Die Zeitung - Werner Szczepanski - E-Book

Die Zeitung E-Book

Werner Szczepanski

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Beschreibung

Der 'MorgenKurier', das im Buch alles verbindende Element, provoziert einen ungewohnten Blick auf unsere Gesellschaft. Diese Zeitung kämpft um ihr Überleben, ein Kaufmann will Spuren seiner eleganten und gleichzeitig berüchtigten Vergangenheit hinterlassen, ein alter Chefredakteur versucht ihren Fortbestand zu retten und kämpft während der Redaktionssitzungen täglich um Vermittlung zwischen den Kollegen, aus dieser Runde erkennt nach einigem Anlauf ein Journalist die Chance seines Lebens und geht ein Bündnis mit dem Kaufmann ein, ein Mafioso steuert die Hamburger Baupolitik, erfolgreiche Politiker lassen sich bestechen und genießen ihr ausschweifendes Leben, das jederzeit von Aufdeckung bedroht ist. Das ist eine Seite ihres Lebens. Dieses Buch beschreibt die lange Reise des 'MorgenKurier' vom ersten Andruck, über Geschichten, die den Angestellten zustoßen, bis zu seinem bitteren Untergang. Die verlängerte Lebensdauer der Zeitung schien ohnehin nur durch die viele Monate gedruckte Serie über das Treiben des Hamburger Kaufmanns möglich. Seine Geschichte war den Lesern so interessant, dass die zunächst geringe Auflage enorm stieg und damit die Zeitung am Leben hielt. Ungewöhnlich ist die Konstruktion des Dialogs zwischen dem Schreiber der Serie und seinen treuen Lesern. Zeitungen werden von Menschen gemacht, die sich der Loyalität, aber auch ihren eigenen Zielen verschrieben haben. Doch je länger das Buch vorangeht, wird deutlich, wie sehr sich jeder Einzelne von ihnen nur vermeintlich freiwillig seinem Schicksal unterwirft, so als würde kein anderer Weg möglich sein.

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„Ich freue mich, die so berühmt sichere Hand zu halten. Guten Tag! Hallo? Ich sagte: Guten Tag!!

Wieder keine Antwort? Gut, vielleicht ist es auch nicht notwendig, dass Sie reden und stattdessen lieber nur zuhören möchten! Ich will so beginnen: wir kennen wir uns nicht, obwohl Sie schon oft für Freunde tätig waren. Deswegen ist es nicht unbedingt eine unbekannte Fügung, dass ich auf Sie gestoßen bin. Auch ragt Ihr Ruf aus der langen Liste möglicher Schützen nicht unbedingt himmelhoch heraus, trotzdem habe ich mich für Sie entschieden. Wieso? Mein kleiner Finger blieb einfach an Ihrem Namen hängen. Jetzt, wo Ihre Wirklichkeit vor mir sitzt, bereue ich nicht meinen Schritt. Erschreckend kalt wirken Sie. Das macht mich glauben, Sie wären im Stande, zu treffen, was ich es will.

Nun zu mir! Ich bin aus der Mitte unserer Hamburger Gesellschaft, der, für den diesmal gearbeitet wird. Ich mache andere Geschäfte als Sie, bessere. Bei meinen geht man lautlos voran. Nicht der kleinste Knall, nicht der ansehnlichste Tote. Am Anfang nur schön weißes Papier, am Ende stehen ein paar verlorene Sätze darauf, aber stets machen sie mich zufrieden. Bitte? Ja, Sie haben recht, setzen wir uns erst einmal, so redet es sich besser. Also, über unseren Vermittler habe ich bereits gehört, dass viel Reden nicht Ihre Stärke ist. Verzeihen Sie, das macht mir gar nichts. Ich sage Ihnen, was zu tun ist, Sie nicken mit dem Kopf, ich erhalte Ihre Kontonummer. Was wollen Sie? Ich soll Ihre Notiz lesen? Was steht denn drauf? Sie wollen die Zwanzigtausend in bar? Auch gut. Nach Ihrer Zustimmung bekommen Sie fünf von mir für den Ankauf einer neuen Waffe, den Rest lege ich im Hauptbahnhof in das Schließfach mit der Nummer 'Einhundert'. Der Code ist 'Procida14'. Beginnen wir mit Ihrer Aufgabe. Was ich Ihnen jetzt erkläre, und ich tue das nur einmal, wird nicht einfach von Ihnen verstanden werden. Wenn es auch gegen Ihre Einstellung verstoßen sollte, diesmal wird nicht getötet! Sie schießen auch nicht mit Ihrer Waffe, sie wäre mir wegen ihres wahrscheinlichen Bekanntheitsgrades zu gefährlich. Ich will von Ihnen aus etwa zweihundert Metern den Schuss von vorn mit einer M40A3, Kaliber 6,72, in die Schulter eines Mannes. Er wird Dienstag nächster Woche gegen zehn Uhr über den Zebrastreifen Millerntorplatz/Ecke Reeperbahn gehen und ist etwa so groß wie Sie. Blond, auch hat er ein ähnliches Gewicht, ähnlichen Gang und fast wirkt er wie ein Student. Kleiden wird er sich wegen des ausgehenden Winters mit einer dicken, grün abgesteppten Lederjacke. Sonst scheint er ziemlich unempfindlich gegen Kälte zu sein, eine Mütze oder einen Kappe trägt er jedenfalls sehr selten. Ich werde etwa fünf Meter hinter ihm gehen und zum Zeichen, dass kein Problem ist, kurz mit meinem Hut in seine Richtung zeigen. Ist Ihr Schuss erfolgt, und habe ich mich davon überzeugt, das er den Angriff überstehen wird, liegt der restliche Betrag im Schließfach. Ist er tot, bekommen Sie nichts. Im Gegenteil, an das Ende der Welt lasse ich Sie von Ihren Kollegen verfolgen, bis ich nicht nur die ersten Fünftausend zurück habe, sondern auch Ihr Leben. Um den Fluchtweg müssen Sie sich selbst kümmern, kundschaften Sie ihn sicherheitshalber vorher aus. Vergessen Sie später nicht mein Geld aus dem Schließfach zu holen. Stelle ich fest, dass Sie Ihre Aufgabe gut erledigt haben, wird sich, wie versprochen das Geld dort befinden. Kann ich mich auf Sie verlassen? Gut, ich verstehe Ihr Nicken als Zustimmung. Sind noch Fragen? Moment, das kann man ja kaum lesen, soll das heißen: wo sind die Fünftausend? Dort an der Garderobe hängt ein heller Kamelhaarmantel. Nehmen Sie den Umschlag aus der Brusttasche. Nun bleibt mir nur, Ihnen ein gutes Gelingen zu wünschen und noch einmal darauf hinzuweisen, dass Sie bitte am Dienstag Hamburg verlassen. Auf Wiedersehen.“

„Herr Ober? Ja, Sie. Einen Café nur für mich, bitte. Der Herr neben mir geht sofort. Nein, keinen Zucker. Vielleicht ein paar von Ihren herrlichen Keksen? Auch die Zeitung?“

*

Wegen der angenehmen Kühle stand Morgentau in der Nähe eines halb geöffneten Fensters, das sich in der gemieteten zwanzigsten Etage eines neuen und ideenlos verglasten Bürogebäudes befand.

Hierher gezogen war der Verlag aus der schmutzigsten Ecke Altonas, wo sich selbst die Sonne dagegen stemmte, am Tag aufzugehen, sich abends fürchtete, auch nur eine Minute länger als notwendig zu scheinen.

Große Hoffnungen auf eine bessere Zukunft hatten den schwierigen Wechsel begleitet. Doch daran wollte er jetzt lieber nicht denken, denn Sorgen gab es genug. Optimistischer schien es, sich einen Schritt von dieser schwierigen Vergangenheit zu entfernen.

Er blickte auf, und wie er es seit Jahren gewohnt war, sah man weit über die Spielzeugdächer der Stadt hinaus, ja, bis an die letzte Linie des Horizonts. Heute jedoch war ein anderer Tag, er ließ ihn so weit nach vorn sehen, wie es Morgentau gar nicht wünschte. Auch schien der graue Horizont an diesem Morgen näher als gewohnt und bedeutete ihm aus diesem Grund ein schlechtes Omen. 'Der mit ihm verbundene Untergang meiner Zeitung ist also nicht mehr abzuwenden', dachte er.

Morgentau stütze das Kinn auf die offene Handfläche und zupfte leicht mit Zeige- und Mittelfinger an seinem rechten Ohrläppchen. Das sah seltsam aus, doch tat er es oft, wenn Aufregung drohte und kein anderer Ausweg erkennbar war. Die Sorge um das Wohl der Zeitung und ihrer Angestellten hatte ihn in den letzten Jahren beständig angsterfüllter in die Zukunft sehen lassen. Um sein Blatt wichtiger, vielleicht sogar einmalig erscheinen zu lassen, hatte er deshalb überall nach neuen Möglichkeiten gesucht, viele Gespräche mit Ideenlieferanten geführt. Entstanden war dabei der Gedanke, eine auffällige Unterscheidung zu den anderen Blättern würde aus der Misere helfen, nicht das drucken, was man bei den Konkurrenten lesen konnte. Nur absolut Neues dürfte das sein, mitreißen müsste es die Leute durch eine noch unbekannte Mischung von Gut und Bös, von Vorstellbarem und von Illusionärem, sodass sie gar nicht anders könnten, als seine Zeitung zu kaufen. Womit dürften sich die Themen beschäftigen? Nächte hatten ihn diese Gedanken belauert, herausgekommen war außer Qualen nicht eine einzige gute Idee. Wieso nur ist das so schwer, mal den eingeschrittenen Weg zu verlassen, entdecken was noch keinem gelang?

Furchtbar war die Ungewissheit, und sicher schien ihm, den endgültigen Untergang des Blattes durch niemanden mehr abwenden zu können.

Wenn er dann nach durchgrübelter Nacht endlich um fünf Uhr aufstand, um den Büroalltag noch im Haus vorzubereiten, war bereits der letzte verbliebene Freund, dieses krankmachende Gefühl, im Magen. Einzige Hilfe bot nur die Erkenntnis, seine Mitarbeiter müssten noch stärker motiviert werden, mussten weiter an einem unverwechselbaren Stil für die vielen noch unbekannten Artikel feilen. Aber mach das mal, wenn du nicht weißt für welchen? Dann versuchte er einen Kaffee, dazu ein paar Tropfen Averna. Auch die kleine Zigarre, Rest des Versuchs vom gestrigen Tag, glimmte schon in seiner Hand und doch, zu trinken oder zu rauchen konnte er sich selten überwinden. Er hasste Tabakgestank, der dann im Wagen unweigerlich aus seiner Kleidung aufsteigen würde. Auch heute begab er sich wieder an seinen überaus protzigen Wagen, das Einzige, was ihm aus besseren Zeiten geblieben war. Morgentau wohnte verkehrsgünstig. Er hätte auch mit der Bahn fahren können, aber sein Widerwille war groß gegen den auf jeder Station gleichen widerlichen Geruch von Buttercroissants und Käsebaguettes. Ihre Schwaden drangen selbst durch die geschlossenen Türen der Waggons und hinterließen nichts als Übelkeit. Da zog er doch das Alleinsein in seinem Wagen vor. Glücklich war er nicht damit, denn der Kontakt zu flüchtigen Bekanntschaften fehlte, auch zu den vielen ungleichen Gesichtern von Übernächtigten und Ausgeschlafenen, hinter denen oft lange Geschichten versteckt schienen.

,Und was ist mit meiner Frau Imme, die von einem Aussehen war, das jeden Mann dazu bringen würde, mit ihr auszugehen? Magnus, wieso stellst du dir diese Frage, jetzt an dieser Stelle?', dachte er, während sich der Zündschlüssel wie von Zauberhand bewegte. Doch Morgentau wusste, sie hatte den ihn täglich belastenden Druck nicht aushalten wollen. Hatte ihn an einem Morgen, elegant gekleidet im schulterlosen Kleid, noch mit ihren schicken Medusentränen vom Vorabend um den Hals und ein bisschen Aphrodites Schwester ähnlich, vor die Wahl gestellt: das Dünnbedruckte oder ich? Auch wenn Imme ihn dabei versöhnen wollend in den Arm genommen hatte, ahnte er, nie wird ihr der Gedanke 'ihm zu helfen' durch den Kopf gehen. Und Liebe? In diesem Augenblick musste man spüren, sie ist vorbei, und nichts als Qualen warten in einer gemeinsamen Einsamkeit. Dass ein Partner stirbt, ist schlimm genug. War man gewohnt, zu zweit zu sein, und geht nach Jahren streitend auseinander, wiegt eine Trennung weit schwerer. Lebte man doch lange miteinander, bis jeder Bestandteil des anderen geworden war – und dann kommt dieser lebende Bruch. Nun lösen sich zwei Menschen aus irgendeinem nichtigen Grund voneinander und werden bei vollständiger Besinnung darunter leiden bis an ihr Lebensende.

,Wie war es denn bei Beginn unserer Liebe?', fragte er sich und dachte mit Freude daran, wie ihn ihr Lächeln eingefangen hatte. So viel konnte sie hineinlegen. Wenn er sich früher auf der Fahrt ins Büro befand, war es ihm noch immer als unbeschwert und faszinierend in Erinnerung. 'Ich glaube, die Reinheit ihres Lächelns hat mich überwältigt, nicht zu lösen war mein Blick von ihr. Keine Druckmaschine konnte feinere Züge hervorbringen, kein Layout eine bessere Stimmung verbreiten. Als ich das erste Mal mit ihr tanzte, wandelten sich vor meinen Augen die anderen Frauen in den Armen der Männer. Plötzlich hatte jeder meine schöne Imme umfasst, sie war überall. Doch bevor es mir gelang eifersüchtig zu werden, löste sich der Schein, und nur ich besaß sie.'

An jenem schrecklichen Morgen vor ihrer Abfahrt hatte Magnus nicht bemerkt, wie lange er gelähmt geblieben war. Endlich reagierte sie und fragte, ob er etwas mit der Halswirbelsäule hätte, er wirke so seltsam verdreht. Es waren die letzten der guten Gefühle für ihn. Und am Morgen nach Immes Flucht war von ihrem Lächeln nichts mehr geblieben. Arm an Worten und Taten waren beide schon lange.

Auch hatte er in dem entscheidenden Augenblick nach ihrer Frage nichts anderes als das Dünnbedruckte gewollt, auch nicht zufällig das Richtige getan, nichts sie an sich zu binden. Nur die Zeitung war sein Leben! Nichts erfüllte ihn mehr. Doch waren in den nun vergangenen letzten Wochen seine Gedanken an die Frau wieder eindringlicher geworden, hatten sich in ein unentwirrbares Netz versponnen. Es abzustreifen mühte er sich bei jedem Start in den Morgen, doch zwecklos waren die Versuche. So fuhr er alle Tage, nachts mutlos geworden in ihrer unsichtbaren Nähe, hinein in die dunkle Tiefgarage, einundzwanzig Etagen unter seinem Büro. Öffnete er die Tür seines protzigen Wagens, schlug ihm beklemmende Dunkelheit entgegen, die in ihrer überquellenden Intensität an seinen vergangen Lebenstraum erinnerte.

Noch stand er am Fenster, und vielleicht heute hätte der Tag sein können, der ihn an einen verblüffenden Gedanken geführt hätte, wäre da nicht eben der überraschende Vorschlag eines Kollegen gewesen, schon jetzt mit der täglichen Redaktionssitzung zu beginnen. „Was gibt es Neues“, wollte Morgentau wissen, „einen Weltuntergang, einen neuen Planeten in unserem Sonnensystem, der in das Zentrum dieser Stadt einschlagen könnte? Wenigstens eine neue Rosensorte?“

„Nichts dergleichen, aber die jeden Tag eintreffenden Weltsensationen von Unfällen und Kriegen.“

„Herr Lange, es ist wirklich nicht mehr wichtig, was davon auf unseren Seiten steht und schon gar nicht, wo diese Ereignisse stattfinden. Alles wurde schon hundertmal berichtet und gedruckt. Von allen wird jede Neuigkeit bis zum Erbrechen durchgekaut. Merken wir denn nicht, wie abgestumpft die Leser durch ständige Wiederholungen von Mord und Totschlag geworden sind? Mich selbst ermüdet nur noch dieses Wühlen im Untergrund für eine unbedeutende Neuigkeit, das ständige Hervorheben von Banalitäten“, stöhnte Morgentau. „Wo ist nur meine alte Gelassenheit geblieben? Herr Lange, nun gehen Sie bitte schon vor, ich komme in einer halben Stunde nach. Herr Lange, selektieren Sie Ihre Nachrichten mit größter Sorgfallt, denn die braucht man, um den Lesern gegenüber ehrlich zu bleiben. Herr Lange, Sie wissen, dass ich zuvor noch kurz den Erikkson sehen will?“

Der Mitarbeiter stand wie angefroren vor ihm und fühlte sich angegriffen. 'Weiß der Alte, wie mühsam das Filtern der eingehenden Meldungen ist?' quälte er sich. 'Hat der jemals geprüft und geprüft, jeden Satz auseinandergenommen, Grammatik und Stil mit seinem eigenen Anspruch verglichen?'

„Haben Sie eine bessere Lösung, um unser Blatt zu füllen?“, fragte er beleidigt, wobei er bemüht war, seine Stimme nicht der inneren Haltung anzugleichen.

„Was haben Sie gesagt?“ Morgentaus ungeduldige Stimme klang scharf.

,Da erwartet der Alte Toleranz, Einfühlungsvermögen, ohne selbst einen Funken davon zu besitzen', dachte Herr Lange.

„Herr..., jetzt habe ich vor Ärger doch Ihren Namen vergessen! Herr Lange, mein Job macht hart, laut, oft auch ungerecht. Wenn Sie den Grund dafür nicht verstehen, kann das hier nicht Ihr Zuhause sein. Sie sind nicht bei uns, weil die Zeitung ein gemütlicher Verein ist. Hier geht es um schnellen Umsatz, Gewinn, verstehen Sie? Wir können nur das schreiben, was die Leute kaufen.“

„Wollten Sie mir nicht etwas anderes erzählen?“ Langsam wurde Lange aggressiv.

Morgentau hatte das Aufbegehrende seines Kollegen nicht hören wollen und schon gar nicht dessen Tonfall beachtet. Wieder bei der Suche nach einer Lösung ihres Problems war er und sagte wie abwesend: „Gerade habe ich die Idee, dass wir regionaler werden müssen, um uns zu unterscheiden. Eine neue Art von Einfühlungsvermögen entwickeln, am besten so richtig persönlich sein! Gespräche mit Leuten aus dem Kiez, wo einer den anderen kennt, das wäre doch was. Die Leute wird das aufmerksamer machen. Ebenfalls greifen wir auf Ereignisse aus der City zurück, kehren damit den Trend um, zu wissen was Einzigartiges in China oder auf den Philippinen eingetreten ist! Aber bitte nicht so einen Stil vom Lande, nein, die Leute müssen sich durch uns besser fühlen, vielleicht sogar gehobener? Wir bräuchten auch einen neuen Namen für unser Blatt, APH beispielsweise, die neue Alster-Pauli-Hafenzeitung.“

„Um Gottes Willen“, schrien die ersten, „das hört sich nach staubiger Provinz an. Wir leben in Hamburg und schreiben hier nicht für Kleinbürger! Wir sind gute Leute, die nichts weiter als anständige Arbeit wollen! Das ist wieder nur eine Ihrer fixen Ideen, nichts Reales darf sich hinter ihnen verbergen!“

„An was denken Sie sonst? Den Weg, uns in den Dienst einer Partei, einer religiösen Richtung zu stellen, das hatten wir schon abgehakt. Nur über Sport zu schreiben ist unter unserer Würde. Dieses Blatt ist mehr als ein Stück Papier mit Buchstaben und einem blassen Wasserzeichen. Wie sind bitte Ihre Vorschläge? Höre ich etwas? Sehen Sie, eine Antwort fehlt, wie immer. So einfach machen Sie sich das. Kritisieren, ja, meckern, ja, besser machen? Wie bitte? Warum denn?“

„Sollen wir uns etwa von der einmal gültigen Vorgabe lösen, nur Gutes mit überhöhenden Worten zu bringen, stattdessen das Leben ehrlich beschreiben wie es ist, mit viel Bösem und wenig Positivem?“

Verzweifelt sah Morgentau in ihre Richtung, zu sagen war nichts weiter, jede Lösung war jetzt entfernter als noch heute Morgen. Um keine Schwäche zu zeigen, informierte er seine Sekretärin, endlich gehen zu müssen. Für ein halbe Stunde, vielleicht auch ein paar unbedeutende Minuten länger.

*

Leiff beschloss, eine Weile länger im Bett zu bleiben. Wieder hatte er den Wecker nicht gehört und ein oder zwei Stunden später im Büro zu sein, bedeutete ihm noch nie etwas. Bewusst war ihm aber der Grund seiner Müdigkeit, hatte er doch erneut in der Nacht ein paar Stunden wachgelegen. Immer geisterten die ungeliebten Brüder Objektiv und Subjektiv vorbei. Sie zu vertreiben hatte er nach ihrem kleinsten Nenner gesucht und war auf 'Freiheit' gestoßen. Er wusste, wie wichtig das damit verbundene Lebensgefühl ist, war es ihm doch erst nach dem Verlassen der Mutter begegnet. ,Freiheit', dachte er, ,darunter versteht jeder etwas anderes. Und Freiheit muss subjektiv sein, sonst würde sie nicht dem Einzelnen gerecht werden. Oder sollen alle gleich empfinden? Wäre das objektiv?'

Leiff liebte diese Gedankenspiele, und in Ermanglung eines Partners waren sie einfach notwendig. Auch beim Frühstücken beeilte er sich nicht, schließlich kann Hektik lebensbedrohend sein. Dafür besserte sich die Stimmung von Minute zu Minute, und schließlich war seine Taktik ausgereizt. Irgendwann müsste sowieso gearbeitet werden.

Er betrat die Straße und bemerkte schmerzhaft den Unterschied zum warmen Bett. Eine aufgehende Sonne hatte die Temperatur der Nacht weiter sinken lassen, eiskalt war es, böiger Sturm scheuchte restliche Eichenblätter über Wege und Straßen der Innenstadt.

Vor dem Überqueren eines Fußweges verharrten seine Füße einen Augenblick. Gegen die Kälte wollte er noch seine schwedisch blaugelbe Wollmütze über den Kopf ziehen, auch der Schal musste noch ein paar Zentimeter enger gebunden werden, und nun machte sich der angestellte Journalist Leiff Erikkson, endgültig auf den weiteren Weg ins Büro. Für eine Sonnenbrille reichte im Sommer nicht das Geld und deshalb war er geblendet, als er vor sich einen verblichenen Zebrastreifen erkannte, der wie ein gemalter Teppich auf dunklem Asphalt lag. ,Sonne im Winter?', wunderte sich Leiff. Hell, aber niedrig stand sie jetzt am Horizont.

Dann traf ihn ohne Vorwarnung ein mächtiger Schlag. Leiff ging noch über die Straße, da spürte er ihn. Heiß wurde die Schulter, seine Furcht schrie auf vor Schmerz, dunkel wurde ihm. ,Wenn ich eines Tages nicht mehr bin, wird es ähnlich sein', dachte er – und wollte nicht gleich jetzt sterben. Sein haltloser Körper fiel, lag dann ohne jede Hoffnung auf der Straße. Jetzt war es leicht sich dem Tod zu ergeben. Leiff blieb wenig Zeit weitere Erinnerungen zu verbinden und wollte doch altes Aufbegehren gegen das Unvermeidliche nicht unterlassen. Ihm wurde, als wäre nie Leben gewesen, er versank in Ohnmacht und wachte, wer weiß nach wie langer Zeit, wieder auf. Stark zitterte er am ganzen Körper, auch das spitze Zirpen im Ohr war geblieben. Der Ton verstärkte sich noch und wurde unerträglich.

Gleich war ihm schlecht, erneut verlor er für einen Moment das Bewusstsein und ohne eine böswillige Absicht damit verbinden zu wollen, würde er jedem sagen, mit dem Anfang dieser Geschichte in die aufregendste Zeit seines noch jungen Lebens eingedrungen zu sein.

*

Der Tag ging weiter, niemand achtete mehr auf mich, der noch vor ein paar Sekunden ihre alltägliche Aufmerksamkeit hatte. Viele gingen vorbei, und mancher konnte nicht der Versuchung widerstehen, den Unglücklichen mit dem Fuß aus dem Weg zu räumen. Nur einer schien bereit zu helfen.

Als ich, noch im Schnee liegend, aus dem Labyrinth meiner Ohnmacht erwache, sehe ich ein Gesicht vor mir. Es beugt sich so etwas Ähnliches wie ein Mann über mich, er starrt mich an, seine Hand schlägt leicht auf meine rechte Wange. Mit: „Sie sind ja gar nicht to. Und ich war fest davon ausgegangen. Ich glaube, dann ist es ist besser, wach zu bleiben. Noch ist nicht Ihre tiefe Nacht“, versucht er, mich bei Besinnung zu halten und fährt fort: „Ich habe zwar keine Ahnung von diesen Dingen, habe vielleicht nur mal in einem Heimatfilm Situationen wie diese gesehen, wenn wieder einer dieser jungen Gipfelstürmer im fürchterlichen Schneesturm stecken geblieben ist. Aber wenn Sie ruhig bleiben, wird alles gut werden. Was machen Sie denn auch für Sachen? Gehen über die Straße und fallen einfach um, als wären Sie tot. Hallo, wie geht es Ihnen? Hallo!“

Plötzlich erschrickt der Mann. „Sie bluten ja“, ruft er entsetzt, „jetzt habe ich mir Ihretwegen den schönen Mantel beschmutzt! Das hat man davon, wenn man helfen möchte. –Verzeihen Sie, ich bin ein bisschen aufgeregt, das mit dem 'beschmutzt' ist mir so herausgerutscht. Bewegen Sie sich jetzt aber bitte nicht mehr. Der Krankenwagen muss gleich erscheinen, seine Sirene ist schon zu hören. Heranwinken müsste ihn dann jemand, vielleicht sollte ich das tun. Einen Augenblick nur, ich will vorher den neugierigen Polizisten verjagen. Der stört doch nur, und helfen kann er Ihnen ohnehin nicht besser. Angst müssten wir allerdings auch nicht vor ihm haben. Wir sind nicht in Amerika, wo du schon tot und gleich darauf verblasst bist, sobald du als Schwarzer einen Polizisten auch nur anlächelst.“

Sehr freundlich sind die Sanitäter. Einer fragt mich, ob mir schwindlig ist, ich verneine. Man legt mich auf eine Trage. Die beiden Männer bedecken mich wie einen dieser verstorbenen Pharaonen mit einer goldenen Folie, sie heben mich an und schieben meinen bewegungsunfähigen Körper in das Innere eines rotweißen Einsatzfahrzeuges, dessen Türen mir wie die Eingangspforte mindestens des Purgatoriums erscheinen.

Einer setzt sich zu mir und hält meine Hand. „Wie heißen Sie?“ fragt er geduldig.

Ich kann nicht antworten.

„Keine Angst“, schiebt er nach, „wir sind gleich in der Notfallhilfe des nächsten Krankenhauses. Sie haben nur ein bisschen Blut verloren, und die Schmerzen werden gleich vergehen. Ich habe Ihnen eine Beruhigungsspritze gegeben. Reichen Sie mir jetzt bitte Ihren Arm, ich will Puls und Blutdruck messen. Danach erzählen Sie, was in Ihrem Kopf herumgeht, und beginnen mit Ihrem Namen.“

Noch während er meine schwachen Reaktionen prüft, drifte ich ab, ein Narkosemittel verlängert später diesen Zustand, danach wache ich, schlafe ein, wache wieder, betreibe dieses Spiel bis zum Morgengrauen und beginne, mich bei den ersten Sonnenstrahlen vorsichtig abzutasten. Nur die Schulter schmerzt, fürchterlich, meine ich. Körper und Geist sind einigermaßen zu gebrauchen, stelle ich erfreut fest, und will mehr, beschränke mich jedoch zunächst ausschließlich auf die Benutzung meines Kopfes und bemerke nicht, dass ich schon wieder eingeschlafen bin.

*

,Ja, wer bist du?', überlegt krampfhaft mein Hirn. Wenn ich mich also kurz vorstellen dürfte? Mein Name ist Erikkson, Leiff. Sozusagen ohne Kinder. Und eine Frau habe ich auch nicht, manchmal eine nette Freundin. Lange Beziehungen halte ich nicht aus. Um mir ein gutes Leben aufzubauen, stecke ich seit Jahren tief in meiner Arbeit, so dass wenig Zeit für Anderes bleibt. Glücklich bin ich damit schon, zufrieden nicht. Wie ich aussehe? Nun, das ist eine sehr persönliche Frage. Vielleicht denke ich einmal darüber nach, und wenn dann Zeit ist, könnte ich mein Äußeres beschreiben. Wissen Sie, meine Geschichte ist noch lang, da muss nicht gleich am Anfang alles ausgeplaudert werden. Vielleicht jetzt nur so viel, und Sie haben es bestimmt schon vermutet, geboren bin ich in Schweden. Will mich aber an keinen Tag erinnern, an dem ich dort atmete. Heute bin ich ungefähr neununddreißig und beginne seit meinem Sturz zu ahnen, was Unendlichkeit bedeutet. Heute arbeite ich für eine Zeitung, die beharrlich unter finanziellen Problemen leidet. Sie verstehen? Das neue Internet, und diesen Satz habe ich irgendwo gestohlen, denn er gefiel mir, ist nicht zu jedem nett! Obwohl, die Welt ist voller Ungerechtigkeiten, und aufgeregt wie die anderen berichten wir über die seltsamsten Ereignisse. Bei jeder Besprechung sagt der Leiter, ein gewisser Herr Morgentau, unsere Auflage sei zu gering, weil wir zu einfältig wären das Bewusstsein der Leser durch gute Geschichten aufzurütteln. „Meine Damen und Herren“, startet er oft seine Montagsansprachen, „was haben Sie für eine großartige Ausbildung, aber sagen Sie mir, was dabei herausgekommen ist? Schlagen Sie die 'Weltschau', den 'Frohen Morgen', den 'City Kurier' auf. Was lesen Sie? Wie lesen Sie? Richtig, da sind Berichte, Geschichten, die in unserem wie in jedem anderen Blatt mit gleichen Worten gelesen werden können. Wir alle sind zu einem ekeligen Brei verkommen, der sich über die Gesellschaft legt und langsam jeden erstickt. Aber Sie vertragen das ja alles. Ich leide darunter, immer nur vorgekaute Informationen abgreifen zu können. Jeden Pup eines Politikers registrieren wir und blasen ihn auf zu einem Donnerknall. Nie schaffen wir außer unbewiesenen Vermutungen etwas Neues. Was für ein Leben haben dagegen die einfachsten Gärtner mit ihren blumigen Rabatten! Und wir? Bedienen und formen gleichzeitig eine arme Welt, die durch Berichte über Sex und kleinbürgerliche Neugier bestimmt wird.

Einmal, nur einmal möchte ich etwas Außergewöhnliches durch Sie entdecken. Es groß herausbringen und damit die Konkurrenz verblüffen. Leute, bringt mir endlich diese noch unbekannte Geschichte, die Tor zu einer anderen Zeitungswelt ist! Nicht nur mein Job hängt davon ab.“

Das sagt er oft und bewegt doch nichts in uns. Nun gut, denken wir stattdessen, existenzielle Nöte bedrängen uns nicht. Gibt es hier keine Arbeit, gehen wir zur nächsten Zeitung. Man sollte ja nicht Geschichten erfinden, nur um jemanden glücklich zu machen. Für mich war ich sicher, dass ich nie an dieser geforderten Jagd teilnehmen würde. Mit meinen Berichten über Astronomie und deren Randgebiete bin ich eindeutig zufrieden. Gleichzeitig ahne ich, mit ihnen nur einen geringen Teil unserer Leser zu erreichen. Dass es mehr werden sollten, war mir nie nicht wichtig. Allein, auf einem Gebiet zu schreiben, für das ich mich selbst interessiere, befriedigte meine Vorstellung von einem ausgefüllten Job. Höher hinaus will ich nicht, weil ich sehe wie unser Leiter vom Vorstand so belastet wird, dass er oft grau und mit gebeugtem Rücken durch die Redaktion geht. Nie will ich mich ähnlichen Beschwerden aussetzen. Nein, und dann dieser Sturz!

*

Als ich endlich ganz erwache, steht dieser Herr Morgentau ziemlich unruhig neben mir. „Jeden Tag kommt früher der Herbst und später der Morgen“, sagt er vorausschauend und hält meine Hand. Wahrscheinlich unter einem moralischen Druck stehend, verspricht er die Rubrik 'Astronomie' so lang nicht anders zu besetzen, wie ich es nicht selbst anmelden würde. Ein Ausfall der Berichte, selbst für längere Zeit, würde jedoch kaum bemerkt werden. „Lassen Sie sich also Zeit“, tröstete er mich fürsorglich und fragt auch, ob vielleicht aus meiner Geschichte mehr zu machen wäre. Immerhin sei aus der Schulter eine heiße Gewehrkugel herausoperiert worden.

„Gewehrkugel?“ staune ich.

„Vielleicht war es auch ein Kometensplitter, als Gruß von Ihren Freunden aus dem All“, lächelt er, „oder eher doch nicht? Denn mit seiner Energie hätte er Sie glatt durchlöchert. Aber nein, nichts von da draußen ist es, in Ihrer Schulter steckte eine echte Kugel, rund und fest aus irdischem Material, das weiß ich genau.“ In diesem Augenblick glich sein Gesicht den gefurchteten Rinnen eines Steinzeitackers, er schien sich Sorgen um mich gemacht zu haben.

Aber seine Äußerung, die verblüfft mich. Natürlich!

*

Als er gegangen war, schien auch meine Gewissheit dahin irgendwann ein wirtschaftlich sicheres Leben zu führen. Denn normal wäre es schon, die Zeitung sucht sich für ein unbesetztes Ressort einen neuen Schreiber. Wer weiß, wie lang noch die Geschichte mit der Schulter dauert?

Als sich meine existenziellen Sorgen, leider unbegründet, etwas zurückgezogen haben, denke ich: ,So, du hast, oder schon nicht mehr, eine Kugel in der Schulter!' Dann forsche ich in meinem Leben, wer mir das Ding, sicher irgendeines Geldes wegen, verpasst haben könnte. Gleichzeitig ziehe ich den Vorgang ins Lächerliche, denn ich besitze kaum etwas. Von Feinden ist mir nichts bekannt. Dass eine Sternschnuppe, sie hätte mir da schon mehr Bedeutung, einen wie mich vernichten wollte, nur weil letzte Woche ein kritischer Artikel über sie geschrieben wurde, schließe ich nach einiger Überlegung auch aus. Noch verstehe ich den Überfall eher als einen erinnernden Beitrag des Schicksals zu meinem ohnehin schon unruhigen Leben. Schließlich war ich am Millerntorplatz angeschossen worden, dort, wo meine dritte große Liebe zerbrach. Sie hatte mich wegen eines Trunkenboldes verlassen, der nichts als einen lächerlichen Maserati besaß, noch dazu in postähnlichem Gelb. Soll sie glücklich mit ihm werden! Vielleicht, nehme ich als Letztes an, hatte sich die Kugel gar nicht mit bösartigem Willen, sondern zufällig aus einer verrosteten Knarre gelöst, hatte sich verirrt und sich einfach so meine Schulter ausgesucht? Schließlich beschäftigt mich das Thema derart, dass ich das Gefühl habe, um mich herum wäre nichts als Blei in der Luft.

*

„Sagen Sie“, begann Morgentau am nächsten Tag, und wieder einmal sah er besonders grau und zerfurcht im Gesicht aus, „warum liegen Sie denn noch immer hier herum? Die Sonne scheint, und sicher wird schon ein anderer auf Ihr Bett warten. Strengen Sie sich mal ein bisschen an, um gesund zu werden.“

,Da reagiert doch der Kerl eiskalt, nicht einmal mein schmerzverzerrtes Gesicht macht ihn mitfühlender', denkt Leiff und beschließt ebenfalls auszuteilen. „Aus welchem Anlass sollte ich gesund werden? Wo ich Sie hier öfter als im Büro sehe?“ Jetzt glaubte Morgentau, dass Erikkson den Scherz seines Chefs nicht verstanden hatte. Nun gut, dann sollte es nicht sein.

„Erikkson, mal ehrlich, wen interessiert schon Ihr All mit den winzigen Pünktchen, die darin flackern? Glauben Sie denn, das liest einer? Schreiben Sie doch mal über was Ordentliches. Zum Beispiel wäre die Kugel da in Ihrer Schulter ein schöner Anfang. Die ganze Nacht habe ich mir wegen ihr den Kopf zerbrochen. Oder schreiben Sie über einen bunten Skandal im Rettungswagen, zum Beispiel: 'Sanitäter küsst willenlosen Schwerverletzten', etwas, das unser Herz auf Dauer zerreißt. Die Leser wollen solche Märchen. Das muss doch mal einer aus Ihrer Zunft begreifen! Na, mit weiteren Hinweisen warte ich bis Sie wieder im Haus sind. Dann gibt es eine Konferenz, an die noch jeder lange denken wird. Werden Sie jedoch erst einmal gesund, dann sehen wir weiter.“

„Ich hoffe schon, dass sich jemand für meine Artikel interessiert“, hielt ich dagegen. „Außerdem kenne ich mich nur auf diesem Gebiet aus. Bisher waren doch immer alle zufrieden.“

„Ja, bisher. Vielleicht?“, wiederholte er. „Aber unsere Geldgeber brauchen endlich schwarze Zahlen! Ihr All wirkt nicht nur so, nach unseren Maßstäben gemessen ist es wirklich so gut wie tot und damit belanglos, vergessen Sie das nicht.“

*

Als er mich am nächsten Tag besucht, halte ich ihm ein Stück Papier entgegen, das ich in der Nacht beschrieben hatte. Sex war viel erwähnt, Verbrechen auch, und eine Menge Geld war im Spiel. Er liest, ich warte, er schaut mich an und fragt, wieso mir meine Eltern fünf Jahre Studium bezahlt hätten, wenn dabei so ein Schwachsinn herauskäme. Nun halte ich mich nicht für besonders empfindlich, aber diese niederträchtige Äußerung ärgert mich sehr. „Lassen Sie mich doch mit Ihrer dämlichen Zeitung in Ruhe!“ Plötzlich ist mir alles gleichgültig geworden.

„Nicht alles wird so heiß gegessen, wie es die Mutter kocht“, hält er mir angeberisch entgegen. „Auch Sie werden noch kommen und mich um jede Zeile auf irgendeiner Seite unserer Zeitung bitten.“

„Und wenn es anders wäre? Sie suchen doch nach Stoff für Ihr Blatt“, begehre ich -- grantig geworden -- auf, „aber das Leben könnte doch auch anders verlaufen, als von Ihnen beschrieben. Läuft mir eine dieser Geschichten, nach denen Sie so aufgeregt suchen, über den Weg, dann brauchen Sie mich plötzlich, machen mir sogar schöne Augen. Stoßen Sie mich also nicht in die Rolle eines Bittstellers, wie es der Zeus bei einer seiner vielen Freundinnen tat und sie deshalb verlor.“

*

Durch einen unbekannten Zufall dampfte eine Zigarette in der Hand, stechender Geruch stieg Rune Astor in die Nase. In seiner Nachlässigkeit hatte er vergessen, das Rauchen aufgegeben zu haben. Der Qualm roch deshalb unangenehm lästig. Rune erwachte aus seiner Starre, er löschte die Glut und fand wieder keinen Anschluss zu seiner Arbeit.

,Manchmal sind selbst diese schicken Büros mehr als langweilig', dachte er und sah sich enttäuscht im wichtigsten Raum seiner kleinen Firma um. ,Ob es an der späten Stunde liegt oder daran, dass ich den ganzen Tag hier allein gesessen und nichts weiter getan habe, als zu planen, zu rechnen, zu kassieren, weiß ich nicht. Nur, dass mir das Gefühl nicht unbekannt ist.'

Er arbeitete weiter und horchte plötzlich auf. Draußen rasselte ein Schlüsselbund, der Wachdienst drehte seine Runde. Der alte Herr Schneider sah wie jeden Abend kurz herein, grüßte und verschwand wortlos.

,Unterbrechungen sind nicht gut, wenn man sich ohnehin schon an der Grenze der eigenen Konzentrationsfähigkeit befindet', dachte Rune. Dann brauchte er endlich eine kleine Pause, aber was ist zu tun? Manchmal, wenn er sich wie heute alleingelassen fühlte, verließ er sein Büro und schlenderte durch die angrenzenden Räume. ,Hier sitzt Frau Kersten', dachte er dann, ,meine getreue Mitarbeiterin. Geld und Kleider könnte man ihr bieten, selbst unter Druck würde sie nie außerhalb des Büros über ihre Arbeit reden.'

Zunächst war sie aus Mitleid eingestellt worden, auch weil ihm imponierte hatte, dass sie während des Einstellungsgespräches alle überlistete. Ohne Strümpfe, dafür mit einem ins Gesicht gezogenen, alles versprechenden Hut war sie ohne Anmeldung an einem Freitag erschienen, und man dachte sofort, sie wäre eine, mit der man vor Verwandten flüchten müsste, weil ihre Kopfform der einer Gottesanbeterin glich, dazu ihre Schuhe! Stelzen, wie noch nie gesehen, waren sie. Doch Freundlichkeit und Verstand glichen die Nachteile aus. Ihre Augen aber waren das größere Wunder. Wie die der Venus blitzten sie oft, und niemand konnte sich ihrer Anziehungskraft entziehen.

Jetzt sah Rune auf die große Tafel an der viele Zettel mit Magneten angeheftet waren. Daneben hing das Bild seines Vaters, eines stattlichen und früher geachteten Hamburger Kaufmanns. Rune kann es nicht mehr ansehen, zu viele böse Erinnerungen.

In der kleinen Küche bereitete die teure Maschine einen Espresso für ihn, Rune setzte sich wieder an seinen Platz; die letzten Geschäfte mussten noch kontrolliert werden. Wie immer vertiefte er sich sehr in seine Arbeit, die dem Schälen einer Zwiebel vergleichbar war. Ähnlich viele Lagen waren aus Gründen der Vorsicht um seine Geschäfte gelegt, und manchmal -- das geschah nicht selten sogar bei schwierigen Arbeiten wie heute -- schweiften seine ausgesprochenen Gedanken zurück an einen bestimmten Punkt, den er sehr liebte. Dann sah er sich im Bild einer zu ihm bewundernd aufblickenden Öffentlichkeit. Sie verehrt die Erfolgreichen, das Schöne, wusste er. Von Beidem hatte er genug, aber zu wenige wussten davon. Rune stand noch einmal auf und betrachtete sein Gesicht im spiegelnden Glas, welches das Bild des Vaters schützte. Rune sah den Alten nicht, nur sich. Geräuschlos setzte er sich wieder und bedauerte, nicht das zu sein, was sich seit Jahren sein Gefühl wünschte: heraus aus der öden Unauffälligkeit, berühmt zu sein!

„Das kann man doch ändern, lieber Herr“, sagte eine feine Stimme. Dazu unterbrach leichtes Klappern die Stille.

„Was suchen Sie hier, haben Sie gelauscht?“ fragte Rune, er war sehr erschrocken.

Das dürfe er nicht denken, sagte die Stimme der Putzfrau aus dem Hintergrund. Wie jeden Abend in den letzten Jahren würde sie nur ihre Reinigungsarbeit verrichten, aber der Herr Astor hätte so laut und wirr gesprochen, da musste sie doch etwas für ihn unternehmen! „Berühmt werden ist doch leicht“, kicherte sie, „nur ein bisschen Geld und starker Wille gehören dazu. Über Beides verfügen Sie. Vorwärts!“

„Das hört sich an, als hätten Sie gute Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht?“ Rune wunderte sich über sich selbst. Nie wäre ihm gestern noch in den Sinn gekommen, mit einer Putzfrau, auch wenn sie Jasna heißt, zu reden, aber da sie von seinem wunden Punkt gehört hatte, hakte er nach. „Reden Sie, Ihre Arbeit wartet.“ „Sie kennen meine Schwester nicht“, sagte Jasna, „sie ist viel jünger als ich, und schön ist sie wie keine Zweite. Leider bin ich das ganze Gegenteil. Eines Tages saßen wir zusammen und redeten. Ein Mann kam vorbei, er sah sie und bat, Platz nehmen zu dürfen. Er hörte, dass wir aus dem Kosovo stammen, Vertreibung und eine lange Flucht aus dem Elend hinter uns hatten. Er überlegte nicht lang, den Vertrag über eine Filmrolle bot er ihr an. Und aus dem noch unbedeutenden Regisseur wurde durch eine schöne Frau in einem kleinen aber ehrlichen Film ein heute bekannter Mann. Verstehen Sie?“

„Ja, ja“, sagte Rune nachdenklich. Die mit den schwarzen Haaren aus dem Kosovo erledigte jetzt ihre weiteren kleinen Dinge, trug anschließend alles spielerisch zusammen und kümmerte sich um das nächste Büro.

,Das gibt es nicht', ärgerte sich Rune, ,mein Leben ist viel bedeutender, viel interessanter als das ihrer Schwester, aber von mir will niemand etwas hören. Sicher, Stoff für einen Film ist mein Leben wohl nicht. Doch da gibt es auch anderes, Biografien zu Beispiel. Über alle wichtigen Männer gibt es Ähnliches. Wieso bin ich nicht selbst auf die Idee gekommen, aus meinem Inkognito auf diese Weise herauszutreten? Und, habe ich jetzt eine gute Idee, oder ist das schon der Wahn eines alternden Mannes?'

*

Erst einen Tag war es her, dass Morgentau Erikkson das letzte Mal im Krankenhaus besuchte. Die Zeit bei ihm verlief länger als geplant, und auch die nachfolgende Redaktionssitzung war zu sehr in die Länge gezogen. Schließlich hatte es gerade noch gereicht, nach Haus zu fahren und in einem der seltenen Anfälle in einen ordentlichen Anzug zu springen.

Als er beim Einfahren in die Tiefgarage des teuren Hotels einen anerkennenden Blick des Portiers bemerkte, fühlte er sich in seiner Haltung bestätigt, den schönen Wagen weiter besitzen zu wollen. Nicht, dass er sich stolz fühlte, so weit ging es nicht ganz, aber ein gewisses Maß an Zugehörigkeit zur High Society war ihm durch das auffällige Gefährt sicher.

Dann, in der Lobby und auf den engen Flächen vor den Tresen der Bars, hörte er aus ironischen Mündern mit markantem Tonfall: „Was, Sie beginnen Ihre Interviews gleich mit einer Frage? Und dazu in einer Art, die ich nie auf einem Empfang gehört habe, wie originell!“ Morgentau fühlte sich sofort unwohl, und sein Widerwille gegen diese bornierte Gesellschaftsschicht trat ein weiteres Mal hervor.

Schon die Einladung zum jährlichen Treffen der Hamburger Kaufleute hatte ihn nachdenklich gestimmt. Seit Gründung des 'MorgenKurier' (vielleicht haben Sie es bemerkt, ein Wort mit mittigem Zwiebelfisch!) hatte er sich um sie bemüht, immer gab es Absagen. Und deshalb waren in den letzten Jahren weitere Versuche unterblieben. Nun war er durch unbekannte Gunst hier und, um Informationen aus dem Kreis der betuchten Anwesenden zu erhalten, hatte er sich hier im großen Saal schon einigen Gästen vorgestellt, auch gleich mit seinen Fragen begonnen. Ob sie denn bereits seit ihrer Geburt in diesem Zirkel wären?, fragte er vor ihrem ersten Schock, eigene Leistung im nennenswertem Umfang dazu beigetragen hätten? Verbindungen, Zufall? Die Liste der Möglichkeiten sei schließlich lang, und wenn es denn einigermaßen interessant wäre, würden ihre Antworten sicherlich seinen Lesern gefallen. Leider stieß Morgentau nur auf undeutliche Äußerungen, und sofort überwältigten ihn schlechte Gedanken. ,Was für eine tote Gesellschaft sie sind, kleinkariert wie der Anzug meines Freundes Nick Knatterton, nur nicht so grün', dachte er, ,Aus ihren Köpfen sickern Größenwahn und Ödnis, quillt Neid auf das Geld des anderen schneller noch hervor, als einem Armen recht sein kann.'

Dann begann er sich zu wehren und ätzte so lange an den Gästen herum, bis ihn der heutige Gastgeber, ein Herr Rune Astor, vorsichtig am Arm nahm und sich mit ihm nahe der Bar in eine ruhige Ecke zwängte. Rein äußerlich entsprach Astor dem Bild eines Vorzeige-Hamburgers. Groß, kräftige weiße Haare, Urlaubsbräune im Gesicht, teures Rasierwasser. Das von ihm ausgehende Flair eines spanischen Granden wird nur, wenn man wirklich will, durch ein zu häufiges Augenzucken geschmälert. Auch war ihm die Fähigkeit zu einem gepflegten Gespräch anzusehen, und von seiner Begabung, jeden von seinen Absichten zu überzeugen, sprach schon früher die ganze Stadt. Und überall hörte man, er könne jeden noch so guten Vorschlag weiter verbessern.

Natürlich hatte Morgentau von ihm gehört, sich sogar irgendwann für den Weg der bekannten Familie interessiert. Entdeckt wurde wenig, und er hatte sich deshalb gefragt, was ihn eigentlich jahrelang bewegte, unbedingt Gast bei einem dieser privaten Treffen sein zu wollen.

„Sind Sie denn mit Ihrer Arbeit zufrieden, besonders mit dem, was jeden Monat auf dem Konto eingeht?“, war Astors erste Frage.

Erstaunt hob Morgentau die Augenbrauen. „Ein geübter Verführer sind Sie nicht“, stellte er überrascht fest. „Wo bin ich denn hier? Sie fallen ja gleich mit der Tür ins Haus.“

Astor interessierten diese Kleinigkeiten nicht. Er wisse, fuhr er fort, dass auch seine Art ein ungewöhnlicher Beginn sei und eigentlich nur dazu gedacht wäre, dem Herrn Morgentau auf anstößige Weise ein wenig näher zu kommen. Ganz sicher hätte dieses Nachhaken jedoch einen bestimmten Hintergrund, den er jedoch nicht gleich offenbaren wolle. Noch sei Morgentau nicht der erhofft vertrauenswürdige Partner.

Gewollt überhörte Morgentau die versteckten Fragezeichen. „Sie stellen Fragen, die ich nie auf einem Empfang gehört habe“, wiederholte er stattdessen die vor kurzem gehörte Feststellung anderer Gäste. Er kam sich lächerlich vor.

„Nun seien Sie doch nicht so kindlich verklemmt, Geld ist immer interessant. Viele Möglichkeiten gibt es, sich in seiner Sicherheit zu wiegen. Außerdem schreibt nicht jedes Zeitungsunternehmen schwarze Zahlen, nicht wahr? So etwas kann sich auch leicht auf das private Leben ausweiten. Wenige gibt es, die ein lukratives Angebot ausschlagen dürfen.“

Morgentau wurde unsicher. Spielte da jemand mit Worten die effektvoll scheinen sollten, vielleicht nur? Worüber redete der, um welche Summen ging es? Und mit weniger als einer Ahnung, sagte er: „Mir sind Summen unter einer Million unbekannt. Schließlich bin ich auch Finanzhüter meines Blattes und mit großen Beträgen vertraut.“ Der Herr Astor sah ihm ins Gesicht. Von diesen großen Beträgen würde er länger reden wollen, äußerte er leise und eindringlich, aber zuvor müsse er gut beraten werden.

'Die Summe, wäre sie als Betrag für eine intime Information oder eine weitreichende Vermittlung gedacht, würde uns ein wenig helfen', grübelte Morgentau. ,Eine Million? Sie ist dafür eigentlich undenkbar, aber mit ihr wären ein paar Monate Zeit, weiter nach einer guten Idee für den Fortbestand der Zeitung zu suchen.' „Wer muss was dafür tun?“, fragte er interessiert.

„Ich suche nach einem findigen Schreiber, der mir ein Buch über mein Leben zusammenstellt. Verschwiegen muss er sich bis zur Veröffentlichung geben. Mich begleiten, zuhören, verlässlich und erfinderisch sein. Er muss, wie ich, gut unterscheiden können zwischen dem, was notwendig ist, und dem Überflüssigen. Vielleicht ist auch jemand geeignet, dem eine unsichere Zukunft bevorsteht, einer, der glaubt, der große Erfolg warte auf einen wie ihn?“

Erfolg, was für ein magisches Wort! Morgentau schreckte auf. War er nicht einer, der sein Leben lang auf ihn gewartet hatte? Gut, die Zeitung betreute er seit zwei Jahrzehnten, die Karriereleiter war er emporgeklettert bis an die Spitze, andere Kandidaten hatte er ohne Mitleid aus dem Weg geräumt. Immer nur das Ziel, Verlagsleiter zu werden, vor Augen. Aber ist denn das, was ihn jetzt ausmacht, auf großem Erfolg gegründet? Und das Gehalt? Na ja, es lässt sich leben. Und obwohl er seit dem Eintritt in den 'Morgen-Kurier' nichts anderes als dieses Ziel vor Augen hatte, würde er es heute nicht mehr Erfolg nennen. Wäre die Einnahme einer Million so etwas? Morgentau entschied sich für ein klares ,Ja' und mit dem Hinweis, jede der genannten Voraussetzungen zu beherrschen, um ein erfolgreiches Buch zu schreiben, wandte er sich Astor zu. „Schreiben kann ich gut“, sagte er.

Der schien andere Pläne zu haben. Vielleicht wollte er auch einen letzten Trumpf behalten. Auf jeden Fall sagte er, dass es jemand sein müsse, an den sie beide denken. Morgentau falle aus dieser Vorgabe heraus. Die Rolle eines Vermittlers wäre ihm möglicherweise jedoch einzuräumen.

Morgentau verstand nicht gut, deshalb blieb gar nichts weiter übrig als zu fragen, an wen sein Gastgeber denken würde. Astor verriet nichts, nur dass er sagte, sie würden schon gemeinsam darauf stoßen.

„Und für die Vermittlung wollen Sie den Betrag ausgeben?“

Astor lachte auf. Nein, meinte er, das würde er für übertrieben halten. Runde fünfzigtausend dafür, vielleicht, wenn der Vorgeschlagene ganz seinen Vorstellungen entsprechen würde. Der aber solle für seine Arbeit einen höheren Betrag erhalten. Dagegen würde er, Astor, als Informant die Einnahmen aus den Verkäufen des Buches für sich behalten wollen. Das sei doch fair.

Morgentau war enttäuscht, hatte er doch mit eigenen Augen einen rettenden Strohhalm gesehen. „Eine Million“, sagte er, „das ist eine ungewöhnliche Summe für die Aufgabe, ein Buch zu schreiben. Noch dazu, weil es nur Gespräche mit Ihnen und einer unbedeutenden Prise Talent bedarf.“

„An eine ganze Million denkt niemand! Eine halbe ist eher angemessen.“ Auch Rune Astor war enttäuscht, ein bisschen mehr Intelligenz hätte er schon von einem Zeitungsmenschen erwartet. ,Oft sind Menschen viel zu schnell mit ihren Äußerungen, Reden ist ihnen wichtiger als Denken. Wie kann er glauben, dass ein Mann wie ich für diese Kleinigkeit einen derartigen Betrag ausgeben will? Soll er sich nicht täuschen, einen miesen Schreiber würde ich nicht verzeihen und auch die hohen Summen, an die ich denke, wären sehr gefährdet!'

,Der Leiff Erikkson', dachte Morgentau und unterdrückte krampfhaft seine Enttäuschung, ,der wäre geeignet, und Zeit hat er auch. Vielleicht lässt sich auch durch meine Vermittlung ein Handel mit ihm abschließen, und er unterstützt uns anschließend mit einem anständigen Betrag. Wo ich doch viel für ihn tue? Aber wieso denke ich gerade an ihn, der liegt doch hilflos im Krankenhaus. Mag sein, dass er mir sympathisch ist. Vielleicht war es auch nur ein unbestimmtes Gefühl, aber ich werde seinen Namen ganz sicher an den Herrn Astor weitergeben und bekomme dafür die stattlichste Summe, die ich je in meinem Leben bar und unter der Hand erhalten habe.'

„Ich denke an jemanden, Erikkson heißt er, der geeignet wäre. Noch relativ jung ist er, lebt allein, nicht mal Verwandte, naiv außerdem. Der wird schreiben, und heraus kommt ein Buch, das Ihnen gefallen wird. Ich sehe es schon vor mir: Schwarzer Umschlag, auf ihm aus feuchter Tinte der Titel, rote Schrift, wie von Blut. Jede Seite eng beschrieben mit gefälligen Worten, die meinen Eindruck Ihrer ehrbaren Person mengen mit seinem eigenen Stil. Nur kann ich ihn ohne weiteren Hintergrund wegen Ihrer Bitte nicht einfach ansprechen, ein bisschen sollten Sie mir schon von sich und Ihrer Familie erzählen. Sagen Sie, was könnte an Ihrem Leben interessant sein? Natürlich habe ich mich schon früher ein wenig über Sie informieren wollen, aber irgendwie schien es mir, als würde niemand gerne über Sie reden. Deshalb war aus Ihrem Umfeld kaum etwas zu erfahren. Sie sind reich, weiß ich, man sagt sehr reich sogar. Andere fragte ich vor ein paar Minuten, ob möglicherweise die richtige Abstammung, die eigene Leistung, Zufall oder alles zusammen dafür verantwortlich wäre und vielleicht Bedingung ist, um sich in Ihren Kreisen zu bewegen. Wie war das bei Ihnen, aber machen Sie es heute nicht zu genau.“

„Geld kommt, Geld geht. Wäre ich reich, sage ich, könnte ich zufrieden sein, hätte ich Macht, würde ich sie sozial einsetzen, sage ich, könnte ich zaubern, dürfte ich mich noch reicher machen. Ja, ich habe Macht, ich kann zaubern, ich bin reich. Was nutzt es mir – ich bin nicht zufrieden, brauche jeden Tag neue Erfolge. Auch deshalb will ich über mich lesen, das schicke ich voraus.

Nun zu Ihrer Frage. Ich bin, wie auch andere Namhafte, in ein lang bestehendes Geschehen hineingeboren worden, das war nicht zu ändern. Vielleicht hat sich durch meine Fremdbestimmung diese seltsame Haltung in mir entwickelt, die einen Drang zur Selbstdarstellung bedeutet. Und vielleicht will ich mit ihr in meinem Buch auch andere unglücklich machen, denn ich habe viel Böses erlebt. Zudem, an Ihrer Frage haftet etwas, das mich reizt, darauf einzugehen. Ich will Ihnen auch nicht verheimlichen, dass die Missachtung des kleinen Rune durch seine Mutter möglicherweise der wahre Grund ist. Sie konnte mich nie leiden. Lang schon vor der Empfängnis meiner Gene war großer Widerstand gegen alles Zukünftige, und unter größten Schmerzen hatte sie mich später geboren. Ich bin also nur eines unumkehrbaren Zufalls wegen hineingeboren in unser steifes Familiendrama. Der Widerstand gegen ihren ersten Sohn wuchs jeden Tag, bis er mich für ewig verletzte. Diese früh auf meiner Seele hinterlassenen Narben sind verantwortlich für Machtgedanken, die ich in jener Zeit entwickelte. Auch von ihnen sollen andere erfahren.

Und so wie mich als Kind die Narben bedeckten, ging es weiter mit den belastenden Gefühlen. Sah ich mit vierzehn die Freunde, Hand in Hand mit ihren neuen Fräuleins, lernte ich was es bedeutete, einsam zu sein. Nie durfte ich mich mit Mädchen treffen, musste sitzen und büffeln. „Die Weiber kommen früh genug, vorher brauchst du ein Fundament, das sie alle trägt. Lerne!“ So redete Mutter. Ob ich für Vater überhaupt existierte?

Hörte ich ihre Befehle, fiel ich zurück in eine eigentümliche Stimmung, die mich seit meiner Geburt begleitet. Doch trotz der Leiden hatte ich schon den Geschmack der Liebe auf den Lippen, Sehnsucht im Herzen, und längst war das Verhältnis zwischen den Eltern einerseits und mir andererseits in den einen Kampf ausgeartet: jung gegen alt. Er veränderte mich für immer. Sah nach meiner Abnabelung trotzdem noch für lange Zeit ein erstrebenswertes Ziel darin, nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein, denn ich bekehrte ja durch meinen Druck später die Scheinheiligen und Profiteure. Bis mich die Schwere meiner selbst gestellten Aufgabe überforderte und zum Egoisten abstempelte. Morgentau, erinnern Sie sich an Ihre erste und zweite Jugend? Hatten Sie Freunde, waren verliebt, gab es vielleicht sogar Eltern, die Sie mochten? Ich jedenfalls habe damals, von allem was es auf der Welt an Materiellem gab, zu viel mitbekommen. Das aber, was Ihre Jugend meiner Meinung nach auszeichnete, fehlte mir indes vollständig: Liebe, Anerkennung, Selbstständigkeit. Übrigens, Karin hieß irgendwann meine erste Hübsche. Ich war fünfzehn und hatte gerade beschlossen, die über mir wie eine Rute lauernde Hand meiner Eltern abzuschlagen. Meine eigene Welt wollte ich errichten. Auch war zu viel sonstiger Druck um mich, doch den Kopf verlor ich nie. Immer mehr begann ich mich abzukapseln, noch heute kann ich Gespinste von mehr als zwei Menschen kaum ertragen.

Meine Geschichte aber beginnt weit vor der meiner Mutter, und was jetzt kommt, ist nicht leicht zu erklären, schon gar nicht zu verstehen. Fangen wir so an: Ich bin der Sohn eines erfolgreichen, aber heute toten Kaufmanns. Über viele Generationen stammen wir ab von einer Danziger Familie, die nichts Besseres zu tun hatte, als mit dem Ausleger des Krantores Getreidesäcke, die später, meist im Frühling, teuer an arme Leute verkauft wurden, von den Schiffen auf vielen Etagen der Backsteinhütte einzulagern. Bis zum Brand wurden wir reich, danach wartete der Konkurs. Der Not gehorchend verstreute sich die Familie der sieben Kinder in alle Hansestädte. Später trieb es einige Nachfahren bis nach Amerika, niemandem gelang es an die Bedeutung der Danziger anzuknüpfen. Bis Karl-Friedrich, der Vater eines später syphiliskranken Sohnes mit Namen Ottokar, und Sohn eines berühmten Südstaatengenerals – Sie haben schon von John Astor gehört? – wie ein Phoenix in den Stammbäumen auftauchte. Die alte Tradition, reich zu sein, aufleben zu lassen, rührte ihn, und Erfolg hatte er durch den Handel mit allerlei Pelzen und Immobilien. Mühsam war es mir, mich in den lieblos und teilweise fliegend zusammengestellten Akten bis zu ihm durchzukämpfen, und es gefiel mir zu lesen, wie sehr ich mit dem größten Geldadel verwandt bin. Allen männlichen Nachfolgern haftete Johns Glück untrennbar fest an den Fersen, unser Vermögen nahm ständig zu. Ottokar zeugte zwei Söhne, von denen sich einer erschoss, weil an ihm die Seuche des Vaters diagnostiziert wurde. Der Weg war frei für Rupert. Leider musste er sich gegen die Witwe seines Bruders behaupten und veranlasste ihren frühen Tod. Das ist bis heute unbestritten. Den Gesetzen einer nebulösen Blutrache folgend, starb anschließend bis in die letzten dreißiger Jahre jeweils immer der Erstgeborene der anderen Seite durch mysteriöse Umstände. Viele, wie John, Abraham, Wilson, Peter, verloren auf diese Weise ihr Leben. Die ganze Morderei endete, als das erste Hotel der Familie entstanden war. Es zu erhalten sprengte die alte Feindschaft. Das familiäre Durcheinander aber ging weiter, sogar der Verdacht auf Blutschändung kam auf, einige Generationen litten an schweren Erbkrankheiten. Das hat sich gelegt, wie Sie an mir erkennen, und man kann es so sagen: ich bin stolz darauf, dieser verrückten Familie anzugehören.

Das alles geschah und geschieht noch heute auf zerbrechlicher Oberfläche. Auf ihr wird der Schreiber nur mit meiner Hilfe die Zeit für seine Arbeit unbeschadet überstehen. Dabei muss er sich einen umfassenden Eindruck verschaffen und tiefer blicken, als es mir je aus Zeitgründen möglich ist. Oft kann seine Mitarbeit auch gefährlich werden. Dafür brauche ich jemanden, der aus Unerfahrenheit Angst nicht kennt. Herr Morgentau, da Sie bisher keine Ahnung von meinem Weg hatten, müssen Sie mir alles glauben. Auch wenn ich heute Abend, mehr als von Ihnen erhofft, einiges dazu gedichtet haben sollte. Sagen Sie, was macht denn Ihr Freund so?“

„Wer?“

„Erikkson!“

„Ich hatte ihn eigentlich wegen seiner plötzlich aufgetretenen Krankheit entlassen wollen.“

„Das ist ja schön, aber, er ist krank?“

„Eine Krankheit ist es eigentlich nicht, verletzt wurde er.“ Von einem Schuss wollte Morgentau nicht berichten. Möglich, dass Erikkson für Astor dann unangenehm würde, und die Fünfzigtausend wären auch weg. Wieder geisterte die Summe durch seinen Kopf. Mit ihr könnte er versuchen, die Frau zurückzugewinnen, einen langen Urlaub machen, einen Blumenladen kaufen?

„Wo sind Sie mit Ihren Gedanken, Morgentau? Sie träumen! Aber Sie wissen ja, wie das nach Träumen manchmal so ist, nichts gelingt. Übrigens, Sie werden es kaum glauben, Johns durchschossene Uniformjacke, verblasst und blutig, ist hinter Glas in meinem Büro anzusehen. Jetzt noch einmal zurück zu Ihrem Erikkson. Wenn ich das erste Mal mit ihm geredet habe, und er nicht so recht will, dann kündigen Sie ihm endlich. Umso leichter wird er meinen Vorschlag annehmen. Machen Sie ihm deutlich, dass er nach jedem Strohhalm greifen muss. Dann bleibt Ihnen auch die Provision.“

„Merkwürdig. Sie vertrauen mir so, dass Sie ohne Einwände mit meinem Vorschlag einverstanden sind? Das ist doch nur möglich, wenn er Ihnen wenigstens ein kleines bisschen bekannt wäre. War also die ganze Vorrede nichts als eine hinterhältige Angelegenheit, oder entscheiden Sie wie so viele aus dem Bauch? Astor, wozu brauchen Sie mich eigentlich, und wie sind Sie darauf gekommen, mich zu fragen?“ Durch Morgentaus ärgerliche Entgegnung war Astor weder betroffen noch nachdenklich geworden. „Eines Tages werden Sie mich verstehen und sehen, dass ich meine Wege gehe, wie es notwendig ist. Erklären muss ich sie keinem. Aber es freut mich, dass Sie auf den Herrn gekommen sind.“

„Und wie weiter?“

„Ich brauche für die Umsetzung meiner Idee absolut zuverlässige Leute. Sie und der Erikkson, von dem Sie sagen, dass er bei Ihnen arbeitet, sind es aus wirtschaftlichen Gründen. Und Sie erwarten durch mein Geld erreichbare Träume, vielleicht der Erikkson noch stärker. Was ist, wollen wir das Thema jetzt hinter uns lassen und an mein wunderbares Buffet gehen? Sie sehen etwas schmal aus, daraus folgere ich, dass noch keine Zeit war, von den feinen Häppchen zu nehmen?“

Nicht nur weil Morgentau Asket durch Verlassensein geworden war, lehnte er ab. Die gezierte, man könnte auch sagen, beklemmend wirkende Atmosphäre der bornierten Gesellschaft war ihm auf den Magen geschlagen, und nach nichts war ihm mehr, als nach frischer Luft.

*

„Der Herr Erikkson liegt ja noch immer in diesem schrecklichen Zimmer, ist Ihnen das nicht ein bisschen zu langweilig? Grämen Sie sich jetzt nicht wegen meiner Bemerkung, denn ich will Ihnen etwas Interessantes erzählen. Kopf hoch, Mann, ich rede mit Ihnen!“

„Ich muss nicht zuhören. Ich weiß, Sie wollen sich von Ihrem lästigen Mitarbeiter trennen, infam wie man heute ist, mir fristlos kündigen. Denn nach meinem Unfall glauben Sie, dass der Erikkson nicht mehr auf die Beine kommt. Und genau das, was Ihre Zeitung am dringendsten benötigt, durch die paar Tage im Krankenhaus so gelitten hat, dass Sie glauben auf meinen Kopf verzichten zu können. Machen wir uns also nichts vor: ein Gehalt weniger hilft Ihre negative Bilanz zu schönen.“

„Meinen Sie nicht, dass es besser wäre, mich erst einmal ausreden zu lassen? Könnte doch sein, Sie irren sich!“

„Ich irre mich nicht.“

„Was ist mit einer halben Million für ein paar beschriebene Seiten, vielleicht für ein Buch, das im Auftrag eines reichen Mannes zu schreiben ist? Nun hören Sie auf zu lachen, und hören Sie mir erst einmal bis zu Ende zu!“

„Das ist unfair, mir den Abgang von Ihrer Zeitung mit leeren Versprechungen rosa einzufärben.“

„Ich sage die Wahrheit. Nur ein paar Seiten, etwas wie die Zusammenfassung eines langen Lebens sind dafür zu schreiben. Man könnte es auch als eine Art Tagebuch des Ihnen noch unbekannten wohltätigen Kaufmanns nennen. Aber, auch wenn der Mann Ihnen zunächst übergroß und gefährlich erscheinen wird, er ist es nicht! Kratzen Sie zusammen, was Ihnen bei uns an Stil und Gefühl vermittelt wurde. Wachsen Sie über sich hinaus und schreiben gefälligst ein wunderbares Buch!“

„Ist ja gut, vielleicht irre ich mich ja doch! Meine Meinung zu Ihrer Frage? Sie werden das nicht glauben: erhalte ich tatsächlich eine halbe Million, schreibe ich für jeden das, was er lesen will. Eine weitere Beeinflussung Ihrerseits ist gar nicht nötig. Wen soll ich interviewen, wen auf die Spitze meiner Feder nehmen? Mein Gott, eine halbe Million!“

„Ob ich sie beeinflussen will? Na hören Sie mal! Wie kann ich so eitel sein, die Geschenke dieses Herrn abzulehnen? Das steht mir gar nicht zu. Sie wissen, unserer Zeitung geht es schlecht. Da habe ich nicht das Recht, mich gegen ein paar private Aufmerksamkeiten zu wehren.“

„Was zahlt er Ihnen, damit ich mich mit ihm beschäftige und vielleicht sogar sein gewünschtes Buch schreibe?“

„Vielleicht ein Zehntel? Erzähle ich genauer davon, könnte ich Schwierigkeiten bekommen. Wissen Sie, die Watergate-Leute, das waren junge Kerle, die hatten nichts zu verlieren – aber ich. Und nun sehen sie auf mich: graue Haare, mein Stuhl wackelt, die Frau hat sich in Rauch aufgelöst! Wie würden Sie sich denn verhalten? Reden wir jetzt nicht lange, Sie erfüllen einfach Ihre neue Aufgabe, und ich werde Sie dabei so gut unterstützen, wie ich kann. Schreiben Sie für ihn! Aber fangen Sie nicht an zu dichten, Arthur Miller heißt ein anderer. Und achten Sie auf Ihren Beginn, er muss die Leser in das Buch hineintragen wie eine gute Ouvertüre den Musikfreund in eine ergreifende Oper.“

,Der spinnt', war sich Leiff noch immer sicher. ,Niemand zahlt so viel Geld für ein paar Seiten, selbst wenn es ein Taschengeld für ihn wäre. Ich könnte jedoch die Augen für einen kleinen Moment schließen und ein wenig mit dem Gedanken spielen, reich zu sein. Sicher, ich wäre kein normaler Mensch, könnte ich der Verlockung widerstehen.'

Bei diesen Träumen unterschied er sich nicht von denen der anderen. Eine letzte Frage blieb ihm an dem Tag, die: wie hoch wohl eine Säule aus aufgeschichteten Hundertern wäre? Zehn Meter, zwanzig?

*

Morgentau war ohne Umwege nach Haus gefahren, er ging an den Kühlschrank, nahm und öffnete eine Flasche, setzte sich mit einem bis an den Rand gefüllten Glas. ,Das ist eine der Gelegenheiten auf die man ein Leben wartet', dachte er. ,Du tust nichts, sitzt nur da, und dann regnen die Scheine herab. Obwohl es noch besser hätte kommen können, will ich zufrieden sein. Ob es der Astor wert ist, sich mit ihm zu beschäftigen oder nicht, ist mir nun egal.'

Jetzt konnte er gar nicht anders, bei dem Gedanken an die leicht zu verdienenden Fünfzigtausend begann sein Herz zu jubeln. ,Das ist ein Wink des Schicksals', glaubte er. ,Mit diesem Geld werde ich mir ein paar freie Tage mit meiner Frau gönnen. Sie wird staunen, wie ich sie verwöhne. Und, vielleicht kommt die alte Vertrautheit zurück?'

*

Erikkson war wegen einer schönen Entzündung der Schulter weitere drei Tage an das Bett gefesselt. Die Zeit verging schlecht, vom langen Liegen schmerzte der Rücken, und nichts wünschten sich seine Hoffnungen auf die Zukunft sehnlicher, als den Herrn Astor kennenzulernen. Gedanken wegen des Geldes machte er sich nicht. Der von Morgentau genannte Betrag schien ihm ohnehin unglaubwürdig.

Endlich konnte er das Krankenhaus verlassen. Der erste Weg führte ihn zum lang vermissten Verlagsgebäude. Sein Chef sah nicht einmal auf, er saß einigermaßen fassungslos vor einem kleinen Stapel edler Briefumschläge. Einige hatten goldene Rahmen mit sensibel geschriebenen Buchstaben, andere waren in teures Blassgelb getaucht und immer befand sich in der unteren rechten Ecke ein in schönster Schreibschrift angegebener Name ,Erikkson'. Da hatte sich Morgentau lange vergeblich bemüht, Kontakt zu der höheren Gesellschaft zu bekommen, einzutauchen in die Quellen des Geldes, um Interna dieser Klasse in der Zeitung zu veröffentlichen. Und nur einmal taucht der Name Erikkson auf– schon greifen die Großen nach ihm. Morgentau tat nicht nur verärgert, er war es bis in die letzte Faser seines gekränkten Zeitungsherzen. Ohne großartige Begrüßung ging er deshalb Leiff an: „Verdammt, wie ist Ihnen das gelungen? Sie haben es geschafft, lassen mich in ein Meer von Briefen tauchen. Sie sind aufgenommen in den Kreis der Erlauchten! Gestern Abend noch rief hier einer an und erkundigte sich nach Ihnen. Er wollte den bekannten Journalisten Erikkson näher kennenlernen und deshalb zu einer Party einladen. Ich rate Ihnen, dort hinzugehen. Lassen Sie sich mit dem ein oder anderen Sternchen fotografieren. Das macht sich immer gut. Und nun raus hier, den heutigen Tag schenke ich Ihnen. Wir sehen uns morgen. Und lassen Sie sich nicht einfallen, wieder einmal angeschossen zu werden, denn Sie haben jetzt gemeinsam mit mir eine finanzielle Verantwortung für unsere Zeitung. Vergessen Sie das nicht!“

Erikkson hatte zunächst nicht verstehen wollen. ,Wofür hatte er jetzt die Verantwortung? Und wer hatte geschrieben? Der Gedanke an Astors Wunsch kam ihm nicht gleich, aber dann war es verständlich. Wollten vielleicht all die Briefe anfragen, ob er ein Buch auch für ihre Absender schreiben könne?' Nein, nein, dachte er. Das ist alles zu viel spekuliert, und beschloss ruhig zu bleiben.