Diskreter Maskulinismus - Eva Kreisky - E-Book

Diskreter Maskulinismus E-Book

Eva Kreisky

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Beschreibung

Der Band gibt einen einzigartigen Einblick in das Gesamtwerk von Eva Kreisky, einer Pionierin der deutschsprachigen feministischen Politikwissenschaft. Bekannt ist sie vor allem für ihre Theoretisierung von Staat und Bürokratie als »Männerbund«. Methodisch hat sie vermeintlich allgemeine und (geschlechts-)neutrale Themen und Begriffe der Politik und Politikwissenschaft konsequent auf ihre androzentrischen Verkürzungen und maskulinistischen Einschreibungen hin befragt. Eva Kreiskys Werk befasst sich zentral mit den Konjunkturen demokratischer Entwicklung, den Möglichkeiten sozialer Demokratie einerseits, ihren Gefährdungen durch Maskulinismus, Neoliberalisierung oder Staatsschwächung andererseits. Die Textauswahl des Bandes orientiert sich an der Aktualität und Relevanz ihrer Zeitdiagnosen für die Gegenwart. So hat sich Eva Kreisky schon früh Gedanken über den Zusammenhang von neoliberaler Staatsschwächung und mafioser Staatlichkeit im post-sowjetischen Russland gemacht oder über den Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa.

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Eva Kreisky

Diskreter Maskulinismus

Kritische Zeitdiagnosen

Herausgegeben von Marion LöfflerMit einem Vorwort von Birigt Sauer

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Der Band gibt einen einzigartigen Einblick in das Gesamtwerk von Eva Kreisky, einer Pionierin der deutschsprachigen feministischen Politikwissenschaft. Bekannt ist sie vor allem für ihre Theoretisierung von Staat und Bürokratie als »Männerbund«. Methodisch hat sie vermeintlich allgemeine und (geschlechts-)neutrale Themen und Begriffe der Politik und Politikwissenschaft konsequent auf ihre androzentrischen Verkürzungen und maskulinistischen Einschreibungen hin befragt. Eva Kreiskys Werk befasst sich zentral mit den Konjunkturen demokratischer Entwicklung, den Möglichkeiten sozialer Demokratie einerseits, ihren Gefährdungen durch Maskulinismus, Neoliberalisierung oder Staatsschwächung andererseits. Die Textauswahl des Bandes orientiert sich an der Aktualität und Relevanz ihrer Zeitdiagnosen für die Gegenwart. So hat sich Eva Kreisky schon früh Gedanken über den Zusammenhang von neoliberaler Staatsschwächung und mafioser Staatlichkeit im post-sowjetischen Russland gemacht oder über den Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa.

Vita

Marion Löffler, Dr. phil., ist Politikwissenschafterin und Privatdozentin an der Universität Wien. In Forschung und Lehre befasst sie sich auf theoretischer und empirischer Ebene mit Transformationen von Parlamentarismus, Demokratie und Staatlichkeit aus der Perspektive kritischer Geschlechterforschung.Eva Kreisky ist emeritierte Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sie hat die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum maßgeblich geprägt. Bekannt wurde sie insbesondere mit ihrem kritischen Konzept des Staates als »Männerbund«.Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Staats- und Demokratietheorie, autoritärer Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Politik, Emotionen und Affekte. Sie war Mitbegründerin des AK »Politik und Geschlecht« in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.ORCID iD: 0000-0003-4857-7696

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Eva Kreiskys Werk im Kontext

Eva Kreisky: Politikwissenschafterin – Pionierin

Männerbund: Ein methodisches Prinzip – viele Themen

Textauswahl und Aufbau des Bandes

Editorische Anmerkungen

Literatur

Demokratisierung – Entdemokratisierung?

Neoliberalismus, Entdemokratisierung und Geschlecht: Anmerkungen zu aktuellen Entwicklungen demokratischer Öffentlichkeit

Relevanz demokratietheoretischer Fragestellungen

Liberalismus und Demokratie: ein durchaus fragwürdiges Verhältnis

Demokratie und Feminismus im Bündnis?

Demokratie ohne Frauen?

Die 1970er Jahre: lediglich ein »Augenblick der Demokratie«?

Demokratierückbau im Zeichen neoliberaler Beschränkungen

Literatur

»Man hält die Demokratie nur am Leben, indem man sie in Bewegung hält«: Bruno Kreisky und die neuen politischen Bewegungen

Eine Vorbemerkung

Bruno Kreiskys – weites und zugleich doch auch wieder enges – Verständnis von Demokratie

Die »Ära Kreisky«: Politik in neuer Bewegung

Die »Ära Kreisky«: Politik von, mit und für Frauen

Literatur

Die politische Moderne als Projekt der Fragmentierung: Demokratie und Rechtsstaat in Geschlechterperspektive

Vorbemerkung

Der Problemknoten aktueller Demokratie

Das komplizierte Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie

Die paradigmatische Wende: vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat

Der Rückbau des Sozialstaates: neoliberale Renaissance des Rechtsstaates?

Formalismus statt Moralismus

Demokratie als Hochsicherheitstrakt: Die besondere Affinität von Rechts- und Sicherheitsstaat

Fazit

Literatur

Männerbund und Bürokratie

Der Staat als »Männerbund«: Der Versuch einer feministischen Staatssicht

Literatur

Bürokratie als Kultur? Über den Bürokraten in uns und neben uns

1.

Der Begriff »bürokratische Kultur« – provozierend, unsinnig oder brauchbar?

2.

Die bürokratische Kultur ist eine Kultur der Fiktionen

3.

Jede Bürokratie verfügt über die ihr entsprechenden Untertanen

4.

Die bürokratische Kultur ist eine Kultur der Ordnung

5.

Die bürokratische Kultur ist eine Kultur der Angst

6.

Die bürokratische Kultur ist eine Geheimkultur

7.

Die bürokratische Kultur ist eine Juristenkultur

8.

Die bürokratische Kultur ist eine änderungsfeindliche Kultur

9.

Die bürokratische Kultur ist eine männliche Kultur

Literatur

Bürokratisierung der Frauen: Feminisierung der Bürokratie

1.

Frauen und Bürokratie – eine gestörte Beziehung

2.

Der Staat als männliche Interessenskonstellation

3.

Feministische Thematisierung des Staates im Verzug

4.

Die »Totalisierung« des Bürokratiephänomens

5.

Was kann Feminisierung der Bürokratie bedeuten?

5.1.

Zur »Feminisierung« der öffentlichen Verwaltung in Österreich

5.2

Wachsende Bürokratisierung bewirkt eine »Feminisierung« der öffentlichen Sphäre

6.

Resümee

Literatur

Aspekte der Dialektik von Politik und Geschlecht: Plädoyer gegen »geschlechtshalbierte Wahrheiten und Blickrichtungen« in der Politikwissenschaft

Vorbemerkung

Der erste Schritt: Feministische Kritik am Androzentrismus der Politikwissenschaft

Ein Komplement zur Policy-Forschung: Politikwissenschaftliche Frauenforschung

Ein tiefliegendes Problem der Politikwissenschaft: Das verdrängte Geschlecht

Der konzeptuelle Riss zwischen Öffentlichkeit und Privatheit: Eine dauerhafte Geschlechterfalle der Politikwissenschaft

Am speziellen Beispiel: Die Geschlechtsblindheit üblicher Staatstheorien

Staatstheorie und feministische Kritikansätze

Methodische Konsequenzen für eine geschlechterbezogene Staatsanalyse

Schlussbemerkungen

Literatur

Maskulinismus und männliche Lebenswelten

Diskreter Maskulinismus: Über geschlechtsneutralen Schein politischer Idole, politischer Ideale und politischer Institutionen

Maskuline Politik und brüderliche Politikwissenschaft. Enttarnung als Methode der Geschlechterkritik

Moderne Männlichkeit: soziales und politisches Artefakt

Männliche Metaphern in politischer Theorie und politischer Praxis: Was man nicht sagen soll, das deutet man zumindest in Bildern an

Die Idee der Brüderlichkeit als Verbilderung demokratischer Zielwerte

Der männliche Habitus der Politik: Anleihen aus der militärischen und sportlichen Sphäre

Eine Analyse der politischen Bilder käme einer Analyse verdrängter, unsichtbar gehaltener Wirklichkeiten gleich

Die Einkapselung von Männlichkeit in politische Leadership-Ideale

Politisch institutionalisierte Männlichkeit: der genuine Gegenstandsbereich der Politikwissenschaft

Der Körper Militär: eine politische Synthese aus Männerkörpern

1.

Militarisierung der Männlichkeit

2.

Ent-Heroisierung kriegerischer Männlichkeit

3.

Politische Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes soldatisches Verhalten

Partisanen: ein politologischer Abgesang auf die letzten Heroen der Politik

Frei nach Max Weber: »Politik als Männerberuf«

Schlussbemerkung

Literatur

Fußball als männliche Weltsicht: Thesen aus Sicht der Geschlechterforschung

Zwischen »wahrer« Männlichkeit und »Ware« Männlichkeit

Vom wilden Volksspiel zum regulierten Männerspiel

Augenmerk für Androzentrismus in der Fußballforschung

Männlichkeit als Idee und Struktur – Analytische Dimensionen von Männlichkeit

Die maskuline Sprache des Fußballs

Das Stadion als männerbündische Bastion – Die Arena als Eventzone für neuartige Weltmännlichkeit in Damenbegleitung

Literatur

Demokratie, Markt und Geschlecht: Die maskuline Welt des Joseph A. Schumpeter

Schumpeters Relevanz in einer Ära neoliberaler Globalisierung

Joseph A. Schumpeter: ein »kultivierter Konservativer«

Joseph A. Schumpeter: Bonvivant und »Frauenheld«

»Herrische« Akzente in Schumpeters Gedankenwelt

Der Unternehmer als politisches Subjekt der wirtschaftlichen Entwicklung

Die Familie als Hort männlicher Bürgerlichkeit

Der Krieger als historisch überkommene Figur

Der Wissenschafter als menschliche Maschine

Schumpeters Ressentiments

Das Geschlecht des demokratischen Marktes

Literatur

Ambivalenzen des Neoliberalismus

Politik(er)beratung als neuer Beruf: Anzeichen neoliberaler Einbindung von Politikwissenschaft

Eine demokratierelevante Differenz: Politikerberatung und Politikberatung

Ausgezehrte Demokratien: ergiebige Märkte für Politikerberatung

Konturen wissenschaftlicher Politik(er)beratung im gesellschaftlichen Wandel

Tendenzen wissenschaftlicher Politikberatung in Österreich seit den 1970er Jahren

Wissensgesellschaft als neoliberale Losung

Politik(er)beratung als praktizierte Politikwissenschaft?

Feministische Politikberatung: eine Quadratur des Kreises?

Politik(er)beratung im Sold des Neoliberalismus?

Neue Beratermacht: Indizien zur Informalisierung von Demokratie

Politikwissenschaft und Politikberatung: Traum und Wirklichkeit

Literatur

Mafiose Staatlichkeit. Durchstaatete Mafia: Aspekte post-sowjetischer Transformationen des Staatlichen

Im toten Winkel der Politikwissenschaft. Die Problemstellung

Das Staatliche im Mafiosen. Das Mafiose im Staatlichen

Vom sizilianischen Narrativ zur sozialwissenschaftlichen Kategorie

Von Banden zum Staat und vice versa: einige theoretische Prämissen

Die »russische Mafia«: ein Produkt von Staatsverfall/Staatsschwäche

Mafiose Tendenzen der Sowjetzeit

Mafiokratie der Postsowjetzeit

Strukturelle Affinitäten von Staat und Mafia

Das Mafiose als Normalität des neoliberalen Kapitalismus

Literatur

In Konvergenz der Interessen: Neoliberale Praktiken und rechtspopulistische Regulierung sozialen Protestes

Anlassfall Österreich

Extremes Österreich? Anmerkungen zur Austrifizierung eines europäischen Trends zu radikalem Rechtspopulismus

Anmerkungen zur These vom angeblichen »Scheitern« des Rechtspopulismus in Deutschland

Österreichische Besonderheiten als »Kapital« rechtspopulistischen Erfolges

Vorläufiges Fazit der blau-schwarzen Wende in Österreich

Rechtspopulismus als konzeptuelles Problem

Neoliberalismus und Rechtspopulismus als Komplementärstrategien

Resümee

Literatur

Anhang

Textnachweise

Demokratisierung – Entdemokratisierung?

Männerbund und Bürokratie

Maskulinismus und männliche Lebenswelten

Ambivalenzen des Neoliberalismus

Über die Autorin

Vorwort

Eva Kreisky hat sich Zeit ihres akademischen Lebens mit dem Staat, der Bürokratie und deren sozialer und ökonomischer Verankerung beschäftigt. Österreich bot ihr dafür geeignetes Anschauungsmaterial, ein Land mit einer traditionell starken Bürokratie, die auch im demokratischen Staat ein Eigenleben führte und sich gegen Geschlechterdemokratisierung lange erfolgreich wehrte. Die Stärke des männlichen Staates ergab sich aus der Kooperation staatlicher Akteure im Rahmen der österreichischen Sozialpartnerschaft mit männlichen Machtbastionen wie Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften sowie mit maskulinistischen Organisationen wie dem Cartellverband, dem Dachverband katholischer Studentenverbindungen.

Bis zum Erscheinen von Eva Kreiskys Studie über die Männerlastigkeit der österreichischen Verwaltung gab es kein Bewusstsein für Frauenausschluss. Eva Kreisky kommentierte dies einmal so, dass es zwar genaue Statistiken über Obstbäume und Nutztiere in Österreich gebe, aber keine über Frauenanteile in der öffentlichen Verwaltung. Eva Kreiskys vielzitierte wissenschaftliche Diagnose vom »Staat als Männerbund« konnte zu dieser Zeit wohl am besten in Österreich gestellt und theoretisch entwickelt werden.

Wissenschaft – und insbesondere Politikwissenschaft – war für Eva Kreisky immer politisch. Dies war ihrer Verankerung in der österreichischen Frauenbewegung geschuldet, vor allem in der damals sogenannten »Dritte-Welt-Bewegung«. Doch auch ihre Forschung über Österreich sollte politisch wirksam werden: Ihre geschlechtersensible Analyse der österreichischen Bürokratie war ausschlaggebend dafür, dass das österreichische Gleichbehandlungsgesetz 1979 in Kraft treten konnte.

Eva Kreiskys politisches und akademisches Engagement war geprägt von der sozialdemokratischen Aufbruchstimmung und Modernisierung seit dem Beginn der 1970er Jahre. Nicht zuletzt dadurch entwickelte sie eine gesellschaftstheoretische Vorstellung von Demokratie und Demokratisierung. Staatliche und demokratische Institutionen sind in gesellschaftlichen Verhältnissen verortet, sie bilden den Zustand von Ökonomie und Gesellschaft ab. Ein traditionelles Frauenbild, die geschlechtsspezifische hierarchische und Frauen benachteiligende kapitalistische Arbeitsteilung braucht gleichsam Frauendiskriminierung und -ausschluss. Die liberale Demokratie erschien ihr daher stets als unvollkommen – wie freilich auch die realsozialistischen Volksdemokratien. Doch ihre politischen Erfahrungen und daraus gespeisten theoretischen Zugänge machten sie zuversichtlich darin, dass soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliches Engagement Herrschaftsverhältnisse transformieren und geschlechtergerechter gestalten können.

Freilich gab sich Eva Kreisky keinen Illusionen hin. Ihre scharfsinnigen Analysen der Programmatik, der Akteure und Netzwerke des neoliberalen Kapitalismus zeigten, dass diese Gleichheit und Gleichstellung nur reduziert zulassen wollten, nur dann, wenn es der neoliberalen Kapitalmaximierung diente. Und Eva Kreisky war sich bewusst, dass Maskulinismus – den sie als »übersteigerte Männlichkeit« definierte – vielfältig abgesichert ist: nicht nur in Marktideologien, wie ihre Auseinandersetzung mit Joseph A. Schumpeter herausarbeitete, sondern auch in gesellschaftlichen Sphären wie dem Sport und hier speziell dem Fußball.

Die Stärke ihrer Analysen ist nicht nur, einleuchtende und eingängige Begrifflichkeiten und Metaphern zu finden, sondern auch gesellschaftliche und politische Verhältnisse in ihrer Ambivalenz und Widersprüchlichkeit zu betrachten. Es ist nicht immer alles so, wie es prima vista scheint, es bedarf sorgfältiger Begriffsarbeit, ja Begriffsarchäologie, um die Vielschichtigkeit herrschaftlicher Verhältnisse verstehen und damit auch verändern zu können. Diese Begriffsschärfe wollte Eva Kreisky auch in der universitären Lehre vermitteln. Theoriearbeit wurde zu einem wichtigen Strang ihrer akademischen Tätigkeit. Die vorliegende Zusammenstellung ausgewählter Texte von Eva Kreisky über 25 Jahre hinweg soll genau dies ermöglichen: Material, Gedanken, Theorien und Ansätze auch für die akademische Lehre zur Verfügung zu stellen. Eva Kreisky war eine der Pionierinnen der deutschsprachigen geschlechterkritischen Politikwissenschaft. Ihre Texte sind noch immer aktuell – auch kritisierbar; aber genau das war immer das Anliegen von Eva Kreiskys akademischer Arbeit: Keine Ruhe geben, immer kritisieren – nur so kann sich etwas verändern.

Birgit Sauer, Wien im Juni 2024

Einleitung: Eva Kreiskys Werk im Kontext

Eva Kreisky kann mit Fug und Recht in die Reihe der Pionierinnen der deutschsprachigen feministischen Politikwissenschaft gestellt werden. Es ist vor allem ihre Konzeption von Staat und Bürokratie als »Männerbund«, die sie dazu macht. Diese zentrale Erkenntnis und Kritik am vermeintlich demokratischen Staat wird jedoch meist nur oberflächlich anhand weniger Textauszüge rezipiert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Großteil der Originalpublikationen zum Männerbund heute nur noch schwer zugänglich ist. Manche Bücher mit Beiträgen von Eva Kreisky sind mittlerweile vergriffen, viele ihrer Zeitschriftenartikel wurden nie digitalisiert und einige ihrer Texte aus Zeitgründen gar nicht publiziert. Die hier vorliegende Textsammlung versteht sich als Versuch, einen Einblick in Eva Kreiskys Werk zu ermöglichen. Im Zentrum dieses Buches stehen daher Texte, die die Produktivität ihrer Männerbund-Theorie als Forschungsprogramm aufzeigen und nachvollziehbar machen.

Die zunächst provokante Diagnose »Männerbund« entstand im Kontext langjähriger empirischer Forschungsarbeit zur österreichischen Verwaltung, die Eva Kreisky mit ihrem Team am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien durchgeführt hat. Sie bildet aber nicht das finale Ergebnis ihrer Forschung. Vielmehr ist sie als kritische Zeitdiagnose zu werten, die eine Antwort auf die Frage nach Blockaden für eine demokratische Verwaltungsreform im Österreich der 1980er Jahre zu geben vermochte. Sie ist zugleich der Anstoß zur Erarbeitung theoretisch fundierter Methoden zur Staats- und Politikanalyse. Diese »feministische Institutionenarchäologie« ermöglicht das systematische Hinterfragen scheinbarer Geschlechtsneutralität und das Freilegen des Männlichen in der Politik ebenso wie in der Politikwissenschaft. Das betrifft auch den Malestream vermeintlich kritischer Forschungsliteratur, der aufgrund seiner Geschlechtsblindheit zentrale Kritikpunkte verfehlt.

Eva Kreiskys archäologisches Verfahren zielt auf das Freilegen und Benennen androzentrischer Verkürzungen und maskulinistischer Einschreibungen in Politik, die sich wie Sedimente in den politischen Institutionen festgesetzt haben. Ziel ihrer feministischen archäologischen Praxis ist es, die verkrusteten demokratischen Institutionen einer Demokratisierung zugänglich zu machen, nicht jedoch sie abzuschaffen. »Diskreter Maskulinismus« bezeichnet dann nicht nur einen Männerbund light oder ein loses Männerbundsyndrom, das demokratische Staatlichkeit blockiert, sondern erklärt auch die Formierung anti-demokratischer Widerstandspraktiken gegen feministische Erfolge. Diskreter Maskulinismus basiert auf einer ideologischen Überhöhung von Männlichkeitswerten, die sich aus der Konstruktion binärer hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit speisen und sich dabei auf vermeintlichen Alltagsverstand berufen können. Historisch gründen maskulinistische Überlegenheitsfantasien in männerbündisch organisierten Institutionen wie dem Militärdienst, der lange Zeit nur von männlichen Staatsbürgern geleistet werden musste, weiblichen hingegen verboten war, und sie reproduzieren sich in scheinbar zufällig männlich dominierten Aktivitäten wie dem Männerfußball. Diskret ist Maskulinismus, weil männliche Überlegenheit offiziell kaum noch propagiert wird. Er wirkt aber fort in subtilen Praktiken wie z.B. einem reflexartigen Schulterschluss zwischen einander fremden Männern in Debatten um Privilegien weißer Männer oder Zwischenrufe im Parlament, die Politikerinnen auf ihren Platz verweisen (vgl. Löffler 2018). Maskulinismus wirkt also diskret, aber deshalb nicht weniger schädlich für die Demokratie. Eva Kreiskys kritische Zeitdiagnosen sensibilisieren für solche und ähnliche Phänomene und problematisieren Tendenzen von Remaskulinisierung und demokratischem Rückbau.

Im Folgenden soll zunächst ein Blick auf Eva Kreiskys Leben und Werk geworfen werden, um die Entwicklung ihres Forschungsprogramms zu kontextualisieren. Sodann wird der Männerbund als methodisches Prinzip verdeutlicht und schließlich die Textauswahl und ‑zusammenstellung dieses Bandes erläutert.

Eva Kreisky: Politikwissenschafterin – Pionierin

Der Weg von Eva Kreisky (geb. Zgraja) zur Politikwissenschaft war nicht geradlinig. Sie hatte nach ihrer Reifeprüfung 1963 zunächst ein Studium der Versicherungsmathematik und moderner Rechentechniken an der Technischen Hochschule in Wien begonnen, ehe sie zur Rechtswissenschaft an die Universität Wien wechselte. Die maskulinistische Atmosphäre an der Technik hatte sie trotz Begabung quasi vertrieben. Die Rechtswissenschaft als Normwissenschaft erwies sich jedoch als ungeeignet, um die politische Realität zu erfassen, so dass sie sich 1969 zusätzlich in Politikwissenschaft und Pädagogik einschrieb. Nach Abschluss des Rechtswissenschaftsstudiums absolvierte sie eine post-graduale Ausbildung in Politikwissenschaft am IHS in Wien1 (1970–1972), wo sie anschließend zunächst als wissenschaftliche Assistentin, dann als Leiterin der Abteilung Politikwissenschaft (1979–1989) tätig war. Obwohl sie eher zur zweiten Generation von Politikwissenschafter:innen in Österreich zählt, ist Eva Kreisky somit eine Politikwissenschafterin der ersten Stunde und trug zu deren Aufbau und Institutionalisierung in Österreich bei. Sie war seit ihrer Gründung 1970 in der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW) aktiv als Generalsekretärin (1972–1974) ebenso wie als Vorsitzende (1982–1984) und anschließend bis 1988 als Vertreterin Österreichs bei der International Political Science Association (IPSA). Sie war an der Gründung der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP) 1972 beteiligt und zunächst im Herausgeber:innenkomitee dann als Redakteurin (1974–1976) aktiv.

Eva Kreisky war seit 1971 mit Peter Kreisky, dem Sohn des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky, verheiratet und wurde 1978 Mutter eines Sohnes. Ihr berufliches und politisches Engagement kam dadurch nicht ins Stocken. Als Expertin für Verwaltungsreformprobleme und Frauenpolitik führte sie am IHS Studien zur Verwaltungsreform durch, insbesondere zur Demokratisierung der Sozialstaatsadministration, und war daher seit 1981 auch in einigen Beiräten und Expert:innenkomitees im Bundeskanzleramt, im Ministerium für Soziales und Arbeit sowie im Ministerium für allgemeine Frauenangelegenheiten tätig. Wie viele Feministinnen der Zeit sah auch sie in der sozialdemokratischen Alleinregierung eine Chance für mehr (Basis-)Demokratie und mehr Frauen in Politik und Staat. Doch trotz frauenpolitischer Fortschritte und der Demokratisierung gesellschaftlicher Bereiche wie etwa der Hochschulen erwiesen sich Bruno Kreisky und die SPÖ als wenig offen für basisdemokratische Partizipation und waren mit den Neuen Sozialen Bewegungen und deren Protestformen tendenziell überfordert. Eva Kreiskys ambivalente Bilanz der Kreisky-Ära von 1998 ist Teil dieser Publikation.

Eva Kreisky war Vorsitzende des Österreichischen Informationsdienstes für Entwicklungspolitik (1986–1995), publizierte regelmäßig in dessen Zeitschrift EPN (Entwicklungspolitische Nachrichten) und beteiligte sich an einer (auch vor Ort durchgeführten) Evaluierung eines Projekts der Frauen*solidarität zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Arbeiterinnen in der Blumenindustrie in Kolumbien (Feiler/Lunacek/Kreisky 1986). Ihr frauenpolitisches Engagement zeigte sich auch in ihrer Mitgliedschaft im Komitee für den Status der Frau der österreichischen UNESCO-Kommission (1987–1989) oder als Mitglied des Beirats des Österreichischen Nationalkomitees für die Internationale Frauenkonferenz in Beijing (1993–1995). Als sie 1987 mit ihrer zweibändigen Habilitationsschrift »Bürokratie und Politik« (Kreisky 1986) die Venia für das Fach Politikwissenschaft an der Universität Wien erhielt, wurde zu ihrem Ärger der Vorschlag diskutiert, ihre Venia auf »politikwissenschaftliche Frauenforschung« einzuschränken, weil sie im zweiten Band unter anderem die Konsequenzen für Frauen in der Bürokratie diskutiert und ein Seminar über »Politikwissenschaftliche Frauenforschung« (1986) gehalten hatte. Die Vorstellung, ein (zusätzlicher) Fokus auf politikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung minimiere ihre politikwissenschaftliche Expertise, kann nur als Maskulinismus in der Politikwissenschaft gedeutet werden. Nach ihrem beruflichen Wechsel an die Universität arbeitete Eva Kreisky solche Erfahrungen mit maskuliner Abwehr wissenschaftlich auf. Im Zuge dieser Aufarbeitung entstanden einige grundlegende Einführungen in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung (vgl. Kreisky/Sauer 1995; Kreisky/Sauer 1997). Auch hier kann von Pionierarbeit gesprochen werden.

Ihre universitäre Laufbahn begann Eva Kreisky zunächst als Professorin für »Politikwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Frauenforschung« am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin (1989–1993). Danach wurde sie Gastprofessorin und schließlich ordentliche Professorin für »Politische Theorie und Ideengeschichte« am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 2012 tätig war. Mit dem Wechsel an die Universität verlagerte sich auch ihr politisches Engagement hin zu Lehre und Hochschulpolitik. Sie war Institutsvorständin (1995–2004) und Vizedekanin (1996–1999 und 2004–2012), sie baute ein neues sozialwissenschaftliches Doktoratsstudium mit auf und agierte als Vorsitzende der Studienkommission (2000–2004), und sie war Universitätsrätin an der Universität Innsbruck (2007–2012). Dabei war ihr Start an der Universität Wien nicht gerade »barrierefrei«.

Als 1991 die Professur für Theorie vakant wurde, bewarb sie sich, nicht zuletzt, um das mühsame Pendeln zwischen Wien und Berlin zu beenden. Erst im Oktober 1993 fanden die Hearings statt. In der Zwischenzeit war sie bereits auf dem ersten Listenplatz für eine Professur in Gießen, wollte aber aus familiären Gründen nach Wien. Von insgesamt 50 Bewerber:innen in Wien wurden zehn eingeladen, und Eva Kreisky landete ex-aequo auf dem ersten Listenplatz. Doch das Berufungsverfahren sollte länger dauern, so dass sie erst im Juni 1995 ihre Stelle antreten konnte. Den ersten Listenplatz verdankte Eva Kreisky den Stimmen der Studierenden, die sie bereits als Gastprofessorin schätzen gelernt hatten. So fand z.B. im Sommersemester 1993 das später von den Teilnehmer:innen als »legendär« bezeichnete Seminar »Carl Schmitt und seine Rezeption« statt – am Montag um 8 Uhr morgens, weil Eva Kreisky danach den Zug nach Berlin nehmen musste. Mit der Reform des Universitätsorganisationsgesetzes (UOG) 2002 wurde die demokratische Gruppenuniversität, die mittels »Gruppenparität« eine relevante Mitbestimmung der Studierenden ermöglicht hatte, zugunsten ihrer vermeintlichen Autonomie aufgegeben und die Kurie der Professor:innen aufgewertet. Eva Kreisky kritisiert diese Entwicklung als Beispiel für die (neoliberale) Unterhöhlung demokratischer Mitbestimmungsrechte auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen.2

Männerbund: Ein methodisches Prinzip – viele Themen

Eva Kreiskys Zugang zu politischer Theorie und Ideengeschichte war immer von Aktualität und politikwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse geprägt. Ihr untrügliches Gespür für die brennenden Themen der Zeit zog Studierende in ihre (stets überfüllten) Spezialvorlesungen, die immer auch kritische Zeitdiagnosen beinhalteten. Sie machte das vom männlichen Geniekult abgeschottete Fach politische Theorie und Ideengeschichte für bis dato wenig theorieaffine Studierende zugänglich, und ihr kritischer Fokus auf politische Männlichkeiten machte politikwissenschaftliche Geschlechterforschung für alle Geschlechter spannend. Politische Theorie und Gender-Forschung gehen in Eva Kreiskys Forschung und Lehre eine ungezwungene und notwendige Verbindung ein.

Im Unterricht wie in der Betreuung von Abschlussarbeiten beharrte sie auf kritischer Begriffsarbeit, um zu reflektieren, welche Bedeutungsdimensionen ideenhistorisch und aktuell in einem Begriff eingekapselt sind, bevor er für die eigene Argumentation oder Analyse verwendet wird (vgl. Falter u.a. 2009). Denn »[a]llen Begriffen sind Bilder sozialer und politischer Erfahrung eingeschrieben, die zwangsläufig immer auch geschlechtsspezifische Erfahrungen sind«, so Eva Kreisky (1997: 178 – Beitrag in diesem Band). Diese Maximen kritischer Begriffsarbeit prägen auch ihre Lehre und Forschung. So sind einige ihrer Themen ohne ideenhistorische und institutionelle Begriffsarchäologie und -kritik kaum vorstellbar. Das gilt für die »Politische Institutionalisierung von Männlichkeit« ebenso wie für »Neoliberalismus, Staat und Geschlecht« oder für »Mafiastaat und Staatsmafia«, so einige der Titel ihrer Vorlesungen. Denn ohne kritische Begriffsarbeit kann Männlichkeit kaum mit politischer Institutionalisierung in Verbindung gebracht werden, verkommt Neoliberalismus zur Worthülse und werden Mafia oder gar Staatsmafia zu politischen Kampfbegriffen.

Ihre Sensibilisierung für den wissenschaftlichen Sprachgebrauch umfasst auch den Einsatz von Metaphern in politischer und politikwissenschaftlicher Sprache, was Eva Kreiskys Forschung anschlussfähig macht zu Literaturstudien. Vor allem Bürokratie ist ein wiederkehrendes Thema der österreichischen Literatur (Zelger 2009), die ihrerseits die Forschung anregen kann. So hat Eva Kreisky teils im Co-Teaching Seminare zum Verhältnis von Literatur und Politik gehalten wie »Max Weber und Franz Kafka«, »Das Politische bei Ingeborg Bachmann« oder unser gemeinsames Seminar zu »Städte/Metropolen in der fiktionalen Literatur«, aber auch zu Drama, Film und Fernsehen wie z.B. das gemeinsam mit Birgit Sauer abgehaltene Seminar »Der Tatort: Bilder vom Staat im Fernsehen«, mit Hilde Haider »Familiendrama/Drama Familie« oder »Spekulation und Börse im Spielfilm«. Ihre ideenhistorischen Seminare, die sie zum Teil mit Johannes Pollak abhielt, hat sie mit Exkursionen an die Originalschauplätze der Entstehung verknüpft, nach Florenz, um Niccolò Machiavelli und die Kunst zu studieren, nach England und Schottland, um die politische Theorie zur Zeit der Industriellen Revolution anschaulich zu machen. Aber auch aktuelle Themen wie das Verhältnis von Politischer Religion und Zivilgesellschaft in der Türkei diskutierte sie 1999 mit den Studierenden vor Ort.

Ihre Themenvielfalt, die sich in einer Unzahl verschiedener Abschlussarbeiten niedergeschlagen hat, erscheint in dieser Aufzählung beliebig, folgt aber einem methodischen Prinzip: Eva Kreisky hat mit ihrem archäologischen Verfahren das Männerbündische rekonstruiert und dem mehr oder minder diskreten Maskulinismus in seinen politischen und gesellschaftlichen Verzweigungen nachgespürt. Denn sollen die demokratischen Blockaden gelöst oder gar überwunden werden, dann müssen sie nicht nur im Staatsapparat, sondern auf allen Ebenen und in allen Feldern der Gesellschaft aufgespürt und benannt werden. Wie erwähnt, gilt dies auch für die Hochschulen und somit unmittelbar für Eva Kreisky als Universitätsprofessorin selbst. Sie wollte nie eine »Schule« gründen, zumal der Professor, der seine Schüler3 um sich schart und sich mittels Zitierkartellen in den Zitationsrankings an die Spitze katapultiert, eine zentrale Figur der neoliberalen Ökonomisierung und Entdemokratisierung der Hochschulen ist. Daher hat sich Eva Kreisky offen gezeigt gegenüber (fast) allen Themen, mit denen Studierende zu ihr kamen.

Dennoch, so meine These, macht ihr methodisches Prinzip eine Art von Schule kenntlich, die es ermöglicht, in jedem Thema das Wirken des diskreten Maskulinismus zu erkennen – aber auch das kritische Potenzial zu bergen, das sich in geschlechtsblinder Forschung verbergen kann. Dabei werden Erkenntnisse aus nicht-feministischer Forschung konsequent auf ihre Geschlechterdimensionen hin neu gedeutet und zugespitzt. Denn der Androzentrismus in der Wissenschaft macht Erkenntnisse über Männer und Männlichkeit(en) unsichtbar, weil sie als geschlechtsneutrale Forschung erscheint. So verweist z.B. der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt (1995, zit. in Kreisky 1997 – Beitrag in diesem Band) auf die »politische Entmündigung« der Soldaten in der Wehrpflichtarmee des 19. Jahrhundert, denen das Wahlrecht entzogen wurde. Eva Kreisky interpretiert dies als »politische ›Ent-Männlichung‹« mit dem Argument, dass nur Männer politische Subjekte sein konnten und sie mit dem Entzug des Wahlrechts auf »den politisch-subjektlosen Status von Frauen zurückfielen« (Kreisky 1997, 191 – Beitrag in diesem Band). Dieses konsequente Gendering politikwissenschaftlicher Forschung unterscheidet Eva Kreiskys Herangehensweise klar von klassischer Frauen*forschung, die sie polemisch als »Damenbeine-Zählen« bezeichnet (Kreisky 1991, 206 – Beitrag in diesem Band). Denn es gehe nicht darum, die kaum präsenten Frauen in der Politik sichtbar zu machen, sondern das Männliche.

Textauswahl und Aufbau des Bandes

Die hier wieder abgedruckten Texte von Eva Kreisky datieren aus den Jahren 1984 bis 2009. Jüngere Texte ab 2010 wurden nicht berücksichtigt, weil sie auch heute noch leicht zugänglich sind. Die ausgewählten Beiträge zeichnen sich durch ihre zeitdiagnostische, methodische oder konzeptuelle Originalität aus, werfen je ein Schlaglicht auf das Männerbündische in Staat und Politik und machen die thematische Vielfalt von Eva Kreiskys Forschung nachvollziehbar. Wenn wir bedenken, dass ihre Bibliografie über 200 Publikationen zählt, zuzüglich einiger unveröffentlichter Manuskripte und unvollständig gebliebener Buchprojekte, dann wird vielleicht erahnbar, dass der Auswahlprozess nicht einfach war. Da sie ihre methodischen Hinweise in ihren Texten immer wieder erklären musste, lag ein pragmatischer Fokus zunächst darauf, möglichst wenig Wiederholungen abzudrucken. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt auf Männerbund, Maskulinismus und Neoliberalismuskritik, die zwar unterschiedliche, aber zusammengehörende Konzepte bilden, mit denen kritische Zeitdiagnosen des Zustandes aktueller Demokratieentwicklung erstellt werden können. In diesem Sinne sollen die Texte nicht nur Eva Kreiskys kritische Zeitdiagnosen nachlesbar machen, sondern vor allem konzeptuelle und methodische Anregungen bieten für eigene und aktuelle Diagnosen dieser Art.

Tatsächlich war ich mir zu Beginn des Projekts nicht sicher, ob die Welt nicht schon längst eine andere geworden ist, und Eva Kreisky nichts mehr zur deren kritischer Durchdringung beitragen kann. Daher habe ich im Wintersemester 2022 ein Forschungsseminar mit dem Titel »Männerbund und Politik: Staats- und Politikanalyse nach Eva Kreisky« an der Universität Wien angeboten. Die Aufgabenstellung für die Studierenden war es, Eva Kreiskys Texte, Konzepte, methodischen Anregungen und Themen auf aktuelle Problematiken anzuwenden und gegebenenfalls mit postkolonialen, intersektionalen oder queer-feministischen Perspektiven zu ergänzen. Das Echo war enorm, und die erarbeiten Forschungsprojekte reichten von Analysen zur männerbündischen Struktur der manosphere, über Kulturen des Maskulinismus in E-Sports und online-Poker, strategische Männlichkeitsinszenierungen der Neuen Rechten bis hin zum widersprüchlichen Verhältnis von (mafiöser) Parastaatlichkeit und Emanzipation in den kurdischen Gebieten im Nordirak während des Bürgerkrieges. Das Potenzial von Eva Kreiskys Werk ist damit sicher noch nicht ausgeschöpft, was mich in der Idee bestärkt hat, ihr Werk einer breiten Leser:innenschaft (wieder) zugänglich zu machen.

Den Auftakt machen drei rezentere Texte, die unter dem Titel »Demokratisierung – Entdemokratisierung?« Eva Kreiskys zentrales Anliegen einer Demokratisierung aller Lebensbereiche ins Zentrum rücken. Zugleich sind es kritische Zeitdiagnosen, die demokratiepolitische Rückschläge ebenso problematisieren wie konzeptuelle Verengungen, die diesen Vorschub leisten. Hier macht Eva Kreisky ein feministisches Demokratieverständnis stark, das nicht in Formalismen aufgeht und die strategische Trennung von öffentlich und privat hinterfragt. Die Krisendiagnosen der Zeit wie etwa Colin Crouchs These einer »Postdemokratie« können dann zwar die neoliberale Demokratieschwächung benennen, übersehen aber die geschlechterdemokratischen Blindstellen selbst in den partizipativen Momenten westlicher Demokratieentwicklung. Der Ausbruch aus dem »zwänglerischen Anti-Pluralismus« und einer zwanghaften Konfliktvermeidung Ende der 1960er Jahre markiert für Österreich einen Moment der Demokratie, die in Bruno Kreiskys Worten nur am Leben gehalten wird, »indem man sie in Bewegung hält«. Dieser Beitrag ist eine Einschätzung der Ära Kreisky, die familiäre und persönliche Einblicke mit politikwissenschaftlicher Analyse kreuzt. Eva Kreisky zeichnet hier ein ambivalentes Bild einer zwischen Staat und Zivilgesellschaft umkämpften Demokratie und »Frauenpolitik«. Der dritte Beitrag taucht stärker in Demokratietheorie und ‑forschung ein und problematisiert das komplizierte Verhältnis von Rechtsstaat und Demokratie. Während der liberale Rechtsstaat mit seiner Abtrennung vermeintlich privater Lebenszusammenhänge fundamentale Lebens- und Überlebensinteressen ausgrenzt, werden diese im sozialen Rechtsstaat integriert, was somit einer Demokratisierung gleichkommt. Der neoliberale Rückbau des Sozialstaats macht nicht nur diese sozialpolitische Demokratisierung rückgängig, sondern hebelt durch den Ausbau des Sicherheitsstaats im Zuge des Kampfs gegen ethnisierte Bandenkriminalität und islamistischen Terrorismus auch den demokratischen Rechtsstaat aus.

Der Abschnitt »Männerbund und Bürokratie« zeichnet die Entwicklung der Männerbund-These aus der Bürokratieforschung und ihre Weiterentwicklung zu einer feministischen Staatstheorie nach. Im Oktober 1991 wurde Eva Kreisky von der ad-hoc-Gruppe »Politik und Geschlecht« in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaften (DVPW) zu einem Workshop eingeladen, der unter dem Titel »Staat aus feministischer Sicht« im Rahmen des 18. Wissenschaftlichen Kongresses der DVPW in Hannover stattfand. Der Workshop wurde zum Gründungsevent der DVPW-Sektion »Politik und Geschlecht«, und Eva Kreiskys Vortrag bildet die wohl pointierteste Fassung ihrer Männerbund-Theorie. Der darauf basierende Text besteht aus 13 Thesen zum Staat als Männerbund, die sie in ausführlicheren Texten zu männerbündischer Fundierung von Staat und Politik weiter ausbauen sollte. Eine erste Annäherung an das Thema bildet der zweite Text dieses Abschnitts »Bürokratie als Kultur« aus dem Jahr 1984. In ihren Studien zur demokratischen Verwaltungsreform sollte Demokratie sowohl im Umgang staatlicher Bürokratie mit den Bürger:innen als auch innerhalb der Verwaltung selbst verwirklicht werden. Staatliche Bürokratie und Verwaltung operieren in erster Linie mittels Verbote und Sanktionen und setzen somit auf Angst, die die Beamt:innen ebenso regiert wie die Klient:innen, die in Abhängigkeit vom Sozialstaat leben. Eva Kreisky schlägt vor, die Praktiken in der Verwaltung als eine Art »politische Kultur« zu begreifen, die nicht zuletzt durch Männlichkeit geprägt ist und frauenausschließend wirkt. Auf Basis ihrer Verwaltungsanalysen sollten schließlich Frauenförderprogramme im öffentlichen Dienst und Reformvorschläge erarbeitet werden, die teilweise in die Reformen des Dienstrechtes in Österreich eingeflossen sind. Den Sozialstaat mit seiner steigenden Bürokratisierung betrachtet Eva Kreisky als ambivalent. Es geht nicht darum, ihn abzuschaffen, sondern zu demokratisieren. Denn die zunehmende Abhängigkeit vom Sozialstaat und wachsende Bürokratisierung erzeugen eine Dynamik der Unterordnung, die sie im Anschluss an Kathy Ferguson als »Feminisierung« konzipiert und im Beitrag »Bürokratisierung der Frauen – Feminisierung der Bürokratie« nachzeichnet. Den Abschluss dieses Abschnitts macht ein programmatischer Text, in dem Eva Kreisky die methodischen und theoretischen Konsequenzen ihrer Erkenntnisse darlegt.

Die Texte des Abschnitts »Maskulinismus und männliche Lebenswelten« sollen einen Einblick in die Logik der thematischen Vielfalt vermitteln, die sich aus der Perspektive auf den diskreten Maskulinismus ergibt. Der für dieses Buch titelgebende Beitrag »Diskreter Maskulinismus« kann als einer der grundlegendsten Texte von Eva Kreisky bezeichnet werden. Maskulinismus ist einer der zentralen Begriffe ihrer Arbeit. Methodisch verbindet sie mit dem Konzept eine Art von Ideologiekritik, die sie als »geschlechtsbezogene Dekonstruktionsarbeit« (Kreisky 1997, 164 – Beitrag in diesem Band) bezeichnet, in der die Männlichkeit politischer Institutionen und Ideen, aber auch die Dominanz von Männern in Politik und Staat aufgedeckt werden sollen. In Politik und Politikwissenschaft wirkt das Artefakt Männlichkeit strukturbildend wie kaum in einem anderen gesellschaftlichen Bereich (ebd., 202). Der Mainstream der Politikwissenschaft verweigere sich jedoch einer geschlechtersensiblen Selbstreflexion, wie diese in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen üblich geworden sei, und reproduziere daher in politikwissenschaftlichen Analysen, Begriffen und Theorien eine maskulinistische Politik.

In ihrem Beitrag zum »geheimen Glossar der Politikwissenschaft«, das Eva Kreisky gemeinsam mit ihrer Kollegin Birgit Sauer (damals noch Assistentin, später Professorin am Institut für Politikwissenschaft) herausgegeben hat, deckt sie den »diskreten Maskulinismus« der Politik auf, indem sie Metaphern und Bilder in Politik und politischer Theorie auf ihre männlichen Konnotationen hin befragt. Es sind hauptsächlich männliche Lebenswelten wie Militär und Sport, die als Repertoire politischer und politiktheoretischer Sprache dienen. Diese Lebenswelten bilden zugleich Ausgangspunkte für einige von Eva Kreiskys Forschungsfelder: Die Auseinandersetzung mit dem Militär führt zur kritischen Thematisierung von Neuen Kriegen als soziales Verhältnis und Krieg im 21. Jahrhundert. Weitere Forschungsfelder sollen exemplarisch anhand der beiden anderen Texte des Abschnitts vorgestellt werden: Das ist zum einen der Männerfußball. Der hier abgedruckte Text geht thesenhaft an die Verbindung von Fußball-, Politik- und Gender-Forschung heran. Nach mehreren Seminaren und Vorlesungsreihen entstand in Zusammenarbeit mit Georg Spitaler der gemeinsame Fußball-Band Arena der Männlichkeit (Kreisky/Spitaler 2006), in dem auch Beiträge ihrer damaligen Student:innen publiziert wurden. Der Text »Demokratie, Markt und Geschlecht« entstand im Kontext ihrer umfassenden Auseinandersetzung mit der Entstehung, der Durchsetzung und den Auswirkungen des Neoliberalismus. Joseph A. Schumpeter und seine »magere Demokratie« machen die typische Kombination von Neoliberalismus, Maskulinismus und Demokratieentleerung besonders greifbar. Die Auseinandersetzung mit ökonomischem Denken an der Wurzel politischer Neoliberalisierung eröffnet ein weiteres Forschungsfeld, in dessen Kontext Eva Kreisky das Forschungsprojekt »Innovation und Staat: Zur Aktualität von Joseph A. Schumpeter als Politikwissenschafter« (2003–2006) gemeinsam mit Roland Atzmüller und mir durchgeführt hat. Ein Buchprojekt zur Finanzkrise, an dem Eva Kreisky mit Andrea Bührmann gearbeitet hat, blieb leider unvollendet.

Im letzten Abschnitt »Ambivalenzen des Neoliberalismus« sind solche Texte versammelt, auf die die Bezeichnung »kritische Zeitdiagnose« am besten zutrifft. Sie befassen sich mit Zeitphänomenen, wie dem Wuchern der (kommerziellen) Beratungsbranche und ihrer Unterwanderung demokratischer Politikgestaltung, der Staatsschwächung bis hin zum Staatszerfall und dem Erstarken von Bandenkriminalität und parastaatlichen Akteuren sowie dem Phänomen des Rechtspopulismus. Alle drei Zeitphänomene weisen noch immer oder schon wieder Aktualität auf, sei es durch Debatten über die Macht von Expert:innen im Zuge der Corona-Pandemie, durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine oder dem Erstarken der AfD in Deutschland und generell rechtspopulistischer Parteien in Europa. Im Beitrag »Politik(er)beratung als Beruf« zeigt Eva Kreisky auf, dass und wie neoliberale Think Tanks aus Politikberatung ein Geschäftsmodell machen und den Raum für demokratische Debatte immer mehr einengen. Sie stellt diese Entwicklung in den Kontext der sogenannten »Wissensgesellschaft«. Die vermeintlich interesselosen Wissensarbeiter:innen im Beratungsgeschäft präsentieren das neoliberale Paradigma als entpolitisierten Sachzwang, während Fragen nach alternativen Entwicklungsmöglichkeiten nicht gestellt werden. Die westliche Beratungsindustrie erlebte nach der Implosion des Staatssozialismus 1989/1991 geradezu einen Hype, was uns zum zweiten Text des Abschnitts führt. Die teils chaotische und kriegerische Auflösung der Sowjetunion und ihre Transformation ist ein Paradebeispiel für Staatsschwächung und Staatszerfall. Doch kommt mit dem Wegfall maskulinistischer Staatlichkeit eine egalitärere politische Form? Eva Kreisky bezweifelt dies. Sie befasste sich jahrelang mit den Themen der Bandenbildung und -kriminalität, und plante sogar ein Buch unter dem Arbeitstitel: »MafiaStaat und StaatsMafia. Führen Spuren männlicher ›Wildheit‹ geradewegs zu moderner Staatlichkeit?« Die Arbeit daran stellte sie 2005 ein, doch einen Auszug der Buchskizze veröffentlichte sie kurzfristig auf ihrer Hompage unter dem Titel »Mafiose Staatlichkeit. Durchstaatete Mafia: Aspekte post-sowjetischer Transformation des Staatlichen«. Dieser Text wird hier erstmals publiziert.

Schließlich setzt sich Eva Kreisky im Text »In Konvergenz der Interessen« mit der sogenannten Schwarz-Blauen Regierung in Österreich ab 2000 auseinander, in der die FPÖ mithilfe der christlich-konservativen ÖVP in Regierungsverantwortung kam, womit ein Tabu des antifaschistischen Nachkriegskonsenses gebrochen war. Dass sich dies 2018 wiederholen sollte und derzeit wieder zur Debatte steht, macht den Text sicherlich aktuell. Doch relevanter erachte ich ihre Analyse einer Verbindung von Neoliberalismus und Rechtspopulismus, ihre differenzierte Diskussion der (rechts-)populistischen Transformation sozialdemokratischer Parteien einerseits, des bürgerlichen Lagers andererseits und schließlich ihre Infragestellung der These eines deutschen Sonderwegs in Sachen Rechtspopulismus. Schließlich scheint es so, als habe sich Eva Kreiskys Grundthese bewahrheitet, wonach sich »Neoliberalismus und Rechtspopulismus, unterschiedliche soziale Interessen anrufend, verbünden«, um einen politischen Raum zu schaffen, in dem antiegalitäre gesellschaftliche Praktiken und diktatorische Politikformen wieder legitim anmuten. »Ihre hemmungslosen, sozial aggressiven Umbaustrategien entfesseln politische und gesellschaftliche Effekte, die sie beinahe als funktionale Äquivalente von ›Bürgerkriegen‹ erscheinen lassen.« (Kreisky 2002, 62 – Beitrag in diese Band)

Es sind kontrovers geführte Diskussionen, um autoritäre Tendenzen sowie um Polarisierung und Spaltung gegenwärtiger Gesellschaften in Europa, den USA und weltweit, die eine Re-Lektüre von Eva Kreiskys Thesen sinnvoll machen. Vor allem könnte die politikwissenschaftliche Debatte um Rechtspopulismus bereichert werden, indem der kritische Blick auf diskreten und weniger diskreten Maskulinismus erweitert würde.

Editorische Anmerkungen

Eva Kreisky ist Alleinautorin aller hier abgedruckten Texte, die für diese Edition nur minimal bearbeitet wurden. Wir haben die Rechtschreibung aktualisiert und Verweise auf R.W. Connell vereinheitlicht. Unverändert blieb die Gender-Schreibweise, zumal Eva Kreisky manchmal sehr bewusst ausschließlich männliche Formen verwendet. Außerdem haben wir die Verweise auf Online-Texte geprüft und gegebenenfalls aktualisiert oder entfernt. Weitere Änderungen sowie politische Kontexte, die erklärungsbedürftig erscheinen, sind je in Fußnoten direkt im Text erläutert.

Diese Textedition wäre ohne die tatkräftige Unterstützung des Campus Verlags nicht möglich gewesen. Ich danke Judith Wilke-Primavesi, die dieses Projekt von Anfang an begleitet hat, ebenso den Herausgeberinnen der Reihe »Politik der Geschlechterverhältnisse« Ina Kerner, Cornelia Klinger, Gundula Ludwig, Andrea Maihofer und Birgit Sauer. Mein Dank gilt zudem dem Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien, das eine studentische Mitarbeiterin für Korrekturen zur Verfügung gestellt hat. Denn die meisten der Texte dieser Edition mussten erst gescannt und neu lektoriert werden. Svenja Rommerskirchen hat hierbei hervorragende Arbeit geleistet. Auch die immer prompte und zuverlässige technische Unterstützung seitens des Campus Verlags durch Julia Flechtner soll nicht unerwähnt bleiben.

Texteditionen sind immer auch ein rechtlicher Hürdenlauf. Ich möchte mich daher bei all den Verlagen bedanken, die uns ihre Einwilligung für den Wiederabdruck erteilt haben. Dieser Dank für die Publikationsrechte geht auch an Eva Kreisky selbst, die das Buchprojekt wohlwollend begleitet, die Herausgabe aber aufgrund ihres Gesundheitszustandes leider nicht selbst besorgen konnte. Umso wichtiger war und ist die moralische Unterstützung durch Freunde und Freundinnen, die sie regelmäßig besuchen, wie ihr ehemaliger Kollege Helmut Kramer. Gerade in Zeiten der Care-Krise sollen auch die Pflegekräfte nicht unerwähnt bleiben, die sich um Eva Kreisky kümmern. Jan Kreisky hat mich mit seinen Recherchen und als Hüter des Familienarchivs bei der Textauswahl tatkräftig unterstützt. Für ihre Mithilfe bei der Textauswahl und für das Vorwort bedanke ich mich herzlich bei Birgit Sauer.

Ich möchte diese Edition als Anerkennung ihrer Leistungen als Wissenschafterin, Lehrerin und Mentorin Eva Kreisky zum 80. Geburtstag widmen.

Marion Löffler, Wien im Juni 2024

Literatur

Falter, Matthias/Löffler, Marion/Schmidinger, Thomas/Schwediauer, Veronika/Stachowitsch, Saskia (Hg.) (2009), Politik begreifen. 89 Begriffe um Eva Kreiskys Leben und Forschen, Wien.

Feiler, Lizzi/Lunacek, Ulrike/Kreisky, Eva (1986), Kolumbien: Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen in der Blumenindustrie im Gebiet Sabana de Bogota. Bericht über die Evaluierung eines Entwicklungshilfeprojektes, Wien.

Kreisky, Eva (1986), Bürokratie und Politik: Beiträge zur Verwaltungskultur in Österreich, 2 Bde., Wien.

Kreisky, Eva (1991), Bürokratisierung der Frauen. Feminisierung der Bürokratie, in: Barbara Schaeffer-Hegel (Hg.), Vater Staat und seine Frauen, Bd. 2, Studien zur politischen Kultur, Pfaffenweiler, S. 193–207.

Kreisky, Eva (1997), Diskreter Maskulinismus. Über geschlechtsneutralen Schein politischer Idole, politischer Ideale und politischer Institutionen, in: Eva Kreisky und Birgit Sauer (Hg.), Das geheime Glossar der Politikwissenschaft: geschlechtskritische Inspektion der Kategorien einer Disziplin, Frankfurt a. M./New York, S. 161–213.

Kreisky, Eva (1998), »Man hält die Demokratie nur am Leben, indem man sie in Bewegung hält« Bruno Kreisky und die neuen politischen Bewegungen, in: Gertraud Dienhofer und Bruno-Kreisky-Archiv Stiftung (Hg.), Bruno Kreisky: 1911, 1970, 1983, 1990 seine Zeit und mehr: wissenschaftliche Begleitpublikation 18. September bis 15. November 1998 – Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien, S. 15–33.

Kreisky, Eva (2002), In Konvergenz der Interessen. Neoliberale Praktiken und rechtspopulistische Regulierung sozialen Protests, in: Alex Demirović und Manuela Bojadzijev (Hg.), Konjunkturen des Rassismus, Münster, S. 50–89.

Kreisky, Eva/Spitaler, Georg (Hg.) (2006), Arena der Männlichkeit: über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht, Frankfurt a. M./New York.

Kreisky, Eva/Sauer, Birgit (Hg.) (1995), Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft: Eine Einführung, Frankfurt a. M./New York.

Kreisky, Eva/Sauer, Birgit (Hg.) (1997), Das geheime Glossar der Politikwissenschaft, Frankfurt a. M./New York.

Löffler, Marion (2018), #metoo. Zur Repräsentation »sexueller Belästigung« im Nationalrat, in: Elena Messner, Eva Schörkhuber und Petra Sturm (Hg.), Warum Feiern. Beiträge zu 100 Jahren Frauenwahlrecht, Wien, S. 103–117.

Sickinger, Hubert (2004), Die Entwicklung der österreichischen Politikwissenschaft, in: Helmut Kramer (Hg.), Demokratie und Kritik – 40 Jahre Politikwissenschaft in Österreich, Frankfurt a. M. u.a., S. 27–69.

Zelger, Sabine (2009), Das ist alles viel komplizierter, Herr Sektionschef! Bürokratie – Literarische Reflexionen aus Österreich, Wien.

Demokratisierung – Entdemokratisierung?

Neoliberalismus, Entdemokratisierung und Geschlecht: Anmerkungen zu aktuellen Entwicklungen demokratischer Öffentlichkeit

Relevanz demokratietheoretischer Fragestellungen

Es scheint so, als ob gesellschaftskritisches Nachdenken über Demokratietheorie und Demokratiepolitik weitgehend der Vergangenheit angehört.4 Zwar etikettieren sich immer mehr Länder als Demokratien, aber dies verweist wohl eher auf demokratierhetorische Hülsen und formaldemokratische Regierungstechniken, denn auf reale Prozesse vorankommender gesellschaftlicher Demokratisierung. An diesem Problemknoten spätkapitalistischer Gesellschaften setzen kaum noch differenzierte Analysen an. Das aktuelle Begriffschaos um Demokratie, ihre faktische Begriffsentleerung und die permanente Abwertung demokratischer Institutionen und Verfahren lösen einen Umkehrschub demokratischer Dynamik aus, veranlassen ihren Stillstand oder initiieren gar Rückbauten von Demokratie. Woran es bei Reflexion um Demokratie zumeist mangelt, sind nicht konzeptuelle Diskurse, sondern empirische Restriktionsanalysen, die neoliberale Blockaden sozialer Demokratieentwicklung und antidemokratische Handlungspotenziale thematisieren.

Mit Nancy Fraser (1997/2001: 107) lässt sich gut gesichert einleiten, dass das »Projekt einer kritischen Theorie, die die Beschränkungen der Demokratie in spätkapitalistischen Gesellschaften beschreibt«, nichts an Relevanz eingebüßt hat. Solange liberale Demokratie »als das Nonplusultra der Gesellschaftssysteme angepriesen wird«, weist das Projekt angesichts neoliberaler Transformationen von Staat und Politik sogar »neue Dringlichkeit« auf. Seit dieser Feststellung ist zwar mehr als eine Dekade verstrichen, aber die gesellschaftspolitisch restaurativen und re-maskulinisierenden Tendenzen sind so evident, dass neue Brisanz des demokratischen Theorie- und Politikprojekts kaum anzuzweifeln ist.

Liberalismus und Demokratie: ein durchaus fragwürdiges Verhältnis

Lange Zeit wurde in westlichen Gesellschaften zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien unterschieden, was ein verengtes Demokratieverständnis erkennen lässt. Demokratie wurde mit westlichen Demokratiepraktiken kurzgeschlossen. Hingegen galten die staatssozialistischen Regime des Ostens oder manche der autoritären Regime der Dritten Welt als Nicht-Demokratien. Über rechte westliche Diktaturen oder Militärregime, die ebenfalls unter dem Banner westlicher Demokratie agierten, schwieg man gerne. Ihre antikommunistische oder antisozialistische Schlagseite verführte dazu, sie bedenkenlos als Bündnispartner westlicher Machtstrategien zu adoptieren. Auch der Demokratiebegriff wurde normativ abgespeckt und anspruchsloseren Varianten zugeführt.5

Unter dem Einfluss neokonservativer und neoliberaler US-amerikanischer Politik wird gute Demokratie »zunehmend als liberale Demokratie definiert: eine historisch kontingente Form, kein normativ wünschenswerter Zustand« (Crouch 2008: 9 f., Hervorh. i. Orig.). Demokratie in dieser Fassung reduziert sich auf formelle Wahlbeteiligung der Massen, unbeschränkte Freiheiten für Lobbyisten der Wirtschaft und begrenzte Macht der Regierung bzw. Verzicht der Politik auf Interventionen in die kapitalistisch organisierte Ökonomie (ebd.: 10, 20). Selbst die für westliche Demokratien zentrale Vorstellung von pluralistischer politischer Öffentlichkeit hat angesichts der Oligarchisierung globaler Medienmacht nachdrückliche Einbußen hinzunehmen. Die Hoffnung auf neue Kommunikationsformen (Stichwort »e-democracy«) erweist sich insofern als Trugschluss, als dadurch vor allem die Binnenkommunikation »demokratischer Eliten« gestärkt wird (Leggewie/Bieber 2003: 126).

Liberalismus und Demokratie werden als direkt verwandt angenommen, was mit der Formel liberaler Demokratie zum Ausdruck gebracht wird. Liberalismus stand und steht jedoch für verschiedene, nicht unbedingt vereinbare Absichten oder gar demokratische Motive: Zum einen repräsentierte er Ideen politischer Freiheit und bestimmte des Weiteren nötige Instrumente moderner Rechtsstaatlichkeit; zum anderen steuerte er als wirtschaftsfreiheitliche Doktrin das machtpolitische Geschehen in kapitalistischen Gesellschaften. Politischer Liberalismus strebt Freiheit zur Politik an, während Wirtschaftsliberalismus die Freiheit von Politik zum Ziel hat. Liberalismus setzt die »Autonomie des Politischen in einer sehr starken Form voraus«. Er »arbeitet mit der Annahme, dass es möglich ist, das politische Leben auch dann in einer demokratischen Form zu organisieren, wenn dies auf der Grundlage sozioökonomischer und soziosexueller Strukturen geschieht, die systemische Ungleichheiten erzeugen« (Fraser 1997/2001: 125 f.).

Wirtschaftsliberalismus, aktuell Neoliberalismus, konstituierte sich nie auf gleicher Augenhöhe, als Kompagnon politischen Freiheitsdenkens. Er verstand sich zusehends als besserer, sogar authentischer Liberalismus, der den über das vermeintlich erträgliche Maß an Gleichheit hinausschießenden politischen Liberalismus einbremsen sollte.6 Für liberale Denker und Praktiker wurde es zum Problem, »wie sie die Barrieren verstärken können, welche die politischen Institutionen, die Beziehungen der Gleichheit exemplifizieren sollen, von den ökonomischen, kulturellen und soziosexuellen Institutionen abgrenzen, die auf Beziehungen der Ungleichheit im System gegründet sind« (ebd.: 126).

Hatte im 18. und 19. Jahrhundert noch politischer Liberalismus dominiert, ist es insbesondere seit dem endenden 20. Jahrhundert der Wirtschaftsliberalismus, der sich hegemonial in Szene setzt. Er überlagert und verdrängt zunehmend auch wichtige Traditionen des politischen Liberalismus und stößt sich keineswegs nur an sozialistischen oder feministischen, in irgendeiner Weise herrschaftskritischen Positionierungen politischen Denkens. Selbst sozialdemokratische und grüne Uhren ticken allmählich mehr oder weniger neoliberal.

In verschiedenen Ländern war die Verbreitung von Liberalismus mit der Entstehung von Demokratien – als dem angemessenen Regimetyp der Moderne – eher zufällig zusammengefallen, was aber nicht heißen soll, dass er deshalb »mit der Praxis der Demokratie […] unauflöslich und unzweideutig verbunden« wäre (Schmitter 2003: 153). Liberale Rechtsstaatlichkeit und repräsentative Demokratie, was uns im gegenwärtigen Denken identisch scheint, und was höchst unduldsam heutigen Demokratienachzüglern als sofortiges und synchrones Ergebnis abverlangt wird, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie also, kamen keineswegs als Zwillinge zur Welt, vielmehr liegen selbst in westlichen Gesellschaften beinahe 200 Jahre zwischen den Zeitpunkten ihrer Genese. Die Ausformung des Typs liberaler/repräsentativer Demokratie ist darum als historische und territoriale Kontingenz einzuschätzen und kann keinesfalls als von vornherein kohärentes Vorzeige- und Erfolgsmodell westlicher Provenienz vorgeführt werden. Dies gilt es zu bedenken, wenn die Überwindung des vordemokratischen Kolonialismus oder autoritärer postkolonialer Regime etwa in Afrika anstehen oder wenn es um State- und Nation-Building im Kosovo, in Afghanistan oder im Irak geht.

Liberale Demokratie war zunächst nationalstaatlich dimensioniert und darum territorial sowie staatsbürgerlich begrenzt. Zunächst sollte es als Folge sozialer Kämpfe zu personeller Ausweitung bürgerlicher Demokratie kommen: auch Arbeiter und soziale Unterschichten und später Frauen wurden partiell integriert. Erst allmählich wird auch die Überführung repräsentativer Demokratie in eine europäisierte und globalisierte Version angedacht (EU-Verfassung, Formen von Global Governance usw.). Notwendig wird dies in Folge zunehmender transnationaler Aktivitäten, radikaler Ausdehnung der Märkte oder wegen neuer Weltordnungskriege auch jenseits der internationalen Rechtsordnung.

Der historischen Erfahrung zuwider wurde liberale Demokratie als der westliche Regimetyp fixiert. Affinität zum Liberalismus sollte Kongruenz von Demokratie mit Prinzipien wie Konstitutionalismus, Repräsentation, abgrenzbare Sphären von Öffentlichkeit und Privatheit, Zurücktreten politischer Kollektive, staatsbürgerliche Individualisierung, Vernunft und Freiwilligkeit sowie gesellschaftliche Funktionalität und Effektivität suggerieren (Schmitter 2003: 153).

Diese anarchisch gewachsene liberale Demokratie befindet sich aktuell in einem kritischen Zustand. Gleichwohl gilt es aber zu differenzieren: »[W]eniger das Prinzip Demokratie [ist] umstritten als ihre alltägliche Praxis enttäuschend« (Leggewie/Bieber 2003: 124). So erweist sich die breite, häufig mehr oder weniger lethargische Bevölkerung dem »professionellen, auf Spektakel abhebenden« Politikbetrieb zunehmend entfremdet; aber selbst »gut informierte, urteilsfähige und argumentationsbegabte Bürger« (nach Pippa Norris, 1999, »critical citizens«, zit. n. Leggewie/Bieber 2003: 128) ziehen sich hier und da zurück. Der Befund der Krise bezieht sich primär auf das formelle Gefüge politischer Entscheidung und Gestaltung, auf Parteien, parlamentarische Wahlen und BerufspolitikerInnen. Er »[betrifft aber] nicht notwendigerweise unkonventionelle Formen politischer Partizipation« in NGOs an den Rändern des formellen demokratischen Systems oder an zivilgesellschaftlichen und gesellschaftskritischen Bewegungen verschiedener Art (Leggewie/Bieber 2003: 128). In die Krise geraten ist also nicht demokratische Politik nach dem Muster von »zusammen mit anderen handeln«, sondern elitäre Politik von oben herab, die »für andere« handelt (ebd., Hervorh. i. Orig.). Philippe C. Schmitter (2003: 157) kontextualisiert diesen Vorgang als »liberalisierende ›Entdemokratisierung‹«.

Demokratie und Feminismus im Bündnis?

Demokratische und feministische Politikziele scheinen – im spätmodernen Verständnis – Elementares gemeinsam zu haben: Beide positionieren sich (theoretisch) gegen herrische, sprich: unregulierte Machtanmaßung und für egalitäre, zumindest tendenziell gerechte gesellschaftliche Verhältnisse. Zudem verstehen sie Demokratie nicht als ein für alle Mal erledigt, sondern als offenen und permanenten Prozess gesellschaftlicher Gestaltung. Dessen ungeachtet haben sie im Laufe ihrer Entwicklung auch paradoxe Ideenverbindungen und Ungleichzeitigkeiten verändernder Gesellschaftspraxis hervorgebracht und darum verschiedene Formen, aber auch differente Reichweiten praktisch-institutioneller Umsetzung erfahren (Phillips 1991/1995: 7).

Diesen durchaus gängigen Kurzschluss zwischen Demokratie und Feminismus gilt es darum – nach geschlechtergerechten Kriterien – zu relativieren:

Auch meine Thesen zum Geschlecht von Demokratie gehen von historischer Kontingenz aus, derzufolge die in der westlichen Moderne theoretisch sowie praktisch-politisch hegemoniale liberale, repräsentative Demokratie in erheblichem Maße männlich gebaut und maskulinistisch7 fundiert ist. Niemand geringerer als die Galionsfigur modernen westlichen Liberalismus, Karl A. Popper (1944/1980/I: 177), hat dieses männerbündische Baugesetz demokratischer Institutionen als Ideal eines elitär-liberalen Politikverständnisses dogmatisiert: Die institutionellen Machtapparate liberaler Demokratie müssten wie »Festungen« sein, »wohlgeplant« und vor allem »wohlbemannt«. Hierbei geht es liberalen Denkern keineswegs nur um personelle Repräsentation von Männern in demokratischen Institutionen, sondern vor allem auch um ideelle Repräsentation von Männlichkeit durch demokratische Institutionen – selbst wenn sie nun an ihren Kommandohöhen, spätestens seit der Ära Thatcher, außergewöhnlich häufig mit Frauen besetzt werden.8 Liberale Demokratie enthüllt sich derart als bedeutende Strategie männlich-elitären Macht- und Ideologieerhalts dank überwiegend politisch passivierter, ja apathischer, relativ stimm- und rechtlos gehaltener, keinesfalls nur weiblicher, sondern zudem »effeminierter«, also weiblich imaginierter und konnotierter Massen, selbst wenn es sich bei ihnen um – freilich sozial und politisch abgewertete – Männer handelt. Bürgerliche Demokratie inszenierte sich bereits in ihren Anfängen als »rational«, »tugendhaft« und »männlich«. So »wurden schon im ideellen Entwurf […] maskulinisierte Genderkonstrukte verankert« (Fraser 1997/2001: 113), was trotz demokratischer Wertvorstellungen formellen wie informellen Ausschluss von Frauen nahelegte. Die bürgerlichen Männer betrachteten sich als die neu »aufkommende Elite« im Gegensatz zur weiblich verkodeten Masse (ebd.: 114).

Hingegen stimmt die in westlichen Gesellschaften zumeist blockierte und marginalisierte partizipative, direkte Demokratie9 für alle Lebensbereiche eher mit feministischen10 Politikintentionen überein. Liberale Demokratien beruhen wesentlich auf tendenzieller Abgrenzung (männlich-)öffentlicher von (weiblich-)privaten Lebens- und Arbeitsräumen, denen jeweils ein spezifisches Geschlecht zugewiesen scheint. Speziell diese diskriminierende Demarkation, die Frauen öffentliche Entscheidungs- und Machtwelten sowie Lebenssphären weitgehend versperrte, kritisierten feministische Denkerinnen und Aktivistinnen. Liberale Demokratien enden in formellen Strukturen sowie Verfahren öffentlicher Sphären und stehen folglich für »die unleugbar undemokratische Organisation unseres sozialen Lebens« (Phillips 1991/1995: 66). Repräsentative Demokratien »sind weit davon entfernt, die unser Leben beherrschenden Machtstrukturen anzutasten« (ebd.). Es ist darum »absurd, sich im Staat um Demokratie zu bemühen, wenn in anderen Lebensbereichen das Prinzip der Unterordnung herrscht« (ebd.: 67).

Nur für – meist singulär bleibende – Experimente partizipatorischer Demokratie auch in alltäglichen Lebens- und Arbeitswelten, so ist wohl zu präzisieren, kann die Annahme einer Homologie des demokratischen und des feministischen Vorhabens aufrechterhalten werden. Meine Grundthese vom strukturellen Maskulinismus liberaler Demokratierealität11 wäre freilich mit den sich ändernden Perioden gesellschaftlicher Entwicklung abzustimmen und konkret aufzufächern in ihre Bedeutung etwa für fordistisch und postfordistisch, insbesondere neoliberal geprägte gesellschaftliche Verhältnisse, die jeweils unterschiedliche Potenziale und Handlungsräume für Demokratieentwicklungen eröffnen, d.h. mehr oder weniger an Freiheitsgraden für weitere Demokratisierungsschübe zulassen. Im Moment befinden wir uns aber nicht gerade in einer Hausse, vielmehr in deutlich erkennbarer Baisse von Demokratieentwicklung.

Demokratie ohne Frauen?

(Mangelnde) Demokratiequalität korreliert auch mit dem jeweiligen Grad an Geschlechter(un)gerechtigkeit in einer Gesellschaft und vice versa. Der Status von Demokratie wird ebenso von egalitärer Beschaffenheit der Gesellschaft und des Geschlechterregimes beeinflusst, wie umgekehrt gesellschaftliche Strukturierung der Geschlechterverhältnisse von einem beharrlichen Demokratiesystem abhängig ist. Geschlechteregalität wird nur in demokratiebereiten Gesellschafts- und Lebensverhältnissen gedeihen. In Widerspruch zu diesem evident scheinenden Zusammenwirken verblieben jedoch in der Vergangenheit theoretische Demokratiearbeit sowie praktische Demokratieform in erstaunlicher Dissonanz zum politischen Ziel von Geschlechtergerechtigkeit. Kurioserweise wurde die »Demokratiedebatte über Jahrhunderte hinweg geführt, als ob es keine Frauen gäbe« (Phillips 1991/1995: 9). Dies galt für androzentrische und sexistische Vordenker der Demokratie ebenso wie für triviale, Frauen exkludierende Praktiken von Männern: Frauen wurden entgegen dem aufklärerischen Zauber liberaler Demokratie politisch marginalisiert, wenn nicht gar ausgeschlossen, oder das eingeschriebene und sedimentierte männliche Geschlecht wurde neutralisiert, unsichtbar, aber beständig an der Macht gehalten. Männerbündische Fundamente trugen das Ihre zur maskulinistischen Nachhaltigkeit repräsentativer Demokratie bei. Nicht zu unterschätzende Assistenz dazu leisten auch die Massenmedien. Denn wie die jüngere Vergangenheit zeigt, lässt sich mediale Macht ebenso für pro-feministische Anliegen mobilisieren (vgl. die Hochzeiten der neuen Frauenbewegung mit ihren nachholenden Reform- und gesellschaftlichen Modernisierungsabsichten) wie für anti-feministisches Rollback im Kontext von Neokonservativismus und Neoliberalismus instrumentalisieren.

Mehr oder weniger unsichtbar wurde die demokratische Ordnung als männliche installiert, aber als solche eben zugleich verborgen. Zusätzlichen, auch materiellen Flankenschutz bot die rechtsstaatlich privilegiert gesicherte private Eigentumsordnung, die es auch im Interesse männlichen Patriarchalismus zu konservieren galt. Die Disharmonie zwischen ökonomischer und politischer Gleichheit bildet eine dauerhafte diskursive wie politisch-praktische Folie sozialer und geschlechtlicher Diskriminierung, auf der liberal und egalitär imaginierte Demokratie zu »ökonomisch determinierter Oligarchisierung« und, wie aus geschlechter- und herrschaftskritischer Sicht zu ergänzen wäre, auch zu einem re-patriarchalisierten und re-maskulinisierten Geschlechtermodell gerät (Fischer 2006: 50) und sich als solche auch zu verstetigen vermag: »[D]er Reichtum [ist] direkt identisch […] mit der Herrschaft« (Rancière 2002: 21). Er ist aber, wie die Offenlegung des Geschlechts der Vermögensstatistiken plausibel macht, nach wie vor dominant männlich fundiert.

Die Sphäre demokratischer Öffentlichkeit sollte eigentlich eine Arena bilden, in der Unterschiede der Geburt, des Geschlechts, des Vermögens oder der Konfession keine Rolle spielen, vielmehr sollten Menschen »miteinander reden« können, »als ob sie sozial und wirtschaftlich Gleichgestellte« wären (Fraser 1997/2001: 122). Systembedingte soziale Ungleichheiten werden selbst unter demokratischen Verhältnissen »nur ausgeklammert, nicht getilgt« (ebd.). Dennoch bedarf eine sich fortentwickelnde politische Demokratie weiterer »substantieller sozialer Gleichheit« (ebd.: 127) und zunehmender medialer Demokratisierung.

Ein fundamentaler Antagonismus zwischen politischer und ökonomischer Gleichheit klang bereits in der Frühzeit der Ideengeschichte von Demokratie an. Ein kursorischer Rückblick vermag dies nachvollziehbar zu machen:

Antike Demokratievorstellungen griechischer Stadtstaaten, insbesondere Athens,12 vermochten mühelos Ideale »bürgerlicher« Gleichheit mit dem rigiden Ausschluss von Frauen, Sklaven und Fremden von der öffentlichen Macht der Polis zu verbinden. Sie hielten zwar de facto die (Haus-)Wirtschaft (Oikos) am Laufen, waren in dieser ökonomischen Rolle keineswegs autonom und blieben auch politisch ohne Rechte. Tatsächlich hielten aber auch sie den Männern den Rücken frei für ihre politischen und militärischen Aufgaben. Nur ausnahmsweise vermochten sich auch Frauen in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Die athenische Polis behauptete sich als exklusive Vergemeinschaftung athenischer männlicher Bürger und wirkte beispielgebend für die männerbündische Standardform von Staat und Politik bis in die Gegenwart.

Ich mache nun – ideenhistorisch nicht unbegründet – einen gewaltigen Zeitensprung:

Klassisch-liberale Denker und bürgerliche Politiker ab dem 17. Jahrhundert propagierten zwar abstrakt eine Idee von Gleichheit aller Menschen, in der gesellschaftlichen und politischen Praxis aber verweigerten sie bestimmten gesellschaftlichen Gruppen noch lange Zeit die gleichberechtigte Wahrnehmung politischer Rechte. In Wahrheit regulierten (eigentlich schon seit der Antike) privates Eigentum, Wehrfähigkeit und männliches Geschlecht Zugänge zu den wichtigen Arenen der Politik. So wurden also in patriarchaler Kontinuität wieder einmal mehr die »men of property« bevorrechtet. Ihren Interessen und ihrem Schutz sollte die politische Ordnung primär dienen. Demokratie im weiten Sinne, insbesondere das neue Prinzip »numerischer Gleichheit«, war negativ konnotiert (Macpherson 1966/1973: 1, Phillips 1991/1995: 72). Die für diese Ära noch unbekannte »Macht der Zahl« sollte neutralisiert werden, damit Nicht-Besitzende nicht zu allmächtigen Gesetzgebern über Besitzende aufrücken können. Frauen waren Nicht-Personen, sie verblieben politisch stimmlos und wurden Männern – Vätern, Ehemännern oder Brüdern – unterstellt (Pateman 1988). Die drohende Gefahr einer Umverteilung von Einkommen und Vermögen, als der demokratischen Grundidee durchaus inhärent betrachtet, sollte anhaltend blockiert werden. Liberaler Individualismus wurde als männlicher Besitzindividualismus gedacht und praktiziert. Dem kam auch die rigide Trennung zwischen öffentlichen und privaten Lebenswelten und deren hierarchische Anordnung entgegen: Die privaten, ausschließlich väterlich, ehemännlich oder brüderlich kontrollierten Bereiche sollten strikt vor Interventionen des Staates bewahrt werden, also galt es »›demokratierelevante‹ Bereiche zu verringern«, indem sie in private oder privatisierte Sphären verschoben werden (Phillips 1991/1995: 46).

Zu berücksichtigen bleibt auch, dass es verschiedene Bedeutungsvarianten von Privatheit gibt: zum einen die »häusliche«, »familiäre«, »persönliche« Privatheit und zum anderen das marktwirtschaftliche Paradigma des Privateigentums (Fraser 1997/2001: 137 f.). Privat und öffentlich beschreiben und benennen also nicht schlicht und einfach gleich berechtigte Sphären des Lebens, sondern sie stellen »kulturelle Klassifikationen« dar, die im politischen Diskurs als »starke Begriffe« eingesetzt werden, »um einige Interessen, Sichtweisen und Themen die Legitimation abzusprechen und andere aufzuwerten« (ebd.: 141). Durch die »Rhetorik häuslicher Privatheit« werden gesellschaftliche Probleme »personalisiert und/oder familialisiert«.13 Hingegen versucht die »Rhetorik ökonomischer Privatheit« mittels »unpersönlicher Marktimperative«, »einige Probleme und Interessen aus der öffentlichen Debatte auszuschließen, indem man sie zu ökonomischen erklärt« (ebd.: 142). Damit gelten sie als »verbotenes Terrain« in Bezug auf Interventionen des Staates (ebd.: 144). Selbst wenn also Frauen, Nichtweißen und Arbeitern »formal zugebilligt« wurde, »an der Öffentlichkeit zu partizipieren, kann ihre Beteiligung durch die Vorstellungen von ökonomischer Privatheit und häuslicher Privatheit, die den Geltungsbereich der Debatte begrenzen, in Schranken gehalten werden« (ebd.: 143).

Mit jedem Schritt personeller Ausweitung politischer Rechte, insbesondere ab dem 19. Jahrhundert, folgten zugleich inhaltliche Einschränkungen oder staatlich-autoritäre Tendenzen. Die Individuen der klassischen Tradition schienen außerordentlich »schutzbedürftig« (Phillips 1991/1995: 48). Ein »protektives«, aber überaus interessengeleitetes Modell von Demokratie kam zur Anwendung: Die uneingeschränkte Macht der Herrscher beruhte nun zwar auf dem (fiktiven) Einverständnis14 der Beherrschten, aber es war der absolute Nutzen männlicher Eigeninteressen, der die neue Rechtsfigur des liberalen Gesellschaftsvertrags fundierte. Nur insoweit anerkannten die (männlichen bürgerlichen) Individuen die Regeln der Gesellschaft und damit die politische Ordnung (ebd.: 43 f.). Liberale Demokratie erwies sich im historischen Verlauf nicht zufällig als eine »Politik als Raubtierhaltung«. Benjamin Barber (1984/1994: 56 f.) schlussfolgert daher, dass »[d]ie stärksten Käfige der liberalen Demokratie […] für das Volk reserviert« werden. Er trifft freilich diese polemische Analogie männlich-bürgerlicher Herrschaftsinteressen zu den Unterwerfungsgesetzen der tierischen Welt, ohne soziale und ökonomische Grundlagen zu konkretisieren (Phillips 1991/1995: 57).

Aus dem bisher Dargestellten wird deutlich, dass liberale Demokratie mit jedem Schritt vorwärts bereits den Schritt zurück mit eingeplant hatte. Auch die – wenngleich idealisierende – Forderung nach Ausweitung »deliberativer« demokratischer Praktiken, der Ausbau diskursiver und argumentativer Qualitäten der Demokratieform, blieb weitgehend unverwirklicht. Um diskutieren und an kollektiven Entscheidungen teilhaben zu können, muss der »Souverän«, die Bevölkerung, vor allem »Bescheid wissen«. Allerdings sind »erschöpfende und wahrheitsgemäße Informationen« keinesfalls für alle in gleichem Maße zugänglich. Wenige haben die Macht, öffentliche Meinung zu produzieren. Die meisten aber finden sich in der unterworfenen Rolle medial Manipulierter, ohne dies auch so zu empfinden oder sich gar als resistente »Dissidenten« zu outen. All das »bringt nur die Angst der Demokratie vor sich selbst zum Ausdruck« (d’Arcais 2004: 17, 30). Dieser im Großen und Ganzen demokratieskeptische und keineswegs partizipationsoptimistische Zuschnitt liberaler Demokratie sollte auch für die aktuelle neoliberale Schwächung von Demokratie von praktischem Nutzen sein. Überdies trägt er nicht unerheblich zur Konservierung maskuliner Schieflagen westlicher Demokratien bei.

Die 1970er Jahre: lediglich ein »Augenblick der Demokratie«?15

Die Vorstellung von einem direkten Konnex von Demokratie und Gleichheit kam vergleichsweise spät auf. Das 18. Jahrhundert wird gewöhnlich als die Ära individueller Emanzipation, als Ausbruch aus feudalen und kirchlichen Bindungen, betrachtet. Erst im 19. Jahrhundert kamen auf Grund zunehmenden Drucks sozialer und frauenpolitischer Bewegungen auch die »soziale Frage« (Rödel/Frankenberg/Dubiel 1989: 7) und die »Frauenfrage« auf die Agenda der Politik. Aber erst das 20. Jahrhundert sollte als Epoche der »demokratischen Frage« apostrophiert werden können. Gegenwärtig geht es bei der »demokratischen Frage« nicht mehr um »einen Mangel an rhetorischer Anerkennung demokratischer Legitimationsformeln«. Das Demokratieproblem stellt sich vielmehr zunehmend als »Wahllosigkeit ihrer Beschwörung« (ebd.), als leeres Rekurrieren auf leblose Formen und repetitive Demokratierituale dar.

Die 1970er Jahre sind als kurze »Ära der demokratischen Sensibilität« zu archivieren. Direkte Interventionen ökonomischer Akteure in Felder von Politik, Wissenschaft oder Kultur, was heute gang und gäbe ist, wurden damals noch mit einigem Misstrauen bedacht (Crouch 2008: 61). Im Nachspiel zur 1968er-Bewegung wurden neue Ansprüche auf Erweiterung demokratischer Bürgerrechte, individuelle wie kollektive, artikuliert. Ergänzend zu demokratischen Verfahren formeller Politik (z.B. Wahlen) wurden Alltagsdemokratie sowie neue Praktiken sozialer und wirtschaftlicher Demokratie eingefordert. Die offizielle (sozialdemokratische) Politik reagierte auf diese – nicht selten jugendlich ungestümen und ungewohnt weiblichen – Anrufungen mit lautstarken Ansagen weiterer Demokratisierung, denen jedoch – bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Universitätsorganisation, Familien- und Eherecht) – nur punktuell politische Umsetzung und rechtliche Kodifizierung folgten oder deren Erledigung aus neokonservativen oder neoliberalen Motiven angehalten oder gar aufgehoben wurde.

Die politische Ära des Postfaschismus war in Deutschland, aber auch in Österreich, durch zumeist feige, dürftig formale Demokratisierung staatlicher Institutionen gekennzeichnet. Konrad Adenauers Slogan »Keine Experimente!« drückt das bremsende Bestreben des restriktiven Paradigmas damaliger minimalistischer Demokratiepolitik und die Abwehr direkt demokratischer Formen oder partizipatorischer Demokratie nur zu deutlich aus. Zurecht resümiert daher Colin Crouch für Europa (2008: 20): »[D]ie wahrhaft demokratischen Phasen [sind] begrenzt«.

Aber auch Zeiten, in denen es immerhin noch hieß, »wir wollen mehr Demokratie wagen« (Willy Brandt, Regierungserklärung 1969) oder »Durchflutung aller gesellschaftlichen Bereiche mit Demokratie« ermöglichen (Bruno Kreisky, Regierungserklärung 1970), sind heute als politische Entgleisungen und Konzessionen der Sozialdemokratie an die schrille 1968er- und neue Frauen-Bewegung verfemt.16 Angela Merkel instrumentalisierte in der Regierungserklärung von 2005 die Popularität von Brandts Slogan, wendete ihn aber neoliberal zu »Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen«, womit sie »weniger Bürokratie, weniger Wachstumsbremsen, weniger Rituale und Regeln bei der Entwicklung politischer Entscheidungen« meinte. Verlangen nach Demokratie, das war einmal, scheint nunmehr aber nicht mehr am Puls der Zeit. Unbeschränkte Freiheit lautet die aktuelle Devise, die vor allem wirtschaftliche Eliten einfordern und daher mit Vorliebe predigen. Korruption und Wirtschaftskriminalität flankieren nicht bloß zufällig die aktuell populären Pfade der Deregulierung. Angela Merkel rechnete auch selbstlos vor: »Wir können den Schwachen mehr abgeben, wenn es mehr Starke gibt«. So einfach scheint die Rechnung. Also muss Politik zunächst Reiche und Reichtum fördern, um dann gegen Armut vorgehen und vielleicht eine Demokratisierung des Alltags einleiten zu können. Die fordistischen Antriebe des »demokratischen Augenblicks« (Crouch 2008: 17) werden seit den auslaufenden 1970er Jahren Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt. Die Prekarisierung sozial Schwacher und politisch Marginalisierter schreitet voran und befördert eher antidemokratische Bewegungen und antipolitische Verhaltensmuster denn umgekehrt.

Demokratierückbau im Zeichen neoliberaler Beschränkungen