Die Weltveränderer - Katharina de Biasi - E-Book
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Die Weltveränderer E-Book

Katharina de Biasi

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Beschreibung

Heinz Dürr, erfolgreicher Unternehmer der Generation Wiederaufbau, und Flixbus-Gründer Daniel Krauss, erfolgreicher Unternehmer der New Economy, in einem engagierten Streitgespräch mit Katharina de Biasi: Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um Facebook oder auch der Dieselaffaire beschäftigen sich viele Menschen mit grundsätzlichen unternehmerischen Fragen. Wie wichtig sind jungen Unternehmern Moral und Ethik als Maximen unternehmerischen Handelns? Wie funktioniert unsere globale Wirtschaft in der Zukunft? Welche Eigenschaften brauchen Firmengründer heute und was kann die Generation Y von den "alten Hasen" lernen? Ein hochspannender Beitrag zu den Perspektiven jungen Unternehmertums in der Welt von morgen.

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Seitenzahl: 265

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© für die Originalausgabe und das eBook: 2018 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten.

© 2018 LangenMüller in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart

All rights reserved.

Lektorat: Marit Borcherding, München

Redaktion: Rüdiger Müller

Umschlaggestaltung: STUDIO LZ, Stuttgart

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering bei München

ISBN 978-3-7844-3453-7

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

INHALT

Prolog

Über den Unternehmer Heinz Dürr und Familienunternehmen in Deutschland

Über die gesellschaftliche Veranstaltung und den Zweck eines guten Unternehmens

Über Erfolg, Mut und das Risiko zu scheitern

Über Demut, Bescheidenheit und Leidenschaft

Über Zweifel, Unsicherheit und kalkulierbare Risiken

Über Optimismus, Macht und Authentizität

Über unternehmerische Verantwortung, Visionen und den Mehrwert für den Kunden

Über Mitarbeiter, Selbstverwirklichung und Entrepreneurial Spirit

Über den Teamgedanken, Werkzeugkästen und frühkindliche Bildung

Über die Bedingungen für gutes Unternehmertum, eine Gesellschaft ohne Unternehmer und richtige GelegenheitenÜber Erziehung, Sozialkompetenz und Unternehmertum als Lösung für die sozialen Herausforderungen der Zukunft

Über das Gründen, Einhörner und den ehrbaren Kaufmann

Über Werte, Moral und Neugier

Über die Zukunft, die Generation Y und Zeiten des ständigen Wandels

Über Politikverdrossenheit, Facebook und eine bessere Gesellschaft

Über sinnstiftende Arbeit, Weltveränderer und Individualisierung

Über Work-Life-Balance, Life-Life-Balance und das »Gender-Thema«

Über Vorbilder, Aufrichtigkeit und Kontinuität in Zeiten des Wandels

Epilog – Was ich gelernt habe

Danksagung

Anmerkungen

PROLOG

Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.

6. Dezember 2016 – Tag zwei der traditionsreichen DNWE Herbstakademie, die bereits seit über 20 Jahren herausragende Studierende zum Thema Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Katholischen Akademie Weingarten zusammengebracht hatte und in diesem Jahr zum ersten Mal in der geschichtsträchtigen Lutherstadt Wittenberg stattfand. Die Stadt, in der Martin Luther am 31. Oktober 1517 mit angeblich lauten Hammerschlägen seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll. Es ist dieses Bild des Thesenanschlages, das zum Symbol der Reformation wurde und die Stadt im östlichen Teil des Landes Sachsen-Anhalt zu einem Ort des Aufbruchs machte und ihr politische, kulturgeschichtliche und künstlerische Bedeutung zukommen ließ. An diesem Ort also kamen in diesem Jahr ausgewählte Studierende zusammen, um sich theoretische Grundlagen der Wirtschafts- und Unternehmensethik anzueignen und sich sowohl mit verschiedenen wissenschaftlichen Theorien und Ansätzen sowie praktischen Anwendungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen.

Wir, der zweite Jahrgang des Doktorandenkollegs Unternehmensethik und gute Unternehmensführung, welches Teil des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik ist, waren ebenfalls eingeladen, um insbesondere den Gastrednern Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus M. Leisinger und dem Unternehmer Dr.-Ing. E.h. Heinz Dürr und ihren Ausführungen zum Thema »Die Verantwortung der Unternehmen und die Führungsverantwortung des Einzelnen« zu lauschen.

Für Heinz Dürr war es ein ganz gewöhnlicher Tag, ein Termin unter vielen, wie er mir später erzählen wird. Ich jedoch fragte mich, ob wir die »Elite von morgen« waren, die eben diese Führungsverantwortung des Einzelnen übernehmen sollte (oder wollte?), während ich den Blick durch den Raum und über die Sitzreihen hinweg schweifen ließ.

Sind wir die »jungen Wilden«, die angeblich mit den Hufen scharren, um rausgehen zu können und die Welt zu verändern? Die, die angeblich nur so vor Optimismus strotzen und eben jene Welt durch ihren unbändigen Idealismus, gepaart mit einer Portion Naivität, besser machen wollen, sollen – vielleicht sogar müssen? Ist das unsere Verantwortung? Braucht auch unsere Welt(-wirtschaft) eine Reformation, so wie sie Luther vor knapp 500 Jahren unweit von diesem Seminarraum eingeläutet hatte? Ist es an uns, eine neue Denke anzustoßen und Weltveränderer zu werden?

Wir, Vertreter der Generation Y. Eine Generation, die ständig fragt und alles infrage stellt. Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm: Das wussten all jene, die in ihrer Kindheit jemals die Sesamstraße gesehen hatten. Deshalb fragen wir. Schließlich steht das Y im Namen unserer Generation nicht zuletzt für das englische Why – die Frage nach dem Warum. Warum sind die Dinge, wie sie sind, und warum sind sie nicht anders? Warum leben wir nach Konventionen und Spielregeln, die wir selbst nicht gestaltet haben, sondern lassen sie uns von anderen auferlegen? Warum streben wir nach Idealen und Lebensvorstellungen, die für uns vielleicht gar nicht mehr erstrebenswert sind, weil sie uns nicht mehr zeitgemäß erscheinen?

Wir, eine Generation, die hinterfragt, die infrage stellt und am Ende aber doch nur fragend bleibt. Der ständige Konjunktiv: sollte, hätte, könnte, würde ... Generation Maybe. Es sollte heißen: Machen! Aber nein. Macher, das sind wir eigentlich nicht. Oder doch?

GENERATION MAYBE

Die Bezeichnung »Generation Maybe« geht zurück auf ein 2012 in der Zeitung Die Welt veröffentlichtes Essay von Oliver Jeges (*1982) unter dem gleichnamigen Titel. Unter selbigem erschien zwei Jahre später ein Buch, in dem Jeges sich und seine Altersgenossen porträtiert. Demnach handelt es sich bei der »Generation Maybe« um eine Generation ohne Eigenschaften und ohne Profil: zwar gut ausgebildet, aber ohne Plan, ohne Biss und ohne Mut zu Entscheidungen. Weil alles möglich ist, sind alle heillos überfordert. Statt eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu vertreten, sagt diese Generation lieber vielleicht. Sie wollen alles, aber trauen sich nichts. Deshalb definiert Jeges die Vertreter dieser Generation, die »Maybes«, als Zweifler und kommt zu dem Schluss, dass sie trotz – oder gerade wegen – ihrer guten Ausbildung, ihren vielen Fähigkeiten und den zahlreichen Möglichkeiten – mehr als jede Generation vor ihr – nichts damit anzufangen weiß.

Wir, eine Generation, geprägt vom ständigen Zweifel aufgrund von Multioptionalität.1

Wir, eine Generation, aufgewachsen in Wohlstand und in einer Welt lebend, in der alles möglich zu sein scheint. Was für andere wie ein Segen klingt, ist für viele von uns ein Fluch. Wir haben verlernt, uns zu entscheiden, uns zu beschränken, uns selbst Grenzen aufzuerlegen. Wir scheinen nicht mehr zu wissen, wohin wir wollen oder was richtig und was falsch ist.

Wir, eine Generation, die zweifelt, kritisiert, vielleicht sogar anmahnt, aber in den meisten Fällen hauptsächlich laut schreit. Wir schreien nach Aufbruch und Veränderung, nach Gerechtigkeit und Fairness, nach mehr Ethik und Moral und einem besseren Leben für alle und jeden. Stichworte wie bedingungsloses Grundeinkommen, Chancengleichheit, Frauenquote, Gender-Pay-Gap, Gläserne Decke, Work-Life-Balance, Job mit Sinn, und was uns sonst noch an populären und Social-Media-tauglichen Schlagworten unterkommt und für Furore sorgt, wird von uns proklamiert und in die Welt herausgerufen.

Aber was heißt all das konkret, und wie können wir solche Veränderungen wirklich erzielen? Welche Folgen hätte dieses Handeln für uns und künftige Generationen? Handelt es sich überhaupt um realistische Forderungen oder nur um eine von vielen Träumereien, die man uns, der Generation Y, so häufig nachsagt?

Generation Y: faul, aufmerksamkeitsgestört und entscheidungsschwach. Wollen wir das so hinnehmen? Haben wir es nicht selbst in der Hand, etwas aus den Möglichkeiten zu machen, die sich uns bieten? Ist es nicht gerade das Unternehmertum und mit dem Unternehmertum die Selbstverwirklichung und das Mitgestalten, die es uns ermöglichen, alledem, was wir uns wünschen und fordern, nachzukommen?

Doch worum geht es eigentlich, wenn man von Unternehmertum, der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen und der Führungsverantwortung des Einzelnen spricht? Wie wird man zum Unternehmer, und ist das heute überhaupt noch ein erstrebenswerter Beruf? Sind es nicht Unternehmer, Manager, Berater und Investmentbanker, die Millionengehälter einstreichen und dabei schuld an allem Übel sind? Betrug, Korruption, Finanz- und Vertrauenskrise – Worte, die unsere Wirtschaft prägen. Die Werte und Tugenden des ehrbaren Kaufmannes scheinen skrupellos aufs Spiel gesetzt worden zu sein, verkauft und ersetzt durch Habgier, Ruhmsucht, Machtbesessenheit und falschen Ehrgeiz. In einer Befragung des Handelsblatts, deren Ergebnisse in der »Grafik des Tages« vom 9. August 2017 veranschaulicht wurden, sah nicht einmal die Hälfte der Befragten Unternehmertum als etwas Positives. 71 Prozent nahmen Unternehmer als bloße Alphatiere wahr, und 43 Prozent waren der Meinung, Unternehmer würden sich nur selbst bereichern wollen.

Es blieben Fragen über Fragen, die unsortiert in meinem Kopf umherschwirrten und mir bereits ein ums andere Mal Kopfzerbrechen bereitet hatten. Insbesondere deshalb, da sich mir in einigen Monaten wieder einmal die Frage stellen würde: Was nun? Wohin mit meiner Ausbildung und dem bis dahin – hoffentlich erfolgreich – abgeschlossenen Doktortitel? Die alles entscheidende ethische Grundfrage: Was soll ich tun? Aber auch die Frage, was so ein Titel in der Arbeitswelt von heute noch bringt? Braucht man überhaupt ein Studium für erfolgreiches Unternehmertum? Was hilft einem ein Bachelor- oder Masterzeugnis, wenn dafür die hands-on experience fehlt? Und nicht zuletzt: Wo liegt meine gesellschaftliche Verantwortung, und wie kann ich dieser am besten gerecht werden?

Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?

Nach meinem Studium hatte ich bereits ein bisschen Start-up-Luft geschnuppert und dafür das Angebot einer Unternehmensberatung in der Automobilbranche ausgeschlagen – zum Leidwesen meiner Eltern, die sich natürlich lieber gewünscht hätten, dass ich einen klassischen Karriereweg einschlage: ein Job mit Sicherheit und einem angemessenen Gehalt, das mich für all die Bemühungen im Studium entsprechend belohnen sollte. All die Praktika, Werkstudententätigkeiten, das außerschulische Engagement und nicht zuletzt der Abschluss als Jahrgangsbeste sollten schließlich nicht umsonst gewesen sein. Doch was mache ich? Ich pfeife aufs Geld und entscheide mich für die Ungewissheit, einen wilden Ritt in einem Unternehmen, das bis dato noch kein Jahr existierte. Niemand konnte sagen, ob das Geschäftsmodell überhaupt aufgehen würde oder ob man die »Klitsche« in ein paar Monaten nicht zumachen müsste und wir alle auf der Straße stünden. Aber da ich bei diesem Unternehmen bereits drei Monate lang ein Praktikum absolviert hatte, kannte ich andere Dinge, die mich erwarteten: vermutlich ähnlich viel Arbeit wie in einer Beratung, dafür wesentlich weniger Gehalt, aber ein verschworenes Team, das auch außerhalb der Büroräume jede Menge Spaß zusammen hatte, und natürlich die Aussicht auf eine steile Lernkurve, einen eigenen Verantwortungsbereich mit erster Führungserfahrung und vielen Gestaltungsmöglichkeiten. Bereut habe ich die Entscheidung bis heute nicht – zum Glück. Das würden sicher auch meine Eltern sagen, würde man sie danach fragen. Hätte ich diesen Weg nicht genommen, säße ich heute nicht hier, würde weder an meiner Doktorarbeit zum Thema Unternehmensethik und verantwortungsvolle Führung noch an diesem Buch schreiben. Schicksal.

Doch nun würden sich mir in Kürze wieder viele Fragen stellen: Was soll ich tun und wie unter all den Alternativen entscheiden, warten da draußen doch derer so viele auf mich. Zwar war ich durch meine ersten Gehversuche in der Praxis bereits geringfügig am Aufbau eines Unternehmens beteiligt gewesen, aber das macht mich natürlich längst nicht zu einer Unternehmerin. Später einmal ein mittelständisches Unternehmen zu leiten oder im Vorstand eines DAX-Konzerns zu sitzen, ist davon abgesehen sicher auch eine ganz andere Hausnummer. Nicht, dass Letzteres unbedingt meinem Bestreben entspräche. Aber ich fragte mich dennoch, wie sich das Ausüben einer solchen Rolle anfühlen würde und ob mir diese Tätigkeit taugen würde. Wie schafft man es überhaupt in solch eine Position? Wie geht man, wenn es so weit ist, mit dem (Erwartungs-)Druck und der enormen Verantwortung für manchmal Hunderte oder gar Tausende von Mitarbeitern um, ohne sich das Ganze zu sehr zu Herzen zu nehmen und eventuell sogar daran zu zerbrechen? Wie bringt man Job und Familie unter einen Hut? Habe ich als Frau überhaupt die Möglichkeit, es so weit zu bringen? Hilft mir eine Frauenquote »auf dem Weg nach oben« oder hindert sie mich eher, weil sie im Falle einer Beförderung Raum für Interpretation lässt und andere an meiner Qualifikation und fachlichen Eignung für den Job zweifeln lassen könnte? Mich plagten erneut »Gen-Y-typische« Zweifel und die übliche Grübelei.

Auf der Suche nach dem Y

Angestoßen durch die Diskussion während der Herbstakademie wollte ich herausfinden, warum man heutzutage überhaupt eine Karriere als Unternehmer anstreben sollte. Oder vielmehr: Warum eigentlich nicht? Wächst seit einigen Jahren mit Mark Zuckerberg (Facebook), Evan Spiegel (Snapchat), Kevin Systrom und Mike Krieger (Instagram) und Ben Pasternak (Monkey Inc.) doch eine neue Generation an Unternehmensgründern heran, die bestehende Märkte aufmischt und nach ihren Regeln neu gestaltet.

Generation Why: eine Generation auf dem Vormarsch und der Suche nach dem Warum. Das Phänomen einer ganzen Generation und der Grund, weshalb auf die Babyboomer und die Generation X nun eine Generation mit dem »Y« im Namen folgt. Bald wird sie die Generation der Babyboomer ablösen, zu der mit Bill Gates, Steve Jobs und Richard Branson, aber auch Josef »Joe« Kaeser und Dieter Zetsche einige der erfolgreichsten Unternehmer der Welt zähl(t)en, die altersbedingt die Chefetagen verlassen werden. Im Jahr 2025 werden die sogenannten Millennials weltweit etwa 75 Prozent der Arbeitnehmerschaft ausmachen.2 Doch ist der Nachwuchs bereit für den Chefsessel? Welcher Fähigkeiten bedarf es, um ein »guter« Unternehmer zu werden, und was bedeutet dieses »gut« heute noch? Kann man die notwendigen Fähigkeiten erlernen, oder werden sie einem in die Wiege gelegt? Was erwartet einen beim Aufstieg in die Führungsriege? Und welche gesellschaftliche und soziale Verantwortung bringt das Unternehmerdasein mit sich?

Erneut: Fragen über Fragen.

Deshalb beschloss ich, Rat zu suchen. Am besten bei einem, der sich auskennt, am besten bei einem, der Unternehmer aus Überzeugung und Leidenschaft ist, wie er von sich selbst behauptet, und der sich schon oft mit der Bedeutung des ehrbaren Kaufmannes im Allgemeinen sowie dessen Verantwortung im digitalen Zeitalter im Speziellen auseinandergesetzt hat.

So fiel meine Wahl auf keinen Geringeren als den bei der Herbstakademie anwesenden Heinz Dürr, der sich in der Diskussion als wahrer Unternehmer gezeigt und einige Blicke hinter die Kulissen zugelassen hatte: Privatunternehmen, Großkonzern, Staatsunternehmen, Stiftung, zum Zeitpunkt der Diskussion 84 Jahre alt und damit rund 60 Jahre Unternehmertum »auf dem Buckel«. Ihn wollte ich fragen, um (hoffentlich) endlich Antworten auf meine Fragen zu bekommen.

Zugegeben: Dass er solch eine beeindruckende Unternehmerkarriere vorzuweisen hat, die mich faszinierte und mehrmals ins Staunen versetzte (zum Beispiel aufgrund seiner Erzählungen über die Treffen mit namhaften Persönlichkeiten wie Margaret Thatcher, Jack Welch, Hua Guofeng, dem Nachfolger von Mao Zedong, sowie den ehemaligen Bundeskanzlern Helmut Kohl und Helmut Schmidt), stellte ich erst später fest. Aber irgendwie war mir der alte Herr von Anfang an sympathisch gewesen, und ich hatte das Gefühl, er könnte mir zumindest einige Antworten auf meine Fragen liefern.

Vielleicht könnte so ein »alter Hase« einer suchenden Generation helfen, Zweifel zu beseitigen und das Vertrauen in den sprichwörtlichen, aber scheinbar längst vergessenen ehrbaren Kaufmann und dessen Beruf(-ung) zurückzugewinnen. Denn wie schon gesagt: Das Unternehmertum ist eine Möglichkeit, Zukunft aktiv mitzugestalten, was in unser aller Interesse liegen sollte.

Das erste Treffen

Wenn ich eines in der Vergangenheit gelernt hatte, dann war es, dass man eine Gelegenheit nicht verstreichen lassen sollte, wenn sie sich einem so offenkundig bietet.

Ganz unverblümt stellte ich mich also Heinz Dürr in der anschließenden Kaffeepause vor und sagte, ich hätte noch einige Fragen zu den Inhalten seines Vortrages. Welche das denn seien, fragte er und stellte ferner fest, dass er ebenfalls nicht ganz zufrieden aus der Diskussion herausgegangen sei. Ihm hätte die Neugier gefehlt – ein Attribut des »guten« Unternehmers, welches wir später noch intensiver thematisieren würden. Heinz Dürr monierte, die Diskussion hätte sich eher so dahingeschleppt. Die Fragen aus der Runde seien kaum auf die vorgetragenen Positionen eingegangen. »Fast so, als hätte man sich nicht getraut«, resümierte er. Auch provokante Rückfragen seinerseits hätten nicht den gewünschten Effekt erzielt, und dennoch hätte er an den Mienen der Zuhörer gesehen, dass ihnen noch so einiges unklar war. Ich erkannte den sich mir bietenden Moment und versicherte ihm, dass mehr als nur »so einiges« unklar war. Genauso unstrukturiert, wie die Fragen während der Diskussion in meinem Kopf ihre Kreise gedreht hatten, kamen sie nun aus meinem Mund geschossen: Ob er wisse, was die Generation Y sei und ob er noch an das Gute im Menschen glaube? Ob sich das seiner Meinung nach mit dem Beruf des Unternehmers vereinbaren ließe und ob der Beruf des Unternehmers überhaupt noch Beruf oder nicht vielmehr Berufung wäre? Ob er sich generell für eine Frauenquote aussprechen würde? Wie er ganz persönlich zum Thema Frauen in Führungspositionen stünde und was seine eigenen Erfahrungen mit weiblichem Führungspersonal seien? Ob er ebenfalls der Ansicht sei, dass sich die Wirtschaft im Allgemeinen und diverse Unternehmen und ihre Branchen im Speziellen in einer Vertrauenskrise befänden und es daher dringend einer Veränderung bedürfe? Ob er als Unternehmer eigentlich Vorbilder gehabt hätte, und wenn ja, wer diese gewesen seien? …

Rückblickend erscheint auch mir das etwas zu viel des Guten. Kein Wunder, dass ich seinerzeit nur einzelne Antworten auf meine Fragen erhielt.

Zum Glück unterhielt aber auch mein Doktorvater Andreas Suchanek regen Kontakt zu Heinz Dürr, sodass ich die Gelegenheit bekam, das Gespräch mit ihm fortzusetzen und zu vertiefen. In Vorbereitung auf unser erstes Treffen las ich sein Buch In der ersten Reihe.3 Eine Passage auf der letzten Seite bot den perfekten Aufhänger für mein weiteres Vorhaben:

Es scheint an der Zeit, dass ich mich in die zweite Reihe setze. Aus der zweiten Reihe wird dir zugehört, wenn du von deinen Erfahrungen erzählst. Du willst ja nichts mehr von den Leuten, außer ein wenig Aufmerksamkeit. Und wenn mir heute unerschrockene junge Leute von ihren Ideen erzählen und vielleicht sogar meine Ratschläge ernst nehmen, ist das ein wunderbares Erlebnis.

Es schien also nicht nur an der Zeit für Heinz Dürr, sich »in die zweite Reihe« zu setzen, sondern auch für mich, meine Fragen zu stellen. Ich war gewillt, ihm unerschrocken von meiner Idee zu erzählen und ihm »ein wenig Aufmerksamkeit« zu schenken: Er sollte, in der zweiten Reihe sitzend, von seinen jahrelangen Erfahrungen als Unternehmer berichten, um zu sehen, welche Lehren und Schlüsse sich aus seinen Erzählungen möglicherweise für die Generation Y ergeben würden. So würde ich zu meinen Antworten und er zu seinem »wunderbaren Erlebnis« kommen – eine klassische Win-Win-Situation also.

Bereits zum Zeitpunkt unserer ersten Begegnung war ich sicher gewesen, dass es neben mir noch mehr Mitzwanziger – neudeutsch: »Twentysomethings«, Maybes, Millennials, Digital Natives, Gen Ys, Ypsiloner und wie sie alle heißen – gibt, die sich brennend für die Antworten auf zumindest einige der oben genannten Fragen und ein Gespräch mit solch einem »alten Hasen« interessierten.

So begann die Geschichte dieses Buches. Doch wie jede gute Geschichte nahm auch diese eine unerwartete Wendung. Aus dem anfangs geplanten Gespräch mit dem Unternehmer Heinz Dürr wurden Gespräche mit dem Unternehmer Heinz Dürr und FlixBus-Gründer Daniel Krauss. Wieso, weshalb, warum, möchten wir an dieser Stelle nicht vorwegnehmen. Es sei nur so viel gesagt: Daniel Krauss wurde 1983 geboren und ließe sich demnach gerade noch der Generation Y zuordnen. Anders als ich, die sich noch mit dem Wie und Warum des guten Unternehmertums beschäftigte, hatte Daniel Krauss bereits seine Antworten auf diese Fragen gefunden und sich für das Unternehmertum entschieden. Ob er auch etwas vom guten Unternehmertum verstünde, sollten wir noch herausfinden. Aber alles der Reihe nach ...

Der Beginn eines »wunderbaren Erlebnisses«

Nach dem Austausch einiger Mails und diversen Telefonaten war es so weit: Der Termin für das erste Gespräch, in dem Heinz Dürr und ich uns den Fragen unseres Buches widmen und seinen Erfahrungsschatz aus Jahrzehnten des Unternehmertums plündern wollten, stand fest. Wir trafen uns in Berlin im Büro der Heinz und Heide Dürr Stiftung am Gendarmenmarkt – nicht schlecht gewählt für einen repräsentativen Standort.

Wie es für einen Dienstagnachmittag im April typisch war, hatten sich Sonne, Regen und Hagelschauer bereits den ganzen Vormittag im Minutentakt abgewechselt, sodass ich Glück hatte, es trockenen Fußes dorthin geschafft zu haben, nachdem ich mal wieder das Fahrrad den öffentlichen Verkehrsmitteln in der Hauptstadt vorgezogen hatte. Ich mochte die Menschenmengen und die schweißtreibende Fahrt einfach nicht.

In Gedanken versunken schloss ich mein Fahrrad gegenüber des Deutschen Doms an und überquerte die Straße. Als ich die Klingel am Eingang des Bürogebäudes drückte, war ich aufgeregt und gespannt zugleich. Wer hätte gedacht, dass ich einmal ein Buch gemeinsam mit einem bedeutenden deutschen Unternehmer schreiben würde? Somit konnte man das Kribbeln in meiner Bauchgegend vermutlich einer gewissen Nervosität zuschreiben. Schmetterlinge im Bauch konnten es gewiss nicht sein, denn obwohl es Frühling war, mangelte es mir auch in diesem Jahr an speziellen Frühlingsgefühlen. Seit ich vor gut fünf Jahren nach Berlin gekommen war, zählte ich mich zur »Generation beziehungsunfähig« – ein weiteres der vielen Stigmata, die man ständig versuchte uns, der Generation Y, aufzudrücken.

GENERATION BEZIEHUNGSUNFÄHIG

Der Begriff der »Generation beziehungsunfähig« geht zurück auf das 2016 veröffentlichte Buch von Michael Nast, das für viel Furore gesorgt hat. Seine Lesungen waren schneller ausverkauft als manches Rock- oder Pop-Konzert. In seinem Buch beschreibt er eine Generation von Dauersingles und Selbstverliebten, die sich nicht mehr binden wollen. In diesem Zusammenhang thematisiert er, wie Dating Apps wie z.B. Tinder oder LOVOO die Partnersuche unserer Generation verändern.

Michael Nast schreibt: »Wir befinden uns in einem anhaltenden Zustand der Selbstoptimierung.« Konkret heißt das: Alles kann immer noch besser sein, als es aktuell ist. Dementsprechend sagt man uns nach, nie zufrieden zu sein mit dem, was wir haben, sei es der Job, den wir ausüben, die Stadt, in der wir leben, oder der Partner, mit dem wir dieses Leben teilen. Wir streben nach Selbstoptimierung und Perfektionismus, obwohl wir wissen, dass nichts perfekt ist und wir diesen Zustand niemals erreichen werden. Stattdessen bleiben Restzweifel und der Glaube »da geht noch mehr«. Genau das macht uns zur »Generation beziehungsunfähig«. Wir können oder wollen uns an nichts und niemanden binden.

Das bringt auch Folgen für die Arbeitswelt mit sich. So zeigen sich Arbeitnehmer der Generation Y angeblich weniger loyal ihren Arbeitgebern gegenüber, was die Dauer ihrer Unternehmenszugehörigkeit angeht. Der klassische Karriereweg ändert sich und führt weg von der »lifelong career« in einem einzigen Unternehmen, hin zum »Job-Hopping« über mehrere Stationen in unterschiedlichen Bereichen, Unternehmen und Branchen. Für Unternehmen bedeute dies, dass sie mehr in den Identifikationsgrad der Mitarbeiter investieren müssten, um die gleichen Synergie- und Effizienzeffekte auf die individuelle Motivation der Arbeitnehmer und den Erfolg des Unternehmens zu erzielen wie früher. Für die Lebensläufe der »Ypsiloner« bedeute dies, dass sie Lücken aufweisen können und weniger stringent werden und so zu sogenannten Multigrafien4 werden, in denen Jobwechsel, Unterbrechungen und Richtungswechsel keine Seltenheit mehr sind, sondern eher eine Selbstverständlichkeit.

All dies widerspricht in gewissem Maße jedoch den Ergebnissen der Shell Jugendstudie 2015. Diese besagen, dass Partnerschaft zwar »zunächst einmal eher als Herausforderung erlebt« wird, aber eben auch, dass Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren sehr wohl »nach stabilen sozialen Beziehungen im persönlichen Nahbereich« streben, da »enge persönliche Beziehungen für junge Menschen der wichtigste Anker eines guten und erfüllenden Lebens sind«.5

Darüber hinaus hatte sich auch beim Besuch der Firma Dürr in Bietigheim-Bissingen und einem damit verbundenen Treffen mit zehn Vertretern der Generation Y ein ganz anderes Bild gezeigt. Von den zehn Teilnehmern, die alle zwischen 25 und 29 Jahre alt waren, waren zwei bereits mehr als fünf Jahre, drei mehr als drei Jahre und die übrigen fünf mehr als zwei Jahre bei der Firma beschäftigt und äußerten mehrfach, dass sie gern für die Firma Dürr tätig sind und auch prinzipiell vorhaben, dies noch über einen längeren Zeitraum hinweg zu bleiben.

Ein erster Indikator, dass vielleicht nicht alles Generation Y ist, was nach Generation Y aussieht?

Die Fahrt mit dem Fahrstuhl führte mich in den siebten Stock, wo ich bereits erwartet und freundlich empfangen wurde. Heinz Dürr stand gerade am Fenster seines Büros und verfolgte das stürmische Treiben, als seine Mitarbeiterin mich anmeldete und ich daraufhin eintrat. Nach kurzem Geplänkel über das Wetter bot er mir einen Platz an, damit wir gleich loslegen konnten. Er war eben ein Mann der Taten. Das Eis war fix gebrochen und meine Nervosität so schnell verflogen, wie sie gekommen war. Doch wie funktionierte eigentlich das Aufnahmegerät, das eigens für unsere Gespräche angeschafft worden war? Ich konnte genau sehen, wie Heinz Dürr sich leicht süffisant lächelnd in seinem Stuhl zurücklehnte und mich machen ließ. Einige ironische Spitzen konnte er sich dabei nicht verkneifen: Als digital native müsste ich mich doch auf gewohntem Terrain bewegen und mit jeglichem technischen Gerät zurechtkommen, da meine Generation schließlich immer vorgäbe, dies zu tun, und ferner behauptete, dass deren Bedienung absolut intuitiv sei und man gar nichts falsch machen könne.

DIGITAL NATIVES

Die Bezeichnung »digital natives« dient als Beschreibung einer Generation, die von einem digitalisierten Lebensstil geprägt ist. Sie beruht auf der Tatsache, dass das Internet und der Umgang damit für diese Generation zum Alltag gehören. Ihre Vertreter sind im Zeitalter der Digitalisierung aufgewachsen und wurden bereits in der Kindheit von den technologischen Medien sozialisiert – über Facebook, Twitter und andere soziale Medien sind sie bestens vernetzt. Sie sind nicht nur technikaffin, sondern auch technisch versiert. Der Umgang mit Smartphone und Laptop sowie anderen modernen, innovativen technischen Geräten ist für sie selbstverständlich und gelingt intuitiv. Dazu zählt aber auch die ständige Erreichbarkeit und der Drang dieser Generation, permanent online zu sein.6

Durch seine kleinen Sticheleien, die die Situation sogar weiter auflockerten, ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern drückte zielsicher den roten Aufnahmeknopf. Einmal kurz durchatmen, und es ging los.

ÜBER DEN UNTERNEHMER HEINZ DÜRR UND FAMILIENUNTERNEHMEN IN DEUTSCHLAND

»Ich wollte mehr als nur Fabrikant sein.«

HEINZ DÜRR

Meine allererste Frage an Heinz Dürr gestaltete sich sehr ausführlich:

»Dass wir ein gemeinsames Interesse an der Frage haben, was es mit gutem Unternehmertum und guter Unternehmensführung auf sich hat, konnten wir bereits feststellen. Konkreter soll es in unserem Gespräch aber darum gehen, ob es gutes Unternehmertum im Sinne von ethisch und moralisch korrektem Handeln, das nicht zu Lasten anderer geht, heutzutage überhaupt noch gibt. Denn man braucht nur eine x-beliebige Tageszeitung aufzuschlagen, um festzustellen, dass unsere Gesellschaft in einer sogenannten ›Vertrauenskrise‹ steckt und die Berichte im Wirtschaftsteil ebenfalls ein eher schwarzes Bild zeichnen, da sie immer häufiger von Skandalen um Unternehmen wie BP7, Enron8, Ergo9 und nicht zuletzt Volkswagen10 geprägt sind. Darunter leidet nicht zuletzt das öffentliche Bild des Unternehmers. Der ehrbare Kaufmann11 mitsamt seiner Werte und Tugenden scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Dennoch ist Betriebswirtschaftslehre weiterhin das mit Abstand am stärksten besetzte Studienfach12, und nicht wenige Absolventinnen und Absolventen fragen sich, was sie nach ihrem Studium mit ihrem Abschluss anfangen sollen. Viele fühlen sich ob der zahlreichen Möglichkeiten im In- und Ausland überfordert und wissen nicht, wie und wofür sie sich entscheiden sollen. So quält man sich beispielsweise mit Fragen, ob man nach dem Bachelor ein Masterstudium anschließen oder sich lieber direkt in die Arbeitswelt stürzen soll, um dann Gefahr zu laufen, ein Praktikum nach dem anderen absolvieren zu müssen – schließlich nennt man uns nicht umsonst auch die ›Generation Praktikum‹. Auf der anderen Seite: Wieso nicht vielleicht sogar einfach mal raus und weg, durch die Welt reisen, andere Länder und Kulturen entdecken und sich dabei selbst finden und die Frage ›Was soll ich tun, was will ich tun?‹ in aller Ruhe beantworten? Viele der jungen Absolventen tun sich schwer, die in sie gesetzten Erwartungen – sei es seitens ihrer Eltern oder seitens der Gesellschaft – zu erfüllen, die im Extremfall sogar ganz und gar ihren eigenen Vorstellungen widersprechen. Diese Vielzahl an Alternativen und die Möglichkeit, sich durch die Arbeit selbst verwirklichen zu können – oder zu wollen –, sind, wie wir finden, Fluch und Segen der Generation Y zugleich. Demnach stellt sich nicht nur die Frage, wie man sich entscheiden sollte, sondern vor allem auch die Frage nach dem ›Why‹? Warum sollten sich junge Absolventen ausgerechnet für den Beruf des Unternehmers entscheiden, der öffentlich, man könnte fast sagen, unter Beschuss steht – insbesondere wenn man in diesem Zusammenhang auch von Managern, Unternehmensberatern und Investmentbankern spricht, die bei der Allgemeinheit keinen besonders guten Ruf genießen. Für Sie muss diese Entscheidung doch viel einfacher gewesen sein, zumindest wenn man Ihrem Buch Glauben schenkt, in dem Sie schreiben, dass die Unternehmerexistenz bereits für Sie vorgesehen war. Noch dazu behaupten Sie an anderer Stelle Ihres Buches, dass Sie schon immer den Wunsch gehegt haben, Unternehmer zu werden. Woher kam dieser Wunsch?«

Ich erinnere mich, dass ich mir wegen meiner weit ausholenden Eröffnung plötzlich nicht mehr sicher war, wohin uns dieses erste Gespräch führen würde, während Heinz Dürr bereits begann, bereitwillig zu erzählen, wie seine Unternehmerkarriere ihren Lauf genommen hatte.

Heinz Dürr wuchs im schwäbischen Stuttgart in einer Unternehmerfamilie auf. Sein Vater Otto hatte einen mittelständischen Betrieb mit etwa 150 Mitarbeitern, der sich der Blechbearbeitung widmete. Seine Mutter kümmerte sich im familieneigenen Unternehmen um die Buchhaltung. Noch als junger Schüler verbrachte Heinz Dürr die Ferien im elterlichen Betrieb oder auf Baustellen, wie er selbst sagt. »Bei Tisch hörte ich, was in der Firma los ist. So habe ich bereits in jungen Jahren einiges mitbekommen von der Firma Otto Dürr und wie alles dort läuft«, erinnerte er sich. Bis 1957 studierte er an der Universität Stuttgart Maschinenbauingenieurwesen, doch er schloss das Studium nicht ab, weil er in den Familienbetrieb berufen wurde. Diesen baute er zunächst zur Otto Dürr Industrie Anlagen GmbH und später zur international tätigen Dürr AG um, welche heute einen jährlichen Umsatz von ca. 3,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Mittlerweile ist die Dürr AG ein weltweit führendes Unternehmen im Maschinen- und Anlagebau.

»Das meinen Sie also damit, wenn Sie in Ihrem Buch schreiben, dass die Unternehmerexistenz bereits für Sie vorgesehen war?«, schlussfolgerte ich. »Anders gefragt: War es von Anfang an klar, dass Sie Unternehmer werden oder vielmehr werden mussten, weil Ihre Familie das von Ihnen erwartete?«

»Irgendwie schon«, stimmte Heinz Dürr mir zu. »Sie wissen ja, wie das ist: Die übliche Nachfolge. Erst der Großvater, in meinem Fall Handwerkermeister und königlicher Flaschnermeister, dann der Vater, in meinem Fall Blechwarenfabrikant, und letztlich der Sohn, in meinem Fall also ich. Mit einem entscheidenden Unterschied: Ich wollte mehr als nur Fabrikant sein.«

Anschließend erzählte er mir von seinem Abituraufsatz zum Thema »Was leistet der Beruf, dem Sie zustreben, für die Gemeinschaft, und was erwarten Sie von ihm für sich selbst?« In besagtem Aufsatz schrieb er, er wolle Philosoph werden, denn als Philosoph erschien es ihm leichter, die wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Fragen, die einen Unternehmer bewegen, aus einer höheren Sicht zu betrachten und eine Antwort darauf zu finden. Daraus hätten sich Werte ergeben, die er mit 18 Jahren als wichtig angesehen und in diesem Text festgehalten habe. Allerdings wären diese keine »Eintagsfliegen« gewesen, sondern hätten rückblickend sein ganzes Leben lang Bestand gehabt.

Auf das Thema Werte sollten wir im Verlauf des Gesprächs noch näher zu sprechen kommen, da diese nach einem ethischen Verständnis der Grundstein für moralisch korrektes Handeln und demnach auch für gutes Unternehmertum sind. Aber zuerst wollten wir uns mit dem Unternehmertum selbst beschäftigen. Denn am Ende seines Aufsatzes fügte Heinz Dürr damals hinzu, dass er nicht nur Philosoph, sondern auch Unternehmer werden und den Betrieb seines Vaters übernehmen wolle.

»Warum dieser Nachsatz?«, hakte ich nach. »Warum diese Ergänzung, dass Sie Unternehmer werden wollten? War Ihnen der Philosoph doch nicht genug, oder meinen Sie, dass man Sie anderenfalls nicht ernst genommen hätte? Oder gab es einen anderen Grund? Nämlich, dass man von Ihnen als Teil einer Unternehmerfamilie erwartete, den elterlichen Betrieb zu übernehmen, und auch Sie einen Druck verspürt haben, dieser Erwartungshaltung gerecht werden zu müssen?«

Schließlich verhält es sich in vielen Unternehmerfamilien heute immer noch ähnlich. Die Eltern und Großeltern wünschen sich, dass der Nachwuchs deren Vermächtnis übernimmt und im Sinne der Familientradition weiterführt. Manchen Sprösslingen fällt es jedoch schwer, diesem Wunsch nachzukommen, aber auch, sich diesem familiären Druck zu widersetzen – selbst dann, wenn sie überzeugt davon sind, dass ihnen ein anderer Weg bestimmt ist, welchen sie lieber einschlagen würden. Daher wollte ich von Heinz Dürr wissen, ob er dies genauso empfunden hätte.

FAMILIENUNTERNEHMEN IN DEUTSCHLAND

In Deutschland gibt es rund 2,7 Millionen Familienunternehmen, von denen rund 2,4 Millionen familienkontrollierte und 2,3 Millionen familiengeführte Unternehmen sind und damit unverändert das Gros der deutschen Unternehmen stellen. Tendenziell sind Familienunternehmen in den kleineren Unternehmensgrößenklassen mehr vertreten als bei Großunternehmen. Laut den Studien der Stiftung Familienunternehmen aus den Jahren 2009, 2011 und 2014 machten Familienunternehmen in den vergangenen Jahren 86 bis 91 Prozent des Unternehmensbestandes aus, stellten 46 bis 57 Prozent der Beschäftigten und erwirtschafteten 42 bis 55 Prozent des Umsatzes, weshalb ihnen traditionell hierzulande eine hohe Bedeutung beigemessen wird.

Laut der aktuellen Studie der Stiftung Familienunternehmen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Familienunternehmen haben diese unter anderem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zunehmend Schwierigkeiten beziehungsweise weniger Möglichkeiten als zuvor, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin innerhalb der Familie zu finden. Das liegt vielfach daran, dass die Kinder und Enkel oftmals als »Hochqualifizierte« hohe Löhne aus unselbstständiger Arbeit erwarten können, was sie daran zweifeln lässt, ob sie das Risiko und vor allem das mit der Selbstständigkeit einhergehende hohe zeitliche Engagement auf sich nehmen wollen.