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Dezember 2016 in Wien: In der Straßenbahnlinie 43 werden drei afghanische Asylwerber erschossen. Rasch ist in Jana Geringer eine Verdächtige gefunden, gegen die alles spricht. Eine Verdächtige, die offenbar beim Tatort war, auf die die Beschreibung der Zeuginnen perfekt passt und die bei Belästigungen bereits mehrmals durch Notwehrüberschreitungen aktenkundig wurde. Eine Verdächtige mit einer wilden Geschichte hinsichtlich Männern und Sexualität. Doch dann brechen den Ermittlern Sophie Arnsbach und Reinhard Marasek Stück für Stück scheinbare Beweise weg. Und sie werden zunehmend mit dem Leben Geringers konfrontiert, die mehr als genug heftige Erfahrungen gemacht hat - mit Partnern und Vorgesetzten, mit Einheimischen und Ausländern. Ist in diesem Fall eine Büroangestellte ausgerastet oder sind Arnsbach und Marasek auf einer falschen Spur? In Die Wut der Kriegerin geht es nicht nur um einen Kriminalfall. Im Zuge der Ermittlungen werden auch unterschiedliche Haltungen zu europäischen und muslimischen Männern deutlich. Und durch die Verdächtige drängt immer mehr Sexualität in den Vordergrund, wovon Arnsbach und Marasek nicht unbeeindruckt bleiben. All die Dinge, die Jana Geringer erlebt hat, entstammen der Biographie einer einzigen Frau. Sie haben in den letzten Jahrzehnten im Leben dieser Frau in Wien und Niederösterreich stattgefunden. In der Figur von Jana Geringer kommen die Erfahrungen, Gefühle und Ansichten dieser Frau zum Ausdruck.
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Seitenzahl: 130
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Henrik Iserhart lebt und arbeitet in Wien. „Die Wut der Kriegerin“ ist sein erster Roman.
Für Inga
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Nachwort
Sophie Arnsbach war von einem Streifenwagen abgeholt worden, um möglichst rasch von der Innenstadt nach Hernals zu gelangen. In der Straßenbahnlinie 43 waren offenbar drei Männer erschossen worden. Arnsbach hatte die Weihnachtsfeier in der Anwaltskanzlei ihres Verlobten fluchtartig verlassen. Als frischgebackene Leiterin des Landeskriminalamtes Wien übernahm sie einen solchen Fall selbst. Zumal es sich bei den Toten um Asylwerber handeln soll, was erhöhtes mediales Interesse und politische Brisanz versprach.
Unmittelbar nach dem Jus-Studium war Sophie Arnsbach zur Polizei gegangen. Sie hatte das gegen den Rat ihres Vaters getan, der Richter war und sie gerne in seinen Fußstapfen gesehen hätte. Und sie hatte das gegen das Drängen ihres Verlobten getan, den sie schon seit dem Studium kannte und der sie für die alteingesessene Anwaltskanzlei seiner Familie gewinnen wollte. Arnsbach aber war stur und wollte ihren eigenen Weg gehen.
Bei der Polizei hatte sie eine steile Karriere hingelegt. Mit erst 37 Jahren war sie zur Leiterin des LKA ernannt worden. Natürlich, es hatte eine Rolle gespielt, dass ihr Vorgänger Franz Plöchl nach drei Herzinfarkten frühzeitig pensioniert worden war. Und ihr war auch klar, dass mit der Ernennung einer Frau für einen solchen Posten die Verantwortlichen eine politische Botschaft aussenden wollten, zeigen wollten, wie fortschrittlich die Polizei ist. Aber sie war auch gut, sehr gut, effektiv, flexibel, innovativ, klug. Sie wusste das und alle im Polizeiapparat wussten das. Als vorherige Leiterin der LKA-Außenstelle in der Wattgasse, die für die westlichen Bezirke zuständig ist, hatte Arnsbach die höchste Aufklärungsquote erreicht.
Manche männliche Kollegen waren vielleicht nicht begeistert gewesen von der Ernennung einer Frau, aber keiner konnte ihre Qualifikation in Frage stellen. Und keiner wagte es, ihr komisch zu kommen, denn Sophie Arnsbach hatte eine souveräne Ausstrahlung. Die hatte sie bereits in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Familie war seit jeher wohlhabend und die Sprösslinge dementsprechend selbstbewusst. Und Arnsbach wusste auch, dass sie von ihren männlichen Kollegen als sehr attraktiv und schick betrachtet wurde. Auch wenn sie unerreichbar war, standen doch etliche insgeheim auf sie.
Einer von ihnen war Reinhard Marasek, ihre ehemalige rechte Hand und nun ihr Nachfolger als Leiter der LKA-Außenstelle Wattgasse. Er war jetzt bereits vor Ort bei der 43er-Station Rosensteingasse und hatte ihr per Telefon die wichtigsten Informationen durchgegeben: Drei Asylwerber aus Afghanistan waren tot. Erschossen im hinteren Wagon einer alten Straßenbahngarnitur. Die Täterin eine Frau im Alter von 35 oder 40 Jahren, flüchtig. Zwei Zeuginnen, die noch vor Ort sind und die Sophie Arnsbach in Kürze genauer befragen wird.
Das Areal rund um die betroffene Straßenbahnstation war von der Polizei abgesperrt worden. Zwei Garnituren der Linie 43 standen im Stau, weitere wurden von den Wiener Linien „kurzgeführt“, also bereits bei anderen Stationen gewendet. Der Autoverkehr auf der Hernalser Hauptstraße wurde umgeleitet, sodass der Streifenwagen mit Arnsbach an Bord ohne relevante Behinderung zum Tatort durchkam. Sie wurde von Marasek empfangen, der sie mit seinem gewohnt entspannten und Arnsbach gegenüber gewohnt charmanten Ton unterrichtete:
„Wie´s ausschaut, hamma es da mit einer recht exzessiven Notwehrüberschreitung zu tun. Die drei Afghanen dürften die Täterin belästigt haben, die hat dann a Pistole zogen und die drei übern Hauf´n g´schossen. Wie die Rettung kommen is, war´n alle drei scho tot. Die Täterin ist z´erst stadtauswärts g´laufen und dann in die Gschwandnergasse Richtung Ottakring. Die Sofortfahndung hat nix ergeben.“
Marasek führte Arnsbach in den Wagon, in dem die Spurensicherung bereits am Werk war. In der Nähe des mittleren Einstieges lagen die Leichen von drei jungen Männern, einer war verdreht zwischen zweien der Doppelsitze auf der rechten Wagonseite eingeklemmt, einer lag mitten am Gang auf dem Rücken und der dritte auf dem Bauch, mit Kopf und einem Arm auf der obersten Stufe des Einstieges.
Die Spurensicherung hatte sich bereits ein grobes Bild gemacht und Melanie Hartl, die Leiterin des Teams, erläuterte Arnsbach und Marasek: „Soweit wir sehen, sind fünf Schüsse abgegeben worden.“ Der Tote zwischen den Sitzen ist aus nächster Nähe direkt ins Herz getroffen worden, der am Gang liegende hatte einen Einschuss im Gesicht und einen im Genitalbereich und der beim Ausstieg wurde einmal von hinten in die rechten Schulter und einmal im Hinterkopf getroffen. Genaueres konnte die Spurensicherung vorerst noch nicht sagen.
Arnsbach und Marasek verließen den Wagon wieder durch den Hinterausgang. Die Chefin wandte sich an Marasek: „Was wissen wir über die Opfer?“
„Alle drei stammen aus Afghanistan. Sie heißen… Moment, ich hab´s hier… Abdullah Razzaq, Atash Omar und Mohammed Sanani. Sie san im September 2015 mit der ganzen Flüchtlingswelle nach Österreich kommen. Ihre Asylanträge san im März oder April abg´lehnt worden, aber natürlich ham´s als ‚subsidär Schutzberechtigte‘ hierbleiben dürfen.“
Den Begriff „subsidär Schutzberechtigte“ hatte Marasek bereits mit einem ironischen Unterton ausgesprochen. Er setzte fort: „Zum Dank an die österreichische Bevölkerung ham zwei von den drei Herren bereits a sexuelle Belästigung am Kerbholz und dafür a a Strafe ausg´fasst, aber natürlich nur bedingt. Also von Opfern kann man bei denen ned wirklich sprechen.“
Jetzt hatte Arnsbach genug. In einem keinen Widerspruch zulassenden Ton wies sie Marasek zurecht: „Hör jetzt sofort auf, Reinhard. Wir haben in Österreich nicht die Todesstrafe und schon gar nicht auf sexuelle Belästigung. Außerdem sind das ja junge Burschen. Wie alt sind die denn überhaupt?“
„Zwei san 17 und einer 18.“ Trotzig und mit einem leichten Lächeln fügte Marasek hinzu: „Zumindest steht des in ihren Papieren und dann wird’s ja sicher stimmen.“
„Und wer sind die beiden Zeuginnen?“, wollte Arnsbach wissen.
„Die auskunftsfreudigere von den zwei heißt Theresa Klier. Sie is 24 Jahre alt, studiert Soziologie und war am Heimweg von der Uni. Leider hat sie die Schützin nur von hinten g´sehen. Sie is nämlich ganz hinten im Wagon g´sessen. Die andere heißt Jelica Milenkovic, 41 Jahre alt, Arbeiterin im Opel-Werk in Aspern. Sie hat heute Frühschicht g´habt und war dann am frühen Abend eine frisch operierte Freundin im AKH besuchen. Sie macht kan Hehl d´raus, dass sie Verständnis… oder eigentlich Sympathie für die Täterin hat.“
„Fangen wir mit der auskunftsfreudigeren an.“
Theresa Klier war in der Zwischenzeit von einer Polizeibeamtin mit Tee versorgt worden und hatte auf ihre Vernehmung gewartet. Sie war eine sehr dünne junge Frau, ungeschminkt, die rot gefärbten Haare zu einem Zopf zusammengebunden, langer schwarzer Mantel und auch sonst überwiegend schwarz gekleidet, dazu auffallend grüne Schuhe. Arnsbach begrüßte sie höflich und ließ ihr beim Einsteigen in den Polizeibus durch die seitliche Schiebetüre den Vortritt. Arnsbach und Marasek folgten nach. Die Aufregung war Klier anzusehen und Arnsbach fragte beruhigend:
„Frau Klier, wie geht es Ihnen? Ich möchte Sie nun als Zeugin vernehmen. Sind Sie dazu bereit?“
„Ja, es geht schon. Fragen Sie nur.“
„Sie sind im hinteren Teil des Wagons gesessen. Können Sie uns bitte möglichst genau beschreiben, was Sie gesehen haben. Jedes Detail kann wichtig sein.“
„Ich bin am Schottentor in die Straßenbahn eingestiegen. Sie war ziemlich leer, weil es vorher eine Verkehrsbehinderung gegeben hatte und deshalb dann drei Straßenbahnen ziemlich dicht hintereinander gefahren sind. Weil ich es nicht eilig hatte, wollte ich nicht die beiden ersten vollgestopften nehmen und bin in die dritte eingestiegen. Da waren nur vier oder fünf Leute drinnen, die meisten sind bei der Spitalgasse wieder ausgestiegen, nicht aber die Frau, die dann die drei Männer erschossen hat.“
„Wo sind denn die drei Männer eingestiegen?“, fragte Arnsbach.
„Das war bei der Spitalgasse. Die sind beim mittleren Einstieg rein, zwei haben sich hingesetzt und einer ist neben ihnen stehen geblieben. Sie haben sich in ihrer Sprache recht lebhaft unterhalten und dabei immer wieder zu der blonden Frau hingeschaut.“
„Wo ist denn die Frau gesessen? Wie hat sie ausgesehen? Was war sie für ein Typ?“
„Typus ‚nordische Kriegerin‘, würde ich sagen, so ein sportlicher Typ. Also sicher über 1,70 groß, lange Beine, lange blonde Haare, breite Schultern. Blitzblauer Anorak, blaue Jeans, schwarze sportliche Schuhe. Sie ist etwas hinter dem mittleren Einstieg links auf einem Einzelsitz in Fahrtrichtung gesessen. Deshalb hab ich sie die ganze Zeit auch nur von hinten gesehen.“
„Was ist dann weiter passiert? Sind noch weitere Personen eingestiegen.“
„Fast keine. Nur die Frau, die den Kampf dann auch gesehen hat. Sie ist beim Gürtel eingestiegen, glaub ich. Ungefähr ab der Palffygasse sind die drei Männer dann offensiver geworden. Sie haben immer mehr zu der blonden Frau hingestarrt, sie angelacht, irgendwelche Gesten gemacht.“
„Wie hat die Frau reagiert?“
„Sie hat sie zuerst ignoriert. Aber dann, ungefähr bei der Station Elterleinplatz, sind die drei zu ihr hingegangen, haben sich vor ihr aufgebaut, haben mehrmals was von ‚Ficken‘ geredet und obszöne Gesten gemacht. Die Frau ist sofort aufgestanden. Sie hat einen Schritt zurück gemacht und sehr laut gesagt, ‚schleicht´s euch, ihr Arschlöcher!‘ Die sind aber dann näher auf sie zu und haben nach ihr gegriffen. Zwei waren vorne, einer knapp dahinter… der Gang ist ja nicht so breit. Einer, der von mir aus gesehen auf der linken Seite war, hat ihr dabei in den Schritt gefasst. Daraufhin hat sie dem mit der linken Faust einen Schlag auf den Hals verpasst, ich glaub, auf den Kehlkopf. Der ist eingegangen und der andere neben ihm, der hat kurz zu seinem Freund geschaut und er wollte sich dann in Rage auf die Frau stürzen. Da hat sie aber schon mit der rechten Hand eine Pistole aus der Jackentasche geholt und auf ihn gerichtet… er hat einen Schritt zurück gemacht und dann hat sie ihm mitten in die Brust geschossen. Der ist dann nach rechts zwischen die Sitze geflogen. Der andere hat sich inzwischen wieder einigermaßen aufgerappelt gehabt, ist aber noch etwas gebeugt und unsicher auf den Beinen gestanden. Sie hat ihm aus einem Meter Entfernung ins Gesicht geschossen. Das war keine Notwehr mehr. Ich hab wirklich das Gefühl gehabt, sie wollte ihn töten. Und erst recht beim dritten, der weiter im Hintergrund war… er hat sich schon zur Flucht umgedreht und sie hat noch auf ihn geschossen. Sie hat ihn zuerst nur in die Schulter getroffen, er ist am Boden gelegen und hat sich bewegt, geflucht und geklagt. Die Frau ist dann über den, der in der Mitte gelegen ist, drübergestiegen, zum dritten hingegangen und hat ihm in den Hinterkopf geschossen. Das war so arg, wie eine Hinrichtung.“
Theresa Klier war jetzt offenbar erschöpft von ihrer Erzählung. Sie hielt inne und zitterte ein bisschen. Arnsbach versuchte ihr den Druck zu nehmen: „Lassen Sie sich ruhig Zeit, Frau Klier. Wollen sie noch einen Tee?“
Klier schüttelte langsam den Kopf. „Nein nein, wir können weitermachen.“ Sie wollte die Vernehmung offenbar rasch hinter sich bringen.
„Gut, Frau Klier, dann frage ich weiter. Es sollen ja fünf Schüsse abgegeben worden sein, sie haben uns aber nur von vieren berichtet.“
„Das war so… die Frau hat also dem dritten Mann in den Hinterkopf geschossen und der hat sich dann nimmer gerührt. Dann hat sie sich die Kapuze von ihrem Anorak aufgesetzt und tief ins Gesicht gezogen. Und dann hat sie zwei oder drei Schritte nach hinten gemacht und hat dem Mann, der in der Mitte lag, in die Genitalien geschossen. Ich glaube, sie hat sich absichtlich so bewegt, dass ich sie nicht von vorne sehen konnte. Wenige Momente später sind wir in der Station hier eingefahren, sie ist aus dem Wagon gesprungen und davongerannt.“
„Stadtauswärts und dann links in die nächste Gasse, richtig?“
„Ja, genau.“
„Der Mann, dem sie in die Genitalien geschossen hat, war das der, der ihr zuvor in den Schritt gegriffen hat?“
„Ja, der war das. Und so, wie die auf mich gewirkt hat, hat sie ihm genau deswegen in die Genitalien geschossen. Als Symbol sozusagen. Für den war´s schon egal, der war da sicher schon tot. Aber diese Frau ist eine verrückte Killerin.“
Diese letzte Bemerkung reizte Marasek: „Frau Klier, wie diese Belästigung ang´fangen hat, mit Blicken, Worten und Gesten, ham Sie da irgendwie eingriffen? Ham sie da irgendwas g´sagt oder so?“
Klier wurde verlegen. Nach kurzen Zögern sagte sie kleinlaut, „nein, ich war wie versteinert.“
Marasek konnte nicht anders als nachzusetzen: „Und a die nordische Kriegerin wird in der Situation ned grad super entspannt g´wesen sein.“
Arnsbach machte dem ein Ende: „Vielen Dank, Frau Klier, für Ihre genaue Schilderung. Wir lassen Sie für heute in Ruhe. Ein Streifenwagen wird Sie nachhause bringen. Aber Sie müssen morgen Vormittag zu uns ins Kommissariat in die Wattgasse kommen, damit wir die Aussage schriftlich machen… gegen 10 Uhr bitte. Und es werden wahrscheinlich auch noch Nachfragen auftreten. Wenn Sie nach dem Erlebten psychologische Unterstützung möchten, sagen sie bitte den Kollegen von der Ermittlungsgruppe Bescheid.“
Nachdem Klier den Bus verlassen hatte, atmete Arnsbach tief durch und sagte zu Marasek: „War das nötig, Reinhard? Die Klier hat eine sehr brauchbare Aussage gemacht und leicht war das Ganze für sie sicher auch nicht.“
„Ja, eh“, erwiderte Marasek, „aber mir ist des auf die Nerven gangen, mit was für einer Überheblichkeit die die Täterin verurteilt hat.“
„Trotzdem sind solche Kommentare nicht sehr professionell.“
„Hol ma die Milenkovic rein?“, wechselte Marasek das Thema.
„Ja, hol sie rein. Aber ich führe weiterhin die Vernehmung“, stellte Arnsberg klar.
Jelica Milenkovic war mittelgroß, trug eine kurze Winterjacke, hohe Stiefel und enge Jeans, die ihre nicht ganz schlanken weiblichen Formen betonten. Sie hatte große dunkle Augen und blond gefärbte, halblange Haare und war erheblich geschminkt. In ihren Gesichtszügen glaubte Arnsbach die Spuren eines anstrengenden Lebens einer Fabrikarbeiterin mit zwei minderjährigen Kindern erkennen zu können… diese Infos hatte sie im Vorfeld von den Kollegen erhalten.
„Frau Milenkovic, danke, dass Sie auf uns gewartet haben…“
„I hab ja ka andere Wahl g´habt.“
„Trotzdem danke. Ich würde dann damit beginnen, Ihnen einige Fragen zu stellen. Sie sind österreichische Staatsbürgerin…“
„Des ham ihre Kollegen doch eh scho auf mein Personalausweis g´sehen. Aber wenn´s darum geht, meine Eltern san aus Serbien und i bin als Vierjährige nach Wien kommen.“
„Was ist da vorhin in der Straßenbahn passiert?“
„Na, diese Typen san endlich amal an die Richtige geraten und ham bekommen, was sie verdienen.“
„Wie meinen Sie das? Wieso ‚endlich einmal‘?“
„Mei 15-jährige Tochter geht in a Handelsakademie. Da warten dauernd afghanische junge Männer vor da Schul und gehen den Mädels nach, reden sie deppert an und so weiter… und die Polizei sagt, sie können nix machen, weil ka Delikt vorliegt. Einer Freundin von mir hat im Sommer so a Flüchtling untern Rock griffen… und sonst hört ma a lauter solche Sachen. Ihr seid´s ja die Polizei, ihr müsst´s ja wissen, was da los is. Aber ihr macht´s nix, also braucht´s euch ned wundern, wenn amal a Frau des selber erledigt. Und vielleicht spricht si des ja jetzt bei die Afghanen rum, dass des Belästigen a g´fährlich sein kann.“
Arnsbach hatte der Zeugin bewusst den Raum für diese Ausführungen gegeben, denn sie wollte Milenkovic´ Einstellung kennenlernen, um ihre Aussage dann besser einordnen zu können. Danach fragte sie die Zeugin zum Ablauf des Geschehens und Milenkovic bestätigte die Angaben von Klier. Milenkovic war im vorderen Teil des Wagons in Fahrtrichtung gesessen. Ab dem Zeitpunkt, wo die drei Afghanen begannen die spätere Täterin anzureden, war sie auf die Situation aufmerksam geworden und hatte sich zur Wagonmitte umgedreht. Milenkovic musste die Täterin von vorne gesehen haben. Deshalb war die folgende Frage für Arnsbach von entscheidender Bedeutung.
„Frau Milenkovic, wie hat denn die Täterin ausgesehen? Ihre Aussage ist wichtig, erzählen Sie uns bitte möglichst genau!“
„Sie war eher groß, gute Figur, lange blonde Haare. Ungefähr Mitte 30, würd i sagen. Blauer Anorak, Jeans und dunkelblaue Sportschuhe.“