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Die Prophezeiung des Hermaphroditen Phillip erregte Coco Zamis so sehr, dass sie sich auf ihr Zimmer im zweiten Stock von Castillo Basajaun zurückzog. Was war aus Dorian geworden? Warum hatte er kein Lebenszeichen von sich gegeben?
Coco öffnete die Schublade einer Kommode. Dort lag eine kleine Wachspuppe - ein Andenken an Dorian.
Mit dieser Puppe hatte sie Dorian vor vier Monaten in ihrem Zimmer der Londoner Jugendstilvilla behext. Sie hatte ihn einem Liebeszauber unterworfen, der ihr Macht über ihn verlieh. Wo immer er auch war, sie konnte ihn mit der Puppe zu sich zurückrufen. Der Dämonenkiller musste ihrem Ruf folgen ...
Irgendwann kam es, wie es sein Vorgänger Grettir prophezeit hatte: Dorian hat sich damit abgefunden, Hermes Trismegistos zu sein. Doch da sind immer noch die Träume. Sie erinnern Dorian an sein bisheriges Leben - und an das Leben eines fremden Mannes, der vor über vierhundert Jahren in Japan existiert hat ...
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Seitenzahl: 147
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Was bisher geschah
DES TEUFELS SAMURAI
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
In der Folge beginnt Dorian die Dämonen zu jagen – doch diese schlagen zurück und zersetzen die »Inquisitionsabteilung« des Secret Service, der Dorian vorübergehend unterstützt hat. Der ehemalige Leiter der Inquisitionsabteilung, Trevor Sullivan, gründet in der Londoner Jugendstilvilla in der Baring Road die Agentur Mystery Press, die Nachrichten über dämonische Aktivitäten aus aller Welt sammelt. Hunter bleibt als zweiter Rückzugsort das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt: die Hexe Coco Zamis, die selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; den Hermaphroditen Phillip, dessen Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen, sowie Ex-Secret-Service-Agent Donald Chapman, der bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft wurde.
Beinahe wird die schwangere Coco Zamis ein Opfer der Machtkämpfe innerhalb der Schwarzen Familie, doch nach einer Flucht um den halben Erdball bringt Coco ihr Kind sicher zur Welt – und versteckt es an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält. Cocos Vorsicht ist berechtigt, da bald eine neue, »alte« Gegnerin auftaucht: Hekate, die Fürstin der Finsternis, wurde von Dorian einst in seinem vierten Leben als Michele da Mosto verraten, sodass ihre frühere Liebe sich in glühenden Hass verwandelt hat.
Die Erinnerung an seine Existenz als da Mosto veranlasst Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Er stößt auf die versunkene Stadt Ys und birgt aus ihr einen Handspiegel. Dieser stellt offenbar die einzig wirksame Waffe gegen Hermons einstigen Erzgegner Luguri dar. In Island gewinnt Dorian den Kampf um Hermons Erbe und richtet sich in dessen Tempel ein. Wie es sein Vorgänger Grettir prophezeit hat, verspürt Dorian schon bald keinen Drang mehr, in sein altes Leben zurückzukehren – zumal er seit Monaten für tot gehalten wird ...
DES TEUFELS SAMURAI
von Ernst Vlcek
Die Prophezeiung des Hermaphroditen Phillip erregte Coco Zamis so sehr, dass sie sich auf ihr Zimmer im zweiten Stock von Castillo Basajaun zurückzog – in das Zimmer, das sie früher mit Dorian Hunter geteilt hatte.
Der Dämonenkiller galt als tot und sie als seine Mörderin. Doch außer Abi Flindt machte ihr niemand einen Vorwurf. Denn man glaubte ihr, dass Dorian zum Zeitpunkt der Tat von dem Erzdämon Luguri besessen war.
In Wirklichkeit hatte Coco jedoch nur einen Doppelgänger des Dämonenkillers getötet. Sie hatte ihn sofort entlarvt, als sie sah, dass er nicht das Hexenmal über dem Herzen trug, mit dem sie den echten Dorian verzaubert hatte.
Doch außer ihr kannte die Wahrheit niemand.
Was war aus Dorian geworden? Warum hatte er kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben? Seit drei Monaten wurde Coco von Zweifeln gequält. Und nun hatte Phillip noch Unheil für eine alte Liebe Cocos prophezeit. Der Hermaphrodit hatte sogar Ort und Zeitpunkt für das unheilvolle Ereignis genannt.
Den anderen hatte Coco weisgemacht, dass Phillip damit nur einen Mann namens Richard Steiner meinen konnte. Steiner hatte einst eine Rolle in ihrem Leben gespielt, als sie noch eine Hexe der Schwarzen Familie gewesen war. Sie fürchtete jedoch, dass Dorian mit dieser alten Liebe gemeint war.
Sie öffnete die Schublade einer Kommode. Dort lag eine kleine Wachspuppe – ein Andenken an Dorian.
Mit dieser Puppe hatte sie Dorian vor vier Monaten in ihrem Zimmer der Londoner Jugendstilvilla behext.
Sie hatte ihn einem Liebeszauber unterworfen, der ihr Macht über ihn verlieh. Wo immer er auch war, sie konnte ihn mit der Puppe zu sich zurückrufen.
Coco fand, dass sie lange genug gewartet hatte. Den letzten Anstoß dazu, ihren Liebeszauber wirken zu lassen, hatte Phillips Prophezeiung gegeben. Sie war des Wartens müde.
Als sie ihre Beschwörung beendet hatte, war die Puppe ein formloser Wachsklumpen. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Liebeszauber wirksam geworden war.
Der Dämonenkiller musste ihrem Ruf folgen.
Er träumte oft von Coco, und es waren Träume mit dem gleichen Inhalt: Er fand sich im Nirgendwo als einsamer Wanderer. Dann tauchte Coco auf und rief ihn. Er sah sie als überirdisch schönes Wesen. Er sah sie ganz deutlich, und sie war ganz nahe. Er lief klopfenden Herzens auf sie zu, und sie streckte ihm mit halb geschlossenen Augen die Arme entgegen und erwartete ihn sehnsuchtsvoll. Doch er erreichte sie nie. Denn so schnell er auch lief, und obwohl sie sich nicht vom Fleck rührte – sie entschwebte ihm, blieb immer in der gleichen Entfernung ...
Doch diesmal war der Traum anders.
Dorian fand sich in einem dschungelartigen Wald, der in einen gepflegten Garten überging. Es war ein exotischer Garten mit kleinen Seen, Zwergbäumen und größeren, die Kirschblüten trugen.
Inmitten des gepflegten Gartens ragte ein verfallender Palast auf, der von Unkraut und Büschen überwuchert war. Es war ein fernöstlicher Palast, chinesisch oder japanisch, einige Stockwerke hoch. Und jedes Stockwerk war mit einem geschwungenen Dach abgeschlossen – ähnlich wie bei einer Pagode.
Dorian kam nicht als er selbst in diesen fremden verlassenen Palast, der ein Gegenstück zum Tempel des Hermes Trismegistos zu sein schien ... Er kam als Richard Steiner.
Plötzlich tauchten überall die Gesichter seiner früheren Freunde auf. Jeff Parker fuhr mit seiner Jacht über den Himmel und winkte wehmütig. Abi Flindt versuchte verzweifelt, sich durch den Dschungel zu ihm durchzukämpfen. Er sank, als er vor ihm stand, erschöpft und enttäuscht zu Boden, weil Dorian ein Fremder war – nämlich Richard Steiner. Hideyoshi Hojo tauchte zwischen den Sträuchern auf, zeigte sein japanisches Lächeln und winkte den fremden Besucher zu sich. Er trug einen prunkvollen Haori.
Dorian in der Gestalt des Richard Steiner folgte ihm. Und Yoshi breitete die Arme aus, in einer Art, als wolle er in diese Bewegung den gesamten Palast einschließen. Und als Dorian genauer hinsah, erkannte er, dass die Büsche und Bäume eine einheitliche Gestalt darstellten ...
Das Gesicht wurde von blühenden Kirschbäumen gebildet. Die Augen waren bunte Schmetterlinge – und da sie mit ihren Flügeln flatterten, schienen die Augen zu leben. Büsche, Palastmauern und bemooster Fels hatten die Form einer Frau, deren Leib sich über den ganzen Garten legte, auf einen Arm gestützt dalag, wartete ...
Dorian hatte jedoch nur Augen für das Gesicht aus Kirschblüten.
»Coco!«, rief er, als er seine frühere Geliebte erkannte.
Er rannte zu ihr, verirrte sich jedoch im Kirschgarten. Und da musste er erkennen, dass er nur eine Vision von Coco gehabt hatte.
Alle seine Freunde waren verschwunden. Er war wieder allein.
»Coco!«, stöhnte er und erwachte.
Er befand sich in der kalten steinernen Tempelhalle von Hermes Trismegistos' Tempel.
»Hermon! Hermon!«, rief eine kräftige Stimme nach ihm. Sie gehörte Unga, seinem Diener. »Ich bin von meinem Einsatz zurück!«
Da fand Dorian Hunter endgültig in die Wirklichkeit zurück. Er war nicht mehr der Dämonenkiller, sondern Hermes Trismegistos.
Ungas Stimme war aus dem Kommandostab gekommen, den Dorian wie ein Zepter in der Hand hielt.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Dorian.
»Ich habe Luguris dämonische Bastarde in die Schranken gewiesen«, antwortete der Cro Magnon.
»Ich komme zum Elfenhof«, sagte Dorian knapp und schob den Kommandostab teleskopartig auf eine Länge von fünfzehn Zentimetern zusammen.
Er war jetzt hellwach. Was für ein verrückter Traum!
Irgendwann war es so gekommen, wie es sein Vorgänger Grettir prophezeit hatte: Er wollte nicht mehr in sein normales Leben zurückkehren, sondern hatte sich damit abgefunden, Hermes Trismegistos zu sein.
Seine Träume zeigten ihm aber, dass er sich noch immer nach der Vergangenheit sehnte. Doch er versuchte, diese Sehnsüchte zu verdrängen.
Er hatte jetzt – als Verwalter von Hermes Trismegistos' magischem Erbe – eine große Verantwortung zu tragen. Und dieser wollte er sich nicht entziehen. Deshalb musste er einen Schlussstrich unter sein früheres Leben ziehen. Es hatte lange gedauert, bis er sich dieser Verantwortung bewusst geworden war.
Er hatte alle Geheimnisse des Tempels ergründet, und er war hier kein Gefangener mehr. Er konnte den Tempel jederzeit verlassen. Allerdings hatte er keine Lust dazu.
Und ganz so schlimm, wie es Grettir vorhergesagt hatte, war es nicht gekommen. Dorian war nicht zum einsamsten Wesen des Universums geworden. Immerhin hatte er noch Unga, den Cro Magnon, den Puppenmann Donald Chapman und das Alraunenmädchen Dula. Er besuchte sie gelegentlich auf dem Elfenhof, der einmal Magnus Gunnarsson gehört hatte.
Obwohl der Hof der àlfar mehr als hundert Kilometer von Torisdalur entfernt war, war es für den Dreimalgrößten nur ein Katzensprung.
Er brauchte sich nur in seinen Thronsessel zu setzen, der in einem starken magischen Magnetfeld stand, und sich zum Elfenhof zu denken. Sofort veränderte sich seine Umgebung. Er war nicht mehr in der steinernen Tempelhalle, sondern schien durch Raum und Zeit zu schweben. Und als durcheile er andere Dimensionen und Zeiten, zogen an ihm fremdartige Gebilde vorbei. Sie zeigten sich ihm wie Momentaufnahmen unbekannter Landschaften und Traumwelten ...
Und dann fand er sich in einer Scheune wieder. Sie war fast leer, denn der lange isländische Winter ging seinem Ende entgegen. Es war Anfang April.
Er trat ins Freie. Das einsame Tal zwischen dem Skjaldbreidur und dem Hlodufell war noch verschneit. Aber es taute. Rund um das Gehöft brach bereits dunkle Erde hervor, und das erste Grün zeigte sich.
Dorian strebte dem Wohngebäude zu. Unga erwartete ihn in der Tür. Er musste sich bereits umgezogen haben, denn er trug wieder die einfache Kleidung eines isländischen Bauern. Auf seinen Schultern saßen die fußgroßen Zwergwesen Donald Chapman und Dula.
Dorian schüttelte Unga schweigend die Hand, deutete in Dulas Richtung mit gespitzten Lippen einen Kuss an und zwinkerte Don zu.
Sie gingen ins Haus. Hier war es behaglich warm, denn eine nahe Thermalquelle heizte das ganze Anwesen.
Sie setzten sich an den Tisch, der bereits gedeckt war. Dorian konnte sich gut vorstellen, wie sich Don und Dula mit den schweren Tontellern und den für sie riesigen Bestecken abgemüht hatten. Dasselbe galt für das Kochen. Aber Dorian hatte von Dula noch nie eine Beschwerde gehört; nicht einmal im Scherz. In der uralten Bauernstube roch es verführerisch.
»Es gibt slátur«, verkündete Dula. Das war in Milch eingelegtes Walfleisch, das mit viel Zwiebeln, Salz und Pfeffer gebraten wurde. Dorians Lieblingsgericht.
»Lass nur, das mache ich schon«, sagte Unga. »Aber zuerst will ich Dorian Bericht erstatten.« Er blickte Dorian an. »Ist es nicht leichtsinnig, in deiner wahren Gestalt hier aufzutauchen?«
»Ich hoffe doch, dass ihr den Hof vor neugierigen Dämonen abschirmen könnt«, erwiderte Dorian. Er schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich werde ich noch oft Masken anlegen müssen. Aber ich will doch wenigstens bei meinen Freunden ich selbst sein. Hattest du große Schwierigkeiten mit Luguris Dämonen?«
Unga machte eine wegwerfende Handbewegung. Er hatte nun schon zum zweiten Mal in Hermes Trismegistos' Namen gegen die Schwarze Familie einschreiten müssen. Dorian hatte bisher noch keine Veranlassung gehabt, selbst gegen Luguri vorzugehen.
Sicher, überall auf der Welt machten sich dämonische Einflüsse bemerkbar, und Luguri tat alles, um seine Macht zu festigen und dem Bösen zum Sieg zu verhelfen. Aber Dorian wollte sich zuerst mit den Möglichkeiten vertraut machen, die er als Hermes Trismegistos hatte, bevor er gegen Luguri Ernst machte. Und, wie gesagt, erst zwei Fälle hatten es nötig gemacht, Hermes Trismegistos' Macht zu demonstrieren.
Einmal hatte Luguri versucht, einen afrikanischen Kleinstaat unter die Herrschaft der Dämonen zu bringen. Unga hatte das verhindert.
Außerdem hatte Luguri eine deutsche Stadt in seine Gewalt gebracht. Von diesem Einsatz war Unga eben zurückgekehrt.
Er erstattete Dorian in wenigen prägnanten Worten Bericht. Dorian war nicht ganz bei der Sache. Es genügte ihm zu hören, dass Unga erfolgreich gewesen war.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«, fragte Unga.
»Natürlich«, behauptete Dorian, und er fügte lobend hinzu: »Das hast du großartig hingekriegt, Unga.«
Der Cro Magnon murmelte etwas Unverständliches und schickte sich an, das Essen zu servieren.
»Eigentlich habe ich auch als Hermes Trismegistos alles, was ich zum Leben brauche«, stellte Dorian während des Essens fest. »Mir geht überhaupt nichts ab. Und die Zusammenkünfte mit euch gehören zu meinen schönsten Erlebnissen.«
»So?«, sagte Chapman. Dula stieß ihn verstohlen an. Die beiden hatten sich auf der Tischplatte niedergelassen. Chapman fuhr fort: »Du bist aber sehr genügsam geworden.«
»Ja, das mag schon sein«, gab Dorian zu. »Aber ich bin wirklich mit dem zufrieden, was ich habe.«
Die anderen schwiegen betreten. Dorian wusste, warum. Er hatte sie gebeten, nicht über die früheren Zeiten zu sprechen.
»Nun, ja ...«, begann er. »Ich will euch nichts vormachen. Manchmal träume ich ...«
»Warum sprichst du darüber?«, sagte Unga. »Das macht nur melancholisch.«
»Überhaupt nicht«, behauptete Dorian. »Ich bin darüber hinweg. Ich wollte nur sagen, dass ich zwar oft noch von den alten Zeiten träume, aber Distanz gewonnen habe. Ihr braucht auf meine Gefühle keine Rücksicht mehr zu nehmen. Es ist aus mit der Vogel-Strauß-Politik. Ich will nicht länger den Kopf in den Sand stecken, sondern kann die Vergangenheit nüchtern betrachten.«
»Prima!«, rief Chapman. »Wenn das so ist, kann ich endlich ein Thema mit dir erörtern, das mir sehr am Herzen liegt: Coco.«
Unga warf ihm einen rügenden Blick zu, als er sah, dass Dorian zusammenzuckte und schluckte.
»Sprich nur«, forderte Dorian den Puppenmann auf. »Was ist mit Coco?«
»Findest du nicht, dass sie ein Recht darauf hat zu erfahren, dass du noch lebst, Dorian?«, meinte Chapman. Als Dorian schwieg, fuhr er fort: »Du könntest mich nach Basajaun schicken. Ich kenne die Örtlichkeiten gut genug, um mich vor den anderen verstecken zu können. Es wäre für mich ein Leichtes, Coco unbemerkt eine Nachricht zukommen zu lassen.«
»Nein!«, sagte Dorian bestimmt.
»Und wieso nicht?«, wollte Chapman wissen.
»Weil es noch zu früh dafür ist.« Dorian erhob sich und ging zu einem Fenster. Er starrte mit verkniffenem Gesicht hinaus.
»Okay«, meinte der Puppenmann. »Ich verstehe. Dorian hat Angst, dass Coco versuchen könnte, ihn zu sich zurückzuholen, wenn sie weiß, dass er noch am Leben ist. Aber das glaube ich nicht. Ich kenne Coco gut genug. Und ich bleibe dabei, dass sie ein Recht darauf hat ...«
»Warum zerbrichst du dir den Kopf über meine Probleme, Don?«, fragte Dorian, ohne sich vom Fenster abzuwenden.
Er starrte in unergründliche Fernen hinaus, sah irgendwo einen verwunschenen Palast ... Und obwohl es sich nur um eine Fata Morgana handelte, hatte er das Gefühl, als ziehe ihn dieses rätselhafte Gebäude magisch an. Es barg Geheimnisse, die zu entschlüsseln ihn reizen würde.
»Könnt ihr euch vorstellen, dass Hermon in seinem Tempel vielleicht so eine Art Warneinrichtung untergebracht hat?«, fragte Dorian. Der verwunschene Palast vor seinem geistigen Auge wurde noch deutlicher.
»Wenn du das nicht weißt ...«, sagte Unga.
»Ich befand mich noch nie in einer Situation wie dieser«, sagte Dorian. »Ich musste mich auch noch nie bewähren. Aber vielleicht hat nun irgendwo in der Welt ein Ereignis stattgefunden, das alarmierend genug war, um eine Warneinrichtung des Tempels zu aktivieren. Irgendwelche magischen Konstellationen könnten dafür verantwortlich sein. Ich bin mir fast sicher, dass es so ist. Ich habe ein Zeichen bekommen, das ich nicht missachten darf.«
»Was für ein Zeichen?«, fragte Unga.
Dorian drehte sich um und lächelte schwach. »Das ist mein Einsatz, Unga.«
»Du willst den Tempel verlassen?«, fragte der Cro Magnon ungläubig.
Ich muss es tun, alles in mir drängt danach, wollte Dorian sagen. Doch er tat es nicht. Unga hätte es leicht missverstehen können.
Dorian sah klar vor sich, was er tun musste. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass er zu einer wichtigen Mission in Hermes Trismegistos' Namen gerufen wurde.
Er konnte sich dem Ruf in dieses ferne geheimnisvolle Land nicht widersetzen. Etwas war dort im Gange, das seinen Einsatz erforderte. Er konnte diesmal nicht Unga schicken.
»Ja, ich werde zum ersten Mal als Hermes Trismegistos in die Geschicke der Menschheit eingreifen«, sagte Dorian.
»Worum geht es?«, wollte Unga wissen. »Kann ich dich begleiten?«
Dorian schüttelte den Kopf. »Ich werde es dich rechtzeitig wissen lassen, wenn ich dich brauche, Unga. Auf bald.«
Ohne weitere Erklärungen verließ er das Haus, begab sich in die Scheune und suchte das Magnetfeld auf. Normalerweise bedurfte es einiger Vorbereitungen, um von einem Magnetfeld zum andern zu »springen«. Aber zwischen dem Elfenhof und dem Tempel des Hermes Trismegistos bestand eine ständige Verbindung.
Dorian brauchte sich nur an sein Ziel zu wünschen, und nach der kurzen Reise durch unbegreifliche Räume fand er sich in der Halle des Tempels wieder.
Dorian glaubte, die Zeichen des Traumes richtig zu deuten, wenn er die Identität des Richard Steiner annahm. Warum sonst hatte er sich im Traum wohl als dieser gesehen?
Aber warum ausgerechnet Richard Steiner? Er kannte den Namen. Coco hatte ihm von diesem Mann erzählt. Und er wusste ungefähr, wie er aussah: So groß wie er, nur viel schlanker. Ein klapperdürres Gestell mit einer unbändigen roten Mähne und einer kreisrunden Nickelbrille.