Die Weiden - Algernon Blackwood - E-Book

Die Weiden E-Book

Algernon Blackwood

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Beschreibung

Die Weiden: Aus dem Jahre 1907 von Algernon Blackwood. Insgesamt hatte er über 200 Kurzgeschichten, Romane und Novellen geschrieben. Dies ist eines seiner bekanntesten Werke. Eine Kanufahrt auf der Donau wird zum gruseligen Erlebnis. Zunächst begeistert über das Einssein mit der Natur, entwickelt sich immer stärker eine fühlbare Bedrohung ... Seltsame Gestalten, übersinnliche Wahrnehmungen, ständig steigende Spannung und ihre Auswirkungen auf die Protagonisten machen das Werk zu einem der besten aus dem Genre. Die Donau, mit ihren zahlreichen geheimnisvollen, teils schwierigen und oft gefährlichen Abschnitten, entspringt im Schwarzwald und mündet schließlich auf ihrem langen Weg von 2850 Kilometern ins Schwarze Meer, wobei sie zehn Länder unterschiedlicher Kulturen durchquert.

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INHALT

KAPITEL

I.

II.

III

IV.

V.

KAPITEL I.

Nachdem man Wien verlassen hat und lange bevor man nach Budapest kommt, tritt die Donau in ein Gebiet von einzigartiger Einsamkeit und Verlassenheit ein, wo viel Wasser sich nach allen Seiten ausbreitet, ohne dem Hauptstrom zu folgen. Das Land verwandelt sich hier auf viele Meilen in einen Sumpf, der von einem riesigen Meer von Weidenbüschen bedeckt ist.

Auf den großen Landkarten ist dieses verlassene Gebiet in einem zarten Blau dargestellt, das blasser wird, je weiter man sich vom Ufer entfernt, und quer darüber steht in großen weit auseinanderstehenden Buchstaben das Wort 'Sümpfe'.

Bei Hochwasser ist diese große Fläche aus Sand, Kiesbänken und mit Weiden bewachsenen Inseln fast vollständig überflutet. Zu anderen Zeiten aber biegen sich die Büsche, rascheln im Wind und zeigen ihre silbernen Blätter im Sonnenschein in einer sich ständig bewegenden Ebene von verwirrender Schönheit.

Diese Weiden erreichen nie die majestätische Erscheinung von Bäumen; sie haben keine kräftigen Stämme; sie bleiben eher bescheidene Sträucher, mit runden Spitzen und weichen Konturen. Sie schaukeln auf schlanken Stämmen, die dem geringsten Druck des Windes nachgeben, geschmeidig wie Gräser, sich ständig hin und her wiegend, sodass irgendwie der Eindruck entsteht, die ganze Ebene sei in Bewegung und lebendig, denn der Wind schickt Wellen los, die sich über die ganze Fläche heben und senken, Blätterwellen statt Wasserwellen, grüne Wellen, wie die des Meeres, bis die Zweige sich drehen und heben, und dann silbrig-weiß erscheinen, wenn ihre Unterseite sich der Sonne zuwendet.

Glücklich darüber, den Zwängen der strengen Ufer zu entkommen, schlängelt sich die Donau hier nach Belieben durch das verschlungene Netz von Kanälen, welche überall die Inseln mit breiten Alleen durchschneiden, durch die sich das Wasser mit schreiendem Getöse ergießt. Sie bildet Strudel, Wirbel und schäumende Stromschnellen, zerrt an den Sandbänken, trägt Massen von Ufergestrüpp und Weidenbüscheln mit sich und bildet unzählige neue Inseln, die täglich ihre Größe und Form ändern und bestenfalls ein vergängliches Leben haben, denn die Zeit der Flut wird ihre Existenz auslöschen.

Genau genommen beginnt dieser faszinierende Teil des Flusslebens bald nach dem Verlassen von Pressburg [Bratislava], und wir erreichten ihn, in unserem kanadischen Kanu mit Zigeunerzelt und Bratpfanne an Bord, auf dem Scheitelpunkt einer steigenden Flut, etwa Mitte Juli.

Noch am selben Morgen, als sich der Himmel vor Sonnenaufgang rötlich färbte, waren wir rasch durch das noch schlafende Wien geglitten, von dem ein paar Stunden später nur noch eine unscheinbare Dunstwolke vor den blauen Hügeln des Wienerwaldes am Horizont zu sehen war.

Wir hatten unterhalb von Fischamend [Niederösterreich] unter einem vom Wind rauschenden Birkenhain gefrühstückt, waren dann auf dem reißenden Strom an Orth, Hainburg und Petronell-Caruntum (dem ehemaligen römischen Legionslager des Marcus Aurelius) vorbeigefahren und dann weiter unter den düster aussehenden Höhen von Theben, einem Ausläufer der Deviner Karpaten, wo sich die March von links leise anschleicht und die Grenze zwischen Österreich und Ungarn überschritten wird.

Eine rasende Fahrt von zwölf Stundenkilometern führte uns bald weit nach Ungarn hinein, und das schlammige Wasser – ein sicheres Zeichen für Hochwasser – ließ uns auf so einigen Kiesbetten stranden und wirbelte uns wie einen Korken in manchem plötzlich auftauchenden Strudel herum, bevor sich die Türme von Pressburg (ungarisch: Pozsóny) gegen den Himmel abzeichneten.

Und dann flog das Kanu, springend wie ein temperamentvolles Pferd, mit Höchstgeschwindigkeit unter den grauen Mauern hindurch, passierte sicher die abgesenkte Kette der Gierseilfähre, bog scharf nach links ab und stürzte auf gelbem Schaum in die Wildnis von Inseln, Sandbänken und Sumpfland – das Land der Weiden.

Der Wechsel kam so plötzlich, als würde man durch einen Projektionsapparat gerade noch die Straßen einer Stadt sehen und dann, ohne Vorwarnung, in eine Seen- und Waldlandschaft versetzt werden.

Wie auf Flügeln wurden wir in dieses Land der Trostlosigkeit hineingetragen, und in weniger als einer halben Stunde war kein Boot, kein rotes Dach, kein Zeichen menschlicher Besiedlung und Zivilisation mehr zu sehen.

Das Gefühl der Abgeschiedenheit von der Welt der Menschen, die völlige Isolation, der Zauber dieser einzigartigen Welt der Weiden, der Winde und des Wassers zog uns beide sofort in seinen Bann, sodass wir uns lachend eingestehen mussten, dass wir von Rechts wegen im Besitz eines besonderen Passes sein müssten, der uns den Zutritt erlaubte, und dass wir in gewisser Weise kühn und ohne Erlaubnis in ein eigenes kleines Reich der Wunder und der Magie eingedrungen waren – ein Reich, das anderen vorbehalten war, die ein Recht darauf hatten, dort zu sein und in dem es überall ungeschriebene Warnungen für Eindringlinge gab, wenn man die Vorstellungskraft hatte, sie zu entdecken.

Es war noch früh am Nachmittag, aber die ständigen Stöße eines höchst stürmischen Windes hatten uns müde gemacht und wir begannen sofort, uns nach einem geeigneten Lagerplatz für die Nacht umzusehen. Die verwirrende Inselwelt machte das Anlanden schwierig. Die wirbelnde Flut trug uns erst ans Ufer und riss uns dann wieder hinaus. Die Weidenzweige scheuerten unsere Hände auf, als wir sie ergriffen, um das Kanu zu stoppen. Wir zogen viele Meter sandiges Ufer ins Wasser, bevor wir schließlich mit einem großen seitlichen Windstoß in ein Nebengewässer schossen und den Bug des Kanus in einer Gischtwolke an Land brachten.

Nach unseren Anstrengungen lagen wir keuchend und lachend auf dem heißen gelben Sand, geschützt vor dem Wind und in der vollen Glut einer sengenden Sonne. Über uns war ein wolkenloser blauer Himmel und ein riesiges Heer von tanzenden, schreienden Weidenbüschen, die uns von allen Seiten einschlossen, vom Spritzwasser leuchteten und mit ihren tausend kleinen Händen klatschten, als wollten sie den Erfolg unserer Anstrengungen bejubeln.

»Was für ein Fluss!«, sagte ich zu meinem Begleiter und dachte an den weiten Weg, den wir nach der Quelle im Schwarzwald zurückgelegt hatten, und wie oft wir Anfang Juni in den oberen seichten Gewässern waten und schieben mussten.

»Mit ihr ist jetzt nicht zu spaßen, wie es aussieht«, sagte er, zog das Kanu ein Stück weiter in Sicherheit auf den Sand und legte sich dann zu einem Nickerchen hin.

Ich lag neben ihm, glücklich und friedlich im Bad der Elemente – Wasser, Wind, Sand und das große Feuer der Sonne – und dachte an die lange Reise, die hinter uns lag, und an die große Strecke vor uns bis zum Schwarzen Meer. Und wie glücklich war ich, einen so liebenswürdigen und angenehmen Reisebegleiter zu haben, wie meinen Freund, den Schweden.

Wir haben schon viele ähnliche Reisen zusammen unternommen, aber die Donau hat uns von Anfang an, mehr als jeder andere Fluss, den ich kenne, mit ihrer Lebendigkeit beeindruckt. Von ihrem winzigen, sprudelnden Eintritt in die Welt in den Kiefergärten von Donaueschingen bis zu diesem Moment, in dem sie das große Spiel des Flusses zu spielen begann und sich unbeobachtet und unkontrolliert in den verlassenen Sümpfen verlor, hatten wir das Gefühl, das Wachsen eines Lebewesens verfolgen.

Zuerst schläfrig, dann aber, als sie sich ihrer tiefen Seele bewusst wurde, heftige Begierden entwickelnd, rauschte sie wie ein riesiges flüssiges Wesen durch alle Länder, die wir durchquert hatten. Sie hielt unser kleines Boot auf ihren mächtigen Schultern, spielte manchmal grob, doch stets freundlich und wohlwollend mit uns, bis wir sie unweigerlich als eine große Persönlichkeit betrachteten.

Wie könnte es auch anders sein, da sie uns so viel von ihrem geheimen Leben erzählt hatte? Nachts, wenn wir in unserem Zelt lagen, hörten wir, wie sie zum Mond sang und dieses seltsame Zischen von sich gab, von dem man sagt, dass er durch das schnelle Wegreißen der Kieselsteine auf ihrem Grund verursacht wird, so groß ist ihre rasende Geschwindigkeit.

Wir kannten auch die Stimme ihrer gurgelnden Strudel, die plötzlich auf einer zuvor ruhigen Oberfläche aufbrausen, das Tosen ihrer Untiefen und Stromschnellen, ihr ständiges, gleichmäßiges Donnern unter allen reinen Oberflächengeräuschen; und das unablässige Zerren ihres eisigen Wassers an den Ufern.

Wie sie sich aufbäumte und schrie, wenn der Regen auf ihr Gesicht prasselte! Und wie sie lachte, wenn der Wind stromaufwärts wehte und versuchte, ihre wachsende Geschwindigkeit zu bremsen!

Wir kannten alle ihre Geräusche und Stimmen, ihr Trommeln und Schäumen, ihr unnötiges Plätschern gegen die Brückenpfeiler, das verlegene Geplapper, wenn Hügel in Sicht waren, die affektierte Erhabenheit, wenn sie die kleinen Städte passierte, und sich für zu wichtig hielt, um zu lachen, und all dieses leise, süße Flüstern, wenn die Sonne sie in einer langsamen Kurve einfing und auf sie herunter strahlte, bis der Dampf aufstieg.

Schon in ihrem frühen Lebensabschnitt, bevor die große Welt sie zur Kenntnis nahm, war sie voller Überraschungen. Es gab Stellen im Oberlauf inmitten der schwäbischen Wälder, als sie von ihrer späteren Bestimmung noch nichts ahnte, wo sie sich entschloss, in Löchern im Boden zu verschwinden, um auf der anderen Seite der porösen Kalksteinhügel wieder hervorzukommen und einen neuen Fluss mit einem anderen Namen zu beginnen. Sie ließ dabei so wenig Wasser in ihrem eigenen Bett zurück, dass wir aussteigen und das Kanu durch Meilen von seichten Stellen schieben mussten.

Ein großes Vergnügen findet sie in den Tagen ihrer sorglosen Jugend daran, sich in Lauerstellung zu begeben, kurz bevor die turbulenten Nebenflüsse aus den Alpen auf sie zuflossen, um sich ihr anzuschließen. Sie tat so, als würde sie nichts merken, wenn sie da waren. Sie liefen so meilenweit nebeneinander her, mit deutlicher erkennbarer Trennlinie, sogar auf verschiedenen Ebenen, und die Donau weigerte sich beharrlich, den Neuling zur Kenntnis zu nehmen.

Unterhalb von Passau aber gab sie diese besondere List auf, denn dort kommt der Inn mit einer donnernden Kraft herein, die nicht zu ignorieren ist. Er drückt und bedrängt den Hauptfluss so, dass in der langen, gewundenen Schlucht, die folgt, kaum Platz für beide ist, und die Donau wird mal hier und mal dort gegen die Felsen gedrückt und gezwungen, sich mit großen Wellen und viel Hin- und Herschlagen zu beeilen, um rechtzeitig durchzukommen.

Und während dieser Auseinandersetzung glitt unser Kanu von oben nach unten und hatte die beste Zeit seines Lebens in den tobenden Wellen. Doch der Inn erteilte dem alten Fluss eine Lektion, und nach Passau tat die Donau nicht mehr so, als ob sie Neuankömmlinge ignorieren würde.

Das war natürlich schon viele Tage her, und seitdem hatten wir andere Seiten des großen Wesens kennengelernt, und über die bayerische Weizenebene von Straubing floss sie so langsam unter der gleißenden Juni-Sonne, dass wir uns gut vorstellen konnten, dass nur die oberste kleine Schicht aus Wasser bestand, während sich darunter, verborgen wie unter einem seidenen Mantel, ein ganzes Heer von Undinen bewegte, die lautlos und unsichtbar zum Meer hinunter zog, und auch sehr gemächlich, damit sie nicht entdeckt wurden.

Vieles verzeihen wir ihr auch wegen ihrer Freundlichkeit gegenüber den Vögeln und Tieren, die an den Ufern lebten. Kormorane säumten die Ufer an einsamen Stellen in Reihen wie kurze schwarze Pfähle; graue Krähen drängten sich auf den Kiesbänken; Störche standen fischend in den Schneisen des seichteren Wassers, die sich zwischen den Inseln auftaten, und Habichte, Schwäne und Sumpfvögel aller Art erfüllten die Luft mit schimmernden Flügeln und ihren singenden, launischen Schreien.

Es war unmöglich, sich über die Launen des Flusses zu ärgern, wenn man sah, wie ein Reh bei Sonnenaufgang mit einem Platschen ins Wasser sprang und am Bug des Kanus vorbeischwamm; und oft sahen wir Rehkitze, die uns aus dem Unterholz anglotzten, oder blickten direkt in die braunen Augen eines Hirsches, als wir mit voller Neigung um eine Ecke stürmten und einen anderen Flussabschnitt erreichten. Auch spukten Füchse überall an den Ufern herum, trippelten zierlich zwischen dem Treibholz umher und verschwanden so plötzlich, dass es unmöglich war, zu sehen, wohin sie verschwunden waren.

Aber jetzt, nachdem wir Pressburg verlassen hatten, änderte sich alles ein wenig, und die Donau wurde ernster. Sie spielte nicht mehr; sie hatte den halben Weg zum Schwarzen Meer hinter sich gelassen und ahnte schon die anderen, fremden Ländern, in denen keine Spielereien erlaubt waren oder verstanden wurden. Sie wurde mit einem Mal erwachsen und nötigte uns Respekt, ja sogar Ehrfurcht ab. Sie teilte sich in drei Arme auf, die erst hundert Kilometer weiter unten wieder zusammenkamen, und für ein Kanu gab es keine Anhaltspunkte, welchem man folgen sollte.