­ti­gen­de Per­sön­lich­keit wie die­se hat­te ich nicht er­war­tet. Es war sei­ne Ge­stalt, die ei­nem den Atem sto­cken mach­te, sei­ne Ge­stalt und sein im­po­nie­ren­des We­sen. Sein Kopf war enorm. Der größ­te, den ich je bei ei­nem mensch­li­chen We­sen ge­se­hen habe. Ich glau­be be­stimmt, dass sein Hut, wenn ich ge­wagt hät­te, ihn auf­zu­set­zen, mir über die Ohren ge­rutscht wäre und auf mei­nen Schul­tern hät­te ste­hen kön­nen. Sein Ge­sicht und sein Bart er­in­ner­ten mich an einen as­sy­ri­schen Stier. Das Ers­te­re war von blü­hen­der Far­be, der Letz­te­re schwarz, mit ei­nem Stich ins Bläu­li­che, des­sen ge­kräu­sel­te Sträh­nen sich wie ein Spa­ten auf sei­ne Brust leg­ten. Das Haar war merk­wür­dig, glatt nach vorn her­un­ter­ge­stri­chen und lief in einen lan­gen, küh­nen Schwung über die mas­si­ge Stirn aus. Die Au­gen wa­ren blau­grau un­ter großen, schwar­zen Haar­bü­scheln; sehr klar, sehr kri­tisch und sehr her­risch. Ge­wal­tig brei­te Schul­tern und eine Brust wie eine Ton­ne bil­de­ten den üb­ri­gen Kör­per, so­weit er ober­halb der Tisch­plat­te sicht­bar war, au­ßer zwei enor­men, mit lan­gen, schwar­zen Haa­ren be­deck­ten Hän­den. Dies al­les und eine brül­len­de, dröh­nen­de Stim­me war mein ers­ter Ein­druck von dem be­rühm­ten Pro­fes­sor Chal­len­ger.

»Nun?«, sag­te er, in­dem er mich un­ver­schämt an­starr­te, »was denn?«

Ich muss­te die Täu­schung noch eine kur­ze Zeit auf­recht­er­hal­ten, sonst wäre ich zwei­fel­los be­reits am Ende mei­ner Un­ter­hal­tung ge­we­sen.

»Sie wa­ren so lie­bens­wür­dig, mir eine Zu­sam­men­kunft zu ge­wäh­ren«, sag­te ich be­schei­den, den Brief­um­schlag her­vor­zie­hend.

Er nahm mei­nen Brief vom Schreib­tisch und brei­te­te ihn vor sich aus.

»Ah, Sie sind der jun­ge Mensch, der kein kla­res Eng­lisch ver­steht, nicht wahr? Mei­ne all­ge­mei­nen Be­haup­tun­gen sind Sie so lie­bens­wür­dig, zu bil­li­gen, wenn ich Sie recht ver­ste­he?«

»Voll­kom­men – Herr Pro­fes­sor – voll­kom­men!«

Ich sag­te das mit großer Em­pha­se.

»Ach du lie­ber Gott! Das stärkt ja mei­ne Po­si­ti­on sehr, oder etwa nicht? Ihr Al­ter und Ihre Er­schei­nung ma­chen mir Ihre Un­ter­stüt­zung dop­pelt wert­voll. Und, schließ­lich sind Sie bes­ser als die­se Schwei­ne­her­de in Wien, de­ren Ge­grun­ze si­cher­lich nicht mehr zu be­deu­ten hat als die ver­ein­zel­te Be­mü­hung ei­nes eng­li­schen Bull­kal­bes.« Da­bei fun­kel­te er mich an als den ge­wis­ser­ma­ßen an­we­sen­den Ver­tre­ter die­ser Tier­gat­tung.

»Ihre Geg­ner schei­nen sich ab­scheu­lich be­nom­men zu ha­ben«, sag­te ich.

»Ich gebe Ih­nen die Ver­si­che­rung, dass ich noch in der Lage bin, mei­ne ei­ge­nen Kämp­fe aus­zu­fech­ten, und dass ich Ihre Sym­pa­thie nicht brau­che. Las­sen Sie mich nur al­lein, Herr, mit dem Rücken an der Wand. G. E. C. fühlt sich dann am wohls­ten. Wir wol­len uns be­mü­hen, Herr, die­sen Be­such ab­zu­kür­zen, der für Sie kaum et­was An­ge­neh­mes ha­ben kann und mir au­ßer­or­dent­lich läs­tig ist. Sie ha­ben, wie es scheint, ei­ni­ge An­mer­kun­gen zum In­halt mei­ner Denk­schrift zu ma­chen.«

Die­se bru­ta­le Un­mit­tel­bar­keit in der Be­hand­lung un­se­res Ge­gen­stan­des mach­te ein Aus­wei­chen schwie­rig. Ich muss­te also das Spiel wei­ter trei­ben, um eine bes­se­re Ge­le­gen­heit für mei­ne Ab­sich­ten zu er­spä­hen. Aus der Ent­fer­nung hat­te das viel ein­fa­cher aus­ge­se­hen. O, mein iri­scher Witz, konn­test du mir denn nicht hel­fen, wo ich dei­ner Hil­fe so bit­ter be­durf­te? Er durch­bohr­te mich mit sei­nen schar­fen, stahl­har­ten Au­gen. »Also bit­te, Herr, le­gen Sie los«, tob­te er.

»Ich bin na­tür­lich nur ein Stu­dent«, sag­te ich mit ei­nem ein­fäl­ti­gen Lä­cheln, »kaum mehr, möch­te ich sa­gen, als ein ernst stre­ben­der Mensch, und ich muss ge­ste­hen, es scheint mir, als ob Sie in die­ser Fra­ge ein we­nig zu streng über Weid­mann ur­tei­len. Hat nicht das all­ge­mei­ne Be­weis­ma­te­ri­al seit die­ser Zeit die Ten­denz ge­habt, sei­ne Be­haup­tun­gen zu be­stä­ti­gen?«

»Was für Be­weis­ma­te­ri­al?« Er sprach mit un­heim­li­cher Ruhe.

»Nun, ich weiß na­tür­lich, dass es da nichts gibt, was man einen de­fi­ni­ti­ven Be­weis nen­nen könn­te. Ich spre­che nur von der Rich­tung des mo­der­nen Den­kens und von der all­ge­mein­wis­sen­schaft­li­chen An­schau­ungs­wei­se, wenn ich mich so aus­drücken darf.«

Er beug­te sich mit tie­fem Ernst vorn­über.

»Ich neh­me an, Sie wis­sen«, sag­te er, in­dem er an den Fin­gern ab­zähl­te, »dass der Schä­de­l­in­dex ein kon­stan­ter Fak­tor ist?«

»Na­tür­lich«, sag­te ich.

»Und dass die Te­le­go­nie2 noch sub ju­di­ce3 ist?«

»Zwei­fel­los.«

»Und dass das Keim­plas­ma ver­schie­den ist vom par­the­no­ge­ne­ti­schen Ei?«

»Ei, si­cher­lich«, rief ich und freu­te mich über mei­ne ei­ge­ne Kühn­heit.

»Aber was be­weist das?«, frag­te er mit sanf­ter, über­zeu­gen­der Stim­me.

»Ja, tat­säch­lich, was be­weist das?«, mur­mel­te ich.

»Soll ich es Ih­nen sa­gen?« gurr­te er wie eine Tau­be.

»Ja bit­te.«

»Es be­weist«, brüll­te er in ei­nem plötz­li­chen Wut­aus­bruch, »dass Sie der schmut­zigs­te Be­trü­ger in Lon­don sind – ein nichts­wür­di­ger, schlei­chen­der Jour­na­list, der eben­so we­nig wis­sen­schaft­li­che Kennt­nis­se als An­stand in sei­nem Schü­ler­auf­satz be­wie­sen hat.«

Mit ra­sen­der Wut in den Au­gen sprang er auf. Selbst in die­sem Au­gen­blick höchs­ter Span­nung fand ich Zeit, über die Ent­de­ckung in Er­stau­nen zu ge­ra­ten, dass er ein ziem­lich klei­ner Mann war. Sein Kopf reich­te nicht über mei­ne Schul­ter hin­aus – ein zu klein ge­ra­te­ner Her­ku­les, des­sen ge­sam­te un­ge­heu­re Le­bens­kraft sich nach un­ten, in die Brei­te und im Ge­hirn aus­wirk­te.

»Kau­der­welsch«, schrie er, sich vorn­über nei­gend, die ge­spreiz­ten Hän­de auf die Tisch­plat­te ge­stützt, und das Ge­sicht vor­schie­bend. »Wis­sen­schaft­li­ches Kau­der­welsch war das, Herr, was ich Ih­nen hier vor­ge­re­det habe! Dach­ten Sie, Sie könn­ten sich mit mei­ner Er­fah­rung mes­sen – Sie mit Ihrem Wal­nuss­ge­hirn? Ihr denkt, ihr seid all­mäch­tig, ihr in­fer­na­li­schen Schmie­rer, oder etwa nicht? Dass euer Lob einen Mann be­rühmt ma­chen und euer Ta­del ihn zer­schmet­tern kann! Wir müs­sen uns alle beu­gen vor euch und ver­su­chen, ein güns­ti­ges Ur­teil von euch zu er­lan­gen. Die­sem helft Ihr auf die Bei­ne, und je­nen stürzt ihr in den Ab­grund! Krie­chen­des Ge­würm, ich ken­ne Sie! Sie ha­ben sich über Ihren Stand hin­aus­ge­wagt. Es wird Zeit, dass man Ih­nen die Ohren stutzt. Sie ha­ben den Sinn für Pro­por­tio­nen ver­lo­ren. Sie ge­schwol­le­ne Gas­bla­se! Ich wer­de Sie in Ihre Schran­ken zu­rück­wei­sen. Ja, Herr, es ist Ih­nen nicht ge­lun­gen, G. E. C. zu über­lis­ten. Das ist doch noch ein Mann, der Ih­nen über­le­gen ist. Er hat Sie ge­warnt, aber wenn Sie kom­men wol­len, bei Gott, so tun Sie das auf Ihre ei­ge­ne Ge­fahr. Sie sind un­ter­le­gen, mein ver­ehr­ter Herr Ma­lo­ne, ge­ben Sie es zu! Sie ha­ben ein ziem­lich ge­fähr­li­ches Spiel ge­spielt, und es macht den Ein­druck auf mich, dass Sie es ver­lo­ren ha­ben.«

»Se­hen Sie, Herr«, sag­te ich, in der Rich­tung zur Tür zu­rück­wei­chend und sie öff­nend, »Sie kön­nen mich be­lei­di­gen, so­viel Sie wol­len. Aber es gibt eine Gren­ze. Sie wer­den es nicht zu Tät­lich­kei­ten kom­men las­sen.«

»Ich wer­de es nicht tun?« Er kam lang­sam in ei­ner selt­sa­men Art auf mich zu, blieb dann plötz­lich ste­hen und steck­te sei­ne großen Hän­de in die Sei­ten­ta­schen sei­ner ziem­lich kind­li­chen kur­z­en Ja­cke. »Ich habe ver­schie­de­ne von Ih­nen zum Hau­se hin­aus­ge­wor­fen. Sie wer­den der Vier­te oder Fünf­te sein. Drei Pfund fünf­zehn für je­den – das ist etwa der Durch­schnitt. Kost­spie­lig, aber sehr not­wen­dig. Mein Herr, warum soll­ten Sie Ihren Brü­dern nicht fol­gen? Ich soll­te mei­nen, ja«, wor­auf er un­ver­merkt sei­nen un­an­ge­neh­men Vor­marsch auf mich fort­setz­te.

Ich hät­te mit ei­nem Sprung die Vor­platz­tür er­rei­chen kön­nen, aber das wäre schimpf­lich ge­we­sen. Au­ßer­dem fühl­te ich einen lei­sen Zorn in mir auf­stei­gen. Ich war vor­her hoff­nungs­los im Un­recht ge­we­sen, aber die Dro­hun­gen des Man­nes brach­ten das Recht auf mei­ne Sei­te.

»Ich wer­de Sie schon dar­an hin­dern, Hand an mich zu le­gen. Herr, das lass ich mir nicht ge­fal­len.«

»Ach, du lie­ber Gott!« Sein schwar­zer Schnurr­bart zuck­te in die Höhe, und er fletsch­te höh­nisch lä­chelnd die Zäh­ne. »Sie las­sen sich das nicht ge­fal­len, he?«

»Sei­en Sie kein Narr, Herr Pro­fes­sor«, schrie ich. »Was den­ken Sie, aus­rich­ten zu kön­nen. Ich wie­ge zwei Zent­ner, habe Mus­keln von Stahl und spie­le je­den Sonn­abend als Mit­tel­stür­mer im Iri­schen Fuß­ball­klub. Ich bin nicht der Mann ---­«

Das war der Mo­ment, in dem er sich auf mich warf. Es war mein Glück, dass ich die Tür be­reits ge­öff­net hat­te, sonst wä­ren wir durch die Fül­lung ge­gan­gen. Wir schwirr­ten wie ein Feu­er­werks­kör­per mit­ein­an­der den Vor­platz ent­lang, be­ka­men auf un­se­rem Wege ir­gend­wie einen Stuhl zwi­schen die Bei­ne und kol­ler­ten mit ihm die nach der Stra­ße füh­ren­de Trep­pe hin­un­ter. Sein Bart ge­riet mir in den Mund, wir hat­ten uns mit den Ar­men um­schlun­gen, die Glied­ma­ßen un­se­rer Kör­per wa­ren mit­ein­an­der ver­floch­ten, und die Bei­ne des teuf­li­schen Stuh­les um­wir­bel­ten uns wie ein Strah­len­bün­del. Der wach­sa­me Aus­tin hat­te die Ein­gangs­tür auf­ge­ris­sen, mit ei­nem Pur­zel­baum nach hin­ten flo­gen wir auf die Stra­ße.

Der Stuhl fiel zer­schmet­tert zu Bo­den, und wir roll­ten bei­de ne­ben­ein­an­der in die Gos­se. Er sprang auf, schwang die Fäus­te und keuch­te wie ein Asth­ma­ti­ker.

»Ha­ben Sie ge­nug?«, schnauf­te er.

»In­fer­na­li­scher Schlä­ger!«, schrie ich, in­dem ich mich auf­raff­te. Die Sa­che wäre ir­gend­wie noch zum Aus­trag ge­kom­men, denn er stürz­te sich in er­neu­ter Kamp­fes­lust auf mich, aber glück­li­cher­wei­se wur­de ich aus die­ser üb­len Si­tua­ti­on be­freit. Ein Schutz­mann stand ne­ben uns, das No­tiz­buch in der Hand.

»Was ist denn das? Sie soll­ten sich was schä­men!« sag­te er. Das war die ers­te ver­nünf­ti­ge Be­mer­kung, die ich in En­mo­re Park ge­hört hat­te. »Nun«, sag­te er, sich an mich wen­dend, »was be­deu­tet das hier?«

»Die­ser Mann hat mich an­ge­grif­fen.«