Julia schwieg - Klaus Kuhn - E-Book

Julia schwieg E-Book

Klaus Kuhn

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Beschreibung

Eine Serie geradezu perverser Verbrechen erschüttert die oberbayerische Gemeinde Langenbach. Ein Gemeinderat wird ermordet und im Genitalbereich verstümmelt an der Kirche Maria Rast gefunden. Zwei Tote werden nacheinander auf dem Friedhof im Ortsteil Niederhummel geschändet, die Täterschaft verstümmelt auch diese Leichen auf dieselbe Weise. Und es sind immer unterschiedliche Täter. Die aber haben eins gemeinsam: Sie haben vor einem halben Jahr die erst 13 Jahre alte Julia zusammen sexuell missbraucht. So lange hatte das Mädchen gebraucht, bis es die Kraft gefunden hat, für das an ihr begangene Verbrechen Rache zu üben. Sie hat auf unglaublich perfide Weise ihre Peiniger von damals zu diesen neuerlichen perversen Taten getrieben bis hin dazu, dass die Täter von damals sich nun gegenseitig nach diesen Körperteilen trachten. Einer nach dem anderen endet in der Psychiatrie, im Gefängnis, oder begeht Selbstmord. Erst dann findet das Mädchen Ruhe. Für die Ermittler tun sich Abgründe auf, so tief, wie sie eben nur solche Verbrechen an Kindern aufreißen können.

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Seitenzahl: 185

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ÜBER DIESES BUCH

Julia musste „ran“. Die Eltern sahen keinen anderen Ausweg mehr, nachdem der Vater betrunken einen Unfall gebaut und in der Folge Schulden aufgehäuft hatte. 15000 Euro haben die drei Kerle aufgebracht, um die 13-Jährige benutzen zu dürfen, und sie haben es getan. Es war in der Freisinger Straße in Langenbach. Julia schwieg dabei. Sie hatte ja keine andere Wahl. Einer der Täter war der Landtagskandidat der „Neuen deutschen Kraft“, der später sogar der regierenden „Altpartei“ das Direktmandat abjagen sollte und auch aus Langenbach war. Julia braucht ein halbes Jahr, um ein Ventil zu finden für ihre maßlose Wut, ihren alles zerfressenden Hass. Aber dann schlägt sie urplötzlich zu! Sie agiert perfide, gnadenlos, ja: Pervers wie die Täter. Am Ende hat sie eine Schneise der Vernichtung geschlagen, ihre Peiniger zu Taten getrieben, die die friedliche Gemeinde im Norden des Landkreises Freising in helle Aufruhr und blankes Entsetzen treiben. Sie erledigt diese drei Kerle total, teilweise bis hin zum Selbstmord. Auch der Vater richtet sich selbst. Ihr Schweigen bricht sie erst in einem Schulaufsatz, den sie von der Note her ohnehin abgeschrieben hat. Heerscharen von gutmeinenden Leuten fallen daraufhin regelrecht über Julia her. Und die Prozesse gegen die überlebenden Täter, die kommen ja erst noch. Es ist ein Roman, der vielleicht eine kleine Idee von dem vermittelt, was sexueller Missbrauch mit Kindern machen und welche Verwüstungen ein solches Verbrechen anrichten kann.

DER AUTOR

Klaus Kuhn, *1961 in Berlin, verheiratet, ein Sohn, lebt und arbeitet als freier Journalist in Wang bei Moosburg an der Isar (Kreis Freising).

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ACH JA:

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. EtwaigeNamensgleichheiten sind unbeabsichtigt, etwaige Ähnlichkeiten mit Parolen bestimmter Parteien dagegen unvermeidlich.

Inhalt:

Jürgen

Manfred

Der Schulaufsatz

Dieter

Showdown auf der Terrasse

Letzter Versuch

Der Brief

Der Prozess I

Der Prozess II

Der Prozess III

JÜRGEN

Jürgen hatte es geschafft! Er hatte mit seiner Partei der traditionell regierenden „Altpartei“, wie er es immer zu sagen pflegte, das Direktmandat abgejagt. Er war in den Landtag gewählt worden. „Wir werden sie jagen!“ Das hatte er durch die Säle gerufen, und er hatte Wort gehalten. Er hatte mit seiner Partei „Neue deutsche Kraft“ (NDK) den größten Erfolg eingefahren. Er war in Hochstimmung, aber auch etwas müde. Klar: Die Wahlparty in München hatte gedauert. Über die Liste hätte er es nie hin bekommen, in den Landtag zu kommen. Dazu war er zu unbekannt. Jetzt aber war er bekannt! Und wie! Als er in Langenbach aus dem Zug stieg erwartete ihn niemand von der Partei. Das machte aber nichts. Die blauen Wahlplakate hingen noch. „Jetzt reicht's! NDK“ Mehr musste gar nicht sein. Stimmung machen, das war das Ziel gewesen, und das war erreicht worden. Er hatte einen fantastischen Wahlkampf gemacht. Überall grinste ihn sein eigenes Gesicht an. Er war der siegreiche Kandidat. Welch ein Gefühl!

Er hatte ja auch Forderungen aufgestellt, mit denen man durchaus polarisieren, zumindest aber von sich reden machen konnte. Kinderschändern solle man alles abschneiden, hatte er im Überschwang seiner eigenen Worte einmal in den Saal vom „Alten Wirt“ gebrüllt und natürlich Beifall geerntet. Das war eine gute Veranstaltung. Seine Stellvertreterin, die für ihn längst nicht nur das war, hatte großartiges geleistet bei der Organisation. Getragen von solchen Triumphgefühlen kam er daheim an, schaute routinemäßig in den Briefkasten. Der war fast leer. Nur ein Brief lag darin, ohne Briefmarke, aber an ihn direkt adressiert. Er riss ihn ungeduldig auf.

Der Brief war handschriftlich abgefasst, kurz, aber eindeutig: „Jürgen! Du hast mich im Wahlkampf auf die Idee gebracht! Du hast mich geschändet, und du weißt es. Spätestens am 17. um acht Uhr abends erwarte ich deinen Schwanz in einer Gefrierdose in dem Papierkorb an der Bahnschranke Bahnhofstraße bei den Schaukästen der Vereine. Wenn ich den da nicht finde, werde ich mir das Teil holen. Ob du das dann überlebst, das weiß ich nicht. Und versuche nicht, mich zu verarschen. Wenn ich das bemerke, werde ich dir deinen dreckigen Schwanz in Stücken von jeweils einem Zentimeter abschneiden! Deinen Sack kannst du behalten. Der interessiert mich nicht.“

Mit einem Mal war seine Hochstimmung verflogen. Er starrte regungslos diesen Brief an. „Julia!“ Ja, die war echt süß gewesen, hatte schweigend alles mit gemacht, hatte nicht protestiert, hatte nicht geschrien, nichts. Sie hatte nur da gelegen, als er sein Werkzeug in Position gebracht und dann genüsslich, langsam, in ihr versenkt hatte. Als er dann fertig war hatte er sich artig bedankt. „Du warst gut“, hatte er zu ihr gesagt. Jetzt wollte diese Julia tatsächlich Rache! Nach einem halben Jahr! 13 Jahre alt ist sie und will nichts weniger als seinen kleinen Freund. Schweiß hatte er auf der Stirn, er zitterte am ganzen Leib, als er die Haustür öffnete. Gleich werde er vor seiner Ehefrau stehen, die das alles natürlich nicht wusste.

Claudia, seine Frau, bemerkte natürlich sofort, dass etwas nicht stimmte. „Ist was? Du siehst gar nicht gut aus. Hast wohl mächtig gefeiert, was?“ Jürgen nickte nur stumm, grinste verlegen. Claudia gab sich damit zufrieden, und Jürgen ging, sich duschen und sich was frisches anziehen. Seine Claudia! Sie hatte Sekt kaltgestellt! Er kämpfte mit sich, befahl sich dann erst mal, sich nichts anmerken zu lassen. „Muss mit Lothar reden“, brummte er, als er sich die Haare kämmte. Lothar war Julias Vater, und der hatte vor einem halben Jahr ein verdammtes Geldproblem gehabt. 15000 Euro mussten her, und zwar verdammt schnell. Da hatte einer einen pfändbaren Titel, warum und woher auch immer. Und da hatte Lothar seiner Tochter eben deutlich gemacht, dass sie jetzt halt mal ran müsse. Lothar müsse jetzt eben dieser seiner Tochter noch was anderes deutlich machen: Dass sie die Klappe zu halten habe.

Erst aber mal noch mit der Frau feiern. Die erwartete das schließlich. Es gelang ihm, den Abend mit Claudia anständig rum zu bringen. Es war sogar ganz nett mit ihr. Immerhin gelang es ihm, bei Lothar anzurufen. „Du, wir müssen reden, und zwar wegen der Aktion vor einem halben Jahr.“ Lothar aber wollte von alledem nichts mehr wissen. Er hatte die Hosen voll, hatte einfach nur Angst, dass das herauskommen könne. Er hatte seine Schulden teilweise bezahlt, die übelsten Gläubiger ruhiggestellt. Immerhin versprach er, seiner Tochter noch mal einzuschärfen, dass sie mit niemandem, wirklich niemandem, über dieses Erlebnis mit Jürgen und den beiden anderen reden dürfe.

Lothar hielt Wort. Julia hatte Abstand gehalten von dem Vater, als er ihr noch einmal sagte, dass sie mit niemandem darüber reden dürfe. Julia schwieg. Sie hörte sich das alles an, ging wieder in ihr Zimmer. Die Erinnerung war wieder voll da. Er hatte sie sogar lieb angelächelt, als er sie gefickt hatte. Es hatte nicht weh getan. Erst hinterher, als die Schmerzmittel, die man ihr vorher wohl heimlich verabreicht hatte, ihre Wirkung verloren hatten. Aber er hatte sie gefickt! Er hatte an ihrer Muschi herum gefummelt vorher. Brüste hatte sie noch so gut wie keine, aber das, was sie da schon hatte, hatte er als „süß“, bezeichnet. Innerlich verkrampfte sich alles in ihr, als sie jetzt auf ihrem Stuhl saß, sich eigentlich auf die Hausaufgaben konzentrieren sollte und wollte. Sie schnaufte. Ihr Entschluss stand: Sie werde am Ende drei Schwänze in ihrem Besitz haben! Sie werde verhindern, dass diese drei Kerle jemals wieder so was tun können. Und sie sollen leiden, so wie sie gelitten hatte!

Sie konnte sich denken, wer der Auslöser für die dringende und mit allerlei Drohungen untermauerte Mahnung des Vaters war. Sie hatte ja erst einen Schwanz eingefordert: Den von Jürgen, dem Kandidaten der NDK für die Landtagswahl. Sie werde also ihre Forderung wohl erneuern müssen. Nicht, dass der denkt, mit dem Anruf sei das Thema erledigt.

Irgendwie brachte sie es fertig, ihre Hausaufgaben zu Ende zu bringen. Dass sie jetzt ihren Rachefeldzug beginnen konnte, endlich die Kraft dazu gefunden hatte, das machte sie ruhiger, sicherer, beobachtete sie an sich selbst. Das vergangene halbe Jahr war die Hölle. Schlafen war oft nicht drin. Immer wieder tauchte Jürgens Gesicht vor ihren geistigen Augen auf, sie hörte das wollüstige Gestöhne, wie er tief in ihr abgespritzt hatte. Sie konnte sich nicht selbst streicheln zwischen den Beinen. Da war Dieter schon dran, hatte unheimlich ausdauernd an ihr herumgefummelt. Manfred hätte sie sein Sperma am liebsten vor die Füße gekotzt! Es war ja auch fast dazu gekommen. Zwei Stunden! Zwei unendlich lange Stunden hatten die drei sie benutzt. Alles, was sie jetzt empfand, war Wut und Hass. Beides brauchte ein Ventil.

Also machte sie sich an einen neuen Brief an Jürgen. Sie war sich sicher: Sie werde diesen Brief wohl schärfer formulieren müssen nach diesem offensichtlichen Beschwichtigungsversuch. Sie war nicht zu beschwichtigen! Also schrieb sie: „Du armselige Sau! Hast du wirklich geglaubt, mich mit einem Anruf bei meinem Vater besänftigen zu können? Das war eine ganz schlechte Idee! Der Preis steigt! Jetzt kriege ich nicht nur deinen dreckigen Schwanz, sondern den dazugehörigen Sack gleich mit! Die Frist läuft! Wie du das machst, das ist dein Problem. Also: Schwanz und Sack bis zum 17., oder dein lausiges Leben.“

Sie war entschlossen, Jürgen zu töten. Wie, das wusste sie noch nicht, aber er war fällig. Es war der zehnte. Sie hatte Jürgen also eine Woche gegeben, zu liefern. Was sie mit ihrem Vater machen würde, der das alles eingefädelt hatte, das war ihr noch nicht klar. Eigentlich müsste er ja als erstes dran glauben. Und was viel schlimmer war: Es gab immer noch Geldsorgen. Sie befürchtete, noch einmal „ran“ zu müssen. Dann werde das aber anders ausgehen, das nahm sie sich fest vor. Sie werde ein scharfes Messer bereit liegen haben, das sich mit einer Hand öffnen ließ, beschloss sie. Sie werde wieder schweigen, willig die Beine öffnen, schon um keine Schläge zu riskieren. „Und wenn er dann ganz in mir drin ist, schneide ich das Ding ab! Das gibt dann eine riesige blutige Sauerei. Und dann ziehe ich das Teil aus mir raus, werf' es weg und frag“: „Noch jemand Lust?“ Wetten, dass das denen alles abstellt?“ Das sagte sie laut vor sich hin, als sie den Briefumschlag schloss und sich noch einmal auf den Weg machte zu Jürgens Haus. Sie wusste nicht, dass es solche Messer nur illegal zu beschaffen gab. Sie waren „verbotene Gegenstände nach dem Waffengesetz.“

Sie warf den Blechbriefkasten laut hörbar zu, hoffend, dass Jürgen noch einmal nachschauen würde, was er noch für Post bekommen habe. Öffnen tat den Briefkasten aber seine Ehefrau, und die war neugierig. Sie öffnete den Brief, starrte den Zettel an, minutenlang. Julia beobachtete sie und war nicht unzufrieden mit dem, was sie da angerichtet hatte. Jetzt hatte Jürgen richtig Stress. Dann hörte sie die Ehefrau schreien: „Jürgen!!! Komm' sofort an die Haustür!!!“ Sie sah Jürgen, wie er angeschossen kam, ihr den Brief aus der Hand riss, ihn anstarrte, bleich wurde.

Tief befriedigt machte Julia sich auf den Heimweg. Sie hatte erreicht, was sie als erstes wollte: Terror! Todesangst! Mindestens aber Angst um die gerade erst begonnene politische Karriere. Sie schloss die Tür von ihrem Zimmer hinter sich ab. Sie hatte seit der Begegnung mit Jürgen, Manfred und Dieter Angst, ihr Vater könnte sich auch an ihr vergreifen. Wenn Jürgen jetzt noch einmal anrief oder gar vorbeikommen würde, am Ende mit den beiden anderen, konnte das gefährlich werden. Sie wusste nicht, ob die Mutter von der Sache wusste. Was, wenn die eingeweiht war und das geduldet hatte? Sie hatte sich tatsächlich bisher nicht getraut, sich der Mutter anzuvertrauen. Sie werde das allein durchziehen müssen. Da war sie sich sicher.

Abendessen. Die Mutter stellte ihr Brot auf den Tisch, dazu Wurst und Käse, Butter, Milch. Die Mutter beobachtete Julia. Sie hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte mit ihrer Tochter. Julia schwieg aber. Zu groß war ihre Angst, dass das, was mit ihr gemacht worden war, mit Wissen und Billigung auch der Mutter passiert war.

Sie wusste nicht, dass die Mutter inzwischen auf Dating-Seiten präsent war, sich anbot für 150 Euro die Stunde. Es war eben nach wie vor Geldnot. „Julia“, begann sie also. „Du gehst jetzt aufs Klo, unter die Dusche, und ins Bett, klar? Wir kriegen heute noch Besuch, und der kommt um acht Uhr für zwei Stunden etwa. Da lässt du dich bitte nicht sehen, weil wir da ungestört sein müssen.“ Das hatte Julia schon einmal gehört. Jetzt aber schöpfte sie Verdacht. „Wir“ hatte sie gesagt! Dabei war der Vater weg! Sollte die Mutter fremd gehen? Sie beschloss, zu lauschen.

Gehorsam tat sie, was die Mutter verlangt hatte, und pünktlich um acht Uhr abends hörte sie, wie es klingelte. Ein Mann – sie schätzte ihn nach einem Blick durchs Schlüsselloch auf etwa 50 – war gekommen und überreichte der Mutter einen Umschlag. „Zuerst das Geschäftliche“, sagte er dazu. Sie sah, wie die Mutter den Umschlag, ohne sich für den Inhalt zu interessieren, in eine Kommode schob. Dann verschwanden die zwei im Schlafzimmer.

Sie schlich in den Flur, öffnete die Schublade der Kommode, sah in den Umschlag. 300 Euro waren darin. Zeitgleich hörte sie aus dem Schlafzimmer Geräusche. Sie hörte den Mann reden. „Du bist ja richtig knuddelig! Tolle Dinger hast du!“ Völlig klar: Ihre Mutter hatte Sex für Geld, und das im Ehebett. Geschockt schlich sie in ihr winziges Zimmer, warf sich aufs Bett und heulte leise in die Kissen. Ihre Mutter! Die ließ sich für Geld bumsen, genau wie sie für Geld gebumst worden war! „Männer!“ Sie schluchzte in das Kissen hinein, trommelte mit den Fäusten darauf herum. Es dauerte lange, bis sie sich irgendwie beruhigen konnte. Zu lange. Sie hatte das bestimmte Gefühl, dass die Mathe-Schulaufgabe am nächsten Tag jetzt schon vergeigt war. Am nächsten Morgen war sie mit der Mutter allein beim Frühstück. Die war seltsam gut gelaunt, hatte das Bett schon abgezogen, die Wäsche in die Waschmaschine gestopft, als Julia zum Frühstück erschien. „Was war das jetzt für ein Besuch, bei dem ich gestört hätte?“ Die Mutter legte den Kopf schief, und dann lächelte sie ihre Tochter an. Offenbar war sie entschlossen, die Wahrheit zu sagen. „Das ist schnell gesagt: Der Mann hat mich dafür bezahlt, dass ich mit ihm schlafe, ok? Wir brauchen eben Geld.“

Auch wenn sie es gewusst hatte, war das eine Keule für Julia. „Wie lange ist Papa noch weg?“ - „Vier Tage, warum?“ - „Weiß der das, was du da machst?“ - „Ja.“ - „Ok. Ist es so übel mit der Kohle?“ Die Mutter seufzte leise. Dann flüsterte sie: „Papa hat halt ordentlich Scheiße gebaut, weißt du? Der hat jetzt echt Schulden.“ Julia sah auf die Uhr. Sie musste bald los zur Schule. Die Mathe-Schulaufgabe hatte sie eh schon abgeschrieben. Also Angriff! „Darum musste ich wohl vor einem halben Jahr auch mal ran, was?“ Die Mutter nickte und machte ein ernstes und trauriges Gesicht. „Du bringst tatsächlich am meisten Kohle rein, auch wenn es grob ist. Es hat sein müssen…“

Julia schwieg. Sie schnappte wortlos ihre Schultasche, verließ das Haus, erwischte so gerade noch den Schulbus nach Moosburg. Sie schwieg auf der ganzen Fahrt, trottete in die Schule. Die Mathe-Schulaufgabe war gleich in der ersten Stunde. Julia musste sich über sich selbst wundern: Es gelang ihr tatsächlich, sich auf diese Arbeit zu konzentrieren, konnte die Aufgaben alle lösen. Ob sie das nun richtig gemacht hatte, das wusste sie natürlich nicht. Sie war aber zufrieden mit sich, als die die Bögen abgab.

Erst dann war es vorbei! Sie hatte also Eltern, die ihre 13 Jahre alte Tochter regelrecht an diese drei Kerle vermietet hatten, nur weil der Vater Mist gebaut und Schulden aufgehäuft hatte. Die Mutter geht auf den Strich, und sie? Sie durfte jetzt zusehen, wie sie damit klarkommt. Der Rest des Schultages war für die Katz. Der Klassenlehrerin blieb das nicht verborgen. „Ist was, Julia? Geht es dir nicht gut?“ Julia schwieg. Sie sah die Lehrerin nur mit matten Augen an, schüttelte den Kopf. Die Lehrerin war aber alarmiert. Sie beschloss, sich die Schülerin mal in einem Einzelgespräch vorzunehmen.

Jürgen war schon wieder unterwegs: Die neue Fraktion der NDK musste sich bald zusammenfinden. Er war nicht recht bei der Sache. Die Briefe setzten ihm zu. Er musste diese Julia ruhigstellen, egal wie! Manfred könnte er vielleicht gewinnen, diese Julia für immer zum Schweigen zu bringen. Jürgen war klar: Diese Julia musste sterben, schnell und unauffällig. Er war sich sicher, dass die beiden anderen auch solche Briefe bekommen würden, wenn sie diese nicht schon hatten. Schon darum musste ein solcher Mord jetzt einfach sein. Das musste passieren, ohne dass seine politische Karriere gefährdet werden könnte. Manfred hatte Zeit für so etwas, er nicht. Er musste seine Karriere planen. Er wollte einen Job an der Fraktionsspitze. Er war sich sicher, das einfordern zu können. Wer mit einem aussichtslosen Listenplatz das Direktmandat holt, der ist eben wer.

Manfred war aber nicht da, einfach nicht zu erreichen. „Wenn man den braucht, ist er nicht da“, fluchte Jürgen. Er wurde nervös. Dieter traute er das nicht zu. Er hielt nicht allzu viel von ihm. Das Risiko war gewaltig. Er schlief schlecht, war unkonzentriert bei allem. Alles das fiel seiner Frau auf. „Der Brief setzt dir arg zu, was? Jetzt raus mit der Sprache! Was ist da los?“ Jürgen konnte darüber nicht reden. Er brachte das nicht fertig. Seine Frau bekam langsam das Gefühl, dass etwas ganz Großes im Hintergrund mitschwang. Sie konnte nicht ahnen, wie sehr sie damit Recht hatte.

Julia beschloss, den Druck zu erhöhen. Sie bekam es nämlich jetzt doch mit der Angst zu tun, Angst davor, dass dieser Kerl sie einfach umbringen würde oder für ihre Ermordung sorgen könnte. Also setzte sie sich noch einmal hin: „Jürgen! Wenn du glaubst, du könntest mich umbringen, hast du dich getäuscht, du Arsch. Wenn ich ermordet werde, geht eine Videoaufzeichnung von dem Treffen mit euch dreien an die Polizei. Die Aufnahme gibt es nämlich! Ihr notgeilen Deppen habt mein Handy übersehen. Und diese Videoaufzeichnung ist bei meiner besten Freundin, die du nicht kennst. Also: Wo bleibt dein Schwanz, wo bleibt der dazugehörige Sack? Meine Geduld ist begrenzt!“

Jürgen fand den Brief am nächsten Tag. Er meldete sich krank. Dass diese Julia jetzt auch noch einen Videobeweis für das von ihm zusammen mit den beiden anderen begangene Verbrechen hatte, das war zu viel. Er versuchte, Lothar zu erreichen. Aber der war auch nicht da. Er schrieb Manfred eine Nachricht: „Aufpassen! Diese Julia hat eine Videoaufzeichnung von unserem Schäferstündchen mit ihr. Die kann uns fertig machen!!“ Dann rannte er förmlich aus dem Haus. Er musste an die frische Luft! Er musste versuchen, einen klaren Gedanken zu fassen. Diese 13 Jahre alte Hexe hatte ihn in der Hand, und nicht nur ihn.

Er konnte nicht wissen, dass es diese Aufzeichnung nicht gab. Julia hatte keine Gelegenheit gehabt, diese anzufertigen. Ihre Lüge aber hatte eine entsetzliche Wirkung. Jürgen irrte grübelnd durch Langenbach. Das war der nächste Fehler. Zu viele erkannten ihn, einige bestürmten ihn wegen seines Wahlerfolgs. Dass er gerade ein ganz anderes Thema hatte, das begriffen die anderen natürlich nicht. Woher auch? Aber alle bekamen mit, dass etwas mit Jürgen nicht stimmte. Wahlsieger sehen anders aus. Am Stammtisch beim Alten Wirt wurde das ganz schnell ein Thema. Er hatte nur noch wenige Tage Zeit, die abstruse, geradezu irre Forderung dieser 13-jährigen zu erfüllen. Sich selbst ausgerechnet da zu verstümmeln, das schied aus. Er werde zum Mörder werden müssen, einen Kerl, am besten aus dieser linksgrün-versifften Ecke, die es in Langenbach ja auch gab, umlegen, um an die von dieser Julia verlangten Körperteile zu kommen. Darauf werde es hinauslaufen. Diese linken und grünen Parasiten, um die sei es sowieso nicht schade, fand er.

Er werde also einen Mord begehen! Es ging nicht anders. Zu viel stand auf dem Spiel: Seine Ehe, seine politische Karriere, die gerade erst so richtig in Schwung zu kommen begann, sein ganzes Leben. Viel Zeit blieb nicht. Seiner Frau erklärte er, dass jetzt unheimlich viel Arbeit anstünde. Die hatte Verständnis. Er überlegte kurz, wer von diesem Pack dran glauben müsse. Ja! Da war doch einer im Gemeinderat, der immer so schlau daherredete, so schlau, dass sogar die Bürgermeisterin ihm ausdauernd zuhörte. Noch dazu ging das Gerücht, dass er Moslem sei. Wer also, wenn nicht der? Er ging, wie ferngesteuert, zu dessen Haus, um erste Nachforschungen anzustellen, wann man diesen Kerl wo und wie stellen könnte. Er hatte Glück: Sein zukünftiges Opfer kam gerade von seiner Joggingrunde, drehte schnaufend um die Kurve in die Straße, wo er wohnte, trabte achtlos an ihm vorbei, um dann durch das Gartentor zu verschwinden.

Jürgen sah auf die Uhr. Nun galt es! Er überlegte, wann er denn loslaufen würde und wie diese Joggingrunde aussehen könnte. Es half nichts: Er werde sich auf die Lauer legen müssen am nächsten Tag. Dann könne er sich überlegen, wo sich ein solcher Überfall am besten und vor allem am unauffälligsten bewerkstelligen lassen würde. Mehr konnte er nicht tun jetzt. Immerhin hatte er eine Möglichkeit herausgefunden, wo er allein unterwegs war. Das war ja schon mal was. Sein Plan stand fest. Dieser Gemeinderat, den er sowieso noch nie leiden konnte, war fällig.

Er legte sich also auf die Lauer. Noch sieben Tage, bis diese unsägliche Julia diese Körperteile in einer Gefrierdose in dem Papierkorb finden wolle. 15 Uhr wurde es. Dann ging die Haustür auf und sein Opfer trat auf die Straße, begann sein Fitness-Programm. Jürgen folgte ihm aufmerksam, aber mit einem gehörigen Abstand. Er war fit. Jürgen war es nicht. Ihm zu folgen war fast nicht möglich. Der Abstand vergrößerte sich. Jürgen nahm alle Kraft zusammen, keuchte hinter diesem Gemeinderat her. Der Abstand wurde trotzdem größer. Jürgen fluchte, als der Gemeinderat den Rastberg hinauf lief, als wäre das nichts. Keuchend musste Jürgen die Verfolgung aufgeben, war fix und fertig. Aber er konnte sehen, wie dieser Gemeinderat drei Runden um die Wallfahrtskirche „Maria Rast“ drehte, um dann wieder den Berg hinunter zu kommen, rechts abbog, um dann allen Ernstens mit einem kühnen Sprung über die wieder einmal geschlossene Bahnschranke zu setzen, weiter trabte in die Dorfstraße hinein. Noch immer schnaufend überlegte Jürgen: An dieser Kirche waren seine Chancen, diesem Kerl aufzulauern, die größten. Da war die Gefahr, dass es am Ende Zeugen geben könnte, die geringste. Er musste es riskieren!