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Sehr geehrter Leser! Mit Dr. Glenn Morton hat Autor John Ball eine der faszinierendsten Figuren der Grusel- und Horror-Literatur geschaffen, wenn nicht die fesselndste und bedeutsamste überhaupt. Außergewöhnlich, initiativ, zielstrebig, ungeheuer ehrgeizig, geachtet, geehrt – genial – und doch hart, rücksichtslos, gehasst: das ist DR. MORTON, Arzt und Wissenschaftler! Verbrecher und Mörder – das sagen die anderen. Urteilen Sie selbst! Lassen auch Sie sich von der Ausstrahlung seiner schillernden Persönlichkeit und von seiner unheimlich zwingenden Geisteskraft gefangen nehmen. Er ist ein von seinen Ideen Besessener, ein Genie zwischen Gipfel und Abgrund. Fürchten Sie sich nicht vor dem Abgründigen in DR. MORTON, fürchten Sie sich nicht vor sich selbst. Schließen Sie das Fenster und löschen Sie das überzählige Licht. Eine angenehme Gänsehaut verträgt nur wenig Geräusch und knappe Helligkeit. Eine unheimliche Lektüre wünschen Ihnen Verlag und Redaktion ERBER+LUTHER VERLAG Empfohlen ab 16 Jahren
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Seitenzahl: 112
Ein Toter im Labor
von
DR. MORTON
erscheint im
ERBER+LUTHER VERLAG, Schweiz.
Konvertierung: DigitalART, Bergheim.
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise,
gewerbsmäßige Verbreitung in Lesezirkeln,
Verleih, Vervielfältigung/Reproduktion sowie
Speichern auf digitalen Medien
zum Zwecke der Veräußerung
sind nicht gestattet.
DR. MORTON ist auch als
Bisher erschienen:
Band 01: Blaues Blut
Band 02: Das ist Ihr Sarg, Sir!
Band 03: Bad in HCL
Band 04: Biedermann und Rauschgifthändler
Band 05: Mr. Gregory kann nicht sterben
Band 06: Dr. Morton empfiehlt Selbstmord
In Vorbereitung:
Band 08: Sir Henry, der Dritte im Bund
Band 09: Ein Gangster killt den andern
Band 10: Sein erster Mord
Band 11: Gehirnoperation
Band 12: Ein Selbstmord kommt selten allein
Dr. Glenn Morton, Mitglied des Königlichen Kollegiums der Chirurgen, war auf dem Weg von seiner Privatklinik zu seinem Landsitz Lannix Manor. Er fuhr seinen Jaguar ruhig und beherrscht und war so konzentriert wie vor einer schwierigen Operation. Der Polizist an einer der belebtesten Kreuzungen von Brighton, der ihn erkannte und achtungsvoll zwei Finger zum Gruß an die Kopfbedeckung legte, konnte ebenso wenig irgendeine Spur von Aufregung an Dr. Morton entdecken wie wenige Minuten später Sansom, der Butler von Lannix Manor, der seinem Herrn die Tür öffnete.
»Ich möchte nicht gestört werden, Sansom.«
»Jawohl, Sir.«
›Ich möchte nicht gestört werden‹ bedeutete, das Dr. Morton für nichts und niemanden zu sprechen war, ja, dass man nicht einmal an die Tür klopfen durfte, hinter der er ich aufhielt. Selbstverständlich wurden auch keine Telefongespräche durchgestellt. Sansom wusste Bescheid. Er wie alle anderen Angestellten hier in Lannix Manor. Wenn Dr. Morton nicht gestört werden wollte, war das so, als sei er überhaupt nicht im Haus.
Es gab nur einen Menschen, der sich über das absolute Störungsverbot hinwegsetzen durfte. Das war William Grimsby, Chauffeur und Pilot und ›Mädchen für alles‹ bei Dr. Morton. Manchmal erweckte diese Tatsache Neid und Missgunst bei den anderen Angestellten. Aber da es sonst nichts gab, worüber sie sich beklagen konnten, fanden sie sich auch mit Grimsbys Vorzugsstellung ab.
Dr. Morton durchquerte die Bibliothek vor Lannix Manor und betrat das dahinter liegende Kartenzimmer. Er schloss die Tür und hielt sich diesmal nicht damit auf, die sieben großen Karten, die die Wand bedeckten, eine nach der anderen wegrollen zu lassen.
Er hatte es eilig, und das hätte ein Beobachter jetzt spüren können. Wenn es einen gegeben hätte.
Dr. Morton und Grimsby waren drüben in den versteckten Räumen unterhalb der Privatklinik gewesen, als das Alarmsignal ertönte. Was der Alarm bedeutete, konnte man nur an Ort und Stelle sehen. Jedenfalls musste sich ein ernster Zwischenfall ereignet haben. Etwas, das Dr. Mortons Karriere und seine Existenz mit einem Schlag beenden konnte.
Immerhin hielt er hier unter dem weitläufigen Herrensitz in nur ihm und Grimsby zugänglichen Räumen nicht nur zwei Gangster gefangen, die ihnen vor einiger Zeit in die Quere gekommen waren, sondern auch Mr. Spratt, einen leibhaftigen Chefinspektor von Scotland Yard.
Dr. Morton hatte den nach unten führenden Gang erreicht, an dem der eigentliche Zugang zu den geheimen Räumen lag. Hier war alles in Ordnung. Die Anlage war so gebaut, dass ein Eindringling, der bis hierher gelangt war – unwahrscheinlich genug -, dem wirklichen Geheimnis zwar auf der Spur war, es aber aller Voraussicht nach trotzdem nicht erreichte.
Der Gang stellte eine Verbindung zwischen dem Haupthaus von Lannix Manor zu dem Garagentrakt, den ehemaligen Stallungen, dar. Na und? Für sein Vorhandensein konnte man immer eine glaubhafte Erklärung finden.
Dr. Morton zögerte. Das Alarmsignal bedeutete, dass mindestens einer der Gefangenen eine der verschlossenen Türen gewaltsam geöffnet hatte. Wahrscheinlicher war es jedoch, dass da drin mindestens die beiden Gangster aus dem Nachlass eines inzwischen verstorbenen Mr. Knowles sich zusammengetan hatten und darauf lauerten, ihre Freiheit wiederzugewinnen. Morton unterschätzte ihre Gefährlichkeit nicht. Er wusste, dass sie sich keine Schusswaffen beschafft haben konnten, denn dergleichen wurde hier unten nicht aufbewahrt. Aber für zwei entschlossene Männer gab es andere Möglichkeiten, sich zu bewaffnen.
Zwei? – Vielleicht waren es auch drei, die drin auf ihn lauerten. Durchaus möglich, dass die Gangster Chefinspektor Spratt befreit hatten, und ohne Zweifel würde er sich vorübergehend mit ihnen zusammentun, wenn’s darum ging, Dr. Morton und dem sicheren Tod zu entkommen.
Dr. Morton hatte die kurzläufige Llama-Automatik in der rechten Hand, eine kleine, zuverlässige Waffe, die er fast immer bei sich trug und mit der er auf kurze Entfernungen traumhaft sicher traf. Er zögerte noch, die unsichtbare Tür zu öffnen.
Mal angenommen, dachte er, die drei lauern dahinter. Ich kann vielleicht einen sofort ausschalten, wenn die Tür aufgeht. Den zweiten erwische ich womöglich auch noch. Wenn sie aber zu dritt sind, bleibt immer noch einer übrig, der vielleicht mich erwischt. Dieser dritte wäre dann immer erst hier im Gang. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde Grimsby ihn erledigen, bevor er ans Tageslicht käme. Aber ich wäre dann vielleicht tot.
Es war sinnlos, ein Risiko einzugehen, wo man’s vermeiden konnte. Jedenfalls in dieser Situation. Es gab andere Situationen, in denen Dr. Morton Herausforderungen annahm. Herausforderungen, die seinen Jagdinstinkt ansprachen.
Das hier war nicht dazu angetan. Hier galt es nur, eine plötzlich aufgetretene Gefahr auszuschalten.
Dr. Morton ging einige Schritte weiter. Er betätigte einen gut getarnten Schalter. In der Decke entstand eine Öffnung, als zwei anscheinend fest miteinander verfugte Bruchsteine auseinanderglitten. Ein weiterer Knopfdruck fuhr eine Treppenleiter aus. Dr. Morton schwang sich hinauf. Oben konnte er nur gebückt stehen. Mit der Gewandtheit eines Raubtiers bewegte er sich vorwärts. Er stieg zwischen einem Gewirr von Leitungen und Apparaturen hindurch. Hier befand er sich in der Zentrale der Klimaanlage, die die ganze unterirdische Anlage mit Frischluft und Wärme versorgte. Er war jetzt froh, seinerzeit Grimsbys Vorschlägen gefolgt zu sein. Grimsby mit seinem immer wachen Sinn fürs Praktische hatte vorgeschlagen, einen zweiten Zugang für Notfälle zu installieren. Es hatte eine Menge Geld und Zeit und Arbeit gekostet, aber jetzt schien es sich zu lohnen.
Dr. Morton schlich lautlos zur hintersten linken Ecke der Anlage und löste dort einen Verschluss, der eine rechteckige Platte festhielt. Sehr behutsam schob er sie zur Seite. Er lauschte. Unten war alles ruhig, und es wäre auch zu sonderbar gewesen, hätten die Gangster ausgerechnet in dem kleinen Vorratsraum darauf gelauert, ihn oder Grimsby zu überwältigen, um ihre Freiheit zu gewinnen.
Morton hielt sich an dem Griff über seinem Kopf fest. Er pendelte jetzt über der Öffnung. Das war auch eine von Grimsbys praktischen kleinen Konstruktionen: Er brauchte nur den im Griff verstecken Knopf nach links zu drücken, schon schwebte er langsam nach unten.
Sekunden später stand er in einem der Schränke. Im Gegensatz zu den anderen war er von innen zu öffnen, allerdings nur, wenn man die Mechanik kannte.
Sicherheitshalber lauschte Dr. Morton auch jetzt wieder. Er presste ein Ohr gegen die Schranktür, konnte jedoch keinerlei Geräusch wahrnehmen.
Er öffnete die Tür spaltbreit. Der Raum war leer. Die Tür nach draußen schien fest geschlossen. Dr. Morton nahm die kurzläufige Llama wieder zur Hand und öffnete die Schranktür ganz. Auf leisen Sohlen ging er durch den Vorratsraum.
Wieder ein Ohr an die Tür, wieder nichts. Wenn die Gangster – unter Umständen gemeinsam mit Chefinspektor Spratt – dort draußen im Gang lauerten, was anzunehmen verhielten sie sich jedenfalls mucksmäuschenstill.
Dr. Morton drückte langsam und leise den Türgriff. Die Llama hatte er im Anschlag. Die Tür gab nach. Jetzt konnte er den langen, breiten Gang überblicken. Er glich dem unterhalb der Privatklinik zum Verwechseln. Auch hier waren Fußboden und Wände gefliest. Alles wirkte sehr sauber, fast steril.
Und am Ende des Gangs, dort wo die von dieser Seite nicht getarnte Tür in den Verbindungsgang zwischen Haus und Garage führte, lauerten die beiden Gangster. Von Chefinspektor Spratt war nichts zu sehen. Dr. Mortons Blick wanderte über die Reihen der Türen links und rechts. Die meisten waren offen. Die Tür zu Spratts Zimmer allerdings war geschlossen.
Dr. Morton nickte. Bestimmt hatten die beiden auch in Spratts Zimmer geschaut. Er nahm an, dass sie den Chefinspektor erkannt und es vorgezogen hatten, sich nicht mit ihm zu verbünden. Es war ihnen wohl lieber, wenn der Mann vom Yard hier unten verschimmelte, und sie hielten sich für stark genug, den Kampf um Leben und Freiheit ohne ihn zu bestehen.
Sie hatten sich bewaffnet. Hatten offenbar einen Stuhl zerlegt und hielten je eins der kräftigen Beine in der Hand. Damit konnte man zuschlagen. Damit war ein Mann leicht auszuschalten.
Sie hatten aber auch Messer. Skalpelle, um genau zu sein, und die mussten sie in dem kleinen Operationsraum gefunden haben, der am anderen Ende des Flurs lag.
Dr. Morton öffnete die Tür weiter und trat auf den Gang hinaus. Immerhin waren die beiden Männer mehr als 20 Meter entfernt. Zu weit, um mit der Llama zwei völlig sichere Schüsse abzugeben.
Er schlich langsam auf sie zu. Als er noch etwa zehn Meter entfernt war, drehte der eine sich um und schien etwas sagen zu wollen. Da entdeckte er Glenn Morton.
»Pass auf!«, schrie er seinem Partner zu.
Der wirbelte herum. Er war ein Mann mit fabelhaften Reaktionen und im Umgang mit Messern fast so gut wie William Grimsby. Es ist bestimmt nicht leicht, ein Skalpell als Wurfmesser zu benutzen, aber das glitzernde Ding flog exakt auf Dr. Morton zu.
Morton ließ sich fallen, während er abdrückte. Der Messerwerfer sank mit einem Schmerzensschrei zusammen. Es war der letzte Laut, den er von sich gab.
Der andere, der Dr. Morton zuerst entdeckt hatte, handelte instinktiv. Er war losgerannt, als er geschrien hatte, und als Dr. Morton sich fallenließ und schoss, hechtete er durch die Luft, knallte auf den gefliesten Boden, wobei er das Stuhlbein loslassen musste, und war bei Morton, bevor der zum zweiten Mal abdrücken konnte. Er packte nach der Hand, die die Waffe hielt. Seine Finger klammerten sich um Mortons Gelenk. Die andere Hand fuhr auf Dr. Morton Kehle zu und schloss sich um den Hals des Arztes.
Morton reagierte instinktiv. Sein linkes Bein hatte etwas Platz. Platz genug, um das Knie anzuziehen und zuzustoßen. Er traf den anderen nicht sehr exakt, aber die Wirkung genügte für den Augenblick. Der Griff um seinen Hals lockerte sich. Morton warf sich herum. Er musste die Waffe loslassen, aber als sein Gegner sie zu erreichen versuchte, war er für Bruchteile von Sekunden unaufmerksam. Morton wirbelte herum. Seine Hand traf den Oberarm des Gangsters. Der Knochen brach. Das war deutlich zu hören. Der Schrei, aus Schmerz und Wut gemischt, folgte erst einen Moment später.
Ein einarmiger Gegner ohne Waffe war nur noch Routine für Dr. Morton. Er ließ den anderen angreifen. Zwangsläufig gab der sich dabei eine Blöße. Morton nutzte sie rücksichtslos aus. Diesmal traf seine Handkante den Hals, und aus dem eben erst abebbenden Schrei wurde ein Röcheln, das rasch verstummte.
Dr. Morton ließ sich keuchend nach vorn fallen. Er hatte für den Kampf, der insgesamt nicht länger als eine halbe Minute gedauert hatte, all seine Kräfte mobilisiert. Er hätte im Bedarfsfall noch eine Weile auf die gleiche Weise weiterkämpfen können, aber da das nicht notwendig war, gönnte er sich eine kurze Erholung.
Etwas warnte ihn. Sein immer wacher Instinkt. Noch bevor er Spratt hörte oder gar sah, wusste er, dass der Chefinspektor hinter ihm war. Die Gangster hatten sich also doch mit ihm verbündet, hatten ihn herausgelassen. Vermutlich war Spratt noch mit der Durchsuchung der Räume beschäftigt gewesen, als Morton die Tür zwischen Vorratsraum und Flur geöffnet hatte, und jetzt schlich er sich von hinten an. Er kam aus der Richtung des kleinen Operationsraums. Bestimmt war er bewaffnet. Es gab ja genügend Skalpelle und ähnliches.
Dr. Morton rührte sich nicht. Nur sein Blick wanderte über den Fußboden und zu der kurzläufigen Llama. Sie war zu weit weg. Er hatte keine Möglichkeit, sie zu erreichen.
Seiner Schätzung nach war Chefinspektor Spratt noch höchstens drei Meter hinter ihm. Er würde das Skalpell nicht werfen. Er würde unbemerkt nahe genug an Dr. Morton heranzukommen, um damit zuzustoßen.
Diese Sekundenbruchteile dehnten sich wie eine Ewigkeit. Morton musste die Zähne zusammenbeißen, um sich nicht zu verraten.
Jetzt! Jetzt kam der Angriff.
Dr. Morton drehte sich blitzschnell herum und stieß mit den Füßen zu. Das Skalpell rutschte an seinem rechten Schuh entlang, aber Chefinspektor Spratt verlor’s nicht. Er war sehr blass. Während der Haft hier unterhalb von Lannix Manor hatte er bestimmt 30 Pfund abgenommen. Aber er hatte sich fit gehalten und war ein nicht zu unterschätzender Gegner.
Statt wild über seinen Gegner herzufallen, wich er einen Schritt zur Seite und lauerte auf eine bessere Gelegenheit, mit Dr. Morton fertig zu werden.
Morton kam zwar auf die Füße, aber er war immer noch unbewaffnet, während Spratt das Skalpell in der rechten Hand hielt und keinen Zweifel daran ließ, dass er es zu benutzen wusste.
Dr. Morton spürte warmes Blut über seinen rechten Fuß sickern. Die Verletzung konnte aber nicht schlimm sein. Spratt hatte keine Sehne getroffen, nicht einmal einen Muskel völlig durchtrennt.
Den Schritt zur Seite hatte er mit Überlegung getan. Er war jetzt zwischen Dr. Morton und der kurzläufigen Automatik. Natürlich konnte er’s nicht riskieren, sich nach der Waffe zu bücken. Aber er konnte ihr einen Tritt geben, so dass sie scheppernd mindestens zehn Meter über den gefliesten Boden des Gangs rutschte, bevor sie gegen die Wand knallte und liegenblieb.
»Sie machen einen Fehler, Chefinspektor«, murmelte Morton.
Der andere antwortete nicht.
»Es ist Ihr Tod, wenn Sie nicht augenblicklich zur Vernunft kommen!«