Dr. Pops musikalische Sprechstunde - Dr. Pop - E-Book

Dr. Pops musikalische Sprechstunde E-Book

Dr. Pop

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Beschreibung

Wussten Sie, dass Singen unter der Dusche das Selbstbewusstsein stärkt? Oder dass Musik mehr zur Attraktivität beiträgt als Sport? Wer Konzerte regelmäßig besucht, lebt außerdem länger. Dr. Pop, der »Arzt fürs Musikalische«, trägt diese faszinierenden Fakten zusammen. Als Musik-Comedian und promovierter Musikwissenschaftler therapiert er auf der Bühne, im Radio und im TV. Dr. Pop weiß, mit welchen Liedern sich eine Party, eine Beziehung oder ein Leben retten lassen. Anhand spannender und zum Teil witzig-schräger Studien zeigt er, wie man jeden Bereich des Lebens mit Musik optimieren kann. Ein Buch für alle, die Musik lieben oder noch damit anfangen wollen.

»Der Justin Bieber (nur optisch) unter allen Wissenschaftlern ist eine wandelnde Enzyklopädie: Auf eine unnachahmlich pointierte Weise führt er uns Leser von Beethoven zu Britney, einmal durch die ganze Menschheitsgeschichte, vorbei an Flora und Fauna, direkt ins allerunterhaltsamste Schlaubergerwissen, mit dem ich nicht nur gesünder und glücklicher werde, sondern auch noch bei meinen Enkeln in spe punkten kann. Ein unglaublich nützliches Buch.«
Anja Caspary

»Ich verlange, dass dieses Buch allen Bildungs-, Kultus- und Gesundheitsministerien vorgelegt wird. Es gibt Musik wieder den Stellenwert, den sie verdient. Das Buch ist mutig und sehr witzig geschrieben. Man lernt, dass Musik schlau macht. Ich bin übrigens Musiker.«
Max Mutzke

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Seitenzahl: 280

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Zum Autor:

Markus Henrik alias Dr. Pop ist »Arzt fürs Musikalische«. Studiert hat er in den vier großen Popmusikmetropolen: Manchester, Liverpool, Paderborn und Detmold. Er promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und vermittelt nun im Radio, TV und auf der Live-Bühne faszinierende Musikfakten. Die Jury des Grimme-Instituts nominierte ihn beim Deutschen Radiopreis in der Kategorie »Beste Comedy«.

Wussten Sie, dass Singen unter der Dusche das Selbstbewusstsein stärkt? Oder dass Musik mehr zur Attraktivität beiträgt als Sport? Wer Konzerte regelmäßig besucht, lebt außerdem länger. Dr. Pop, der »Arzt fürs Musikalische«, trägt diese faszinierenden Fakten zusammen. Als Musik-Comedian und promovierter Musikwissenschaftler therapiert er auf der Bühne, im Radio und im TV. Dr. Pop weiß, mit welchen Liedern sich eine Party, eine Beziehung oder ein Leben retten lässt. Anhand spannender und zum Teil witzig-schräger Studien zeigt er, wie man jeden Bereich des Lebens mit Musik optimieren kann. Ein Buch für alle, die Musik lieben oder noch damit anfangen wollen.

Markus Henrik

Dr. Popsmusikalische Sprechstunde

Warum Musik uns attraktiver macht, Konzertbesucher länger leben und Ohrwürmer besser sind als ihr Ruf

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Nina Lieke

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,

nach einem Entwurf von Oliver Behrendt, SW MEDIA GmbH,

unter Verwendung eines Fotos von Christopher Schmidt und einer Illustration von Adobe Stock / veekicl

Bildteil (Layout und Satz): Oliver Behrendt, SW MEDIA GmbH

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

ISBN: 978-3-641-27329-3V005

www.heyne.de

Für alle,

die Musik lieben

oder noch damit anfangen wollen.

Inhalt

Man in the mirror

Vorwort

1 – Eternal flame

Evolution

Warum gibt es überhaupt Musik? Warum tanzen Menschen? Was war der erste Hit der Menschheitsgeschichte? Und ist Dur wirklich immer fröhlich und Moll traurig?

2 – Lullabye

Erziehung & Intelligenz

Wie nimmt ein Säugling Musik wahr, und was ist dran am »Mozart-Effekt«?

Was Musik bei Babys und Kleinkindern bewirkt und warum es nie, wirklich nie zu spät ist, ein Instrument zu lernen

3 – Love is in the air

Liebe

Macht Musik sexy? Und was ist die beste Musik fürs erste Date?

Wie Musik hilft, Liebeskummer zu überwinden, und was wir besser nicht bei unserer Hochzeit spielen sollten

4 – Always on my mind

Musikpsychologie

Über die beste Musik zum Einschlafen und Aufwachen, über die Magie hinter unserer Stimme und sehr nützliche Würmer, die vom Aussterben bedroht sind

5 – ...baby one more time

Manipulation

Mit Britney Spears gegen Piraten und mit Bach gegen Obdachlose – wenn Musik zur Folter wird

6 – I wanna dance with somebody

Konzerte

Was haben Franz Liszt, die Beatles und Rolf Zuckowski gemeinsam? Außerdem: Was Konzerte einzigartig macht und warum Konzertgänger gesünder leben

7 – Staying alive

Gesundheit

Wie Musik bei Demenzerkrankungen und Depressionen hilft, warum Singen so unfassbar gesund für uns ist und welchen Song man bei einer Herzdruckmassage hören sollte

8 – I like to move it

Sport & Motivation

Ist Musikhören beim Sport wirklich gut? Welche Songs am besten motivieren und wie man gute Vorsätze mit Musik besser durchhält

9 – Imagine

Politik & Gesellschaft

Wer war zuerst da – Angela Merkel oder die Spice Girls? Über Heldinnen der Musikgeschichte, besondere Fähigkeiten und die schönste Beerdigungsmusik

10 – Da Da Da

Philosophie

Von brennenden Pianos, Streichern in der Luft und Fischen in der Badewanne. Von Zukunftsmusik und der ganz eigenen philosophischen Schönheit des Gangster-Rap

11 – I need a dollar

Geld verdienen

Wer entscheidet, ob wir spanischen oder italienischen Rotwein kaufen? Wir selbst offenbar nicht. Wer alles so mithilfe von Musik viel Geld verdient und warum Musik die Chance auf beruflichen Erfolg erhöht

12 – Strawberry fields forever

Pflanzen & Tiere

Gedeihen Pflanzen besser mit Musik? Geben Kühe mit Beschallung mehr Milch? Warum mögen Haie Heavy Metal? Und wer war noch mal Snowball?

13 – Genie in a bottle

Kreativ & kurios

Leon Theremin, Keith Richards, Mariah Carey… Kreativität, Exzentrik und ein Schuss Wahnsinn als Erfolgsgarantie von Klassik bis Pop

14 – Music was my first love

Liebe zur Musik

Eine Ode an das Unperfekte, an echte Klaviere und selbst gebaute Gitarren aus Lissabon. Warum Platten uns guttun und auf welche Reisen im Leben uns Musik mitnehmen kann

Quiz

Mini-Glossar

Danke

Bildnachweis

»Der weiß was und der ist witzig. Ich bin seit Jahren bei Dr. Pop in Behandlung. Mir geht es schon viel besser, aber das sage ich nicht, sonst darf ich nicht mehr hin.«

Frank Goosen

*1966

Man in the mirror

Vorwort

Für mich war Musik schon immer ein Kraftspender. Ich war acht Jahre alt und hörte im Wohnzimmer meiner Eltern »Man in the mirror«. In Dauerschleife. Die 5 Minuten 19 Spiellänge auf der digitalen Anzeige des CD-Players haben sich bei mir genauso eingeprägt wie das Symbol der Repeat-Taste, die ich nach Einlegen der CD betätigte.

Auf dem beige-braunen Wollteppich von Karstadt tanzte ich dann also zur Musik von Michael Jackson und sprang abwechselnd nach links und rechts zur Seite. Denn in dem Moment war ich nicht nur Jacko, sondern gleichzeitig auch Bodo Illgner, der im WM-Halbfinale 1990 gegen England einen Elfmeter parierte.

Dieser Spagat zwischen Popstar und Profitorwart, der mir als berufliche Perspektive realistisch erschien, wurde in Gedanken durch die emphatisch aufsteigende Melodie von »Man in the mirror« ermöglicht.

Irgendwann tanzte ich dann zu »Schatten an der Wand« – ein Nummer-1-Hit von Julia Neigel aus den späten 80er-Jahren. Dabei rutschte ich auf dem Teppich aus und schlug mir am Couchtisch die Lippe auf. Julia Neigels musikalischen Werdegang habe ich daraufhin nicht weiter verfolgt.

Viele von uns prägt die erste Erfahrung mit Musik. Je nach Generation erinnert man sich an die erste Langspielplatte, Kassette oder CD; 90er-Jahrgänge werden ganz wehmütig beim Gedanken an ihr erstes geklautes MP3. Ich selber vermisse den Moment, als ich mit dem Bleistift die Kassette wieder aufdrehte, um den Bandsalat zu reparieren. Und wenn es dann klappte, fühlte ich mich wie MacGyver.

Mit der Musik ist es wie mit der Liebe. Sie kann Emotionen hervorrufen, die uns verändern. Eine Milliarden-Industrie lebt von ihr. Die Wissenschaft beißt sich zum Teil die Zähne an ihr aus. Sie kann zum Wegmarker entscheidender Lebenssituationen werden.

Für mich ist Musik eine Brücke zwischen Kopf und Bauch. Wenn ich mal wieder zu viel nachdenke, erinnert mich Musik daran, die emotionalen Anteile in mir verstärkt wahrzunehmen.

Sie bietet die Chance, die eigene emotionale Intuition anzuregen. Sie kann die guten Anteile in uns verstärken, uns empathischer, wacher und klüger machen. Der Reim »Wo man singt, da lasse dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder« hat einen wahren Kern. Auch wenn Musik in der Geschichte immer wieder für agitatorische Zwecke missbraucht wurde, ist ihr humanitärer Anteil so groß wie bei kaum einer anderen Kulturtechnik.

Und weil ich mehr über Musik wissen und nachdenken wollte, habe ich irgendwann Musik studiert. Genauer gesagt Popmusik. Das Ganze ging auch ganz flott: insgesamt zehn Jahre lang. Erst mal in den vier großen Popmusik-Metropolen: Liverpool, Manchester, Paderborn und Detmold. Für die Doktorarbeit verschlug es mich dann nach Berlin. Unser Musikwissenschaftliches Institut stand sogar unter Polizeischutz. Ich dachte zunächst, wegen der Sprengkraft meiner Thesen, aber es lag daran, dass Angela Merkel Tür an Tür mit uns residierte. Übers Radio führte mich mein weiterer Weg auf die Bühne. Und dort werde ich immer wieder mit neuen Fragen zur Musik konfrontiert. In meinen Liveshows haben die Zuschauer die Gelegenheit, Frage-Kärtchen auszufüllen, die ich dann spontan beantworte.

Allen Zuschauerinnen und Zuschauern möchte ich für die Anregungen danken, die Anteil an dieser Buchidee hatten. Einige Fragen musste ich allerdings aussortieren, zum Beispiel: »Warum war Modern Talking so erfolgreich?« oder »Warum steckt in dem Wort Lispeln ein s?«. Da fehlte mir schlicht der Musikbezug – in beiden Fällen.

Die Fragen habe ich thematisch sortiert, einige Themen ergänzt, und daraus sind nun vierzehn Buchkapitel geworden. Sie werden sehen, mir ist es wichtig, die positiven Seiten von Musik herauszustellen. Und da gibt es einige: Am Anfang des Lebens zeigen Kinder deutlich mehr Empathie, wenn sie früh mit Musik in Kontakt kommen. Sie unterstützt alle wichtigen Entwicklungsbereiche: von der Kognition und Sprache über die emotionale Intelligenz bis hin zur Motorik. Im fortgeschrittenen Alter kann Musik bei Demenzerkrankungen helfen und, wie Angehörige berichten, wahre Wunder bewirken. Und wer regelmäßig Konzerte besucht, scheint sein Leben zu verlängern.

In diesem Buch ist aber auch Platz für Kurioses. Man erfährt, warum sich der Komponist Franz Liszt einen zotteligen Hund angeschafft haben soll, um seine Fans glücklich zu machen, oder dass es eine offizielle Gedenkmünze vom Schlagerduo Die Amigos gibt. Sie merken schon, auch Schattenseiten rund um das Thema Musik werden nicht ausgespart. Erfreulicherweise überwiegt die positive Dimension des Themas sehr deutlich. Mit Musik lassen sich persönliche Ziele besser erreichen, sie hilft beim Sport, beim Abnehmen, beim Aufstehen, beim Einschlafen, bei der Konzentration, beim Kreativsein und in der Liebe.

Wenn Sie nach der Lektüre ein Konzert mehr als sonst besuchen wollen, freut mich das. Ebenso, wenn Sie sich oder Ihrem Kind ein Instrument schenken mögen oder Lust bekommen, mit dem Singen anzufangen: in der Dusche, in einem Chor, im Büro …

Sie können das Buch von vorne bis hinten, die Kapitel aber auch kreuz und quer lesen. Und zwischendurch gerne in die eine oder andere Musikanregung reinhören. Denn das verbindet den Kopf so schön mit dem Bauch.

Ihr Dr. Pop

Ich betrachte die Musik als Wurzel aller übrigen Künste.

Heinrich von Kleist

1777–1811

1

Eternal flame

Evolution

Können Sie sich ein Leben ohne Musik vorstellen? Falls nein, die Evolutionslehre auch nicht. Es gibt verschiedene koexistierende Erklärungen, wie es mit der Musik auf diesem Planeten angefangen hat. Was war das erste Melodieinstrument? Warum tanzt der Mensch? Was war der erste Hit der Menschheit? Kapitel 1 trägt Antworten auf ganz grundlegende Fragen zusammen.

Warum gibt es überhaupt Musik?

Die Theorien dazu lassen sich in sechs Kategorien unterteilen:

1. Musik ist wie Käsekuchen

Musik sei eine Art auditory cheesecake, Käsekuchen für die Ohren. Ganz lecker, aber zum Überleben keineswegs notwendig. Der Mensch habe die Musik irgendwann als netten Ohrenkitzel dazugewonnen, sei aber vorher ganz gut ohne sie ausgekommen. Diese provokante These stammt vom Harvard-Professor Steven Pinker. Diesem Ansatz wird vehement widersprochen. Vor allem von Forscherinnen und Forschern, die folgende Theorie vertreten:

2. Wiegenlieder und die Mutter-Kind-Beziehung

Lieder, um den Nachwuchs zu beruhigen, seien der Ursprung jeglicher Musikalität auf der Erde. Schon vor Hunderttausenden Jahren haben Mütter ihren Kindern zum Einschlafen einfache Melodien vorgetragen. Erst kürzlich wurde festgestellt, dass damit eine überlebenswichtige Hormonproduktion beim Nachwuchs in Gang gesetzt wird. In Zeiten hoher Kindersterblichkeit sei das für das Überleben besonders wichtig gewesen. Der Gesang kompensiere zudem fehlende Berührungen. Eine vertraute Stimme kann dem Nachwuchs über eine gewisse Distanz hinweg ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das ist heutzutage immer noch nützlich, zum Beispiel, wenn man beide Hände in der Wäsche hat.

Manche wissenschaftlichen Abhandlungen kommen zu dem Ergebnis, dass unter anderem Wiegenlieder den Verbleib der Menschheit auf dem Planeten gesichert hätten und dass im Grunde genommen die Erfindung der Musik auf Frauen zurückgehe. (Mehr dazu unten im Kapitel »Die Magie von Wiegenliedern«.)

3. Genetische Selektion und Paarung

Charles Darwin kommt in seinen evolutionstheoretischen Schriften zu dem Ergebnis, Musik habe beim Menschen eine ähnliche Funktion wie im Tierreich. Konkret wie bei den Vögeln. Wer laut und kräftig singt, mache auf sich aufmerksam und würde seine guten Gene unter Beweis stellen. Singen konnten einige Vorfahren des Homo sapiens übrigens schon, bevor sie in der Lage waren zu sprechen. Physiologisch sind unsere Stimmbänder auf einen viel größeren Ambitus (Tonumfang) ausgerichtet, als wir ihn für das Sprechen benötigen.

Möglicherweise wurde mit Gesang eine gewisse Form von Souveränität zum Ausdruck gebracht. Wer in der Steinzeit, wo es die meiste Zeit ums nackte Überleben ging, sang, der zeigte: Ich habe nur ein Fell um die Hüften und einen Stein in der Hand, bin aber trotzdem gut drauf!

Dass Kulturtechniken interessanter sein können als die reine Muskelmasse und das Äußere eines Menschen, zeigt sich bis heute bei Künstlern, die auf den ersten Blick kein Schönheitsideal verkörpern, aber trotzdem Tausende Fans anlocken. Den Rekord für den größten Ticketumsatz aller Zeiten (736,7 Millionen US-Dollar) mit nur einer Tournee hält übrigens Ed Sheeran.

4. Soziale Interaktion und Gruppenstärkung

Musik kann ein Gruppenbewusstsein erzeugen. Jeder braucht seine Momente für sich und ist gerne mal allein, evolutionär betrachtet ist der Mensch jedoch ein Herdentier. Gesänge und Musikrituale sind der Kitt für einen Gruppenverbund. Gemeinsame Lieder stehen für geteilte »Kultur«. Gut zu beobachten ist das im Fußballstadion – die Fangesänge sollen Spieler auf dem Platz zu mehr Leistung animieren, aber vor allem eine Gruppenzugehörigkeit klarmachen und die Grenzen zu einem feindlichen Gegenüber ziehen. Und dadurch werden Kräfte freigesetzt, die früher überlebenswichtig waren. Zum Beispiel, um einem Mammut die Stirn bieten zu können. Stress und Angst werden durch Gesang und Gemeinschaftsgefühl reduziert. Ein Säbelzahntiger lässt sich mit dem richtigen Lied auf den Lippen besser bekämpfen – zu empfehlen ist hier »What’s new pussycat?« von Tom Jones.

5. Survival of the friendliest

Neuere anthropologische Forschungen versuchen, die darwinsche Vorstellung von »Survival of the fittest« ein wenig herauszufordern. Nicht das am besten angepasste Lebewesen habe evolutionär die besten Karten, sondern das freundlichste. Es gebe auch eine Selektion gegen Aggression. Kann ja kein Zufall sein, dass der Säbelzahntiger mittlerweile ausgestorben ist, das Meerschweinchen aber seit Tausenden von Jahren ganz entspannt vor sich hin lebt. Im ersten Augenblick mag diese These im Hinblick auf den Menschen verwirren, denkt man an die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen seit Bestehen dieser Spezies. Aber der Mensch hat auch ziemlich gern seine Ruhe: daheim sein, Heizung an, Lieferdienst, Laptop, Netflix.

Neben dem Homo sapiens sei der Hund das erfolgreichste Wesen auf dem Planeten. Wegen seiner freundlichen Beziehung zum Menschen.

Musik steht fast immer für unsere positiven, freundlichen Seiten. Sie ist eine Kulturtechnik, bei der die Gesichtszüge und die Körpersprache überwiegend Entspannung und keine Aggression ausstrahlen. Mit Ausnahme vom gutturalen Gesang beim Death Metal vielleicht. Dabei sind Fans und Ausübende von Metal-Musik häufig sehr freundlich.

6. Musik zum Durchhalten

Die Kraft für langfristige Anstrengungen, die man aus der Musik ziehen kann, spielt bei der sechsten Theorie eine Rolle. Was sind wir früher viel gelaufen! Vor etwa vier Millionen Jahren ging es los mit dem Aufrechtgehen. Die vielen Vorfahren des Homo sapiens und auch er selbst haben früher enorm lange Wegstrecken zurückgelegt. Immer auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Das Vor-sich-hin-Singen und -Summen soll die Strapazen leichter erträglich gemacht haben. Ein Mittel zur Ertüchtigung und zum Durchhalten. Vor ca. 2.000 Jahren – also nur einen Wimpernschlag in der Geschichte des Menschen zurückliegend – musste ein römischer Legionär etwa 33 Kilometer am Tag Fußmarsch auf sich nehmen. Mit dabei ein Gepäck von 47 Kilogramm. Heutzutage ist der Mensch bereit, nur noch durchschnittlich zehn Minuten Fußweg, beziehungsweise einen knappen Kilometer, hinter sich zu bringen, bevor er ein Verkehrsmittel zur weiteren Fortbewegung wählt. Reise- und Wanderlieder stammen aus einer Zeit, als es noch keine E-Scooter und kein Uber gab. Praktisch sind sie kaum noch in Gebrauch. Erhalten hat sich allerdings für viele das Ritual, sich bei der körperlichen Bewegung von Musik begleiten zu lassen – zum Beispiel beim Joggen mit Kopfhörern. Das ist gar nicht so weit weg von dem, wie unsere Vorfahren vor ein paar Millionen Jahren mit der körperlichen Anstrengung umgegangen sind: ebenfalls mit Musik, nur ohne Navi-App und Funktionsjacke.

Aus meiner Sicht können die Theorien 4 bis 6 sehr gut mit der wichtigen Wiegenlied-Hypothese koexistieren. Diese Kombination hat für mich die Nase vorn. Die Theorie von Charles Darwin zur Musik, wohlgemerkt aus dem 19. Jahrhundert stammend, gilt in der Wissenschaft mittlerweile als zu unvollständig. Trotzdem enthält sie einige valide Punkte. An den Käsekuchen als Erklärungsmodell glaube ich nicht.

Die Entwicklung des Menschen. Mit Musik ging es eiligen Schrittes voran.

Interessanterweise gibt es Kulturen, die das Wort Musikerin oder Musiker nicht kennen, aber nur, weil es vollkommen selbstverständlich ist, dass der Mensch Musik macht. Bei den Mafa in Afrika ist das zum Beispiel der Fall.

Es gibt fundamentale religiöse Bestrebungen, die Musik verbieten und ausmerzen wollen. Aber das funktioniert nicht so recht. Musikmachen ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Zu allen Zeiten der Geschichte wurde gehopst, gesungen, gesprungen und mit Klangerzeugern hantiert. Und das ist auch gut so.

Warum berührt uns Musik so sehr?

Sie erreicht uns ungefiltert! So wie Gerüche trifft sie uns unmittelbar. Sie geht durch alle Gehirnregionen. Das hat evolutionäre Gründe. Unser Kopf musste früher in Bruchteilen von Sekunden unterscheiden können: War das ein Windstoß, der das Gras zum Rascheln bringt, oder haut uns gleich ein Bär die Tatze über die Rübe?

In sehr kurzer Zeit verspüren wir Argwohn, wenn wir einen »falschen« Song erkennen. Das geht uns durch Mark und Bein. Es gibt Leute, die rennen sofort zum DJ, wenn er sich ihrer Meinung nach in der Playlist verklickt hat. Das ist affektiv schon verständlich. Modern Talking bei einer 80er-Jahre-Party zum Beispiel. Dann doch lieber eine Bärentatze über die Rübe.

Die Ohren haben sich, wenn es um Sicherheit geht, evolutionär bewährt. Deshalb funktioniert Filmmusik bei uns auch so gut. Tiefe, grummelige Klänge sagen uns: Hui, da kommt was auf mich zu, ich nehme mich mal lieber in Acht … Leichte, weiche, eher hohe Töne bedeuten Entspannung: Hier fühle ich mich sicher. Wenn die Vögelchen so fröhlich zwitschern, dürften frisches Wasser und Nahrung nicht weit sein.

Seit wann tanzt der Mensch und warum?

Die Forschung geht davon aus, dass der Mensch schon getanzt hat, bevor er überhaupt sprechen konnte. Vor vielen Hunderttausend Jahren. Und das hat ihm evolutionäre Vorteile gebracht, denn:

Gemeinsame Tanzrituale schweißen Gruppen zusammen. Als eingeschworene Einheit konnte man sich besser gegen gefährliche Tiere und andere Widrigkeiten durchsetzen. Ferner ließen sich böse Geister vertreiben. Sehr praktisch. Die Geister blieben größtenteils weg und man hatte auch noch Spaß dabei.

Tanzen macht größer. Wenn eine Gruppe im Kreis oder in einer anderen Formation große Bewegungen macht, dann kann das abschreckend wirken. Ein Raubtier lugt durch den Busch und sagt sich: Nee, da gehe ich mal lieber nicht hin … Würde ein Mensch alleine vor seiner Nase herumlaufen, sähe das schon anders aus.

Tanzen flößt anderen Menschen Respekt ein und übt Faszination aus. Wenn wir Cheerleader-Gruppen oder andere Formationen beim Tanzen sehen, schauen wir alle hin. Die gemeinschaftliche Bewegung größerer Gruppen finden wir interessant und anziehend. Ein Teil von uns versucht unbewusst, die Schritte nachzuvollziehen, und imaginiert sich manchmal in die Gruppe hinein. Das steckt tief in unserer DNA. Dass wir bei Konzerten gemeinschaftlich mitklatschen und uns bewegen, schöpft sich aus einem ähnlichen archaischen Quell.

Archäologische Funde, die das Tanzen unserer Vorfahren bildlich wiedergeben, sind ein paar Tausend Jahre alt. Es gibt Tonkrüge, auf denen Tanz-Moves eingeritzt sind. Aus der Zeit des Neolithikums, 9.000 bis 5.000 v. Chr. Im spannenden Buch Dancing at the Dawn of Agriculture vom Archäologen Yosef Garfinkel findet man 400 Abbildungen. Nach eingehender Betrachtung bereits des Buchcovers kann man sich sicher sein. Sie muss ein paar Tausend Jahre alt sein, die Choreografie der Village People von »YMCA«. Auf der ersten Seite des farbigen Bildteils, in der Mitte dieses Buches, können Sie sich einen Eindruck davon machen.

Heute wie damals gilt:

Die Fähigkeit zu tanzen ist angeboren. Schon Neugeborene zeigen sehr schnell Reaktionen auf rhythmische Patterns.

Tanzen hält fit. Es trainiert die Balance, die Muskeln und die Körperkoordination. Es bringt auch die Hormonproduktion in Gang. Cortisol und Oxytocin werden ausgeschüttet. Man weiß, dass Tanzen Depressionen lindern kann und die Gedächtnisleistung unterstützt. Alleine tanzen ist gesund, partnerschaftlich tanzen noch gesünder. Bei Untersuchungen konnte man hierbei eine signifikant höhere Produktion der wohltuenden Hormone feststellen.

Tanzen ist eine Möglichkeit zur Kommunikation. Man kann damit Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen. Es ist eine Sprache, die überall auf der Welt verstanden wird.

Über Tanz erfolgt die Partnerwahl. Früher in vielen Fällen rituell, heute, um zu schauen, ob man mit einem potenziellen Partner im Takt ist. Tanzen verführt, verbindet und kann so einiges in Wallung bringen. Es festigt auch die bestehende Partnerschaft.

Die Forschung zum Thema Tanz steckt im Vergleich zu anderen Aktivitäten rund um das Thema Musik noch in den Kinderschuhen. Das ansonsten hervorragende Handbuch Musikpsychologie ist 800 Seiten stark, bietet aber nur 2 Seiten zu dem wichtigen Gegenstand. Der Kognitionsbiologe Andrea Ravignani äußerte sich in einem SPIEGEL-Interview, man wisse noch viel zu wenig. Man müsse herausfinden, wie tief verankert der Tanz im Hirn ist. Was ist genetisch und was ist kulturell bedingt? Bislang habe man sechs universelle Rhythmusmuster festgestellt, die Menschen kulturübergreifend gefallen. An der Universität von Kalifornien machte der Neurowissenschaftler Petr Janata eine Versuchsreihe, um in Erfahrung zu bringen, welche Songs am besten zum Tanzen animieren. »Groove Project« wurde das Unterfangen getauft. Auf Platz 1 landete »Superstition« von Stevie Wonder. Für mich sehr gut nachvollziehbar.

Wenn Sie mögen, hören Sie doch genau jetzt in diesen Song rein. Fangen Sie an zu tanzen. Das bringt die Hormone in Wallung. Wenn Sie es besonders exzessiv machen, hält das sogar Raubtiere ab.

Was ist das erste Instrument der Menschheit?

Die Stimme. Wir kommen mit ihr auf die Welt und bringen sie lautstark zum Einsatz. Babys können schreien wie die Weltmeister und werden praktisch nie heiser. Das liegt daran, dass die Stimmbänder noch ziemlich gut belastbar sind und Säuglinge perfekt die Bauch-Brust-Atmung beherrschen. Das Zwerchfell kommt optimal zum Einsatz, was schonend für den Hals ist. Eine Technik, die Sänger*innen mühsam mit den Jahren im Unterricht (wieder-)erlernen müssen. Wie Babys genau schreien, ist ziemlich gut erforscht. Die medizinische Anthropologin Kathleen Wermke, Professorin an der Universität Würzburg, ist fasziniert von Schrei-, Wein- und Babbelgeräuschen. In ihrer Datenbank finden sich mehr als 500.000 internationale Klangproben. Sie und ihr Team stellten fest, dass Babys nicht nur von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich schreien, sondern auch von Land zu Land. Ein französisches Baby erzeugt andere Töne als ein deutsches. Das liegt unter anderem an melodischen Elementen der Muttersprache, die der Nachwuchs schon im Bauch mitbekommt. (Mehr dazu unten im Kapitel »Was hören wir im Mutterbauch?«.) Babys aus China weinen übrigens melodischer.

Neben dem Gebrauch körpereigener Instrumente (man kann sich auch schön auf die Oberschenkel klopfen, nicht nur Menschen, die den Schuhplattler beherrschen, wissen das) ist davon auszugehen, dass unsere Vorfahren schon früh auf Dingen herumgekloppt haben. Auf einem hohlen Baumstamm zum Beispiel. Oder auf einem Schädel. Rasseln, hergestellt aus Muscheln und Knochen, gab es auf diesem Planeten bereits im Paläolithikum, der Altsteinzeit. Die ältesten handgefertigten Trommeln, die wir kennen, stammen aus neolithischen Kulturen in China und haben etwa 7.000 Jahre auf dem Buckel. Die schwingende Membran bestand aus Krokodilhaut.

Das älteste teilerhaltene Melodieinstrument der Welt könnte eine ca. 50.000 Jahre alte Flöte sein. Gefunden in einer Höhle in Slowenien. Hergestellt aus dem Knochen eines Bären. Es gibt einen anhaltenden wissenschaftlichen Streit darüber, ob die Löcher durch einen Neandertaler oder zufällig durch Tierfraß entstanden sind. So einen kreisrunden Tierfraß habe ich aber sonst noch nie gesehen. Wenn Sie mal schauen wollen, auf der ersten Seite des Bildteils findet sich eine Fotografie des archäologischen Fundes.(hier)

Wenn es Tierfraß war, dann sollte das älteste Instrument von der Schwäbischen Alb stammen. Dort fand man eine Vogelknochenflöte, ca. 43.000 Jahre alt.

Wissenschaft bedeutet auch, dass es nicht immer eindeutige Antworten gibt.

Krokodile, Muscheln, Bären, Vögel … Sicher ist nur, dass viele frühe Instrumente nichts für Veganer sind. Das trifft allerdings auch bei weitaus jüngeren Instrumenten zu. Geigenbögen werden bis heute aus Rosshaar hergestellt, Klaviertasten wurden sehr lange aus Elfenbein gefertigt, in der Bretagne nahm man für Dudelsäcke Hundefell und in Südamerika verwendete man für Charangos (ein kleines gitarrenähnliches Zupfinstrument) als Resonanzkörper ausgehöhlte Gürteltiere.

Dass Flöten für Kinder meist aus Holz sind, sollte man als zivilisatorischen Fortschritt betrachten.

Ist unser Musiksystem naturgegeben?

Man ist so sehr an gewisse Klänge gewöhnt, dass man meinen könnte, unser westliches, »abendländisches« Musiksystem sei naturgegeben. Manche Tonkombinationen bezeichnen wir als konsonant, weil sie für uns harmonisch und stimmig klingen, und andere als dissonant, weil sie gegenteilige Gefühle auslösen. Da zucken wir förmlich zusammen. Nur ist das nicht vom Himmel gefallen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die außerhalb unseres Tonsystems groß geworden sind, unsere Empfindungen nicht teilen. Demnach haben Dissonanz und Konsonanz keinen universellen Charakter.

Jedes Klavier oder Keyboard hat zwölf verschiedene Tasten, die sich wiederholen, und zwar in Oktavabständen.1 Das veranschaulicht unser Tonsystem ganz gut. In anderen Kulturen gibt es zum Teil komplexere Tonsysteme mit »Mikrointervallen«, wie man sie aus »westlicher« Sicht identifizieren würde. Das sind Töne, die zwischen einem Halbtonabstand liegen und die man auf einem Klavier gar nicht spielen könnte. Dafür fehlt die Taste. Bis vor Kurzem war man davon ausgegangen, dass zumindest die Oktave etwas Universelles sei, weil sie in vielen Tonsystemen identifiziert werden konnte. Untersuchungen im bolivianischen Regenwald im Jahre 2019 beim Stamm Tsimane zeigten jedoch, dass der Oktavabstand hier keine Rolle spielt. Damit war eine letzte Bastion gefallen. Die musikalische Wahrnehmung hängt schlussendlich immer von der Kultur ab, in der man aufwächst. Das gilt auch für Dur und Moll. Die Unterscheidung hat sich etwa seit 1600 schrittweise in der europäischen Kunst-, Volks- und Popmusik etabliert. Gemeinhin heißt es: Dur ist fröhlich und Moll eher traurig. Nur wird man überrascht sein, welche Songs sich bei der einen oder anderen Tonart bedient haben: Der 90er-Jahre-gute-Laune-Hit »Coco Jambo« von Mr. President steht in cis-Moll; »Tears in Heaven« von Eric Clapton, eine der bewegendsten, schön-traurigen Balladen der Popmusikgeschichte, in A-Dur.

Dur kommt vom lateinischen Begriff »durus«, was »hart« bedeutet. Moll hat seinen Ursprung in dem Wort »mollis«, was »weich« meint. Da macht schon die Wortherkunft deutlich, dass die Aufteilung in fröhlich und traurig mit den Jahren dazugekommen sein muss. Es sind mehr Spielweisen, Sounds und Gesangsinterpretationen, die global und kulturübergreifend als fröhlich oder traurig empfunden werden. Die meisten Lieder des Schlagerduos Die Amigos stehen übrigens in Dur und die finde ich allesamt ziemlich traurig.

Was war der erste Hit überhaupt?

Eines der ältesten überlieferten Lieder, das im wahrsten Sinne des Wortes ausgebuddelt wurde, stammt aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. Es trägt den Namen »Hurritische Hymne Nummer 6«. Jemand hat sich die Noten auf den Grabstein meißeln lassen. Es könnte ein Hit zu jener Zeit gewesen sein. Warum macht man das sonst?

Im Netz kann man sich einige Einspielungen des Liedes anhören. Die Melodie mag für unsere heutigen Hörgewohnheiten leicht schwebend und kreisend klingen. Nicht ganz so prägnant und catchy, wie man es von den meisten Hits von Max Martin kennt, dem erfolgreichsten Songwriter der letzten 30 Jahre. »…baby one more time« von Britney Spears, »I kissed a girl« von Katy Perry oder »Blinding lights« von The Weeknd stammen aus seiner Feder, um nur einige zu nennen.

Man geht davon aus, dass die ältesten Hits auf unserem Planeten Wiegenlieder waren. Durch ihre Melodiestrukturen sind sie meist sehr eingängig. Und klar, ein ruhiges, einschläferndes Lied, das den Nachwuchs liebevoll zur Ruhe bringen kann, hat für viele Eltern Hitcharakter. Sehr alte Überlieferungen gibt es da allerdings nicht.

Der weltweite Erfolg eines Schlafliedes lässt sich erst im 19. Jahrhundert nachweisen. Die Rede ist von »Guten Abend, gut’ Nacht« von Johannes Brahms (1833–1897).

Und wie bei so vielen erfolgreichen Kulturproduktionen ranken sich einige Kontroversen um das Lied. Denn wenn man genau hinschaut, könnte man sagen, das Lied ist geklaut. Oder der Komponist hat sich zumindest tüchtig inspirieren lassen:

Die Melodie ist einem österreichischen Volkslied entlehnt und den Text hat Brahms einfach abgeschrieben. Aus dem Gedichtband Des Knaben Wunderhorn.

Johannes Brahms war auf jeden Fall ein Schlitzohr. Von ihm stammt das berühmte Zitat:

Es ist nicht schwer zu komponieren.

Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten

unter den Tisch fallen zu lassen.

Doch was macht »Guten Abend, gut’ Nacht« zum Hit? Es ist die geniale Kombination aus Rhythmus, Melodie und Text. Der Song steht in einem 3/4-Takt. Also ein kreisender Wiege-Groove. Die Gesangsmelodie hat einen hübsch-überschaubaren Tonumfang. Auch ohne Gesangsausbildung kann sie jeder singen. Das ist quasi bei jedem Ohrwurm-Welthit der Fall. Der Anfang des Liedes (»Guten Abend, gut’ Nacht«) ist besonders einprägsam: Nur zwei unterschiedliche Töne. Rhythmisch minimal variiert.

Und auch der Text hat es in sich:

Guten Abend, gut’ Nacht,Mit Rosen bedacht,Mit Näglein besteckt,Schlupf’ unter die Deck’.Morgen früh, wenn Gott will,wirst du wieder geweckt.

»Näglein«, das altdeutsche Wort für Gewürznelken – diese waren an der Wiege angebracht, um Ungeziefer fernzuhalten. »Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.« Und wenn er nicht will? Das Kind muss beim Text an Ungeziefer denken, und wenn es Pech hat, überlebt es die Nacht nicht. Na dann, gut’ Nacht.

Doch wie bei so vielen Hits, nimmt man die nähere Bedeutung eines Liedtextes gar nicht wahr. Die Zeilen können mehrschichtig sein und etwas andeuten, worüber dann lebhaft diskutiert werden kann.

Und wie wurde das Werk international bekannt? Die deutschen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge verließen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts millionenfach Europa und verbreiteten das Liedgut in aller Welt. In den USA zählt die Melodie zu einer der bekanntesten überhaupt. Dort kennt man sie auch unter der Bezeichnung »lullaby« und »cradle song«. Viele US-Stars haben sie eingesungen. Die Version von Frank Sinatra ist besonders schön.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Melodie noch viele Hundert Jahre überdauern wird. Vielleicht mag sie ja mal jemand zur Sicherheit auf einen Grabstein packen.

1 Eine Oktave ist ein Intervall, bestehend aus zwei Tönen. Der höhere Ton ist doppelt so hoch wie der tiefere Ton. Wenn Mann und Frau zusammen einstimmig singen, dann ist der Gesang der Frau häufig oktaviert. Ihre Stimmbänder schwingen dann doppelt so schnell wie die des Mannes.

Alles, was man tun muss, ist, die richtige Taste zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.

Johann Sebastian Bach

1685–1750

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Lullabye

Erziehung & Intelligenz

Bereits vor der Geburt beginnt unsere Musikwahrnehmung. Ganz schön laut ist es unten im Mutterbauch. Die Forschung hält sensationelle Erkenntnisse bereit, wie Musik die Entwicklung von Säuglingen und Kindern unterstützt. Und als Erwachsener profitieren Sie auch − Musik fördert Intelligenz und Kreativität.

Was hören wir im Mutterbauch?

Bereits bevor wir auf die Welt kommen, geht es los. Ab dem fünften Schwangerschaftsmonat kann der Mensch im Zustand eines Fötus hören. Die Soundqualität kennen wir aus dem Schwimmbad oder der Badewanne. Wir tauchen unter und alles um uns herum klingt ein wenig dumpfer. Trotzdem können Sprache und Musik gut zum Fötus vordringen. Und laut ist es da drinnen! Im Mutterbauch haben wir alle einmal Magen- und Darmgeräusche gehört, die bis zu 95 Dezibel erreichen können. Das ist kurz vor Kreissäge. Wir werden also schon vor der Geburt langsam an die Lautstärke eines Techno-Schuppens herangeführt. Je nach DJ können sich die aufgelegten Platten und die Magen-Darm-Geräusche erstaunlich ähneln.

Der erste Beat, den wir im Leben hören, ist der Herzschlag unserer Mutter. Er prägt uns für das ganze Leben. Im Ruhezustand liegt dieser bei etwa 60 bis 80 Schlägen pro Minute. So schnell wie eine Musikballade. Neben dem Klanglichen und Textlichen ist das mit ein Grund, warum uns Balladen so gut beruhigen können: Sie erinnern uns an den Urzustand im Mutterbauch. Es sei denn, unsere Mutter war häufiger joggen.

TIPP: Die Verknüpfung des Grundschlags von Musik mit dem Herzschlag lässt sich gut im Alltag nutzen. Wenn man sich aktivieren möchte (zum Sport oder zum Putzen), hört man am besten Musik, die ein leicht höheres Tempo als die angestrebte Tätigkeit hat. Beim Joggen wäre Musik mit einer Geschwindigkeit von 130 bis 140 bpm ratsam. Wer sich beruhigen, herunterfahren mag, kann dies am besten in Form einer Achtsamkeitsübung machen. Hand aufs Herz, Augen schließen und eine Ballade zwischen 60 und 80 bpm hören. Mindestens einmal pro Woche. Das spart mittelfristig ein teures Meditations-Retreat auf den Malediven.

Wie nimmt ein Säugling Musik wahr?

Kommt ein Baby auf die Welt, hat es direkt ein paar akustische Vorlieben. Richtig gut findet es die Stimme der Mutter. Die zieht es klar der Stimme des Vaters oder anderen Klangquellen vor. Davon hat es während der Schwangerschaft am meisten mitbekommen. Was die Forschung auch herausfand: Babys können sich an Musik erinnern, die sie im Mutterbauch gehört hatten. Aber nur drei Wochen lang. Das heißt, wenn Sie während der Schwangerschaft keine gute Musik gehört haben … nicht so schlimm. Der Säugling muss in seiner Entwicklung erst mal andere Prioritäten setzen: Nuckeln, Lächeln, Greifen – solche Sachen. Schon mit zwei bis vier Monaten entwickeln sich bei Babys allerdings bereits musikalische Präferenzen. Sie bevorzugen eindeutig angenehm konsonante Melodien im Gegensatz zu dissonanten Tonabfolgen. Das konnten Forscher mit sogenannten Head-Turn-Experimenten herausfinden. Die Babys hatten viel lieber den Kopf zu der Box gedreht, aus der die schönen Klänge kamen. Verständlich. Weitere Methoden, um Reaktionen von Säuglingen zu erforschen, sind übrigens das Messen von Augenbewegungen, des Herzschlags und der Schnuller-Saugfrequenz. Süß, oder?

Im Alter von fünf Monaten lassen sich beim Säugling erste Sprachkompetenzen nachweisen. Sie können Dialekte unterscheiden – kaum zu glauben, aber wahr. Forscher haben das anhand von britischem und amerikanischem Englisch eindeutig nachweisen können. Erneut mit Kopf-Reaktionen. Ich bin sicher, hierzulande wäre es ähnlich. Ein Baby in Dresden oder Flensburg würde bestimmt komisch gucken, wenn jemand plötzlich sagt: »Griaß di Gott, mogst a püriertes Fleischpflanzerl?«