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Letzten Endes sind wir alle nur Geschichte(n) Diese düsteren, wunderschönen und skurrilen Geschichten stecken voller albtraumhafter Schrecken sowie heroischer Triumphe aus allen Ecken und Enden des Raumes und der Zeit. Die Geschichten von alten Wundern und Mysterien wurden von Generationen von Time Lords überliefert und jungen Time Lords beim Zu-Bett-Gehen vorgelesen. Die wunderschön bebilderte Kollektion bietet fünfzehn Märchen aus der Welt von Doctor Who und ist das perfekte Weihnachtsgeschenk für den Doctor-Who-Fan. - Die Geschichten präsentieren verschiedenste Inkarnationen des Doktors sowie diverse Monster und Gegner. - Die meisten der Geschichten sind von echten Märchen inspiriert.
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Seitenzahl: 260
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von Justin Richards
Ins Deutsche übertragen von Bernd Sambale
Illustrationen von David Wardle
Die deutsche Ausgabe von DOCTOR WHO: TIME LORD MÄRCHEN
wird herausgegeben von Cross Cult / Andreas Mergenthaler,
Übersetzung: Bernd Sambale; verantwortlicher Redakteur: Markus Rohde;
Lektorat: Jana Karsch; Korrektorat: Peter Schild
Satz: Rowan Rüster; Druck: Hagemeyer, Wien. Printed in the EU.
Printausgabe: ISBN 978-3-96658-627-6
eISBN 978-3-96658-628-3
Dezember 2021 | WWW.CROSS-CULT.DE
This translation of DOCTOR WHO: TIME LORD FAIRY TALES first published in 2015 by Children's Character Books Ltd under the title DOCTOR WHO: TIME LORD FAIRY TALES is published under license from Children’s Charcter Books Ltd, a joint venture company between Penguin Books Limited and BBC Woldwide Limited.
Written by Justin Richards
Cover and main illustrations by David Wardle – Pickled ink
Drop capital illustrations by Adam Linley – Beehive Illustration
Copyright © BBC Worldwide Limited, 2015
BBC, DOCTOR WHO, TARDIS, DALEK and CYBERMAN and K-9 (word marks and logos) are trade marks of the British Broadcasting Corporation and are used under licence. BBC logo © BBC 1996. Doctor Who logo™ and © BBC 2018. Licensed by BBC Studios. Cyberman image © BBC/Kit Pedler/Gerry Davis 1966.
All rights reserved.
Für die deutsche Ausgabe © Cross Cult 2021
Design © Childrens's Character Books Ltd. 2015
1.Der Statuengarten
2.Die gefrorene Schönheit
3.Aschenputtel und der Zauberkasten
4.Die Zwillinge im Wald
5.Die drei kleinen Sontaraner
6.Jak und das Wurmloch
7.Schneewittchen und die sieben Schlüssel zum Untergang
8.Rosenkäppchen
9.Die Pfefferkuchenfalle
10.Der Cybermatsfänger von Hamlyn
11.Helana und das Biest
12.Andiba und die vier Slitheen
13.Der Trauereintreiber
14.Die drei Brüder Gruff
15.Sirgwain und der grüne Ritter
Offenkundig war das Haus, das vor langer, langer Zeit am Rande einer Stadt lag, viel zu groß. Viel größer, als für das alte Paar, das darin lebte, nötig gewesen wäre –, aber die beiden wohnten dort bereits seit jungen Jahren und sahen keinen Anlass auszuziehen.
Das Haus war nicht nur groß, es war auch auf allen Seiten von weitläufigen Gärten umgeben: Wiesen und Terrassen, Brunnen und hübsche kleine Dekorationen, Blumen und Bäume erstreckten sich in alle Richtungen. Die beiden wussten, dass es der ideale Spielplatz war, daher machte es ihnen nichts aus, dass die Kinder aus der Gegend sich durchs Tor oder über die Mauern hereinschlichen – sie ermutigten sie sogar dazu. Sie genossen den jugendlichen Lärm und den Anblick von Kindern, die herumrannten, sich versteckten und sich amüsierten.
Die Kinder hatten herausgefunden, dass die alten Leute sich sehr darüber freuten, dass sie dort spielten. Sie mischten sich nie in ihre Spiele ein, kamen jedoch oft auf die Hauptterrasse und stellten ein verziertes Silbertablett voller Süßigkeiten dort ab. Die Kinder bedienten sich dann, und wenn nichts mehr da war, brachte eins von ihnen das leere Tablett zum Haus zurück und betätigte kräftig den schweren Türklopfer aus Messing. Die ängstlicheren Kinder ließen das Silbertablett einfach vor der Tür liegen und liefen weg; die mutigeren hingegen warteten, bis sie es dem Mann oder der Frau übergeben konnten, und bedankten sich. Dann sahen alle Kinder zu, wie einer der beiden das Tablett nahm und wieder zu seinem Platz auf einem Tisch im Wohnzimmer brachte, der rechts von der Haustür vor einem großen Fenster stand.
Doch eines Tages kamen keine Süßigkeiten.
Eins der mutigeren Kinder, ein Junge namens Tarmin, schlich zum Haus und spähte durchs Wohnzimmerfenster. Er konnte die alte Frau dort sitzen sehen: Sie war ganz allein. Sie blickte auf und sah Tarmin am Fenster stehen. Einen Augenblick schien sie überrascht, dann erschien langsam ein trauriges Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie erwiderte Tarmins Blick mehrere Sekunden lang, dann schaute sie wieder weg. Selbst von seinem Platz vor dem Fenster aus war er sicher, dass sie weinte.
Eine Woche später war auch die alte Frau fort.
Schweigend beobachteten die Kinder, wie ein Leichenwagen langsam durch das Tor des Anwesens gefahren kam. Der Leichnam der alten Frau lag darin: Sie wurde fortgebracht, um neben ihrem Gatten zur letzten Ruhe gebettet zu werden.
Irgendwie kam es den Kindern falsch vor, in dem Garten zu spielen, wenn der alte Mann und die alte Frau ihnen nicht zusahen. Sie kamen immer seltener und das Gelände des Hauses verwahrloste und wurde von Pflanzen überwuchert.
Ein Jahr nachdem die alte Frau gestorben war, kamen einige der Kinder wieder zum Tor des Hauses. Seit sie zuletzt hier gespielt hatten, war das Grundstück zu einem Ort geworden, den man besser mied. Einige Kinder waren hergekommen, um in den Gärten zu spielen, und keins war seither gesehen worden – es war, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.
»Das sind nur Geschichten«, sagte einer der Jungen am Tor. Er hieß Hal. »Wahrscheinlich sind sie weggezogen.«
Ein paar stimmten zu, doch viele taten es nicht.
»Ich wünschte, wir könnten wieder da drin spielen«, sagte ein Mädchen namens Izmay. »Können wir uns nicht reinschleichen und gucken, ob es sicher ist?«
»Willst du wirklich da reingehen?«, fragte Hal. »Allein?«
Izmay schauderte bei dem Gedanken.
»Hab ich mir doch gedacht«, sagte Hal. »Du hast Angst.«
»Du etwa nicht?«, fragte Izmay.
»Ich bin zu alt, um im Garten zu spielen«, entgegnete Hal ausweichend. In Wahrheit hatte er ebenso viel Angst wie alle anderen.
»Ärger sie nicht«, sagte Tarmin zu ihm.
»Ich geh rein«, verkündete Izmay plötzlich. »In den Garten. Ganz bis zum Haus. Du hast vielleicht Angst, aber ich nicht!«
Tarmin musterte sie besorgt. Izmay gehörte zu seinen besten Freunden. Was, wenn die Geschichten stimmten? Was, wenn sie nie zurückkam? Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie niemals wiederzusehen. Also sagte er: »Ich komme mit.«
Hal grinste höhnisch. »Ich wette, das macht ihr nicht. Ich wette, ihr klettert nur über die Mauer, versteckt euch eine Weile und kommt wieder. Ihr geht gar nicht erst bis zum Haus.«
»Doch, machen wir«, beharrte Izmay. »Und wir werden es auch beweisen.«
»Und wie?«, wollte Hal wissen.
Izmay runzelte die Stirn. Sie hatte keine Idee – aber Tarmin schon. »Das Silbertablett, auf das der alte Mann und die alte Frau immer die Süßigkeiten getan haben«, sagte er. »Das lag immer auf dem Tisch im Wohnzimmer, nahe am Fenster.«
»Was ist damit?«, fragte Hal.
»Wir gehen ins Haus und bringen das Tablett mit, um es dir zu zeigen«, sagte Tarmin.
»Genau«, stimmte Izmay zu. »Dann weißt du, dass wir wirklich beim Haus waren – sogar im Haus.«
»Stimmt wohl«, sagte Hal.
Dann sagte er nichts mehr, bis die anderen Kinder Tarmin und Izmay halfen, über die Mauer zu klettern. Er sah ihnen zu und biss sich nervös auf die Lippe, obwohl er selbst ja gar nicht hinüberklettern würde. »Ihr wollt da wirklich rein?«, fragte er schließlich.
Tarmin saß auf der Mauer, streckte Izmay die Hand entgegen und half ihr hinauf. »Na klar.«
»Ihr müsst das nicht machen«, sagte Hal rasch. »Ich wollte euch nur ein bisschen aufziehen. Das könnte gefährlich sein! Was, wenn den anderen da drin wirklich was passiert ist? Was, wenn es euch auch passiert?«
»Dann kommen wir nicht zurück, denk ich mal«, sagte Izmay.
»Und falls wir nicht wiederkommen«, fügte Tarmin hinzu, »dann musst du dafür sorgen, dass uns keiner folgt – und zwar nie. Einverstanden?«
»Meinetwegen«, sagte Hal. »Viel Glück«, fügte er hinzu, als Tarmin sich an einem Ast festhielt und anfing, in den Garten hinabzuklettern. Wie die Kinder, die sie auf der anderen Seite der Mauer zurückgelassen hatten, dachte Tarmin, dass es nicht lange dauern würde, bis Izmay und er wieder hinüberklettern und mit einem erleichterten Lachen das Silbertablett in die Höhe recken würden.
Der Garten, einst so vertraut, war kaum wiederzuerkennen. Tarmin und Izmay kletterten an den Bäumen hinunter, wie sie es schon so oft getan hatten – doch statt auf einem freien Stück Rasen fanden sie sich nun in einem Gewirr aus wucherndem Gras und Farnkraut wieder.
Von dieser Baumgruppe aus hatten sie früher auf einen weiten, kurz gemähten Rasen hinausgeblickt, doch als sie sich nun den Weg durch das feuchte Gras bahnten, stellten sie fest, dass es ihnen bis zu den Knien reichte: Kalt und nass strich es ihnen über die Beine. In der Ferne sahen sie hinter der Terrasse das Haus aufragen. Es wirkte jedoch nicht mehr freundlich und einladend wie früher, sondern finster und abweisend.
Jenseits des überwucherten Rasens lag ein Teil des Gartens mit geometrisch angelegten Beeten und einem Brunnen in der Mitte. Als Tarmin und Izmay dort ankamen, blickten sie auf die wilden Blumenbeete hinab und auf das Unkraut, das die schmalen Steinpfade erobert hatte. Der Springbrunnen – in dem einst klares, frisches Wasser geplätschert hatte – war nun still und trocken, sein Sockel verwittert und voller Risse.
»Wie traurig, das alles so zu sehen«, sagte Izmay. »Ich wünschte, wir wären nicht hergekommen.«
Tarmin nickte. »Willst du umkehren?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir sollten zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Lass uns zum Haus gehen, das Tablett holen und von hier verschwinden.«
Die beiden Kinder folgten dem Pfad durch den einst so geordneten Teil des Gartens. Als sie sein Ende erreichten, bemerkten sie etwas unter dem Baldachin eines Weidenbaums. Dort, im Schatten der tief hängenden Äste, war eine dunkle Silhouette zu sehen.
Izmay sog erschrocken die Luft ein und klammerte sich an Tarmins Arm fest. Zögerlich traten sie näher … und sahen, dass es sich nur um eine Statue handelte.
»Ich kann mich gar nicht erinnern, sie früher hier gesehen zu haben«, sagte Tarmin.
Die Statue bestand aus Stein, der ebenso stark verwittert war wie der Brunnen. Moos und Flechten überzogen die untere Hälfte. Es war die Statue eines Engels, der seine Flügel hinter dem Rücken zusammengefaltet hatte. Das Gesicht barg die weibliche Figur in den Händen, als würde sie weinen.
»Vielleicht macht es sie auch traurig, den Garten so zu sehen«, vermutete Izmay.
Die beiden Kinder gingen weiter, an dem Engel vorbei, und Tarmin blickte sich um. Dieser Engel hat irgendwas Beunruhigendes, dachte er – aber dann rief er sich in Erinnerung, dass es bloß eine Statue war. Er schüttelte den Kopf, um seine Nervosität zu verscheuchen.
Als sie das Ende des Gartenareals erreichten, nahm Izmay Tarmins Hand. Gemeinsam stiegen sie die Stufen zur Terrasse hinauf. Beinahe oben angekommen, schaute Tarmin noch einmal zurück. Hinter dem Baum konnte er noch immer die Statue erkennen, von hier aus kaum mehr als ein Schattenriss. Nun weinte die Engelsgestalt jedoch nicht mehr in die Hände – sie hatte den Kopf erhoben und schaute Tarmin und Izmay an.
Tarmin zögerte, sein Fuß schwebte zwischen zwei Stufen – doch dann zog Izmay an seiner Hand und er wandte sich ab. Das bildest du dir nur ein, sagte er zu sich selbst. Einbildung und Furcht. Das ist nichts weiter als eine Statue.
Sie kamen oben auf der Terrasse an – und sahen sich dort noch mehr Steinengeln gegenüber. Die Statuen schienen wahllos platziert, ohne jeden Gedanken daran, wie es aussehen würde. Eine weinte in ihre Hände, eine andere blickte ihnen mit leeren Augen über die Terrasse hinweg entgegen. Ein dritter Engel war kaum mehr als ein Schatten in einer Mauernische, wohingegen ein vierter die Hand nach ihnen ausstreckte.
»Das ist komisch«, sagte Izmay. »Wer hat die ganzen Statuen hier hingestellt?«
»Nicht nur hierhin«, sagte Tarmin. Er zeigte in den Garten. Von ihrem Platz auf der erhöhten Terrasse hatten sie einen guten Blick auf den verwilderten Rasen und den geometrisch angelegten Gartenbereich – sie konnten bis zu der Baumgruppe am einen Ende und bis zum See am anderen blicken. Selbst aus dieser Entfernung war zu erkennen, dass das ehemals klare Wasser voller Algen und Unkraut war. Im hohen Gras, im Schatten der Bäume und um das Seeufer herum standen weitere Engelsstatuen verstreut herum.
»Es sind so viele«, sagte Izmay. Sie bibberte, dabei war es gar kein besonders kalter Tag. »Machen sie dir Angst?«
Tarmin nickte. »Lass uns mal gucken, ob wir einen Weg ins Haus finden können. Wir brauchen nur das Silbertablett, dann hauen wir ab.«
Sie wandten sich wieder dem Haus zu.
Die Statuen auf der Terrasse hinter ihnen hatten sich bewegt, daran bestand diesmal kein Zweifel: Der Engel, der eben noch geweint hatte, blickte nun zu ihnen auf; der im Schatten der Nische war ins helle Sonnenlicht hinausgetreten und der Engel, der die Hand nach ihnen gereckt hatte, hatte sich vom anderen Rand der Terrasse herüberbewegt und stand nun direkt vor ihnen.
Izmay legte erschrocken eine Hand auf den Mund. Tarmin packte sie an der anderen und zog sie hinter sich her. Mit reichlich Abstand liefen sie um die Statuen herum und auf den Haupteingang des Hauses zu. Tarmin blickte sich erst wieder um, als sie die Tür erreicht hatten: Wieder hatten sich die Engel bewegt – und sie alle starrten die beiden mit ausdruckslosen Augen an.
Izmay drückte bereits gegen die Tür – wie durch ein Wunder war sie nicht verschlossen. Die beiden Kinder stürzten beinahe über die Schwelle und Tarmin schlug die Tür hinter ihnen zu.
»Diese Statuen …«, keuchte Izmay.
»Wenn’s überhaupt welche sind«, sagte Tarmin.
»Sie bewegen sich!«
Tarmin nickte. Izmay hatte recht, aber es war seltsam, dass sie die Statuen nicht dabei erwischt hatten. »Es ist, als würden sie sich nur bewegen, wenn wir gerade nicht hinsehen«, sagte er.
»Das …« Izmay biss sich auf die Lippe. »Das gefällt mir gar nicht.«
»Mir auch nicht«, gab Tarmin zu. »Lass uns rasch nach dem Tablett suchen – dann rennen wir zur Mauer zurück, so schnell wir können.«
Izmay nickte. »Was meinst du, wo wir hinmüssen?«, fragte sie.
Sie waren beide noch nie im Haus gewesen. Vom Eingangsflur gingen mehrere Türen ab und an seinem Ende führte eine breite Treppe ins Obergeschoss hinauf. Tarmin zeigte auf eine Tür auf der rechten Seite. »Das muss das Wohnzimmer sein«, sagte er. »Der Tisch, auf den sie immer das Tablett gelegt haben … Das Fenster ist auf dieser Seite.«
Vorsichtig öffneten sie die Tür. Durch die dreckigen Scheiben fiel nur wenig Licht herein. Staub hing wie Nebel in der Luft und wirbelte vom Teppich auf, als sie sich in den Raum hineinwagten. Ein schwacher Sonnenstrahl schimmerte auf dem angelaufenen Silber des Tabletts: Es lag auf dem Tisch, der nah am nächstgelegenen Fenster stand.
»Da ist es!« Izmay lief hinüber, griff nach dem Tablett – und schrie.
Tarmin war sofort bei ihr und folgte ihrem entsetzten Blick.
Da, vor dem Fenster, war jemand: Einer der Engel hatte sein Gesicht an die Scheibe gepresst und schaute sie beide an. Den Mund hatte er weit geöffnet, er war voller langer, spitzer Zähne, und seine Züge waren zu einer seltsamen Mischung aus Wut, Hunger und einem triumphierenden Knurren verzerrt.
»Komm schon«, drängte Tarmin. Er packte das Tablett.
Gleichzeitig wichen die Kinder vom Fenster zurück und fixierten weiter das groteske Gesicht, das ihnen entgegenblickte. Erst als Tarmin sich endlich umdrehte, erkannte er die Gefahr: Hinter der Tür, durch die sie das Zimmer betreten hatten, stand eine weitere Statue, noch ein Engel. Izmay wich noch vor dem Gesicht am Fenster zurück und hatte ihn nicht gesehen.
Die Statue hinter der Tür hatte die Arme nach ihr ausgestreckt. Tarmin stieß einen Warnruf aus und Izmay begann, sich umzudrehen.
Etwas knallte gegen das Fenster und Tarmin schaute hin – nur einen Augenblick, einen Wimpernschlag lang –, doch als er sich wieder umdrehte, war Izmay verschwunden.
Der Engel blickte Tarmin entgegen: teilnahmslos, still und unbewegt.
»Wo ist sie?«, schrie Tarmin die Statue an. »Was hast du mit ihr gemacht?«
Natürlich gab der Engel keine Antwort.
Als Tarmin nach ihr rief, blickte sich Izmay überrascht um – doch er war verschwunden. Und das war nicht das Einzige, was sich verändert hatte.
Sie stand immer noch an derselben Stelle, in der Nähe der Wohnzimmertür, doch alles war anders: Die Möbel wirkten neuer, der Teppich weniger fadenscheinig. Vor Augenblicken war der gesamte Raum noch voller Staub und Schmutz gewesen, nun war alles blitzsauber. Die Sonne schien hell und ungehindert durch das makellose Fensterglas.
»Tarmin!«, rief Izmay. »Tarmin, wo bist du?«
Eine Gestalt erschien vor ihr in der Tür.
Es war nicht Tarmin.
Tarmin schob sich an der Statue vorbei in die Diele hinaus. Er konnte sich nicht vorstellen, wie Izmay es in dem flüchtigen Moment, als er den Blick von ihr abgewandt hatte, durch die Tür und aus dem Zimmer geschafft haben könnte – aber wo sollte sie sonst sein?
Ein Geräusch – ein kaum merkliches Schaben von Stein auf Holz – brachte ihn dazu, sich umzudrehen. Die Statue, die gerade noch in der Wohnzimmertür gestanden hatte, befand sich nun direkt hinter ihm und hatte die Arme nach ihm ausgestreckt, das Gesicht zu einer bösartigen Grimasse verzerrt. Tarmin machte vor Schreck einen Satz rückwärts.
Kurz spürte er, wie etwas nach seiner Schulter griff, eine Berührung kalt wie Stein.
Dann wandelte sich die Welt.
Der Staub verschwand vom Boden und der Dreck von den Fenstern. Von einer Sekunde zur nächsten glänzte plötzlich alles und wirkte gut gepflegt.
Und vor Tarmin stand Izmay. Sie hatte einen älteren Herrn neben sich, der nickte und lächelte, als ob er alles verstünde.
»Tarmin – da bist du ja!«, rief Izmay und lief zu ihm, um ihn fest an sich zu drücken.
»Wo sollte ich denn sonst sein?«, fragte er und erwiderte ihre Umarmung. In Wahrheit war er allerdings nicht mehr ganz sicher, wo er sich befand.
Der alte Mann führte sie zurück ins Wohnzimmer: Der Raum war so gleich und doch so anders, obwohl nur wenige Augenblicke verstrichen waren. Durchs Fenster konnten Tarmin und Izmay den Garten sehen. Er war nicht länger zugewachsen und vernachlässigt, sondern gepflegt und ordentlich. Das Gras war gemäht, die Kanten fein säuberlich gestutzt und es gab keine Spur irgendwelcher Engelsstatuen.
»Ihr werdet ein bisschen Zeit brauchen, um euch einzugewöhnen«, sagte der alte Mann. »Zumindest war’s bei mir so.«
In dem großen Haus zu leben und hinauszuschauen, statt draußen zu spielen und gelegentlich hineinzublicken, war in der Tat gewöhnungsbedürftig – aber allmählich gewöhnten sich Tarmin und Izmay doch daran. Sie verbrachten gern Zeit miteinander und sie mochten den alten Mann, der so nett war und sie bleiben ließ.
Sie wurden sich zwar nie klar darüber, was aus den Engeln geworden war oder wie sie hierhergelangt waren, aber sie waren glücklich – was auch gut war, denn da sie nicht wussten, wie sie überhaupt in diese Lage geraten waren, hatten sie auch keine Ahnung, wie sie wieder zurückkehren könnten. Sie konnten sonst nirgendwo hin.
Sie würden nie erfahren, wie lange die anderen Kinder auf der anderen Seite der Gartenmauer auf sie gewartet hatten. Sie konnten nur hoffen, dass ihnen niemand gefolgt war.
Langsam, aber sicher wurden aus Tagen Wochen, die sich wiederum zu Monaten und Jahren dehnten. Tarmin wuchs zu einem gut aussehenden Mann heran und Izmay zu einer schönen Frau. Als die Jahre schließlich den alten Mann dahinrafften, kam es den beiden nur natürlich vor, in dem Haus zu bleiben. Sie passten weiter darauf auf und kümmerten sich um den Garten, in dem sie als Kinder so gern gespielt hatten.
Als sie gemeinsam alt wurden, machte es ihnen nichts aus, dass die Kinder aus der Gegend durchs Tor oder über die Mauern hereinschlichen, um im Garten zu spielen – sie ermutigten sie sogar dazu. Sie genossen den heiteren Lärm der Jugend und den Anblick von Kindern, die herumrannten, sich versteckten und sich amüsierten, wie sie selbst es einst getan hatten.
Nur eins schien noch zu fehlen. Sie durchstöberten das Haus, suchten in jedem Schrank und jeder Schublade, bis Izmay eines Tages das verzierte Silbertablett fand. Sie brachte es zu Tarmin und er stimmte zu, dass es perfekt war.
Als am nächsten Tag die Kinder zum Spielen kamen, füllten Izmay und Tarmin das Tablett mit Süßigkeiten. Dann gingen sie gemeinsam auf die Terrasse hinaus. Da sie wussten, dass die Kinder sich hinter den Brunnen und zwischen den Bäumen versteckten und sie beobachteten, stellten sie das Tablett auf dem Boden ab.
Sie hatten keinen Zweifel: Sobald die Kinder alle Süßigkeiten aufgegessen hatten, würde eins von ihnen anklopfen. Und wenn Tarmin oder Izmay aufmachten, wartete dort vielleicht eins der mutigeren Kinder, bereit, sich zu bedanken. Vielleicht würde dort aber auch nur das verzierte Silbertablett liegen, auf dem Boden nahe der Tür.
Ohne Vortex-Antriebe und Zeitkapseln, also vor sehr lange Zeit, da dauerten Reisen durch den Weltraum durchaus sehr lang. Die Entfernung zwischen Planeten wurde nicht in Tagen oder Wochen gemessen, auch nicht in Monaten oder sogar Jahren, sondern in Jahrhunderten.
Manche Schiffe, wie die große Leviathan-Flotte, waren selbst wie eigene Welten. Menschen lebten, alterten und starben im künstlichen Lebensraum an Bord solcher Schiffe. Ihre Kinder lebten, alterten und starben, ebenso wie die Kindeskinder. Erst Generationen später erreichten dann ihre Nachfahren die neuen Planeten.
Auf den meisten Schiffen verschliefen jedoch die Besatzung und die Passagiere die Jahrhunderte, bis das Ziel erreicht war. So geschah es auch auf der Stellar Fire – dem fortschrittlichsten Schiff seiner Zeit, dem Stolz der Flotte aus Kolonieschiffen. Die Kapitänin der Stellar Fire war für ihren Mut und ihr Können bekannt; sie wurde als eine der besten Offizierinnen der gesamten Raumflotte bejubelt. Wahrscheinlich war ihr genau aus diesem Grund das Kommando über das beste und schnellste Schiff übertragen worden. Sie war ebenso stolz auf ihren Posten, wie ihre Crew es war, für sie arbeiten zu dürfen.
Doch selbst die fortschrittlichsten und wertvollsten Raumschiffe stoßen manchmal auf Probleme. Die Stellar Fire war erst seit fünfzig Jahren unterwegs und bahnte sich gerade ihren Weg um das Andromeda-System herum, da erlitten die Motoren einen Phasenfehler und das Schiff stürzte auf einem kleinen, unerforschten Planeten ab. Jeglicher Kontakt zu den Hauptcomputern brach ab. Die Systeme, die die Mannschaft bei einem Notfall hätten aufwecken sollen, versagten und die Schlafenden schliefen weiter …
Hier hätte die Geschichte schon zu Ende sein können, hätte die Kapitänin der Stellar Fire nicht einen Bruder gehabt. Bei Reiseantritt war er niemand Besonderes gewesen – nur ein junger Mann, unvorstellbar stolz auf den guten Ruf und die Errungenschaften seiner älteren Schwester. Doch fünfzig Jahre später, an seinem Lebensabend, war Abadon Glammis einer der reichsten Männer der Galaxis geworden – sogar einer der reichsten in allen Galaxien.
Als er erfuhr, dass der Kontakt zum Schiff seiner Schwester abgerissen war, organisierte er sogleich eine Rettungsmission. Er wusste nicht, was mit der Stellar Fire geschehen war, und er hatte keinen Schimmer, ob seine Schwester überlebt hatte. Im Herzen war ihm immer schon klar gewesen, dass er sie niemals wiedersehen würde – aber sie war dennoch seine Schwester und sie war ihm lieb und teuer. Er würde keine Ruhe finden, wenn er nicht wenigstens versuchte, sie zu finden.
Die Mannschaft des Rettungsschiffs verschlief den Großteil der Reise in kryogenischen Sarkophagen, ganz so, wie es die Mannschaft der Stellar Fire getan hatte. Der Kapitän des Rettungsschiffs war sowohl wegen seiner Zielstrebigkeit und Tatkraft als auch wegen seines Könnens und seiner Erfahrung auserkoren worden. Er war jung, zugleich aber bereits einer der erfahrensten Offiziere der Flotte. Er hatte mit einem Schiff die Hörner von Angular umrundet und den Neglev-Flug fünfmal in Rekordzeit geschafft.
Einer der Gründe seines Erfolgs war, dass er stets sicherging, sein eigenes Schiff zu kennen. Er machte sich mit den Stärken und Schwächen vertraut: Wo konnte er der Technik trauen und wo musste er sie genau im Auge behalten? Er traute den Schiffssystemen zu, jeden der Planeten zu scannen, in deren Nähe die Stellar Fire verschwunden war. Er verließ sich auch darauf, dass sie ihn wecken würden, wenn sie etwas aufspürten – falls sie jemals etwas aufspüren sollten. Andernfalls würde er vielleicht für immer schlafen.
Auf der Heimatwelt des Kapitäns verging die Zeit, während er schlief und sein Schiff die Suche fortsetzte. Abadon Glammis wurde alt und starb. Allmählich verblasste die Erinnerung an das verhängnisvolle Schicksal der Stellar Fire und an das Schiff, das ausgesandt worden war, um sie zu finden, und sie wurden zur Legende.
Es dauerte noch weitere hundert Jahre, bis die Ortungsgeräte des Rettungsschiffs endlich eine Spur – nur einen winzigen Hinweis –, auf die potenziellen Überreste der Stellar Fire aufspürten. Der Kapitän des Rettungsschiffs wurde aufgeweckt. Er blinzelte sich das Eis aus den Augen und spürte, wie der Frost auf seinen Wangen langsam schmolz. Er gähnte und streckte sich und leitete die Sequenz ein, die den Rest der Besatzung wecken würde. Ein Blick auf die Anzeigen überzeugte ihn, dass sie tatsächlich gefunden hatten, wonach sie suchten: die Stellar Fire. Doch hatte irgendjemand den Absturz überlebt?
Das Rettungsschiff sank durch die Atmosphäre auf den kleinen, unerforschten Planeten hinab. Er war mit dichtem Wald bedeckt und die nächste Lichtung, auf der das Schiff würde landen können, lag mehrere Meilen vom Wrack der Stellar Fire entfernt. Die Dunkelheit dieses dicht bewaldeten Planeten erschien einigermaßen sicher. Und das wäre sie auch gewesen, hätte da draußen nicht etwas gelauert.
Ehe sie in den Wald aufbrachen, rief der Kapitän die Mannschaft zusammen.
»Niemand weiß, was uns in diesem Wald erwartet«, warnte er sie. »Wir haben unsere Überlebensanzüge und unsere Laserblaster. Wir sind für alles, was uns begegnen könnte, ausgebildet und ausgerüstet. Aber ich kann Ihnen nicht befehlen, mir zu folgen. Ich kann nur hoffen, dass Sie, nachdem wir so weit gekommen sind, auch noch das letzte Wegstück mit mir gehen wollen.«
Viele hatten schon vorher gemeinsam mit dem Kapitän gedient und alle anderen wussten um seinen Ruf – wenn er sie darum bat, würden sie mit ihm durch die Hölle gehen. Jeder Einzelne willigte ein, ihm zu folgen.
»Ich weiß nicht, was wir am Absturzort finden werden«, gestand er. »Vielleicht ist das Schiff völlig zerstört worden und alle sind beim Aufprall umgekommen. Es ist möglich, dass wir mehr als hundert Jahre umsonst verschlafen haben. Aber das werden wir erst herausfinden, wenn wir die Absturzstelle erreichen. Vielleicht stellen wir auch fest, dass unsere Reise nicht vergebens war: Wenn wir nur einen Überlebenden von der Stellar Fire retten können, dann ist das hundert Jahre Gefrierschlaf wert.«
Also brachen sie auf. Der Weg durch den Wald war finster und tückisch und es gab zahlreiche Hindernisse. Lange Schlingpflanzen hingen aus dem Blattwerk herab wie die Beine riesiger Spinnen und manche Gewächse zischten und spuckten sie an, als sie vorübergingen. Scharfe, dornige Ranken peitschten nach ihnen; wilde Tiere grollten in den Schatten, waren jedoch zu ängstlich, sich diesen seltsamen Wesen zu nähern, die aus dem Himmel in ihre Welt herabgestiegen waren. An einer Stelle tat sich vor ihnen ein tiefer Abgrund auf. Sie mussten sich aus den herabhängenden Ranken Seile fertigen und sich damit hinüberschwingen.
Unter dem undurchdringlichen Dach aus seltsamer, fremdartiger Vegetation ging ihnen jegliches Gefühl für Nacht und Tag verloren. Wenn sie müde wurden, schlugen sie ihr Lager auf und der Kapitän teilte eine Wache ein, für den Fall, dass die Tiere, die sich in den Schatten verbargen, zu neugierig wurden. Je näher die Mannschaft jedoch der Absturzstelle der Stellar Fire kam, desto leiser wurde das Knurren der Tiere, und schließlich hörte es ganz auf. Es war, als wüssten die Tiere von irgendeiner größeren Gefahr, die dort lauerte, und wagten es nicht, den Menschen zu diesem Ort zu folgen.
Wenn sie sich ausgeruht hatten, gingen sie weiter, alle begierig darauf, die Stellar Fire und – so hofften sie – die Passagiere und die Besatzung zu finden. Die Anspannung des Kapitäns wuchs, als sein Navigationsgerät ihm versicherte, dass sie ihrem Ziel nahe waren. Er hatte so viel über die verschollene Kapitänin des Schiffs gehört und gelesen und er konnte es nicht erwarten, das großartige Schiff zu sehen, das sie befehligt hatte – und ihr vielleicht sogar persönlich zu begegnen.
Und dann, endlich, sahen sie es.
Die enorme Metallhülle der Stellar Fire blitzte zwischen den orangen und gelben Blättern und Stämmen vor ihnen auf. Tupfen aus Sonnenlicht sprenkelten die verrosteten Seiten. Vielfarbige Vegetation war durch die Hülle selbst gewachsen: Pflanzen mit spitzen, schmalen Blättern, mit mächtigen Saugnäpfen übersät, klammerten sich an jede Fläche. Der Wald hatte das Schiff für sich selbst beansprucht.
Sie entdeckten die Hauptluke. Zwar war sie teilweise im Boden vergraben und mit Lianen und Wurzeln zugewuchert – aber sie war aufgerissen worden. Etwas hatte sich bereits gewaltsam Zutritt verschafft.
Wachsam führte der Kapitän sein Team durch die Luke. Die Schiffssysteme schienen noch auf Notstrom zu laufen und das gesamte Interieur war in einen dumpfen roten Lichtschein gebadet. Sie arbeiteten sich durch die zerstörten Korridore und Gänge vor, an Vorrats- und Frachträumen vorbei, Richtung Kryogenikbereich, wo die Passagiere und Mannschaftsmitglieder schliefen – zumindest hofften sie das. Sie hackten sich durch die Bäume und Pflanzen, die überall gewachsen waren. Schatten ballten sich um sie zusammen, wurden immer dichter. Sie hörten, wie etwas vor ihnen davonhuschte und ins Dunkel verschwand. Zunehmende Unruhe hatte sich im Kapitän breitgemacht und nun war er sicher: Etwas stellte ihnen durch die zerstörten Überreste der Stellar Fire nach.
Schließlich fanden sie die schlafenden Passagiere. In riesigen Kälteschlafkammern waren sie in eisigen Sarkophagen aufgebahrt, über all die Jahre erhalten. Schlummernd … oder tot. Als der Kapitän sich langsam durch die Kammern bewegte, offenbarte sich ihm die schreckliche Wahrheit: Manche Särge hatten versagt und die Insassen waren im Schlaf gealtert und gestorben. Andere Sarkophage waren aufgebrochen worden, die Insassen fort. In einem Sarkophag waberte und pulsierte eine klebrige und zähflüssige grüne Masse. Während sie sie beobachteten, hievte sie sich über die Kante des zerbrochenen Deckels und platschte auf den Boden.
Etwas Derartiges hatte der Kapitän noch nie gesehen. Dank der Lexikon-Implantate, die er vor der Reise bekommen hatte, wusste er allerdings, um was es sich handelte: die Larve eines andromedanischen Parasiten. Er verfügte über detaillierte Informationen zum Lebenszyklus der Kreatur und darüber, welche Bedrohung sie darstellte. Ohne zu zögern zückte er seinen Laserblaster und eröffnete das Feuer. Kurz darauf war die Kreatur tot, nur noch eine schleimige Sauerei auf dem Boden der Kammer.
»Was war das?«, fragte eine Frau aus dem Rettungsteam mit nervöser Stimme.
»Eine Wirrnraupe«, sagte der Kapitän. Er erklärte ihnen, dass diese riesigen madenartigen Wesen schlafende Passagiere verzehrten – nicht nur das Fleisch, sondern auch Geist, Erinnerungen und Erfahrungen. »Sie legen Eier in uns«, erklärte er. »In jedem Sarkophag, der nicht mehr versiegelt ist, könnte sich ein Wirrn befinden, der wächst und jede Sekunde schlüpfen kann.«
Sie hatten keine Ahnung, mit wie vielen ausgewachsenen Wirrn sie es zu tun hatten. Der Kapitän wusste jedoch, dass die Stärke der Mannschaft ebenso von der Personenzahl wie von den Laserblastern abhing; sie mussten alle Überlebenden wecken und zu ihrem eigenen Schiff fliehen. Schon bald würden die Wirrn sie angreifen, aus Furcht, ihre Nahrungsquelle zu verlieren.
Sie kehrten in den Zentralbereich zwischen den vielen Türen zurück, die zu Kältekammern führten, und der Kapitän platzierte Wachen vor sämtlichen Eingängen. Dann zeigte er auf ein Bedienfeld, das in die Schiffswand eingelassen war, und befahl seinem Techniker, den Weckprozess einzuleiten.
Das Trippeln und Huschen der Wirrn schien lauter zu werden. Der Kapitän stellte sich Dutzende ausgewachsener Kreaturen vor, wie gewaltige aufrechte Insekten, die sich sammelten, um sie anzugreifen. Schon bald würde sich die Crew den Fluchtweg freikämpfen müssen – je früher, desto besser, damit die Wirrn sich nicht vorbereiten konnten.
»Wie lange noch?«, wollte er vom Techniker wissen.
Der schüttelte den Kopf. »Die Systeme sind beschädigt. Ich kann veranlassen, dass der Weckprozess anläuft, aber die Wiederbelebungssysteme an den Sarkophagen funktionieren nicht. Wir brauchen den Hauptcomputer des Schiffs, um das Erwachen auszulösen.«
Der Kapitän erkannte sofort das Problem. »Der Computer wird einen Zugangscode verlangen«, sagte er.