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In "Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz" entfaltet der Nobelpreisträger eine facettenreiche Erzählkunst, die tief in die polnische Geschichte eintaucht. Seine Werke zeichnen sich durch eine eindrucksvolle stilistische Vielfältigkeit aus, die von poetischer Prosa bis zu fesselnder Dramaturgie reicht. Sienkiewicz gelingt es, historische Ereignisse lebendig werden zu lassen, indem er fiktive Figuren in reale Kontexte einbettet und so die Leser mit der Vergangenheit vertraut macht. Die Themen von Ehre, Tapferkeit und nationale Identität reflektieren nicht nur die Geschichte Polens, sondern spielen auch im breiteren europäischen Kontext eine bedeutende Rolle. Henryk Sienkiewicz, geboren 1846 in Polen, war ein engagierter Schriftsteller, dessen Leben von der politischen Instabilität und der Suche nach nationaler Identität geprägt war. Diese persönlichen Erfahrungen und seine tiefgehende Auseinandersetzung mit der polnischen Kultur und Geschichte beeinflussten seinen literarischen Werdegang maßgeblich. Sienkiewiczs Werke sind geprägt von einem starken patriotischen Geist, der den Leser nicht nur fesselt, sondern auch zum Nachdenken über die eigene Identität anregt. Für alle, die sich für historische Romane und die verworrene Geschichte Polens interessieren, ist Sienkiewiczs Werk unerlässlich. Seine Bücher sind nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein tiefes Eintauchen in die Fragen von Macht, Moral und der menschlichen Natur. Ein literarisches Abenteuer, das dazu einlädt, die eigene Geschichtswahrnehmung zu hinterfragen und zum Nachdenken über die Werte der Menschheit anzuregen.
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Der Winter von 1682 auf 1683 war so streng, daß die ältesten Greise sich nicht erinnern konnten, je seinesgleichen erlebt zu haben. Nach wochenlangem Regen schlug gegen Mitte des Novembers der erste Frost die Gewässer in Bann und überzog die Bäume mit kristallner Kruste. In den Wäldern zerbrach der Rauhreif die Zweige der Kiefern. Anfang Dezember wurde der Frost noch schärfer. Scharen von Vögeln ließen sich in die Dörfer und Städte nieder. Die fleischfressenden Tiere kamen aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um sich den menschlichen Wohnungen zu nähern. Um den Sankt-Damasus-Tag bedeckte sich der Himmel mit finstern Wolken; zehn Tage lang fiel Schnee, glich alle Erhebungen des Bodens aus und schüttete die Fenster der Hütten zu.
Mit Schaufeln bahnten die Leute sich einen Weg zu den Ställen und den Scheunen. Endlich nahm der Schneefall ein Ende, aber es gefror von neuem zum Steinzerbrechen, und die Bäume knackten wie Büchsen.
Die Bauern begaben sich truppweise in den Wald, um sich mit Holz zu versorgen, und hatten alle Angst, dort von der Nacht überrascht zu werden. Sobald die Sonne verschwunden war, wagten sie sich nur noch mit der Mistgabel oder der Axt in der Faust über ihre Schwelle. Bis zum Morgengrauen hörte man die Hunde, die den Wolf witterten, furchtsam bellen.
In einer dieser trostlosen Nächte glitt auf dem Waldwege, dessen Spur sich auf der einförmigen weißen Fläche fast verlor, eine auf Schlittenkufen festgemachte Kutsche schweigend dahin. Sie war mit vier Pferden bespannt, und eine Geleitmannschaft ritt daneben. An der Spitze trabte ein Diener. Er hielt an einer langen Stange ein eisernes Becken in die Höhe, darin ein Kienscheit brannte – nicht um den Weg zu beleuchten, denn der Mond schien hell, sondern um die Wölfe fernzuhalten.
Der Kutscher thronte auf dem Bock. Ein Knecht saß auf einem der beiden vorderen Pferde. Zu beiden Seiten der Kutsche ritten Männer, die mit Donnerbüchsen und Säbeln bewaffnet waren.
Der Zug kam nur mühsam vorwärts. Diese Langsamkeit verdroß Pan Gideon Pongowski und beunruhigte ihn auch. Als er sich entschloß, von Radom aufzubrechen, hatte er vorher gewußt, auf welche Schwierigkeiten man gefaßt sein müsse; der Weg nach Belczonka, dem Ziel seiner Reise, führte durch die gefährlichen Wälder von Kozienice. Aber er vertraute auf die Stärke seiner Begleitmannschaft. Am Morgen hatte er Radom verlassen und rechnete darauf, noch ehe der Tag zur Rüste ging, sein Haus zu erreichen. Doch zu wiederholten Malen mußte namentlich an den Biegungen des Weges der hochgewehte Schnee weggeräumt werden, was zu Verzögerungen führte. Als der Abend dämmerte, gelangte die Karawane nach Jedlinka. Obwohl die Bewohner die Reisenden aufforderten, dort die Nacht zuzubringen, setzte Pan Gideon, da er sich bei dem Schmied des Städtchens Kienscheite hatte verschaffen können, die Reise fort.
Jetzt drohte die Nacht ihn mitten im Walde zu überraschen.
Immer mühsamer wurde das Weiterkommen. Alle Augenblicke versperrten Schneewehen den Weg. Gideon schimpfte zuerst, dann begann er zu fluchen – doch stets auf lateinisch, um seine Reisegefährtinnen, Frau Winnicka, Das c wird wie z ausgesprochen, also Winnizka, Kaminiez etc. eine Verwandte von ihm, und Fräulein Siëninska, sein Mündel, nicht zu erschrecken.
Mit der Sorglosigkeit der Jugend verriet die Schöne gar keine Beängstigung. Leichten Fingers schob sie den Ledervorhang auf seiner Stange zurück und gab einem Diener den Wink, ihr nicht die Aussicht zu verstellen. Nun guckte sie vergnügt hinaus. Die Kiefern zogen an ihrem Blick vorüber, bekleidet mit weißem Schnee, auf dem der rote Schein der Fackel mit dem meergrünen Schimmer des Mondlichts stritt. Welche Kurzweil, dieses zarte Farbenspiel zu betrachten! Die Backen aufblasend und rosig erglühend wie eine Flamme, hauchte sie auf die Scheibe und wunderte sich, ihren eigenen Atem zu sehen.
Als furchtsame Person – was bei ihrem Alter entschuldbar war – erging sich dagegen Frau Winnicka in Klagen.
»Warum mußte man durchaus Radom verlassen? Warum ist man nicht wenigstens in Jedlinka geblieben? Bis nach Belczonka war es noch ein weiter Weg. In diesem endlosen Walde wird man noch von Wölfen angefallen werden. Nur der Erzengel Gabriel, der Beschützer gefährdeter Reisender, kann uns in dieser Lage helfen. Aber verdient man denn auch seine Hilfe?«
Dieses Gejammer raubte Pan Gideon Pongowski den Rest von Geduld.
»Auch das noch!« knurrte er. »Wir sollten uns verirren? Und das auf einer Straße, die so schnurgerade dahinläuft wie ein Pfeil. Die Wölfe? Die mögen kommen oder nicht kommen. Wenn sie kommen, werden meine Leute sie in Empfang nehmen. Lassen Sie sich übrigens sagen, der Wolf denkt als verständiges Tier gar nicht dran, einen Edelmann, das heißt also einen Soldaten, anzugreifen, denn der Soldat ist's, der ihn am besten mit Nahrung versorgt. Nicht ohne Grund nennt man den Krieg: die Ernte für die Wölfe.«
Trotz dieser Worte, mit denen Herr Pongowski den Wölfen zu schmeicheln gedachte, fühlte er doch einige Besorgnis. Wäre es nicht angebracht, einen seiner Leute absitzen und in der Kutsche Platz nehmen zu lassen, damit er im Notfall eine der Kutschentüren verteidigte, während er, Pongowski, die andere übernahm? Und damit wäre auch gleich eine sehr nützliche Vorsichtsmaßregel getroffen; denn im Augenblick der Gefahr würde das sich selbst überlassene Pferd die Flucht ergreifen und die Wölfe hinter sich herziehen.
Aber man hatte noch immer Zeit, sich das zu überlegen.
Einstweilen begnügte sich Pan Gideon, der mit Frau Winnicka auf dem Polster des Rücksitzes saß, neben das ihm gegenübersitzende Fräulein Siëninska ein Paar Pistolen und ein Dolchmesser zu legen. Er brauchte nun im Moment, wo es nottäte, nur den Arm auszustrecken, den rechten Arm, wohlverstanden, denn dessen allein konnte er sich noch bedienen, der linke war ihm vor langer Zeit abgenommen worden.
Sie fuhren ein gutes Stück, ohne daß etwas Unangenehmes geschah.
Der Weg wurde breiter. Pongowski stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, denn er kannte den Weg bis in die kleinsten Einzelheiten.
»Wir nähern uns der Lichtung,« stellte er fest.
Aber jetzt warf der an der Spitze trabende Vorreiter sein Pferd herum, kam im Galopp zur Kutsche zurück und sprach mit der Begleitmannschaft. Auf seine überstürzten Worte erwiderten sie kurz und rasch, wie es in Momenten drohender Gefahr geschieht.
»Heda! Was ist los?« rief der Herr.
»Gnädiger Herr, von der Lichtung schallt Lärm herüber – es klingt fast, als wenn –«
»Nun, was denn? Als wenn's Wölfe wären?«
»Wohl möglich. Gott mag's wissen.«
Pongowski dachte, an einer offenen Stelle könne man sich leichter verteidigen als mitten im Walde. Er gab Befehl, die Fahrt zu beschleunigen.
Nach einigen Minuten erschien der Vorreiter wieder am Kutschenschlag.
»Wildschweine, gnädiger Herr,« meldete er diesmal.
»Was? Wildschweine?«
»Kein Irrtum möglich. Ich höre sie dort unten rechts von der Straße grunzen.«
»Um so besser!«
»Sie sind vielleicht von einem Rudel Wölfe umringt.«
»Um so besser, sage ich dir. So werden wir unbehelligt vorüberkommen. Vorwärts!«
Auf der Lichtung angelangt, sahen die Reisenden zu ihrer Rechten, in der Entfernung von zwei bis drei Bogenschüssen, eine dichte Schar von Wildschweinen, die von einem beweglichen Gürtel von Wölfen umgeben war. Die Kutsche fuhr weiter. Von ihren Sätteln herab beobachteten die Leute der Begleitmannschaft das Verhalten der beiden feindlichen Gruppen. Die Wölfe wagten nicht, sich auf die grunzende Masse zu stürzen, sondern zogen ihre Angriffslinie nur ein wenig enger zusammen.
Zu einem runden Knäuel zusammengeschart, wobei die alten Keiler unerschrocken als Wache rings im Kreise aufgestellt waren – so bildeten die Wildschweine eine lebendige Festung, wo hier und dort wie Waffenblitzen das Weiße der Hauer hervorleuchtete.
Mit tückischen Sprüngen näherten sich die verwegensten der Wölfe, doch um alsbald zurückzuweichen, erschreckt durch das Fletschen der Zähne und noch mehr durch das furchtbare Grunzen.
Wenn der Kampf die ganze Aufmerksamkeit der Gegner in Anspruch genommen hätte, so wäre die Kutsche ohne Zweifel gefahrlos über die Lichtung hinübergekommen. Aber die wilden Tiere hielten dabei noch ununterbrochen Ausschau.
Es war also zu befürchten, daß die Wölfe von dem gefährlichen Feinde ablassen und über die neue Beute herfallen würden.
Einige von ihnen lösten sich denn auch schon von dem Rudel ab und näherten sich der Kutsche. Andere folgten ihnen. Aber der Anblick der bereitgehaltenen Waffen schreckte sie ab. Nun begannen sie ihre übliche Taktik. Sie scharten sich hinter dem Wagen zusammen, liefen vorüber, um sich hundert Schritte von ihm aufzustellen, oder umkreisten ihn mit wilden Sprüngen, wie um einander anzuspornen.
Die Leute Pongowskis wollten von ihren Waffen Gebrauch machen, allein ihr Herr gebot ihnen Einhalt. Durch Schüsse hätte man die ganze Bande herbeilocken können.
Schon drängten die Pferde, obschon an derartige Vorfälle gewöhnt, sich Seite an Seite, wandten die Köpfe hin und her und schnaubten laut. Ein unerwarteter Zwischenfall vermehrte alsbald die Gefahr.
Der junge Hengst, auf dem der Vorreiter saß, bäumte sich vor Schreck senkrecht empor. Aus dem Sattel kommen, bedeutete auf der Stelle unter den Zähnen der Wölfe sterben. Instinktiv klammerte der Mann sich an den Sattelknauf und ließ dabei das eiserne Becken mit den Kienscheiten fallen, die im Schnee versanken. Die Flamme verbreitete einen blutigen Schein, ehe sie erlosch; dann beleuchtete nur noch der Mond die Fläche.
Der Kutscher, ein Ruthene, fing an Gebete zu murmeln. Die Knechte dagegen – als gute Masuren, die sie waren – fluchten.
In der Finsternis wurden die Wölfe kühner. Die Haare sträubend und mit den Zähnen knirschend, kamen sie heran, und jetzt sah man deutlicher ihre blutunterlaufenen Augen glänzen.
Die Lage schien verzweifelt.
»Sollen wir schießen, gnädiger Herr?«
»Nein. Versucht sie durch Schreien abzuschrecken.«
Ein betäubendes Gebrüll erhob sich: »Ahu! Ahu!« Die Pferde schöpften wieder Mut, während die Wölfe, auf welche die menschliche Stimme immer Eindruck macht, um zehn Schritte zurückwichen.
Doch wie durch ein Wunder warf das Echo des Waldes plötzlich dieses Geschrei in hundertfacher Stärke zurück. Und es schien fast, als wenn ein wildes Lachen mitten in dem furchtbaren Getöse erscholl. Die dunkeln Gestalten von Reitern tauchten auf, schlossen sich zu einer Gruppe zusammen und brausten wie eine Lawine über die belagernden Wölfe und das Rudel Wildschweine herein.
Wie vom Winde weggefegt, zerstreuten sich im Augenblick die einen und die andern.
Schüsse, Geschrei und von neuem jene Heiterkeitsausbrüche waren zu hören. Die Leute des Pan Pongowski eilten auf die Reiter zu, die ihnen zu Hilfe gekommen waren. Nur der Kutscher und der Vorreiter blieben auf ihrem Posten.
Die vornehmen Reisenden im Wagen waren vor Erstaunen sprachlos.
»Und das Wort ist Fleisch geworden!« rief endlich Frau Winnicka. »Dieser Beistand kommt uns gewiß vom Himmel.«
»Gesegnet sei er, von wannen er auch komme!« erklärte Pan Pongowski.
Nun fügte auch Fräulein Siëninska ein Wort bei: »Gott selbst,« sagte sie, »hat uns diese jungen Ritter zugesandt.«
Woher sie wußte, daß diese Ankömmlinge Ritter und im besondern gar junge Ritter seien, hätte sich schwer sagen lassen; denn sie waren wie ein Windsturm vor dem Schlitten vorübergesprengt.
Die Lichtung hallte noch von dem Lärm der Verfolgung wider. Dicht neben der Kutsche heulte ein Wolf, dem das Rückgrat zerschmettert war, seinen Schmerz gen Himmel, und es klang so markerschütternd, daß der Vorreiter zu Boden sprang und hinlief, ihm den Gnadenstoß zu geben. Das Todesröcheln des Tieres machte die Pferde scheu, sie schlugen aus und bäumten sich, daß zuletzt die Deichsel zu zerbrechen drohte.
Jetzt zeichneten sich die Silhouetten der Reiter deutlich vom Schnee ab, und man sah im Mondlicht ihre Rosse dampfen. Lachend und singend kamen sie auf den Schlitten zu.
Mit lustiger, klangvoller Stimme fragte einer, sich zu dem Kutschschlag herüberneigend: »Wer da?«
»Pongowski, Gutsherr von Belczonka. Wem verdanke ich meine Rettung?«
Die Herren stellten sich vor.
»Stanislaus Cypryanowicz aus Jedlinka.«
»Die Brüder Bukojemski.«
»Dank sei euch abgestattet, meine Herren! Der Himmel hat euch rechtzeitig geschickt.«
»Dank sei euch abgestattet, meine Herren!« wiederholte eine jugendliche Frauenstimme.
»Laßt uns Gott loben, der uns im rechten Augenblick dazukommen ließ!«
Und Cypryanowicz lüftete seine Pelzmütze.
»Durch welches Wunder, meine Herren, waret ihr über unsere Notlage unterrichtet?« fragte Pongowski.
»Wir wußten nichts davon, Pan. Auf gut Glück, weil uns bekannt war, daß die Wölfe sich zu Rudeln zusammenscharten, machten wir uns auf den Weg, um Hilfe zu leisten, wo immer solche nottun mochte. Wir danken der Vorsehung, daß sie unsern guten Willen so erlauchten Personen zustatten kommen ließ,« sagte Cypryanowicz mit höflichem Gruße.
»Und daß sie uns eine so reiche Beute an Tierfellen bescherte« setzte einer der Brüder Bukojemski hinzu.
»Eine ritterliche Handlung, wahrhaftig, oder ich will nichts davon verstehen,« erklärte Gideon, »und eine gute Jagd, die was Schönes einbringen wird. Wolle Gott uns nur bald Gelegenheit geben, euch unsere Dankbarkeit zu bezeigen. Ich denke mir, ihr habt einstweilen den Wölfen den Appetit auf Menschenfleisch verdorben. Wir werden also ohne weitere Fährnis heimkehren können.«
»Ganz so sicher ist das nicht. Die Wölfe sind zäh.«
»Dann um so schlimmer. Wir müssen uns eben wieder durchschlagen. Ich sehe kein anderes Mittel.«
»O doch! Ein ganz einfaches Mittel. Wir werden die Ehre haben, Euch bis Belczonka zu begleiten. Bei dieser Gelegenheit können wir vielleicht auch noch andern Reisenden Beistand leisten.«
»Ich wagte es von mir aus nicht, die Bitte auszusprechen, doch da ihr uns eure Hilfe anbietet, so nehmen wir sie an. Nun werden meine Damen keine Angst mehr haben.«
»Angst hatte ich überhaupt nicht,« widersprach Fräulein Siëninska. »O, deshalb danke ich euch nicht minder von ganzem Herzen.«
Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung. Aber kaum hatte die Kutsche ein kurzes Stück zurückgelegt, so blieb sie stehen, die beschädigte Deichsel war zerbrochen.
Mit Stricken knüpfte man die Bruchstelle, so gut es ging, zusammen; allein würde diese unvollkommene Reparatur wohl den Erschütterungen, die der Wagen durch die Ungleichheiten des Weges erlitt, noch lange Widerstand leisten können?
Diese Frage stellte sich der junge Cypryanowicz, und er kam daraufhin mit einem neuen Vorschlag heraus:
»Wir sind um die Hälfte näher an Jedlinka als an Belczonka. Erweist uns die Ehre, die Nacht unter unserm Dache zu verbringen, Pan. Bis dorthin können wir ganz gut die Kutsche ziehen. Die Ehre, die Ihr uns antut, wird bei weitem größer sein als der Dienst, den wir Euch geleistet haben. Aber da Ihr dabei nur der harten Notwendigkeit gehorcht, so bilden wir uns überhaupt nichts drauf ein.«
Pongowski antwortete zuerst nicht. Er fühlte einen Vorwurf aus diesen Worten heraus. Als vor zwei Jahren Cypryanowicz, der Vater, nach Belczonka gekommen war, ihm seine Reverenz zu erweisen, hatte er ihn wohl höflich, doch sehr von oben herab aufgenommen und seinen Besuch niemals erwidert. Und das geschah, weil Cypryanowicz ein » homo novus« war, erst seit zwei Generationen zum Adel gehörig und von armenischer Abstammung. Der Urgroßvater betrieb sogar noch einen Seidenhandel in Kaminiec.
Der Sohn dieses Kaufmanns, Jakob, hatte schon unter dem großen Chodkiewicz bei der Artillerie gedient. Er hatte sich unter den Mauern von Chocim ausgezeichnet, und dank der Protektion Stanislaus Lubomirskis war ihm der Adelsbrief zugleich mit der königlichen Domäne Jedlinka verliehen worden, welche er nun als Leibgedinge verwaltete.
Später, nach dem Einfall der Schweden, erhielt Seraphin, Jakobs Sohn, dieses Landgut zum Unterpfand für ein Darlehn, das er dem erschöpften Staatsschatz der Polnischen Republik vorstreckte.
Der junge Kavalier nun, dessen Hilfeleistung so gut angebracht gewesen, war der Sohn besagten Seraphins.
Pan Pongowski hatte die Anspielung verstanden; aber sie wurde mit einer Würde vorgebracht, welche dem alten Adelsherrn nicht mißfiel. Und wie hätte er die Einladung auch abweisen sollen? Der Weg nach Belczonka war lang und voller Hinterhalte. Er zauderte nicht länger.
»Ohne Eure Hilfe, Pan, würden sich jetzt die Wölfe um unsere Gebeine streiten. Fahren wir nach Jedlinka!«
Unter den freudigen Zurufen der Ritter setzte sich der Zug in Bewegung.
Das mitten im Walde gelegene Jedlinka war nicht mehr weit. Bald erblickte man das riesige vom Wald umrahmte Viereck, das die verstreuten Häuser bildeten. Etwa zwanzig an der Zahl lagen sie wie schwarze Flecke da, aber ihre schneebedeckten Dächer schimmerten im Mondlicht. Am Rande zogen sich die Wirtschaftsgebäude hin, im Hintergrunde lag das herrschaftliche Wohnhaus. Es war ehedem nur eine Herberge der königlichen Förster gewesen. Cypryanowicz hatte es umgebaut und vergrößert, doch sah es im ganzen noch eben so alt und trist aus wie zuvor.
Aus den erleuchteten Fenstern fiel der Schein in rosigen Strahlen auf den Schnee, auf die Mauern, auf die hohen Schwengel der Brunnen.
Ohne Zweifel erwartete der alte Cypryanowicz, daß sein Sohn ihm diese Gäste zuführen werde, denn kaum hatte der Schlitten die Pforte der Einfriedigung überschritten, so liefen Diener mit Fackeln in den Händen herbei und stellten sich zu beiden Seiten der Freitreppe auf. Dann erschien der Herr des Hauses, bekleidet mit einem Marderpelz. Trotz der Kälte nahm er beim Anblick der Kutsche die Pelzmütze ab.
»Was für huldvolle Gäste bringt uns Gott in unsere Einsamkeit?« fragte er mit einer breiten Geste der Bewillkommnung.
Der junge Mann küßte ehrfurchtsvoll die Hand des Vaters, während Pongowski aus dem Wagen stieg und zeremoniös antwortete: »Längst war es mein Vorhaben, aus freien Stücken die Pflicht zu vollziehen, die mich heut die Notwendigkeit ausführen läßt. Ich segne nichtsdestoweniger den Zwang, der so gut mit meinem Wunsche harmoniert.«
»Auf der Welt gibt's immer wieder Ueberraschungen,« erwiderte Cypryanowicz, »und zwar auch freudige, angenehme, wie jetzt diese hier. Erweist mir die Gunst, unter mein Dach zu treten.«
Mit diesen Worten verneigte sich Pan Seraphin von neuem und bot Frau Winnicka den Arm, indem er seine Gäste einlud, ihm in seine Gemächer zu folgen.
Sobald die Reisenden über die Schwelle getreten waren, empfanden sie auch schon jenes Wohlbehagen, das der Uebergang von eisiger Finsternis in Wärme und Licht zu erwecken pflegt. In den Kaminen der Vorhalle und der sehr großen Räume brannten Holzscheite. Die Diener zündeten Kerzen in verschwenderischer Fülle an.
Pan Pongowski beobachtete verstohlen und nicht ohne Erstaunen. Er hatte bei Edelherren der einfachen Klasse noch nie einen solchen Reichtum gefunden.
Beim vereinten Licht der Leuchter und der Kamine bemerkte man kostbare Truhen und hohe florentinische Lehnstühle, daneben Uhren, venezianische Gläser, Kronleuchter. Auf Brokatstoffen hingen orientalische Waffen, mit Türkisen besetzt. Die Füße traten auf das weiche Gewebe der Krim. An den Wänden des Ehrensaals hingen einander gegenüber zwei prachtvolle Gobelins aus Arras, die einem Adelspalast zur Zierde gereicht hätten.
»Alles das haben sie von der Elle und vom Handel her,« dachte Pan Pongowski neidisch. »Und jetzt können sie die Adeligen von oben herab angucken und sich was einbilden auf diesen Luxus, zu dem ihnen ganz gewiß kein Säbelstreich verholfen hat.«
Aber die Zuvorkommenheit und die freimütige Gastlichkeit der Cypryanowicz verscheuchten bald die Mißlaune des alten Herrn; verriet doch auch das Klirren von Gläsern und silbernem Geschirr im benachbarten Speisezimmer, daß ein reichhaltiges Mahl vorbereitet wurde.
Um die eisige Nässe zu vertreiben, von der die Reisenden durchdrungen waren, reichte man ihnen zuerst einen starkgewürzten Glühwein. Die Zungen lösten sich. Die überwundene Gefahr war der Gegenstand der Gespräche. Pongowski zollte dem jungen Cypryanowicz überschwengliches Lob. Dieser junge Mann sei nicht zu Hause geblieben, wo er sich doch die Füße hätte wärmen können; er sei lieber auf die Straße hinausgeeilt, nicht achtend der Kälte, der Anstrengung, der Gefahren.
»Wahrlich,« schloß er, »so handelten die Helden von ehemals, die Tapfern, welche auszogen, Drachen, Vampire, Wehrwölfe und andere Ungeheuer zu töten.«
»Und wenn es zufälligerweise einem solchen Helden glückte,« fiel der junge Herr von Jedlinka ins Wort, »eine verzauberte Prinzessin zu befreien, dann kann er auch keine größere Freude empfunden haben, als sie in diesem Augenblick unsere Seele erfüllt.«
»Gut gesprochen, so wahr Gott lebt! und keiner von ihnen hatte eine zauberhaftere Prinzessin befreit!« stimmten die vier Brüder Bukojemski begeistert bei.
Und Fräulein Siëninska senkte die Augen und lächelte, wobei sich auf ihren frischen Wangen Grübchen zeigten.
Pan Pongowski hielt jedoch dieses Kompliment für zu chevaleresk. Obwohl Fräulein Siëninska eine Waise war und kein Vermögen hatte, blickte sie nichtsdestoweniger auf eine lange Ahnenreihe zurück, die aus lauter Magnaten bestand.
Um dem Gespräch eine Wendung zu geben, fragte er: »Und seit wann sucht ihr nun die Landstraßen ab?«
»Seit dem großen Schneefall, und wir werden es fortsetzen bis zum Eisgang,« antwortete der junge Stanislaus Cypryanowicz.
»Da habt ihr wohl schon viele Wölfe getötet, nicht wahr?«
»So viele, daß wir alle auf lange hinaus mit Pelzen versehen sind.«
Und die Brüder Bukojemski lachten, wie wenn vier Pferde wieherten. Als sie endlich ihre Heiterkeit beschwichtigten, setzte Jan, der älteste von ihnen, hinzu: »Unser huldreicher König wird mit seinen Förstern zufrieden sein.«
»Meiner Treu, es ist wahr!« stimmte Pongowski bei. »Ich habe mir sagen lassen, der König habe euch zu seinen Forsthütern bestellt. Ich glaubte jedoch, die Bukojemskis stammten aus der Ukraine.«
»Wir sind auch aus der Ukraine.«
»So, so. Ein gutes Geschlecht, die Jelo-Bukojemskis – von ausgezeichneter Abstammung – hat auch Verwandtschaft mit hervorragenden Häusern –«
»Und mit dem Apostel Sankt Petrus,« rief Lukas Bukojemski.
»Ach was?« machte Pan Pongowski.
Mit strengem, mißtrauischem Blick sah er den vier Brüdern scharf ins Gesicht. Wagten sie es, ihn zu verspotten? Aber der heitere, überzeugte Ausdruck ihrer Gesichter beruhigte ihn. Alle nickten fast feierlich mit dem Kopf und bestätigten Lukas' Worte.
»Verwandte des Heiligen Petrus?« wiederholte Pongowski verblüfft. »Aber quo modo, wenn ich bitten darf?«
»Durch die Przegonowskis.«
»So so! Und die Przegonowskis?«
»Durch die Uswiat.«
»Ich verstehe. Und die Uswiats wieder durch andere,« fuhr der alte Herr erheitert fort. »Und so fort ad infinitum bis zur Geburt unsers Heilands Jesus. Das nenne ich Glück; denn wenn es schon etwas heißen will, Verwandte unter den hohen Personen unsers höchst illustren Senats zu haben, wie viel mehr, solche, die im himmlischen Senat sitzen, zu seinen Ahnen zu zählen. Da ist uns jede Promotion, jede Beförderung gewährleistet. Aber auf welche Weise, sagt mir doch, seid ihr aus der Ukraine in unsere Wälder gekommen? Ich habe gehört, ihr habt euch schon vor mehreren Jahren dort festgesetzt.«
»Vor drei Jahren. Gleich im Anfang des Aufruhrs wurden unsere Besitzungen in der Ukraine dem Erdboden gleichgemacht. Nachher wurden auch die Grenzen verschoben. Wir hatten keine Lust, uns mit Tatarenhorden zu vermischen, nicht wahr? Da nahmen wir Dienst in der Armee; sodann verschafften wir uns Lehnsgüter, und schließlich hat der König uns die Aufsicht über diese Wälder übertragen.«
»Wie klein doch die Welt ist!« bemerkte Cypryanowicz. »Die Launen des Schicksals haben uns alle in diese Gegenden geführt. Der ehemalige Stammsitz Euer Liebden,« fuhr er fort, sich an Pongowski wendend, »ist doch auch in der Ukraine gelegen. Wenigstens bin ich ...«
Pongowski zitterte, als wenn ihm jemand den Finger auf eine Wunde gelegt hätte.
»Dieser Stammsitz,« antwortete er, »ist noch mein eigen. Doch – soll ich es sagen – diese entlegenen Ländereien flößen mir ein Gefühl des Abscheus, des Schreckens ein. Unglücksfälle trafen dort mein Haupt wie Blitzschläge.«
»Des Himmels Wille,« sprach salbungsvoll Cypryanowicz.
»Ohne Zweifel. Und es würde nichts nützen, unsere Gerichte dagegen aufzurufen. Aber hart ist es trotzdem.«
»Euer Liebden haben lange unter unsern Fahnen gedient?«
»Bis zu dem Tage, da ein Säbelhieb mir den linken Arm raubte. Möge unser himmlischer Erlöser mir für jedes Haupt eines Ungläubigen, das ich abgeschlagen habe, eine einzige meiner Sünden erlassen, dann kann ich hoffen, niemals mit der Hölle Bekanntschaft zu machen.«
»Dienen und leiden, das heißt sich seines Vaterlandes würdig erweisen. Doch verbannen wir die traurigen Gedanken!«
»Ich würde sie sehr gern verbannen, doch sie wollen nicht von mir lassen. Doch weg mit diesem Thema! Jetzt bin ich gebrechlich und Vormund dieses Mägdleins, da will ich in Frieden meine Tage verbringen und diese ruhigen Landstriche nicht mehr verlassen, wohin sich keine heidnischen Horden wagen. Wie Euer Gnaden ja auch wissen, komme ich fast gar nicht aus meinen vier Mauern von Belczonka.«
»Das ist auch sehr richtig,« stimmte der alte Cypryanowicz bei. »Die Jugend fühlt sich dort unten hingezogen; diese fernen Bezirke sagen ihrer Abenteuerlust zu. Aber so ruhig sie uns augenblicklich vorkommen, es sind doch unheilbergende, finstere Gegenden, wo ein jeder von uns einen Toten zu beweinen hat.«
Pongowski stützte die Stirn in die Hand und träumte. Dann sprach er in traurigem Tone:
»Wahrhaftig, nur der Bauer und der Magnat können da standhalten. Der Bauer, weil er, sobald die Lawine der Barbaren heranbraust, sich tief in die Wälder flüchten und dort monatelang nach Art der wilden Tiere sein Leben fristen kann; der Magnat, weil seine festen Schlösser ihn beschützen. Ihn beschützen – ach, nicht immer! Die Zolkiewskis sind zugrunde gegangen, die Danilowicz sind zugrunde gegangen; Markus Sobieski, der leibeigene Bruder unseres Königs, ist nicht mehr; man hat einen Wisniowiecki zu Stambul am Kreuze sich winden sehen. Korecki wurde gepfählt; die Kalinowski und vor ihnen die Hubertows und die Jazlowieckis haben den Ungläubigen den Blutzoll bezahlt. Und wie viele von den Siëninski sind schließlich vor dem Feinde gefallen! Ein ungeheurer Leichenzug! Die Opfer alle aufzuzählen, würde bis in den Morgen dauern. Und wenn ich gar dieser langen Martyriologie der Magnaten noch die der einfachen Edelleute hinzufügen wollte, so würde ich in einem Monat nicht damit zu Ende kommen.«
»Beim lebendigen Gott!« rief Cypryanowicz bitter. »Jeder gute Christ hat da wohl das Recht, sich zu wundern, daß der himmlische Vater dieses Gezücht von Tataren und Türken sich in dieser Weise vervielfältigen und ausbreiten läßt. Wenn der Landmann seinen Acker pflügt, hört er auf Schritt und Tritt unter der Pflugschar die Schädel von Ungläubigen krachen. Und der König – um nur ihn zu nennen – wie viele hat er nicht dort unten vernichtet? Mit ihrem Blute könnte sich ein großes Flußbett füllen. Und doch kommen immer wieder welche, immer wieder kommen sie!«
Cypryanowicz übertrieb nicht. Erschöpft von Anarchie, zerrüttet durch das gesetzlose Leben, das allerorten herrschte, konnte die Republik keine Armee mehr stellen, die furchtbar genug gewesen wäre, diese immer wieder auftauchende Geißel endgültig zu vernichten. Auch ganz Europa schien von einer solchen Ohnmacht geschlagen zu sein. Dennoch sah diese selbe Republik, obwohl von Zwistigkeiten erfüllt, ein kriegerisches Geschlecht aus dem Boden erstehen, das fest entschlossen war, sich nicht wehrlos vom Krummsäbel niedermähen zu lassen.
In den entlegenen Gegenden der Ukraine, Podoliens, Rotrußlands Der östliche Teil des heutigen Galiziens., welche von Gräbern übersät, von Blut getränkt waren, strömten denn auch fortwährend neue Scharen zusammen, die nicht nur von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des Bodens, sondern auch von eingefleischter Abenteuerlust dorthin gelockt wurden.
Und unaufhaltsam ergoß sich die Flut; masovische Bauern, kampfeslustige Junker, die sich für entehrt gehalten hätten, wenn der Tod sie im Bett überraschte, und endlich auch mächtige Magnaten, die sich nicht damit begnügten, den Feind zurückzuwerfen, wenn er ihre Zitadellen belagerte, sondern bis in die Walachei vordrangen, bis in die Krim, um Beute, Sieg, Tod und Ruhm zu suchen.
Man sagte, es sei den Polen gar nichts daran gelegen, den Krieg mit einem entscheidenden Feldzug zu beenden; sie zögen den Kampf in die Länge, zu dem einzigen Zwecke, länger ihr Vergnügen zu haben. Das entsprach ohne Zweifel nicht der Wahrheit. Ebenso mutig wie aufrührerisch, gefiel es doch immerhin der ganzen Nation, ein stürmisches Leben zu führen.
Der eindringende Feind mußte seine Kühnheit oft blutig bezahlen. Aber die Ländereien der Dobrutscha und um Belgrad herum vermochten ebensowenig wie das unfruchtbare, weithin von Schilfrohr bestandene Gebiet der Krim ihre wilden Einwohner zu nähren, und so trieb sie der Hunger nach den fetten Gegenden jenseits der Grenze, wo reiche Beute, aber auch der Tod zu holen war.
Die schreckliche Glut von Feuersbränden beleuchtete oft Siege und Niederlagen, derengleichen es in der Geschichte keines andern Volkes gibt. Oft zermalmten ein paar abgesandte Regimenter zehnfach zahlreichere Horden. Für die tatarischen Banden war die Hauptsache Schnelligkeit der Bewegungen im Einfall wie im Rückzug denn jeder Zusammenstoß mit einer regulären Miliz im Dienste der Republik wurde ihnen verhängnisvoll.
Bisweilen geschah es, daß von allen Rittern einer Expedition nicht einer in die Krim heimkehrte. Schrecklich klangen in den Ohren der Ungläubigen die Namen von Pretwic c wie z zu sprechen. und von Chmelnicki, und fast jeder einzelne bewahrte im Gedächtnis, in blutigen Letter eingezeichnet, das Andenken an Wolodyjowski, an Pelka, an den älteren Ruszyc – Helden, die nun schon seit zwanzig Jahren im Grabe von ihren Lorbeeren ausruhten.
Und doch hatte unter all diesen berühmten Kriegern kein einziger den Söhnen des Islam so viel Blut abgezapft wie der neue König Johann III. Sobieski.
Unter den Mauern von Podhajce, Kalusz, Chocim und Lemberg bleichten die unbeerdigten Gebeine von Ungläubigen und ließen den Boden wie ein Schneefeld erscheinen. Die Horden waren demoralisiert, die Steppe atmete auf, und als im unersättlichen Eroberungsdurst die Türkei sich einer neuen, leichteren Beute zugewandt hatte, atmete auch die erschöpfte Republik wieder auf.
Aber die schmerzlichen Erinnerungen blieben wach. Dort unten in der Ukraine erhob sich auf dem Gipfel eines Hügels ein Kreuz, in dessen Holz zwei Lanzen gesteckt waren. Mehr als zwanzig Jahre waren seit dem Tage verflossen, da Pongowski dieses Mal über den Trümmern seines niedergebrannten Stammsitzes errichtet hatte.
Und jedesmal, wenn er an dieses Kreuz dachte, an die Leichen, die unter diesen Ruinen bestattet waren, krampfte sich sein altes Herz zusammen.
Hart gegen sich selbst wie gegen andere, schämte er sich der Tränen, die er nur mit vieler Mühe zurückdrängen konnte. Der Wunsch, Mitleid zu erregen, war ihm fremd, und so schnitt er kurz den Bericht seines Unglücks ab und fragte seinen Wirt nach dessen Schicksalen, und ob das Leben, das er mitten in den Wäldern führte, ihm behagte?
Cypryanowicz antwortete ernst:
»Wenn der Sturm nicht im Forst heult und die Wölfe Ruhe halten, kann man eine Schneeflocke fallen hören. Die Stille, ein gutes Feuer im Kamin, ein Krug heißen Weines zum Abend – was braucht man mehr im Alter?«
»Zugegeben. Doch genügt das auch Euerm Sohn?«
»Früher oder später wird der junge Falk den Horst verlassen. Uebrigens geht das undeutliche Gerücht um, ein neuer Krieg werde binnen kurzem Wider den Islam anheben.«
»Alle Wetter! Zu einem solchen Kriege werden auch gern alte Falken, wie ich, die Schwingen noch einmal ausbreiten. O, wie leicht und behend wollte ich mich dem Fluge der Jungen anschließen, wäre ich nur nicht – seht her!«
Und Pongowski bewegte den leeren Aermel.
Cypryanowicz füllte ihm schweigend das Glas mit Ungarwein.
»Auf den Erfolg der christlichen Waffen!«
»Gott erhöre Euch! Laßt uns das Glas auf einen Zug leeren!«
Stanislaus seinerseits machte sich um die beiden Damen zu schaffen; dann bediente er die vier Brüder Bukojemski. Frau Winnicka und die junge Siëninska nippten kaum von dem Goldlikör.
Die Bukojemski ließen sich dagegen nicht nötigen. Bald erschien ihnen die Welt wie ein Garten voll Glückseligkeit, und Fräulein Siëninska als das herrlichste Geschöpf dieser Welt. Kein Ausdruck schien ihnen angemessen, ihr Entzücken zu bezeichnen, die Brüder begnügten sich daher, bewundernde Blicke auszutauschen, seufzten wie die Blasebälge und stießen einander mit dem Ellbogen an.
Endlich erklärte Johannes, der älteste: »Es nimmt mich nicht mehr Wunder, edles Fräulein, daß die Wölfe nach so köstlichen, auserlesenen Reizen lüstern waren. Die wildesten Tiere wissen zu beurteilen, was ein Leckerbissen ist.«
Darauf schlugen die drei jüngeren Matthäus, Markus und Lukas sich mit der hohlen Hand auf die Schenkel.
»Ins Schwarze getroffen!«
»Ein Leckerbissen – richtig!«
»Eine Delikatesse!«
Fräulein Siëninska faltete die Hände und nahm einen launischen Ausdruck des Schreckens an, wobei sie sich an den jungen Cypryanowicz wandte: »Schützet mich, ich bitte Euch! Denn ich sehe, diese Herren haben mich den Zähnen der Wölfe nur entrissen, um selber ungestört mich verschlingen zu können.«
»Gnädiges Fräulein,« sagte Stanislaus lebhaft, »mein Freund Jan Bukojemski sagte eben, daß er es den Wölfen nachfühlen könne – und ich, ich kann es meinem Freunde Jan Bukojemski nachfühlen.«
»Herr mein Gott! Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Psalm herzusagen: In manus tuas, domine!« In deine Hände, Herr!
Aber die fromme Frau Winnicka unterbrach sie streng: »Treibe keinen Spott mit heiligen Dingen, mein Kind!«
»Aber seht Ihr nicht, Tante, wir laufen große Gefahr, alle beide mit Haut und Haaren gefressen zu werden! Meine Herren, gesteht es nur aufrichtig ein, nicht wahr?«
Die Frage blieb jedoch unbeantwortet. Doch wenn die Lippen schwiegen, so sagten die Blicke der vier Brüder deutlich, daß sie keine große Lust verspürten, sich an dieses zweite Opfer heranzumachen.
Endlich bemerkte Lukas, der an Schalkhaftigkeit und schlagfertigem Witz seinen Brüdern überlegen war: »Jan muß für uns sprechen, er ist der Aelteste von uns.«
Johannes schien nachzudenken, dann sprach er ausweichend: »Keiner von uns weiß, was der morgige Tag ihm bescheren wird.«
»Sehr weise Worte!« stimmte Stanislaus bei. »Aber warum jetzt an Morgen denken?«
»Warum? Wißt Ihr denn nicht, daß die Liebe tausendmal gefährlicher ist als die Wölfe? Wir können wohl über hundert Wölfe totschlagen – aber niemals können wir die Liebe totschlagen.«
»Ganz gewiß nicht. Aber das ist ja nun wieder etwas ganz anderes.«
»Das tut nichts, wenn man den betreffenden Punkt nur geistvoll darstellt.«
Fräulein Siëninska legte rasch die Finger an die Lippen, um ein Lachen zu unterdrücken. Aber schon teilte ihre Lustigkeit sich Stanislaus mit, und dann den vier Brüdern. Die Unterhaltung wollte noch lebhafter werden, als eine Dienerin auf der Schwelle erschien und meldete, das Abendessen sei aufgetragen.
Cypryanowicz, der Vater, bot Frau Winnicka den Arm, Pongowski ging allein, Stanislaus folgte mit Fräulein Siëninska, und die vier Brüder bildeten den Schluß.
Lachend sagte das junge Mädchen zu ihrem Kavalier: »Es ist wirklich schwierig, mit Herrn Jan Bukojemski zu disputieren.«
»Ja, weil seine Argumente wie störrische Pferde sind; das eine zieht hott, das andere hü. Trotzdem hat er aber doch zwei unleugbare Wahrheiten vorgebracht.«
»Welches wäre die erste?«
»Daß man niemals voraussehen kann, was einem am nächsten Tage widerfahren wird. So habe ich zum Beispiel gestern noch nicht geahnt, daß meinen Augen heute die Freude beschieden sein werde, Euch zu betrachten.«
»Und welches wäre die zweite?«
»Daß es tausendmal leichter ist, einen Wolf zu töten, als die Liebe zu unterdrücken.«
Und der junge Cypryanowicz begann zu seufzen, während Fräulein Siëninska plötzlich schwieg und die Augen niederschlug.
Doch bei Tische fand sie ihre fröhliche Anmut wieder.
»Meine Herren,« fragte sie, »werdet ihr uns nicht auch einmal in Belczonka besuchen! Recht bald, ja? Mein Vormund wird sich sehr freuen, Euch seine Dankbarkeit zu bezeigen sowohl für eure tapfere Hilfeleistung, als auch für eure so herzliche Gastfreundschaft.«
Der würzige Wohlgeruch der Speisen schien allmählich die düstere Stimmung des Herrn Pongowski zu verscheuchen. Und als der Herr des Hauses nach einer schwungvollen Ansprache sein Glas geleert hatte, zuerst auf die Gesundheit der Damen und dann auf die seines »illustren Gastes« – da wandte der alte Adelsherr sich seinerseits an den Amphitryon Nach einem Molière'schen Lustspiel typische Bezeichnung für einen gastfreien Wirt. und dankte dann seinen Befreiern, daß sie ihn aus einer sehr mißlichen Lage erlöst hätten. Er würde ihnen dafür in Ewigkeit erkenntlich bleiben.
Dann unterhielt man sich von öffentlichen Dingen, vom König, von seinen Siegen, von dem auf Ende April einberufenen Reichstag, von dem Kriege, mit dem der Padischah den Kaiser bedrohte und den Hieronymus Lubomirski, der Ordensritter von Malta, vorhergesehen, denn deshalb allein warb er im ganzen Gebiet der Republik Freiwillige.
Die Brüder Bukojemski spitzten die Ohren. Die Kaiserlichen – das hörten sie mit Freuden – empfingen jeden Polen mit offenen Armen, und mit Recht, hatten sie doch vor den deutschen Reitern keinen Respekt, während die polnische Kavallerie ihnen Schrecken einflößte.
Darauf sprach Pongowski ein wenig abfällig über den allzugroßen Stolz des Ritters Lubomirski, welcher, wenn er von den Grafen und Baronen des Kaiserreichs sprach, zu sagen pflegte: »Ich stecke zehn davon in jeden meiner Handschuhe.« Dabei aber lobte er über die Maßen seine Heldentaten, seinen Mut, seine militärischen Kenntnisse.
Plötzlich erklärte Lukas Bukojemski in seinem und seiner Brüder Namen: »Sobald der Frühling kommt, werden wir alle vier uns zu dem Banner des Ritters Lubomirski gesellen. Jetzt, solange noch der strenge Frost anhält, müssen wir den Wölfen nachstellen, um die Unbill zu rächen, die sie Fräulein Siëninska zugefügt haben. Jan, der Aelteste von uns, hatte gut reden, als er uns versicherte, er könne den Wölfen die Zudringlichkeit nicht verübeln. Wenn ich bei mir denke, daß diese liebliche Taube ihnen beinahe zur Beute gefallen, dann ergreift mich der Zorn, das Mitleid treibt mir Tränen in die Augen. Und dabei sind die Felle dieser Ungetüme so sehr im Preise gesunken. Die Juden wollen für ihrer drei nicht einmal mehr einen elenden Taler geben. Doch laßt es gut sein! Ich kann vor Schluchzen nicht mehr sprechen. Beim lebendigen Gott! Wen von uns der Anblick der Unschuld und der mißhandelten Tugend nicht mehr rühren sollte, den nenne ich einen Barbaren – barbarus, sage ich – welcher es nicht mehr verdient, ein Adliger und ein Ritter genannt zu werden!«
Er sprach's, und Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Sogleich teilte seine Rührung sich den Brüdern mit; denn obwohl die Wölfe nur die Person des Fräuleins Siëninska angegriffen hatten, keineswegs aber ihre Tugend, so wirkte die Beredsamkeit des Lukas doch so ergreifend auf sie, daß ihnen das Herz wie Wachs zerschmolz.
Nach dem Abendessen wollten sie, um ihre Gefühle besser zum Ausdruck zu bringen, zur Ehre der Schönen eine Salve von Pistolenschüssen abfeuern.
Aber Cypryanowicz, der Vater, verbot es ihnen. Er hatte einen Kranken im Hause, einen seiner Waldhüter, einen Mann, den er sehr hochschätzte und dessen Ruhe nicht gestört werden dürfe.
»Ohne Zweifel ein armer Verwandter,« dachte Pongowski, »oder vielleicht einer jener Junker, die ihr Dienstverhältnis noch immer mit den Lumpen ihres Stolzes behängen.«
Dennoch glaubte er sich aus Höflichkeit nach dem Befinden des Kranken erkundigen zu sollen. Und als er erfuhr, es handle sich um einen einfachen Diener, um einen Bauern, konnte er nicht umhin, leicht mit den Achseln zu zucken. Dann sagte er im Tone hochmütiger Nachsicht:
»Ach ja, ich vergaß, was man sich von Eurer großen Menschenfreundlichkeit erzählt!«
»Möge es Gott gefallen,« versetzte Seraphin, »daß mich niemals schwererer Tadel träfe! Ich verdanke diesem braven Manne viel. Und jeder einzelne von euch, meine Herren, könnte noch sein Schuldner werden, denn niemand versteht besser als er die heilenden Eigenschaften der Pflanzen nutzbar zu machen.«
»Sonderbar! Wenn er andere heilen kann, warum fängt er nicht mit sich selbst an? Aber da fällt mir ein, schickt ihn doch mal zu Frau Winnicka, meiner hier anwesenden Base, die ist auch sehr erfahren in der Kunst, Salben und Balsame anzufertigen, Elixiere und Wundmittel. Zu zweit werden sie ihre Patienten noch schneller in eine bessere Welt expedieren. Nachdem ich dies gesagt, gestattet mir, der wohlverdienten Ruhe zu genießen. Die Mühseligkeiten des Weges haben mich zerrüttet, und Euer Wein erregt aufs merkwürdigste meinen Geist. Vielleicht geht es den Herren Bukojemski ebenso.«
Die vier Brüder machten in der Tat sanfte, verschwommene Augen und lächelten glückselig. Schwankend folgten sie Stanislaus, der sie in das Gesindehaus führte. Dort war ein Schlafgemach für sie hergerichtet worden, so daß die Gastzimmer des Herrenhauses den Damen allein überlassen blieben. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Sie wunderten sich, daß der Mond auf dem Dach der benachbarten Scheune saß und sie verspottete, statt, wie es sich gehörte, seines Weges am Himmelszelt ruhig weiterzuziehen.
Als sie in ihrem Zimmer waren, fühlten sie sich bewogen, den Liebreiz des Fräuleins Siëninska aufs neue zu preisen. Und da auch der junge Cypryanowicz keineswegs an Schlaf zu denken schien, so wurde ein Krug voll Met auf den Tisch gestellt. Alle fünf setzten sich nun im Halbkreis um den Kamin, wo der rote Schein der Kienscheite sie beleuchtete. Sie begannen zu trinken, zuerst schweigend, so daß man die Grillen in den Spalten der alten Dielen singen hörte. Endlich hob sich Johannes', des Aeltesten, Brust, in einem gewaltigen Seufzer, den er mit solcher Kraft ausstieß, daß die Flammen im Herde zitterten.
»O, Jesus,« stöhnte er, »meine vielgeliebten Brüder, beweint mein trauriges Los, denn ihr seht mich in der schmerzlichsten, in der äußersten Not.«
»So sprich. Verbirg uns nichts.«
»Ich liebe – o, ich liebe so sehr, daß es fast über meine Kräfte geht.«
»Und ich erst!« rief Lukas.
»Und ich,« erklärte Markus, »glaubst du, ich sei in einer weniger bedauernswerten Lage?«
»Und ich,« fügte Matthäus bei, als wehmütiges Echo.
Johannes öffnete den Mund, aber seine Stimme verfing sich in schrecklichem Geschluchze. Staunen erweiterte ihm die Augen. Er begann seine Brüder anzustarren, als wenn er sie zum ersten Male sähe. Dann riß der Zorn ihn hin.
»Was, ihr schlechten Söhne!« rief er. »Ihr wagt es, mir in den Weg zu treten? Mir, dem Aeltesten von euch? Ihr treibt die Frechheit soweit, mir mein Glück streitig zu machen?«
»Alles gut und schön,« protestierte Lukas, »aber stellt Fräulein Siëninska vielleicht ein Majorat dar? Erstreckt sich das Vorrecht des Aeltesten auch auf ihre Person? Wir sind alle vier von einem Vater und von einer Mutter. Uns schlechte Söhne schelten, heißt das Andenken unserer Eltern schmähen. Jeder von uns hat das Recht zu lieben.«
»Jeder hat das Recht zu lieben – außer euch, meine Kleinen – ihr schuldet mir Gehorsam und Unterwürfigkeit – obedientiam.«
»Ei freilich! Sollten wir etwa unser ganzes Leben lang einem Esel gehorchen müssen?«
»Schweig! Du lästerst wie ein gemeiner Heide.«
»Zupf dich an der eigenen Nase! Hat es Jakob nicht dem Esau zuvorgetan? Und wie war es mit Joseph, dem elften dem Alter nach? Willst du dir anmaßen, die Heilige Schrift zu korrigieren?«
Johannes wurde verwirrt. Unter dem Gewicht dieser Beweisgründe vermochte er seine Gedanken nicht mehr zu ordnen. Und als Matthäus gar auf Kain anspielte, der auch auf seine Erstgeburt gepocht hätte, da verließ ihn alle Kaltblütigkeit.
Der Zorn gärte in ihm. Mit unwillkürlicher Handbewegung suchte er seinen Säbel, der übrigens gar nicht in seinem Gürtel steckte.
Gott weiß, wohin ihr Grimm sie geführt hätte, wenn nicht Markus, der bis jetzt in tiefen Gedanken dagesessen, plötzlich mit Stentorstimme ausgerufen hätte: »Ich bin der Jüngste! Ich bin Jakob und Joseph. Mir allein gehört infolgedessen Fräulein Siëninska zu.«
Es fehlte nicht viel, so wären seine drei Brüder mit funkelnden Augen über ihn hergefallen.
»He? Was sagst du da? Sie gehöre dir zu, dir, einem Gelbschnabel, einem blöden Tropf, einem Weinschlauch, einem Hansnarren? Dir? Dir?«
»Genug – mir gehört sie zu. So steht es geschrieben!«
»Geschrieben? Wo denn, du Trunkenbold?«
»Wo? das ist einerlei. Aber geschrieben steht es! Und Trunkenbolde seid vielmehr ihr! Ihr könnt ja kaum noch geradestehen. Es ist geschrieben, sage ich euch.«
Stanislaus Cypryanowicz legte sich ins Mittel.
»Schämt ihr euch nicht, ihr Herren, euch so zu zanken, noch dazu als Brüder? Das ist eine nette Bruderliebe, das muß ich sagen. Und weshalb, großer Gott? Ist denn Fräulein Siëninska etwa ein Champignon, den der erste beste auflesen und in die Tasche stecken kann? Was macht ihr aus der Familienliebe? Muß man euch die Pelikane zum Beispiel hinstellen, welche doch weder Edelleute noch Christen sind. Eure Eltern im Himmel werden sich entsetzen, wenn sie euch sehen, das paradiesische Manna wird ihnen nicht mehr schmecken und sie werden nicht mehr den Blick zu den vier glorreichen Evangelisten zu erheben wagen, deren Namen ihr tragt.«
So sprach Stanislaus Cypryanowicz; zuerst lachte er selbst darüber, daß er sich also predigen hörte; dann ergriff es ihn wider Willen, denn er wurde immer zärtlich, wenn er getrunken hatte.
Die Brüder Bukojemski zerflossen in Tränen, und Johannes, der älteste, rief: »Beim heiligen Namen des Herrn, tötet mich, aber nennt mich nicht Kain!«
Da fiel ihm Matthäus, der ihn mit dem Mörder Abels verglichen hatte, um den Hals.
»Bruder!« stammelte er, »ich verdiene zum Tode verurteilt zu werden.«
»Vergib mir, oder ich sterbe vor Scham!« rief Lukas.
Und Markus schlug sich an die Brust.
»Ich habe wie ein gemeiner Hund gegen Gottes Gebote gebelfert!«
Und sie weinten alle und küßten sich.
Endlich rissen sie sich aus den brüderlichen Umarmungen, und Johannes ließ sich auf eine Bank fallen. Er löste die Schnüre seines Rockes, breitete das Hemd auseinander, entblößte die Brust und sprach mit von Schluchzen erschütterter Stimme: »Da! – wie der Pelikan, von dem ihr eben sprachet ... Und nähret euch von meinem Blute!«
Die andern antworteten mit dumpfen Rufen und Seufzern.
»Ja, wie der Pelikan – ein wirklicher Pelikan – und Gott vergebe uns!«
»Brüder – euch das Fräulein Siëninska!« schluchzte Johannes.
»Nein, nimm du sie, sie gehört dir zu.«
»Nicht mir, euch, euch jüngeren!«
»Niemals werden wir dieses Opfer annehmen.«
»Nun, dann zum Kuckuck mit der Schönen!«
»Ja, zum Kuckuck mit ihr!«
»Wir wollen sie nicht mehr, wir verzichten!«
Plötzlich klatschte sich Lukas mit den Händen auf die Schenkel. Die ganze Stube zitterte.
»Ich weiß einen Ausweg!« schrie er.
»Was für einen? Sprich!«
»Hört mich an! Cypryanowicz soll sie nehmen ...«
Der Einfall des Lukas entzückte die Brüder. Mit einem Satz waren sie auf den Füßen und umringten ihren Freund.
»Ja, ja, nimm du sie, Stach!«
»Das ist die einzige Weise, die Einigkeit zwischen uns herzustellen.«
»Nimm sie – aus Freundschaft zu uns!«
»Tu es – sei es auch nur, um unser brüderliches Einvernehmen zu besiegeln!«
»Und möchte Gott der Herr euch beide mit Wohltaten überhäufen,« sprach Johannes feierlich, die Augen gen Himmel erhebend, und breitete wie segnend die Arme aus.
»Bei den Wunden Christi, was schwatzt ihr da?« protestierte der junge Mann, ganz rot vor Aufregung.
Und tief in der Brust fühlte er sein Herz erbeben.
Seit zwei Jahren war er nicht aus der Waldeinsamkeit herausgekommen und konnte sich gar nicht erinnern, jemals einer so strahlenden Erscheinung begegnet zu sein. Ehemals in Brezany, wohin ihn, als er fast noch Kind war, sein Vater geschickt hatte, damit er gute Manieren erlerne, hatten ihm liebliche Gesichtchen zugelächelt. Aber die Zeit hatte seitdem diese Eindrücke in seinem Gedächtnis verwischt. Und nun erblickte er in diesen Wäldern eine auserlesene, seltene Blume, und man rief ihm zu: »Pflücke sie.«
»Bei den Wunden Christi!« wiederholte er. »Wer unter uns darf die Augen zu ihr erheben?«
Mit der Dickköpfigkeit von Betrunkenen wollten die Bukojemski gar kein Hindernis anerkennen.
»Nimm sie nur!« drang Lukas in ihn. »Wir sind dir nicht böse, wir sind nicht eifersüchtig. Nimm sie nur, sage ich dir. Wir sollten uns ja übrigens alle vier zum Militär stellen. Ach, wir haben genug von diesem elenden Beruf, königliche Wälder zu bewachen. Dreißig Taler fürs ganze Jahr! Dafür kann man sich nicht mal was zu trinken kaufen. Und daß man sich gar hübsch ausstaffieren könnte, davon ist erst gar nicht zu reden. Wir haben schon unsere Reitpferde verkaufen müssen, und wenn wir nun Wölfe jagen, müssen wir uns von dir welche borgen. Ach, das Leben geht hart um mit den Waisen. Da ist es besser, in der Schlacht die Haut zu Markte zu tragen. Nimm das Fräulein – nimm es, sage ich dir, wenn du noch ein Atom Freundschaft für uns hegst!«
»Ja, nimm sie!« setzte Johannes hinzu. »Wir andern, wir gehen nach Oesterreich, zu Lubomirski. Wir reichen den guten Kaiserlichen die Hände und fallen mit ihnen über die Heiden her!«
»Nimm sie, zaudere nicht!«
»Und gleich morgen in die Kirche!«
Cypryanowicz war plötzlich nüchtern geworden und sammelte die Gedanken.
»Freunde,« sagte er, »kommt doch zu euch! Ueberlegt doch, ich bitte euch! Kommt es denn bei all diesen schönen Projekten bloß auf euern und meinen guten Willen an? Hat das junge Mädchen selbst, hat Pan Pongowski gar nichts zu sagen? Ein so stolzer, so unfreundlicher Mann? Selbst zugegeben, Fräulein Siëninska könnte mich gut leiden, würde ihr Vormund sie nicht lieber alte Jungfer werden lassen, als sie mit einem armen Schlucker von unserer Sorte verheiraten?«
»Halt,« rief Johannes. »Ist Pan Pongowski etwa Kastellan von Krakau oder Großhetman der Krone? Wenn es uns gefällt, dich seinem Mündel würdig zu erachten, dann rate ich ihm, kein saures Gesicht dazu zu ziehen. Was? wären die Bukojemski ihm etwa zu kleine Leute? Er ist ein alter Kerl, der schon mit einem Fuß im Grabe steht. Der heilige Petrus könnte ihm vielleicht die Finger in der Pforte des Paradieses einklemmen. Er möge sich in acht nehmen! Wir brauchten nur ein Wort zum heiligen Petrus zu sprechen, so würde er für seine Vettern Partei ergreifen und diesen schlecht beratenen Herrn also zurechtweisen: »Ha, du Sohn eines Hundes, du hast mein Blut gering geachtet. Geh zum Teufel!« – Solche Worte würde der Alte dort oben hören. Aber wir selbst lassen uns, solange er lebt, nicht von ihm demütigen. Was! sollte er es wagen, uns als Bauern zu behandeln, weil das Glück uns den Rücken gekehrt hat? Ist das der Lohn dafür, daß wir dem Vaterland dienen und unser Blut opfern? O, meine Brüder, Leibeigene des guten Gottes, wir haben schon viele Schmähungen auf dieser Welt erlitten, doch noch nie eine so blutige!«
»Das ist wahr!« brüllten zugleich Lukas, Markus und Matthäus.
Und von neuem rannen ihnen Tränen übers Gesicht.
Doch als diese getrocknet waren, begannen sie in Empörung zu geraten, denn es schien ihnen unmöglich, eine solche Kränkung ungerächt hinzunehmen.
Markus, der aufbrausendste unter ihnen, rief: »Wir können ihn aber nicht auf Säbel fordern – einen Greis obendrein einen Einarm! Dennoch verdient sein Hochmut Züchtigung. Wie sollen wir ihn bestrafen? Sinnt auf ein Mittel!«
»Meine Füße sind im Schnee zu Eis geworden,« ächzte Lukas, »und jetzt brennen sie wie Feuer. Wenn ich darunter nicht sehr litte, würde ich gleich Rat wissen.«
»Bei mir brennen nicht die Füße, sondern der Kopf.«
»Ach was! Wollt ihr mir sagen, wie man antworten muß?«
»Antworten? Wem denn?« fragte Cypryanowicz dazwischen.
»Donnerwetter, dem Pongowski!«
»Und worauf sollen wir ihm antworten?«
»Wie? – na, auf die – auf das –«
Und die Brüder Bukojemski tauschten verblüffte Blicke aus und wandten sich plötzlich an Markus.
»Na, Schwerenot, was willst du denn überhaupt von uns?«
»Verdammt! danach habe ich euch zu fragen!«
»Genug!« entschied Cypryanowicz. »Die Sitzung wird auf morgen vertagt. Der Kamin brennt aus. Es hat längst Mitternacht geschlagen. Unsere Betten erwarten uns, und nach einem Tag in Sturm und Schnee haben wir die Ruhe ehrlich verdient.«
Im tiefen Ofen erlosch tatsächlich die Flamme; Finsternis erfüllte allmählich das Zimmer. Daher lehnten die Brüder Bukojemski sich nicht gegen diesen Rat auf. Noch ein paar Augenblicke schleppte die Unterhaltung sich hin. Dann hörte man nur noch die leise gesprochenen Abendgebete, die hin und wieder von Seufzern unterbrochen wurden.
Die schwarz gewordenen Holzscheite waren von Asche überzogen; von Zeit zu Zeit brach ein verbranntes Stück krachend zusammen. Die Grillen begannen wieder ihren Gesang.
In der Dunkelheit hallte der Fußboden wider von dem Lärm der hingeschleuderten Stiefel. Ein kurzes Schweigen, und die vier Schlingel schnarchten fürchterlich.
Nur der junge Cypryanowicz war noch wach. Wie ein Schwarm Bienen um eine Blume, kreisten seine Gedanken summend um Fräulein Siëninska.
Er schloß die Lider, in der Hoffnung einzuschlafen. Vergebliche Mühe.
»Ich will lieber gehen und schauen, ob in ihrem Fenster noch Licht ist,« dachte er.
Er ging hinaus.
Aber das Fenster des Fräuleins Siëninska war nur noch vom Mondlicht erhellt.
»Weißt du wohl, man hat uns zusammengegeben,« murmelte Stanislaus.
Pan Cypryanowicz, der Vater, hielt auf die Traditionen der alten Zeit, aber nicht nur ihnen paßte er sich an, sondern er gehorchte eigentlich mehr der ihm innewohnenden Gastlichkeit, als er alles aufbot, seine Gäste noch länger bei sich zu behalten. Er ging soweit, vor Frau Winnicka das Knie zu beugen, eine Stellung, die einem alten Herrn, der an der Gicht litt, sehr unbequem sein mußte. Aber es half alles nichts. Pongowski bestand darauf, vor Mittag aufzubrechen, indem er angab, er erwarte den Besuch sehr hochstehender Herren. Was sollte man dagegen sagen? Zu der von ihm festgesetzten Stunde fand daher die Abfahrt statt.
Es war ein prachtvoller Wintermorgen. Die Pferde trabten flott dahin, und man sah ihre Muskeln unter der Haut spielen. Mit metallischem Knirschen glitten die Schlittenkufen über den hartgefrorenen Schnee hin. In den Strahlen der Sonne funkelten die Eiszapfen, die an den Zweigen hingen, blitzte der Schnee, der die Ebene bedeckte.
An dem Kutschenschlag, bald zur Rechten, bald zur Linken, erschien das Gesicht des Fräuleins Siëninska mit lachenden Augen, und die kleine niedliche Nase war von der Kälte leicht gerötet. Es glich einem köstlichen eingerahmten Pastellbilde.
Gleich einer Königstochter hatte sie um ihre Kalesche her eine Leibgarde – Stanislaus Cypryanowicz und die vier Brüder Bukojemski, die Leute ihres Vormunds gar nicht zu rechnen. Die fünf Kavaliere ritten auf strammen Gäulen aus dem Stalle von Jedlinka, denn die eignen Pferde hatten sie mitsamt den wertvollen Waffen teils verkauft, teils verpfändet. Sie hielten zu beiden Seiten, manchmal auch sprengten sie im Galopp voraus, daß Klumpen des festen Schnees wie Steine in die Luft sausten.
Ohne Zweifel hätte Pongowski sehr gern auf das Ehrengeleit verzichtet, das man ihm aufgedrängt hatte. Bei hellem Tage war der Weg sicher und kein Ueberfall von Wölfen zu befürchten. Aber die jungen Leute hatten es sich in den Kopf gesetzt, die Damen zurückzugeleiten. Höflichkeit gegen Höflichkeit! Und so blieb ihm nichts weiter übrig, als die Begleiter aufzufordern, sich in Belczonka auszuruhen.
Auch der alte Herr Cypryanowicz versprach ihm, einen Besuch zu machen, doch erst nach einiger Zeit, denn einem älteren Herrn fällt es immer schwer, aus seinen vier Pfählen herauszugehen.
Die Kavaliere wetteiferten in Reiterkunststückchen, und die Fahrt bedünkte sie nur zu kurz. Dennoch mußte man die Pferde zu Atem kommen lassen. Man machte halbwegs Rast, obwohl das erbärmliche Gasthaus, neben welchem ein Schuppen und eine Schmiede lagen, den häßlichen Namen »Zum Hinterhalt« führte.
Draußen beschlug der Schmied ein Pferd. Einige Schlitten standen vor der Herberge, bespannt mit räudigen Pferden, die den Schwanz hängen ließen und den Kopf in den Hafersack senkten. In respektvoller Entfernung umringten die Leute neugierig den vornehmen Wagen. Es waren meistens Töpfer aus dem benachbarten Dorfe, die sich den Winter zunutze machten, um ihre Ware auf den Märkten zu vertreiben. Sie meinten, in einer von so vielen Edelleuten umgebenen Kutsche müsse ein hoher Würdenträger reisen, und deshalb nahmen sie trotz der Kälte die Mütze ab und sperrten schaulustig die Augen auf.
Ohne auszusteigen, schickten die Reisenden einen ihrer Diener in die Herberge, um ein Glas heißen Weines zu holen. Aber Pan Pongowski gab sich gern leutselig und gestattete den Bauern heranzutreten. Er ließ sich sogar herab, Fragen an sie zu richten. Woher sie kämen? Wohin sie gingen? Ob die Wölfe ihnen nicht viel zu schaffen machten?
»Nicht doch, gnädigster Herr,« versicherte der Sprecher der Schar, »wir reisen gewöhnlich alle zusammen und nur bei Tage. Wenn wir noch andre zufällig treffen und unsere Zahl sich gegen Abend vergrößert hat, dann wagen wir es auch einmal, über Nacht zu reisen. Aber das geschieht sehr selten, obwohl wir mit tüchtigen Knütteln bewaffnet sind.«
»Habt also keinen Toten zu beklagen?«
»Doch, doch, gnädigster Herr. Die Wölfe haben einen Juden mit Haut und Haar verschlungen. Er handelte jedenfalls mit Gänsen. Das haben uns die Federn bezeugt, die wir auf dem Wege liegen sahen, neben seinen Gebeinen und den Knochen seiner Mähre. Daß er ein Jude war, das haben wir an seiner Mütze erkannt. Und das ist noch nicht alles, Euer Gnaden. Heute morgen ist hier ein Edelmann angekommen, der die Nacht auf einer Kiefer hockend verbracht hat. Die Wölfe hatten sein Pferd gefressen. Der Unglückliche ist so steif gefroren, daß er kein Wort sprechen kann. Jetzt schläft er.«
»Wie heißt er denn?« fragte Pongowski lebhaft. »Hat er Euch nicht gesagt, woher er kommt?«
»Nein, gnädigster Herr. Sobald er wieder sprechen konnte, ließ er sich ein Glas Warmbier machen, leerte es auf einen Zug und fiel dann auf die Bank zurück.«
Pongowski wandte sich an seine Freunde.
»Mich dünkt, dem müssen wir zu Hilfe kommen. Sollten wir diesen Ritter ohne Roß hier so im Stich lassen? Einer meiner Diener soll das Pferd an ihn abtreten. Wir haben es mit einem Herrn vom Adel zu tun. Vielleicht hat er eine weite Reise gemacht.«
»Und er muß es eilig gehabt haben heimzukommen,« meinte Cypryanowicz junior, »da er trotz aller Gefahren die Nacht über gereist ist, obendrein ganz allein. Ich will gleich mal hingehen, ihn aufwecken und mich erkundigen.«
Doch das war nicht nötig, denn im selben Augenblick erschien der Diener auf der Schwelle der Herberge, mit ausgestreckten Armen ein Tablett tragend, auf welchem dichtgedrängt Becher voll dampfenden Weines standen. Als er am Kutschenschlag stand, meldete er:
»Pan Taczewski ist hier, wenn Euer Gnaden geruhen wollen, davon Kenntnis zu nehmen.«
»Pan Taczewski? Was zum Teufel hat er in dieser Gegend zu schaffen?«
»Pan Taczewski?« murmelte Fräulein Siëninska.
»Er selbst,« fuhr der Diener fort. »Und er wird nicht zögern zu erscheinen. Nur rasch ein wenig Toilette machen will er. Schon hätte nicht viel gefehlt, daß er mich über den Haufen rannte mitsamt meinem Tablett voll Wein, so sehr schien ihn die Nachricht von der Anwesenheit Eurer Gnaden, hier mitten im Walde, aus der Fassung zu bringen.«
»Du bist gar nicht um deine Meinung gefragt worden,« brummte Pan Pongowski.
Auf diese barsche Zurechtweisung hin verstummte der Redeschwall des Dieners. Sein Herr nahm eines der Gläser, tat ein paar Züge und glaubte dann, indem er sich an Cypryanowicz wandte, noch immer verdrießlichen Tones, erklären zu müssen: »Es ist ein Nachbar von uns – ein unbesonnener Mensch, meiner Treu! – einer von jenen Taczewskis, wissen Sie, die ehemals –«
Das Erscheinen des Mannes machte den Erörterungen rasch ein Ende. Er trat mit hastigen Schritten heran und schien ein wenig verwirrt. Es war ein junger Mann von mittlerem Wuchs, mit schönen, schwarzen Augen, aber hager und trocken wie eine Distel. Er trug eine Mütze, die zum mindesten aus der Zeit des Königs Bathory 1522-86. Die Erzählung spielt 1683. stammte, und war mit einer prall anliegenden Jacke aus grauem Tuch bekleidet, welche mit Schaffell abgefüttert war. Er hatte schwedische Stiefel an, die ihm bis hoch an die Schenkel reichten und sicherlich in den Tagen Johann Kasimirs 1648-68. einem Reiter geraubt worden waren. Jedenfalls waren sie aus Mangel an anderm Schuhwerk aus der Rumpelkammer hervorgeholt worden, denn man hätte in der ganzen Republik von einem Ende zum andern vergebens nach einem zweiten Adeligen mit so absonderlichen und riesigen Stiefeln gesucht.
Während der Ankömmling auf die Kutsche zuschritt, blickte er verstohlen bald auf Pan Pongowski, bald auf dessen Mündel. Sein Lächeln ließ zwei Reihen weißer Zähne sehen, doch schien dieses Lächeln traurig und gezwungen.
»Welch glücklicher Zufall,« begann er, wobei er die Mütze abnahm und sich tief verneigte, »daß ich Euer Gnaden in so vorzüglichem Wohlbefinden treffe – denn die Wege sind gefährlich. Ich kann ein Liedchen davon singen.«
»Bedeckt Euch, Ihr könntet Euch sonst die Ohren erfrieren,« unterbrach Pongowski ihn in barschem Tone. »Vielen Dank für Eure gütige Nachfrage. Was habt Ihr in diesen Wäldern zu suchen?«
Taczewski hob die glühenden Augen zu dem jungen Mädchen, als wollte er zu ihr sagen: »Du errätst das gewiß –« allein sie schien ganz damit beschäftigt zu sein, die Bänder ihrer Kapuze zu einer neuen Schleife zu schlingen. Da versetzte er in hartem Tone: »Ich hatte mal Lust, den Mond über dem Walde segeln zu sehen.«
»Ein nettes Gelüste! Und die Wölfe haben sich das zunutze gemacht und Euer Pferd zerrissen.«
»Es war gestürzt. Die Wölfe wollten sich auf das arme Tier werfen, doch mochte ich es nicht lange unter ihren Zähnen leiden lassen. So stach ich es tot.«
»Das haben wir schon gehört. Wir wissen auch, Ihr habt die Nacht auf einem Aste verbracht, wie eine Krähe.«
Bei diesen Worten brachen die vier Brüder Bukojemski in ein so dröhnendes Gelächter aus, daß die vier Pferde sich jäh auf den Hinterbeinen aufrichteten.
Aber Taczewski wandte sich gegen sie und maß sie mit einem eisigen, schneidenden Blick.
»Nein, Pan,« sagte er, sich an Pongowski wendend, »nicht wie eine Krähe, sondern wie ein Edelmann, der das Unglück hatte, sein Pferd zu verlieren. Uebrigens ist es wohl Euch gestattet, das Abenteuer spaßhaft zu finden, aber jeder andere möge sich in acht nehmen! Es könnte ihm schlecht bekommen.«
»Oho! Oho!« knurrten die Herren Bukojemski. Ihre Gesichter nahmen plötzlich einen finstern Ausdruck an, ihre langen Schnurrbärte zitterten, sie trieben ihre Pferde vorwärts, wie um an den Ankömmling heranzureiten.
Erhobnen Hauptes warf Taczewski ihnen noch immer herausfordernde Blicke zu.