Dr. Francia, Diktator Paraguays 1814-1840 - Der Versuch einer Interpretation seiner Herrschaft im lateinamerikanischen Kontext: Caudillo und Charismatiker? - Birgit Hittenberger - E-Book

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Birgit Hittenberger

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2003
Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Geschichte - Amerika, Note: gut, Universität Wien (FB Geschichte), Sprache: Deutsch, Abstract: Paraguay war das erste Land Lateinamerikas, das offiziell die Unabhängigkeit von Spanien erklärte und sich gleichzeitig vom Vizekönigreich Río de la Plata lossagte. An diesem Unabhängigkeitsprozess Paraguays hatte der kreolische Advokat Dr. José Gaspar Rodríguez de Francia einen erheblichen Anteil. Er entsprang der Asuncener Elite und war in Asunción als Rechtsanwalt tätig. Durch sein Mitwirken wurde die Republik ausgerufen und daraufhin wurde er gemeinsam mit dem Militär Fulgencio Yegros zum Konsul gewählt. 1814 ließ er ließ sich auf einem Volkskongress, bei dem zum ersten Mal das allgemeine Wahlrecht für Männer angewandt wurde, zum Diktator für fünf Jahre begrenzt wählen und wurde 1816 vom alljährlich zusammenkommenden Kongress zum „Dictador Supremo“ auf Lebzeiten gewählt. Seit dem Zeitpunkt seiner Wahl zum Diktator konnte Dr. Francia mit unumschränkter Macht herrschen und bewahrte sich diese absolute Machtstellung bis zu seinem Tod im Jahre 1840. Während seiner fast dreißigjährigen Herrschaft wurde die Opposition, die sich aus der spanischen und kreolischen Elite zusammensetzte, unterdrückt und nicht einmal eine große Verschwörung im Jahre 1820, an der ein großer Teil der Oligarchie beteiligt war, konnten den Diktator seine Machtstellung streitig machen. Damit stellt er ein seltenes Beispiel eines Herrschers in den Revolutions- und Bürgerkriegen Lateinamerikas der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar, der bis zu seinem Tode seine Macht erhalten konnte und eines natürlichen Todes starb. In der Historiographie löste die Persönlichkeit Francias eine recht widersprüchliche Diskussion aus, die bis heute nicht entschieden zu sein scheint. Lange Zeit im 19. Jahrhundert bot die Politik Francias großen Anlass zur Kritik, die vor allem von seinen politischen Gegnern, der kreolisch-spanischen Oligarchie und den sich in Paraguay aufhaltenden Aus-ländern, geführt wurde. Deswegen war seine Herrschaft lange hindurch nur als reine Tyrannei bekannt, die er durch grausame Repression aufrechterhalten konnte. Die moderne Historiographie jedoch unternahm eine gewaltige Anstrengung, dieses Bild des Tyrannen einer sorgfältigen Analyse zu unterziehen und entdeckte in ihm einen Vorläufer sozialistischer Ideen, der durch aufgeklärtes Gedankengut das Wohl der Mehrheit der Be-völkerung im Auge hatte und vor allem den Aufbau einer sicheren, souveränen und unabhängigen Nation gewährleisten wollte.

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Inhaltsverzeichnis
I. Teil
PARAGUAYS WEG VON DER KOLONIALZEIT BIS ZUR
II. Teil
DIE DIKTATUR DES DR. FRANCIA
2. Die Errichtung der Republik und der Konsulatsregierung:
Francia wird Konsul
Francia wird Diktator
Kapitel
4.3.2. Verhältnis zu Brasilien / Handel über Itapúa

Page 1

Page 5

III. Teil

FRANCIAS HERRSCHAFT IM HISTORISCHEN KONTEXT LATEINAMERIKAS: CAUDILLO UND CHARISMATIKER?

1. Die widersprüchliche Darstellung der Diktatur Francias in der Historiographie 89

1.1. Die Geschichtsscheibung Europas im 19. Jahrhundert 90

1.2. Die Lateinamerikanische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts 92

1.3. Die Neuinterpretation moderner Historiker des 20. Jahrhunderts 93

2. Francias Herrschaft im lateinamerikanischen Kontext:

Caudillo und Charismatiker? 96

2.1. Das Herrschaftsmodell laut Weber - die charismatische Herrschaft 98

2.2. Francia - ein charismatischer Herrscher? 102

2.3. Allgemeine Betrachtungen zum Begriff Caudillo 111 2.4. Francia - ein Caudillo? 114

116SCHLUSSBETRACHTUNG

Anhang:

Der Katechismus des Dr. Francia 119

124BIBLIOGRAPHIE

Page 6

EINLEITUNG:

Paraguay war das erste Land Lateinamerikas, das offiziell die Unabhängigkeit von Spanien erklärte und sich gleichzeitig vom Vizekönigreich Río de la Plata lossagte. Damit stellte es sich sowohl gegen die Ansprüche der spanischen Krone als auch gegen die Suprematsansprüche von Buenos Aires, das als Hauptstadt des Vizekönigreiches die Führungsrolle über die Provinzen im Prozess der Unabhängigkeit beanspruchte und 1810 sogar ein Invasionsheer ausgeschickt hatte, um die widerspenstige Provinz unter seine Botmäßigkeit zu bringen, welches aber den paraguayischen Truppen unterlag.

1811 wurde die Alleinregierung des spanischen Gouverneurs Velasco durch eine Gruppe revolutionärer paraguayischer Kreolen1beendet und ein Triumvirat als Regierungsorgan bestimmt, bei dem Velasco noch mitarbeitete.

Ein Jahr später jedoch schon übernahm durch Beschluss des Kongresses eine fünfköpfige Regierungsjunta die Regierung und schloss den Spanier von der Regierung aus. Dieser Junta gehörten paraguayische Kreolen an, offiziell wurden die Regierungsgeschäfte aber noch im Namen des spanischen Königs Ferdinand VII. weitergeführt, der zu Gunsten des Bruders Napoleons Joseph I. abdanken hatte müssen.

1813 beschloss ein Kongress als Regierungsform Paraguays die Republik mit zwei gewählten Konsuln an der Spitze, was die offizielle Unabhängigkeitserklärung bedeutete.

An diesem Unabhängigkeitsprozess Paraguays hatte der kreolische Advokat Dr. José Gaspar Rodríguez de Francia einen erheblichen Anteil. Er entsprang der Asuncener Elite und war in Asunción als Rechtsanwalt tätig, wo er Arme und Mittellose ohne Honorar zu verrechnen rechtlich vertrat und für seine Ehrlichkeit und Gerechtigkeitssinn bekannt war. Durch sein Mitwirken wurde die Republik ausgerufen und daraufhin wurde er gemeinsam mit dem Militär Fulgencio Yegros zum Konsul gewählt.

1Ein Kreole ist ein in Lateinamerika geborener Nachfahre, dessen Eltern Europäer (meist Spanier) sind.

Page 7

Schon ein Jahr später ließ er sich auf einem Volkskongress, bei dem zum ersten Mal das allgemeine Wahlrecht für Männer angewandt wurde, zum Diktator2für fünf Jahre begrenzt wählen und wurde 1816 vom alljährlich zusammenkommenden Kongress zum„Dictador Supremo“auf Lebzeiten gewählt.

Seit dem Zeitpunkt seiner Wahl zum Diktator konnte Dr. Francia mit unumschränkter Macht herrschen und bewahrte sich diese absolute Machtstellung bis zu seinem Tod im Jahre 1840. Während seiner fast dreißigjährigen Herrschaft wurde die Opposition, die sich aus der spanischen und kreolischen Elite zusammensetzte, unterdrückt und nicht einmal eine große Verschwörung im Jahre 1820, an der ein großer Teil der Oligarchie beteiligt war, konnten den Diktator seine Machtstellung streitig machen.

Damit stellt er ein seltenes Beispiel eines Herrschers in den Revolutions- und Bürgerkriegen Lateinamerikas der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar, der bis zu seinem Tode seine Macht erhalten konnte und eines natürlichen Todes starb. Selbst im Unabhängigkeitsprozess Lateinamerikas so wichtige Rollen spielende Persönlichkeiten wie Simón Bolívar (musste 1830 abdanken), Juan Manuel de Rosas (bis 1852 Diktator ganz Argentiniens, gestorben 1877), José Antonio Páez (1830 - 1850 Präsident Venezuelas, gestorben 1873) oder Antonio López de Santa Anna (ab 1833 Präsident, später Diktator Méxicos bis 1855, gestorben 1876) vermochten es nicht, ihre Machtstellungen bis zu so einem Extrem auszubauen.

In der Historiographie löste die Persönlichkeit Francias eine recht widersprüchliche Diskussion aus, die bis heute nicht entschieden zu sein scheint. Lange Zeit im 19. Jahrhundert

2Der Titel Diktator hatte im 19. Jahrhundert noch keine negative Konnotation und wurde in seiner Bedeutung des römischen Rechtssystems genutzt, demzufolge ein Diktator in Krisenzeiten mit unumschränkten Machtbefugnissen für einen beschränkten Zeitraum versehen wurde. Vgl. dazu: Sandra CARRERAS; Del "reino del terror“ al “modelo de desarrollo autocentrado“. Las diferentes interpretaciones acerca de la figura histórica del Dictador Supremo del Paraguay, Dr. José Gaspar Rodríguez de Francia; in: Iberoamericana; Lateinamerika, Spanien, Portugal; 16. Jg./Nr. 1 (45); Berlin 1992; S. 17-35; hier S. 21 In Spanisch-Amerika war es zur Zeit der Unabhängigkeitskriege keine Seltenheit, dass in den neu entstandenen Staaten Herrscher mit diesem Titel bekleidet wurden, wie z.B. Simón Bolívar bei mehreren Gelegenheiten in Venezuela, Peru und Kolumbien als Diktator ausgerufen wurde. Vgl. dazu John LYNCH; Caudillos in Spanisch America, 1800-1850; Oxford 1992; S. 7

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bot die Politik Francias großen Anlass zur Kritik, die vor allem von seinen politischen Gegnern, der kreolisch-spanischen Oligarchie und den sich in Paraguay aufhaltenden Ausländern, geführt wurde. Deswegen war seine Herrschaft lange hindurch nur als reine Tyrannei bekannt, die er durch grausame Repression aufrechterhalten konnte.

Die moderne Historiographie jedoch unternahm eine gewaltige Anstrengung, dieses Bild des Tyrannen einer sorgfältigen Analyse zu unterziehen und entdeckte in ihm eine n Vorläufer sozialistischer Ideen, der durch aufgeklärtes Gedankengut das Wohl der Mehrheit der Bevölkerung im Auge hatte und vor allem den Aufbau einer sicheren, souveränen und unabhängigen Nation gewährleisten wollte.

Durch seine Isolationspolitik, die er Zeit seines Lebens vorantrieb und verstärkte, um ein unabhängiges Paraguay sichern zu können, wurde Paraguay im 19. Jahrhundert bald als „China Südamerikas“ bekannt, ein sonderbares Land, von dem man wenig Informationen erhielt und in dem ein merkwürdiger Diktator herrschte. Diese Isolationspolitik Francias wurde jedoch in der entwicklungstheoretischen Diskussion der 60er und 70er Jahre zu einem frühen Beispiel eines dissoziativen Entwicklungsmodells3, das bald in der entwicklungstheoretischen Forschung als Musterbeispiel einer funktionierenden Alternative außerhalb des liberalenkapitalistischen System galt, wie sich ein Staat entwickeln konnte, ohne in ausländische Abhängigkeit zu geraten.

Diese in viele Richtungen laufende Diskussion beantwortet jedoch nicht die Frage, wie sich Francia an der Spitze des Staates halten konnte, bzw. worauf er seine Herrschaft begründete.

Diese zentrale Fragestellung zu beantworten soll Ziel dieser Arbeit sein.

3Das Konzept der autozentrierten Entwicklung durch Dissoziation, oder dissoziatives Entwicklungsmodell, geht davon aus, dass ein Land, das in einer unterentwickelten Phase gegenüber höher entwickelten Ländern steht, durch Dissoziation (Absperrung, Abkoppelung) gegenüber der Außenwelt seine Wirtschaft und Agrikultur entwickeln sollte, um nicht in die Abhängigkeit der Außenwelt zu geraten, was seinerseits hemmend auf die Entwicklung des jeweiligen Landes einwirken würde. Damit steht diese Theorie im starken Gegensatz zur liberalen und imperialistischen Handelspolitik Englands, Europas und später der USA. Geprägt wurde dieser Begriff vom deutschen Volkswirtschaftler Friedrich List (1789 - 1846) und später, in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, von der Entwicklungsdebatte wieder aufgegriffen. Vlg. dazu Frieder SCHMELZ; Paraguay im 19. Jahrhundert - ein früher Fall dissoziativer Entwicklung; Heidelberg 1981; S. 40-43 u. 49-53

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Um diese Frage zu beantworten, habe ich zu Beginn einen kurzen Abriss der paraguayischen Kolonialgeschichte dargestellt, um die besonderen Entwicklungen Paraguays verstehen zu können, das durch die geographische Lage bestimmt nie besondere Aufmerksamkeit bei der spanischen Krone erweckte und durch die starke Anlehnung an die autochthone Bevölkerung schon früh einen Sonderweg entwickelte. Später erweckte Paraguay durch die an der paraguayischen Grenzregion angelegten Jesuitenmissionen weltweites Interesse.

In diesem Sinne führte Francia eine schon früh begonnene Sonderentwicklung weiter. Deswegen ist es wichtig, seine Herrschaft im paraguayischen Kontext zu betrachten.

Als theoretischen Hintergrund ist es andererseits auch wichtig zu fragen, in welcher Situation Francia an die Macht kam und wie. Deswegen betrachtet d iese Arbeit das Herrschaftsmodell Max Webers, der drei Arten von Herrschaft unterscheidet, die legale, traditionale und charismatische Herrschaft. Laut diesem Konzept müsste Francia der dritten Herrschaftsform, der charismatischen Herrschaft entsprechen.

Ist also Francia ein Charismatiker, bildet das Charisma die Grundlage seiner Herrschaft? Und falls nein, auf welche Fähigkeiten oder Umstände konnte Francia seine Macht aufbauen und beibehalten?

Im historischen Kontext Lateinamerikas der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist es dabei unerlässlich, seine Machtausübung im Zusammenhang des CAUDILLOS zu betrachten und sich die Frage zu stellen, ob Francia diesem lateinamerikanischen Phänomen entspricht, ob Francia als Caudillo zu bezeichnen ist.

Im letzten Teil dieser Arbeit soll eine Antwort auf diese beiden Fragen - war Francia ein Caudillo, und kam er aufgrund seines Charismas an die Macht - beantwortet werden, die somit die Hauptfragestellungen dieser Arbeit darstellen.

Page 10

I. Teil

PARAGUAYS WEG VON DER KOLONIALZEIT BIS ZUR

UNABHÄNGIGKEIT

1. Paraguay während der Kolonialzeit:4

Nach der Eroberung des aztekischen Reiches in Mexiko und des Inkaimperiums in Peru konzentrierte die spanische Krone ihr Interesse auf den Südwesten des amerikanischen Kontinents.

Im Verlauf der Entdeckungs- und Eroberungsreisen spanischer Seefahrer im Namen der Krone kam erstmals Juan Díaz de Solis im Jahre 1516 bis zur Mündung des Río de la Plata. Im Auftrag Karls V. nahm Pedro de Mendoza die La Plata - Region im Jahre 1536 für die spanische Krone in Besitz und errichtete dort das Fort „Puerto de Nuestra Señora de Santa María del Buen Aire“ - das heutige Buenos Aires.5

Buenos Aires und andere nördliche Befestigungen konnten jedoch den ständigen Angriffen der Einheimischen nicht standhalten, weswegen Buenos Aires 1541 verlassen werden musste. Die wenigen Überlebenden zogen sich auf den Stützpunkt „Casa Fuerte de Nuestra Señora de Santa María de la Asunción“ zurück. Diese Befestigung war am 15.

August 1537 von Juan de Salazar y Espinosa, gegenüber der Mündung des Río Pilcomayo in den Río Paraguay, gegründet worden und befand sich in einer Zone, die von einem friedlichen

4Falls nicht anders angegeben, folgt diese kurze Zusammenfassung der Kolonialgeschichte Paraguays den Darstellungen Kahles: Günter KAHLE; Grundlagen und Anfänge des paraguayischen Nationalbewußtseins; Köln 1962; Dissertation; S. 24-190; sowie Günter KAHLE; Paraguay, un experimento histórico; in: Lateinamerika Studien; Bd. 14; München 1984; S. 109 - 130; hier: S. 109-114

5Jene Expeditionen im Auftrag der spanischen Krone, an denen Mendoza zur Eroberung des La Plata - Beckens teilnahm, dienten vorrangig der Suche nach Gold und Silber bzw. einem Landweg nach Peru, wo diese Schätze vermutet wurden. Weiters wollte der spanische König das La Plata - Becken militärisch gesichert wissen, um möglichen portugiesischen Ansprüchen zuvorzukommen.

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Guaranístamm bewohnt wurde. Durch diese vergleichsweise sichere Lage wurde Asunción bald zum wichtigsten Ausgangspunkt für die weitere Erschließung der La Plata - Region.

Domingo de Irala vollbrachte es, bei einer Expedition im Jahre 1547 auf der Suche nach der sagenhaften„Sierra de la Plata“,den bis dahin unpassierbaren Chaco zu durchqueren und erreichte die Bergpässe der Anden, wo die Spanier nicht schlecht staunten, als sie auf Indios stießen, die dem Spanischen mächtig waren. Sie mussten erkennen, dass der Traum des„El Dorado“Wirklichkeit war, dass dieser Traum jedoch bereits von Pizarro und seinen Gefährten entdeckt worden war.

Die Eroberung der„Sierra de la Plata“war gescheitert, dennoch war diese unendliche Enttäuschung das entscheidende Moment für die spätere Entwicklung von Asunción. Sich dessen bewusst, keine wertvollen Metalle zu finden, wählten die Spanier den Weg, sich den naturgebundenen Realitäten anzupassen und die ökonomischen Ressourcen der Region zu erschließen.

Durch diese Begebenheiten und der vergleichsweise sicheren Lage verwandelte sich Asunción in Zentrum und Ausgangspunkt der Eroberung und Kolonisierung der La Plata -Region. Die wichtigsten Gründungen der Region, wie z.B. Santa Cruz de la Sierra (1561), die zweite Gründung von Buenos Aires (1580) oder Corrientes (1588), um nur einige zu nennen, wurden von Söhnen Asunció ns durchgeführt, die bald„madre de ciudades“- Mutterstadtgenannt wurde.

Zu dieser Zeit, Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, als Paraguays Vormachtstellung im Süden des Kontinents gesichert erschien, begann auf allen Gebieten die Aktivität der Asuncener Kreolen und Mestizen: Hernando de Trejo y Sanabria legte den Grundstein zur Universität Córdoba, Pater Roque González de Santa Cruz, den heidnische Indianer erschlugen, wurde zum ersten paraguayischen Märtyrer und Ruy Díaz de Guzmán schrieb als erster Paraguayer die Geschichte seines Landes.

Bereits in der kolonialen Epoche Hispanoamerikas nahm Paraguay eine Sonderstellung ein. Seine abgeschlossene geographische Lage und die zahlenmäßig sehr geringe

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Einwanderung von Europäern nach der Conquista waren die Ursache für eine enge Bindung der Spanier an die autochthone Bevölkerung der Guaraníes. Die aus der ethnischen Verschmelzung hervorgegangenen Mestizen, die sogenannten„mancebos de la tierra“,drängten Europäer und Indianer numerisch allmählich immer mehr in den Hintergrund.

Im Gegensatz zu der Entwicklung im übrigen Hispanoamerika wurden die paraguayischen Mestizen bald zur tragenden Bevölkerungsschicht und glichen sich sowohl in sozialer als auch in politischer Hinsicht weitgehend ihren weißen Vätern an. Durch den engen Kontakt, der zwischen den Spaniern und der Urbevölkerung entstand, begann sich aber schon sehr früh eine paraguayische Eigenart herauszubilden, die nicht nur in ihrer materiellen Kultur, sondern auch in ihrem geistigen Leben durch die Übernahme der Guaranísprache viele indianische Züge aufwies.

Weitgehende Sonderrechte, wie die„Real Provisión“vom 12. September 1537, aus der die Paraguayer das Recht ableiteten, ihre Gouverneure unter bestimmten Umständen selbst zu wählen, oder die stillschweigende Billigung der den besonderen Umständen angepassten paraguayischen Encomienda6durch die Krone, ermöglichten der Provinz eine ihrer Art entsprechende Entwicklung und garantierten die freie Entfaltung der vorhandenen Kräfte.

Zwei Entscheidungen der spanischen Krone, die im 17. Jahrhundert gefällt wurden, beeinflussten das Leben und die Entwicklung der Provinz beträchtlich: Die erste war die Teilung der Provinz Río de la Plata in zwei autonom regierte Provinzen durch Philipp III. bzw. d em Gouverneur Hernando Arias de Saavedra (auch Hernandarias genannt) im Jahre 1617. Es entstanden die Binnenprovinz Guaira, das spätere Paraguay, mit Asunción als Hauptstadt, und die Provinz Río de la Plata mit der Hauptstadt Buenos Aires, die beide weiterhin dem Vizekönigreich Peru unterstanden. Durch diese Teilung verlor Asunción seinen Zugang zum Meer und seinen atlantischen Küstenstreifen.

6Institution während des spanischen Kolonialsystems, durch die ein Kolonist über Tribute oder Arbeitskräfte einer Indiogruppe verfügen konnte. Der Kolonist übernahm umgekehrt die Verpflichtung, die Indios zu beschützen und zu evangelisieren.

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Die zweite war die Autorisation durch Philipp III., die es den Jesuiten erlaubte, ihre Arbeit der Evangelisation b ei den Guaraníes durchzuführen, der Ausgangsbasis für die Gründung der so berühmt gewordenen Jesuitenmissionen auf paraguayischen Boden.

Die Jesuiten fassten die Stämme der Guaraníes in Reduktionen (Siedlungen) zusammen und hatten auf Basis kollektiver Arbeit und Güterverteilung die Sesshaftmachung und Christianisierung der nomadischen Indianer zum Ziel.

Diese Reduktionen waren jedoch den Angriffen der sklavenjagenden und -handelnden Portugiesen7ausgesetzt, weswegen sich die Jesuiten von ihren ursprünglichen Missionsgebieten im heutigen brasilianischen Bundesstaat Paraná in die Gebiete südlich der Flüsse Iguazú und Tebicuary zurückzogen.

Hier begann eine neue Etappe der jesuitischen Theokratie, die den Antagonismus zwischen„Gottesstaat“und der zivilen Provinz Paraguays erzeugen sollte. Als sich die Missionen der zivilen und klerikalen Autorität Asuncións unterordnen mussten, wuchs der Neid der Asuncener gegen die Jesuiten, nachdem die Krone den Jesuiten weitgehende Sonderrechte gestattet hatte. Seit 1639 durften sie indigene Truppen rekrutieren und bewaffnen, 1645 wurde ihnen der Handel mit dem Yerba Maté8erlaubt. Außerdem waren sie von der Steuerpflicht befreit und nahmen den Encomenderos9ihre indianischen Arbeitskräfte weg, wodurch sie zusätzlich über unbezahlte Arbeitskräfte verfügten. Diese daraus resultierende Feindschaft zwischen Jesuiten und Kolonisten eskalierte in den Comunero-Aufständen (1721 - 1735) gegen die spanische Herrschaft unter der Führung von José Antequera und Mompox, die von königlichen Truppen 1735 endgültig niedergeworfen wurden, Paraguay alle bis dahin gültigen Sonderrechte kosteten und zusätzliche Sondersteuern aufbürdeten

7Diese Raubzüge der Portugiesen - in diesem Zusammenhang auch Paulistaner (aus der Herleitung der Stadt São Paolos), Bandeirantes oder Mameluken genannt - stellten für Paraguay eine ständige Bedrohung dar. Hinzu kamen auch immer wieder Angriffe feindlich gesinnter Indianerstämme und anhaltende Grenzkonflikte. In der Folge entstand schon sehr früh ein chronischer Selbstverteidigungszwang, der die Militarisierung Paraguays vorantrieb, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl des Volkes zunehmend stärkte. (Denselben Effekt hatte auch die gemeinsame Indianersprache Guaraní.)

8Der Yerba Maté bildete neben Tabak, Wein , Zucker und Branntwein den Hauptexportartikel Paraguays. Da dieser Tee ein begehrtes Genussmittel des Gebietes war, wurde der Kultivierung dieser Pflanze besondere Aufmerksamkeit geschenkt

9Betreiber einer Encomienda; vgl. Fußnote 6

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Die Jesuiten selbst wurden auf Betreiben der Encomenderos 1767/68 durch ein königliches Dekret aus Paragua y ausgewiesen. In der Folge lösten sich die Siedlungen auf und die Indios zogen sich in ihr ursprüngliches nomadisches Leben zurück, nachdem sie den Kontakt zur Zivilbevölkerung der Provinz verloren hatten.

Im Zuge der Reformpolitik König Karls III. kam e s 1776 zur Gründung des Vizekönigreiches Río de la Plata, dessen Hauptstadt Buenos Aires sich schon auf dem Weg zur wirtschaftlichen Vormachtstellung in der La Plata - Region befand. Die administrative Trennung brachte auch die wirtschaftliche und politische Selbständigkeit von Lima. Die Provinz Paraguay wurde eine von acht dem Vizekönigreich unterstellte Intendancia (Steuerbezirk). Man erhoffte sich davon eine Verbesserung der administrativen Organisation.10

Die ab 1720 einsetzende liberalere Handelspolitik der kastilischen Kolonialmacht lockerte nach und nach die Handelsrestriktionen von Madrid. Entscheidend waren aber die Reformen von 1777/78, die das Ende der Handelsbeschränkungen zwischen südamerikanischen Häfen und den Beginn des freien Handels mit dem Mutterland brachten. Sie bedeuteten das Aus für Peru und seine Vorherrschaft über die La Plata - Region und für Buenos Aires den endgültigen Durchbruch zu einer der bedeutendsten Handelsmetropolen an der Ostküste Südamerikas.

Die Reformpolitik Karls III., die durch die Stärkung der königlichen Autorität in den Kolonien die anhaltende Abhängigkeit Lateinamerikas von seinem Mutterland zum Ziel hatte, bewirkte, dass alle wichtigen Ämter ausschließlich durch europäische Spanier besetzt werden durften. Durch diese Regelung war den Nachkommen der Conquistadoren und Einwanderer, den Kreolen, die Möglichkeit zu administrativen und bürokratischen Aufstiegschancen verwehrt.

Diese daraus resultierenden politischen und ökonomischen Spannungen in den spanischen Kolonie n fanden ihren Ausdruck in den Unabhängigkeitskriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.11

10Susanne SOUCEK; Der Fall Paraguay 1811 - 1870. Eine entwicklungssoziologische Interpretation der Geschichte Paraguays; Wien 1993; Diplomarbeit; S. 13