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Der Curandeiro schrie in höchster Verzückung: »Kether!«
Aber Marcia schien es, als bringe er die Buchstaben durcheinander, als würde er rufen: »Kether! Ethere! Thereh! Hereht! Erehte! Rethek!«
Was für ein eigenartiger Rhythmus ...
Da blitzten über ihr die Messer auf! Sie fuhren herab und schnitten in Sekundenschnelle exakt sechsunddreißig Buchstaben in ihre Haut. Sie waren quadratisch angeordnet und ergaben waagerecht wie senkrecht Anagramme desselben Wortes: Kether.
Der Oga des neuen Gottes betrachtete ergriffen sein Werk.
Es war gelungen!
Um Olivaro zu retten, durchschreitet Dorian ein weiteres Mal das Tor in die Januswelt, denn nur Olivaro kann ihm die Zusammenhänge vollständig erklären. Dorian glaubt zu wissen, was ihn auf der anderen Seite erwartet - und erkennt seinen Irrtum zu spät!
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Was bisher geschah
DER UNERSÄTTLICHE
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.
Bald darauf veranlassen die Erinnerungen an seine Existenz als Michele da Mosto Dorian, nach der Mumie des Hermes Trismegistos zu forschen. Er findet jedoch »nur« den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon einst gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos, richtet sich in dessen Tempel ein und verspürt schon bald keinen Drang mehr, in sein altes Leben zurückzukehren.
Kurz darauf erwachen in Dorian Erinnerungen an sein fünftes Leben. Als Samurai Tomotada war er damals im Auftrag des Januskopfes Olivaros aktiv, der in der Gegenwart kurzzeitig als Oberhaupt der Schwarzen Familie agierte. Olivaros Nach-Nachfolger, der Erzdämon Luguri, unternimmt derweil alles, um den Bayerischen Wald in eine Brutstätte des Bösen zu verwandeln, wird aber von Coco und Dorian zurückgeschlagen. Im Tempel des Hermes Trismegistos erhält Dorian einen Hinweis auf das Wirken von Janusköpfen in Indien. Coco und er müssen jedoch Olivaro folgen, der von »Psychos« in das irische Dorf Cranasloe gebracht wurde. Aus diesem Grund folgen Unga und der Puppenmann Donald Chapman der indischen Spur und stoßen auf ein Dimensionstor der Janusköpfe. Zeitgleich wird Dorian in Irland gezwungen, den Ys-Spiegel gegen Luguris Horden einzusetzen. Darüber verliert Olivaro den Verstand. Dorian folgt ihm in die Januswelt, denn nur Olivaro ist in der Lage, die Zusammenhänge zu erklären ...
DER UNERSÄTTLICHE
von Ernst Vlcek
Buzios
Das »batacuda« genannte Samba-Happening hatte seinen Höhepunkt längst überschritten, sodass sich der Gastgeber Marcos Freyre etwas einfallen lassen musste, um seine Gäste bei Laune zu halten.
»Bringt ein Ferkel«, befahl er seinen Dienern.
Zustimmendes Gemurmel der Männer und verzückte, ängstliche Ausrufe der Damen zeigten an, dass man ahnte, was das kommende Schauspiel bringen würde.
Marcia da Rochas fröstelte. Sie wollte sich ins Haus zurückziehen, um das blutig-grausame Schauspiel nicht mit ansehen zu müssen.
Aber da tauchte Lonrival da Silva vor ihr auf und versperrte ihr tänzelnd den Weg. Wollte sie nach links ausweichen, bewegte er sich im Samba-Rhythmus in dieselbe Richtung, machte sie einige Schritte nach rechts, erschien er plötzlich dort.
Er grinste, schüttelte die silberne Rassel, die Adja, und machte unnachahmliche schlenkernde Bewegungen.
Unter seinem breiten Strohhut waren nur die dunkle Sonnenbrille und der breite, grinsende Mund zu sehen. Manchmal gab er seltsame Laute von sich.
Im Hintergrund quiekte kläglich das Ferkel, das von drei Dienern hinauf zum Teich geschleppt wurde, der das Anwesen von Marcos Freyre abgrenzte. Die Gäste folgten ihnen in einer ausgelassenen Prozession.
Marcia vergaß ihr Vorhaben und bewegte sich mit Lonrival im Samba-Rhythmus. Sie tänzelte hinter ihm drein. Die »batidinha« schwappte aus ihrem halb vollen Glas, aber Marcia merkte es nicht. Es schien ihr auch gar nicht bewusst zu sein, dass Lonrival da Silva sie zum Teich hinaufführte. Sie war wie in Trance – Xango, wie man hier sagte.
Da war der Teich. Wenn man auf die ruhige, leicht gekräuselte Wasseroberfläche blickte, konnte man nicht ahnen, was für Schrecken darunter lauerten. Aber Freyres Gäste waren Eingeweihte, und wer neu war, wie etwa der deutsche Weltenbummler Hubert Keller, wurde schnell aufgeklärt.
»Pass gut auf, Hugh, was passiert, wenn das Ferkel ins Wasser geworfen wird. Da ist die Hölle los ... Es ist unglaublich, welchen Heißhunger Marcos' Tiere entwickeln. Er verfüttert täglich ein Dutzend Schweine an sie. Ein teurer Spaß, aber er kann sich diesen Luxus leisten.«
Marcia fand wieder zu sich selbst zurück. Sie begegnete kurz dem Blick von Keller.
Er lächelte sympathisch. Eigentlich passte er gar nicht in diese versnobte Clique.
Marcia wollte sich abwenden, aber da versperrte ihr Lonrival da Silva den Weg, Adja rasselnd. Seine drei Priesterinnen tanzten und zupften ihre Gitarren. Seinem Bann konnte sich Marcia nicht entziehen. Sie musste bleiben.
Jetzt banden die Diener das Ferkel an den Beinen an ein langes Seil, dessen anderes Ende sie über einen Ast eines am Ufer stehenden Baumes warfen. Sie zogen das Ferkel daran hoch – und ließen es dann ins Wasser fallen.
Im Nu begann die Oberfläche förmlich zu brodeln. Unterarmlange, rötlich schimmernde Körper peitschten das Wasser, und eine Wolke von Blut verfärbte das Wasser.
»Hochziehen!«, befahl Marcos Freyre zwischen zwei Schlucken aus seinem Glas.
Die Diener hievten das Ferkel hoch. Als es aus dem Wasser kam, hing eine Traube zappelnder Raubfische daran. Viel war von dem armen Tier nicht mehr übrig.
»Piranhas!«, entfuhr es Hubert Keller.
»Und zwar rote Piranhas«, klärte ihn jemand auf. »Sie sind die größten und gefräßigsten.«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass es sie in Buzios gibt«, sagte Hubert Keller angewidert.
»Marcos hat sie vom Amazonas einfliegen lassen und im Teich ausgesetzt. Sie bewachen sein Grundstück. Aber es sind die kostspieligsten Wächter der ganzen Knochen-Bay.«
»Dafür auch die verlässlichsten«, meinte Marcos Freyre grinsend.
Marcia betrachtete ihn. Er war groß und schlank und braun gebrannt. Sein hübsches Gesicht hatte einen harten Zug. Es lag etwas Bösartiges, Perverses darin. Wie hatte sie nur auf ihn hereinfallen können! Nun, sie kam aus ärmlichen Verhältnissen. Ihre Wiege stand in einer Senzala in den Favelas, den Slums von Rio. Sie hatte sich von seinem Reichtum blenden lassen.
Sein von Alkohol getrübter Blick erfasste sie. Lässig gab er den Dienern ein Zeichen, den Kadaver des Schweines wieder ins Wasser zu lassen. Dann kam er auf unsicheren Beinen zu ihr. Bevor sie sich davonmachen konnte, hatte er sie erreicht und packte sie am Arm.
»Lass mich los!«, zischte sie.
Aber er drückte nur noch fester zu und grinste breit. Sein Blick wurde hart. Der brutale Ausdruck seines Gesichts ängstigte sie. »Nimm den Mund nicht zu voll«, sagte er drohend. »Sonst schicke ich dich in die Gosse zurück, du billiges Flittchen.«
Sie straffte sich und erwiderte seinen Blick. »Ich erwarte ein Kind von dir.«
»Das hast du dir so gedacht.« Er lachte schallend. Seine Alkoholfahne schlug ihr ekelerregend ins Gesicht und raubte ihr fast den Atem. »Aber so was zieht nicht bei mir. So klug waren viele andere schon vor dir. Frag Rose, Karla, Fernanda und die anderen.« Er führte sie vom hell erleuchteten Teich fort. Im Hintergrund schüttelte Lonrival da Silva tänzelnd seine Adja. Seine Begleiterinnen sangen melancholisch.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Marcia unsicher.
Marcos Freyre nahm einen letzten Schluck aus seinem Glas und warf es achtlos hinter sich. »Wir machen es heute Nacht noch weg«, sagte er brutal. »Lonrival weiß Bescheid.« Er stieß sie in die Richtung des unermüdlich tanzenden Hohepriesters. Jetzt erst wurde Marcia bewusst, dass Lonrival da Silva im Ruf stand, einer der größten Geistheiler Brasiliens zu sein. Selbst anerkannte Mediziner hatten eingestehen müssen, dass er die schwierigsten Operationen mit primitivsten Hilfsmitteln und unter fragwürdigsten Bedingungen durchführte. Man sagte ihm nach, dass er im Besitz magischer Kräfte sei ...
Marcia schrie gequält auf. Aber dann sah sie das dunkel bebrillte Gesicht des Ogas vor sich. Sie meinte zu sehen, dass ihr seine glühenden Augen durch das dunkle Glas entgegenstarrten ... Und da war sie in seinem Bann.
Mit spitzen unverständlichen Ausrufen setzte er sich in Bewegung. Seine drei Begleiterinnen nahmen Marcia in die Mitte, und so näherten sie sich tanzend dem Haus.
Marcia konnte keinen klaren Gedanken fassen. Alles drehte sich um sie, und die Welt zuckte im Samba-Rhythmus. Die Gräser unter ihren Füßen wiegten sich im gleichen Takt, und die Äste der Sträucher und Bäume bogen sich mit ihrem Körper.
Wie im Traum sah Marcia ein Mädchen auftauchen. Trotz der beginnenden Trance erkannte sie Karla, die derzeitige Favoritin von Marcos. Sie lachte – hämisch, wie es Marcia schien. Lonrival da Silva scheuchte sie mit Zischlauten davon.
Doch Karla ließ es sich nicht nehmen, Marcia zuzurufen: »Es tut nicht weh! Du wirst sehen. Der Schock kommt erst danach, wenn du erfährst, was Marcos mit deinem Abortus gemacht hat.«
Marcia bildete sich ein, dass Karla zum Teich deutete, aber sicher war sie sich nicht. Sie schrie auf. Aber da hatten sie das Haus erreicht.
Da war das Schlafzimmer. Über das runde Bett war ein weißes Leintuch gebreitet worden. Der Oga drängte Marcia mit Tanzbewegungen auf das Lager. Sie bog ihren Körper nach hinten, die Beine gespreizt, und ließ sich einfach fallen.
Die Priesterinnen hatten ihre Instrumente weggelegt. Sie fingen Marcias schlanken Körper geschickt auf und betteten ihn auf das blütenweiße Leinen. Ihre flinken Finger nestelten an ihrer Kleidung, und ehe sie sich versah, war sie nackt.
Unter dem beschwörenden Gemurmel der drei Frauen erlahmte Marcias letzter Widerstand. Sie ließ alles mit sich geschehen, als sei sie eine Unbeteiligte.
Der Curandeiro, wie Lonrival da Silva als Geistheiler genannt wurde, setzte eine volle Schnapsflasche an die Lippen, während seine Assistentinnen mit dem Zeremoniell begannen. Sie banden Marcia Raffia-Stricke um Arme und Beine und schnürten ihr damit den leicht gewölbten Bauch zu. Dabei sangen sie einschläfernd. Xango! Marcia verfiel immer mehr in Trance.
Lonrival da Silva hatte die Schnapsflasche halb geleert. Unvermutet schrie er einen Namen. »Kether! Kether! Kether!«
Plötzlich flatterte etwas über Marcias Kopf. Sie sah einen Hahnenkopf mit weit aufgerissenem Schnabel, aus dem die rote Zunge phallusartig heraushing. Aber der Hahn krähte nicht. Er gab auch keinen Laut von sich, als sein geschwollener Kamm unter einem Scherenschnitt fiel.
Und dann blitzte ein Messer. Der Kopf fiel mit dem Halsansatz zurück. Blut sprudelte aus der Wunde. Es ergoss sich über Marcias Körper. Flinke Hände erschienen und verrieben das Blut über Marcias Bauch, massierten es in ihre Haut.
Der Curandeiro schrie wieder in höchster Verzückung: »Kether!«
Und Marcia schien es, als bringe er die Buchstaben durcheinander. Denn für sie hörte es sich so an: »Kether! Ethere! Thereh! Hereht! Erehte! Rethek!«
Was für ein eigenartiger Rhythmus! Das war keine Samba mehr. Man streifte Marcia eine Spitzenhose über, und dann band man ihr ein Spitzenhäubchen auf den Kopf.
Der Curandeiro klapperte mit der Schere und stutzte dem toten Hahn, der in der Luft zu schweben schien, die Flügel. Und dann machte er plötzlich einen Schnitt im Bereich von Marcias Bauch, sodass sie das Gefühl hatte, er würde damit ihren Körper öffnen. Aber das verursachte ihr keinen Schmerz.
»Kether! Kether! Kether!«, keuchte Lonrival, und Marcia wiederholte den Namen.
Lonrival hielt auf einmal zwei schmutzige Küchenmesser in der Hand. Er wetzte die Klingen aneinander und tanzte dazu. Seine Assistentinnen sangen. Marcia sah, dass sich auf den Messerklingen noch Speisereste befanden. Sie fragte sich bange, ob er mit diesen schmutzigen Instrumenten den Eingriff vornehmen wollte. In der Tat, er senkte die Klingen auf ihren Unterleib und ließ sie zwischen ihren Beinen verschwinden! Aber sie zog keine Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis. Sie war willenlos, ließ alles mit sich geschehen.
Bildete sie es sich nur ein, oder spürte sie tatsächlich den kalten Stahl auf ihrem Bauch?
Lonrival leerte den letzten Rest aus der Schnapsflasche und schleuderte die Flasche gegen die Wand. Sie barst klirrend. Jetzt war er bereit für seine große Aufgabe. Aber er dachte nicht daran, die Abtreibung an Marcia vorzunehmen. Was er bisher unternommen hatte, war nur Show gewesen. Er hatte so getan als ob ... Marcia sollte nicht merken, was er wirklich mit ihr anstellte.
Ihr Körper sollte nicht entehrt und verstümmelt werden, indem er die Frucht aus ihrem Leib schnitt. O nein! Sie war für höhere Aufgaben bestimmt. In einer seiner Visionen hatte Lonrival da Silva gesehen, dass sie auserwählt worden war, einem kommenden Gottwesen zur Seite zu stehen – zusammen mit vielen anderen Dienerinnen. Und er, Lonrival da Silva, war der Oga, der Hohepriester des neuen Gottes.
Lonrival fühlte sich stark genug für seine Aufgabe. Er spürte unbändige Kraft durch seinen Körper fluten. Xango – Marcia war in Trance.