Dorian Hunter 117 - Ernst Vlcek - E-Book

Dorian Hunter 117 E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Das abscheuliche Monster zitterte vor Erregung, als es sich über die Jungfrau beugte.
Es hatte einen wuchtigen, wie aus Lehm geformten Schädel. Das Gesicht war eine grün durchäderte Fratze. Speichelblasen platzten vor seinen aufgeworfenen Lippen, als es die Luft keuchend ausstieß.
Der stinkende Atem traf die Jungfrau voll ins Gesicht. Sie erwachte, und ihre Augen weiteten sich vor Schreck.
Axel, das ehrbare Monster, zuckte zurück und gab einen gequälten Aufschrei von sich. Er wollte nichts Böses. Es lag nicht in seiner Absicht, die Jungfrau auch nur anzurühren, obwohl alles in ihm danach drängte, sein Raubtiergebiss in ihr weiches, zartes Fleisch zu schlagen.
Aber er wollte nicht mehr töten. Er wollte kein mordendes Ungeheuer mehr sein. Er liebte dieses engelhafte Mädchen auf eine kindliche, unschuldige Art und Weise ...


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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DER BUCKLIGE VON DOOLIN CASTLE

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.

Bald darauf veranlassen die Erinnerungen an seine Existenz als Michele da Mosto Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Er findet jedoch »nur« den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon einst gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos, richtet sich in dessen Tempel ein und verspürt schon bald keinen Drang mehr, in sein altes Leben zurückzukehren.

Kurz darauf erwachen in Dorian Erinnerungen an sein fünftes Leben. Als Samurai Tomotada war er damals im Auftrag des Januskopfes Olivaros aktiv, der in der Gegenwart kurzzeitig als Oberhaupt der Schwarzen Familie agierte. Olivaros Nach-Nachfolger, der Erzdämon Luguri, unternimmt derweil alles, um den Bayerischen Wald in eine Brutstätte des Bösen zu verwandeln, wird aber von Coco und Dorian, der damit offiziell unter die Lebenden zurückkehrt, geschlagen. In der Zwischenzeit wurde Olivaro von zwei Wächtern, die er als »Psychos« bezeichnet, in das irische Dorf Cranasloe gezwungen – im Auftrag seiner Artgenossen, der Janusköpfe? Da greifen Luguris Horden an! Die Psychos werden vernichtet, und Olivaro dreht, möglicherweise unter dem Einfluss der Janusköpfe, durch und zerstört die Umgebung. Dorian setzt den Ys-Spiegel ein, um Olivaro Einhalt zu gebieten. Die Folgen sind erschütternd: Olivaro wird zu einem lallenden Idioten ...

DER BUCKLIGE VON DOOLIN CASTLE

von Ernst Vlcek

Das Monster zitterte vor Erregung, als es sich über die Jungfrau beugte. Es hatte einen wuchtigen, wie aus Lehm geformten Schädel. Das Gesicht war eine grün durchäderte Fratze. Speichelblasen platzten vor seinen aufgeworfenen Lippen, als es die Luft keuchend ausstieß. Der stinkende Atem traf die Jungfrau voll ins Gesicht. Sie erwachte, und ihre Augen weiteten sich vor Schreck.

Axel, das ehrbare Monster, zuckte zurück und gab einen gequälten Aufschrei von sich. Er wollte nichts Böses. Es lag nicht in seiner Absicht, die Jungfrau auch nur anzurühren, obwohl alles in ihm danach drängte, sein Raubtiergebiss in ihr weiches, zartes Fleisch zu schlagen. Aber er wollte nicht mehr töten. Er wollte kein mordendes Ungeheuer mehr sein. Er liebte dieses engelhafte Mädchen auf eine kindliche, unschuldige Art und Weise.

Er wollte die Jungfrau warnen. Sie durfte nicht schreien. Sie durfte keine Angst vor ihm haben. Denn wenn er Angstschweiß witterte, wenn er die für Menschen in Todesangst typische Ausdünstung spürte, dann konnte er seine unheimlichen Triebe nicht mehr unter Kontrolle halten – dann würde er sich wie ein heißhungriges Raubtier auf die wehrlose Jungfrau stürzen müssen.

1. Kapitel

Da krachte die Tür in den Angeln. Reginald MacCarthy erschrak. Seine Hände zuckten von den Tasten der Schreibmaschine zurück. Von der Tür her war ein wüstes Gepolter zu hören. Es hörte sich so an, als sei ein schwerer Körper dagegengekracht.

»Was war das?«, fragte er laut in die nachfolgende Stille hinein. Bildete er sich nur ein, Geräusche zu hören, die zu jener Szene seines Gruselromans passten, die er gerade niederschrieb?

Er starrte die Tür seines Zimmers wie hypnotisiert an. Aber es rührte sich nichts. Irgendwie wurde ihm bang. »Ist da jemand?«, fragte er.

Stille.

Er schüttelte den Kopf, rang sich ein gequältes Lächeln ab, ging zur Tür, öffnete sie ruckartig und blickte in den Korridor hinaus. Da war niemand. Sein Lächeln vertiefte sich.

Er kehrte zu dem Schreibtisch zurück, setzte sich, überflog die letzten Zeilen seines Gruselromans und hob schon die Hände, um sie wie ein Virtuose über die Tasten seiner Schreibmaschine tanzen zu lassen – da hatte er wieder den Eindruck, als sei an der Tür ein Geräusch. Diesmal war es ein Kratzen, ein Scharren wie von einem Tier. Vielleicht eine Ratte? Na, wenn schon! Das sollte ihn nicht irritieren. Er hatte keine Angst. Im Gegenteil – er war es, der durch seine grausigen Ideen anderen das Gruseln lehrte. So weit kam es noch, dass er sich selbst verrückt machte.

Er machte einen neuen Anlauf, aber irgendwie war der Faden gerissen. Er musste sich zuerst einmal entspannen und sich langsam wieder in seine Fantasiewelt hineinleben.

Reginald MacCarthy zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich behaglich in dem schweren Eichenstuhl zurück.

Für einen Horrorautor war Doolin Castle der ideale Ort zum Arbeiten. Ein mittelalterliches Gemäuer inmitten der irischen Moorlandschaft. Legendenumwoben, das inspirierte. Und er hatte schon eine Menge verwertbarer Ideen zu Papier gebracht.

Axel, das ehrbare Monster, das gut werden wollte und seine mörderischen Triebe zu unterdrücken versuchte, hatte Chancen, zu einer klassischen Horrorfigur zu werden, wie etwa Frankensteins Monster. Das war eine gar nicht so abwegige Idee. Reginald wusste, dass er Talent hatte.

Die Idee war ihm blitzartig gekommen, als er in dem großen verlassenen Salon der Burg gesessen und in die züngelnden Flammen des offenen Kamins gestarrt hatte. Er würde etwas daraus machen. Dabei war er mit gemischten Gefühlen hierhergekommen, denn er hielt nichts von solchen Treffen, bei denen nur gesoffen und gealbert wurde und sonst nichts. Die Stille und Abgeschiedenheit seiner kleinen Junggesellenbude war ein viel fruchtbarerer Boden für seine Arbeit. Er hatte die Einladung zu diesem Symposium und Workshop nur angenommen, weil sie von James Lynam kam, dem Altmeister des Gruselns. Er wollte ihn schon lange einmal kennenlernen, und es hatte ihn sehr geehrt, von diesem erfolgreichen Kollegen bedacht worden zu sein. Das gab ihm das Gefühl, zu den »Arrivierten« zu gehören.

Lynam stammte aus Cranasloe, diesem unbekannten 500-Seelen-Nest nahe von Clonmacnoise. Er war nach England gezogen und als erfolgreicher Schriftsteller in seinen Heimatort zurückgekehrt, wo er sich seinen Jugendtraum erfüllte. Er kaufte Doolin Castle. Und zur Einweihung veranstaltete er diesen Workshop.

So skeptisch MacCarthy gewesen war, er bereute sein Kommen nicht. Das uralte Gemäuer regte seine Fantasie an. Es regte seine Fantasie sogar zu stark an, denn er vernahm schon wieder ein anderes Geräusch an der Tür. Diesmal war es kein Rumoren und kein Kratzen, sondern ein Krächzen und Gurgeln.

Kein Zweifel, dort stand jemand hinter der Tür. Irgendein Wesen, das sich ihm zu erkennen geben wollte, jedoch nicht in der Lage war, seine Stimme zu artikulieren? So wie Axel, das ehrbare Monster, das Intelligenz besaß, jedoch seine Gedanken nicht aussprechen konnte und schwer darunter zu leiden hatte, dass es durch sein abstoßendes Äußeres Angst und Schrecken verbreitete.

MacCarthy konzentrierte sich auf die Geräusche, aber auf einmal war wieder nichts zu hören.

Wenn diese Halluzinationen schlimmere Formen annehmen, dann steige ich auf Liebesromane um, dachte er und drehte sich der Schreibmaschine zu. Nun würde er sich durch keine Sinnestäuschung mehr irritieren lassen.

Er las den letzten Satz.

Da krachte die Tür in den Angeln.

MacCarthy riss es fast vom Stuhl, als etwas mit unheimlicher Wucht gegen die Tür knallte. Beim zweiten Anprall sah er die Türfüllung vibrieren. Ein Scharren war zu hören, dann folgte ein Winseln.

Das hatte mit Einbildung nichts mehr zu tun.

MacCarthy ergriff ein Schüreisen vom Kamin und näherte sich der Tür. Wieder herrschte Stille. Aber sie währte nicht lange. Als er noch zwei Schritte von der Tür entfernt war, erklang wieder das weinerliche Winseln.

So hatte er sich in seiner Fantasie Axels Klagelaute vorgestellt.

Ohne lange zu überlegen, sprang er zur Tür und riss sie auf. Er wollte in den Korridor hinausstürmen, doch ein mächtiger Körper verstellte ihm den Weg.

MacCarthy war viel zu überrascht, um Entsetzen oder Furcht empfinden zu können.

Da kauerte an der gegenüberliegenden Wand die Inkarnation des ehrbaren Monsters – Axel, wie er ihn in seinem Roman beschrieben hatte. Er hatte eine massige Gestalt und stand, den Kopf tief über die breite Brust gesenkt, geduckt da. Die Keulenarme waren halb erhoben, die Hände, groß wie Schaufeln, machten eine abwehrende Bewegung. Der Schädel war wie aus Lehm geformt, das Gesicht narbig und fratzenhaft. Grünlicher Speichel troff von seiner vorgewölbten Unterlippe.

Eine Weile starrten sich die so unterschiedlichen Wesen an. Dann streckte MacCarthy unwillkürlich eine Hand aus, als wollte er fühlen, dass das Scheusal wirklich aus Fleisch und Blut war oder ob es wenigstens materiell existierte.

Seine Hand schnellte vor und stieß auf einen Widerstand.

Das Monster schrie auf und lief mit langen Schritten den Korridor hinunter. Sekunden später war es hinter der nächsten Biegung verschwunden. MacCarthy hörte die schweren Schritte verhallen.

Er lehnte sich gegen die kühle Wand aus Steinquadern und schloss die Augen. War das die Möglichkeit? Er hatte schon oft Spekulationen darüber angestellt, wie er sich verhalten sollte, wenn er einer der von ihm erschaffenen Bestien begegnen würde. Aber das war keineswegs ernst gemeint gewesen. Und nun ...

Er schüttelte und straffte sich.

Es gab nur eine Erklärung für diesen Vorfall: Einer seiner Kollegen hatte sich einen Scherz mit ihm erlaubt. Ach, wie komisch! Aber er würde der Sache auf den Grund gehen und herausfinden, auf wessen Mist dieser lustige Gag gewachsen war.

In diesem Moment hallte von unten der markerschütternde Schrei einer Frau herauf. MacCarthy rannte sofort los. Er glaubte, die Stimme von Joyce Driscoll zu erkennen. Möglich, dass er sich irrte, aber eines war gewiss: So schrie nur jemand in Todesangst.

Joyce Driscoll fand, dass Gänsehaut etwas sehr Angenehmes war. Deshalb hatte sie Schauergeschichten zu schreiben begonnen.

Im Grunde war sie überaus ängstlich; sie hielt es nicht lange allein in einem Raum aus, und von den klassischen Mutproben – um Mitternacht allein auf einem Friedhof spazieren zu gehen oder eine Nacht mit einer Leiche in einem Raum zu verbringen – hätte sie keine einzige bestanden. Und dennoch benötigte sie den Nervenkitzel. Sie wollte das Gruseln nicht in der Realität kennenlernen. Deshalb verfasste sie zu ihrem und dem Vergnügen ihrer Leser die tollsten Horrorgeschichten.

Sie war dreiundzwanzig, mittelgroß und gut gewachsen. Das blonde Haar fiel weit über ihre Schultern herab, sodass ihre großen, dunklen und immer irgendwie neugierig und herausfordernd dreinblickenden Augen noch besser zur Geltung kamen.

Sie war James Lynams Ruf zu diesem Symposium begeistert gefolgt und hatte bei ihrer Ankunft die stille Hoffnung, dass es sich bei Doolin Castle um eine Gruselburg handelte, bestätigt gefunden. Von ihren Kollegen war sie dagegen enttäuscht. Bis auf Reginald MacCarthy, den sie bereits vertraulich Reggie nannte, und den Altmeister James Lynam handelte es sich durchwegs um nichtssagende Typen, Biedermänner, brave Familienväter ohne besondere Beziehung zur Materie des Schreckens.

Joyce Driscoll war froh, dass die anderen gegangen waren und sie allein in der Bibliothek zurückblieb. Sie hatte den schweren Schaukelstuhl näher an den offenen Kamin gerückt, sich wahllos einen dicken verstaubten Wälzer aus einem der Regale ergriffen und mit der Buchschwarte auf dem Schoß vor sich hingedöst. Sie genoss diesen Zustand zwischen Wachsein und Träumen. Dabei konnte sie ihrer Fantasie am besten die Zügel schießen lassen.

Unter all ihren vielen Schauergestalten war ihr der unersättliche Ghoul Ludomil der liebste.

Er entstammte einem ihrer schrecklichsten Albträume und hatte ihr schon viele schlaflose Nächte bereitet.

Wie oft hatte sie sein eindringliches Schmatzen gehört! Wie deutlich war ihr das Geräusch im Gedächtnis, wenn er sich von einem Menschen in einen unförmigen Geleeklumpen verwandelte und – Verdauungssäfte produzierend – auf die von ihm zum Schmause ausgewählte Leiche zuquoll – ein glitschiges, schleimiges Monster, das etwas von einer Schnecke als auch von einer Schlange oder einer Qualle an sich hatte.

Joyce sah Ludomil auch diesmal im Geiste vor sich. Wäre Doolin Castle nicht das richtige Betätigungsfeld für ihn?

Ein Workshop von Horrorautoren, alles knochentrockene Typen, die keinerlei Beziehung zu den von ihnen geschaffenen Schauergestalten haben. Und auf einmal taucht mitten unter ihnen Ludomil auf, tötet einen von ihnen, verschleppt ihn durch die unterirdischen Geheimgänge in sein Versteck, wo er die Leiche lagert und sich erst an ihr delektiert, wenn sie den richtigen Verwesungsgrad erreicht hat. Auf seine Art war Ludomil ein wahrer Gourmet.

Joyce schauderte bei dem Gedanken, was sie tun würde, wenn der Ghoul zu ihr in die Bibliothek käme.

Plötzlich glaubte sie seine schleichenden Schritte zu hören. Jetzt sog er die Verdauungssäfte schlürfend ein, die er in einem Übermaß produzierte. Sein Körper verlor die Festigkeit und begann, wie Pudding zu zittern. Lange konnte er seine menschliche Gestalt nicht mehr beibehalten. Er machte einen Bogen um die Feuerstelle und näherte sich Joyce von hinten.

Unwillkürlich riss sie die Augen auf und seufzte in fast masochistischer Lust über das Entsetzliche, das ihrer Fantasie entsprang. Ja, es war alles nur Einbildung, dachte sie.

Aber irgendwie fühlte sie instinktiv, dass sie nicht allein war. Es war noch jemand in der Bibliothek. Sie spürte, dass sich etwas in ihrem Rücken befand. Wahrscheinlich einer ihrer Kollegen, der sie auf diese Weise erschrecken wollte.

Sie schickte sich gerade an, herumzufahren und dem Witzbold gehörig die Meinung zu sagen, da vernahm sie das leise Schlürfen und Schmatzen.

Sie sprang aus dem Schaukelstuhl, lief drei Schritte fort und drehte sich dann um.

Dort stand der Ghoul Ludomil, wie sie ihn in ihrer Fantasie erschaffen hatte.

Joyce schrie, als sie sah, dass er seine Hände, die bereits zu zerfließen begannen und von denen die Verdauungssäfte tropften, nach dem Schaukelstuhl ausgestreckt hatte.

Der Ghoul gab einen enttäuschten Laut von sich und wandte sich von dem Schaukelstuhl ab und ihr zu.

Joyce wich bis an die Wand zurück. Dabei schrie sie aus Leibeskräften. Als sie absetzte, um Luft zu holen, vernahm sie aus der Nähe trampelnde Schritte.

Mit einem gurgelnden Laut wirbelte der Ghoul herum und stapfte aus der Bibliothek. Dabei festigte sich seine Gestalt wieder.

Die gegenüberliegende Tür wurde aufgestoßen. MacCarthy kam hereingestürzt. Er sah Joyce mit kreidebleichem Gesicht an der Wand lehnen und mit großen, starren Augen auf die andere Tür blicken. In ihrem Gesicht zuckte nervös ein Muskel. Ihre halb erhobenen Arme zitterten.

»Was ist passiert?«, fragte MacCarthy.

»Da!«, kam es kaum verständlich über ihre bebenden Lippen, und sie deutete auf die gegenüberliegende Tür. »Da war er gerade noch.«

»Wer?«, fragte MacCarthy ahnungsvoll.

»Es – war schrecklich«, sagte Joyce. Sie hatte ihre Stimme wiedergefunden. »Ich dachte, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Ich stand Todesängste aus. Das Scheusal war so realistisch. Aber ich muss geträumt haben. Es muss ein Traum gewesen sein. Alles andere ist – undenkbar.«

MacCarthy legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie schmiegte sich dankbar an ihn. Ihre Augen waren immer noch groß und starrten verständnislos ins Leere.

»Ich will Sie nicht erschrecken, Joyce, aber finden Sie sich besser damit ab, dass Sie nicht geträumt haben«, sagte MacCarthy. »Ich habe das Monster auch gesehen. Für mich war der Schock vielleicht noch größer. Denn – stellen Sie sich vor, Joyce – es ist ein Produkt meiner Fantasie. Ich habe Axel erfunden.«

Sie rückte von ihm ab und blickte ihn an. »Moment, Reggie! Wollen wir doch eines festhalten: Der Ghoul ist meine Erfindung. Das Copyright ist gesichert. Und er heißt nicht Axel, sondern Ludomil. Wenn Sie etwas anderes behaupten wollen, wäre das ein Plagiat.«

»Ghoul?«, fragte MacCarthy verständnislos. »Ich spreche von keinem Ghoul, sondern von Axel, meinem ehrbaren Monster. Er hat einen riesigen Schädel, wie aus Lehm geformt, und wahre Pranken. Damit kann er mit einem Hieb einen Ochsen killen.«

Joyce schüttelte den Kopf. »Diese Beschreibung passt nicht auf meinen Ghoul. Wenn er nicht gerade Mahlzeit hält und sich in einen gallertartigen Klumpen verformt hat, sieht er eigentlich ganz durchschnittlich aus. Ein Wolf im Schafspelz.«

Die beiden blickten einander betroffen an. Und da wurde ihnen schlagartig bewusst, dass sie von zwei verschiedenen Schauergestalten sprachen, die beide ihrer Fantasie entsprungen und nun Realität geworden waren.

»Wenn Ihr Ghoul und mein Monster Gestalt angenommen haben«, sagte MacCarthy düster, »wer weiß, wie viele Schauergestalten sich hier noch tummeln, Joyce. Wir sind insgesamt ein Dutzend Autoren.«