Die Witwe – Wem kann sie noch trauen? - Ruth Newman - E-Book
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Die Witwe – Wem kann sie noch trauen? E-Book

Ruth Newman

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Beschreibung

Für die Wahrheit setzt sie alles aufs Spiel: Der packende Thriller »Die Witwe – Wem kann sie noch trauen?« von Ruth Newman als eBook bei dotbooks. Als ihr Mann Charlie bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, bricht für Kate eine Welt zusammen. Ein Jahr später versucht sie immer noch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen – doch als sie auf den Urlaubsfotos von Freunden einen Mann entdeckt, der Charlie zum Verwechseln ähnlich sieht, verwandelt sich ihre Trauer in eine verzweifelte Hoffnung: Ist ihr Mann doch noch am Leben? Kurzentschlossen reist Kate nach Miami, um dort nach Hinweisen auf seinen Verbleib zu suchen. Aber je weiter sie ihre Ermittlungen vorantreibt, desto mehr gerät sie in das Visier eines gefährlichen Mafia-Clans, der sie um jeden Preis zum Schweigen bringen will. Ist Charlie in deren dunkle Machenschaften verwickelt? Eine gefährliche Jagd durch Miami beginnt … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der rasante Thriller »Die Witwe – Wem kann sie noch trauen?« von Ruth Newman wird alle Fans der Bestseller von Sandra Brown und Lisa Jackson begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 545

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Über dieses Buch:

Als ihr Mann Charlie bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, bricht für Kate eine Welt zusammen. Ein Jahr später versucht sie immer noch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen – doch als sie auf den Urlaubsfotos von Freunden einen Mann entdeckt, der Charlie zum Verwechseln ähnlich sieht, verwandelt sich ihre Trauer in eine verzweifelte Hoffnung: Ist ihr Mann doch noch am Leben? Kurzentschlossen reist Kate nach Miami, um dort nach Hinweisen auf seinen Verbleib zu suchen. Aber je weiter sie ihre Ermittlungen vorantreibt, desto mehr gerät sie in das Visier eines gefährlichen Mafia-Clans, der sie um jeden Preis zum Schweigen bringen will. Ist Charlie in deren dunkle Machenschaften verwickelt? Eine gefährliche Jagd durch Miami beginnt …

Über die Autorin:

Ruth Newman ist in Reading geboren und in London aufgewachsen. In Cambridge studierte sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychologie und arbeitet dort heute als Online-Redakteurin für die University Business School. In ihrer Freizeit schreibt sie liebend gerne packende Thriller.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Thriller »Die Witwer – Wem kann sie noch trauen?« und »Der Cambridge-Killer«.

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2023

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2010 unter dem Originaltitel »The Company of Shadows« bei Simon & Schuster, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Und du bist tot« im Goldmann Verlag.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2010 by Ruth Newman

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2011 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design uter Verwendung von shutterstock/Jonathan G, Evannovostro, gan chaonan, Tonra Stepunina

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-887-4

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Ruth Newman

Die Witwe – Wem kann sie noch trauen?

Roman

Aus dem Englischen von Susanne Engelhardt

dotbooks.

Für Sylvia und Brett Van Toen

Zwei Menschen haben aus mir eine Schriftstellerin gemacht. Einer hat mir das Lesen beigebracht; beide haben mir das Lesen beigebracht. Also danke für den endlosen Nachschub an Büchern, für die Schreibmaschine, gefolgt von der elektrischen Schreibmaschine und dem Amstrad; und für die Erkenntnis, dass »man in Büchern an andere Orte kommt, obwohl man zu Hause bleiben muss«.

Mum, ich danke dir auch für das beerenverschmierte Händeschütteln, dafür, dass du diesen Haarschnitt meines Bruders zugelassen hast, für Redgate und Bluegate und für den Mandeer, dafür, dass du mit diesem Brief in der Hand am Schultor auf mich gewartet hast und dass du rückwärts die Wasserrutsche runtergerutscht bist (ich weiß, du behauptest immer noch, es wäre keine Absicht gewesen), dafür, dass du eine Ein-Frau-PR-Unit bist, und für dein skrupelloses Vorgehen in allen Buchläden landauf, landab. Jeder behauptet, seine Mutter wäre die beste aller Mütter, aber meine würde gegen jede andere gewinnen.

Brett, dir danke ich auch dafür, dass du immer bereit warst, mir Dinge beizubringen und zu erklären – wie man Schach oder Manic Miner spielt; wie man Vögel erkennt oder auch, was sich unter der Motorhaube meines Autos befindet. Für die Fahrten auf der Goldwing und die Spaziergänge im Epping Forest. Aber nicht für den Spinat auf Toastbrot.

TEIL I

Miami

KAPITEL 1

Letzte Nacht habe ich geträumt, ich sei wieder im Mandalay. Nicht in dem schönen alten Landhaus aus Daphne du Mauriers Roman Rebecca, sondern in dem sehr viel moderneren und pompöseren Mandalay Bay Hotel in Las Vegas. Das Hotel, in dem Charlie und ich unsere Flitterwochen verbracht haben.

Wie es scheint, träume ich fast jede Nacht von Charlie. Manchmal sind es schöne Träume, so wie dieser. Wir sitzen am Pokertisch, verlieren Geld und lachen. Der Trauring an meinem Finger glänzt, so neu ist er. Das Hotel erfährt von der Neuigkeit und überlässt uns eine ihrer Honeymoon-Suiten. In dem Traum kann ich sein Aftershave riechen und fühlen, wie heiß seine Haut unter meinen Fingerspitzen ist.

In anderen Nächten träume ich von dem Tag, als er verschwand. In diesem Alptraum habe ich immer noch den Geruch aus dem Zitronenhain in der Nase, wenn ich mit klopfendem Herzen erwache. Und in so mancher Nacht quält mich mein Unterbewusstsein im Traum auch mit dem verwesenden Leichnam.

Sogar diese Träume hinterlassen bei mir eine seltsame Zufriedenheit, die dann den Großteil des Vormittags anhält. Bedeuten sie doch, dass ich ihn nicht vergesse. Sie bedeuten, dass er immer in meinen Gedanken ist, immer.

Am Morgen riss mich die Türklingel aus dem Las-Vegas-Traum. Gerade hatte ich noch unter den Satinlaken des goldenen Honeymoon-Betts in Charlies Armen gelegen, während die Sonne durchs Fenster schien, um mich im nächsten Moment allein in meiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Islington wiederzufinden. Ich brauchte eine Weile, um mich zu orientieren, um zu begreifen, warum ich wach war. Wieder klingelte es. Ich schwang mich aus dem Doppelbett und warf meinen Bademantel über, stinksauer auf denjenigen, der mich aus diesem Traum gerissen hatte, und das ausgerechnet heute.

Ein kleiner Mann lugte hinter einem großen Blumenstrauß hervor, als ich die Tür aufriss.

»Blumen für Kate Grey?«

Weiße Rosen und große rote Blumen, die ich nicht kannte. »Von wem sind die?«

»Eine Karte ist dabei, Miss. Könnten Sie bitte hier unterschreiben?«

Als ich wieder allein in der Wohnung war, riss ich den Umschlag auf. Meine Hände zitterten wie die eines nervösen Ansagers bei der Oscar-Verleihung. Der Tag, an dem Charlie gestorben war, lag genau ein Jahr zurück, und ich hielt noch immer Ausschau nach Hinweisen.

Für Kate. Ich weiß, dass heute ein schwerer Tag für dich ist. Für mich auch. Ich wollte dich bloß wissen lassen, dass ich an dich denke und dass ich heute Abend Zeit habe, falls du Gesellschaft brauchst. Alles Liebe, Luke.

Einen kurzen Moment lang war ich enttäuscht, dann musste ich lachen. Was hatte ich denn erwartet? Etwa eine rätselhafte Nachricht von Charlie – eine Nachricht von einem Toten? Warte auf mich, Liebling, ich bin gar nicht weit weg ...

Es war lieb von Luke, an mich zu denken. Mir war klar, dass auch ich an ihn hätte denken müssen. Ich hatte Charlie nur zwei Jahre gehabt; Luke aber war mit ihm aufgewachsen.

Ich musste nicht zur Arbeit. Genau genommen hatte ich seit Charlies Tod gar nicht mehr gearbeitet; mein Arzt hatte mich für mehrere Monate krankgeschrieben, und dann war das Geld von der Lebensversicherung eingetroffen, und mir war klargeworden, dass es ausreichen würde, um ein paar Jahre davon zu leben. Das bedeutete, dass ich der Umwelt noch nicht wieder gegenübertreten musste, dass ich weiter in meinen Erinnerungen an Charlie schwelgen und versuchen konnte, mit meinem Verlust klarzukommen.

Nach dem Mittagessen kaufte ich bei einem Floristen Sonnenblumen und fuhr zum Friedhof in Highgate. Charlies Grabstein war schlicht, die Aufschrift darauf kurz und knapp. Es standen nur sein Geburtsdatum und der Todestag knappe vierunddreißig Jahre später darauf sowie die Worte Watching the slow door. Wenn jemand danach fragte, sagte ich nur, dass sie aus einem Gedicht stammten. Sollten die Leute doch selber entscheiden, ob sie es nachschlagen wollten.

Die Beerdigung hatte ich damals nur schwer durchgestanden. Sie hatte einen Monat nach Charlies Tod stattgefunden, weshalb ich nicht den Vorteil der frisch Trauernden hatte: wie betäubt zu sein. Bei den meisten Trauergästen handelte es sich um Freunde und Kollegen von uns; Charlies Eltern waren tot, er hatte keine Geschwister, und die wenigen entfernten Verwandten, die Luke hatte auftreiben können, schienen nicht bereit zu sein, Hunderte von Dollar für einen Flug auszugeben, nur um einen Sarg in der Erde verschwinden zu sehen. Ich hatte mich mit meinen Eltern überworfen, als ich noch ein Teenager war, und wir hielten nach wie vor Abstand zueinander. Ich wusste, dass sie von Charlies Tod und der Beerdigung erfahren hatten, aber sie meldeten sich nicht bei mir, und sie schickten auch keine Blumen. Es war mir egal. Zu diesem Zeitpunkt war mir so ziemlich alles egal.

Ich tauschte die vertrockneten Blumen in der Vase gegen die Sonnenblumen aus. Die spätnachmittägliche Augustsonne brachte die Blütenblätter zum Leuchten. Ich setzte mich im Schneidersitz vor Charlies Grab und streichelte über den Grabstein aus Granit. Ein Mann, der mit seinem Hund spazieren ging, kam vorbei und sah mich aus dem Augenwinkel an. Als sich unsere Blicke kreuzten, tippte er mit dem Finger an seine Schirmmütze und nickte grüßend.

»Ich habe heute Nacht vom Mandalay Bay geträumt«, sagte ich und fuhr mit den Fingerspitzen seinen Namen nach, der in den Grabstein gemeißelt war. Ich rede ständig mit Charlie, aber meist nur in Gedanken. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass es eine Sondergenehmigung dafür gibt, laut mit seinem toten Ehemann zu sprechen, wenn man an seinem Grab sitzt. Deshalb gilt man noch lange nicht als Bekloppter.

»Ich hab davon geträumt, dass ich wieder mit dir zusammen war. Erinnerst du dich noch daran, wie wir in die Wüste gefahren sind und zu den Sternen aufgeblickt haben?« Am Wüstenhimmel schien es viel mehr Sterne zu geben, die in der Dunkelheit aufblitzten wie entfernte Leuchttürme. »Erinnerst du dich noch an die Frau in der Hochzeitskapelle, die unsere Daten aufgenommen hat?« Mindestens achtzig war sie gewesen, und genauso viele Pfunde hatte sie auch zu viel auf den Rippen gehabt. Sie hatte eine dicke Schicht Make-up und Puder getragen, und ihre Augen hatten wie Spinnen ausgesehen, so dick war die Wimperntusche. Na, ihr zwei Turteltäubchen, hatte sie gesagt. Seid ihr hier, um die Sache offiziell zu machen? Hoffentlich hattet ihr nicht zu viele Piña Coladas. Wir waren nicht einmal angesäuselt. Das war es nicht, warum wir uns entschlossen hatten, den Bund fürs Leben einzugehen, obwohl wir uns erst seit drei Tagen kannten.

Ein paar Regentropfen ließen kleine Staubwolken von der trockenen Erde auf Charlies Grab aufwirbeln. Ich blieb noch eine Weile sitzen.

Samantha brüllte: »Ich komme!« durch die massive Haustür, und ich hörte sie die Holztreppe heruntereilen. Sie riss die Tür auf, ihre goldblonden Locken flogen, und sie umarmte mich zur Begrüßung.

»Wow, wie braun du bist«, sagte ich.

Sie drehte sich um die eigene Achse. »Nicht schlecht, was? Aber wir sind auch erst vorgestern zurückgekommen, und bald bin ich wieder blass.«

Hinter ihr tauchte David auf, auch er beneidenswert braun. »Hi, Kate. Lässt du sie jetzt mal rein, Sam, oder muss sie dich noch länger bewundern?«

Angeregt durch ihren Besuch in Miami, hatte Samantha sich für ein scharf gewürztes Abendessen entschieden. Während wir Burritos verspeisten, erzählte sie mir von Davids neuem Kollegen in der Anwaltskanzlei.

»Er ist echt hübsch, oder, Dave?«

David verdrehte die Augen. »Keine Ahnung. Wenn du meinst.«

»Doch, ist er. Und mit seiner Karriere läuft es anscheinend auch nicht schlecht, sonst würde er ja nicht in die Kanzlei mit einsteigen, obwohl er noch keine vierzig ist. Er ist ziemlich lustig, und er steht auf gefährliche Sportarten. Ihr zwei habt also was gemeinsam.«

»Sam, er hat vor vier Jahren einmal zusammen mit jemandem einen Fallschirmsprung gemacht«, protestierte David. »Nicht gerade Evel Knievel.« Amüsiert sah ich David an, und sein Mund formte ein »Sorry«.

»Also, wie wär’s?«, drängte Samantha.

Ich schüttelte den Kopf und drehte an meinem Ehering. »Kommt nicht in Frage.«

»Kate ... wie lange ist das jetzt her – über ein Jahr?«

»Heute auf den Tag ein Jahr, um genau zu sein.«

»Und den Ehering trägst du immer noch«, sagte sie. Die Tatsache, dass sich Charlies Todestag heute jährte, wie ich gerade erwähnt hatte, schien sie gar nicht registriert zu haben. »Du hast noch nicht mal einen anderen Mann angesehen.«

Ich bemerkte, wie David auf der anderen Tischseite warnend den Kopf schüttelte.

»Ich bin verheiratet, Samantha«, sagte ich.

»Aber was hast du denn vor, willst du etwa den Rest deines Lebens nie wieder eine Beziehung haben?«

Ich starrte sie an. »Ich bin verheiratet.«

Ein Schweigen folgte, und dann begann David, den Tisch abzuräumen. »Als Nachtisch gibt es einen Schokoladenkuchen«, sagte er. »Und dazu Eis von Ben und Jerry’s. Wie wär’s, wenn du die Fotos holst, Sam, und wir lenken Kate mit dem Nachtisch ab, während wir sie zwingen, unsere langweiligen Urlaubsbilder anzusehen?«

Die Fotos hatten alle das Standardformat 13 x 18 und schwankten in der Qualität, je nachdem, ob David oder Samantha sie gemacht hatte. Ihre waren alle sehr scharf und nett kadriert. Seine waren geradezu lächerlich, fast alle waren aus einem schlechten Winkel aufgenommen oder bestanden zum Großteil aus seinem Daumen. Mein Lieblingsfoto zeigte Samantha im Sea World neben einem Delfin. Man sah den ganzen Delfin – genau genommen sah man noch mehr als einen Meter links von ihm –, aber Samantha war nur zur Hälfte drauf, und zwar genau zur Hälfte.

»Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen«, sagte Samantha, als sie es mir reichte. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu lachen, denn ich wusste, dass David empfindlich war, was seine Unfähigkeit in Sachen Fotografieren anging. Ich reichte ihm das Foto weiter, und er sortierte es sorgfältig in der richtigen Reihenfolge mit den schon angesehenen ein.

»Und da sind wir in dem tollen Restaurant in South Beach, wo wir am letzten Abend der Reise gegessen haben«, sagte Samantha und reichte mir ein Foto von einer türkis gestrichenen Hausfront, die mit bunten Lichtern behängt war. »Es wird von einer Familie geführt, die in den sechziger Jahren aus Kuba geflohen ist. Anscheinend haben sie es schon eine ganze Weile, und bei den Einheimischen ist es sehr beliebt. Es heißt El Cangrejo Dorado – die Goldene Krabbe.« Noch ein Foto von der türkisblauen Mauer; dieses Mal stand Samantha in einem Sarong und einem weißen Shirt davor und deutete lachend auf das Schild, auf dem El Cangrejo Dorado stand, obwohl nur die Buchstaben El Cangrej auf dem Foto zu sehen waren. Wieder biss ich mir auf die Lippe.

»Drinnen war es echt nett«, sagte sie. »Die Säulen sind mit Jasmin umrankt, und es duftet himmlisch. Wir haben da wirklich tolle Meeresfrüchte gegessen – und die besten Mojitos unseres Lebens getrunken.«

Sie reichte mir ein anderes Foto, das vielleicht einer der Kellner gemacht hatte, denn darauf waren Samantha und David an ihrem Tisch zu sehen. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und grinsten in die Kamera. Ich suchte den Rest des Fotos nach den jasminumrankten Säulen ab, und was ich sah, ließ die Zeit stillstehen.

»Der Kellner hat das Foto gemacht«, erklärte Samantha gerade. Ich dachte, mein Herz hätte aufgehört zu schlagen. Ich atmete nicht. Sie redeten weiter und bewegten sich um mich herum, während ich wie gebannt dasaß und das Foto anstarrte.

»Das ist er«, wollte ich sagen, aber mir fehlte die Luft, um es auszusprechen. Samantha versuchte, mir das nächste Foto zu reichen. David hatte meinen Gesichtsausdruck bemerkt und fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Es gelang mir, nach Luft zu schnappen, und ich spürte, wie mein Herz einen Hüpfer machte und weiterschlug.

»Das ist er«, sagte ich laut und sah auf den Mann im Hintergrund des Fotos, das vertraute dunkle Haar, die vertrauten blauen Augen, das vertraute Lächeln.

»Das ist Charlie.«

KAPITEL 2

Wortlos starrte ich das Bild an. Das Foto zitterte so stark in meinen Händen, dass ich es auf den Tisch legen musste. Als ich aufstand und mich darüberbeugte, um es genauer zu betrachten, stieß ich aus Versehen meinen Stuhl um, und Samantha zuckte zusammen.

»Kate?«, fragte sie. Sie klang erschrocken.

Das konnte nicht Charlie sein. Unmöglich. Er lag doch unter zwei Metern Erde auf einem Friedhof im Norden Londons. Ich verwahrte seinen Totenschein in einem Ordner auf der Ablage, wo er immer seine Kaffeetasse hingestellt hatte. Aber als ich das Foto betrachtete, sah ich meinen Mann.

»Kate, das kann nicht Charlie sein, wir haben das Foto doch erst vor einer Woche gemacht«, sagte David und legte mir eine Hand auf den Arm. Er wollte nach dem Foto greifen, um es mir wegzunehmen, doch ich hielt meine Fingerspitzen darauf gedrückt.

»Ich geb’s dir ja zurück«, versprach er. Widerstrebend gab ich nach, ließ ihn das Foto nehmen und sich nahe vors Gesicht halten. Er runzelte die Stirn, als er es prüfend ansah, und zuckte schließlich die Achseln. »Ich gebe zu, dass er Charlie verdammt ähnlich sieht. Aber trotzdem ist er es nicht.«

Ich riss ihm das Bild aus der Hand. »Sieh doch nur, wie er lächelt. Das ist Charlies Lächeln! Und sieh dir an, wie er das Bier hält! Himmel, David, das ist er, wie er leibt und lebt.«

»Ich könnte mir vorstellen, dass eine Menge Leute in diesem Teil der Staaten aussehen wie Charlie, wenn sie leicht verschwommen und aus zwei Metern Entfernung aufgenommen werden. Pass auf, lass es uns am PC anschauen. Du brauchst nur ein paar Einzelheiten mehr, dann fallen dir die Unterschiede sicher auf.«

»David«, mischte sich Samantha ein, und ihre Stimme klang warnend.

»Schon gut, Sam«, sagte er. »Kate braucht das zu ihrer Beruhigung, und dann setzen wir uns hin und essen den Nachtisch.«

Er ging mir voran in den Raum, in dem sie ein provisorisches Arbeitszimmer eingerichtet hatten. Er warf den Computer an, und Windows fing an zu laden. Samantha stand neben mir und sah mich besorgt an. Ich lächelte ihr halbherzig zu und versuchte sie davon zu überzeugen, dass sie die Kerle in den weißen Kitteln nicht rufen musste.

David machte einen Doppelklick auf das Icon der Foto-Software. Als diese aufgegangen war, klickte er den Ordner Miami an und scrollte bis zu dem Foto. Es nahm nur wenige Zentimeter auf dem Bildschirm ein. Er klickte es an, sodass das Foto den ganzen Monitor ausfüllte, dann zoomte er den Mann im Hintergrund heran. Ich wartete und merkte, dass ich den Atem anhielt.

Charlies Gesicht nahm den gesamten Bildschirm ein. Er lächelte über etwas, das der Mann ihm gegenüber sagte, und er hatte die Finger um den Hals einer Bierflasche gelegt, als wolle er im nächsten Moment einen weiteren Schluck trinken. Ich kannte diese Finger, und ich kannte dieses Lächeln. Wenn es sich um einen Film statt um ein Foto gehandelt hätte, dann hätte ich mit absoluter Sicherheit voraussagen können, wie die Bierflasche an seine Lippen wandern, wie sein Adamsapfel beim Trinken hüpfen und wie er die Flasche zurück auf den Tisch stellen würde.

Wir alle starrten auf den Bildschirm, sprachlos vor Staunen.

»Nun, äh ...«, sagte David, dessen Plan nach hinten losgegangen war. »Sein Haar ist zu kurz. Und ich weiß ja, dass Charlie regelmäßig ins Fitness gegangen ist, aber dieser Kerl sieht aus, als sollte er demnächst auf dem Titelblatt von Men‘s Health erscheinen.«

Ich langte über seine Schulter und klickte mehrmals auf das Zeichen für Schnelldruck. Ihr Drucker erwachte zum Leben. Während die Seiten herauskamen, schob ich David aus dem Weg und ging die restlichen Fotos durch, doch es gab kein weiteres von dem Mann, der aussah wie mein toter Gatte. Tatsächlich wirkte es so, als habe er seinen Tisch kurz nach dem ersten Foto verlassen. Um ganz sicherzugehen, schickte ich das Foto als E-Mail-Anhang an mich selbst.

»Kate«, sagte Samantha. Und als ich mich nicht umdrehte, noch einmal: »Kate.«

Ich wandte mich ihr zu. Das Foto hatte sie eindeutig verunsichert, aber sie wollte es nicht zugeben. »Du weißt schon, oder«, sagte sie, »dass der Mann auf dem Foto nicht er ist. Das ist nicht Charlie.«

»Ich weiß«, log ich. »Ich weiß, dass er es nicht ist, keine Sorge.« Ich griff nach den Ausdrucken und faltete sie sorgfältig, bevor ich sie in die Hosentasche schob. Ich rang mir ein Lächeln ab. »War ein netter Abend, aber ich glaube, ich mach mich besser mal auf den Weg. Danke fürs Essen.«

»Du kannst doch nicht einfach so gehen«, sagte Samantha.

»Ach nein?« Ich stieß ein Lachen aus. »Also wirklich, Sam, du übertreibst.«

»Tu ich das? In dieser Verfassung solltest du nicht allein nach Hause gehen.«

»Jetzt rede keinen Unsinn, mir geht’s gut. So gut, wie es einem eben geht, wenn man den Doppelgänger seines Verflossenen auf einem Foto sieht. Aber mach dir keine Sorgen, ich weiß, dass er’s nicht ist. Nun, genau das hat mir noch gefehlt, wo ich heute sowieso ein bisschen daneben bin ... Aber das ist alles.«

Sie erforschte mein Gesicht, doch es gelang mir, den Schock und die Verwirrung gut genug zu verbergen, um sie zu dem Schluss kommen zu lassen, es sei in Ordnung, mich gehen zu lassen.

»Tut mir leid, dass wir es nicht selber entdeckt haben«, sagte sie. »Wenn mir aufgefallen wäre, dass jemand auf einem Foto ist, der genauso aussieht wie Charlie, hätte ich das Bild natürlich aussortiert, bevor wir dir die Fotos gezeigt hätten.«

»Ich weiß«, erwiderte ich und drückte ihren Arm. »Sei nicht dumm, mir ist klar, dass ihr nicht absichtlich durch Miami gelaufen seid und Fotos von Männern gemacht habt, die wie er aussehen, nur um mir einen Adrenalinstoß zu versetzen.«

Das war ein schwacher Versuch in Sachen Humor, aber genug, damit sie sich ein bisschen entspannten.

»Du kannst gerne hier übernachten«, sagte Samantha. »Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du in diesem Zustand allein bist.«

Ich zuckte die Achseln. »Um ehrlich zu sein, das würde auch nicht helfen. Ich muss das allein durchstehen.«

Sie drückte mich fest an sich, und ich versuchte, die Umarmung zu spüren. Aber ich wollte zu Hause sein, allein, damit ich diese Maske nicht mehr tragen musste. »Dann nimm wenigstens was vom Nachtisch mit«, schlug sie vor.

»Also gut«, sagte ich in der Annahme, alles würde einfacher, wenn ich sie von der Rolle der Therapeutin zurück in die Rolle der Gastgeberin schlüpfen ließ. Ich holte meine Tasche aus dem Wohnzimmer und meine Jacke vom Haken im Flur, nahm eine Tupperware-Schüssel mit einem Stück Kuchen entgegen und küsste meine Freunde zum Abschied.

Draußen war es dunkel. Als wir die Haustür aufmachten, warf die Birne im Flur ein gelbes Rechteck auf den Weg, und mein Schatten dehnte sich vor mir, als ich ihr Haus verließ und in die Nacht hinaustrat. Sie sahen mir von der Tür aus nach. Ich ging und wartete darauf, dass der Lichtfleck hinter mir verschwand. Stattdessen spürte ich den ganzen Weg die Straße entlang ihre Augen im Rücken.

Je weiter wir durch die Tunnel fuhren, umso schwerer fiel es mir, mich zusammenzureißen. Im kalten Neonlicht der U-Bahn fühlte ich mich entblößt. Ich sehnte mich verzweifelt danach, allein an dem einsamen Ort zu sein, der jetzt mein Heim war. Ich hätte mich am liebsten in einer dunklen Ecke der Wohnung eingeigelt, um den Schmerz zuzulassen, der dort auf mich wartete.

Die Wohnung lag nur wenige Schritte entfernt von der U-Bahn-Station Angel. Ich beherrschte mich, während ich an den dunklen Häusern mit den zugezogenen Vorhängen vorbeieilte. Ein schwaches Nieseln ließ meine Haare und mein Gesicht feucht werden, und der Regen verschwamm im orangefarbenen Schimmer der Straßenlaternen.

Ich hielt den Kopf gesenkt, weshalb ich den hochgewachsenen Mann mit dem kurz geschnittenen blassblonden Haar nicht bemerkte, der vor der Eingangstür meines Hauses stand, bis ich die Treppenstufen zur Hälfte erklommen hatte. Als ich ihn dann mit Verspätung sah, wäre ich fast rückwärts die Stufen hinuntergefallen.

»Himmel, Luke!«, rief ich und schlug die Hand aufs Herz. »Hast du mir einen Schreck eingejagt.«

»Guter Überlebensinstinkt, den du da hast, Kate«, sagte er mit seinem schleppenden Louisiana-Akzent. Seine Stimme klang wie eine Klapperschlange, die durch Ahornsirup glitt. »Wirklich. Siehst du nachts einfach nur gut, oder hast du so ’ne Art Sonar wie die Fledermäuse?«

Ich holte den Schlüssel raus und schloss uns beiden auf. »Heute Abend könnte ich auf deinen Sarkasmus gut verzichten«, sagte ich, als wir über die mit Teppich ausgelegte Treppe zu meiner Wohnung im ersten Stock hinaufstiegen.

»Ich weiß«, erwiderte Luke. »Ist zwar komisch, aber es gehört nicht zu meinen Angewohnheiten, allein auf den Verdacht hin, dass du vielleicht gleich kommst, vor deiner Haustür rumzuhängen. Gott hat für solche Fälle das Handy erschaffen.«

»Samantha hat dich angerufen«, tippte ich und spürte, wie ein Teil der Spannung von mir abfiel, als wir die Wohnung mit ihrem vertrauten Geruch und all den beruhigenden Erinnerungen an Charlie betraten.

»Genau genommen war es David«, erklärte er. »Er meinte, du wärst bei irgendeinem ihrer Urlaubsfotos aus Miami ausgetickt, weil da angeblich Charlie drauf ist.« Er sagte das ganz beiläufig, doch dabei beobachtete er mich genau.

Ich reichte ihm einen der Ausdrucke. Er machte das Licht im Wohnzimmer an und hockte sich auf die Sofalehne, ganz vertieft in das Din-A4-Blatt in seinen Händen. Er war so still und konzentriert, dass ich einen Moment lang meinte, es glauben zu dürfen, und herausplatzte: »Er ist es, oder?«

Luke sah zu mir auf, und seine eisblauen Augen blickten so traurig, wie ich es noch nie erlebt hatte.

»Nein, Kate. Charlie ist tot.«

Mir war speiübel. Wenn Luke schon nicht glaubte, es sei Charlie, dann wusste ich, dass ich es auch nicht glauben durfte. Er ist es nicht, Kate. Mach dir nichts vor. Es ist viel zu gefährlich zu denken, er könne es sein.

»Vielleicht ja ein Cousin oder so was«, sagte ich, sobald ich einigermaßen sicher war, dabei nicht in Tränen auszubrechen. »Ein Neffe oder irgendein Verwandter, der ihm ähnlich sieht.« Luke nickte. »Aber weißt du, es gibt noch ein paar andere Fotos aus dem Restaurant, und er hat den Tisch verlassen, an dem er saß – fast so, als hätte er Samantha und David gesehen und wollte nicht, dass sie ihn bemerken.«

Luke seufzte. »Komm her, Kate.« Ich trat näher zu ihm, bis unsere Knie sich berührten, und er griff nach meinen Händen.

»Er ist seit einem Jahr tot, Kate. Genau seit einem Jahr. Dieser Kerl sieht wie unser Charlie aus, aber das tun eine Menge Typen. Ich glaube fast, du bist besonders empfänglich dafür zu sehen, was du gerne sehen möchtest, weil heute sein Todestag ist.«

»Ach, hör schon auf, Luke«, sagte ich und entzog ihm meine Hände. »Dieser Typ könnte sein Double sein, also erzähl mir nicht, er sähe heute mehr wie Charlie aus, als er es gestern getan hätte.«

»Du weißt, dass er es nicht ist, oder?« Er stand auf und beugte sich zu mir. »Oder?«

Ich konnte mich nicht länger beherrschen. »Ich hab doch nur ...« Ich musste abbrechen und die Kontrolle über meine Stimme zurückerlangen. Mein Kehlkopf ließ sie schrill und abgehackt klingen. »Eine Minute lang dachte ich, er sei am Leben.« Die Muskeln um mein Kinn zogen sich zusammen, als ich versuchte weiterzusprechen. Tränen rannen mir über die Wangen.

Luke zog mich an sich, und ich musste nichts weiter sagen, sondern ich schluchzte und schluchzte, bis ich schließlich wieder durchatmen konnte.

Luke blieb über Nacht, aber er bekam so wenig Schlaf wie ich; ich konnte hören, wie er sich auf dem Sofa wälzte, aufstand und im Wohnzimmer auf und ab ging, wie er sich ein Glas Wasser einschenkte und in einer Zeitschrift auf dem Couchtisch blätterte. Schließlich standen wir beide auf, und ich machte ihm Frühstück, bevor er zur Arbeit ging. Auf dem Weg zur Tür küsste er mich auf die Stirn und versprach, mich am Abend anzurufen.

Kaum war er draußen, schaltete ich meinen Laptop ein und rief meine E-Mails ab. Ich fand den Anhang und öffnete das Bild von dem Mann im Restaurant. Zehn Minuten saß ich bewegungslos da und starrte das Bild an. Das war Charlie, das war Charlie, das war Charlie.

Ich schaffte es, eine Online-Anfrage für ein Visum abzuschicken und die Website für die Transatlantikflüge aufzurufen, bevor ich meinen Laptop zuknallte, weil ich wusste, dass ich meinem eigenen Urteil nicht trauen konnte. Nach ein paar Augenblicken machte ich mir noch eine Tasse Kaffee und versuchte, mich vor dem Fernseher abzulenken.

Die nächsten zwei Tage war ich unfähig, mich auf irgendetwas zu konzentrieren. Bücher, die im vergangenen Jahr die einzige Möglichkeit der Ablenkung dargestellt hatten, waren nutzlos – ich las eine Stunde, um anschließend festzustellen, dass ich bereits vor zwanzig Seiten den Faden verloren hatte und nicht wusste, was gerade passierte. Ich raffte mich in der Augustsonne zu einem Spaziergang auf und wäre fast von einem Bus überfahren worden, den ich nicht kommen gehört hatte. Samantha rief an, doch ich ignorierte ihre Anrufe. Wieder und wieder kehrte ich in Gedanken zu dieser einen Sache zurück – zu dem verdammten Foto. Ich versuchte, es nicht mehr zu betrachten, doch es war wie ein Hunger, den ich nicht stillen konnte.

»Das ist doch verrückt«, sagte ich laut, obwohl niemand außer mir im Zimmer war. Ich saß auf dem Sofa, hatte den Laptop auf den Knien und das Bild auf dem Schirm. Das konnte nicht Charlie sein, ich wusste es doch. Das Problem war nur, dass ich es nicht wirklich glaubte. Ich ging online und suchte mir eine Flugverbindung nach Miami heraus.

Ich war bereits in Heathrow am Flughafen und wartete darauf, dass mein Check-in-Schalter aufmachte, als Luke anrief.

»Ich wollte nur sichergehen, dass alles okay ist mit dir«, sagte er. Er hatte mich jeden Tag angerufen, seit das Foto aufgetaucht war, und jeden Tag hatte ich gelogen und behauptet, gar nicht mehr daran zu denken.

»Mir geht’s gut«, erwiderte ich, und genau in diesem Augenblick wurde über Lautsprecher eine Ansage durchgegeben.

»Was war das?«, fragte er, und ich sah ihn förmlich vor mir, wie er sich in seinem Bürostuhl kerzengerade aufrichtete. »Wo zum Teufel steckst du, Kate?«

»Oh, verdammt«, fluchte ich, bevor ich das Handy wieder ans Ohr nahm. »Also gut, Luke, werd bitte nicht böse, aber ich bin am Flughafen. Ich weiß ja, dass es verrückt ist, aber ich muss mich selbst überzeugen. Weißt du, es passiert gar nichts, außer dass ich nach Miami fliege, das Ganze sich als Sackgasse herausstellt und ich den Rest der Woche mit Sonnenbaden und einer kleinen Auszeit verbringen werde. Also kein Grund zur Sorge.«

»Kate, du musst doch nicht erst in die Staaten reisen, um sicher zu sein, dass der Mann auf dem Foto nicht Charlie ist!«

Ich hockte mich auf meinen Koffer. »Ich weiß doch, dass es nicht Charlie ist. Zumindest mein Kopf weiß das. Aber es fühlt sich an, als hätte ich ein Foto von Charlie gesehen, der lebt und wohlauf ist und in Miami Meeresfrüchte isst.«

»Das ergibt doch keinen Sinn«, jammerte Luke.

»Ich weiß. Tut mir leid, ich hab’s nicht richtig erklärt. Pass auf, logisch gesehen wissen wir beide, dass es unmöglich Charlie sein kann. Das sage ich mir immer und immer wieder, aber in mir drin ist immer noch diese Hoffnung, und die macht mich fertig. Um das alles zu klären, ist mir nichts anderes eingefallen, als diesen Mann aufzuspüren und mich selbst davon zu überzeugen, dass es sich um einen völlig Fremden handelt. Dann besteht keine Möglichkeit mehr, mir für den Rest meines Lebens vorzumachen, Charlie könnte noch irgendwo da draußen sein. Denn genau das wird passieren, wenn ich nicht fliege.«

Amerikaner redeten doch immer gerne davon, einen »Schlussstrich« zu ziehen – sicher würde auch Luke verstehen, dass dieses Foto eine Tür aufgestoßen hatte, die ich wieder schließen musste, um nicht verrückt zu werden?

Lukes Stimme wurde hart. »Charlie ist tot, Kate. Er kommt nicht zurück. Wir haben beide seinen Leichnam auf dem Tisch in der Leichenhalle gesehen – oder glaubst du etwa, dass zufällig irgendein anderer armer Kerl, der genauso groß und schwer war, exakt mit dem gleichen Tattoo am Strand angespült wird? Himmel, ich verstehe besser als jeder andere, warum du gerne glauben würdest, dass der Typ auf dem Foto Charlie ist, aber um die halbe Welt zu fliegen auf der Jagd nach einem Toten –«

»Danke für dein Einfühlungsvermögen und dein Verständnis«, sagte ich und drückte die Aus-Taste.

Als der Flieger abhob, zog sich mein Magen kurz zusammen, und ich dachte: Mein Gott, was tue ich da? Aber tief in mir drinnen wusste ich, dass ich recht hatte: Wenn ich zu Hause geblieben wäre, hätte ich mich den Rest meines Lebens gefragt, ob das nicht doch vielleicht, ganz vielleicht, mein Mann gewesen war, da im Cangrejo Dorado, und ob ich mich nicht dummerweise durch den Unglauben meiner Freunde und durch meine eigene Unentschlossenheit davon hatte abhalten lassen, ihn wiederzufinden.

Die Flugbegleiter verteilten Mahlzeiten und Getränke, und da es zur Politik der Fluggesellschaft gehörte, so zu tun, als sei der Flieger in der Zeitzone des Ortes, zu dem wir unterwegs waren, und nicht in der des Abflugortes, blieb uns kaum Zeit, den Nachtisch zu essen, bevor man uns auch schon Decken austeilte und das Licht löschte.

Die ältere Dame neben mir versuchte, meinen Blick einzufangen, während ich auf das Foto aus Miami starrte, das seit dem Abflug auf meinem Schoß gelegen hatte. Meine Fingerspitzen strichen über die dunklen Gesichtszüge des Mannes, der meinem Gatten so ähnlich sah.

»Entschuldigen Sie«, sagte sie schließlich. »Ich wollte Sie nur fragen, ob es Sie stört, wenn ich meinen Fernseher noch etwas anlasse.« Die Fluggesellschaft, mit der wir flogen, zeigte Filme auf Monitoren, die in die Rücklehnen der Vordersitze eingelassen waren. Ich sah zu dem Film auf, der gerade auf ihrem Bildschirm lief. »Johnny Depp«, erklärte sie augenzwinkernd. »Den möchte ich auf keinen Fall verpassen.«

»Wie nett, dass Sie fragen«, sagte ich zu ihr. »Mich stört das nicht. Ich glaube sowieso nicht, dass ich schlafen kann.«

Sie nickte, und ich wartete darauf, dass sie ihre Kopfhörer wieder einstöpselte. Stattdessen deutete sie auf den Mann im Hintergrund des Fotos und fragte: »Ist das Ihr junger Mann?«

Ich spürte, dass meine Unterlippe zu zittern anfing, und biss fest darauf. »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Aber ich wünschte, es wäre so.«

Während das Flugzeug entgegen der Erddrehung durch die Nacht und durch einzelne Wolkenfetzen glitt, dachte ich an den Tag zurück, an dem ich Charlie kennengelernt hatte.

Das Carnival Hotel soll im November abgerissen werden, weshalb ich eine Fahrt mit der zugehörigen Achterbahn während meines Aufenthalts in Las Vegas nicht verpassen möchte. Samantha ist ein braves Mädchen und verbringt den ganzen Tag auf der Tagung für Software, wegen der wir überhaupt hier sind. Also sause ich allein die klapprigen, alten Schienen entlang, während sie Kontakte knüpft und Visitenkarten austauscht. Leider ist die Fahrt eine ziemliche Enttäuschung; das Gruseligste ist noch das Alter der Achterbahn. Die Angst, dass die mehr als dreißig Jahre alten rostigen Schrauben, die alles zusammenhalten, genau in diesem Moment nachgeben und meine Mitfahrer und ich Hunderte von Metern durch die Luft geschleudert werden, ist das einzige, was meinen Herzschlag beschleunigt hat.

Und jetzt warte ich auf den Fahrstuhl, der mich zurück ins Erdgeschoss bringen soll. Neben wir steht eine junge Blondine, die ihr Gewicht von einem hochhackigen Schuh auf den anderen verlagert. Sie trägt das kürzeste Kleid, das ich je gesehen habe. Nach einem Blick auf ihre Uhr seufzt sie theatralisch und drückt noch einmal auf den Fahrstuhlknopf. Ihre Fingernägel sind genauso pink wie ihr Kleid.

Der Aufzug kommt, und ich lasse sie zuerst einsteigen. Ich überfliege meinen kleinen Taschenführer über die Fahrgeschäfte in Las Vegas und achte deshalb kaum darauf, dass noch zwei weitere Personen mit uns einsteigen.

Die Türen gehen langsam hinter uns zu, und wir sind erst ein, zwei Meter hinabgefahren, als ohne Vorwarnung alles dunkel wird und der Aufzug ruckelnd anhält. Das Mädchen, mit dem ich eingestiegen bin, kreischt auf.

»Keine Sorge, alles in Ordnung«, sagt eine männliche Stimme. Sie klingt ganz ruhig und entspannt, die Art Stimme, der man in Sommernächten noch spätnachts lauschen möchte, bei geöffnetem Fenster und mit Eiswürfeln im Rum. »In diesem Gebäude fällt ständig der Strom aus. Es ist eben alt, das ist alles. Gleich wird der Ersatzgenerator anspringen.« Ich habe mich ein- oder zweimal gefragt, ob auch Blinde sich zu jemandem hingezogen fühlen können, den sie gerade erst getroffen haben. Jetzt weiß ich es.

Es ist wirklich pechschwarz. Ich warte darauf, dass die Notbeleuchtung angeht, vielleicht so eine Art rötliches Glühen, aber da ist nur die Dunkelheit. In dem Moment höre ich, dass die vierte Person im Aufzug Panik bekommt.

»O Gott, o Gott, o Gott ...«, murmelt er. Er versucht aufzuhören, aber er kann nicht verhindern, dass die Worte kommen. Ich höre ein gleitendes Geräusch und erkenne, dass er seine Krawatte lockert. Ich mache einen Schritt auf ihn zu und taste nach seiner Schulter, um die Hand darauf zu legen.

»Schon gut«, sage ich in beruhigendem Ton. »Diese Aufzüge sind doch ziemlich geräumig; da ist genug Luft drin. Wirklich kein Grund zur Sorge.«

»Mein Mund ist so trocken«, erklärt er mir. »Ich glaube, meine Zunge schwillt an.«

Ich höre das Geräusch einer Wasserflasche, Flüssigkeit, die gegen Plastik klatscht. »Hier, ich hab etwas Wasser«, sagt die warme Stimme, und Finger streifen meine, als die Flasche in den Arm des panischen Mannes wechselt.

»Geben Sie ihm bloß nicht alles!«, beschwert sich das Mädchen, als der Mann den Verschluss abdreht und einige tiefe Schlucke nimmt. »Wir könnten es noch brauchen. Was, wenn wir hier stundenlang feststecken?«

Ich kann das Lächeln in der Stimme des ersten Mannes hören, als er sagt: »Ja, vielleicht sollten wir auch darüber nachdenken, wie das mit dem Essen wird, wenn wir schon beim Thema sind. Wir sollten Strohhalme ziehen – mal sehen, wen von uns wir als Erstes aufessen.«

Ich versuche, mein Lachen mit der Hand zu ersticken, doch es kommt genug heraus, damit die anderen sich fragen, ob ich mich amüsiere oder doch eher einen Herzanfall habe.

»Die Klimaanlage ist aus!« Der Mann, der getrunken hat, ist am Durchdrehen. »Es ist viel zu heiß hier, wir ersticken noch alle, ich schwör’s.« Er klingt, als würde er gleich hyperventilieren, was vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Dann würde er wenigstens in Ohnmacht fallen und müsste nicht erleben, was anscheinend eine seiner größten Ängste ist.

Die Vorstellung, in etwas gefangen zu sein, was einer Sauna in einem Aufzugschacht gleichkommt, gefällt mir auch nicht, aber ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Mein Taschenführer ist ziemlich dünn, dünn genug, um ihn als Fächer zu benutzen. Ich beginne, dem Typen mit der Klaustrophobie Luft zuzufächeln, und er stöhnt erleichtert auf. Keine Ahnung, ob ihm bewusst ist, dass es sich nicht um eine kühle Brise handelt, sondern nur um die wedelnde Ausgabe eines Büchleins über Achterbahnen, mit der ich ihm vermutlich gleich eine reinhauen werde, wenn meine Nachtsicht nicht sofort besser wird.

»Du meine Güte, er hat recht«, keucht das Mädel. »Draußen sind es an die vierzig Grad – wenn es hier drin auch so heiß wird ...!« Ich will ihr gerade befehlen, die Klappe zu halten – dieser Typ braucht wahrhaftig niemanden, der seine Panik noch anheizt –, aber der andere Mann flüstert ihr etwas zu und bringt sie dazu, sich wieder zu beruhigen. Ich verspüre überraschend einen Stich der Eifersucht; natürlich ist er scharf darauf, ihr gut zuzureden, er hat sie zweifelsohne genau gemustert, als sie in den Fahrstuhl gestiegen ist, und sieht nun seine große Chance. Dann sage ich mir, dass ich eine Idiotin bin, dass die Lichter wieder angehen werden und ich ganz sicher enttäuscht sein werde, wenn das Gesicht nicht zu der Stimme passt.

Ich konzentriere mich auf den Klaustrophobiker. »Schließen Sie die Augen«, sage ich, obwohl es ja nicht so ist, dass in dem Aufzug ein grelles Licht brennt, das ihn ablenken könnte. »Stellen Sie sich vor, Sie wären in einer riesigen Schneewüste. Es ist Nacht, und um Sie herum ist nichts außer dem endlosen dunklen Himmel und dem Eis unter Ihren Füßen.«

Sein Atem geht wieder langsamer. Ich mache weiter und erwähne jede Menge kalte, großräumige Landschaften.

»Was ist mit mir?«, beschwert sich das Mädchen plötzlich. »Scheiß auf den Pinguin-Kerl, ich hab genauso Panik wie der.«

»Soll ich Ihnen auch ein paar Bilder liefern?«, fragt der Mann mit der netten Stimme. »Also, schließen Sie die Augen. Sie sind jetzt in einem riesigen, leeren Einkaufszentrum. Alle Geschäfte haben geöffnet, nur für Sie.«

Ich verschlucke mich fast an dem Wort »Tundra« und versuche, mich nicht ablenken zu lassen. Ich wünsche, ich könnte diesen Mann sehen.

Und dann gehen, erneut ohne Vorwarnung, die Lichter wieder an, und ich muss ihn nicht mal mehr suchen. Wir sehen uns bereits an; haben uns in der Dunkelheit bereits angelächelt. Später könnte ich dann noch berichten, dass er dunkles Haar hat, gebräunte Haut, ein glückliches, schönes Gesicht; er ist groß, hat breite Schultern und lange Beine, die in dunklen Jeans stecken. Aber von all dem sehe ich erst einmal nichts – ich sehe nur seine Augen. Wir sind miteinander verbunden, einer vom anderen gefesselt.

Irgendwie ahnen wir beide, dass unser Leben als getrennte Wesen vorbei ist. Unser Lächeln erlischt, und wir starren uns einfach an.

»Okay«, sagt er leise; anscheinend hat es ihn genauso erwischt wie mich. Er streckt mir die Hand entgegen. »Charlie.«

»Kate«, erwidere ich, und mein Lächeln kehrt zurück, als ich seine Hand schüttle.

Das Treffen mit Charlie war wie eine Heimkehr, obwohl ich vorher gar nicht wusste, dass ich mich verlaufen hatte.

Ich schreckte aus dem Schlaf hoch. Vor mir stand ein Flugbegleiter. Er hielt eine Kanne in der einen und einen Becher in der anderen Hand.

»Kaffee?«, fragte er.

»Bitte.« Ich rieb mir das Gesicht in dem Bemühen, wach zu werden. Ich versuchte mich daran zu erinnern, warum ich in einem Flugzeug saß.

Das Foto. Charlie. Miami.

Ich trank den Kaffee in drei großen Schlucken aus. Die ältere Dame neben mir tätschelte meinen Arm.

»Guten Morgen, meine Liebe. Sie schienen einen so schönen Traum zu haben, dass ich es nicht gewagt habe, Sie zu wecken, vor allem, weil Sie meinten, Ihnen fiele das Einschlafen schwer.«

Wovon hatte ich denn geträumt? Dieser erste, gegenseitige Blick fiel mir wieder ein, und ich versuchte, die Erinnerung festzuhalten – doch sie entglitt mir wieder.

»Ich glaube, es werden alle aufgeweckt, weil wir gleich landen«, fuhr meine Nachbarin fort. »Und außerdem haben Sie Ihren Bekannten verpasst.«

»Meinen Bekannten?«

Sie nickte und umklammerte ihren Kaffee mit gekrümmten, stark geäderten Händen. »Ein sehr netter, blonder junger Mann. Amerikaner, glaube ich.«

Luke. »Der sitzt im Flieger?«

»Er meinte, ich solle Ihnen sagen, dass er neun Reihen hinter Ihnen sitzt und dass Sie schnarchen. Letzteres stimmt übrigens nicht, aber ich habe versprochen, Ihnen die Nachricht genau so auszurichten. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich kurz rauszulassen? Ich fürchte, meine Blase ist auch nicht mehr das, was sie mal war.«

Ich hievte mich von meinem Platz hoch und stapfte barfuß durch den Gang in Richtung siebenundvierzigste Reihe. Bei einer freien Toilettenkabine hielt ich an und nahm mir die Zeit, mich im Spiegel anzusehen. Verwuscheltes schwarzes Haar, nicht ganz der gepflegte Bob, den meine Friseurin angepeilt hatte. Verschlafene graue Augen, verschmierter Eyeliner. Ich strich mit den Fingerspitzen glättend über meine geschwungenen Brauen und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare.

Keine wirkliche Verbesserung, aber wenigstens war ich jetzt wach. Zeit für einen Besuch bei Luke.

Er wartete auf einem Platz am Gang auf mich. Als er mich sah, stand er auf und umarmte mich fest.

»Das bedeutet nicht, dass du recht hast«, sagte er. »Aber ich konnte dich einfach nicht allein damit lassen.«

»Ich hab dich in der Abflughalle gar nicht gesehen«, sagte ich, sehr erleichtert darüber, ihn an meiner Seite zu wissen.

»Das war auch eine Last-Minute-Entscheidung«, gab er zu. »Ehrlich gesagt war ich erst zehn Minuten nach Schließung am Check-in.«

»Ach ja? Und wie konntest du sie davon überzeugen, dich noch in den Flieger zu lassen?«

»Soll das ein Witz sein?, erwiderte er. »Bei den vielen Flugmeilen, die ich angesammelt hab, könnte ich einen eigenen Jet chartern, wenn ich wollte.« Luke war im Import-Gewerbe, hatte den Pass immer in der Brusttasche seines Sakkos und verbrachte die Hälfte seines Lebens in Flugzeugen.

Ich blickte lächelnd zu ihm hoch. »Ich bin froh, dass du da bist«, sagte ich.

Er strich mir das Haar aus dem Gesicht und schob es hinter die Ohren. »Ich auch. In Miami gibt’s ein paar echt gute Plätze zum Krabbenessen.«

Wir landeten um Mitternacht am Miami International Airport. Luke und ich mussten uns beim Sicherheitscheck wegen unserer unterschiedlichen Staatsbürgerschaft trennen; ich hatte nie meine Rechte als Frau eines Amerikaners geltend gemacht. Da Charlie und ich die zwei Jahre unserer Ehe in London gelebt hatten, war mir der Gedanke gar nicht gekommen.

»Welchem Zweck dient Ihr Besuch?«, fragte mich der Einwanderungsbeamte.

Schwierig, darauf eine ehrliche Antwort zu geben. Ich entschloss mich für: »Urlaub. Treffen mit ein paar alten Freunden.«

Ich wollte gleich ein Taxi suchen und zum Restaurant fahren, aber Luke bestand darauf, einen Mietwagen zu nehmen.

»Du willst doch nur einen SUV fahren«, sagte ich am Schalter.

»Ich hab genug von euren Kleinwagen und Smarts«, erwiderte er. »Ich will etwas, bei dem du ’ne Leiter brauchst, um auf den Fahrersitz zu kommen.«

Die Hitze traf mich mit voller Wucht, als wir durch die Gleittüren nach draußen ins nächtliche Florida traten. Gott sei Dank hatte das Monster von Mietwagen eine Klimaanlage. »Ist es weit bis in die City?«, fragte ich, als ich auf den Beifahrersitz kletterte, der mehr als einen Meter vom Boden weg zu sein schien.

»Nein, nur ein paar Meilen.«

»Ich will zum Cangrejo Dorado«, sagte ich.

»Ich versteh ja, dass du total aufgeregt bist, Kate, aber es ist halb ein Uhr morgens. Die haben längst geschlossen.«

»Ich dachte, das Nachtleben in Miami wäre so toll?«

»Du hast doch gesagt, es sei ein Restaurant, kein Club. Der Geschäftsführer und die Kellner sind vermutlich irgendwo beim Tanzen und schlürfen Margaritas.«

Ich sah aus dem Fenster, als wir das Festland verließen und auf dem Julia Tuttle Causeway übers Meer fuhren. In der Ferne konnten wir die Lichter am nächtlichen Miami Beach glitzern sehen.

»Du scheinst dich hier auszukennen«, merkte ich an.

Luke zuckte die Achseln. »Ich war im Lauf der Jahre ein paarmal hier.«

»Bist du jemals mit Charlie hier gewesen?«

»Ein- oder zweimal«, sagte er und konzentrierte sich auf die Straße.

»Wart ihr auch mal im Cangrejo Dorado?«

Er warf mir einen Blick zu. »Natürlich nicht. Das hätte ich dir doch erzählt.«

»Warum wart ihr beide denn hier? Geschäftlich? Im Urlaub?«

»Wir sind zu College-Zeiten ein paarmal zum Spring Break hier gewesen.«

»Spring Break«, sagte ich. »Soso. Da treffen sich doch all die geilen Collegestudenten am Strand, saufen zu viel und bumsen alles, was sich bewegt.«

»So in etwa«, sagte er.

»Nett.«

»Hey, wir waren jung.«

»Hat Charlie hier ehemalige Freundinnen?«

Luke schüttelte den Kopf. »Was, glaubst du etwa, Charlie hat seinen eigenen Tod vorgetäuscht, damit er nach Miami Beach zurückkehren und mit irgendeinem Mädchen anbandeln kann, das er während des Spring Break vor fünfzehn Jahren mal getroffen hat?«

»Ich habe nicht behauptet, dass ich der Meinung bin, Charlie habe seinen eigenen Tod vorgetäuscht«, entgegnete ich.

»Ach ja? Wie lautet denn deine Theorie?«

»Ich habe keine«, sagte ich und versuchte, nicht sauer zu sein. Ich war Luke dankbar, dass er mich begleitete, aber ich wollte unsere Zeit nicht mit dem immer gleichen Streit vergeuden. »Ich brauche auch keine. Ich behaupte nicht, er sei nicht tot.«

»Und was zum Teufel machen wir dann hier?«

Ich beschloss, dass es besser war, nicht zu antworten. Ich ließ mein Fenster herunter, um das Gefühl loszuwerden, ich säße in der Falle.

»Die Klimaanlage arbeitet nicht richtig, solange das Fenster auf ist.«

»Ist mir egal. Was ist aus der Freude geworden, dir den Wind durchs Haar wehen zu lassen?«

Ich sah ihn an, und er verdrehte die Augen. Luke sieht ein bisschen aus wie der junge Paul Newman, aber eben nur ein bisschen. Aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet ist er hübsch, aus anderen aber wirkt er zu kantig. Er hat eine römische Nase, aber dünne, ziemlich grausame Lippen. Die Augen sind das Schönste an ihm – sie sind blau, aber von einem sehr, sehr blassen Blau. Wenn nicht der indigofarbene Ring gewesen wäre, hätte man meinen können, er habe gar keine Iris. Und er weiß auch, wie man sie einsetzt. Es ist ziemlich unterhaltsam, ihn im Sommer dabei zu beobachten, wie er sich mit der Sonnenbrille auf der Nase einer Frau nähert und sie dann beiläufig abnimmt. Die Zunahme an Interesse auf Seiten des Opfers kann dramatisch sein. Besonders, wenn er außerdem noch lächelt, um die Intensität seines Aussehens zu mildern.

Er und Charlie gaben ein beeindruckendes Team ab. Ich sah sie vor mir, wie sie in jungen Jahren mit entblößtem Oberkörper die Mitschülerinnen verführt hatten.

»Glaubst du, dass aus Charlie und mir was geworden wäre, wenn wir uns am College getroffen hätten?«, fragte ich Luke.

»Wer weiß? Er wäre bestimmt auf dich abgefahren, aber ich bin nicht sicher, ob er sich benommen hätte.«

»Man wird also nur zu Seelenfreunden, wenn man sich zum richtigen Zeitpunkt im Leben trifft?«

»Ich glaube nicht an Seelenfreunde.«

»Charlie schon.«

»Charlie war kein Romantiker, bis er dich traf.«

»Nein«, sagte ich. »Ich auch nicht.«

Wir erreichten Miami Beach, wo uns mit Neon beleuchtete Palmen begrüßten. Es war Zeit, sich nach einem Hotel umzusehen.

South Beach, die Gegend, in der das Restaurant lag, war berühmt für seine Art-déco-Gebäude, die in den 1920er und 1930er Jahren nach einem Hurrikan errichtet worden waren, der alles vernichtet hatte, was vorher dort stand. Nachts verschwanden ihre Pastelltöne hinter dem knalligen Pink und Lichtschwerter-Blau der Neonreklamen, die an jeder Hotelwand und jeder Bar auf dem Ocean Drive zu leuchten schienen.

»Lass es uns im Moonlite versuchen«, schlug Luke vor und bog scharf von der Straße auf einen Parkplatz mit Einparkservice. Der Junge, der unsere Wagenschlüssel gegen ein Kärtchen eintauschte, hatte nur wenige Barthaare, die er vermutlich sechs Monate gezüchtet hatte. Er krabbelte auf den Fahrersitz. Der Kofferträger war überrascht, dass wir nur einen Koffer hatten.

»Ich fasse es einfach nicht, dass du keine sauberen Klamotten dabeihast«, sagte ich vermutlich bereits zum dritten Mal, seit Luke mir bei der Gepäckausgabe erzählt hatte, dass seine Last-Minute-Entscheidung, mit mir zu kommen, ihm keine Zeit gelassen hatte, vorher noch zu packen.

Er zuckte die Achseln. »Die ideale Ausrede, um mir einen weißen Anzug und weiße Slipper zuzulegen. Socken brauche ich keine, und wenn ich meine Ärmel richtig aufrolle, ist der Don-Johnson-Look perfekt.«

Ich musterte die Mischung aus Touristen in Shorts und Turnschuhen und schönen Einheimischen in hautengen schwarzen Kleidchen und schicken Designer-Anzügen um uns herum.

»Ich kann aber niemanden entdecken, der wie Crockett und Tubbs aussieht«, ließ ich ihn wissen.

»Das liegt daran, dass du mein Aussehen haben musst, um das hinzukriegen.«

Die Lobby des Moonlite-Hotels bestand ganz aus poliertem Chrom und hellblauen Wänden.

»Möchten Sie ein Doppel- oder zwei Einzelzimmer?«, fragte der Rezeptionist. Luke sah mich fragend an.

»Zwei Einzelzimmer, bitte«, sagte ich mit Nachdruck. »Bevorzugt an entgegengesetzten Enden des Hotels.«

Der Rezeptionist runzelte die Stirn. »Ich fürchte, wir sind ziemlich ausgebucht, weshalb ich Sie nicht weiter als eine Etage voneinander unterbringen kann.«

»Sollte ein Witz sein«, erklärte ihm Luke. Der Rezeptionist nickte und tat, als würde er kichern. »Sie ist Engländerin«, fügte Luke verschwörerisch hinzu.

Mein Zimmer war geräumig und sauber, hatte einen Breitbild-Fernseher an einer Wand und ein glänzendes Marmorbad.

»Wir sollten uns was Bescheideneres suchen«, sagte ich zu Luke. »Allein der Flug hat schon mehr gekostet als mein Auto.«

»Wenn du Lust auf eine fliegenverseuchte Absteige hast, die meilenweit von dem Restaurant entfernt ist, dann bitte«, erwiderte Luke. »Ich persönlich halte nichts von Kakerlaken als Bettgefährten. Zumindest nicht, solange es keine Kakerlake gibt, die aussieht wie Marilyn Monroe.«

Ich griff nach meinem Handy und stellte den Wecker auf ein paar Stunden später. Luke nahm es mir ab, löschte die Weckfunktion und legte es wieder auf meinen Nachttisch.

»Das Restaurant macht bestimmt nicht morgens um neun auf, Sweetheart. Glaub mir. Schlaf eine Runde, und ich komme dich wecken, nachdem ich die Gelegenheit hatte, ein paar Sachen zu kaufen, die nicht nach Flugzeugen und Männerschweiß riechen.«

Er küsste mich auf die Stirn. »Schlaf gut.«

Leichter gesagt als getan. Ich lag im Dunkeln und beobachtete, wie die Scheinwerfer der Autos draußen durch den Spalt in den Vorhängen drangen und über die Decke huschten. Ich drehte an meinem Ehering und kehrte in Gedanken zu Charlie zurück.

Zu viert stehen wir auf der Straße vor dem Carnival. Die Sonne steht tief am Himmel, und ihr orangefarbenes Licht bricht sich in den Spiegeln, die den Eingang flankieren. Jeder von uns hält einen Gutschein in der Hand – wenn man zehn Minuten in einem der Aufzüge des Casinos festgesteckt hat, berechtigt einen das anscheinend dazu, einhundert Dollar zu verspielen.

Der Klaustrophobiker – ein Typ jenseits der vierzig mit Ziegenbärtchen und Ferragamo-Slippern – schüttelt mir die Hand.

»Vielen Dank«, sagt er. »Ich glaube, ich wäre da drin wirklich durchgedreht, wenn Sie nicht gewesen wären.« Er holt eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reicht sie mir. »Sollten Sie mal eine gute Versicherung brauchen. Ich erlasse Ihnen meine Provision.« Dann winkt er ein Taxi heran und fährt zu seinem Hotel zurück, wo »ich die Treppe zu meinem Zimmer nehmen und mir eine fette Zigarre und einen Chivas Regal bestellen werde«. Ich hebe die Hand zum Abschied, als sein Taxi im Verkehr verschwindet.

Das Mädchen im Minikleid dreht die Haare um ihren Zeigefinger und sieht Charlie an. Sie hat mir den Rücken zugewandt.

»Hey, Charlie«, sagt sie, und ihre Stimme klingt verführerisch. »Lust auf einen Cocktail bei mir im Hotel? Da gibt es die besten Appletinis der Stadt.«

Er lächelt ihr nur zu und sagt danke, aber er habe andere Pläne. Dann sieht er mich an, und die tief stehende Sonne lässt sein Gesicht golden leuchten und seine blauen Augen blitzen.

Und so stehe ich eine halbe Stunde später auf einer Plattform etwa siebzig Meter über etwas, das aussieht wie ein winziges Schwimmbecken. Um die Knöchel habe ich Handtücher gewickelt, um sie zu schützen, sollte sich das Bungee-Seil zuziehen. Die Sonne ist fast ganz untergegangen, und die Schwärze der Nacht steigt am Himmel empor wie vergossene Tinte.

»Fertig? Springen Sie bei fünf«, sagt der Mann neben mir. Charlie steht klein neben dem Becken, sieht zu mir hoch und winkt. Also, Kate, hatte er auf der Straße vor dem Carnival gesagt, wenn dir nach einem weiteren Adrenalinstoß zumute ist, dann weiß ich den richtigen Ort dafür. Sogar von hier oben kann ich erkennen, dass er lacht. Ich bedenke ihn mit einem Schwall von Kraftausdrücken.

»Eins«, zählt der Mann, und ich sage mir: Warum warten? Vier Sekunden mehr hier oben können das Unvermeidbare auch nicht vermeiden. Also beuge ich die Knie und stoße mich ab, als hätte ich tatsächlich vor, in das Schwimmbecken einzutauchen.

Einen Moment lang fliege ich frei durch die Luft, dann wird das Becken größer und größer, und ich treffe auf das Wasser. Das Bungee-Seil zieht mich sanft wieder in den Himmel. Die Lichter von Vegas funkeln um mich herum, als ich im Wind von Nevada zapple. Die Schwingungen werden immer kleiner, und ich sehe Charlie voller Stolz strahlen, als wäre ich sein Kind und nicht irgendeine Frau, die er erst vor weniger als einer Stunde getroffen hat. Ich werde abgeschnallt und renne sofort zu ihm, und es ist ihm ganz egal, dass ich klitschnass bin, denn er nimmt mich freudig und aufgeregt in den Arm.

Kaum hatte Luke die Vorhänge zurückgezogen, war das Zimmer lichtdurchflutet.

»Guten Morgen, Sonnenschein«, sagte er und warf mein Handy aufs Bett.

»Schon mal was von Anklopfen gehört?«, fragte ich, kniff die Augen wegen des grellen Lichts zusammen und stützte mich auf den Ellbogen. Wie gut, dass ich noch das langärmlige Shirt von letzter Nacht trug. Luke hatte sich mit einem neuen, cremeweißen Anzug und einem weißen Hemd ausstaffiert, und auf seinem Kopf steckte eine Ray-Ban.

»Hab ich ja. Anscheinend hast du es nicht mitbekommen.«

»Wie viel Uhr ist es?«

»Halb elf.«

So spät? Ich sprang aus dem Bett und wollte in meine Jeans schlüpfen.

»Hey, mal ganz langsam«, sagte Luke. »Es gefällt mir zwar durchaus, dich im Höschen zu sehen, aber findest du nicht, dass eine Dusche und frische Kleidung angebracht wären? Das Restaurant wird auch in einer halben Stunde noch da sein. Außerdem macht es eh nicht vor Mittag auf.«

»Na gut«, sagte ich, schnappte mir was Sauberes zum Anziehen und verschwand im Bad. Zwanzig Minuten später kam ich gewaschen, angezogen und bereit zum Aufbruch wieder heraus. Luke saß auf dem Bett und machte ein seltsames Gesicht. Er ging an mir vorbei ins Bad, suchte auf der Ablage und sogar in meinem Kulturbeutel.

»Was machst du denn da?«, fragte ich.

»Du hast deine Pillen vergessen«, sagte er.

Ich runzelte die Stirn und stellte mich auf einen Streit ein. »Ich hab sie nicht vergessen. Sie sind alle.«

»Warum hast du dir dann von Dr. McCormack keine neuen verschreiben lassen?«

»Ich war schon eine Weile nicht mehr bei ihr.«

»Ach ja?«, erwiderte er. »Was heißt denn ›eine Weile‹?«

»Darauf hab ich jetzt echt keinen Bock, Luke«, sagte ich. »Also bitte, lass es gut sein.«

»Du solltest doch jede Woche zu ihr gehen«, beharrte er. »Also, wie lange ist es her?«

»Lange genug, um mir diese Schmerzkiller abzugewöhnen, die sie mir verabreicht hat«, antwortete ich. Der Mensch ist dafür gemacht, Schmerz zu empfinden, wenn er trauert; es ist wider die Natur, den Schmerz zu betäuben. Ich hatte mich dafür verabscheut, vor der Trauer fliehen zu wollen, als würde ich, indem ich das tat, Charlie irgendwie betrügen.

Luke schüttelte den Kopf und verschwand zur Tür hinaus. Ein oder zwei Sekunden später folgte ich ihm.

Der Himmel draußen war kobaltblau – ein scharfer Kontrast zu dem weißen Sandstrand. Wir gingen den Ocean Drive entlang und bewunderten die Art-déco-Gebäude mit den gerundeten Ecken und geschwungenen Fenstern. Zartrosa Wände neben minzgrünen. In den Glasziegeln eines babyblau gestreiften Gebäudes spiegelte sich die grelle Sonne Miamis.

Auf dem Ocean Drive herrschte dichter Verkehr: schnittige BMWs, glänzende Harleys und Oldtimer-Cabrios mit langen, spitzen Kotflügeln. Auf den rosa Gehwegen eilten alte Ladys mit Sonnenschirmen, die sie vor der UV-Strahlung schützen sollten, an Surfern in ausgebeulten Shorts und Jugendlichen vorbei, die blecherne Klingeltöne auf ihren Handys ausprobierten. Ein Hund an einer Leine lief an uns vorüber, im Schlepptau ein Mädchen mit Bikini und Inlineskatern.

»Himmel«, sagte ich, als das Mädchen an uns vorbeifuhr. »Sind wir hier mitten in den Dreh für eine Tampon-Werbung geraten, oder was?«

Falls ich versucht hatte, Luke zum Lachen zu bringen, so war ich gescheitert.

»Da ist es«, sagte er. Er deutete auf das Foto in seiner Hand und dann auf das echte Cangrejo Dorado.

Die großen Glastüren in der türkisblauen Fassade des Restaurants standen offen, und weiße Vorhänge blähten sich in der Brise. Der Duft nach Jasmin wehte zu uns herüber, als wir durch die Türen ins Restaurant traten.

Es war größer, als es auf den Fotos ausgesehen hatte, und da die Sonne durch die offenen Türen hereinschien, waren auch keine Kerzen oder Partylichter angezündet. Es war seltsam, wirklich hier zu stehen – so als wäre ich auf den Seiten eines Bilderbuchs gelandet.

Ein Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose kam auf uns zu, begrüßte Luke mit einem Nicken, wandte sich aber an mich: »Ein Tisch für zwei?«

»Eigentlich sind wir hier, um Sie zu fragen, ob Sie uns bei etwas behilflich sein könnten«, sagte ich zu ihm. »Wir versuchen, einen Freund von uns zu finden, und wir wissen, dass er am zehnten dieses Monats hier war.« Ich zeigte ihm einen Ausdruck des Fotos.

Er nahm den Ausdruck entgegen und reichte ihn mir dann wieder. »Tut mir leid«, sagte er. »Kommt mir nicht bekannt vor.«

Ich schlug eines meiner Fotoalben auf und zeigte ihm ein Bild von Charlie, eine Nahaufnahme, die ich Weihnachten vor zwei Jahren in Islington von ihm gemacht hatte. Der Mann warf einen Blick darauf und überflog auch die anderen Fotos, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. »Bedaure.«