Die Zelle - Klaus Kuhn - E-Book

Die Zelle E-Book

Klaus Kuhn

0,0

Beschreibung

Zwei Jugendliche, die eine 15, die andere 17, liefern sich einen immer wütenderen Kampf in "sozialen" Netzwerken, die eine steht politisch links, die andere ist eine Rechtspopulistin. Beide radikalisieren sich, getrieben von immer wilderem Hass, immer weiter, bis die 15-jährige zur Mörderin, die 17-jährige zur Terroristin wird. Beide treffen sich in der selben Gefängniszelle, stehen sich dort erstmals einander gegenüber. Beide haben sechs Jahre Haft bekommen und müssen nun irgendwie miteinander klar kommen auf den 18 Quadratmetern. Sie schaffen es nicht. Es kommt zur ultimativen Katastrophe. Es ist ein Roman gegen den politischen Hass im Internet, der immer krassere Formen annimmt. Der politische Hass beginnt immer mehr, die Seelen auch von jungen Menschen zu zerfressen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 513

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ÜBER DIESES BUCH

Der politische Hass, verbreitet in erster Linie über „soziale“ Netzwerke, trägt Früchte. Sofia Hauser ist erst 15, als sie zur Mörderin wird. Ihr Opfer: Adolf Hoffer, der Spitzenkandidat der „Völkischen Alternative“ bei der Landtagswahl in Thüringen, wenige Tage vor der Wahl, die er dabei ist, zu gewinnen. Der Pfeil von ihrem Hochleistungsbogen beendet aus 40 Metern seine politische Karriere. Sie handelt als Einzeltäterin, kann es nicht ertragen, dass ein Faschist an die Macht kommt. Ihre leidenschaftliche Berufung auf das Widerstandsrecht im Grundgesetz fruchtet nicht. Sie wird zu sechs Jahren Haft verurteilt, wobei bei guter Führung zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden.

Franziska Faburan ist 17, als sie verhaftet wird: Ihre Fingerabdrücke finden sich auf 25 Sturmgewehren, die die von ihr mit gegründete Terrorgruppe „Völkische Offensive“ eingelagert hat, um den bewaffneten Kampf gegen das „versiffte System“ zu beginnen, sollte die „Völkische Alternative“ die Wahl nicht gewinnen. Bei ihr finden sich Nachweise von Sprengstoff, weitere Waffen, Anleitungen zum Bombenbau. Sie wird zu sechs Jahren Haft verurteilt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, Verstoß gegen das Waffengesetz, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und einiges mehr.

Die beiden landen in derselben Zelle. Die Zelle eben, in der sie auf Jahre miteinander auskommen müssen. Irgendwie. Dieser Mikrokosmos wird zu einem besonderen Stressfaktor für die beiden „schweren Mädels“, die jetzt mit ihrer jeweils eigenen Radikalität lernen müssen, umzugehen, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, und es nicht schaffen.

Es ist ein Roman gegen den politischen Hass, der dabei ist, die Seelen auch junger Menschen zu zerfressen.

DER AUTOR

Klaus Kuhn, *1961 in Berlin, verheiratet, ein Sohn, lebt und arbeitet als freier Journalist in Wang bei Moosburg an der Isar (Kreis Freising). Er legt hier seinen ersten rein politischen Roman vor. Die Entscheidung, diesen Roman zu veröffentlichen, fiel recht bald nach der 25. Morddrohung, die mal mehr, mal weniger konkret waren und ausnahmslos aus dem rechten Spektrum kamen. Als er diese Zahl öffentlich machte, eben über soziale Netzwerke, reagierte ein Stadtrat aus eben diesem rechten Spektrum sogar mit einer Anzeige wegen übler Nachrede und Beleidigung. Die Tiraden, die in diesem Zusammenhang gepostet wurden, haben die hier vorgelegte Antwort direkt provoziert. Sie werden teilweise wörtlich zitiert. Authentischer geht es nicht mehr.

ACH JA:

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Etwaige Namensgleichheiten sind unbeabsichtigt, etwaige Ähnlichkeiten mit Grundhaltungen und der Propaganda einer bestimmten Partei dagegen unvermeidlich.

Inhalt:

Sofia

Der Prozess I

Franziska

Der Prozess II

Die Zelle

Das Ende

SOFIA

Die Mutter platzte in Sofias Zimmer. Es war 11 Uhr abends. „Jetzt aber ab ins Bett“, schalt sie ihre Tochter. „Du hängst mir viel zu lange vor dem Laptop rum!“ Widerwillig gehorchte Sofia, brummte was von wegen „hast ja Recht, Mama“ und trollte sich unter die Bettdecke. Einschlafen war nicht. Zu groß war ihre Wut über das, was sie da gesehen hatte. Wieder einmal. Von einem Volkstribunal hatte da einer geschrieben, wo die ganzen „linken und grünen Verbrecher“ abgeurteilt werden sollten. Natürlich anonym, natürlich ohne Spuren zu hinterlassen, aber genauso natürlich mit vielen „Likes“, soundso oft „geteilt“. Auf der Seite „Thüringen für alle“ tobte sich der Mob aus, forderte ein „rigoroses Aufräumen mit diesem versifften System“, und die Liste derer, die „weg“ müssten, wurde immer länger. Irgendwie reichte es ihr. Wütend hackte sie einen Kommentar: „Eine Partei, die das ganze System beseitigen will, gehört verboten! Dieses Gesabbel von wegen „Aufräumen“ und so weiter ist unerträglich! Und wo sollen alle, die „weg“ sollen, denn hin?“ Sie hängte gleich mehrere Male das „Kotz-Emoji“ dran, drückte „Enter“. Es dauerte keine zwei Minuten, da bekam sie eine Antwort auf ihre letzte Frage: „Für dich Zecke wäre Ravensbrück doch eine phantastische Adresse!“ Ravensbrück! Das Frauen-KZ der Nazis! Sofia schäumte, als sie sah, wie schnell die Zahl der „Likes“ unter diesem Kommentar in die Höhe schoss. „Bravo“ schrieb einer dazu, ein anderer bemerkte: „Und das ganze linke Gesindel gleich hinterher!“ Genau in diesem Moment war die Mutter ins Zimmer gekommen. Da hat einer ganz genau gewusst, was er da schreibt! Der schreibt das einfach so. Sie ins KZ! Und jetzt sollte sie ruhig schlafen? Ging nicht! Lange lag sie wach, starrte die Zimmerdecke an, grübelte. Wie weit muss es gekommen sein, dass so etwas straflos geschrieben werden darf? Sie beschloss, sich morgen diesen Vogel mal näher anzuschauen. Den Beitrag „melden“? Das erschien ihr sinnlos, sie hatte immer mehr das Gefühl, dass das Netz geflutet wird von Kommentaren dieser menschlichen Preisklasse. Jetzt hatte sie einmal, nur einmal, den Rechtspopulisten Kontra gegeben, und jetzt bekam sie die volle Hass-Ladung ab.

Ihr Vater kannte das ja: Er hatte mal einen Leserbrief in der größten Tageszeitung drin, der sich gegen die „Völkische Alternative“ richtete. Er hatte für den Stadtrat kandidiert, war aber knapp nicht gewählt worden, war zweiter Nachrücker für eine jener Parteien, die fortan für viele im günstigsten Fall nur noch die „Altparteien“ waren, in der Regel aber die „linksgrün versifften Systemparteien.“ Wieder das „System“, dessen Träger „weg“ müssten. Genau auf dieser Seite „Thüringen für alle“ war er seit dem immer wieder angegriffen worden. Gesprochen hatte er darüber gegenüber seinen Töchtern nicht. Aber Sofia hatte alle diese Kommentare gelesen.

Auch für ihren Vater, der als Steuerberater durchaus einen guten Ruf hatte, sahen etliche User Orte wie Theresienstadt oder Dachau, vor allem aber Buchenwald als eine vorzügliche Unterbringung an, Hauptsache eben „weg“. Ihr Vater aber hatte sich davon nicht beeindrucken lassen, verfasste einen weiteren Leserbrief, der auch gedruckt wurde.

Mit Entsetzen musste Sofia lesen, dass nun die Zeitung angegriffen wurde, weil sie diese „linksgrüne Hetze“ gedruckt hatte. „Die Systempresse gehört gründlich entsifft“ forderte einer und handelte sich wieder viel Beifall ein. Da hatte Sofia „nur“ mehrere „Kotz-Emojis“ dahinter gesetzt, aber das hatte wohl für einige schon gereicht. Sie hatte das öfter gemacht, wollte das alles einfach nicht länger unkommentiert lassen.

Jetzt war das aber anders. Jetzt hatte sie angegriffen mit der Verbotsforderung. Das war, sie spürte es, eine Qualitätssteigerung. Da gab es aber auch „Likes“ für, eins von ihrem Vater. „Oh, Papa ist online“, freute sie sich und beschloss auch, das Thema bei nächster Gelegenheit bei Tisch zu bringen. Aber da war jetzt die Ermahnung der Mutter, endlich im Bett zu verschwinden. Da lag sie nun immer noch, konnte nicht schlafen. „Was, wenn diese Vögel wirklich an die Macht kommen?“

Sie beschloss, den Kampf aufzunehmen, nicht mehr zu schweigen, immer wieder anzugreifen. Sie drückte Knuffel, ihren Teddybären, an sich und murmelte: „Das ist der einzige Braune, den ich in den Arm nehme!“ Dann konnte sie doch einschlafen.

Sie wachte viel zu früh auf. Der Briefkasten aus Blech an der Hauswand hatte geklappert. Jemand hatte was hinein geworfen. Sie sprang aus dem Bett, spähte zum Fenster hinaus und sah nur noch, wie eine männliche Gestalt in ein Auto stieg und davon fuhr. Es war noch stockdunkel. „Seltsam, um die Uhrzeit“, dachte sie, und legte sich wieder schlafen.

Als es Frühstückszeit war erinnerte sie sich an das Briefkastengeklapper, trat vor die Haustür, öffnete den Briefkasten, und fand tatsächlich einen Brief darin. Er war ohne Umschlag. Sie faltete das Blatt auseinander. „Hauser! Wier beobachden dich! Unnser Tak kommt unt dan bist du drann! Das Folkstipunal isst dir dan sicher unt der Galgen auch!“ Darunter war ein Hakenkreuz gekritzelt, bloß falsch herum. Sofia starrte das Blatt an, bis die Mutter von drinnen rief und wissen wollte, wo sie denn so lange bleibe. Zitternd, kreidebleich, schlich sie in die Wohnküche. Ihre Eltern sahen sie erschreckt an. „Papa, die wollen dich umbringen!“ Ihr Vater sah diesen Zettel ebenfalls lange an, dann blickte er zu Simone, Sofias ältere Schwester herüber. „Das Telefon, Simone, sei so lieb!“ Simone rannte sofort los und brachte das Mobilteil. Der Vater wählte die „110“, bekam auch schnell Verbindung. Sofia staunte, wie ruhig ihr Vater sprechen konnte. War das am Ende nicht die erste Bedrohung dieser Art und ihr Vater derlei schon gewohnt? Der Vater gab Name und Anschrift durch, dann die simple Mitteilung: „Meine jüngste Tochter hat gerade eine Morddrohung gegen mich aus dem Briefkasten geholt, ganz klar aus dem rechtsextremen Spektrum, denn da ist ein Hakenkreuz drauf.“

Es dauerte nicht lange, da fuhr ein Zivilfahrzeug der Polizei vor, zwei Beamte, ebenfalls in Zivil, stiegen aus und klingelten. Sie schauten ernst, besahen sich den Zettel. Dann erinnerte Sofia sich: „Ich hab‘ den Briefkasten gehört und bin davon aufgewacht. Hab aber nur jemanden mit einem Auto wegfahren sehen.“ – „Wann war das? Hast du auf die Uhr geschaut?“ – „So um vier. Es war noch stockduster.“ Einer der Beamten – beide hatten sich als „Abteilung Staatsschutz“ vorgestellt – machte sich Notizen.

Simone mischte sich ein: „Wenn der Typ am Briefkasten war sind da doch Fingerabdrücke drauf. Der ist lackiert. Die müssten doch zu sichern sein.“ Der andere Beamte zog die Augenbrauen hoch, griff dann in seine Jacke, förderte ein Handy zutage, wählte eine Nummer. Er forderte die „Spusi“ an. Sofia machte ein fragendes Gesicht. „Hä? Spusi?“ – „Spurensicherung“, erläuterte der Beamte lächelnd. Sofia hüpfte plötzlich hoch. „Hey! Ich hab‘ den Briefkasten doch gestern Nachmittag noch sauber gemacht, weil ein Vogel drauf geschissen hat. Danach war niemand mehr am Briefkasten!“ Dankbar lächelte die Mutter ihre Jüngste an, und auch der Vater klopfte ihr auf die Schulter. „Dann sollte doch was raus zu kriegen sein.“ Der Zettel lag derweil auf dem noch immer gedeckten Frühstückstisch. Nach Frühstück war niemandem mehr, und die Mutter erinnerte sich an die noch volle Kaffeekanne. „Kaffee?“ Die Beamten nickten lächelnd, aber da kam schon ein weiteres Zivilfahrzeug der Polizei, diesmal aber mit einem Blaulicht oben drauf, ein Mann und eine Frau stiegen aus.

Sofia aber zückte blitzartig ihr Handy und fotografierte den Zettel ab, erinnerte sich an ihren Beschluss, den Kampf aufzunehmen. Sie wollte diese Morddrohung öffentlich machen, aber vorher mit ihrem Vater darüber reden. Die Beamten redeten kurz miteinander, dann gingen die Neuankömmlinge am Briefkasten auch schon ans Werk. Tatsächlich: Das feine Pulver machte Fingerabdrücke sichtbar, und zwar nur zwei. „Zeigefinger und Mittelfinger, der Daumen ist wohl unter der Klappe.“, murmelte die Frau und werkelte weiter mit Pinsel und feinem Pulver.

Sofia fand das alles mächtig spannend. Vor allem aber beruhigte sie die Intensität, mit der jetzt ermittelt wurde. „Hoffentlich kriegen die das Arschloch“, flüsterte sie Simone zu. Die nickte. „Miese Drecksau, noch dazu mit Lese-Rechtschreib-Schwäche der Spitzenklasse!“ Sofia kicherte: „Die könnte ihn sogar verraten.“ Der eine Beamte von der ersten Gruppe hatte aber genau zugehört. „Ihn?“ Er sah Sofia an. „Bist du sicher, dass du einen Mann in ein Auto hast steigen sehen?“ Sofia erschrak. Verdammt! Diese Bullen hatten ihre Augen und Ohren aber auch überall! „Ja, eine Frau war das unmöglich. Er hat ziemlich fett ausgesehen“, sagte sie dann, als sie sich wieder gefasst hatte. „Aha! Das ist doch wichtig! Also eine wohlbeleibte männliche Person. Gut. Es war duster. Aber kannst du irgendwas zum Auto sagen. War es ein Kombi vielleicht?“ – „Nein! Ein SUV, keine Ahnung, was für eine Marke. Aber riesig!“ – „Na bitte! Ist doch was! Dunkle oder helle Lackierung?“ – „Dunkel.“ Der Beamte blickte Sofia aufmunternd an. „Na also! Und jetzt sag‘ ich dir was: Du kommst jetzt gleich mit. Wir zeigen dir ein paar Silhouetten von solchen Autos. Und dann schauen wir mal, welche deinen Beobachtungen am nächsten kommt.“ – „Aber….aber ich hab‘ doch Schule!“ – „Dagegen haben wir Entschuldigungszettel, glaub‘ mir. Das hier ist verdammt ernst. Und da wollen wir alles wissen.“ Sofia blickte zu ihrem Vater herüber, der aufmunternd nickte. Aber dann verfinsterte sich sein Blick: „Hast du etwa um die Zeit noch vor dem Computer gesessen?“ Sofia stöhnte. „Nein, Papa, dann wäre ja Licht im Zimmer gewesen, und der Arsch hätte sich wahrscheinlich nicht her getraut, ok?“ Die Mutter musste jetzt lächeln, trotz der bitterernsten Situation. „Sie hat wohl mal wieder nicht schlafen können, hat sich wieder fürchterlich aufgeregt über diese verdammten Hasstiraden im Netz.“ Der Vater war aber schon wieder friedlich, und Sofia zog mit den ersten Polizisten zusammen ab. Ohne Frühstück.

Bei der Polizei war schon um diese Zeit mächtig was los. Uniformierte Männer und Frauen, aber auch genauso viele in Zivil, eilten durch die Gänge, Akten in den Händen. „Abteilung Staatsschutz“ las sie an einem Türschild. Ihr Herz klopfte. Gleich werde sie erleben, wie gut die Polizei aufgestellt ist. Zumindest werde sie einen Eindruck bekommen. Der Beamte und sie mussten etwas warten im Gang. „Da ist noch jemand drin. Diskretion, verstehst du?“ Der Beamte war freundlich, lächelte sie an. „Morddrohung an den Vater auf nüchternen Magen. Ist Scheiße, was?“ Sofia nickte. „Mein Papa hat mal für den Stadtrat kandidiert, aber eben für die anderen. Der ist bekannt. Sein Bild war ja auf allen Wahlprospekten.“ – „Oha! Das erzählst du uns bitte auch gleich“, verlangte er.

In diesem Moment kam eine uniformierte Polizeistreife mit einem Mädchen vorbei. Das Mädchen musste zwischen den Beamten gehen, war mit Handschellen gefesselt. Sofia erschrak. Das Mädchen war vielleicht 16, möglicherweise aber auch genau so jung wie sie. Und es war ein hübsches Mädchen, sah eigentlich sympathisch aus, hatte glatte dunkle Haare bis zum Po hinunter, um die Sofia sie beneidete, aber das Gesicht war hassverzerrt. Und dann schrie das Mädchen auch noch: „Scheiß Bullen! Schaut lieber, dass ihr das linke Gesocks zur Strecke bringt anstatt Patrioten zu jagen! Euch muss man ja auch noch auf Linie bringen. Das ganze System ist krank!!!“ Sofia staunte über die Ruhe der beiden Uniformierten, die nicht einmal antworteten. Als die drei mit der zeternden Gefangenen weg waren meinte sie: „Hey, die war aber übel drauf!“ Der Beamte nickte nur. „Und jetzt kann es gleich passieren, dass eine Linksradikale hier vorbei geführt wird, die genauso drauf ist, bloß mit anderen Sprüchen.“ – „Na super!“ Sofia stöhnte. „Und Normalos werden Mangelware, was?“ – „Da sag‘ ich jetzt besser nix dazu.“

Dann konnten endlich die zwei in ein helles Büro mit vielen Computern, Schreibtischen, und großen Monitoren an den Wänden eintreten. „Wir haben uns schon vorbereitet“, sagte der Beamte. „Also: Dein Zimmer ist im ersten Stock du hast das Auto also von schräg oben gesehen, beleuchtet nur von einer Straßenlaterne?“ – „Ja, und zwar hab‘ ich die Karre echt nur von hinten gesehen, denn die ist dann auch nach rechts weggefahren.“ Eine Beamtin erhob sich. „Du hast also keinen Kühlergrill gesehen?“ Sofia schüttelte den Kopf. „Gut. Aber immerhin. Du hast was beobachtet. Ist ja schon mal was. Dann setz‘ dich mal hierher.“ Die Frau rückte einen Stuhl vor einem großen Bildschirm zurecht. Und tatsächlich konnte sie eine Unzahl von Autos auf diesen Monitor zaubern, verschiedene Lichtsituationen simulieren. Sofia staunte. „So. Jetzt müssen wir uns konzentrieren“, meinte die Frau und zeigte das erste Bild. „Das ist kein SUV“, meinte Sofia. „Gut. Du weißt also, was ein SUV ist.“ – „Klar! Mein Papa hat sich zu oft über diese Protzkarren aufgeregt.“ – „Ok, dann wollen wir mal.“ Im Hintergrund konnte eine andere Beamtin sich ein Lachen nicht verkneifen. „Protzkarren….“ Sofias Gesprächspartnerin schaltete Bild um Bild durch. „Wenn du glaubst, dass das von dir beobachtete Auto so oder so ähnlich ausgesehen hat, dann meldest du dich, ok?“ Sofia nickte. Und tatsächlich: Beim 25. Bild rief sie: „Das! So hat diese Karre ausgesehen!“ Die Beamtin machte sich Notizen. „Gut, dann suchen wir mal ähnliche Autos.“ Aber es blieb bei diesem einen. „Das hat sich doch gelohnt“, kommentierte sie. „Hast du Details gesehen?“ Sofia musste ihr Gehirn anstrengen, tat das aber mit Erfolg: „Dachgepäckträger!“ – „Donnerwetter! Am Ende auch eine Anhängerkupplung?“ Sofia zögerte, biss die Lippen aufeinander. Der Kerl aus dieser Karre hatte ihrem Papa eine Morddrohung geschrieben! Ihrem Papa! Sie hatte ihn gesehen! Sie überlegte angestrengt, versuchte, sich zu erinnern, dann war sie sich doch sicher: „Ja! Hatte diese Karre!“ – „Kennzeichen hast du nicht erkannt, was?“ – „Nee, war doch duster.“ - „Keine Kritik! Wir sind ja unheimlich froh, wie viel du noch im Gedächtnis hast.“

Sofia wurde freundlich entlassen, erhielt unaufgefordert einen Zettel für die Schule, aus dem hervor ging, von wann bis wann sie von der Polizei als Zeugin vernommen worden war. Ihr Gymnasium war nicht weit weg, und so trabte sie dorthin, ohne irgendwelche Hausaufgaben, ohne Schulsachen und immernoch ohne Frühstück. Ihre Gedankenwaren bei ihrem Vater. Sie konnte und wollte nicht glauben, dass der sowas so einfach wegsteckt. Sie war maßlos wütend, wollte nur eins: Dass diese Kerl geschnappt wird. Und sie hoffte inständig, dabei geholfen zu haben.

Der Unterricht war für die Katz. Sie war mit den Gedanken ganz woanders, nur nicht bei Caesars „Bellum Gallicum“, den die Lateinlehrerin da vorn versuchte, ihren Schülern näher zu bringen. Dass Sofia, die sonst recht rege im Lateinunterricht war, nicht bei der Sache war, merkte sie sofort. „Ist was, Sofia? Du bist geistig total abwesend.“

Sofia explodierte. „Nazis haben meinem Papa eine Morddrohung geschickt. Ich hab das Arschloch heute Nacht noch wegfahren sehen, bin gerade deswegen bei der Bullerei gewesen, die mich ausgequetscht haben, habe nicht einmal ein Frühstück gehabt wegen der ganzen Scheiße, und jetzt soll ich hier Caesars Selbstbeweihräucherung ins Deutsche übersetzen? Hey Leute! Es ist mein Papa! Und diese Nazis wollen ihn umbringen!“ Sie schrie nur noch, ihre ganze Wut brach aus ihr heraus.

Das beendete den regulären Lateinunterricht an diesem eigentlich neusprachlichen Gymnasium in dieser Klasse für diesen Vormittag. Die Lehrerin starrte Sofia entgeistert an. Als sie sich wieder gefasst hatte schickte sie einen Mitschüler zum Direktor. Der müsse sofort her kommen. Dann versuchte sie, die wild durcheinander rufenden Mitschüler zu beruhigen, was mühsam war. Die Solidarität in der Klasse tat Sofia gut.

Der Schulleiter erschien und machte kurzen Prozess. „Sofia! Du gehst sofort nach Hause! Du bist für heute entschuldigt. Es ist völlig klar, dass du am Unterricht nicht vernünftig wirst teilnehmen können.“ Der Mitschüler hatte wohl die Wegstrecke vom Rektorat bis ins Klassenzimmer genutzt, um den Direx von Sofias Wutausbruch in Kenntnis zu setzen.

Sofia stand also wieder auf, winkte matt ihren Mitschülern zum Abschied zu und trabte wieder nach Hause. Das dauerte. Normalerweise war sie mit dem Fahrrad hier. Aber der Umweg über die Polizei machte das unmöglich. Also zu Fuß. Das war vielleicht auch besser so. Beinahe hätte sie nämlich eine rote Fußgängerampel übersehen, so war sie in Gedanken versunken.

Daheim angekommen sah sie in das erstaunte Gesicht der Mutter: „Der Direx hat mich heim geschickt, hat gemeint, Schule sei heute für mich für die Katz. Hat er wahrscheinlich Recht. Mann, hab‘ ich eine Wut!“ Sie stürmte regelrecht die Küche. „Hunger hab‘ ich! Die ganze Scheiße auf nüchternen Magen!“ Die Mutter nickte ernst und schob ihr eine Dose hin. „Hier, da ist ein Salamibrot und ein aufgeschnittener Apfel drin. Wollte ich dir schon zur Schule bringen, weil du kein Frühstück gehabt hast.“ Sofia schaute ihre Mutter mit dankbaren Augen an, öffnete die Dose, biss in das Salamibrot und fragte kauend: „Wie geht es Papa? Der war so ruhig. Du! Ich glaub‘ das ist nicht die erste Morddrohung. Der wirkte, als sei er das schon gewohnt.“

Die Mutter seufzte. „Du hast Recht. Es ist die fünfte. Aber Papa hat nicht gewollt, dass Simone und du unruhig werdet und euch Sorgen macht. Er ärgert sich gerade krumm und dumm, dass du diesen Zettel gefunden hast.“ – „Scheiße! Und alles von den Nazis, was?“ – „Ziemlich sicher.“ Sofia riss die Augen auf. „Unser Papa! Verdammt!“ Das Salamibrot war schon Geschichte, der Apfel war dran. Dazu stürzte sie förmlich einen Krug Leitungswasser hinunter. „Papa ist ins Büro gefahren. Ob du’s glaubst oder nicht, der kann jetzt arbeiten.“ Sofia staunte nicht schlecht. „Nee du, das geht so nicht weiter. Wir müssen was unternehmen.“ – „Papa ist heute in einer Parteiversammlung. Da wird es wohl auch darum gehen.“ – „Ich komme mit!“ – „Nein! Das tust du nicht. Du gehst heute früher ins Bett, der Computer bleibt aus, und wenn ich den konfiszieren muss! Du bist ja jetzt schon auf 80. Ich verstehe dich ja, aber wenn wir jetzt nervös werden, werden die Nazis denken, dass sie Wirkung erzielen, verstehst du?“ – „Ich kann und will aber nicht schweigen dazu! Wer schweigt macht sich mitschuldig!“ – „Wir schweigen ja auch nicht! Papa hat den Zettel abfotografiert und ist bereits von der Zeitung interviewt worden.“ Sofia strahlte ihre Mutter an. „Unser Papa ist stark, was?“

Ihre Mutter lächelte. „Aber wenn du jetzt im Park spazieren gehst werden dich Streifenbeamte für eine Schulschwänzerin halten.“ – „Mist! Du hast Recht! Ich mäh‘ den Rasen. Muss irgendwas tun, um den Kopf frei zu bekommen. Muss mich abreagieren.“ – „Tu‘ das mein Kind! Das ist sicher eine großartige Idee.“

Sofia schob den Rasenmäher energisch vor sich her. „Jeder Grashalm ein Nazi! Weg mit dem Gesocks, keinen übrig lassen!“ Das murmelte sie vor sich hin, als sie den zweiten Fangkorb über dem Komposter ausleerte. Doch dann erschrak sie über sich selbst. Was, wenn es wirklich schon so viele waren? Und dann schalt sie sich selbst für den Vergleich. Die Grashalme wachsen ja wieder nach, der Vergleich war also völlig untauglich. Wieder riss sie am Startseil für den Benzinmäher, schob das lärmende Ding durch den Garten, und sang so laut, dass sie den knatternden Motor fast übertönte: „Vorwärts, und nie vergessen, worin uns’re Stärke besteht: Beim Hungern, und beim Essen, vorwärts, und nie vergessen: Die Solidarität!“ Sie machte sich selbst Mut mit den alten sozialistischen Kampfliedern, erinnerte sich daran, dass die Partei ihres Vaters eine Jugendorganisation hatte. Danach werde sie ihren Dad fragen. „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht! Die Internationa-ha-le erkämpft das Menschenrecht!“

Kopfschüttelnd sah die Mutter vom offenen Fenster aus ihrer Jüngsten zu, wie sie weiter hinter dem Rasenmäher sang: „Brüder zur Sonne zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor! Hell aus dem dunklen Vergangnen leuchtet die Zukunft hervor.“ Doch mit einem Mal stotterte der Rasenmäher, schwieg dann. „Scheiße! Energiekrise!“ So Sofias Befund nach einem Blick in den Tank. Sie sah sich um. „Passt. Gerade so fertig geworden.“ Ein letztes Mal leerte sie den Grasfangkorb.

Dabei sah sie ihre Mutter, die mit nachdenklichem Gesicht am Fenster stand. Aus dem fröhlichen Mädchen war eine finster entschlossene Kämpferin geworden. Die politische Richtung passte ihr, das Alter gar nicht. „Mein Gott! Sie ist doch noch ein Kind!“ Sie bekam Angst. Angst davor, dass der Hass der Nazis auf ihre Familie, allen voran den Vater, ihr die Kindheit rauben könnte. Das nachdenkliche Gesicht der Mutter entging Sofia nicht. „Sie macht sich also auch Sorgen wegen Papa“, dachte sie. „Scheiß Nazis!“ Dass die Sorgen der Mutter auch ihr galten registrierte sie nicht.

Sie säuberte den Rasenmäher grob, schob ihn in das Gartenhäuschen, und besah sich ihr Werk. „Kann man so lassen“, befand sie und stapfte wieder ins Haus, gerade rechtzeitig, um Simone zu treffen. Das Gesicht ihrer älteren Schwester war wutverzerrt. „Mein Gott, wie die eine, die die beiden Bullen zwischen sich hatten“, schoss es Sofia durch den Kopf. „Hübsches Mädchen, aber mit einem Gesicht wie….“ Ihr fiel nichts ein. Simone registrierte das fragende Gesicht, riss das Handy raus und hielt ihr das unter die Nase. Auf der Seite „Thüringen für alle“ hatte einer geschrieben: „Diese Simone Hauser ist die Tochter von diesem linken Volksverräter. Wer geht eigentlich mal gegen dieses Gesocks vor und verhindert, dass dieses sich am Ende noch vermehrt?“ Und dann war tatsächlich ein Foto von Simone zu sehen, eindeutig heimlich in einem Eiscafé geknipst und dann gewaltig heraus vergrößert und darum auch entsprechend pixelig. Aber sie war zu erkennen.

Sie starrte das Handy eine Weile an. Dann aber fing sie sich wieder. „Komm sofort mit mir mit, wir müssen diese wild gewordenen Admins anschreiben, dass die das Bild heraus nehmen. Recht am eigenen Bild, und so weiter.“ Sie zog Simone hinter sich her in ihr Zimmer, schwang sich an ihr Notebook. Es dauerte nur wenige Minuten, dann war die wütende Botschaft draußen, mit allem, was dazu gehörte von wegen Recht am eigenen Bild und so weiter. Sofia setzte eine Frist bis 14 Uhr: Wenn dann das Bild und dieser Post noch online seien werde ohne weitere Vorwarnung die Polizei eingeschaltet.

Sie suchte den Verfasser der Nachricht im Netz, wurde aber nicht so recht fündig. „Sauerei! Diese Feiglinge nutzen natürlich einen Fake-Account.“ Wütender werdend hackte sie auf der Tastatur herum, ohne Erfolg. Sie schaffte aber, einen Screenshot anzufertigen, schickte den ihrer Schwester auf ihren E-Mail-Account und drehte sich zu ihr um: „So. Um 14.15 Uhr schaust du nach. Und wenn dieser Scheiß dann noch zu sehen ist mit deinem Bild, dann ist was los. Du weißt, einer von Papas besten Freunden ist Rechtsanwalt.“ – „Danke, Schwesterherz.“ Simone schluckte. „Wir müssen zusammen halten. Papa bekommt Morddrohungen, und jetzt wirst du auch noch bedroht, wie ich übrigens auch. Mir winkt in der Phantasie der Nazis Ravensbrück.“ Simone starrte ihre Schwester an. „Na toll!“ Mehr brachte sie nicht heraus. Sie drückte ihre Schwester stumm, und zwar eine ganze Weile lang. „Ja! Zusammenhalten“, flüsterte Sofia.

Dann aber konnte Sofia sehen, wie sich Simones Gesicht wieder verfinsterte. „Wir müssen konkret was tun“, brummte Simone. „Und was?“ – „Na, das, was Papa zuweilen tut: Einen wütenden Leserbrief verfassen.“ – „Besser nicht. Die in der Zeitung drucken doch nicht alle drei Tage einen Leserbrief aus dem Hause Hauser. – Lass uns lieber hier auf dieser Seite „Thüringen für alle“ angreifen.“

Sie ging ins Bad, holte den Hocker heraus, stellte ihn neben ihren Schreibtischstuhl, und dann rief sie diese Seite noch mal auf. Der Hass-Post gegen ihre Schwester war tatsächlich schon weg. Stattdessen beschwerte sich jetzt der, der ihn verfasst hatte, über „Zensur“. Sofia lachte grimmig. „Was meinst du, Simone? Antworten?“ – „Nö, ich bin dafür, wir schreiben was eigenes.“ – „Gut.“ Ein „Haha“- Emoji unter diese Beschwerde aber konnte sich Sofia nicht verkneifen.

Dann machten sich die beiden Schwestern ans Werk. „Verdammt, was geht hier in unserem schönen Thüringen eigentlich ab? Da wird einem 15 Jahre alten Mädchen geschrieben, dass es ins Frauen-KZ Ravensbrück gehört, und etliche finden das auch noch gut. Bei der älteren Schwester wird laut darüber nachgedacht, wie man verhindern kann, dass sie auch noch Kinder kriegt, und dann wird widerrechtlich sogar ein Foto von ihr dazu gestellt. Der Hass nimmt immer krassere Formen an, und die selbst ernannte bürgerliche Mitte schweigt dazu, applaudiert sogar teilweise. Es droht das totale Versagen genau dieser bürgerlichen Mitte, wie schon einmal 1933. Wir steuern genau darauf zu. Wehret den Anfängen, hieß es mal. Da sind wir schon lange drüber raus. Die Faschisten sind unter uns. Wenn wir sie nicht verjagen werden sie es mit uns tun.“ Das hatte Sofia innerhalb weniger Minuten in den Rechner gelopft. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, fand noch einen Rechtschreibfehler, den sie ausbesserte.

Simone schüttelte den Kopf. „Sowas könnte ich nicht formulieren. Was machst du die ganze Zeit?“ Sofia war es jetzt, die mit wütendem Gesicht ihre Schwester ansah. „Ich befasse mich schon eine ganze Weile mit dem Kram. Dieser Adolf Hoffer, man darf in ungestraft „Faschist“ nennen, das hat ein Gericht entschieden, das Urteil ist rechtskräftig. Und der will Ministerpräsident werden! Simone! Weißt du, was das heißt? Dann kann es passieren, dass der rechte Mob über unsere ganze Familie herfällt. Kannst du das mittragen, was ich da geschrieben habe?“ – „Voll!“ – „Gut, dann schreibe ich jetzt unsere beiden Namen darunter. Mach dich aber auf was gefasst. Da werden wieder welche toben. Schließlich habe ich geschrieben, dass wir die Faschisten verjagen sollten.“ – „Müssen wir doch!“ – „Richtig!“ Und damit tippte Sofia „Enter“, genau in dem Moment, wo die Mutter herein schaute, um zu erfahren, was die beiden Schwestern da aushecken. „Schau mal auf die Seite „Thüringen für alle“, dann weißt du es“, brummte Simone nur, nahm den Hocker aus dem Bad, trug ihn wieder zurück, entbot vorher noch ihrer jüngeren Schwester den Ghetto-Gruß, den diese mit einem finsterentschlossenen Blick erwiderte.

Der Mutter wollte das alles nicht gefallen. Jetzt hatten die beiden Töchter also offensichtlich im Internet zum Gegenangriff angesetzt. Sie war sich unsicher. Einerseits konnte und wollte sie die „Völkische Alternative“ nicht unwidersprochen ihr Gift verbreiten lassen, andererseits hatte sie aber auch ein erhebliches Ruhebedürfnis. „Es muss doch auch was anderes geben als Politik, gerade für meine Kinder“, grummelte sie in sich hinein. Zugleich hatte sie eine unbestimmte Angst, da mit hinein gezogen zu werden und beschloss, sich jetzt erst mal nicht mit dem zu befassen, was die beiden da oben fabriziert hatten.

Das hätte sie aber besser getan, denn es dauerte nicht lange, da ging das Telefon. Der Anrufer war anonym. Sie meldete sich mit „Hauser“, und dann plärrte eine weibliche Stimme auch schon los: „Wir werden euch kriegen, wir werden euch alle kriegen! Und dann wartet das Volkstribunal auf euch. Wir beobachten euch! Wir wissen, wo ihr wohnt. Ihr entgeht uns nicht! Sieg heil!“ Und dann wurde aufgelegt.

Mit zitternder Hand stellte sie das Telefon in die Ladestation zurück. Es dauerte nicht lange, da klingelte es wieder. Wieder anonym. „Hauser?“ - „Manfred hier! Rechne mit allem! Unsere Kinder haben einen wütenden Post ins Netz gestellt, fordern, die Nazis zu verjagen. Es ist die Hölle los auf der Seite.“ - „Die erste hat schon angerufen, droht mit einem „Volkstribunal“ und meint, sie würden uns beobachten, sie würden wissen, wo wir wohnen.“ - „Na großartig. Aber du! Die Polizei hat wegen der letzten Morddrohung einen Tatverdächtigen gefasst. Sofia kann sich auf eine Gegenüberstellung gefasst machen. Gut möglich, dass die gleich anrufen.“ - „Sofia wieder! Das Mädchen kommt mir noch total aus der Bahn!“ - „Ja, da müssen wir Kriegsrat halten.“

Sie beendete das Gespräch mit ihrem Ehemann, und schon ging wieder das Telefon. Die Polizei war dran, eine freundliche weibliche Stimme fragte nach Sofia. „Die ist da! Moment!“ Und dann brüllte sie nur noch in den Flur: „Sofia! Sofort runter kommen! Die Polizei ist am Telefon!“ Augenblicklich hörte sie eine Zimmertür, trappelnde Schritte auf der Treppe, und dann stürzte Sofia ins Zimmer, nahm das Telefon. Sie telefonierte nicht lange. „Du Mama, die Bullizei hat einen gefasst, der den netten Brief an Papa in den Kasten geworfen haben könnte. Ich soll sofort hin. Die wollen mir den komischen Vogel zeigen.“ Eine Antwort wartete sie nicht ab, raste hinaus zu ihrem Fahrrad, und ehe die Mutter einen klaren Gedanken fassen konnte hörte sie auch schon das Gartentor zur Straße. Weg war sie. „Bullizei....“ Die Mutter musste lächeln ob dieser Ausdrucksweise. „Sie ist eben doch noch ein Kind.“

Dieses Kind stürzte förmlich in die Wache. „Gemach, gemach, junge Frau! Wohin des Wegs?“ Ein Beamter musste sie bremsen. „Hab grad einen Anruf bekommen. Ich soll sofort her kommen wegen einer Gegenüberstellung.“ - „Wer ist denn „ich“, davon haben wir eine ganze Menge.“ Der Beamte lächelte. „Ach so, ja! Sofia Hauser.“ - „Ach, es geht um die Morddrohung gegen deinen Vater und den möglichen Absender?“ - „Ja, genau!“ Sofia nickte heftig. Der Beamte griff zum Telefon. „Hier ist ein junger Wirbelwind wegen der Gegenüberstellung in Sachen Hauser.“ Eine junge Beamtin kam herein. Die langen blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden, hatte ein hübsches Gesicht, lächelte Sofia freundlich an. Sie wirkte so freundlich, dass Sofia gar nicht glauben mochte, dass sie von der Schusswaffe am Gürtel ernsthaft und effizient Gebrauch machen konnte. „So schnell haben wir gar nicht mit dir gerechnet. Dann komm' mal mit!“

Sie begleitete Sofia wieder durch die langen Gänge, die sie ja schon kannte. Dann kamen sie an eine Tür. Sie durfte eintreten. „So! Und hinter dieser Tür, die du da siehst, kannst du gleich drei Männer erkennen. Du solltest uns sagen, ob du den Überbringer der Morddrohung am Ende wieder erkennst. Du hast ihn ja schräg von hinten gesehen, und zwar im Grunde von hinten rechts, stimmt's?“ Sofia nickte aufgeregt. Dann zog die Beamtin einen Vorhang von einem Fenster in der Tür weg und klopfte. Drei Kerle standen da, alle so ähnlich, wie sie den Typen beim Einsteigen in seinen SUV gesehen hatte. Sie war sich aber sofort sicher: „Der in der Mitte! Ja! Diese Halbglatze!“ Die Beamtin schaute auch kurz durch das Fenster, machte „aha“, und klopfte wieder an die Tür. Das war das Zeichen für die Beamten drinnen, die Reihenfolge zu wechseln. „So, jetzt schau' noch mal!“ Sofia blickte wieder durch das Fenster. „Hey, jetzt steht der ganz rechts, die beiden anderen waren es ganz sicher nicht. Die Glatze passt nicht, wenn sie wissen, was ich meine. Jetzt hat er sich zu mir umgedreht, schaut mich echt grimmig an.“ - „Der sieht dich nicht. Das ist ein halbdurchlässiger Spiegel“, lächelte die Beamtin und klopfte wieder: Abbaukommando für die drinnen. „Und die beiden anderen mit den Halbglatzen?“ - „Pssst! Das sind Kollegen!“

Erschrocken hielt sich Sofia die Hand vor den Mund. Über die Halbglatzen von Polizisten hatte sie sich nun wirklich nicht lustig machen wollen. „Ist schon gut. Aber wir mussten ja Kollegen suchen, die dem Verdächtigen ähnlich sehen, damit die Sache auch Sinn macht.“ - „Und? Hab ich den richtigen wieder erkannt?“ - „Hast du, Sofia!“ Sofia strahlte die Beamtin an. „Dann ist jetzt Ruhe bei uns?“ - „Ich fürchte, nein. Verstehst du, wir beobachten auch die Seite „Thüringen für alle“ sehr genau. Und nach dem, was du und deine Schwester da geschrieben habt....“ Sofia sackte das Herz in die Hose. Sie hatte also mit ihrer Schwester den ganzen ultrarechten Mob so richtig in Rage gebracht. Aber jetzt war der Post draußen, und Feigheit werde sie sich nicht nachsagen lassen. „Ich will und kann aber nicht schweigen zu dem ganzen Hass, der da gepredigt wird“, flüsterte sie. „Die Beamten nickte mit ernstem Gesicht. „Lass dich nicht mitreißen davon“, meinte sie dann, als sie – jetzt etwas langsamer – mit Sofia wieder zur Wache hinunter ging und sie entließ. „Danke, du hast uns sehr geholfen.“

Daheim ließ sich Sofia auf den Stuhl fallen, die anderen waren schon beim Essen. „Und?“ Der Vater machte ein interessiertes Gesicht. „Sie haben ihn!“ Der Vater nicke nur. „Wenigstens mal einen. Aber die Nacht ist zum schlafen da und nicht dazu, den Briefkasten zu beobachten.“ Sofia verdrehte die Augen, wie es nur Pubertierende können. „Ja, Papa.“ Dann wollte sie aber auch was essen, ehe nichts mehr da war. Sie berichtete lieber nicht, was die Beamtin ihr gegenüber angedeutet hatte, ging davon aus, dass das noch früh genug hier am Tisch Thema werde.

Sie erinnerte sich aber auch daran, dass sie sich mit der Jugendorganisation der Partei in Verbindung setzen wollte. Das sei noch Programm für heute. Erst aber half sie ihrer Mutter, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, räumte die Wurst und den Käse samt der Butter wieder in den Kühlschrank. Die Küchenarbeit war immer wieder Gelegenheit, mit der Mutter zu reden, und so stieg sie ein: „Du? Hast du irgendwelche Verbindungen zu der Jugendorganisation von Papas Partei? Da muss man doch mitmachen.“ - „Keine Ahnung, Sofia. Aber frag' mal Papa. Ich glaub', der kennt da den einen oder anderen.“ - „Aber du bist doch auch Mitglied.“ - „Sicher, aber ich mach' nicht aktiv mit.“

Simone platzte in die Küche, unterbrach die Unterhaltung. „Sofia! Kennst du dich mit diesem Netzwerk aus? Da müssen Sachen über uns zwei kursieren, die sind der Wahnsinn!“ Sie hielt der jüngeren Schwester wieder einmal ihr Handy unter die Nase. „Wird höchste Zeit, dass die beiden Schnallen mal einer dick macht, dann haben die Beschäftigung und hetzen nicht mehr gegen Patrioten.“ Das stand da zu lesen. Bei den Kommentaren meinte dann einer: „Bloß nicht! Dann vermehren die sich ja!“ Sofia gab Simone ihr Handy zurück. „Ich weiß, dass einer von der Partei mit einem Fake-Account da drin ist, nur damit er mitlesen kann. Ab und zu lässt der auch mal einen rechten Spruch ab, um nicht aufzufallen. Weißt du? Da gibt es keine Bremsen gegen rechten Hass im Netz. Deswegen tummeln die von der „Völkischen Alternative“ sich auch zumeist da und geilen sich gegenseitig auf. Verlass dich drauf: Da kommt noch mehr in der Preisklasse.“ - „Na super! Aber aus Worten werden Taten, heißt es doch.“ - „Genau! Deshalb ist der ja auch mit dem Fake-Account drin. Und ich glaube, dass er nicht der einzige ist.“

Wortlos griff sich die Mutter Simones Handy, starrte das Display an. Dann erkannte sie, dass ein Parteifreund einen Screenshot gemacht und diesen bei „Thüringen für alle“ hochgeladen hatte, garniert mit einem kritischen Kommentar: „Zur Dokumentation! Das geht wirklich ab bei der „Völkischen Alternative“! So tickt das braune Gesocks!“ Sie gab das Handy zurück und brummte: „Na! Der kann jetzt was erleben, fürchte ich.“ Simone nickte. „Papa kennt das ja schon.“ Der kam in diesem Moment in die Küche. „Ist Kriegsrat hier?“ - „Fast.“ Sofia fragte sofort nach der Jugendorganisation. Der Vater zuckte die Schultern. „Ziemlich verpennter Haufen. Diskutieren viel, machen wenig. Mich regen die ziemlich auf, weil sie einfach keine konkrete Aktion zusammen kriegen. Kein Stand auf dem Markt, kein Flugblatt, nichts.“

Sofia stöhnte. „Großartig. Hunde, die man zum Jagen tragen muss, können wir nicht gebrauchen.“ Die Mutter sagte lieber nichts mehr. Ihr wurde das alles zu viel. Doch dann brach es doch aus ihr heraus: „Können wir auch mal über was anderes reden als über Politik? Mich regt das echt auf. Haben wir keine anderen Themen mehr?“ Simone mischte sich ein. „Ich bin für einen Familienausflug, alle vier. Damit wir mal was anderes sehen und den Kopf auch mal wieder frei bekommen.“ - „Gute Idee! Wohin?“ Der Vater nickte Simone anerkennend zu. Sofia wollte wissen: „Wann? Ich bin auf jeden Fall dabei.“ - „Sonntag. Früh losfahren, dass wir was vom Tag haben. Und wir müssen uns versprechen, dass nicht über Politik geredet wird!“ Die Mutter wurde deutlich. „Prima! Jeder macht bis Samstagmittag einen Vorschlag, und dann stimmen wir ab, wohin es geht.“ Simone wurde eifrig, freute sich sichtlich darüber, wie gut ihr Vorschlag angekommen ist. „So machen wir das!“

Sofia hängte das Geschirrtuch auf, trollte sich in ihr Zimmer. Dort warf sie das Notebook an und suchte nach der Jugendorganisation der Partei. Sie wurde fündig. „Aha. Nächstes Treffen heute Abend. In einer viertel Stunde. Das schaffe ich.“ Sie warf sich die Jacke über, schnappte sich einen Block von der Schule, einen Kugelschreiber, und kam ins Wohnzimmer. „Jetzt gleich tagt dieser schlappe Haufen. Wollen doch mal sehen, ob ich die Schlafmützen, von denen Papa gesprochen hat, irgendwie auf Trab bringen kann.“ Damit verabschiedete sie sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie schwang sich aufs Rad und war so gerade rechtzeitig. Dachte sie.

Sie hatte nicht mit der berühmten „akademischen Viertelstunde“ gerechnet. Erst dann bequemte sich einer, den sie nicht kannte, zu einer Begrüßung. Immerhin. Er hatte erkannt, dass ein neues Gesicht da war. Sofia musste sich vorstellen. Die sieben anderen begriffen schnell: „Ach, die jüngste von Manfred!“ Sofia war schon wieder auf 80. „Ich bin selbst wer. Mag nicht nur über meinen Vater definiert werden“, brummte sie. Und siehe da: Sie erntete durchaus Verständnis. Und dann gab es tatsächlich so etwas wie eine Tagesordnung. Eine „Spielplatzaktion“ solle gestartet werden: Konsequente Bewertung der Spielplätze im Stadtviertel, Dokumentation von Mängeln, Sicherheitsrisiken. „Immerhin“, dachte Sofia bei sich. „Das ist doch durchaus konkret.“ Als sie aber hörte, dass diese Gruppe schon seit einem Vierteljahr an der Planung dieser Aktion ist, ohne dass bisher ein einziger Spielplatz wirklich besichtigt worden war, begann sie zu begreifen, dass der Vater wohl Recht haben könnte. „Äh, das kann doch nicht euer Ernst sein! Seit drei Monaten redet ihr von dieser Aktion, und passiert ist gar nichts? Hey, dabei ist das doch ganz einfach! Wer nimmt sich welche Spielplätze vor? Und in der nächsten Sitzung tragen wir die Ergebnisse zusammen. Das kann doch nicht so schwer sein! Sauberkeit ist ein Thema, ist Hundescheiße dort? Dann: Sind die Spielgeräte heil? Sind sie langweilig? Sind die Zugänge sicher? Gibt es heile Bänke für Mama und Papa? Und Ende. Mein Gott, das kann doch nicht so ein Drama sein!“

Sofia regte sich auf. Die anderen schauten sie mit großen Augen an. Ihnen fiel nichts ein. Schweigen in der Runde, und das war nun gerade das, was Sofia überhaupt nicht vertragen konnte. „Also! Zettel raus! Wer schaut sich welche Spielplätze an?“ Sie übernahm die Initiative, nahm dem Vorsitzenden ohne es zu merken das Heft aus der Hand. Und dann kamen sie wirklich, die Meldungen. Sofia musste sich aber schon wieder aufregen, beim notieren. „Wer ist „Ich“? Ich kenn' doch noch keinen von euch.“ Die Liste füllte sich wirklich. „Stadtplan! Haben wir alle im Stadtviertel?“

Sie erschrak selbst über ihren autoritären Ton. Dieser Haufen brauchte wirklich eine Führung. Die war einfach nicht da. Mit den anderen über den Stadtplan gebeugt erarbeiteten sie: Alle Spielplätze hatten einen, der sie begutachtete. „So. Und wann treffen wir uns wieder?“ Sofia holte ihr Handy heraus, wischte den Terminkalender durch. Derweil fragte sie sich: „Verdammt! Was haben die ein Vierteljahr gemacht? Das ist ja Wahnsinn!“ Am Ende stand eine Liste. „Gut! Ich mach ein Exel-Sheet mit dem Inspekteur, dem Spielplatz, und dann den Befunden zu den gerade besprochenen Kriterien. Das bringe ich das nächste Mal auf dem Notebook mit, und dann tragen wir das ein. Dann haben wir etwas, womit wir zu unseren Vertretern im Stadtrat können. Wer ist das?“ - Überraschender Weise kam sofort ein Name. Es war der Freund des Vaters, der auch Rechtsanwalt ist. „Prima! Den kenne ich.“

Die anderen schauten recht verdattert drein. „Äh, und was machen wir dann mit den Ergebnissen?“ Sofia wollte schon explodieren. „Eine Pressekonferenz natürlich! Tue Gutes und sprich darüber, ist doch klar. Und da ist unser Stadtrat mit von der Partie und ist dann hoffentlich vorbereitet.“ Sie wurde laut. Dieser Haufen hier, der musste tatsächlich auf Vordermann gebracht werden. Die anderen mussten schnaufen: Diese Neue da, die verlangte nach Aktion! Mit der konnte Schluss sein mit den gemütlichen Runden, in denen man sich wichtig fühlen konnte, ohne irgendwas bewegen zu müssen. Sofia fragte lieber noch mal in die Runde: „Ist das recht, wenn ich das so mache?“ Der Vorsitzende – er hatte sich Sofia immer noch nicht mit Namen vorgestellt – musste verlegen grinsen. „Das ist in jeder Partei so: Wer den Vorschlag macht hat die Arbeit.“ - „Ach darum macht hier keiner Vorschläge! Schon verstanden!“ Sofia war schon lange auf 80, wusste ganz genau: Mit dieser Versammlung im Hinterkopf werde sie kaum einschlafen können und am nächsten Morgen wieder die bei ihrer Mutter gefürchteten dunklen Ringe unter den Augen haben.

Genau so war es. Als sie heim kam waren ihre Eltern noch auf. „Papa! Das ist vielleicht eine lahme Bande. Diskutieren seit einem Vierteljahr eine Aktion, die ich dann in einer Viertelstunde fertig organisiert habe.“ Der Vater lachte auf. „Ich hab' dich gewarnt! Mit denen ist gar nichts los!“ - „Na immerhin machen sie jetzt mit. Haben es zumindest versprochen. In zwei Wochen komme ich mit einem Exel-Sheet, und dann will ich da Ergebnisse eintragen.“ - „Ergebnisse von was?“ Jetzt wurde der Vater aber doch neugierig. „Von der Spielplatzaktion! Die wollen alle Spielplätze anschauen, auf Mängel hin untersuchen, diese Mängel dann in eine Liste eintragen, damit unser Herr Stadtrat etwas hat, womit er bei der Stadtratssitzung punkten kann. An sich ja nicht schlecht, aber wenn ich erst ein Vierteljahr darüber diskutieren muss, dann ist das eben Scheiße!“ - „Und darum hast du jetzt die Leitung der Aktion übernommen?“ - „Ja! Sonst machen die doch noch ein Vierteljahr dran rum, diese Langweiler.“

Der Vater zog die Augenbrauen hoch. Sollte diese schlappe Jugendorganisation unter der Führung seiner Tochter doch noch was werden? „So! Melde mich ab ins Bett. Bin jetzt müde. Hab mich wieder dermaßen aufregen müssen. Die Faschisten sind straff organisiert, machen tausend Sachen, und unsere Leute verlieren sich in Diskussionen. Scheiße ist das!“ Die Eltern verzichteten darauf, das Gespräch zu verlängern. „Gute Nacht mein Wirbelwind!“ Damit gab die Mutter ihrer Jüngsten einen zärtlichen Kuss auf die Nasenspitze, für den Vater gab es ein „High Five“, dann verzog sich Sofia nach oben.

Doch da hörte sie die Dusche. „Mist! Simone braucht immer ewig“, grollte sie schon wieder. „Hey, Schwesterherz! Ich mag auch noch warmes Wasser zum duschen“, flötete sie ins dampfgeschwängerte Badezimmer hinein. „Bin ja gleich fertig“, stöhnte Simone. „Kleine Schwestern! Manchmal können sie echt nerven", grummelte Simone unter der Dusche, beeilte sich dann aber doch etwas. „Große Schwestern! So fein wie sie meistens ist, aber manchmal können sie einem echt auf den Geist gehen“, grummelte Sofia in ihrem Zimmer und trommelte ungeduldig auf der Schreibtischplatte. Endlich hörte sie die Badezimmertür. „Na, sie hätte ja auch mal was sagen können“, brummte Sofia schon, aber da ging schon die Zimmertür auf. „Bad ist frei!“ – „Danke! Und gute Nacht!" Sofia stieg unter die Dusche und war schon wieder auf 80. Natürlich war kein warmes Wasser mehr da. „Echt erfrischend, kurz vor dem Schlafengehen", fluchte sie. Klar, dass sie schneller bettfein war als Simone. Wütend warf sie die Zimmertür hinter sich zu. Das war unten nicht zu überhören. Die Eltern blickten sich an. „Wetten, dass Simone wieder alles warme Wasser gebraucht hat?“ Die Mutter zog eine Grimasse. „Gibt morgen früh wieder Bombenstimmung", brummte der Vater.

Sofia lag natürlich noch lange wach. „Wie will man mit einem solchen schlappen Haufen die Faschisten bekämpfen“, fragte sie sich. „Da muss mehr gehen! Die muss man jagen, vor sich her treiben, nicht zur Ruhe kommen lassen, angreifen.“ Sie warf sich im Bett hin und her. „Aber mit solchen Langweilern? Scheiße!“ Sie beschloss, bei der nächsten Versammlung aufzudrehen. Ihr Handy klingelte. Um diese Zeit! Robert war dran, eben der Vorsitzende der Parteijugend. Er wollte sich bedanken für Sofias spontanes Engagement. „Leise! Offiziell bin ich am pennen." Sofia flüsterte fast ins Handy. „Oh! Entschuldigung!“ Robert kicherte. Sofia war aber schon wieder glockenhell wach. „Robert!“ So raunte sie ins Handy. „Bring mal diese handzahme lahme Meute auf Trab! Wir müssen viel mehr gegen die Faschisten tun! So geht das nicht weiter.“ Robert brummte. „Die machen wieder einen sogenannten Infostand am Samstag vor dem Rathaus.“ - „Verdammt, dann machen wir eben auch einen! Muss man halt anmelden, aber zackig! Und dann müssen die Leute aktiviert werden. Da können wir unsere Arbeitsergebnisse zum Thema „Spielplatz" vorstellen und deutlich machen, dass wir konkret was tun. Aber dann schreib mal in die Gruppe, dass die Ergebnisse viel früher vorliegen müssen.“

Robert brummte nur. „Du hast Recht. Vielleicht kriegen wir ja den einen oder anderen Stadtrat von unserer Partei dazu.“ – „Genau! Super!“ – „Ich ruf' dich morgen noch mal an.“ – „Mach das!“ Sofia erfasste die Handynummer unter „Robert" bei ihren Kontakten und brummte: „Jetzt bin ich mal neugierig, ob der was zustande bringt." Jetzt konnte sie doch einschlafen. Wenigstens einer in der müden Truppe, der so etwas wie Initiative zeigte. Vielleicht war der Haufen ja doch ganz brauchbar.

Aufgeräumt und fröhlich erschien sie am nächsten Morgen zum Frühstück, die kalte Dusche war schon wieder vergessen. Dass sie ausgeschlafen hatte war auch gut, denn im Fach „Sozialkunde“ stand eine Prüfung an. Die lief gut, fand sie. Sozialkunde war ihr Lieblingsfach. Fremdsprachen, darauf sprach man sie besser nicht an. Mathe dagegen liebte sie auch.

Robert kam auf dem Pausenhof auf sie zu. Sie hatte gar nicht registriert, dass er auf das gleiche Gymnasium ging. „Hey, Sofia! Ich hab gerade in der Freistunde einen Infostand vor dem Rathaus angemeldet. Genau an dem Tag, an dem die „Völkische Alternative“ ihren machen will. Und es kommt auch Stadträtin Schneider. Die habe ich erreicht. Gut?“ Sofia strahlte Robert an. „Dann müssen die Ergebnisse unserer Spielplatz-Initiative aber vorliegen. Kannst du Bilder ausdrucken, dass wir was herzeigen können?“ Konnte Robert. „Gib mir mal die Nummer von der Stadträtin. Wir sollten uns abstimmen, wer was mitbringt.“ – „Du meinst, Kaffee und so?" – „Ja, auch!“ Sofia wurde schon wieder ungeduldig. „Wir brauchen doch Info-Material auch von der Fraktion im Rathaus.“ – „Stimmt!“

Gerade rechtzeitig erschien sie wieder im Klassenzimmer. „Oh Mann! Wieder Caesars „Bellum gallicum“, diese Selbstbeweihräucherung.“ Sie stöhnte. Nach Latein war ihr nicht. Sie hätte jetzt lieber den „Bellum faschisticum" weiter vorbereitet. Lustlos blätterte sie in der Lektüre, riss sich dann aber doch zusammen. Sie konnte jetzt, wie es sonst ihre Art war, durchaus aktiv mitmachen, kassierte sogar ein Lob von der Lateinlehrerin. Wenn man aktiv mitmacht und sich einbringt ist es nicht so langweilig, war ihre Devise. Latein ging ja noch, aber englisch?

Sie kam fröhlich nach Hause, warf die Schultasche in eine Ecke und widmete sich dem Inhalt der Kochtöpfe auf dem Herd. Ihre Mutter lächelte. Endlich war ihre jüngste mal nicht auf 80, endlich mal wieder das fröhliche Mädchen. „Topfguckerin", schalt sie ihre Tochter. Doch die grinste nur frech zurück. „Hab' Hunger!" – „Dann deck' den Tisch, dann gibt’s schneller was!“ Das tat Sofia dann auch, obwohl eigentlich Simone dran war. Aber das war egal. Sie war guter Laune.

Als Simone in der Küche erschien und ebenfalls als erstes die Kochtopfdeckel anhob sah sie im Augenwinkel, dass der Tisch schon gedeckt war. „Was'n los? Ist doch heut' mein Job.“ – „Macht nix, wollte das Verfahren hier beschleunigen.“ – „So wie die Jugendorganisation von dir beschleunigt wird?“ Sofia lachte hell auf! „Du! Die hab' ich vielleicht auf Trab gebracht! Wir machen einen Infostand am Rathaus, genau dann, wenn die Faschisten auch einen machen. Die Braunen sollen ruhig sehen, dass wir auch da sind.“ Simone riss Augen und Mund auf. Sie erkannte: Ihre kleine Schwester meinte es ernst, stieg voll in die Politik ein. Sofia redete aber schon wieder. „Robert, der Vorsitzende, ist gar nicht so lahm, wie Papa meint. Der hat eine Stadträtin organisiert, die auf den Stand kommt und mitmacht.“

Als wäre er bestellt worden erschien der Vater in der Tür. „Dann komme ich auch! Ich denke doch, ihr macht das am Samstag?" – „Genau! Prima, dass du auch kommst.“ Simone griff das Handy, schickte eine Nachricht an Robert, dass ihr Vater auch zum Infostand komme. Die Antwort kam sofort: „Großartig!“ Und ein nach oben gerichteter Daumen.

Erst mal aber wurde gegessen. Sofia schnalzte mit der Zunge. „Lecker!“ Dann fasste sie nach. Simone aber hielt sich zurück. „Musst du auf deine Linie achten?“ Sofia neckte ihre Schwester, die auch prompt explodierte, wie das zwischen Schwestern nun mal manchmal so ist. Die Eltern grinsten sich an. Sofia verzog sich in ihr Zimmer, sammelte vorher noch die Schultasche auf, die in der Ecke lag. Hausaufgaben oder besser das Exel-Sheet für die Parteijugend? Das war die Gewissensfrage. Das Handy rührte sich. Robert hatte eine Nachricht in die Gruppe gestellt: „Infostand am Samstag vor dem Rathaus. Bitte alle kommen. Spielplatzbefunde so schnell wie möglich an Sofia!“ Sofia war schon wieder auf 80. Robert hatte die Uhrzeit vergessen. „Oh Mann!" Aber sie war nicht die einzige, die nach der Uhrzeit fragte, und so war das schnell nachgeholt.

Also erst mal „Bellum gallicum“, Mathe, und... „Mist! Da war doch noch mehr!" Aufgeregt blätterte sie in dem Schulzeug und wurde fündig. In Deutsch war auch noch was. Sie brütete über dem Schulstoff, beeilte sich, fertig zu werden.

Dann erst legte sie die Spielplatz-Tabelle an. Sie konnte die Standorte der Spielplätze schon eintragen, und dann natürlich die Spalten für die Befunde bilden. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk und wunderte sich einmal mehr, warum der diskutierende Haufen das nicht schneller fertig gebracht hatte. Sie sah aus dem Fenster. Das Wetter war gut, also Handy schnappen und raus zum Spielplatz. „Ihren“ Spielplatz wollte sie als Muster nutzen für die weiteren.

Angekommen musste sie sich aber sofort wieder aufregen: Hakenkreuze waren auf die Rutsche gesprüht. Verkehrt herum, weil die Faschisten selbst für Hakenkreuze zu doof waren, wie so oft, aber dann eben auch „Juden sind hier unerwünscht!“ Sie fotografierte das sofort. Dann rief sie die Polizei. Es dauerte gar nicht lange, dann kam eine Polizeistreife. Die Beamten machten auch Bilder, wollten ihren Personalausweis sehen, machten ernste Gesichter. Sie wollten wissen, wann sie das entdeckt habe. „Eben vor einigen Minuten!“ Nein, sie habe niemanden gesehen, sie habe das so angetroffen. Sie konnte sich schon denken, dass nichts dabei heraus kommen werde, aber in die Statistik eingehen werde diese rechtsextremistische Straftat, da war sie sich sicher. Und jede Straftat von ultrarechts musste nach ihrer Überzeugung angezeigt werden.

Sie suchte im Internet nach der jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, schrieb dieser eine wütende Mail und hängte die Bilder an. Sie war sich sicher: Wenn jemand dort jetzt an die Medien gehe, werde das Gehör finden. Dann stellte sie die Bilder in die Gruppe der Parteijugend. „Das erzwingt Aktion! Gut, dass wir den Infostand am Rathaus haben. Bilder bitte ausdrucken, Robert, schön groß.“ Dann schrieb sie noch dazu, dass das auf dem Spielplatz zu finden gewesen sei samt Straßennamen „Wettersteinstraße“. Sie brauchte eine kurze Weile, um sich wieder zu beruhigen, schaute vorsichtshalber, ob im Umfeld auch noch solche Schmierereien zu finden waren. Dem war aber nicht so.

Danach erst machte sie sich an die eigentliche Arbeit. Sie stellte fest, dass der Spielplatz total vermüllt war, Bierflaschenscherben lagen herum. Sie konnte auch Vandalismusschäden dokumentieren wie angekokelte Holzteile. „Super! Wenn die anderen Spielplätze genau so aussehen könnte die Stadtverwaltung echt Druck kriegen“, murmelte sie, als sie ihre Befunde, das Notebook auf den Knien, in die Tabelle eintrug, eine Bilderseite „Spielplatz Wettersteinstraße“ anlegte.

Dann schrieb sie in die Gruppe: „Spielplatz Wettersteinstraße abgearbeitet. Wann kriege ich die nächsten Befunde?“ Zufrieden wie wütend hängte sie sich die Notebooktasche wieder um, schwang sich aufs Fahrrad, und fuhr zum nächsten Spielplatz, der war in der Alpenstraße.

Sie sah sich um. Das erste was sie entdeckte, war eine Wodkaflasche, halbvoll. „Mein Gott! Wenn Kinder da drüber geraten, dann gute Nacht!“ Foto gemacht, und dann die Flasche im Mülleimer versenkt. Es beschlich sie ein übler Verdacht. Rund um die Buschgruppe am Rand des Spielplatzes sah sie genauer hin. Gebrauchte Spritzen! Wieder griff sie zum Handy, wieder rief sie die Polizei an. „Ja, ich schon wieder! Jetzt Spielplatz Alpenstraße. Da liegt ein halbes Duzend gebrauchte Spritzen rum. Heller Wahnsinn. Wenn Kinder sich daran verletzen.“ Wieder machte sie einige Fotos, und da kam auch schon die Streife.

Es waren die gleichen Beamten, und die wurden jetzt doch interessiert. Sie wollten schon genauer wissen, was Sofia da auf den Spielplätzen zu inspizieren hat. Als sie erläuterte, dass sie von der Parteijugend aus den Zustand der Spielplätze erkunde, um für die Stadtratsfraktion Informationen für das weitere Vorgehen bereit zu stellen, nickte einer der Beamten anerkennend. „Alles klar. Es könnten also noch mehr so Meldungen kommen?“ – „Hoffentlich nicht! Aber Spritzen, da ist Schluss mit Lustig, finde ich. Wegen der halbvollen Flasche Wodka rufe ich nicht die Polizei. Die hab‘ ich da im Papierkorb versenkt.“ Der zweite Beamte nicke jetzt auch anerkennend. „Die Spritzen sind absolut kein Popelkram, da hast du Recht. Überreste von Saufgelagen finden wir ständig.“ Er nahm die Flasche ebenfalls an sich, während der Kollege sich Handschuhe überzog und die Spritzen einsammelte. „Wir werden den Bereich wohl verstärkt bestreifen müssen“, meinte er dann zu Sofia, bedankte sich artig, und dann waren die Polizisten auch schon wieder weg.

Sofia setzte sich wieder auf eine Bank, trug ihre Befunde wieder in die Tabelle ein, legte eine Bilderseite an, packte die Fotos darauf, und dann sah sie auf ihr Handy: Tatsächlich waren weitere Befunde und Bilder gekommen. Es klappte also.

Was sie da aber an Bildern bekam verursachte ihr Würgreize. Menschliche Exkremente samt Klopapier! Und das auf einem Spielplatz! „Wie assig ist das denn“, brummte sie und füllte ihre Tabelle. Sie war aber froh: Sie hatte genügend Bilder und Material. Alle hatten tatsächlich alles gemacht. Teilweise bekam sie freundliche Bemerkungen wie „fein, dass du das übernommen hast“ oder „Super Sache!“ Auf der Bank sitzend konnte sie die Tabelle fertig stellen, schrieb in die Gruppe: „Super seid ihr! Ich habe alle Spielplätze durch, alles schön mit Bilderseiten für den Infostand. Kommt alle! Ist eine tolle Sache. Robert, kannst du die Zeitung zum Infostand einladen? Wir haben jetzt konkrete Inhalte.“ Die Antwort ließ keine drei Minuten auf sich warten: „Done!“ Robert war fix gewesen. Sofia musste lächeln. Mit einem Mal lief also der Laden in der Parteijugend. „Mädelspower“, dachte sie bei sich

Der Infostand mit zwei Stadträten, Sofias Vater, und vier von der Jugend war ein durchschlagender Erfolg. Die Fotos von den versifften und verschandelten Spielplätzen stießen auf gewaltiges Interesse, vor allem bei dem Zeitungsmenschen, der tatsächlich gekommen war. Er bat um die Originaldateien von den Hakenkreuz-Schmierereien und bat um Verständnis: „Den Scheißhaufen kann ich unmöglich den Lesern auf dem Frühstückstisch servieren. Aber das kommt im Text vor, das ist total eklig!“

Die beiden Stadträte mussten natürlich sagen, was sie jetzt mit den Arbeitsergebnissen der Parteijugend machen wollen. Das werde in einen Antrag der Fraktion für die nächste erreichbare Stadtratssitzung gegossen. Es müssten wohl auch Haushaltsmittel für die Beseitigung von Vandalismusschäden bereit gestellt werden, war die Antwort. Und dann wolle man von der Stadtverwaltung schon wissen, in welchen Abständen die Spielplätze auf Schäden und auf Sauberkeit hin kontrolliert würden. Da gebe es wohl Defizite. Ein Bild von den Spritzen wollte der Reporter auch. Sofia schickte diese Bilder noch an Ort und Stelle durch.

Der Reporter ließ ihr dann eine Visitenkarte da. „Redakteur“ stand drauf. Es war also wirklich nicht nur ein freier Mitarbeiter gekommen. Man freute sich schon auf die Montagsausgabe der Zeitung.

Der Sonntag aber sollte, so war ja die Beschlusslage, der Familie gehören. Ausflug mit den Eltern und der Schwester, und bitteschön ohne jede Politik. Man hatte sich für den „Thüringer Zoopark“ in Erfurt entschieden. Sie und ihre Schwester hatten unabhängig voneinander den gleichen Vorschlag gemacht. Simone hatte argumentiert, dass dann das Auto stehen bleiben könne. Das sei auch was wert, schon wegen Klima und so. Und man habe mehr Zeit, weil die Anreise mit Öffis kurz sei. Sofia hatte gemeint, dass es ein Blödsinn sei, immer wieder wer weiß wo hin zu fahren, aber die Angebote vor Ort am Ende nicht einmal zu kennen. Und die sollten vielleicht unterstützt werden. Und so stapfte die Familie eben von Gehege zu Gehege.

Sofia fiel es schwer, den ganzen Tag mal nicht über Politik zu reden. „Mist!“ So dachte sie bei sich selbst. „Mama hat Recht. Es gibt kaum noch andere Themen. Diese Nazis schaffen es wirklich, dass man sich ständig mit ihnen befasst.“ Bei den Bären rutschte es ihr dann aber doch raus: „Endlich mal Braune, die ich süß finde.“ Prompt gab es einen Rippenstoß von der Mutter. Aber sie genossen diesen Tag, zumal das Wetter auch mitspielte. Und sie konnte es natürlich nicht lassen, beim Mittagessen ihrer großen Schwester ein paar Pommes zu klauen, was natürlich sofort Protestgeheul nach sich zog. Wieder daheim waren sich alle einig, dass Unternehmungen wie diese allen gut tun, und dass diese wiederholt werden sollten.

Mit Spannung zog Sofia am Montag die Zeitung aus der Röhre unter dem Briefkasten, blätterte sie schnell bis zum Lokalteil durch. Der Redakteur hatte eine Seite mit der Aktion der Parteijugend aufgemacht. „Spritzen, Hakenkreuze und Vandalismus auf Spielplätzen“ hatte er über die ganze Seitenbreite getitelt, und darunter im Untertitel geschrieben, dass die Parteijugend bei einer systematischen Durchsicht sogar menschliche Exkremente gefunden habe, dazu viel Müll. Ein Foto von dem Infostand mit allen Beteiligten war in der Zeitung, und dann zwei Fotos von den Spielplätzen, eben die Spritzen und die antisemitischen Schmierereien. Sie staunte: Als Bildquelle war die Parteijugend und ihr vollständiger Name angegeben. Sie war mächtig stolz und rempelte ihren Vater an. „Na, so lahm ist der Haufen wohl nicht, was?“ Der brummte erst mal nur was davon, dass wohl erst mal sie daher kommen musste, um den Laden aufzumischen.

Entsprechend gut gelaunt ging sie zur Schule, aber dort angekommen musste sie sich schon wieder aufregen. Auf der Seite „Thüringen für alle“ hatte sich natürlich einer über den Infostand der Partei ausgelassen. Dass jetzt die „Kommunisten aus den Löchern“ kämen und sich direkt vor dem Stand der „völkischen Alternative“ aufbauen“ das sei doch nur eine Provokation.“ Und natürlich musste der Kerl sich auslassen über das positive Echo in der „Staatspresse“, die den Stand der „völkischen Alternative“ natürlich wieder total ignoriert habe. Sofia brummte nur vor sich hin, dass sie diese Provokation ab sofort öfter haben könnten. Und eigentlich war sie froh, dass die Zeitung diesen Stand der Rechten ignoriert hatte.

Aber sie glaubte auch zu wissen, warum das so war: Ihre Partei hatte ein konkretes und neues Thema aus Erfurt, noch dazu eins, das die Menschen direkt betrifft. Die anderen hatten nur ihre Standardsprüche drauf, Werbematerial von der Zentrale.