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Unga versuchte, den Wagen zwischen den Kratern hindurchzusteuern. Einmal fuhren sie fast in einen Geysir. Unga konnte den Wagen im letzten Moment noch herumreißen.
»Ich finde nicht mehr raus!«
Dorian atmete in ein Taschentuch, doch war dieses längst schon mit Schwefeldämpfen getränkt. Nur noch verschwommen nahm er wahr, wie der Wagen plötzlich zur Seite kippte und einen zerklüfteten Abhang hinunterrollte. Die Räder blieben in einer Bodenspalte hängen. Der Wagen schwebte über einem brodelnden Abgrund. Dorian wollte die Tür öffnen und versank in einer zischenden, nach Schwefel stinkenden Hölle - aus der sich schemenhaft zwei Gestalten näherten ...
Das Ringen um das Erbe des Hermes Trismegistos tritt in seine letzte Phase ein. Im Tal Torisdalur kommt es zum Duell zwischen Magnus Gunnarsson und Dorian Hunter - aber ist die unumschränkte Macht, die mit dem Erbe verbunden ist, wirklich das, wonach der Dämonenkiller von ganzem Herzen trachtet?
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Seitenzahl: 146
Cover
Was bisher geschah
DER STEINERNE GOTT
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
In der Folge beginnt Dorian die Dämonen zu jagen – doch diese schlagen zurück und zersetzen die »Inquisitionsabteilung« des Secret Service, der Dorian vorübergehend unterstützt hat. Der ehemalige Leiter der Inquisitionsabteilung, Trevor Sullivan, gründet in der Londoner Jugendstilvilla in der Baring Road die Agentur Mystery Press, die Nachrichten über dämonische Aktivitäten aus aller Welt sammelt. Hunter bleibt als zweiter Rückzugsort das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt: die Hexe Coco Zamis, die selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; den Hermaphroditen Phillip, dessen Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen, sowie Ex-Secret-Service-Agent Donald Chapman, der bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft wurde.
Beinahe wird die schwangere Coco Zamis ein Opfer der Machtkämpfe innerhalb der Schwarzen Familie, doch nach einer Flucht um den halben Erdball bringt Coco ihr Kind sicher zur Welt – und versteckt es an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält. Cocos Vorsicht ist berechtigt, da bald eine neue, »alte« Gegnerin auftaucht: Hekate, die Fürstin der Finsternis, wurde von Dorian einst in seinem vierten Leben als Michele da Mosto verraten, sodass ihre frühere Liebe sich in glühenden Hass verwandelt hat.
Die Erinnerung an seine Existenz als da Mosto veranlasst Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Im Golf von Morbihan stößt er auf die versunkene Stadt Ys und birgt aus ihr einen Handspiegel. Dieser stellt offenbar die einzig wirksame Waffe gegen Hermons einstigen Erzgegner Luguri dar. Gleichzeitig entzieht der Spiegel Dorian beständig Lebensenergie. Dorians Schwäche kommt zur Unzeit, denn der Dreikampf zwischen Dorian, Unga und dem Isländer Magnus Gunnarson um das Erbe des Hermes Trismegistos strebt seinem Höhepunkt entgegen ...
DER STEINERNE GOTT
von Ernst Vlcek
»Wohin fahren wir, Unga?«
»Zu Magnus Gunnarsson.«
Dorian blickte aus dem Seitenfenster des Landrovers über die Lavawüste, die in der Ferne von zerklüfteten Felserhebungen begrenzt wurde. Der Anblick war trostlos und beeindruckend zugleich. Der Dämonenkiller fühlte sich in die Urzeit versetzt. So musste die Welt in den ersten Tagen der Schöpfung ausgesehen haben.
Nirgends waren Anzeichen von Leben zu entdecken. Kein Vogel zwitscherte, nicht einmal ein Grashalm ragte aus dem Gestein. Das Geländefahrzeug kroch wie ein Insekt aus einer anderen Welt durch die urweltliche Landschaft.
»Liegt Gunnarssons Gehöft nicht in einer anderen Richtung?«, fragte Dorian, ohne den Blick von der Landschaft zu nehmen. Sie mutete ihm wie ein Spiegelbild seiner inneren Leere an. Ja, der Vergleich war passend; ihm war, als blickte er auf die Landschaft seiner Seele hinaus.
»Gunnarsson ist nicht auf seinem Gehöft«, sagte Unga. »Er erwartet uns an einem Solfatarenfeld. Der Fahrer weiß Bescheid.«
Der Rotschopf hinter dem Steuer nickte wortlos. Dorian kannte von dem Mann nicht einmal den Namen. Er wäre auch nicht in der Lage gewesen, von ihm eine Beschreibung zu geben, wusste nur, dass er sie zu Magnus Gunnarsson fahren sollte.
Nun waren sie schon drei Stunden unterwegs. Reykjavik lag bestimmt bereits 120 Kilometer hinter ihnen.
Unga blickte zur Seite. »Bist du in Ordnung, Rian?«
»Warum sollte ich nicht in Ordnung sein?«
»Nun – du hast in letzter Zeit einiges durchgemacht. Der Ys-Spiegel hat an deinen Kräften gezehrt. Hast du ihn bei dir?«
»Ich fühle mich körperlich blendend«, sagte Dorian knapp. Er klopfte sich auf die Brust. »Ja, den Spiegel habe ich bei mir. Ich könnte noch nicht ohne ihn auskommen. Das weißt du doch.«
»Gut, körperlich bist du fit«, sagte Unga beschwichtigend. »Aber du siehst aus, als seist du gemütskrank. Fällt dir der Abschied von Coco so schwer? Du hast dich doch nicht von ihr um den Finger wickeln lassen?«
Dorian biss die Zähne aufeinander und schüttelte den Kopf. Er wollte Unga nicht gestehen, dass er sich bei Gunnarssons Gehöft mit Coco verabredet hatte. Er hoffte, dass er sich bis dahin endgültig entschieden haben würde.
»Ich habe mit Coco gesprochen«, fuhr Unga fort. Er schnitt eine Grimasse. »Sie scheint nicht einsehen zu wollen, dass sie dich deine eigenen Wege gehen lassen muss. Zugegeben, sie ist eine einmalige Frau und ein prächtiger Kamerad, aber ...«
»Halt den Mund!«
»Schon gut.« Unga machte eine begütigende Geste. »Ich kann dich ja verstehen. Aber es war dein Entschluss, den Stein der Weisen zu finden. Du warst versessen darauf, Hermes Trismegistos' Geheimnis zu ergründen. Nun musst du auch die Konsequenzen tragen.«
»Ich bin bereit«, erwiderte Dorian. »Es fällt mir nur auf die Nerven, wenn du wie ein Wasserfall redest. Es wäre besser gewesen, dir das Sprechen nicht beizubringen. Als radebrechender Barbar hast du wenigstens den Mund nicht so oft aufgemacht.«
Unga lachte. Er hatte sich den Gegebenheiten der Gegenwart angepasst. Dies war umso erstaunlicher, da er als Mann der Steinzeit nach einem Jahrtausendschlaf plötzlich mit einer technisierten Zivilisation konfrontiert worden war, die für ihn völlig fremdartig und unverständlich gewesen sein musste. Aber Unga hatte sich schnell in die heutige Welt integriert – und das zeigte wohl am deutlichsten, was für ein außergewöhnlicher Mann er war. Ganz zu schweigen von seiner herkulischen Gestalt.
»Unga?«
»Ja?«
»Du hattest mit deiner Bemerkung vorher recht. Ich fühle mich innerlich wie zerrissen, einfach elend. Und ich mache mir Sorgen. So nahe vor dem Ziel beginnen mich Zweifel zu plagen.«
Unga sah ihn ernst an und sagte: »Noch kannst du zu Coco zurückkehren.«
»Darum geht es gar nicht«, sagte Dorian abwehrend. »Meine Zweifel sind anderer Natur. Erinnere dich der Vorfälle in dem Hochhaus von New York! Später erfuhr ich, dass gleich nach dem Einsturz jemand in meinem Namen Tim Morton angerufen und ganz konfuses Zeug von sich gegeben hat. Bald darauf – noch bevor Luguri seinen Blutregen über die norwegische Insel Mageröya fallen ließ – meldete sich der Unbekannte in meinem Namen im Castillo Basajaun und behauptete, dass diese Ereignisse längst der Vergangenheit angehören würden, obwohl sie noch nicht einmal passiert waren.«
Das Geländefahrzeug ließ die Lavawüste hinter sich und fuhr einen zerklüfteten Hang hinauf. Aus den Spalten und Bodenrissen stiegen gelbliche Dämpfe auf. Links von ihnen spie ein Geysir eine heiße Fontäne in den Himmel.
»Das braucht überhaupt nichts zu bedeuten«, meinte Unga.
Dorian machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Das ist noch nicht alles«, sagte er. »Als ich nach dem Einsatz des Ys-Spiegels gegen Luguris Teufelsgeschöpfe in der Jugendstilvilla das Bett hüten musste, kam der dritte Anruf. Coco übergab den Telefonhörer an mich und ... Unga, ich hatte das Gefühl, mit mir selber zu sprechen. Ich begann, an meinem Verstand zu zweifeln. Der Anrufer behauptete, Dorian Hunter zu sein. Es war wie ein Albtraum.«
»Und das bedrückt dich so?«, fragte Unga leichthin. »Ich würde die Angelegenheit vergessen. Wahrscheinlich wollte dir nur jemand einen Streich spielen.«
»Ja. Aber wer? Und was steckt dahinter?«
»Ich tippe auf Luguri. Wahrscheinlich wollte er dich verunsichern. Ähnliches wollte ja auch Olivaro erreichen, als er aufzeigte, dass du eine falsche Erinnerung an dein Leben als Michele da Mosto hättest.«
Dorian nickte. Er hatte sich eingeredet, dass er als Michele da Mosto seinen Lebensabend an der Seite einer Japanerin verbrachte und im Jahre 1610 eines natürlichen Todes starb. Nun hatte Olivaro ihm aber gezeigt, dass er im Jahre 1586 Harakiri begangen hatte. Nach seinem Selbstmord hätte seine Seele zwangsläufig in einen neuen Körper überwechseln müssen, doch in seiner Erinnerung klaffte eine Lücke, die von 1586 bis 1610 reichte. Was war in diesen nahezu 25 Jahren geschehen? Wer war er gewesen? Warum konnte er sich nicht daran erinnern?
»Ich hätte mit dir über diese Probleme nicht sprechen sollen«, sagte Dorian resigniert. »Sie gehen auch nur mich etwas an.«
»Verdammt!«, rief Unga aufgebracht. »Warum quälst du dich damit so herum? Das gerade erwartet man von dir. Luguri und Olivaro wissen beide, dass wir dem Geheimnis von Hermes Trismegistos auf der Spur sind. Und wenn sie auch Gegner sind, als Dämonen sind sie sich in einem Punkt einig: Du darfst den Stein der Weisen nicht finden, weil du dann zu mächtig wärest. Halte dir das vor Augen! Dann weißt du, was du von diesen Vorgängen zu halten hast. Aber mach dich doch, um Hermons willen, nicht selbst verrückt! Denn gerade das soll doch die Intrige gegen dich bezwecken.«
»Ich weiß es, Unga, aber ich komme dennoch nicht dagegen an«, sagte Dorian zerknirscht. »Doch da ist noch etwas anderes. Wie kannst du so sicher sein, dass die Intrigen gegen mich von Luguri und Olivaro ausgehen?«
»Wer sollte es sonst sein?«
»Nun – Magnus Gunnarsson hat nie verhehlt, dass ich für ihn nur Mittel zum Zweck bin. Er profitiert zudem noch mehr als die Dämonen, wenn ich an mir selbst zweifle.«
»Bist du noch zu retten, Rian!« Unga warf theatralisch die Hände in die Luft. »Ich glaube fast, die Dämonen haben bei dir ihr Ziel erreicht. Sie haben einen Keil zwischen dich und deine Freunde getrieben und dich völlig verunsichert. Und es ist ihnen gelungen, Misstrauen zwischen dir und Gunnarsson zu säen. Komm endlich zu dir, Dorian!«
Dorian gab sich verschlossen. Er warf wie zufällig dem Fahrer einen Blick zu, der bis jetzt kein einziges Wort gesprochen hatte. Als er im Rückspiegel dessen Augen sah, glaubte er, sie triumphierend aufblitzen zu sehen.
Der Rotschopf war ein Besessener. Das hatte Dorian schon auf dem Flughafen von Reykjavik erkannt, aber er war nicht dahintergekommen, was die Dämonen damit bezweckten. Hofften sie, dass sie den Besessenen in die Expeditionsmannschaft schmuggeln konnten? Wohl kaum. Sie mussten sich klar darüber sein, dass der Mann entlarvt werden würde.
Der Wagen hielt an. Vor ihnen war eine dichte, gelbliche Nebelwand, aus der immer wieder Fontänen dampfenden Wassers emporschossen. Der Boden schillerte in vielen Farbschattierungen und schien zu kochen.
»Sind wir am Ziel?«, fragte Dorian und holte verstohlen einen Dämonenbanner aus der Tasche. Unga merkte es und spannte sich an.
»Gleich«, sagte der Fahrer und fuhr wieder an.
Plötzlich sah Dorian im Rückspiegel, wie sich das Gesicht des Fahrers verzerrte. Ohne zu zögern, sprang er den Isländer von hinten an, legte ihm den Arm um den Hals und drückte ihm den Dämonenbanner gegen die Stirn. Der Besessene schrie auf, ließ das Lenkrad los und stieg gleichzeitig aufs Gaspedal. Der Wagen holperte führungslos über die Kraterlandschaft und verschwand in der Nebelwand. Schwefeldämpfe drangen ins Autoinnere ein.
Unga barg den Kopf in der Armbeuge, um die Giftdämpfe wenigstens nur gefiltert einzuatmen, und griff gleichzeitig ins Lenkrad.
»Wer ist dein Meister?«, fragte Dorian dicht am Ohr des Besessenen.
Dieser schrie vor Schmerz, den ihm der Dämonenbanner an seiner Stirn verursachte, aber er brachte keinen artikulierten Laut zustande.
Plötzlich riss er sich mit übermenschlicher Anstrengung von Dorian los, stieß gleichzeitig die Wagentür auf und ließ sich hinausfallen. Dorian sah noch, wie sein Körper in einen Krater rollte.
Unga kletterte auf den Fahrersitz. Der Wagen stand still. Der Motor war abgestorben.
»Fahr uns hier heraus!«, rief Dorian dem Cro Magnon zu. »Sonst müssen wir ersticken.«
Unga nickte wortlos. Er machte verzweifelte Anstrengungen, den Wagen wieder zu starten. Endlich, beim vierten Versuch, heulte der Motor auf.
Der Wagen fuhr an. Unga versuchte, ihn zwischen den Kratern hindurchzusteuern. Einmal fuhren sie fast in einen Geysir. Unga konnte den Wagen im letzten Moment noch herumreißen.
»Ich finde nicht mehr raus!«, rief er schließlich.
Dorian öffnete seinen Kragen und lehnte sich zurück. Er atmete in ein Taschentuch, doch war dieses längst schon mit Schwefeldämpfen getränkt.
Unga schrie auf. Dorian sah nur noch verschwommen, dass der Wagen plötzlich zur Seite kippte und einen zerklüfteten Abhang hinunterrollte. Die Räder blieben in irgendeiner Bodenspalte hängen. Der Wagen schwebte über einem brodelnden Abgrund.
Unga lag reglos auf dem Fahrersitz. Er war gegen den Türrahmen geflogen.
Dorian wollte die Tür öffnen. Doch er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Er versank in einer zischenden, nach Schwefel stinkenden Hölle. Als er mit letzter Kraft noch einmal die Augen öffnete, sah er schemenhaft zwei Gestalten näher kommen. Dann wurde auch er bewusstlos.
Luguri war ein Virtuose auf der Blutorgel. Dank seiner übernatürlichen Begabung beherrschte er das Spiel auf diesem Instrument vollkommen. Es bestand aus drei Komponenten: erstens aus den sieben Menhiren mit den insgesamt neunundvierzig Blutnäpfchen; zweitens aus drei ausgesucht schönen Frauen; und drittens aus deren Blut. Zusammen ergaben sie das Instrument, auf dem er leidenschaftlich spielen konnte – bis seine Opfer tot umfielen, bis sie ihren letzten Tropfen Blut hergegeben hatten.
Er entlockte den Frauen Bewegungen und Laute, die ihn selbst in Ekstase versetzten, und das Gurgeln des Blutes, das von den Körpern in die Blutschalen überwechselte, brachte ihn fast zur Raserei.
Und die ihm ergebenen Dämonen waren von seinen Darbietungen fasziniert. Denn er bot nicht nur ihren Augen und Ohren etwas, sondern auch ihren anderen Sinnen. Er ließ sie das Blut der drei Opfer schmecken verteilte es gerecht unter ihnen und steigerte so ihren Genuss.
Luguri füllte wieder einige Näpfchen mit dem Blut seiner drei tanzenden Opfer. Ihre Bewegungen wurden daraufhin lahmer. Geschwächt und ermüdet krochen sie über den Boden. Etwas von dem Blut ließ er in die gierigen Mäuler seiner Dämonen fließen, dann pumpte er das eine Opfer mit dem Rest voll. Die Frau gab ins Mark gehende Schreie von sich, verrenkte sich unter dem Andrang des fremden Blutes und taumelte wimmernd zwischen den Menhiren umher, als Luguri es ihr wieder abzapfte.
Aber der Erzdämon gab sich damit allein nicht zufrieden. Er wollte mehr – sich, während er im Blutrausch lag, auch anderweitig betätigen.
Er füllte dreizehn Schalen mit Blut, erhitzte es darin mit magischem Feuer, bis es brodelte, und ließ gleichzeitig seinen Geist aus seiner Burg fortwandern – in weite Ferne, zu einer vulkanischen Insel, wo Sterbliche sich anschickten, das Geheimnis der Götter zu ergründen – der Götter und Dämonen.
Luguri schlüpfte in den Körper des Isländers mit dem roten Haarschopf, der den Geländewagen mit Unga und Dorian Hunter darin lenkte. Es kostete den Erzdämon einige Anstrengung, sich in diesem Körper zu manifestieren. Zu stark war die Ausstrahlung des Ys-Spiegels, den der Dämonenkiller bei sich trug. Aber es lohnte sich. Um sich zu erbauen und zu stärken, kehrte Luguri immer wieder zu den Opfern im Festsaal seiner Burg zurück.
Zwischendurch aber lauschte er dem Gespräch, das der Dämonenkiller mit dem Cro Magnon führte. Es war überaus aufschlussreich. Zwei Sterbliche, die den Götterberg ersteigen wollten, die nach der Macht Hermons strebten, der auch Hermes Trismegistos genannt wurde. Doch in Dorian waren Zweifel. Er glaubte, nicht würdig zu sein, die Macht der Götter zu versuchen. Dorian Hunter, der Dämonenkiller, zweifelte aber nicht nur an sich selbst, sondern auch an seinen Freunden.
Er war verbittert, dass sie ihn nicht verstanden, war schockiert über das, was er durch den Dämon Olivaro über sich erfahren hatte; und er misstraute Magnus Gunnarsson, mit dem zusammen er die Spuren von Hermes Trismegistos verfolgte.
Luguri triumphierte. Der von allen Dämonen gefürchtete Dämonenkiller war angeschlagen.
Der Erzdämon kehrte kurz in seine Burg zurück, beendete das Spiel auf seiner eigenwilligen Blutorgel und überließ die drei Opfer seinen Getreuen.
Als er wieder in den Körper des Fahrers fuhr, stellte er fest, dass Dorian Hunter die halbe Wahrheit erkannt hatte.
»Wer ist dein Meister?«, herrschte Hunter den Isländer gerade an und drückte ihm einen Dämonenbanner gegen die Stirn.
Er wusste, dass der Mann besessen war, aber er wusste nicht, von wem.
Luguri wehrte die Kräfte des Dämonenbanners ab, während er gleichzeitig alle Kräfte im Körper seines Opfers mobilisierte. Auf diese Weise entriss er ihn dem Dämonenkiller und stürzte ihn in einen Schwefelkrater.
Damit war Luguris Kontakt unterbrochen. Aber er hatte genug gehört.
Er befand sich wieder in seinem Körper, im Festsaal seiner Burg. Zufrieden betrachtete er den Kreis der Dämonen, denen noch der Nachgeschmack des Blutfestes in die Fratzen geschrieben war.
»Unsere drei Sterblichen wandeln noch immer auf den Spuren von Hermon«, bemerkte der Erzdämon. »Aber unsere Arbeit hat Früchte getragen. Zwischen ihnen herrschen Uneinigkeit und Misstrauen. Das ist nicht zuletzt auch Olivaros Verdienst, der sich anscheinend gut in die Psyche von Dorian Hunter hineindenken kann. Manchmal hat auch die komplizierte Methode ihr Gutes.«
»Hunter, Unga und Gunnarsson sind unterwegs zu Hermes Trismegistos?«, fragte ein Dämon. »Und du lässt sie ziehen, Luguri? Warum schickst du uns nicht aus, damit wir uns ihnen mit voller Wucht entgegenwerfen? Wir werden sie zerfleischen.«
»Hunter hat den Ys-Spiegel«, sagte Luguri. »Ihr wisst aus Erfahrung, wie stark er damit ist. Aber selbst wenn er eurem übermächtigen Heer unterliegen würde, die Verluste wären groß. Und dieses Opfer steht nicht dafür. Hunter ist gezeichnet. Das Wissen um seine eigene Unzulänglichkeit hat ihn innerlich zu einem geschlagenen Mann gemacht. In dieser Verfassung wird er Hermon mehr schaden als nützen. Und das kommt uns zugute.«