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Für Leser und Leserinnen aller Glaubensrichtungen Einfühlsam schreibt John O'Donohue über Mensch, Natur und Göttlichkeit, über Einsamkeit und Geborgenheit, Seele und Raum, Zeit und Vergänglichkeit, Sichtbares und Unsichtbares, über Grenzen und Unendlichkeit oder Präsenz und Stille. Diese Phänomene setzt er in Bezug zu den Elementen Luft, Wasser, Feuer und Erde. So erhält der Leser inspirierende Anregungen, das Leben auf neue Weise in den Blick zu nehmen und die »eigenen Verstrickungen zu entwirren«.
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Seitenzahl: 186
John O’Donohue
Das Buch der vier Elemente
Innere Kraft und Ruhe durch die Weisheit der Natur
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini
Deutscher Taschenbuch Verlag
Wandernd aus dem Schoß der See, den Blick sehnsüchtig auf die Sterne geheftet, machen wir Station auf dieser Erde für eine kurze Zeit des Zugehörens. Die Einheit der vier Elemente ist das, was unsere Existenz in dieser Welt ausmacht und erhält.
Diese schöne Veröffentlichung von Johns ersten vier Büchlein über die Elemente – Luft, Feuer, Stein und Wasser – ist ein erneuter Besuch der Felder, in die er zuerst sein Denken säte. Diese Gedanken-Samen keimten in zwei Richtungen zugleich, wie beim Wachstum eines Baumes. Abwärts und tiefer in den Erdursprung hinein, wo die Tiefe und Weite der Wurzeln die Höhe und Ausdehnung der Äste bestimmten. An diesen Ästen sprossen die Früchte ›Anam Cara‹, ›Echo der Seele‹, ›Vom Reichtum des Lebens‹, ›Echoes of Memory‹, ›Connemara Blues‹ und seine abschließende Schöpfung ›Benedictus‹. Es war so, als hätten diese inspirierenden Bücher, von den Elementen geboren, zuletzt mit der Stimme von ›Benedictus‹ ihren ausdrücklichen Segen ausgesprochen.
Während ich hier in Johns Geburtstal sitze und schreibe, blicke ich in die Landschaft mit Augen, die gegen die Vertrautheit ankämpfen. Ich staune über seine verblüffende Fähigkeit, diese Berge auf jeder Wallfahrt in einem immer neuen, frischen Abenteuergeist zu durchstreifen.
Ich meine, dass es eine schöne Herausforderung ist zu versuchen, unser eigenes Leben und das Leben derer, die wir lieben, mit neuen Augen zu betrachten. Als Lohn winkt die Aussicht, uns am Möglichen weit mehr zu begeistern und uns mit dem Wissen, das uns abgestumpft hat, weit weniger zu langweilen.
Von diesem Tal hier steigen die Berge ringsum mit sanfter Neigung auf zum Horizont. Alles Ebene erscheint stets von Ferne umwölkt und flieht immer vor dem Auge. Die Landschaft dieses Tals steigert sich zu einem Ruf um Aufmerksamkeit. Die Berge scheinen uns aufzufordern, sie zu besteigen. Erreichen wir den Horizont, der nach uns rief, legt uns der Berg einen anderen und dann noch einen anderen vor, als lockte er uns von Mal zu Mal höher in seinen Traum hinein. Wie Hans Georg Gadamer in ›Wahrheit und Methode‹ schreibt, ist
der Horizont […] etwas, in das wir hineinwandern und das mit uns mitwandert.
Nur an der Nordwestflanke des Tals stürzt der Horizont abrupt zur Erde, um den Fluss auf seine letzte Wegstrecke zur See zu leiten. Der Fluss schlängelt sich mit sachter Strömung abwärts durch die Landschaft, als brauche er Zeit, um alle Laute und Momente dieses Tals zu ernten. Dann trägt er sie zurück zur Ewigkeit der See. John benutzte dies oft als Metapher für den Fluss des Lebens - so etwa in seinem schönen Gedicht »Fließend«:
So wie ein Fluss fließt, lebte ich
Für mein Leben gern:
Getragen von dem Wunder
Meines eignen Werdens.
Dieses Tal, in dem John geboren wurde und aufwuchs, war die Muschelschale seiner Seele. Er nannte es immer »ein Privattal mit seinem eigenen Privathimmel«.
Wir wurden in eine Bauernfamilie hineingeboren, und wir lernten unsere ersten Lektionen durch das Medium der Natur. Die liebevollen Leiter unserer Vorschulung waren Eltern und ein Onkel, die sich leichtfüßig und mit behaglichem, natürlichem Schritt durch die Landschaft ihres Alltags bewegten. Es war eine schlichte und doch kostbare Kindheit, in deren Verlauf wir nach und nach erwachten, das ideale Nest für Johns erstaunlichen Intellekt. Die Wechselbeziehung zwischen Landmann und den Elementen war ein Gedicht ohne Worte, dessen Echo stets zu ihm zurückkehrte.
Die Luft konnte für den, der zu wittern verstand, die »Brise des Regens« oder den »Wind der Wärme« mit sich tragen.
Der Stein grub die Erinnerung an ihn tief in die Hände, die ihn meißelten.
Das Feuer war das Leben im Herd, um das sich das Wohnen zentrierte.
Das Wasser stellte sich uns in seiner natürlichsten Form von Bächen und Quellen vor.
Als Kinder wurden wir losgeschickt, einen »Eimer Quelle« zu holen, und unaufhörlich gurgelte der Bach und trug seinen Segen weiter, dorthin, wo er benötigt wurde.
Da der kindliche Geist beginnt, für diese Welt zu erwachen, schließt sich hinter ihm die Pforte zum Ewigen, und die Zeit scheint anfangs langsamer und behutsamer aufzutreten. Die Tage unserer Kindheit erschienen lang, hier in diesem Tal. Es gab keine der modernen technologischen Ablenkungen, die uns aus unseren Tagen hätten herausreißen können. Die Abende führten Nachbarn an unseren Herd, wo Gespräche die Luft erfüllten, Geschichten ihre Neuigkeiten erzählten und den Erinnerungen gestatteten zu tanzen.
Durften wir lang genug aufbleiben, wurden wir dann Zeugen der Planung des nächsten Tagewerks. Dies geschah auf eine Weise, die zwischen dem vergangenen Tag und dem, der kommen würde, eine Kontinuität herstellte. Im Angesicht des Feuers wurde das Bindeglied geschmiedet und geöffnet, um die Fakten eines erlebten Tages mit den Möglichkeiten der nahenden Morgendämmerung zusammenzuführen. Es war so, als ob das Erleben jeden Tages sich über Nacht planend weiterträumte. Es hatte etwas Unschuldiges und Natürliches an sich.
Einem jungen Verstand erschien Arbeit als der Preis, der gern entrichtet wurde für das Privileg, so eng mit der Erde zusammenzuleben. Arbeit war ein echtes Zwiegespräch mit der Landschaft. Sie war kein Missbrauch, keine Plünderung der Landschaft. Es war unglaublich, in diesem Kontext arbeiten zu lernen. Es hieß nie: »Das muss gemacht werden« – stattdessen hörte man, eine bestimmte Arbeit »wolle« gemacht werden. Natürlich kam es gelegentlich auch vor, dass Arbeit zur Plackerei ausartete, aber man lehrte uns, unseren eigenen Arbeitsrhythmus zu finden. Dies bewahrte uns davor weiterzumachen, wenn die Arbeit abstumpfend monoton zu werden drohte oder wenn der innere Bezug zu ihr verloren ging.
Jeden Frühling wurde der Torf gestochen und getrocknet und nach Haus gebracht, damit das Feuer-Element im Herd den Winter über Nahrung hatte. An unserem ersten Tag im Moor sagte man uns immer wieder, wir sollten es langsam angehen lassen und uns nicht überanstrengen. Der praktische Zweck dieser Empfehlung war zu gewährleisten, dass unsere Energie, Arbeitslust und Entschlossenheit die nächsten zwei, drei Wochen vorhalten würden, anstatt sich gleich am ersten Tag restlos zu erschöpfen. Sie gewährte uns außerdem den Raum und die Zeit, unseren eigenen Rhythmus bei dieser bestimmten Art von Arbeit wieder wachzurufen. John schätzte diese Lektionen. In ›Anam Cara‹ sagt er:
Ich war schon immer dankbar dafür, dass mir beigebracht wurde, wie man arbeitet. Seither ist es mir eine Genugtuung, in der Lage zu sein, eines Tages Arbeit zu verrichten. Ich finde es äußerst frustrierend, wenn ein Tag mir entgleitet und ich am Abend das Gefühl habe, dass viele der Möglichkeiten, die in ihm schlummerten, unverwirklicht geblieben sind.
Landschaft war für John etwas Urlebendiges, und je wilder und ungezähmter sie war, desto mehr erfreute er sich an ihr. Er sagte: »Da der Mensch aus der Landschaft hervorgeht, haben wir ein ständiges Bedürfnis nach der körperlichen, sinnlichen, elementaren Wechselwirkung mit der gegebenen Landschaft.«
Als Menschen versuchen wir fortwährend, die Landschaft zu bändigen, und auch wenn wir darin sind, sind wir ständig unterwegs zu einem Anderswo. Nur die Tiere scheinen in der Landschaft gänzlich zu Hause zu sein. Sie legen eindrucksvoll Zeugnis ab von der Stille und dem Schweigen der Landschaft.
Unsere Welt wird zunehmend geschäftiger und geräuschvoller. Wir vertreiben das Schweigen mit einer Vehemenz aus unserem Leben, die den Verdacht erregt, dass wir uns vor dem fürchten, was es uns über uns selbst verraten könnte. Das Schweigen ist die Stimme des Mysteriums. Das Schweigen ermöglicht es uns, wieder zu träumen.
Der Philosoph Blaise Pascal meinte, das ganze Unglück der Menschen komme aus einer einzigen Ursache: nicht ruhig in einem Zimmer bleiben zu können. Tiere können vollkommen ruhig an einem Platz in der Landschaft bleiben und dabei in das sogenannte »Leere« starren, aber wer weiß schon, was ihnen dabei durch den Kopf geht – oder durch das Gemüt!
Als Menschen haben wir alles Mystische für den Intellekt vereinnahmt und das Vorhandensein einer Seele allem, was nicht Mensch ist, abgesprochen.
In den folgenden Essays gibt John der Landschaft ihre eigene naturgegebene Subjektivität zurück. Sie ist etwas, das in seinem eigentümlichen Sosein respektiert, etwas, das in seinem spezifischen Geist angehört und betrachtet werden soll. Achten wir die Landschaft, kann die Interaktion mit ihr uns heilen. Missbrauchen oder schädigen wir sie, kann sie aber auch ihren Schmerz auf uns zurückwerfen. Auf einer tieferen Ebene kann die Landschaft, sofern wir es vermögen, in das Reich der Vorstellung einzudringen, uns tiefer in das Mysterium des »warum wir hier sind« führen. Das Wissen, das sich in der Vorstellung findet, ist ein durch Erkunden, nicht durch vorgegebene Begriffe oder Ideen gewonnenes Wissen. John beschreibt dies im Abschnitt über das »Wasser«:
Die Vorstellungskraft ist immer zur verborgenen Gestalt der Dinge hingezogen. Durch ihre Geduld beschwört sie die Form zur Erscheinung … Sie zielt darauf ab, diejenigen Formen der Wahrnehmung und Möglichkeit zu entdecken, die wir für unsere Reise benötigen. Auf diese Weise ruft sie die Form unserer Identität hervor, wie sie sich durch die Matrix unserer spezifischen Erfahrung abzeichnet.
John kehrte 1990 aus Deutschland in die Heimat zurück und übernahm eine Pfarrei in seiner Diözese Galway. Vier Jahre lang hatte er sich in die deutsche Philosophie vertieft. Während dieser Zeit war es sein Hauptziel gewesen, durch die Auseinandersetzung mit dem Hegel’schen Denken Hegel selbst in die Enge zu treiben, um ihn in ein wirklich fruchtbringendes Gespräch zu verwickeln. Was er dadurch erreicht hatte, war bemerkenswert. Er erhielt für seine Dissertation die höchste Auszeichnung, die die Universität Tübingen bis dahin je einem ausländischen Doktoranden verliehen hatte. Er erzählte gern auf humorvolle Weise eine kleine Episode, die sich nach seiner Heimkehr in unserer Küche zutrug. An dem Tag waren ein paar Nachbarn an cuairt (zu Besuch) gekommen. Wie er es formulierte, »hörte man während des ganzen Gesprächs nicht eine analytische Aussage, und dennoch wurden unglaublich viele Neuigkeiten und Informationen ausgetauscht und Schlussfolgerungen gezogen, alles durch das Medium der Erzählung und Anekdote«.
John genoss die Zeit, die er in Deutschland verbrachte, und bewunderte die Tiefe und Wahrhaftigkeit der Geistesgeschichte und philosophischen Tradition dieses Landes. Dennoch habe ich immer das Gefühl gehabt, dass die lyrische und poetische Geschmeidigkeit der Sprache seiner Heimat sein bevorzugtes Ausdrucksmittel war.
Nachdem er in seinem Buch ›Person als Vermittlung‹ eine meisterhafte Schilderung seines Dialogs mit dem Hegel’schen Denken geliefert hatte, richtete er seinen Intellekt und sein Herz auf die Möglichkeit eines Zwiegesprächs mit den Elementen, mit der Landschaft und der Weise, in der der Mensch diese Erde bewohnt.
Diese Erde ist die einzige Konstante in unserem Leben. Sie war schon Abermillionen von Jahren vor uns da. Es war Johns besondere Gabe, ihre Schätze zutage zu fördern– und damit die Erkenntnis, dass dieser »Neuankömmling Mensch« lediglich das jüngste Glied der Evolutionskette darstellt.
Wir müssen uns unseres gegenwärtigen Stadiums des Werdens bewusst werden, und dazu ist es notwendig, dass wir auf unsere Geschichte zurückblicken. In der Schule haben wir gelernt, dass wir ohne Verständnis der Geschichte dazu verdammt sind, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Alle Tiere und Geschöpfe dieser Erde sind unsere einstigen Brüder und Schwestern, aber da wir glauben, sie seien »uns untertan«, sind wir zu grausamen kleinen Tyrannen geworden. Vielleicht ist es an der Zeit, all unsere überkommenen Schlussfolgerungen einer neuen Prüfung zu unterziehen und zu begreifen, dass die Landschaft nicht bloß träge Materie ist.
Das war das Schöne und Originelle an John: Er übernahm die begrifflichen Kategorien, in denen über die »Seele« nachgedacht wurde, von den religiösen Institutionen und trug sie in die Unabhängigkeit, in die Landschaft, und ließ sie inmitten der Elemente frei. Hier tanzten sie ihren Traum von Möglichsein, während die Luft Frische atmete, der Stein Gedächtnis bot, das Wasser läuterte und das Feuer Schlacke verbrannte.
Johns erste Opfergabe, ›STONE as the tabernacle of memory‹, erschien erstmals 1994. Im Jahr darauf erschienen die drei anderen Meditationen: ›FIRE – At home at the hearth of Spirit‹, ›AIR – The breath of God‹ und ›WATER– The tears of the earth‹.
Mit diesen Publikationen legte er gleichsam das Fundament für die Kathedrale des Denkens, die ihm vorschwebte. Ein Anfang, pflegte er zu sagen, ist etwas ganz Harmloses. Er ist das Ingangsetzen von etwas, dessen Bestimmung jedem ein Geheimnis bleibt, außer ihm selbst. Um in die Gedankenwelt, die John schuf, ganz eindringen zu können, ist es notwendig, diese vier Meditationen als Eingangspforte zu benutzen.
Ich erinnere mich, wie ich selbst einen Neubeginn wagte, indem ich in dieses Tal zurückkehrte und mir mein eigenes Haus baute. Das Herzstück des Hauses war für mich die Herdstelle, also mauerte ich sie aus dem Kalkstein des Tales. Es war ein schöner Sommer, daher war der Kalkstein vollkommen trocken, und all das Hämmern und Meißeln hinterließ einen Film von feinem weißem Staub auf meiner Haut. Als der Herd vollendet war, ließ ich ihn sechs, sieben Wochen lang sich setzen, während der Rest des Hauses fertiggestellt wurde. Dann, noch vor meinem Einzug, entzündete ich in der Herdstelle das erste Feuer.
Als ich ein paar Stunden später wieder zurückkam, war die Luft im Haus von einem seltsamen Duft erfüllt. Es war der charakteristische Geruch der See. Mein knochentrockener Kalkstein glitzerte vor Feuchtigkeit. Einige der Steine, die mit dem Meißel bearbeitet worden waren, zeigten sogar das tiefe Blau eines abendlichen Ozeans.
Es war, als schwitzte der Stein aus der Tiefe seiner Poren sein uraltes Gedächtnis. Er entließ es in die Luft, wo es von allen anderen Elementen dieses Zuhauses aufgesogen werden konnte. Auf diese Weise schien der Stein seinen neuen Platz in der Herdstelle anzunehmen und in seinen Vertiefungen Raum zu schaffen für die Erinnerungen und Geräusche dieses neuen Lebens. Hier in diesem Herd wird er Zeuge und Chronist der Bindeglieder zwischen Reisen, die vor seinem Feuer geplant und geschmiedet werden.
Ich glaube, dass dieses Buch über die Elemente gerade zum richtigen Zeitpunkt erscheint. Wir erleben gegenwärtig den Zusammenbruch von Systemen, die bis dahin dazu dienten, die Gesellschaft zu kontrollieren. Unsere mehr oder weniger frei gewählten Chefchirurgen haben lediglich Heftpflaster zur Verfügung, um an ihrem blutenden Opfer, das sie auf den OP-Tisch zerren, lebensrettende Maßnahmen durchzuführen. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, einen Blick zurück zu werfen und sich auch andere Möglichkeiten anzuschauen als diejenigen, aus denen unsere jetzige Gesellschaft hervorgegangen ist. Ich glaube, dass die Gesellschaft, deren Errichtung wir mitverschuldet haben, sich vollständig in der Entfremdung des Menschen von der Natur erschöpft hat. Wir haben uns vorgesetzte Schlussfolgerungen widerspruchslos akzeptiert. Wir haben Denkweisen aus zweiter Hand angenommen, die uns nicht im Mindesten entsprechen. Das hat uns daran gehindert, unsere eigene Weise, in der Welt zu sein, zu finden.
In diesen Meditationen inspiriert uns John dazu, unsere selbsterschaffenen Denkmuster und -gewohnheiten noch einmal zu überprüfen. Er spricht über die Elemente auf poetische, phantasievolle Weise. Er geht mit der Präsenz eines offenen Geistes an sie heran, wodurch ein Zwiegespräch entsteht, das von Schönheit und Mysterium überfließt.
Hier in diesem Tal betrachte ich die Landschaft als meine Freundin. Sie gestattet mir, hier all ihre Jahreszeiten und Stimmungen mitzuerleben. Sie weist mir Zuflucht und Schönheit. Ihrerseits verlangt sie von mir lediglich Liebe und Respekt. Wenn zwei wirklich enge Freunde einander begegnen, ist es mitunter nicht nötig, den Zwischenraum mit Worten und Gesprächen aufzufüllen. Stille und Schweigen intensivieren die Präsenz des einen für den anderen – was Fernando Pessoa auf wunderbare Weise einfängt:
Lass mich
das Schweigen vernehmen
nach deinem Gesang.
Eines von Johns Lieblingszitaten stammt von Meister Eckhart:
Nichts auf der Welt ähnelt Gott mehr als das Schweigen.
Diese Kunst, achtsam und still zu sein, beherrschte John meisterlich. Wenn er mit einem zusammensaß, wusste man, dass seine Aufmerksamkeit und seine Präsenz real waren. Er war imstande, eine überfrachtete oder erstarrte Denkweise sanft von ihrem zwanghaften Bezugspunkt weg und hin zum Hindernis zu führen und sie dann in die Freiheit eines neuen Weges zu entlassen. Auf diese Weise wurde das Hindernis kleiner, und der frische Ansatz zerstreute den Nebel, der das Denken gelähmt hatte.
Hier im Burren kommen einem Felsen und Steine auf Schritt und Tritt freundlich entgegen. Zu Hindernissen werden sie nur dann, wenn man den Weg um sie herum nicht findet. Als wir in die Welt von Gemüsegarten und Wiese eingeführt wurden, war es etwas ganz Natürliches, ein wuchtiges graues Trumm von einem Stein aus dem braunen Erdreich oder dem grünen Gras herausragen zu sehen. Die Reihen von Gemüsepflanzen schienen sich nie daran zu stören, dass sie um das potenzielle Hindernis einen Bogen machen mussten, so wie die Strömung des Flusses, der sich immer tiefer zu Tal schlängelte. Tatsächlich gediehen die Gartenfrüchte oft gerade in der Nähe eines solchen Felsens besonders gut. Die Hitze des durchsonnten Kalksteins wärmte den Samen, und seine Masse beschirmte später den zarten jungen Keimling. Sie bot außerdem dem müden Rücken eine Gelegenheit, sich zu strecken und auszuruhen. Auf eine geheimnisvolle Weise erschien es wohltuend, wenn nicht sogar notwendig, auf ein mögliches Hindernis zu stoßen.
Jeder Mensch ist mit einer jeweils unterschiedlichen Ebene eines Denkprozesses befasst. John fand, dass das Denken das faszinierendste Medium überhaupt ist. Er liebte Meister Eckharts Ausspruch, Gedanken seien »unsere inneren Sinne«. Wir erfahren die materielle Welt mittels unserer äußeren Sinne, und unser Denkprozess regt einen begeisterten Tanz der Assimilation an. Wenn einer unserer äußeren Sinne beeinträchtigt wird, tritt eine entsprechende Lücke im Strom der Wahrnehmung auf. Ähnlich verhält es sich, wenn unser Denkprozess durch einen Mangel an Übung oder Entwicklung beeinträchtigt wird: Dann wird die von unseren Sinnen eingebrachte Ernte lediglich eingespeichert, ohne je unseren inneren Hunger befriedigen zu können.
Wenn wir den Traum unserer Gedanken nie erkunden, werden wir uns bestenfalls planlos durchs Leben schlängeln und lediglich hier und da an der Oberfläche des Denkens kratzen. Dann werden wir nie imstande sein, in die Tiefe zu bohren und unsere ureigene Quelle zu erschließen.
Wie John immer sagte, müssen wir erkennen, dass die Form, Qualität und Intensität des Denkens – oder dessen Mangel – in einer direkten Beziehung zu unseren Denkmustern und Denkgewohnheiten stehen. Mit anderen Worten: Die Gegebenheit der Welt ist insofern eine Einbildung, als die Welt eben nicht »da« ist, sondern durch das Objektiv unseres Denkens vermittelt und erfahren wird.
Umso kostbarer ist Johns Vermächtnis in Form des geschriebenen und des gesprochenen Wortes aufgrund der Tatsache, dass sein tägliches Leben durch die Ernte von Gedanken, die er selbst entwickelte, beseelt und genährt wurde. Unermüdlich und mit großem Respekt stellte er insbesondere Hegel und Eckhart nach, bis sie schließlich kapitulierten und sich auf ein Gespräch mit ihm einließen. »Große Denker«, pflegte er zu sagen, »richten ihr Auge in einem seltsamen Winkel auf die Erde.« Er gab nicht auf, bis er diesen Winkel erkannte und so selbst seine Augen danach ausrichten konnte. John hütete sich vor oberflächlicher Gelehrsamkeit, indem er das Vertrauen in seine eigene Art zu denken kultivierte und immer weiter erforschte. Er feilte an seinem Intellekt und hielt beständig achtsam Ausschau nach den Quellen, die während dieses Prozesses dazu aufgerufen wurden, in ihm zum Leben zu erwachen.
Unsere Insel Irland hat eine lange Geschichte der Emigration. Die Ausgewanderten schickten denen, die in der Heimat geblieben waren, immer etwas von ihrem neu gefundenen Reichtum. Dieses fürsorgliche Element, dieser Wille, zu teilen und das Leben anderer zu verbessern, spielte in Johns Art zu denken und zu leben eine absolut zentrale Rolle.
Der Erwerb von Wissen durfte nie Selbstzweck sein. Wissen sollte nicht von irgendwelchen Eliten vereinnahmt werden oder zum Ruhm der Mächtigen dienen. Es ist schließlich nur eine Pforte. Sein Hauptehrgeiz ist, zu neuen Horizonten der Möglichkeit zu locken – erst durch das Denken, danach in der Praxis. Auf diese Weise können wir die Qualität unserer eigenen Existenz verbessern und das Leben anderer bereichern. Wie es so richtig heißt: »Um dein Leben zu verändern, brauchst du lediglich deine Denkweise zu verändern.« Neue Gedanken besitzen die Klarheit des Wassers, das die rissige Haut der ausgedörrten Erde heilt und auf seinem Weg zurück zu seinem Ursprung neues Wachstum hervorruft.
John sah einen Aspekt seines geistlichen Amtes darin, Menschen dabei zu helfen, die nötige »geistige Fingerfertigkeit« zu erwerben, um »ihre eigenen Verstrickungen zu entwirren«. Die Schönheit dieses Ansatzes liegt darin, dass je mehr Hüllblätter von gegebenen Antworten abgeschält werden, sich das Herz desto mehr mit wildem Verlangen nach der Frage füllt. Dies war ein, gelinde gesagt, ziemlich neuer Ansatz von John, insbesondere im Kontext einer Institution, die sich von jeher rühmte, alle Antworten zu besitzen!
Er wäre ein wundervoller Universitätslehrer geworden, der vom Glück begünstigte junge Geister auf neue Horizonte des Denkens zu geführt und geneckt hätte. Doch wie er selbst zu sagen pflegte, hatte er schon »genug Zeit in Institutionen abgesessen«. John wollte immer seinen erwachten Intellekt heimbringen – zur Landschaft, die ihn geformt hatte, die das Hören auf seine Stimme ebenso sehr brauchte wie sein Herz die Gewissheit ihres Rhythmus. Nirgends konnte es eine angemessenere Leinwand für den Traum seines Denkens geben als hier inmitten der Elemente. Er brauchte die Freiheit des Fliegens, um sich zu den lockenden Visionen aufzuschwingen.
Oft denke ich, dass seine Seele immer wusste, dass seine Zeit auf Erden kurz sein würde. Er sagte oft, was ihm am meisten Angst mache, sei das Bewusstsein, dass »die Tage« ihm »wie Körnchen von feinem Sand durch die Finger rannen«, und er »außerstande war, sie festzuhalten«. Es war so, als klopfte Johns letztes Buch an, um sich um den Segen dieser seiner ersten Meditationen über die vier Elemente selbst zu schreiben.
Und so ist es nur passend, mit den Lobpreisungen zu schließen, die er gegen Ende seines Lebens zur Verherrlichung dieser großen Elemente schrieb.
Lasset uns preisen die Gnade
Und Gefährlichkeit des Feuers.
Im Anfang war das Wort Rot,
Und der Ton war Donner,
Und der Wunde im Ungeschauten
Entquoll das rote Wetter des Seins.
Im Namen des Feuers,
Der Flamme
Und des Lichts:
Preis sei der lauteren Präsenz des Feuers,
Das von innen her lodert
Ohne einen Gedanken an die Zeit.
Des Feuers Hunger bedarf nicht
Des Reliquienschreins der Zukunft;
Er vergöttert den Eros des Jetzt,
Wo das Gedächtnis der Erde,
In Lohen, die die Luft lecken und trinken,
Gezwungen wird, seine lange währenden
Formen freizugeben
In einem Gestäub von Asche,
Das der Wind entziffern mag.
So wie die Luft des Feuers Hunger nährt,
Möge der Gedanke an den Tod
Neue Ungeduld hauchen
In unsere Liebe zum Leben.
So wie das Feuer Schlacken ausglüht,
Möge die Flamme der Leidenschaft
Alles Unechte wegbrennen.
So kurz wie die Zeit ist
Von Funke zu Flamme,
So klein möge die Distanz sein
Zwischen Herz und Sein.
Mögen wir unter
Unsrer Angst
Glühenden Zorn entdecken,
Um Gerechtigkeit zu entfachen.
Möge Mut
Unser Leben entflammen,
Im Namen des Feuers
Und der Lohe
Und des Lichts.
Lasst uns die Luft segnen,
Die Wohltäterin des Atems;
Die Wächterin der zarten Brücke,