Digitaler Kapitalismus - Philipp Staab - E-Book

Digitaler Kapitalismus E-Book

Philipp Staab

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Beherrschten vor 20 Jahren noch Industriekonglomerate, Energiekonzerne und Banken die Rangliste der wertvollsten Unternehmen, wurden diese längst von Internetgiganten wie Google, Apple, Amazon und Tencent abgelöst. Digitale Technik ist allgegenwärtig: Wir tragen Hochleistungsrechner in unseren Taschen herum, Waschmaschinen können sich mit dem Internet verbinden. Doch erschöpft sich darin das Neue am digitalen Kapitalismus?

Philipp Staab beleuchtet den digitalen Kapitalismus aus unterschiedlichen Perspektiven, um ihn präziser auf den Begriff zu bringen. Er zeigt, wie digitale Überwachungs- und Bewertungspraktiken in immer mehr Bereiche der Wirtschaft vordringen und dabei die soziale Ungleichheit verschärfen. Das Spezifische am digitalen Kapitalismus, so Staab, ist die Herausbildung »proprietärer Märkte«: Kam es früher darauf an, Dinge herzustellen und mit Gewinn zu verkaufen, geht es im Zeitalter der Unknappheit um das Eigentum an den Märkten selbst.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 338

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Philipp Staab

Digitaler Kapitalismus

Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2019

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2019.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2019Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-76384-1

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Hinweise zum eBook

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

1. Einleitung: Nach dem Neoliberalismus

Tautologische Metapher oder analytische Kategorie?

Keine Einheit von Staat und Kapital

Konzentration durch Diffusion

Schumpeter im Internet

Märkte in Privatbesitz

Von Wintel zu Gafa

Nach dem Neoliberalismus: Die Privatisierung des Marktes

Privatisierter Merkantilismus

Den digitalen Kapitalismus verstehen

2. Die Wurzeln des digitalen Kapitalismus

Innovation gesucht

Automatisierung

Globalisierung

Militärkeynesianismus, Kommodifizierung, Privatisierung

Das ordnungspolitische Element des investiven Staates

Ökonomische Makrotrends und der investive Staat

3. Finanzkapitalismus online

Ökonomien der Unknappheit und die Propheten des Postkapitalismus

Follow the Money

Der Aufstieg des Finanzsektors

Historische Filiationen zwischen Finanzwirtschaft und Internetökonomie

Digitalisierung in Dollars

Der Aufstieg des Risikokapitals

Risikokapital in Deutschland

Finanzialisierung und Digitalisierung: Aus demselben Holz geschnitzt

Unternehmensstrategien: Wachstum und Schließung

Hermeneutik der Geschäftsmodelle

Sekundärverwertungen und die Kapitalisierung von Zeit

Hochfrequenzwetten

Marktentwicklungen: Risikodistribution, Exitlogiken und die Arithmetik der Krise

Das Erbe der Krise und die Krise als Erbe

Exitkapitalismus revisited: Der Duft der Neunziger

Spekulation als Geschäftsmodell

Von Börsengängen zu Akquisitionen

Die Beschäftigten im Exitzyklus

Mega-

IPO

s und die Geopolitik digitaler Märkte

Wie kann Uber profitabel werden?

Pragmatik der Spekulation

Finanzkapitalismus online

4. Ein System proprietärer Märkte

Politische Ökonomie der Digitalisierung

Die Demokratie vor dem Kapitalismus retten

Vom Fordismus zum Postfordismus

Ein neues Akkumulationsregime

in the making

Die Vermachtung des Internets

Vier Kontrollformen

Expansion und Schließung

Cloud,

KI

, Fintech – Infrastrukturen proprietärer Märkte

Alternativlosigkeit

Warum proprietäre Märkte?

Proprietäre Märkte und das Problem der Unknappheit

Proprietäre Märkte und die Rationalisierung des Konsums

Privatisierter Keynesianismus reloaded

Marktkontrolle und Rentenextraktion

Proprietäre Märkte verstehen

5. Arbeit im digitalen Kapitalismus

Proprietäre Märkte als Vorbild der Restrukturierung von Arbeit

Informations- und Leistungskontrolle – einseitige Transparenz

Die Lücke schließen

Algorithmisches Management: Von den Marktteilnehmern zur Arbeit

Unvollständige Kontrolle und geheime Subversion

Automatisierte Lohnrepression

Der Perspektivhorizont algorithmischer Kontrolle

Zugangs- und Preiskontrolle: Einseitige Rechte

Dilemmata der Quantifizierung

Symbiosen aus Markt- und Beschäftigtenkontrolle

Der Reservearmeemechanismus in der digitalen Ökonomie

6. Privatisierter Merkantilismus, Ungleichheit und Konflikt

Privatisierter Merkantilismus

Digitale Quellen sozialer Ungleichheit

Kommodifizierung öffentlicher Güter

Risikokaskaden

Marktrenten und die Kommodifizierung von Unknappheit

Enteignung von Arbeit

Der blockierte soziale Konflikt

Protest und Fortschritt

Kapital + Konsument vs. Arbeit – Warum eine soziale Bewegung gegen den digitalen Kapitalismus unwahrscheinlich ist

7. Schluss: Kann es einen digitalen Kapitalismus europäischer Prägung geben?

Die rauchenden Ruinen des Neoliberalismus

Lebenschancen als Services

Der digitale Kapitalismus chinesischer Prägung

Eine digitale Gesellschaft der Anrechte

Anhang

Literaturverzeichnis

Fußnoten

Informationen zum Buch

Hinweise zum eBook

»Wir schmieden dauernd zu viele Pläne und denken dauernd zu wenig nach.« Schumpeter 1975 [1942]

1. Einleitung: Nach dem Neoliberalismus

Manche Bücher müssen mehr als einmal geschrieben werden. Als ich vor Jahren begann, mich mit dem digitalen Kapitalismus als bedeutendem Konzept zum Verständnis unserer Gegenwart zu beschäftigen, war mir schnell klar, dass dessen Kern in Prozessen der Konzentration ökonomischer Macht zu suchen sein würde. Wer in etwa mein Alter hat und um das Jahr 2010 begann, sich intensiver mit der Entwicklung des kommerziellen Internets zu befassen, für den erschienen Debatten der neunziger und frühen nuller Jahre, in denen über die Dezentralität und Herrschaftsfreiheit des Internets diskutiert worden war, wie aus der Welt gefallen. Man brauchte nur sein Smartphone in die Hand zu nehmen, um zu merken, dass das Internet nicht nur durch und durch kommerzialisiert war, sondern auch von einer sehr kleinen Zahl sehr großer Unternehmen dominiert wurde.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als ich über den digitalen Kapitalismus zu schreiben begann, veröffentlichte der amerikanische Wirtschafts- und Technikhistoriker Dan Schiller sein zweites großes Buch zu diesem Thema (2014). Schiller hatte den Begriff des digitalen Kapitalismus im Jahr 2000 als Erster ins Feld geführt, um Entwicklungen innerhalb der globalen politischen Ökonomie auf den Begriff zu bringen. Für ihn bildet die Diffusion digitaler Technologien in allen Teilen der Wirtschaft einen Metatrend, der ab den sechziger Jahren mit der Restrukturierung des Kapitalismus nach dessen fordistischer Expansionsphase zusammenfällt. Der digitale Kapitalismus, so Schiller, sei in Bezug auf die Größenordnung der Diagnose und deren empirische Relevanz vergleichbar mit dem industriellen Kapitalismus, dessen Expansionsphase vom späten 19. Jahrhundert bis in die sechziger Jahre gereicht habe (2014: 8). Danach seien die Basistechnologien aller bedeutenden Innovationen digitaler Natur gewesen. Nicht mehr die mechanischen Muskeln der industriellen Produktion, sondern die digitalen Netze der Informations- und Kommunikationstechnologien seien ins Zentrum kapitalistischer Reorganisation gerückt.

In seinem ersten Buch aus dem Jahr 2000 befasste sich Schiller vor allem mit der globalen Expansion des Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektors. Sein Ziel war es nachzuweisen, dass dieser ab den sechziger Jahren das entscheidende Vehikel für die Verteidigung und den Ausbau US-amerikanischer Hegemonie gewesen ist. Durch das Setzen technischer Standards, die Errichtung der entscheidenden Infrastrukturen und die folgende Expansion der US-amerikanischen Kulturindustrie hätten die USA ihre während des Kalten Kriegs systematisch bedrohte Vormachtstellung innerhalb ihrer geopolitischen Einflusssphäre gesichert. Die Leitunternehmen dieser langen Epoche waren zunächst Telekommunikationsunternehmen wie AT&T, die Filmindustrie und in den neunziger Jahren dann das Duo aus Microsoft und Intel (»Wintel«, das Kofferwort steht für mit Windows betriebene Personal Computer mit Intel-Prozessoren).

Die argumentative Grundfigur Schillers lautet, dass diese Unternehmen in zweifacher Hinsicht die weltweite Hegemonie der USA gestützt hätten: Erstens belegten ihre Erfolge, dass amerikanische Unternehmen die entscheidenden Wachstumsmärkte des Postfordismus dominierten, was – ohne dass Schiller dies für näher begründungsbedürftig hält – der geopolitischen Vormachtstellung der USA zugearbeitet habe. Zweitens – hier ist Schiller ganz Sohn seines Vaters, des legendären Medienkritikers Herbert Schiller, der in den Medien das zentrale Instrument der Legitimierung des militärisch-industriellen Komplexes seiner Zeit sah (Schiller 1989; 1996) – hätten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) die Welt mit amerikanischen Medienproduktionen überschwemmt, damit die US-Lebensweise globalisiert und im Bereich der Kulturindustrie deren Hegemonie festgeschrieben.

In seinem zweiten Buch zum digitalen Kapitalismus argumentiert Schiller dann noch wesentlich breiter: Nun möchte er zeigen, dass andere Diagnosen zur politischen Ökonomie des Postfordismus in seinem Begriff aufgehoben werden können. Lean Production, Globalisierung oder der Aufstieg des Finanzmarktes – alles basiere auf digitalen Technologien, weshalb der Kapitalismus auch jenseits der IKT-Branchen immer digitaler geworden sei (2014: 6). Es ist die Diffusion bestimmter Technologien in alle Arbeits- und Lebensbereiche, die den Kapitalismus in diesem Bild digital macht.

Tautologische Metapher oder analytische Kategorie?

Für Leser von Schiller wird dabei allerdings immer schwieriger zu erkennen, was eigentlich den Kern dieser vermeintlich neuen Form des Kapitalismus ausmacht: Welchen analytischen Wert für eine Theorie der politischen Ökonomie und Gesellschaft hat beispielsweise der Umstand, dass heutzutage Chips in Autos stecken, ebenso wie in den Maschinen, die die Autos bauen, dass am Finanzmarkt Algorithmen große Bedeutung haben, ebenso wie in Computerspielen, dass immer mehr Menschen an Computern arbeiten und Waschmaschinen sich neuerdings mit dem Internet verbinden können? Als Historiker ist für Schiller diese Frage vielleicht nicht entscheidend. Er folgt einfach den Linien, die ihn aus dem Telekommunikationsbereich im Lauf der Zeit in beinahe alle Teilbereiche von Wirtschaft und Gesellschaft geführt haben. Analytisch manövriert sich Schiller mit dieser Prozessorientierung nicht nur in eine »nominalistische Sackgasse«, wodurch die Verbindung der von ihm beschriebenen Ereignisse zu einer strukturellen Veränderung des Kapitalismus unklar bleibt (Pace 2018: 256). Der analytische Gehalt von Schillers Konzept erscheint am Ende auch tautologisch: Das Digitale am digitalen Kapitalismus ist die digitale Technologie.[1] 

Als Soziologe war dies für mich unbefriedigend. An einer Theorie der Gesellschaft interessiert, stellt die Verbreitung digitaler Technologien in den meisten Arbeits- und Lebensbereichen für mich keinen relevanten Faktor dar, solange damit keine Hypothese darüber verbunden ist, welche Logik der Ordnung von Wirtschaft und welche Effekte für Gesellschaft damit impliziert sind. Mich interessiert kein metaphorischer Begriff des digitalen Kapitalismus, wie er seit Beginn meiner Arbeit zum Thema auch in Deutschland immer populärer geworden ist. »Computer sind überall«,[2]  ist keine analytische Aussage, die zur Bestimmung einer spezifischen Form des Wirtschaftens führt – auch wenn es natürlich stimmt.

Schillers Diagnose einer historischen Entwicklung, in deren Verlauf eine zunächst recht konzentrierte Keimzelle aus technologisch ambitionierten Unternehmen im Telekommunikationsbereich systematisch wächst und expandiert, während später die digitalen Technologien zur basalen Infrastruktur hoch entwickelter Volkswirtschaften werden, ist schwer zu widersprechen. Sie zu widerlegen, ist auch gar nicht mein Ziel. Eher scheint es mir so, dass wir uns seit einigen Jahren in einer Entwicklungsphase befinden, in der nach der Diffusion digitaler Technologien in alle Lebensbereiche eine neue Konzentration ökonomischer Macht zu beobachten ist. Das Gravitationszentrum dieser Veränderungen ist dabei nicht so diffus, wie man meinen könnte, wenn man sich vor allem darauf kapriziert, dass Computer heute eben allgegenwärtig sind. Es liegt im kommerziellen Internet, dessen Leitunternehmen zu den entscheidenden Schnittstellen für immer mehr ökonomische Prozesse geworden sind und ohne das die omnipräsenten Computer nur einfache Rechenmaschinen wären. Will man diese Konzentrationsbewegung in ihrer Entstehung, Reproduktion und in ihren Effekten soziologisch verstehen, muss man fragen, was ihren eigentlichen Kern ausmacht. Stellt man die Frage in dieser Form, opfert man die deskriptive Breite und Präzision der Geschichtswissenschaft der analytischen Schärfe einer theoretisch ambitionierten Soziologie. Man ist dann auf der Suche nach einem analytischen Begriff des digitalen Kapitalismus.

In diesem Sinn versuche ich hier einerseits, Schillers Buch ein drittes Mal zu schreiben, da empirische Veränderungen im Gegenstandsbereich dies nötig machen und da auch ich an einer umfassenden Diagnose zur Digitalisierung der Ökonomie interessiert bin. Andererseits schreibe ich auch ein vollkommen neues Buch, da die Zielrichtung meiner Arbeit sich nicht wie bei Schiller auf die empirische Breite des Phänomens, sondern auf dessen analytischen Kern richtet.

Worin besteht nun dieser Kern und was unterscheidet die Gegenwart von der Situation, die Dan Schiller beim Verfassen seiner beiden Bücher vor Augen hatte?

Keine Einheit von Staat und Kapital

Zentrale Basisannahmen Schillers, die vor nicht allzu langer Zeit noch plausibel gewesen sein mögen, sind aus meiner Sicht in jüngerer Vergangenheit fragwürdig geworden. Die wirtschaftliche Hegemonie der USA ist seit geraumer Zeit – selbst in ihren ehemaligen Einflusssphären – keineswegs mehr unangefochten. Insbesondere der Aufstieg Chinas wird landläufig als zentraler Faktor für den relativen Machtverlust der USA angeführt. Dies gilt insbesondere für den IKT-Sektor und das kommerzielle Internet, also die Leitsektoren der Digitalisierung. So dominieren auf dem Gebiet der Hardware-Produktion chinesische Unternehmen nicht nur den eigenen Binnenmarkt sowie zunehmend die Märkte wichtiger Schwellenländer sowohl auf der Ebene konsumentenorientierter Unterhaltungselektronik als auch im Bereich der digitalen Infrastrukturen (Glasfaserkabel, Funknetze etc.) (vgl. Srivastava 2017; Kharpal 2017; Iyengar 2018; Chen, L. 2018b). Auch die Hardware namhafter amerikanischer Hersteller wird heute zum allergrößten Teil von Kontraktfirmen in China (die berühmteste ist wohl der taiwanesische Konzern Foxconn) hergestellt (vgl. Duhigg/Bradsher 2012; Barboza 2016) – was freilich nicht heißt, dass der Löwenanteil der Wertschöpfungsdividenden in China verbliebe. Hinzu kommt, dass den großen amerikanischen Internetunternehmen der chinesische Markt praktisch verschlossen ist. Durch eine Mischung aus wirtschaftlichem Protektionismus und gezielter staatlicher Förderung digitaler Schlüsselunternehmen – insbesondere der drei Leitkonzerne des kommerziellen Internets chinesischer Prägung, Baidu, Alibaba und Tencent (BAT) – haben sich nationale Konglomerate gebildet, die es mittlerweile auch auf die vorderen Ränge der Rankings der wertvollsten Unternehmen der Welt schaffen. So ist beispielsweise Tencent als erstes chinesisches Internetunternehmen in den erlauchten Club der Konzerne mit einer Marktbewertung von über 500 Milliarden US-Dollar aufgestiegen (Staab/Butollo 2018; Perez 2017).

Der investive Staat, der diesen Aufstieg möglich machte, hat zugleich durch diverse quasiprotektionistische Maßnahmen den Handlungsspielraum westlicher Internetkonzerne in China deutlich eingeschränkt: Google verließ den chinesischen Markt im Jahr 2010, vorgeblich wegen Zensurvorgaben, die das Unternehmen nicht mehr zu erfüllen bereit war – und hadert seither mit einer möglichen Rückkehr sowie der Frage, wie die dafür notwendigen Zugeständnisse mit dem Selbstverständnis vieler Google-Mitarbeiter in Einklang zu bringen wären. Facebook wurde 2009 im Anschluss an Unruhen in der Provinz Xinjiang mit der Begründung gesperrt, es habe den dort protestierenden Uiguren als Infrastruktur für deren Kommunikation gedient[3]  – ein Vorwurf, der sich heute fast überall zu wiederholen scheint, wo unerwünschter Protest stattfindet oder tatsächlich Lynchmobs Selbstjustiz üben (Leisegang 2017). Apple und Amazon wiederum sind in China vertreten, das mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern den größten Binnenmarkt der Welt bildet, allerdings ist ihr Marktanteil geradezu marginal im Vergleich zu ihrer Position in anderen Weltregionen. Während Apples Iphone Ende 2018 weltweit einen Anteil von 18,2 Prozent am Smartphone-Markt hatte, lag er in China gerade einmal bei der Hälfte (IDC 2019a, 2019b). Zudem muss Apple die Daten seiner chinesischen Nutzer in lokalen Datenzentren speichern, wo sie tendenziell dem Zugriff des chinesischen Staates zugänglich sind (Mozur/Wakabayashi/Wingfield 2017; Pham 2018). Amazon ist noch weiter abgeschlagen: Während Alibaba (58,2 Prozent) und JD.com (16,3 Prozent) 75 Prozent des E-Commerce-Markts unter sich aufteilen, hatte Amazon 2018 einen geradezu lächerlich kleinen Marktanteil von 0,7 Prozent (Brandt 2018). Im Zuge ihrer Expansionsbestrebungen sind die chinesischen Internetkonzerne zudem auch international vielerorts zu direkten Konkurrenten der westlichen Technologieunternehmen geworden. In Indien liefern sich Amazon und Alibaba beispielsweise seit geraumer Zeit einen erbitterten Preiskampf um den E-Commerce-Markt. In Brasilien stehen sich die Ride-Hailing-Plattformen[4]  Uber und Didi Chuxing indirekt[5]  gegenüber – und dies, obwohl Uber nach jahrelangem Preiskampf und anschließender Einigung direkt an Didi beteiligt ist.[6] 

Analytisch wichtiger in Bezug auf Fragen einer US-amerikanischen Hegemonie, wie Schiller sie postuliert, ist es freilich zu verstehen, welche strukturierten Interessen hinter dem Aufstieg regionaler Leitunternehmen und Schlüsselindustrien stehen. Schillers These von der Absicherung wirtschaftlicher und kultureller Hegemonie im digitalen Kapitalismus impliziert eine gewisse Einheit von Staat und Wirtschaft auf den betreffenden Feldern: Nur wenn Leitunternehmen den Interessen eines spezifischen Staates zuarbeiten (und umgekehrt), kann dies dessen hegemoniale Stellung befördern. Was für die Geschichte des IKT-Sektors wahr ist – ich werde in Kapitel 2 ausführlich darauf zu sprechen kommen –, stimmt so für die Gegenwart nicht mehr ohne Weiteres. Der investive Staat ist heute in den etablierten Feldern der digitalen Ökonomie – insbesondere im kommerziellen Internet – längst nicht mehr die entscheidende Kapitalquelle. Das private Risikokapital, das das Wachstum und die globale Expansion der Internetkonzerne stützt, ist wiederum eine politisch nur sehr schwer und indirekt steuerbare Ressource. Während etwa Staatsfonds Kredite für Schlüsselindustrien oder Kapital für Forschung mit strategischem politischem Interesse vergeben können, ist Risikokapital nur in sehr geringem Ausmaß politisch kontrollierbar. So überrascht es nicht, dass praktisch alle führenden chinesischen Digitalunternehmen zu großen Teilen im Besitz ausländischer Kapitaleigner sind[7]  (Jia 2018) und dass das Volumen US-amerikanischen Risikokapitals, das in chinesische Unternehmen investiert wird, kontinuierlich steigt.[8] 

Zeitgleich untersagt die Regierung in Washington im Namen der nationalen Sicherheit bestimmte Investitionen und Akquisitionen chinesischer Unternehmen in den USA.[9]  Mit anderen Worten: Es gibt keine alles umfassende Einheit von Staat und Kapital, keinen »Stamokap 2.0« (Lovink 2017),[10]  die es Ersterem ermöglichte, seine nationalen Interessen im globalen Maßstab auf dem Rücken privaten Risikokapitals durchzusetzen. Die Sache ist komplizierter, und es sieht in meinen Augen eher so aus, als sei der Staat im Grunde der große Verlierer des digitalen Kapitalismus. Das unleugbare Zusammengehen der Schlüsselunternehmen der Digitalisierung mit dem nationalen Sicherheitsstaat und dessen Entwicklung zu einer Kontrollinstanz im Zeichen der allgegenwärtigen Terrorismusabwehr sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat das wirtschaftspolitische Heft des Handelns in den gegenwärtigen Leitbranchen der Digitalisierung längst aus der Hand gegeben hat. Wir haben es (genau deswegen) einstweilen eben nicht mit digitaler Hegemonie zu tun, sondern mit digitalem Kapitalismus – auch wenn hier ebenfalls das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Konzentration durch Diffusion

Im Grunde stellt es sich so dar, dass aus der Diffusion digitaler Technologien in alle Arbeits-, Wirtschafts- und Lebensbereiche eben gerade keine Dezentralisierung oder Demokratisierung ökonomischer oder politischer Macht resultiert, sondern deren Konzentration. Im konsumentenzentrierten kommerziellen Internet kontrolliert eine sehr kleine Zahl sehr großer Unternehmen den Zugang zu Gütern, Dienstleistungen und Infrastruktur. Die großen »Metaplattformen« (Nachtwey/Staab 2017), Google (Android), Amazon, Facebook und Apple (IOS) (im Folgenden gelegentlich abgekürzt als Gafa) sind zu »Gatekeepern« (Dolata 2015) des kommerziellen Internets geworden, an denen Nutzer, aber auch Unternehmen und Regierungen kaum vorbeikommen. Bei ihnen laufen die Fäden zusammen, die sich wiederum immer weiter in sämtliche ökonomische Prozesse und private Lebenswelten erstrecken.

Diese Form der Machtkonzentration, in deren Verlauf die Metaplattformen zu entscheidenden Herrschaftsstrukturen geworden sind, ist aus meiner Sicht analytisch nicht angemessen durchdrungen. Von Seiten der kritischen Forschung, aber zunehmend auch aus den Sphären der institutionalisierten Politik und der demokratischen Öffentlichkeit wird immer häufiger auf den monopolartigen Charakter dieser Unternehmen hingewiesen. Zur Erklärung dieses Phänomens werden regelmäßig zwei Theoreme angeführt: Netzwerkeffekte (Shapiro/Varian 1999) und die vermeintlich gen Null tendierenden Grenzkosten digitaler Güter (vgl. Rifkin 2014).

Im kommerziellen Internet wirken auf der Angebotsseite spezifische Skaleneffekte, die auf systematisch sehr niedrigen Grenzkosten basieren: Bei den digitalen Produkten der Plattformen fallen zwar oft hohe Entwicklungskosten an, doch sind die Grenzkosten für die Produktion jeder weiteren Einheit (man denke an Software oder MP3-Dateien) äußerst gering. Das ermöglicht es den Unternehmen, große Mengen zu relativ niedrigen Stückpreisen zu veräußern oder diese gar – etwa mit der Zielsetzung langfristiger Kundenbindung – umsonst zur Verfügung zu stellen. Je größer eine Firma ist, desto höher sind zudem Kosten- und Geschwindigkeitsvorteile bei der Entwicklung neuer Produkte und in der Folge die Vielfalt des Portfolios, was zu einer systematischen Überlegenheit größerer Firmen gegenüber ihren kleineren Konkurrenten führt.

Auf der Nachfrageseite kommen zudem spezifische Netzwerkeffekte zum Tragen. Sie beruhen auf dem Umstand, dass der Nutzen vieler digitaler Produkte mit der Zahl ihrer User steigt. Google Maps liefert uns umso genauere Verkehrsdaten, je mehr Menschen ein Android-Smartphone mit sich führen. Facebook – das wohl prominenteste Beispiel für solche Effekte – ist für seine Nutzer umso wertvoller, je mehr andere Menschen sie dort für das Spiel der Beobachtung und Gegenbeobachtung vorfinden. Ist erst einmal eine kritische Masse von Nutzern »an Bord«, wird der Einstieg in das betreffende System also für immer mehr Leute attraktiv. Hat die Nachfrage nach einem erfolgreich etablierten Produkt erst einmal eine bestimmte Größenordnung erreicht, kommt ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang. Auf diese Weise werden die Starken stärker und die Schwachen schwächer – ein klassisches Beispiel für einen »Matthäus-Effekt« (Merton 1968). Treten Skalen- und Netzwerkeffekte in Kombination auf, begünstigen sie die Konzentration von Macht und die Entstehung von Winner-takes-all-Märkten, in denen kleinere Konkurrenten den Anschluss verlieren bzw. zu abhängigen Zulieferern degradiert werden, weil sie ihre Produkte nicht an den Metaplattformen vorbei anbieten können, sondern nur über diese überhaupt Zugang zu potenziellen Usern erhalten.

Schumpeter im Internet

Was aus kritischer Perspektive häufig gegen die Metaplattformen gewendet wird, ist zugleich Bestandteil beinahe jeden Pitchs in der digitalen Ökonomie, also jeden Versuchs, Investoren für eine wirtschaftliche Unternehmung zu gewinnen. Das kritische Narrativ von den Monopolisierungsgefahren reproduziert dabei die Selbstbeschreibung des Feldes – nur eben spiegelverkehrt (vgl. Reitz 2017). In gewisser Weise reagiert der »Überbau« des Silicon Valley schon seit geraumer Zeit auf die potenzielle Kritik an den Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen. So hat beispielsweise Peter Thiel – Paypal-Gründer, früher Facebook-Investor, sagenumwobener Risikokapitalgeber und mittlerweile vor allem für seine Unterstützung Donald Trumps während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes 2016 und den Konsum von Jungmenschenblut bekannt (Jacobs 2016; Bercovici 2016; Cuthbertson 2018) – schon 2012 in seinem berühmten Stanford-Seminar eine Ära kreativer Monopole beschworen (Thiel 2014). Anders als von der herkömmlichen Wirtschaftstheorie erwartet, würden diese keineswegs innovations- und verbraucherfeindlich agieren, sondern durch die Vernetzung von allem und jedem historisch ungekannte Effizienzpotenziale zum Nutzen der Konsumenten entfalten. So trügen Skalen- und Netzwerkeffekte zum Wohl der »consumer citizens« (Streeck 2012) der Gegenwart bei.

Als gedanklicher Pate dieser These kann der für viele Selbstbeschreibungen des Silicon Valley zentrale österreichische Ökonom und Chronist des Kapitalismus Joseph Schumpeter gelten. In der Internetökonomie der amerikanischen Westküste genoss Schumpeter in den letzten Jahren vor allem wegen einer bestimmten Lesart seiner Theorie des Unternehmers enorme Popularität (Schumpeter 1964 [1934]). Viele Digital-Entrepreneure der Gegenwart stellen ihr Motto »Move fast and break things« (wahlweise auch: »Don't ask permission. Ask forgiveness«) gerne als moderne Version von Schumpeters Theorem der schöpferischen Zerstörung dar (Schumpeter 1975 [1942]) und legitimieren damit ihr eigenes ökonomisches Heroentum.

Schumpeters Popularität mag nicht zuletzt darin begründet sein, dass er sich in seinem zweiten großen Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie verhältnismäßig monopolfreundlich positionierte, jedenfalls im Kontext der politischen und akademischen Debatte in den USA seiner Zeit, die sich intensiv mit der Macht industrieller Großunternehmen beschäftigte – ähnlich wie es heute in Bezug auf die Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus der Fall ist, allerdings unter gänzlich anderen Voraussetzungen: Die Leitunternehmen des industriellen Monopolkapitalismus, den Schumpeter vor Augen hatte, operierten in einer Ökonomie der Knappheit, weshalb die seinerzeit dominante Lesart ihnen das Problem zuschrieb, aus Gründen der Profitmaximierung ihre Kapazitäten nicht auszuschöpfen, sondern das Angebot künstlich knapp und damit den Wohlstand niedrig zu halten. Außerdem seien sie keine Triebkräfte technologischer Innovation, da sie sich vor allem um die Sicherung ihrer Monopolgewinne kümmerten und nicht um die verbraucherfreundliche Weiterentwicklung ihrer Produkte und Produktionsmethoden.

Schumpeters Buch war eine Abrechnung mit dieser aus seiner Sicht realitätsfernen Lehre. Natürlich musste in einer Welt systematischer Knappheit vor allem sichergestellt werden, dass die Wirtschaft ihren maximalen Output auch wirklich lieferte. Um zu zeigen, dass die damals vielfach an die Wand gemalte Gefahr sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts empirisch nicht realisierte, justierte Schumpeter zunächst den damals wie heute überaus politischen Begriff des Monopols fein. In den Debatten seiner Zeit sei damit nicht im strengen Wortsinne der »einzige Verkäufer« eines bestimmten Produktes gemeint. Vielmehr artikuliere sich in der Popularität des Terminus ein Unbehagen seitens der Bürger und der politischen Klasse hinsichtlich der Akkumulation ökonomischer Macht in den Händen weniger industrieller Großunternehmen, die zueinander im Verhältnis »monopolistischer Konkurrenz« stünden (Schumpeter 1975 [1942]: 131).

Im zweiten Schritt argumentiert Schumpeter empirisch, die enorme Produktivität rational agierender Monopolunternehmen sei eine entscheidende Bedingung für die explosionsartige Zunahme erschwinglicher Massengüter. Schumpeter sieht durchaus das Risiko der Kontrolle von Konsumentenpreisen, betrachtet dieses aber als durch die angesprochene »monopolistische Konkurrenz« gebannt. Dennoch werde der Kapitalismus sukzessive an seinem eigenen Erfolg zugrunde gehen: Zwar werde die rationale Produktionsweise die Versorgung der Bevölkerung mit immer größeren Mengen industrieller Massengüter sichern; parallel erlösche jedoch die Unternehmerfunktion, deren sozialen Ursprung Schumpeter in der bürgerlichen Familie verortet, die sukzessive von den konsumorientierten Mittelschichten abgelöst werde. Die Leitunternehmen seiner Zeit garantierten folglich Wohlstand, setzten aber auf rationale Planung statt auf schöpferische Zerstörung, was letzten Endes zum Tod des Kapitalismus führen werde.

Anders als jene Apologeten des Silicon Valley meinen, die so gern aus dem siebten Kapitel besagten Buches zitieren, liefern Schumpeters Ausführungen keineswegs einen intellektuellen Freifahrtschein für die Tech-Riesen der Gegenwart. Man lernt von Schumpeter zwar, dass die nervös geführte Diskussion über digitale Monopole an ähnlichen Problemen krankt wie jene Debatten, zu denen der österreichische Ökonom Stellung bezog. So dominiert im kommerziellen Internet heute tatsächlich weniger die Logik des »einzigen Verkäufers« als jene der »monopolistischen Konkurrenz«, womit die Kontrolle der Verbraucherpreise einmal mehr nicht den entscheidenden Faktor für die Profite der Leitunternehmen darstellt.

Gleichwohl haben wir es mit neuen Prozessen der Konzentration ökonomischer Macht zu tun, die eine Neusortierung der Koordinaten einer an den Leitunternehmen der Gegenwart orientierten Kapitalismusanalyse notwendig machen. Eine solche Analyse kann von Schumpeter zwar eine spezifische Perspektive auf den Kapitalismus entlehnen, wird aber zu ganz anderen Schlussfolgerungen über dessen zentrale Probleme, Agenten, Funktionslogiken und Effekte gelangen: Den digitalen Kapitalismus darf man nicht vom Problem der Knappheit her denken, sondern aus einer Logik der Unknappheit. Seine Leitunternehmen sind keine rationalen Produzentenmonopole, sondern proprietäre Märkte. Seine Dynamik speist sich weniger aus der Logik des unternehmerischen Handelns als vielmehr aus den Kalkülen von Rentiers. Ziel ist nicht die maximale Produktion, sondern die Kapitalisierung eigentlich unknapper Güter. Der entscheidende Effekt dieser Konstellation ist nicht das Absterben des Kapitalismus, sondern die Radikalisierung seiner Grundzüge, insbesondere der sozialen Ungleichheit. Schumpeter wird unter diesen Bedingungen nicht zu einem Propheten des wirtschaftlichen Aufstiegs durch ökonomische Machtkonzentration, die letztendlich in den Sozialismus führt, sondern zu einer Quelle der intellektuellen und praktischen Kritik des digitalen Kapitalismus.

Märkte in Privatbesitz

Diese Kritik muss ihren Ausgangspunkt in einer Analyse der Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus und ihrer Verflechtungen mit der politischen Ökonomie der Gegenwart nehmen. Den operativen Kern des digitalen Kapitalismus bildet aus dieser Perspektive ein System proprietärer Märkte.

Die Kombination niedriger Grenzkosten, systematischer Netzwerkeffekte und – nicht zu vergessen – der strukturellen Bedeutung privaten Risikokapitals erklärt zweifellos einen Teil der Machtkonzentration im kommerziellen Internet. Man braucht diese Faktoren, um zu verstehen, wie es zum Aufstieg der Leitunternehmen gekommen ist. Ein analytischer Begriff des digitalen Kapitalismus muss allerdings vor allem die Frage beantworten, was die digitalen Monopole der Gegenwart auszeichnet oder ob wir es lediglich mit einem Wiedergänger des klassischen Monopolkapitalismus zu tun haben, wie ihn Schumpeter und andere im Blick hatten.

Vieles spricht heute auf den ersten Blick für eine Aktualisierung dieser These. Oft basierten klassische Monopolisierungsprozesse des Industriezeitalters auf sogenannten »natürlichen Monopolen« (Varian 1997), mit denen die Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus auf den ersten Blick durchaus etwas gemein haben. Natürliche Monopole beruhen, was ihre materialen Voraussetzungen anbelangt, auf extrem hohen Fix- und im Vergleich dazu deutlich geringeren variablen Kosten. Telekommunikation, Energie- und Wasserversorgung sowie die Eisenbahn basierten auf einer teuren Infrastruktur, die eigentlichen Güter oder Dienstleistungen waren nach der Etablierung der infrastrukturellen Voraussetzungen allerdings verhältnismäßig günstig herzustellen bzw. zu erbringen. Die sich daraus ergebenden Skaleneffekte stellten schwer zu bewältigende Herausforderungen für Konkurrenten dar (Nachtwey/Staab 2015).

Man könnte meinen, dies gelte auch für die digitalen Geschäftsmodelle, die mittlerweile auf eine globale Infrastruktur aus Server-Farmen, Unterseekabeln und anderen Bausteinen angewiesen sind. Aber ist der Aufbau der Suchmaschine Google wirklich mit ähnlich hohen Investitionen verbunden gewesen wie der Anschluss des Westens der USA an das Eisenbahnnetz? Vermutlich nicht. Die Infrastruktur des Internets (in der Hülle des existierenden Telefonnetzes) bestand ja bereits, als der Suchalgorithmus programmiert wurde – wenn auch nicht in ihrer heutigen Form. Man musste keine Schienen verlegen, sondern »nur« Verbindungen zwischen unterschiedlichen Orten indexieren. Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets sind erst nach ihrem Aufstieg sukzessive auch zu Anbietern materieller Infrastruktur mit relevanten Fixkosten geworden, ein Punkt, den ich in Kapitel 4 ausführlich erläutern werde. Für den Augenblick genügt es festzuhalten, dass wir es bei den Leitunternehmen der Digitalisierung weder mit Naturgewalten zu tun haben noch mit Anbietern von Gütern, die mit hohen Fixkosten belastet sind. Vielmehr kapitalisieren diese Unternehmen bis heute vor allem »First-Mover-Dividenden«, die sie sich durch das Halten relevanter Patente und die Kombination der oben beschriebenen Effekte sichern können.

Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets sind also keine natürlichen Monopole im klassischen Sinn der Wirtschaftstheorie, und sie unterscheiden sich, so das zentrale Argument dieses Buches, noch in einer weiteren Hinsicht systematisch von »Monopolen«, wie etwa Schumpeter sie analysierte. Klassische Monopolunternehmen agieren auf Märkten; die Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus hingegen sind Märkte. Dieser für eine systematische Theorie des digitalen Kapitalismus konstitutive Unterschied hat erhebliche Implikationen.

Klassische Monopolunternehmen dominieren ihre jeweiligen Branchen, weil sie dort der einzige oder führende Anbieter eines bestimmten Produktes oder einer Dienstleistung sind, so dass sie die Preise kontrollieren können. Das kann zulasten der Kundinnen und Kunden gehen. Daher wachen Kartellbehörden darüber, ob Unternehmen ihre Marktmacht ausspielen.

Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets hingegen agieren gar nicht mehr wirklich auf Märkten, deren Mechanismen sie verzerren – jedenfalls ist das für ihre Entwicklung nicht der springende Punkt. Sie sind diese Märkte – und dies in einem sehr umfassenden Sinn. Was das bedeutet, kann man sich am Beispiel der avanciertesten Vertreter dieses Fachs, der Gafa-Gruppe, klarmachen: Googles Suchmaschine agiert nicht auf einem herkömmlichen Markt. Nutzer sind keine Kunden, denn sie bezahlen nicht für ihre Suchanfragen. Auch bei den Anbietern, deren Webseiten in einer Ergebnisliste angezeigt werden, findet zunächst keine Preiskontrolle statt – wobei dies natürlich nicht für die auf den obersten Plätzen angezeigten Werbeeinblendungen gilt. Bei Facebook verhält es sich nicht groß anders. Die Kunden dieser Plattformen sind Unternehmen, die Werbung schalten, und hier haben Google und Facebook tatsächlich eine gewisse Preiskontrolle inne bzw. können sich zumindest aneinander orientieren. Entscheidend ist jedoch vor allem die Größe des jeweiligen User-Stammes, denn Werbekunden kaufen Reichweite. Um User zu halten bzw. neue User zu generieren, werden die Angebote praktisch vollständig aus den Werbeeinnahmen quersubventioniert, was sich freilich kaum als verbraucherschädliches Verhalten bezeichnen lässt.

Insbesondere in der Geschichte von Google kann man beobachten, wie die Firma auf eine immer größere Varianz innerhalb ihres Angebots gesetzt hat, um User in ihr Netzwerk zu integrieren: Zur Suchmaschine kamen – auch durch Firmenkäufe – der Kartendienst (Maps), das Gratis-E-Mail-Konto (Gmail), das soziale Netzwerk (Google+),[11]  der Cloud-Speicher (Drive) und zahlreiche weitere Anwendungen hinzu. Der entscheidende Meilenstein war dabei der Kauf von Android Inc. (2005) und die Präsentation des ersten Android-Betriebssystems für Mobilgeräte (2008) sowie des zugehörigen App-Stores. Bei Smartphones hat Android heute einen globalen Marktanteil von um die achtzig Prozent (Gartner 2018, Statcounter 2019a). Betriebssystem und App-Store dienen als Basis diverser hauseigener Dienstleistungen, aber auch als Ort, an dem Drittanbieter eigene Produkte einstellen können. Hier kommen Produzenten und Konsumenten zusammen. Hier ist ein Markt mit stetig und systematisch wachsendem Angebot. Der Kern der Metaplattform des Unternehmens ist weniger die Suchmaschine oder eine andere der zahlreichen Anwendungen als vielmehr ein proprietärer Markt, der im Grunde mit dem Unternehmen als Ganzem identisch ist.

Im Vergleich zu klassischen Produzentenmonopolen, wie sie Schumpeter analysierte und verteidigte, materialisiert sich die Macht des Marktbesitzers in verschiedenen Formen der Kontrolle: über Informationen, Zugang, Leistungen und Preise – und zwar sowohl in Richtung der Produzenten als auch der Konsumenten. Diese Kontrollformen, auf die ich in den Kapiteln 4 und 5 ausführlich eingehen werde, bilden die Basis der effektiven Durchsetzung einer Provisionslogik, die wiederum die Basis des Profitmodells auf proprietären Märkten bildet: Wie sich am Beispiel des Google-App-Stores zeigen lässt, bedeutet Zugangskontrolle erstens, dass das marktbesitzende Unternehmen nach eigenem Ermessen entscheiden kann, welchen Produzenten Zugang zum privaten Markt gewährt wird und unter welchen Bedingungen dies geschieht. Diese Bedingungen regeln zweitens über ein Provisionsmodell die Verteilung der Profite. Googles App-Store beispielsweise erhebt für alle dort getätigten Transaktionen eine Kommission in Höhe von 30 Prozent der Einnahmen.

Die Kombination aus Zugangskontrolle und Provisionsmodell ist der Schlüssel zum Verständnis proprietärer Märkte: Denn erstens kann, wer exklusiv über den Zugang entscheidet, seine Provision im Grunde nach Belieben festsetzen. Zweitens machen sich die marktbesitzenden Unternehmen den Mechanismus von Angebot und Nachfrage auch insofern zunutze, als sie sich darüber auch in anderer Hinsicht systematische Vorteile verschaffen: Ist das Produkt eines Drittanbieters auf der eigenen Plattform zu teuer, um für Käufer attraktiv zu sein, können die Plattformunternehmen Konkurrenzangebote erstellen, die um den Anteil der üblichen Provision günstiger sind. Amazon etwa ist unter Produzenten eher berüchtigt als berühmt für diese Strategie.

Auf die eine oder andere Weise trifft die Logik proprietärer Märkte auf alle Konzerne des Gafa-Komplexes zu, ohne dass einer von ihnen gänzlich auf dieses Modell reduziert werden könnte. Facebook ist zuvorderst ein soziales Netzwerk – aber es ist eben auch zu einer Art Markt für Informationen geworden, über den die Mehrheit der Menschen Nachrichten bezieht (Shearer/Gottfried 2017). Amazon verdient exorbitante Summen mit seiner Cloud-Sparte Amazon Web Services, stellt aber zugleich dasjenige Gafa-Unternehmen dar, in dem über die eigene Handelsplattform die Logik der Kapitalisierung durch Marktbesitz am stärksten durchgesetzt ist und nach wie vor am nachdrücklichsten verfolgt wird. Amazon steht dabei für den Versuch, das Modell proprietärer Märkte aus dem enger gefassten Bereich des kommerziellen Internets in die Welt der materiellen Dinge zu übersetzen. Das Unternehmen muss entsprechend mit wesentlich höheren Fixkosten kalkulieren, was erklärt, weshalb es – besser gesagt: seine E-Commerce-Sparte – eine deutlich niedrigere Profitrate hat als Google, Apple und Facebook. Apple ist auf den ersten Blick ein Unternehmen, das noch am ehesten Ähnlichkeiten mit herkömmlichen Produzenten aufweist, da es die überwiegende Mehrheit seiner Gewinne mit dem Verkauf von Endgeräten erwirtschaftet. Allerdings war Apple mit dem Ipod und dem angebundenen Itunes-Store auch der Pionier des Profitmodells, und der App-Store ist nicht nur der Inbegriff eines umfassenden proprietären Markts, sondern auch eine schnell wachsende und immer wichtiger werdende Profitquelle. Mit anderen Worten: Mein Argument lautet nicht, dass die Leitunternehmen des kommerziellen Internets auf ihre Rolle als proprietäre Märkte reduziert werden können. All diese Unternehmen sind viel mehr. Für einen analytischen wie auch zeitdiagnostisch relevanten Begriff des digitalen Kapitalismus ist dennoch der Faktor des Marktbesitzes entscheidend. Denn hier verbirgt sich eine empirisch noch unvollendete, aber dennoch historisch signifikante Bewegung innerhalb des stetigen Prozesses kapitalistischer Transformation, die in ihrer Funktion und Bedeutung ein qualitativ neues Phänomen darstellt und bislang noch nicht hinreichend verstanden ist: Es bedarf keiner analytischen Begriffsarbeit, um zu verstehen, wie in hoch entwickelten Kapitalismen mit Hardware (Apple), Werbeflächen (Google, Facebook) oder der Vermietung von Infrastruktur (Amazon Web Services) Geld verdient wird. All dies geschieht auf Märkten, deren Funktionen bekannt sind. Dass Unternehmen jedoch darauf zielen, mit diesen Märkten deckungsgleich zu werden, stellt eine Bewegung dar, die höchstens gewisse Ähnlichkeiten zu früh- bzw. »proto-kapitalistischen« (Kocka 2017) Stadien aufweist, etwa den staatlich garantierten Handelsmonopolen des Merkantilismus (mehr dazu in Kapitel 7).

Mein Kernargument in diesem Buch lautet, dass das Umschlagen klassischer Monopolstrategien in die Logik proprietärer Märkte erstens systematisch kaum verstanden ist, zweitens den analytischen Kern einer Bewegung ausmacht, die zahlreiche diffuse Phänomene versammelt, die landläufig unter dem Begriff der Digitalisierung verhandelt werden, und dass drittens am Ende dieser Bewegung mit Fug und Recht von einem digitalen Kapitalismus als dominierendem Produktionsmodell zu sprechen wäre.

Von Wintel zu Gafa

Das Modell proprietärer Märkte stellt, wie ich in Kapitel 4 ausführlich zeigen werde, auch in der Geschichte des IKT-Sektors eine qualitativ neue Entwicklung dar. Der Gafa-Komplex unterscheidet sich beispielsweise systematisch vom ersten Quasimonopol der digitalen Ära, dem Duo Microsoft und Intel.

Als sich Ende der achtziger Jahre Microsofts Windows als Standardbetriebssystem des PC-Zeitalters herausmendelte und das Unternehmen gleichzeitig eine systematische Partnerschaft mit dem Chip-Hersteller Intel einging, begann die Dominanz von Wintel über den PC-Markt. Von nun an konnte das Duo den Hardware-Produzenten relativ strenge Vorschriften machen: ohne verbauten Intel-Chip kein gut laufendes Betriebssystem, ohne Windows-Kompatibilität keine nachgefragten Intel-Chips. Wintel wurde, unter anderem in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, Preiskontrolle gegenüber den Hardware-Produzenten vorgeworfen, wobei gegen beide Unternehmen mehrmals Strafzahlungen in Rekordhöhe verhängt wurden (Wilkens 2004; Europäische Kommission 2006; 2009; Spiegel online 2008; N. ‌N. 2013). In dieser Hinsicht steht bereits am Take-off-Point der digitalen Ökonomie eine gewisse Form der Marktkontrolle. Diese war im Wintel-Modell allerdings auf den PC-Bereich beschränkt. Seine Marktmacht ermöglichte es Wintel dabei, einen vergleichsweise hohen Anteil an den im PC-Markt auflaufenden Profiten für sich zu reklamieren.

Wintel war damit gleichzeitig »größer« und »kleiner« als die Konzerne des Gafa-Komplexes: Werden Leitunternehmen des kommerziellen Internets heute als Monopole bezeichnet, wird häufig übersehen, dass ihre Fähigkeit zur Preissetzung durch die Kontrolle relevanter Teilmärkte in der Regel wesentlich unvollständiger durchgesetzt ist als dies für Wintel im PC-Markt galt. Nur in bestimmten Teilmärkten haben wir es heute wirklich mit Monopolen zu tun: Google etwa hat mit einem globalen Marktanteil von rund neunzig Prozent im Januar 2019 ein Quasimonopol auf die Internetsuche, Facebook mit einem globalen Marktanteil von knapp siebzig Prozent bei den sozialen Netzwerken (Statcounter 2019c, 2019b). Betrachten wir jedoch Fragen der Preiskontrolle, zeigt sich, dass die zwei Unternehmen in Bezug auf Anbieter, die auf ihren Seiten präsent sein wollen, in einem direkten duopolistischen Wettbewerb auf dem Markt für Onlinewerbung stehen, wo nach wie vor 85 (Google) bzw. 99 Prozent (Facebook) der Einkünfte erwirtschaftet werden.[12]  Auch Amazon hält kein klares Monopol, wie es Wintel bis heute im PC-Markt hat. Das Unternehmen hat zwar in vielen Ländern (insbesondere in Nordamerika und Westeuropa) einen erklecklichen Anteil am E-Commerce-Markt; in den USA lag er Mitte 2018 schätzungsweise bei 49 Prozent; in Deutschland kam der Versandhandelsriese 2017 auf etwa 46, in Frankreich auf knapp 19 und im Vereinigten Königreich 2018 auf 31 Prozent (Thomas/Reagan 2018; HDE 2018; Bosteels 2018; Coresight 2019). Diese Zahlen verdeutlichen jedoch zum einen, dass Amazon nirgends einen Anteil von über fünfzig Prozent an den Umsätzen hat – auch wenn es häufig mit keiner Plattform im Wettbewerb steht, die über ein ähnlich umfassendes Angebot verfügt. Zum anderen ist Amazon gerade in Wachstumsmärkten dem teilweise extremen Wettbewerb von Firmen wie Alibaba (China) oder Flipkart (Indien) ausgesetzt. Auch Apple hat zwar einen signifikanten Anteil am globalen Hardware-Markt, steht aber keineswegs außerhalb von Konkurrenzverhältnissen.

Auf der anderen Seite war Wintel aber eben auf einen spezifischen Teil des IKT-Sektors beschränkt und von den Größenordnungen der Gafa-Gruppe weit entfernt. So machen – Stand Oktober 2017 – die Gafa-Unternehmen zusammen heute dreimal so viel Umsatz wie das Wintel-Duo (Evans 2017). Vergleicht man die Unternehmensgruppen gar zu deren jeweiligen Hochzeiten (2001 für Wintel, 2016 für Gafa), verzeichnen die Gafa-Unternehmen gar 10-mal so viel Umsatz (ebd.). Sie haben »soziotechnische Ökosysteme« (Dolata 2015) errichtet, die von einer stetig wachsenden Vielfalt des Angebots gekennzeichnet sind. Das hat Effekte für produzierende Unternehmen auf der einen und Kunden auf der anderen Seite: Gegenüber den Produzenten haben die proprietären Märkte, wie eben beschrieben, enorme Macht. Taucht eine spezifische App nicht im Google- und im IOS-App-Store auf, existiert sie im Prinzip nicht. Die Tatsache, dass mit den beiden Stores immerhin zwei Märkte vorhanden sind, schmälert die Marktmacht der beiden Unternehmen nicht wesentlich, da es sich kaum eine App leisten kann, auf die Interoperabilität zwischen beiden Systemen zu verzichten. Gleiches gilt für den Amazon-Marketplace, der für kleine und mittlere Akteure des Internetversandhandels unverzichtbar geworden ist.

In den vergangenen Jahren sind mehr und mehr Güter und Dienstleistungen in den Strudel der proprietären Märkte geraten. In der Folge haben die marktbesitzenden Unternehmen immer stärkeren Zugriff auf immer mehr Bereiche der Wertschöpfung erhalten. Wintel verdiente über Gebühr am PC-Markt. Die Gafa-Unternehmen hingegen haben längst große Teile der gesamten Ökonomie in ihre proprietären Netze integriert: von der Unterhaltungs- und Medienindustrie über Onlinespiele und Apps bis hin zu im Grunde allen Gütern des Hardware-Bereichs und des täglichen Gebrauchs. Immer neue Branchen geraten in ihren Fokus: Arbeitskraftvermittlung, Mobilitätsdienstleistungen, Lebensmitteleinzelhandel etc.

Mit Blick auf die Konsumenten besteht das übergeordnete Ziel des Aufbaus soziotechnischer Ökosysteme darin, sie systematisch an die jeweiligen proprietären Märkte zu binden. Die geschieht einerseits, indem die Notwendigkeiten, ein System zu verlassen, reduziert werden, weil alle im kommerziellen Internet verfügbaren Güter innerhalb eines Ökosystems bezogen werden können; andererseits werden die »Switching-Costs« für einen Wechsel zwischen verschiedenen Ökosystemen erhöht (Dolata 2015). In dieser Strategie verbirgt sich eine Bewegung, in der sich die Vermachtung des kommerziellen Internets bündelt: Bisher haben wir es bei den Metaplattformen größtenteils »nur« mit proprietären Marktplätzen zu tun. Passen den Konsumenten die Konditionen eines spezifischen Marktplatzes nicht, können sie im Prinzip zu einem anderen wechseln und müssen dabei in der Regel lediglich gewisse Komforteinbußen hinnehmen. Mit dem Aufbau soziotechnischer Ökosysteme ändert sich diese Logik und mit ihr auch der analytische Charakter der betreffenden Unternehmen: Sie werden für ihre User zu jener Instanz, die wir in der Regel als den Markt bezeichnen, also den universellen Ort für wirtschaftliche Transaktionen.

Nach dem Neoliberalismus: Die Privatisierung des Marktes

Der Markt als übergeordnetes Konzept der Organisation und Ordnung wirtschaftlicher Aktivitäten ist nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch zentral, wenn man versucht, sich der Gestalt einer spezifischen historischen Variante des Kapitalismus zu nähern (vgl. Aspers 2015; Fligstein/Dauter 2007). Auf den ersten Blick mag die Zentralität des Marktkonzeptes bei der Vermachtung des kommerziellen Internets wie die logische Fortsetzung der vergangenen Jahrzehnte erscheinen. Ist nicht die Ausweitung des Marktes auf immer neue Felder das entscheidende Kennzeichen jener gemeinhin als neoliberal bezeichneten Formation gewesen, die sich seit den frühen achtziger Jahren in den meisten Ökonomien der OECD-Welt durchgesetzt hat (Stichwort: Kommodifizierung)? Der Markt als politisch hergestelltes Konkurrenzverhältnis (Baccaro/Howell 2017) zwischen »nationalen Wettbewerbsstaaten« (Hirsch 1995), als Disziplinierungsinstrument für Arbeitskräfte in Betrieben (Brinkmann 2011; Sauer 2010), als Mittel zur Erschließung neuer Wachstumsfelder im Bereich der öffentlichen und privaten Daseinsfürsorge (Butterwegge/Lösch/Ptak 2017) – kein Theorem war wohl so zentral für die Reorganisation des globalen Kapitalismus seit den achtziger Jahren, wobei damit freilich noch nichts über die effektive Herstellung von Verhältnissen der freien Konkurrenz im real existierenden Neoliberalismus gesagt ist.

Wer die Geschichte so erzählt, übersieht allerdings nicht nur den Umstand, dass sich die Durchsetzung von Märkten in unterschiedlichen Ländern und Institutionen auf ganz unterschiedliche Weisen und in ganz unterschiedlichen Ausmaßen vollzog (vgl. Baccaro/Howell 2017), weil – wie ein Basistheorem der Wirtschaftssoziologie lautet (vgl. Sparsam 2015) – Märkte eben immer sozial