Dreamwalker - Das Geheimnis des Magierordens - James Oswald - E-Book
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Dreamwalker - Das Geheimnis des Magierordens E-Book

James Oswald

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Beschreibung

Die Zukunft aller in den Zwillingskönigreichen liegt in den Händen des jungen Errol Ramsbottom und des Drachen Benfro, denn dazu sind beide ob ihrer Familien bestimmt. Errol als der im verborgenen lebende wahre Thronfolger eines der Länder, Benfro als Sohn einer Drachenheilerin mit großer magischer Begabung.

Doch noch haben sie ihre wahre Bestimmng nicht erkannt und stehen auf entgegengesetzten Seiten. Ganz besonders, seit der Inquisitor Benfros Mutter hingerichtet hat. Denn Errol ist nach wie vor Novize im Orden des Inquisitors, und dessen erklärte Aufgabe ist es, die verbliebenen Drachen des Landes zu töten.

Aber insgeheim übt Errol sich in seinen magischen Fähigkeiten, um eines Tages dem Inquisitor die Stirn zu bieten und sein wahres Ziel zu erreichen: Die Drachen des Königreiches zu retten.

Ein Ziel, das auch Benfro verfolgt und das Leben der beiden Helden für immer verändert …

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Seitenzahl: 723

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© Thomas James Vallely

AUTOR

James Oswald verfasste bereits während des Studiums der Psychologie erste Comics. Es folgten Kurzgeschichten, diverse Blog-Posts und eine Fantasy-Reihe. Neben dem Schreiben betreibt er heute eine Farm in der schottischen Grafschaft Fife. Mit seinen ersten beiden Thrillern »Das Mädchenopfer« und »Asche zu Asche, Blut zu Blut« wurde James Oswald für den renommierten Debut Dagger Award nominiert und stürmte auf Anhieb die britischen Bestsellerlisten. Mit der »Dreamwalker«-Trilogie legt er seine ersten Jugendbücher vor.

Bereits erschienen:

Band 1: Dreamwalker – Der Zauber des Drachenvolkes (40306)

J. D. Oswald

Dreamwalker

Das Geheimnis des Magierordens

Aus dem Englischenvon Gabriele Haefs

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Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Für Barbara, die mich als Erste darauf aufmerksam machte, dass »Sir Benfro« ein wunderbarer Name für einen Drachen wäre. J. O.

Erstmals als cbj Taschenbuch März 2016

© 2016 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House, München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

© 2012 James Oswald

Die Originalausgabe erschien 2013

unter dem Titel »The Rose Cord«

bei Penguin Books Ltd, London

Übersetzung: Gabriele Haefs

Lektorat: Andreas Rode

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

unter Verwendung einer Illustration von © Sam Headley

MP · Herstellung: wei

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-16300-6V001

www.cbj-verlag.de

1

In den frühen Jahren des Ordens vom Hohen Fryd wurden immer wieder Drachen erschlagen. Im Auftrag von König Brynceri durchkämmten Inquisitoren und Kampfpriester die Wälder des Frydlands. Nur wenige Drachen stellten sich zum Kampf, die meisten akzeptierten den Tod, als ob sie ihn erwartet hätten. Aber im Laufe der Zeit ließ der Eifer, mit dem der Orden seiner Aufgabe nachkam, mehr und mehr nach. Inquisitor Hardy belegte die Rufstraße mit seiner Magie und versuchte so, die wenigen noch verbliebenen Drachen zum Kloster zu locken. Der Orden widmete sich wieder seiner herkömmlichen Rolle als Beschützer der Grenzen gegen Invasionen aus anderen Ländern. Einige der überlebenden Drachen verirrten sich auf die Rufstraße und wurden getötet. Die übrigen blieben in ihren schlichten Dörfern und warteten.

Es ist verständlich, dass jemand zu den Waffen zu greift, wenn ein Ungeheuer seine Schafe stiehlt und seinen Hof anzündet. Doch als die Überfälle ein Ende genommen hatten, fanden die Menschen, sie hätten Wichtigeres zu tun, als Drachen zu jagen. Jahre wurden zu Jahrzehnten, Jahrzehnte zu Jahrhunderten – und heute sind viele ehrlich überzeugt davon, dass Drachen nur ein Mythos sind. Da sie in ihrem ganzen Leben niemals so ein Wesen erblicken werden, kann dieser Glaube ihnen auch nicht schaden.

Es gibt andere, die die Wahrheit wissen und die wahre Macht dieser verborgenen, niemals fliehenden Bestien kennen. Solche Drachen speien kein Feuer, sie stellen keine Bedrohung für das Königreich dar, aber sie sind Wesen der Erde mit einem angeborenen Verständnis für Magie. Und diese Magie hat ihren Sitz in den Edelsteinen. Denn im Gehirn eines jeden Drachen können Kleinode gefunden werden, die jeglicher Beschreibung spotten, und wer ein solches Kleinod besitzt, verfügt über einen unvergleichlichen Reichtum.

Father Charmoise: Drachengeschichten

Zweige und Äste schlugen gegen Benfros Schuppen, als er durch den Wald rannte. Er hatte keine Ahnung, wo er war, wo er hinlief. Es gab nur Flucht und blinde Panik. Ein Prickeln ließ seinen ganzen Körper erzittern, als ihn Wellen von Furcht überliefen, während Inquisitor Melyn und seine Kampfpriester auf der Jagd nach ihm waren. Er hatte das Gefühl, dass eine unsichtbare Kraft die Hände nach ihm ausstreckte, und immer, wenn diese Kraft ihm nahe kam, konnte er spüren, wie seine Muskeln sich anspannten.

Eine Wurzel umfing seinen Knöchel und er fiel kopfüber in eine Rinne. Benfro spürte, wie seine Flügel sich verdrehten und an den Zweigen hängen blieben. Die Welt um ihn herum schien sich zu drehen.

Benfro lag mit dem Gesicht nach unten in eisklarem Wasser. Die Kälte brachte ihm ein wenig Vernunft zurück, obwohl sie ihm die Luft aus der Lunge schlug. Er setzt sich in dem rasch dahinströmenden Bach auf, schüttelte sich und schnappte nach Luft. Immerhin wusste er jetzt wieder, wo er war. Noch immer fürchtete er sich, aber der Gegenstand seiner Angst war nur noch schwach, fern. Er verstand selbst nicht, wieso er so sicher sein konnte, begriff nicht, wieso er Melyn überhaupt spüren konnte, aber er war sich sicher, dass der Mann in der falschen Richtung suchte, und sich mit jeder Minute, die verging, weiter entfernte.

Langsam kroch Benfro aus dem Wasser und auf das verschlammte Ufer. Hier befand er sich im Schutz eines umgestürzten Baumes. Benfro kehrte dem Baum den Rücken und fühlte sich ein wenig wohler, auch wenn ihn noch immer von Zeit zu Zeit ein Zittern der Furcht überkam. Er wollte seine Gedanken sammeln, wollte versuchen, den Geschehnissen einen Sinn zu entlocken, aber er sah immer nur die leuchtende Klinge, die sich senkte. Und den Leib seiner Mutter, der in sich zusammensackte, als das Leben aus ihm entwich.

Und das war es eben. Seine Mutter war tot. Aber sie konnte nicht tot sein. Sie hätte ihn doch niemals so verlassen, so plötzlich. Sie hätte sich niemals vor irgendwem verneigt, schon gar nicht vor einem jämmerlichen Menschen, um sich von ihm den Kopf abhacken lassen. Liebte sie ihn so wenig, dass sie ihn einfach so verlassen konnte?

Nein, das war ungerecht. Schuldgefühle überfluteten Benfro bei diesem Gedanken. Seine Mutter Morgum hatte alles getan, um ihn zu retten, selbst, wenn das bedeutet hatte, sich selbst zu opfern. Und was hatte er im Gegenzug geleistet? Er war geflohen, verängstigt und gedankenlos, und hatte dabei einen solchen Lärm gemacht, dass die ganze Truppe ihm nachgesetzt war. Er hatte Glück gehabt – bisher hatte er ihnen entgehen können –, aber es hätte viel zu leicht auch noch mit seinem Tod enden können. Oder schlimmer noch, mit seiner Gefangennahme. Dann wäre seine Mutter umsonst gestorben.

Seine Mutter war tot.

Benfro schlug die Hände vors Gesicht und rieb sich mit seinen schuppigen Handflächen über die Augen. Natürlich reagierte er auf alles, was passiert war. Aber er konnte nichts tun. Außer immer und immer wieder zuzusehen, wie der Kopf seiner Mutter leblos zu Boden fiel.

Er hatte sie im Stich gelassen. Er musste zurück. Seine Mutter war weise, eine fähige Heilerin. Er hatte erst ganz wenig von ihrem Handwerk gelernt. Vielleicht war alles nur eine Täuschung gewesen. Ein magischer Trick, um die Männer abzuschütteln. Sie war sicher heil und gesund und wartete darauf, dass er nach Hause kam. Sie würde ihn auf ihre liebevolle Weise auslachen und ihm erklären, wie sie die Feinde ein weiteres Mal besiegt hatte. Und sie würde einen heißen Wildeintopf auf dem Herd stehen haben, den sie beide mit krustigem Brot verzehren würden.

Benfros Magen knurrte und ihm ging auf, dass er seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte. Der Himmel über ihm zeigte das dumpfe lila Licht der Dämmerung und schon breitete sich zwischen den Bäumen die Dunkelheit aus. Aber wie konnte er in einem solchen Augenblick an Essen denken? Wie konnte er so herzlos sein?

Und was, wenn seine Mutter ihn brauchte? Was, wenn seine Hilfe erforderlich war, damit die Magie, die sie gewebt hatte, vollendet werden konnte? Er musste zu ihr zurück, musste sie wieder heil werden lassen, ehe sie wirklich starb.

Benfro rappelte sich auf und kletterte die Uferböschung hoch. Dabei spürte er, dass der Inquisitor offenbar nicht mehr in der Nähe war. Kein sanftes Pulsieren der Furcht mehr, kein Prickeln auf der Haut. Die Abendvögel hatten ihren lärmenden Gesang angestimmt und die ersten Nachttiere wimmelten durch das Unterholz. Wenn jetzt noch Menschen im Wald waren, dann waren sie jedenfalls weit weg.

Er brauchte für den Rückweg zur Lichtung weniger lange als er erwartet hatte. Obwohl seine panische Flucht in seiner Vorstellung Stunden gedauert hatte, war er nur eine kurze Strecke gelaufen. Seine Sinne, diese unerklärlichen Gefühle, die er noch nie bemerkt hatte, sagten ihm, dass keine Menschen in der Nähe waren. Dennoch näherte er sich dem Haus nur vorsichtig und seine Herzen hämmerten in einer Mischung aus verzweifelter Hoffnung und schicksalsergebenem Realismus.

Das Haus stand da im dunkler werdenden Abend, eine vertraute Gestalt, umgeben von bekannten Geräuschen und Gerüchen. Vierzehn Jahre, sein ganzes Leben, hatte er auf dieser Lichtung verbracht. Doch als er näher kam, noch ehe er die Stelle sehen konnte, an der seine Mutter ermordet worden war, wusste Benfro, dass etwas nicht stimmte. Als er um die Ecke des Hauses schlich und die tröstliche raue Oberfläche der Wände spürte, sah er das eine, von dem er all seinen Erinnerungen zum Trotz gehofft hatte, dass es nicht dort sein würde.

Seine Mutter war tot.

Ihr Rumpf lag auf dem von Blut aufgeweichten Boden.

Ihr Kopf war nirgendwo zu sehen.

Errol kniete in der schmalen, für Novizen reservierten Apsis neben der Hauptandachtshalle. Der grobe Steinaltar vor ihm war geschmückt mit Kerzen, die in dem kalten Luftzug flackerten, der immer durch die älteren Teile des Klosters strich. Die Flammen warfen Schatten auf die unebene, gefleckte Oberfläche der Mauern und der Decke. Schatten, die sich in kleinen Sprüngen und Haken bewegten wie wilde Tiere im tiefen Wald. Für einen Moment abgelenkt, erinnerte er sich an glückliche Augenblicke in seiner Kindheit. Zum Beispiel daran, wie er wartend und beobachtend auf einem Baum saß. Es war etwas, das der alte Father Drebble ihn gelehrt hatte – wenn er lange genug wartete, würden die Tiere zu ihm kommen. Aber er war nicht hergekommen, um sich in Erinnerungen zu ergehen, sagte er sich streng. Er war zum Beten hier.

»Ich schwöre dir meine Treue, o Hirte. Und ich schwöre auch meiner Königin Beulah aus dem Hause Balwen und dem allerheiligsten Orden vom Hohen Fryd Treue. Demütig bitte ich dich, o Hirte, mir deine unendliche Weisheit zu schenken, um mich in meinen Studien zu führen. Schenke mir auch deine Disziplin, um den zahllosen Versuchungen zu widerstehen, die der Wolf mir in den Weg legt. Ich danke dir, weil du mir die Möglichkeit schenkst, in deinem Namen zu dienen, und ich verspreche, in allen Dingen immer deinen Willen zu befolgen.«

Errol kostete diese Worte und die Gefühle dahinter aus, er genoss ihre Macht und das Ziel der Worte und des Gelübdes, das er jeden Tag von Neuem ablegte. Im Moment hatte er die Apsis für sich und konnte sich für seine Meditationen Zeit lassen. Als er das Gefühl hatte, nun dem Tag entgegentreten zu können, senkte er abermals den Kopf. Er machte einen Schritt nach vorn, fasste den Docht seiner Kerze mit zwei Fingern und drückte die Flamme aus, die er am Vorabend nach seinen Gebeten angezündet hatte. Seine Kerze war groß, nur wenige Stunden verstrichen zwischen dem Anzünden und dem Löschen. Nicht alle Novizen waren so gewissenhaft wie er, und ihre Kerzen waren fast heruntergebrannt. Wenn ein Novize die Priesterweihe nicht erreichte, ehe seine Kerze vollständig verzehrt war, wurde er aus dem Orden verstoßen. Diese Kerzenstrafe war die größte Schande, die es überhaupt nur gab, und Errol hatte nicht vor, auf diese Weise in Ungnade zu geraten. Er wollte hart arbeiten und alles lernen, was er lernen konnte. Er würde in allen Ehren die Weihe erleben und dem Inquisitor und dem Hirten dienen, wie immer diese das für richtig hielten. Seine Ergebenheit stand außer Frage – hatte er das alles nicht schon gelobt, als er ausgesucht worden war?

»Nein, nein, nein, nein!«

Ein scharfer Schmerz zerriss Errols Hände. Er schaute nach unten und sah eine rohe rote Schwiele. Einen Moment lang war er verwirrt, aber dann löste sich das Bild der Apsis in der Andachtshalle auf und wich der vertrauten Umgebung des Archivs. Andro saß ihm gegenüber an einem kleinen Tisch und starrte ihn wütend an. Der alte Mann hielt einen dünnen Rohrstock in der Hand.

»Ich … ich war da«, sagte Errol und versuchte, seine Verwirrung abzuschütteln. »Das war so wirklich, oder nicht?«

»Ja, schon. Sehr überzeugend. Vor allem hat mir die Stelle gefallen, wo deine Gedanken kurz in deine Kindheit zurückgewandert sind. Das ist so typisch für einen Novizen. Doch du bist zu weit gegangen, Errol. Du hast versucht, deine Ergebenheit zu begründen. Aber die stellt niemand infrage, nicht direkt jedenfalls. Melyn wird nicht vor dich treten und fragen: ›Bist du mir denn auch ergeben?‹ Er wird nach Anzeichen dafür Ausschau halten, dass es nicht der Fall ist.«

»Es ist zu schwer«, sagte Errol. »Ich kann nicht alles gleichzeitig im Kopf behalten. Und schon gar nicht, wenn Melyn in meinen Gedanken herumwütet. Au!«

»Inquisitor Melyn«, sagte Andro. »Oder der Inquisitor. Oder Seine Gnaden. Er ist vielleicht dein Feind, Errol, aber er ist auch das Oberhaupt dieses Ordens und als solcher dein Vorgesetzter. Du bist ihm in jedem Augenblick Respekt schuldig.«

»Entschuldigung, Quästor«, Errol senkte den Kopf. »Ich habe mich vergessen.«

»Genau, Errol«, sagte Andro. »Du vergisst dich. Und das darf nicht passieren. Nie und nimmer. Deine einzige Hoffnung ist ständige Wachsamkeit. Du musst dich vollständig versenken und so zu einem Menschen werden, dessen Hingabe an den Orden außer Frage steht.«

»Aber ich hasse den Orden.«

»Nein, du hasst nur, was er geworden ist. Vergiss das nicht. Wenn es hilft, stell dir vor, dass du dem ergeben bist, wofür der Orden früher einmal stand – für Wissen und Lernen und für den Schutz des Landes. Und jetzt fang noch einmal an, nur werde ich dir diesmal nicht sagen, wann ich beginnen werde, in deinen Gedanken zu stöbern. Du müsstest mich spüren und mich aussperren können. Melyn wird erwarten, dass du auch ihn aussperrst. Aber er wird nicht damit rechnen, dass dir das für längere Zeit gelingt.«

Errol ließ sich abermals in seinen Sessel sinken, legte die Hände auf die Tischplatte und schloss die Augen, um in Gedanken ein Bild des perfekten Novizen aufzubauen. Ein scharfer Schlag auf seine Fingerknöchel riss ihn aus der Konzentration.

»Diesmal die Augen offen«, sagte Andro.

Morgums lebloser Rumpf lag genau an dem Ort, wohin er gefallen war. Dunkles Blut befleckte den Boden und schwängerte die Luft mit einem Eisengeruch, bei dem Benfro schlecht wurde und der ihn an das Ende der Jagd erinnerte, wenn eine junge Hindin oder ein Hirsch aufgehängt wurden, um auszubluten. Dieses eine Mal verfluchte er seine scharfen Augen, die in der rasch fallenden Dämmerung noch das kleinste Detail registrierten. Der Boden um den Leichnam seiner Mutter war von Dutzenden von Füßen zertrampelt. Das Gemüsebeet war zerstört, alle Kohlblätter zerfetzt, die Kartoffelpflanzen waren abgerissen, lange bevor sie eine brauchbare Größe erreicht hatten. Der Schaukelstuhl, in dem er so viele warme Abende damit verbracht hatte, der Kräuterkunde seiner Mutter zu lauschen, lag jetzt auf der Seite, so stark zerbrochen, dass er wohl nie wieder repariert werden konnte. Jemand hatte die Haustür eingetreten. Benfros Blicke jagten hin und her und kamen kein einziges Mal auf dem zur Ruhe, was er vor allem sehen wollte.

Er fand den Kopf seiner Mutter ein Stück von ihrem Rumpf entfernt. Eine Spur im Erdreich zeigte, wo er hingeschleift worden war. Mit bleischweren Herzen machte Benfro sich stark für diesen Blick. Jegliche Hoffnung, dass seine Mutter am Leben sein könnte, jeglicher Triumph über den gemeinen Terror, der so plötzlich in sein Leben eingebrochen war, war längst verschwunden. Er musste sich damit abfinden, dass seine Mutter tot war. Sie würde nicht zurückkehren. Und jetzt musste er eine wichtige Zeremonie durchführen.

Benfro hatte seine Mutter unzählige Male berührt, hatte sie umarmt, sie geküsst, sich an sie geklammert und an ihrer Schulter geschluchzt, wie nur ein Sohn das kann. Niemals war etwas so schwer gewesen, wie sich jetzt zu bücken und ihren abgetrennten Kopf aufzuheben. Zögernd trat er näher, als er etwas sah, was ihn innehalten ließ. Im nächsten Augenblick sprang er zurück, um sich in trockenen Krämpfen über dem Gemüsebeet zu erbrechen. Denn die einst so schönen und stolzen Züge Morgums der Grünen waren der Länge nach zwischen ihren Augen aufgeschlitzt worden. Morgums Kopf war nur noch eine rötliche Masse aus Gehirn und Knochen.

Wenn Benfro bisher wütend gewesen war, hatte doch die Angst seine Wut gemäßigt. Jetzt aber war sein Zorn rein und ungehemmt. Schlimm genug, dass diese Männer seine Mutter getötet hatten, aber sie nach ihrem Tod zu verstümmeln, das ging über seinen Verstand. Welche Bestien taten denn so etwas? Und warum? In seinem Zorn schlug er auf das Gemüse ein und vollendete das Zerstörungswerk seiner Peiniger, ehe er zusammenbrach. Die Tränen, die so lange unerreichbar gewesen waren, kamen jetzt in Strömen, zusammen mit heftigem Schluchzen von Schmerz, Kummer, Wut, Verzweiflung und Hass.

Erst nach langer Zeit brachte er es über sich, zu den verstümmelten Überresten seiner Mutter zurückzukehren. Es war schon vollständig dunkel, als er ihren Kopf in eine annähernd richtige Position neben ihren Hals bringen konnte. Das klebrige Blut an seinen Händen fühlte sich an wie ein Fluch, und dennoch schaffte er es nicht, es abzuwaschen.

Im Haus schwelte im Herd noch immer die letzte Glut. Einen kurzen Moment verspürte Benfro eine Welle von Schuldgefühlen, und er dachte daran, welcher Ärger ihm bevorstand, weil er zugelassen hatte, dass das Feuer so weit herunterbrannte. Aber dann war die Wirklichkeit wieder da. Seine Mutter interessierte sich nicht mehr für solche Dinge.

Die Männer hatten das Haus durchsucht und offenbar aus purer Bosheit alles auf den Kopf gestellt. Töpfe lagen zerbrochen auf dem Boden, nasse und trockene Inhalte hatten sich vermischt zu einem klebrigen Matsch, der durch den beißenden Gestank sterbender Kräuter süß und sauer zugleich roch. Benfro gab sich alle Mühe, nicht darauf zu achten, und steuerte die Vorratskammer hinten im Haus an.

Als er den ausgestreckten Leichnam mit Delyn-Öl gesalbt hatte, leuchtete der Mond voll und fett durch die Baumwipfel. Sein pockennarbiges Gesicht bildete den Schatten eines Drachen mit ausgebreiteten Flügeln: der große Rasalene, der Vater aller Dinge. Doch Benfro wusste, dass kein Drache so große Schwingen haben konnte. Seine eigenen dünnen Flatterdinger waren eher peinlich als nützlich, ein Überrest zur Erinnerung an sein früheres wildes Wesen. Die Sage vom Drachen im Mond erschien ihm in seinem derzeitigen Geisteszustand als jämmerliches, erbärmliches Ammenmärchen. Aber etwas am Dasein eines Drachen ließ sich nicht verleugnen.

Endlich kehrte er in die Vorratskammer zurück und holte die winzige Dose aus Schwarzholz. Dann schob er den genau passenden Deckel mit zitternden Fingern zur Seite. Das Pulver in der Dose war dunkler als die Nacht, als ob es jegliches Licht absorbierte. Der Geruch war anders als alles, was Benfro jemals untergekommen war: fremd und exotisch und zugleich beängstigend.

Benfro nahm eine Prise zwischen Finger und Daumen und fühlte, wie ihre weiche Kühle fast seinen gesamten Arm lähmte. Seine Herzen rasten jetzt, seine Gedanken waren nur noch ein kochendes Chaos aus Trauer, Erregung und Angst. Er schaute zum mondhellen Nachthimmel empor und sah die tausend Nadelstichlichter der Sterne. Dann streute er mit großer Geste, wie er hoffte, das Pulver über den Leichnam seiner Mutter.

Es war spät, der Nachthimmel über der Stadt war hinter einer tief hängenden Wolkendecke verborgen. Nur ab und zu ließ sich ein Stern sehen. Königin Beulah saß in ihrem Thronsaal, ein leeres Weinglas in der Hand starrte sie nachdenklich aus dem Fenster. Sie hatte früher an diesem Tag versucht, Melyn zu erreichen, aber der war weder in Emmas Faur noch dicht genug bei Candlehall, um von ihr ausfindig gemacht zu werden. Ihr fehlten seine weisen Ratschläge. Nicht zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass sie sich zu sehr auf ihn verließ. Schließlich konnte sie auch ihre eigenen Entscheidungen treffen. Allerdings war das hier eine gewichtige Entscheidung, und da war es vielleicht besser, kleinschrittig vorzugehen.

Als Beulah den Saal verließ, sprangen zwei Wachen auf und folgten ihr über den Gang. Sie behielten eine diskrete Entfernung bei und bewegten sich nur leise, um die Stille des Palasts nicht zu stören. Beulah ignorierte sie, so lange sie konnte, aber dann drehte sie sich mit wütendem Blick um.

»Beim Hirten, müsst ihr mich denn überallhin verfolgen?«, brüllte sie, obwohl sie wusste, dass den Männern genau das befohlen worden war und dass ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen werden würde, wenn sie ihre Pflicht vernachlässigten. »Na gut, von mir aus. Kommt mit«, sagte sie resigniert.

Sie drehte sich wieder um und marschierte durch den Gang zum Gästeflügel. Als sie die gesuchte Tür erreicht hatte, blieb sie stehen.

»Jetzt könnt ihr Wache halten. Sorgt dafür, dass niemand hereinkommt, ehe ich hier fertig bin!«

Die beiden Wachen salutierten und bezogen zu beiden Seiten der Tür Posten.

»Übrigens soll auch niemand herauskommen«, fügte Beulah mit einem dünnen Lächeln hinzu. Dann öffnete sie die Tür und trat ein.

Der Raum war dunkel. Im matten Licht der Sterne waren nur die Umrisse der Möbel vage zu erkennen. Beulah ging um ein niedriges Sofa und zwei klobige Sessel herum und näherte sich dem riesigen Bett, das fast die gesamte gegenüberliegende Wand einnahm. Als sie dort angekommen war, hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Sie blieb einige Minuten stehen und musterte die schlafende Gestalt von Merl, dem Erben des Herzogtums Aberfenn.

Er trug keine Nachtkleidung und die Laken bedeckten nur seine halben Körper. Seine Brust war breit, die Muskeln in seinen Armen und seinen Schultern gut entwickelt. Seine rötlich blonden Haare waren über sein Gesicht gefallen, das im Schlaf jungenhaft und entspannt aussah. Beulah schnupperte in der Luft und bemerkte den sanften Duft von Badeölen. Er war sauber und fügsam, er kam infrage.

Leise und mit sanften Bewegungen stieg sie auf das Bett, streckte die Hand aus und streichelte die feinen goldenen Härchen auf Merls Brust, spürte die Spannung seiner Bauchmuskeln und die Kraft seiner straffen Rippenhaut. Er wurde langsam wach, wie sie es geplant hatte. Beulah merkte, wie sich die Farben seiner Gedanken vertieften und miteinander verschwammen, als er langsam aus den Tiefen des Schlafes in den Traumzustand schwamm. Hier war er am beeinflussbarsten, hier konnte sie ihn nach Belieben formen. Sie musste nur die Stelle finden, die sie in seinen Gedanken bereits einnahm, das Bild sehen, das er sich von ihr gemacht hatte. Und dann musste sie diesem Bild etwas hinzufügen: das Gefühl von Liebe, Treue und totaler Hingabe.

Es war fast zu einfach. Beulah stellte fest, dass sie bereits im Mittelpunkt von Merls Gedanken und Gefühlen stand. Eine Sekunde lang schmeichelte es ihr, dass er ihr so viel Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Aber es schmeckte nicht richtig – das hier war keine sklavische Anbetung. Beulah wusste, wie die schmeckte; sie labte sich täglich daran, wenn die Massen sich in ihren Hallen drängten. Nein, das hier war etwas ganz anderes, etwas, das ihren eigenen Gedanken näherkam: dominiert von Bildern ihres verfaulenden Vaters in den Wochen und Monaten, ehe er endlich gestorben war. Ehe sie ihn endlich getötet hatte.

Merl liebte sie nicht, er wollte ihren Tod.

Beulah suchte tiefer, ihre Hände liebkosten weiterhin den festen Leib, auf dem sie jetzt rittlings saß. Ein Wirrwarr aus Bildern flackerte an ihr vorüber: schattenhafte Gestalten in Umhängen mit riesigen Kapuzen umstanden in der Dunkelheit ein Feuer, ein unvorstellbar alter Mann, aber noch immer vital und in Gedanken versunken, zweifellos ein Lanwennog – König Billah; eine junge Frau, in vieler Hinsicht noch ein Mädchen, ihr Gesicht trotz der fremdländischen Tracht unverkennbar – Iolwen; ein Dolch verborgen im Ärmel eines eleganten Abendmantels. Die Bedeutung war nicht misszuverstehen: Merl beteiligte sich an einem Komplott, um sie zu ermorden und ihre Schwester auf den Thron zu setzen.

Beulah seufzte. Es war vorhersehbar, war in vieler Hinsicht zu erwarten gewesen, aber sie hatte sich von Merl und dem Haus Aberfenn doch mehr erhofft. Sie wusste, dass sie einen Erben zur Welt bringen musste, so sehr die Vorstellung von Schwangerschaft und Geburt sie auch anekelte. Es gab andere mögliche Heiratskandidaten, aber keiner brachte die großen finanziellen Vorteile der Union mit Aberfenn mit sich. Doch darüber brauchte sie sich jetzt vielleicht keine Sorgen mehr zu machen.

Sie beugte sich über Merl, und ihr seidenes Gewand streife seine Brust, als sie ihm ins Ohr flüsterte: »Wach auf, mein Geliebter, wach auf.«

Langsam bewegten sich Merls Augenlider. Sein Körper verspannte sich unter ihr, als er ihre Anwesenheit spürte, seine Hände streckten sich nach ihrer weichen Haut aus. Dann öffnete er die Augen und schaute verträumt in ihr Gesicht. Als sie sich gegen ihn drängte und seine verschlafene Erregung verspürte, war er für den Bruchteil einer Sekunde nur noch Zufriedenheit und träge Freude. Dann erstarrte er am ganzen Leib und riss vor Besorgnis und Überraschung die Augen auf.

»Meine Königin … Beulah …«, mehr brachte er nicht heraus. Sie schob ihn zurück auf die Kissen und brachte ihn mit einem Finger auf seinen Lippen zum Verstummen.

»Das hätte dir gehören können«, sagte sie, während sie sich auf seinem Bauch aufrichtete und träge mit einer Hand seine Wange streichelte. »Du hättest an meiner Seite herrschen können. Später hätte dann ein Kind Aberfenns auf dem Obsidianthron gesessen. Das wird nun nicht passieren.«

Es war eine kleine Lichtklinge, kurz wie das Messer eines Jägers, aber ihre Glut verjagte alle Schatten aus dem Raum. Merls Kampf war sinnlos und nicht von langer Dauer, sein Kopf wurde rasch von seinem Hals getrennt. Eine Blüte aus heißem Rot breitete sich auf dem weißen Kissen aus und spritzte der Königin ins Gesicht und auf die Arme. Beulah, die noch immer auf Merls Gedanken schwamm, spürte, wie das verwirrte Leben aus dem Möchtegernattentäter hinaussickerte.

2

In den ältesten Tagen waren Drachen kaum mehr als primitive Kreaturen, die in Rudeln jagend durch die Wälder streiften. Fleisch wurde roh und blutig verzehrt und Vergnügen dort genossen, wo es zu finden war. Niemand verschwendete einen Gedanken an die Folgen seines Tuns oder verspürte gar so etwas wie Verantwortungsgefühl. Kleinliche Rivalitäten konnten einen Mord zur Folge haben. In jenen Tagen von Schmerz, Wut und Unwissenheit galt die lebende Flamme als eine von vielen Waffen, die man benutzen konnte. Ein Drache konnte Feuer speien, um sich zu wärmen oder um sich gegen den Angriff eines anderen zu wehren.

Als der Baum dem Ersten unserer Art Weisheit geschenkt hatte, blickte dieser voller Ekel auf das Verhalten seiner Brüder, die ihm kein bisschen besser erschienen als die Wölfe, die in mörderischen Meuten durch das Land zogen. Er lernte, mit Kräutern und Ölen jene Art von Feuer hervorzubringen, die einst von groben Lippen gerülpst worden war. Sein großes Wissen ist von einer Generation von Heilern an die andere weitergereicht worden. Im Laufe der Zeit verloren die Drachen die Fähigkeit, Feuer zu speien, so, wie sie Lust daran verloren, sich gegenseitig zum Vergnügen zu morden.

Und so ergab sich die vornehmste Pflicht eines jeden Heilers, nachdem sie endlich in ihrer Berufung gescheitert waren; da alle irgendwann scheitern müssen. Denn niemand sonst darf das Feuer der Weissagung herbeirufen.

Heiler Trefnog: Das Apothekarium

Flammen züngelten empor, als das Pulver das harzige Öl berührte. Sie griffen rasch um sich, breiteten sich über der liegenden Gestalt aus und verwandelten diese in ein hell brennendes Feuer. Benfro stand zwar dicht daneben, aber die Flamme war nicht allzu heiß. Nicht wie das Holzfeuer, das das Haus beheizt hatte und an dem Benfro sich oft die Finger und bei einer denkwürdigen Gelegenheit sogar den Schwanz verbrannt hatte. Dieses Feuer hier war intensiver und erschien ihm doch wie ein Freund, wie ein Gastgeber. Auf einen irrsinnigen Impuls hin hielt er eine Hand in die Flammen. Er konnte sehen, wie diese den Leib seiner Mutter verzehrten, ihn selbst jedoch ließen sie unberührt. Das Einzige, was er spürte, war ein Kitzeln auf seiner schuppigen Haut.

»Ach, Benfro. Diesen Tag hättest du niemals erleben dürfen!« Die Stimme war in seinem Kopf, überall um ihn herum, und bei ihrem Klang machten die Herzen in seiner Brust einen Sprung.

»Mutter!«, rief er. »Mutter, wo bist du?«

»Ich bin hier, Benfro«, sagte die Stimme. »Aber ich bin unvollständig.«

Benfro sah sich in allen Richtungen um, starrte die Ränder der Lichtung an und schaute dann zum Haus hinüber. Eine verzweifelte Hoffnung überkam ihn: Seine Mutter war nicht tot, sie hatte einfach einen mächtigen Trick angewandt und die Männer in die Irre geführt.

»Wäre es nur so, mein Kind«, sagte die Stimme, und er hatte das Gefühl, dass etwas daran nicht stimmte. Er kannte die Stimme seiner Mutter besser als alles andere auf der Welt. Es war das erste Geräusch, das er jemals gehört hatte. Die Stimme klang wie die von Morgum, aber etwas fehlte, eine Tiefe oder Wärme, die er nicht beschreiben konnte.

»Sowie ich Melyn sah, wusste ich, dass meine Zeit zu Ende war«, sagte die Stimme nun. »Und mir war es nur noch wichtig, dich zu beschützen. Ich hätte kämpfen können, ja. Aber ich hätte verloren. Auf diese Weise hatte ich immerhin noch Zeit, einen Unsichtbarkeitszauber auf dich zu legen.«

»Einen Unsichtbarkeitszauber?« Benfro klammerte sich noch immer an seine Hoffnung, wenn er auch insgeheim schon ahnte, dass es keinen Sinn hatte.

»Ich konnte nicht zulassen, dass sie dich entdeckten«, sagte die Stimme. »Alles andere war unwichtig. Der Zauber schützt dich vor ihnen, er dämpft die Angst, die sie verbreiten, und hüllt deine Gedanken so ein, dass sie diese nicht aufspüren können. Aber er wird nicht ewig halten, Benfro. Ich spüre schon, wie er nachlässt. Wenn ich nicht mehr da bin, werden sie dich finden können.«

»Nicht mehr da?«, fragte Benfro. »Aber wo willst du denn hin? Geh nicht weg!«

»Liebster Benfro, ich kann es nicht verhindern. Melyn hat einen großen Teil von mir mitgenommen, und je weiter er ihn davonträgt, umso weniger werde ich mich selbst kennen. Ich werde dich nicht mehr lange beschützen können. Du musst von hier fliehen. Geh zu Corwen. Er wird dich alles lehren, wozu ich nicht mehr gekommen bin.«

»Corwen? Wer ist Corwen?«

»Corwen ist der Drache, der deinen Vater und mich unterrichtet hat. Er ist weiser, als wir das jemals waren.« Die Stimme war jetzt schwächer, sie wich zurück, als würde seine Mutter sich langsam von ihm entfernen. Die Flammen fielen in sich zusammen.

»Wo werde ich ihn finden?«, fragte Benfro und spürte, wie sich die Kälte der Nacht um ihn schloss.

»Im Norden, hinter den Fallenden Teichen. Durch die Graith Faur und dann durch den großen Wald des Fryd. Geh immer weiter nach Norden, dann wird Corwen dich zu sich führen.«

»Aber was ist mit den anderen, Mutter?«, fragte Benfro. »Was ist mit Sir Frynwy und Ynys Môn? Kann Meirion nicht helfen?«

Er bekam keine Antwort. Die Stimme blieb stumm, das Bild in den Flammen war längst verschwunden. Wie das Echo einer Vorstellung, wie etwas, das Benfro nur geträumt hatte. Aber er klammerte sich an die Erinnerung. Diese Stimme war wirklich und sie war seine Mutter gewesen. Sie war seine Mutter gewesen, und sie war tot.

Kalter Wind peitschte seine Füße und ließ die zu Asche gewordenen Überreste Morgums der Grünen hochwirbeln. Ihm war, als erwache er aus einem Traum. Trauer, Angst und das fast schwindelerregende Gefühl, allein zu sein, überwältigten ihn, als die Wärme verschwand. Aber noch immer hallte die Stimme in seinem Kopf wider und mit einer letzten verzweifelten Hoffnung fiel er auf die Knie und bohrte die Hände in die Asche.

Die war feiner als jeder Staub, sie hüllte ihn in einen kalten Rauch, der friedlich und schrecklich traurig zugleich war. Bald war er von Kopf bis Fuß von weißem Pulver bedeckt, und jedes einzelne Pulverkorn schien eine andere Erinnerung an seine Mutter zu enthalten. Ihr Lächeln, der Klang ihrer Stimme, wenn sie ihn ausschimpfte, das Schimmern ihrer Schuppen, wenn sie sich in der Küche bewegte, ihr frustrierter Zorn, der langsam entstand und rasch verflog: Diese und viele andere Erinnerungen erfüllten Benfro, während er seine gesamten vierzehn Lebensjahre in ebenso vielen Minuten noch einmal erlebte. Er war tief in sich versunken, gefangen von den Bildern seiner Mutter, die sich in seinem Geist mit Erscheinungen von großen geflügelten Drachen vermischten, die über den Nachthimmel jagten. So kam es, dass er den Stein schon seit vielen Minuten in der Hand hielt, ehe ihm aufging, dass er ihn gefunden hatte. Der Stein war klein, nicht größer als ein Kiesel aus dem Bach, der am Rand der Lichtung plätscherte. Im Zwielicht der aufziehenden Morgendämmerung war er kalt und weiß und staubfeine Asche rieselte auf unnatürliche Weise von ihm herab. Aber was Benfro wirklich fesselte, war das Gefühl, das der winzige Edelstein ausstrahlte.

Seine Mutter schien sich im Nebenzimmer aufzuhalten und leise vor sich hin zu singen. Er konnte ihre Stimme hören, aber die Wörter nicht verstehen. Er konnte ihre Nähe spüren, hatte das beruhigende Wissen, dass ihm nichts Böses passieren konnte, so lange sie über ihn wachte. Er konnte Morgum fast riechen, diesen vertrauten Duft in der Luft, der ebenso zu seinem Leben gehörte wie seine Schnauze. Und doch war sie immer, auf frustrierende Weise, gerade außer Reichweite.

Benfro wusste nicht, wie lange er schon hier in der Asche seiner Mutter kniete und sich an ihre letzte Hinterlassenschaft klammerte. Er war glücklich und zugleich in die tiefsten Abgründe der Verzweiflung gestürzt. Tränen liefen aus seinen Augen und er atmete ruckweise und schluchzend, während sich langsam die Dunkelheit über der Lichtung verzog. Erst als eine kühle Morgenbrise die Asche erfasste und sie auf dem Boden verteilte, begann Benfro, aus seiner Benommenheit zu erwachen.

Der Herd war kalt, in dem diffusen grauen Licht, das durch das Fenster hereindrang, konnte Benfro sein Zuhause nicht mehr erkennen. Alles war zerbrochen, zertrampelt, von Menschen besudelt. Benfro hatte nur wenig besessen, aber diese besonderen Gegenstände, die er zum Geburtstag bekommen hatte, suchte er sich nun zusammen. Der schwere Ledersack, den seine Mutter benutzt hatte, um Kräuter zu sammeln und Arzneien ins Dorf zu bringen, hing noch immer an dem Messinghaken der Tür der Vorratskammer. Wie durch ein Wunder war er unversehrt geblieben. Der Sack war viel robuster als der Beutel, den er sich aus faserreichen Blättern gewebt hatte, und er hatte viele kleine Taschen, die auf kunstfertige Weise hineingenäht worden waren. Benfro nahm den Sack vom Haken, streifte ihn sich über die Schulter, kehrte der Verwüstung den Rücken zu und verließ sein Zuhause zum allerletzten Mal.

Der Mond war inzwischen verschwunden. Im Osten konnte Benfro schon die aufgehende Sonne ahnen, rot wie die ersten Anzeichen eines heftigen Sturms. Erst nach einer Weile wurde ihm klar, dass diese Morgenröte flackerte. Zu spät fiel ihm ein, was sonst noch im Osten lag: das Dorf.

Als sie aus dem Wald kamen und wieder auf die Lichtung traten, durchlief Melyn ein Schauder, als ob soeben jemand über sein Grab gegangen wäre. Vielen der Novizen und Kampfpriester der kleinen Truppe erging es ähnlich; Melyn erschien es wie ein Kräuseln auf der Oberfläche eines Teiches. Sogar der übellaunige Hauptmann Osgal machte unbewusst mit der rechten Hand das Zeichen des Hirtenstabs. Ganz hinten warf die von vier nervösen Posten bewachte Drachin den Kopf in den Nacken und heulte gen Himmel.

»Halt!«, befahl Melyn.

Sofort kam der gesamte Trupp zum Stillstand. Sogar die Drachin hörte auf zu jammern. Sie schaute über den zertrampelten Boden zu der leeren Hütte hinüber.

»Was ist los, Inquisitor?«, fragte Osgal.

»Ich weiß nicht«, sagte Melyn und steuerte auf die Hütte und die Überreste der von ihm erschlagenen Bestie zu. »Aber etwas ist hier passiert. Holt die Drachin. Ich will sehen, wie sie reagiert.«

Die Drachin war ein jämmerliches, in sich verkrochenes Wesen, mit schlaffen Flügeln. Aber dennoch erfüllte ihre Existenz Melyn mit loderndem Hass. Er hätte sie so gern getötet, ihren Kopf von ihren Schultern getrennt, wie er es mit der anderen gemacht hatte, aber er wusste, dass sie lebend mehr wert war. Bis auf Weiteres jedenfalls.

»Warum hast du eben aufgeschrien, süße Frecknock?« Er sprach ihre eigene Sprache und sie riss bei dieser Beleidigung den Kopf hoch – das erste Zeichen des Widerstandes, das er seit ihrer Gefangennahme an ihr gesehen hatte, das erste Lebenszeichen.

»Es kam mir vor wie das Vorüberziehen einer alten Seele, das Ende einer großen Magie«, erwiderte Frecknock in seiner Sprache, gestelzt und mühsam, da sie Saesneg alles andere als flüssig beherrschte.

»Eine alte Seele? Wie meinst du das?«, fragte Melyn.

»Es war kein Tod. Eher eine Erscheinung. Jemand war da und noch nicht da. Es war, als ob jemand, den ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe, gleich neben mir wäre. Dann war die Erscheinung ganz plötzlich verschwunden. Sie kam mir vor wie Morgum.«

Etwas in der Stimme der Drachin ließ Melyn aufschauen. Frecknock starrte nicht ihn an, sondern einen Haufen weißer Asche, der vor der Hütte lag. Etwas hatte diese Asche gestört, hatte den Haufen an einer Seite verweht. Es gab keine Spur des verstümmelten Leichnams, den der Inquisitor erwartet hatte.

»Wo ist sie?«, fragte Melyn und sein Zorn wuchs. »Sie war tot! Wo ist sie jetzt?«

»Sie ist extrahiert worden«, sagte Frecknock mit einem Hauch von Triumph in der Stimme. »Es muss Benfro gewesen sein. Der arme unnütze Wicht musste die Extraktion an seiner eigenen Mutter vornehmen. Und sie muss bis zum Ende einen gewaltigen Zauber behalten haben. Kein Wunder, dass ich den gespürt habe.«

Melyn durchsuchte seine drachenkundlichen Erinnerungen. Er wusste etwas darüber, wie wichtig ihnen die Extraktion war. Was war das noch? Eine Feuerzeremonie, bei der der Leichnam eingeäschert und die Seele befreit wurde, um durch das Nachleben zu streifen? So ungefähr. Was immer das für eine Zeremonie sein mochte, wenn sie durchgeführt worden war, bedeutete das, dass der junge Drache nicht weit weg sein konnte. Melyn suchte in Gedanken die Umgebung ab, er fahndete nach allem, was auf ein verängstigtes Gemüt hinweisen konnte. Er fand nichts. Aber was, wenn der Drache nicht mehr verängstigt war? Oder wenn er niemals verängstigt gewesen war? Gedankenangst war eine mächtige Waffe, wenn sie gegen einen Menschen eingesetzt wurde, aber dieser Benfro hatte ja schon gezeigt, dass er dagegen immun war.

»Wie kann er uns entkommen sein?«, bellte Melyn.

»Er stand unter dem Schutz seiner Mutter«, sagte Frecknock. »Noch im Tod hat sie ihn verteidigt.«

»Aber er wird nicht weit weggehen, oder?«, fragte Melyn. »Er wird sich nicht von dem entfernen, was er kennt.«

»Wie meint Ihr das?«, fragte Frecknock.

»Diese Extraktion«, sagte Melyn und überhörte die Frage. »Die bedeutet euch Drachen sehr viel, oder?«

»Sie ist eine uralte Tradition bei uns«, antwortete Frecknock. »Wir können sonst im Tod keinen Frieden finden.«

»Danke«, sagte Melyn und wandte sich von der in Gedanken versunkenen Drachin ab. Mit der Leichtigkeit des geübten Reiters schwang er sich wieder in den Sattel und sagte zu seinen Leuten:

»Zurück ins Dorf, so schnell ihr nur könnt, Jungs. Ich habe so eine Ahnung, dass wir unseren jungen Benfro dort finden werden.«

Benfro suchte sich einen Weg durch die Ruinen des Dorfes. Das Atmen fiel ihm schwer in dem teerigen Rauch, der aus den zerstörten Häusern aufstieg,. Es war ein kleiner Ort, nur vier Dutzend Drachen hatten dort gelebt. Die meisten waren älter, als Benfro sich das überhaupt vorstellen konnte, riesige, schwerfällige Wesen, die in geselligem Elend ihren Lebensabend verbrachten. Aber es war ein Zuhause.

Die Häuser, wenn man sie so nennen konnte, lagen ein wenig abseits des Pfades, der sich von Süden her durch den Wald schlängelte, die breite Lichtung kreuzte, wo sich die Furt durch den Fluss zog, und dann weiter nach Osten führte, in Orte, von denen Benfro nur in Geschichten gehört hatte: nach Beteltown und den Norne-Königreichen hinter dem Frydland, nach Lanwennog und bis ins finsterste Maudy. Im Süden lagen das Hendry, das Tiefland und die Länder der Menschen.

Benfros Beine wurden schwerer, als er an die Menschen dachte. Eine kriechende, lähmende Betäubung breitete sich in seinen Knochen aus. Die traurige und zugleich liebevolle Wärme, die er seit der Extraktion seiner Mutter in sich trug, flackerte auf und starb. Ein kalter Wind peitschte die Asche von seinen Schuppen und seiner Haut auf. Es fiel ihm immer schwerer, sich zu bewegen. Er wollte nur noch stehen bleiben und auf das Unvermeidliche warten. Wenn er einfach anhielte, würde es bald zu Ende sein.

Der Krach einstürzender Holzpfähle riss Benfro aus seinem Elend. Er schüttelte den Kopf und versuchte, die schwere Last der Furcht von seinen Schultern zu schieben. Zu seiner Überraschung gelang ihm das. Je mehr er sich bewegte, umso weniger fühlte er sich gefangen und hilflos, und umso weniger erstrebenswert erschienen ihm Gefangennahme und Tod. Die Angst umgab ihn noch immer wie Fliegen an einem heißen Tag, aber sie war ein frustriertes, vages Produkt der Wut. Er konnte die brennenden Augen des Inquisitors fast vor sich sehen, während dieser den Wald nach ihm absuchte. Aber Benfro wusste, dass er sich vor diesem Blick verstecken konnte. Er war doch nicht ganz machtlos, sondern fand Trost in diesem kleinen Sieg und ging mit leichten Schritten durch die Zerstörung, mit einem neuen Gefühl von Hoffnung, das so fehl am Platz wie von kurzer Dauer war.

Er fand die älteren Drachen in der großen Halle. Diese war einst ein wichtiges Bauwerk gewesen, der Mittelpunkt des Dorflebens. Einige von Benfros frühesten und glücklichsten Erinnerungen hingen mit der riesigen Küche ganz hinten zusammen, wo er immer wieder etwas zu essen gefunden hatte, manchmal in Form von bereitwilligen Gaben, häufiger durch ungeschickten Diebstahl. Er hatte viele Stunden an dem weiß gescheuerten Tisch gesessen und die komplizierte Zubereitung der Mahlzeiten beobachtet. Und die ganze Zeit hatte er diejenigen mit seinen endlosen Drachkitzfragen belästigt, die gerade mit Kochen an der Reihe waren. Alle Drachen im Dorf nahmen ihre Mahlzeiten in der großen Halle ein, sie trafen sich dort jeden Tag zweimal, morgens und abends, um über ihr bescheidenes Leben zu sprechen und sich die Geschichten aus alten Zeiten anzuhören, als Drachen, nicht Menschen, auf der Welt geherrscht hatten. Wenn es überhaupt ein Symbol für das Überleben der Drachenkultur gab, dann die große Halle.

Aber jetzt war sie zerstört.

Das Dach war eingestürzt und der gewaltige Dachstuhl aus Eichenholz war verzerrt und schwarz, auch wenn das Feuer, das die Steinquader des Fundamentes zum Bersten gebracht hatte, die Balken nicht richtig in Flammen hatte setzen können. Die Glasfenster waren eingeschlagen worden, die Bleiglasfenster waren rußschwarz, wenn sie nicht überhaupt ganz herausgefallen waren. Mitten aus der Verwüstung stieg der letzte ölig schwarze Rauch stetig und unbeirrbar auf und füllte die Luft mit dem schweren, Übelkeit erregenden Gestank verbrannten Fleisches.

Benfro stieß mit dem Ellbogen verkohltes Holz beiseite, das noch immer zu heiß war, um berührt zu werden, und bahnte sich einen Weg in das Gebäude. Die kleineren Balken waren alle verbrannt. Ihre rußigen Überreste lagen auf Schuppen und Haut herum wie die Fingerzeichnungen eines Drachkitzes. Er wusste nicht, ob Angst die alten Drachen an ihre Sessel gefesselt hatte, während sie verbrannten, oder ob sie einstimmig beschlossen hatten, in Würde zu sterben. Benfro wollte gern Letzteres glauben, aber sicher konnte er nicht sein. Nicht, wenn er sie ansah.

Sie saßen um den großen Tisch, jeder auf dem Platz, den er sonst auch immer eingenommen hatte. Benfro konnte nur anhand des Umfangs erkennen, wer wer war. Der gewaltige Sir Frynwy war oben am Tisch in sich zusammengesunken, neben ihm die kleinere Gestalt von Meirion; dort war Ynys Byr, seine gebrechlichen Hände hatten am Ende seine Augen verdeckt. Und dort saß der dunkle Ynys Môn, trotzig und aufrecht starrte er mit von der Hitze weiß geworden Augen vor sich hin. Die anderen saßen in ihren verzerrten Gestalten da, einige von der einstürzenden Decke zerschmettert, andere fast unversehrt, bis auf den Ausdruck entsetzter Entschlossenheit in ihren Gesichtern.

Benfro senkte den Kopf aus Achtung vor seiner Großfamilie. Er spürte, wie in ihm eine Wut heranwuchs, ein gerechter Zorn, der Auslauf verlangte. Und doch war er machtlos einem Feind gegenüber, der diese Drachen dazu hatte zwingen können, still zu sitzen, während sie zu Tode brannten. Einem Feind gegenüber, der Lichtklingen herbeirufen konnte, die so scharf waren, dass sie mit einem raschen Bogen einen Kopf von einem Hals trennte.

Plötzlich überkam Benfro abermals das Entsetzen. Er konnte sich kaum bewegen, seine Arme und Beine wollten ihm zuerst nicht gehorchen. Als er sich zwischen den toten Drachen umschaute, spürte er, wie Panik in ihm aufstieg und ihn überflutete. Dann fiel sein Blick auf die starrenden weißen Augen Sir Frynwys. Sie durchbohrten ihn mit vorwurfsvoller Schärfe. Der große Palisander hätte sich angesichts einer solchen Bedrohung anders verhalten. Die feindlichen Brüder Gog und Magog hatten die Welt im Streit um die Hand Amorgums der Holden gespalten. Sie hätten nicht bewegungslos und hilflos dagestanden, während sich ein mächtiger Feind näherte.

Benfro konnte die Stimme des alten Drachen fast hören. »Du musst gegen sie kämpfen«, schien er zu sagen. »Verteidige dein Geburtsrecht!«

Benfro gab sich alle Mühe, aber seine Beine kamen ihm vor wie Steine. Langsam, schmerzhaft konnte er einen Fuß ein wenig vorschieben. Dann den anderen. Es war, wie durch den Schlamm im Fluss zu waten, aber mit jedem winzigen Schritt wurde es leichter. Die Panik ließ nach und wich einem wütenden Kratzen, als ob jemand Krallen in seinen Schädel schlug und ihn nach hinten riss. Benfro schüttelte den Kopf und drängte sich vorbei an den verkohlten Überresten der Toten und dann weiter in die große Küche.

Das Feuer hatte hier nicht so viel Schaden angerichtet und das Dach war nicht eingestürzt. Am anderen Ende der Küche führte die Hintertür in den Obstgarten und dahinter in den Wald. Benfro lief, so schnell er konnte, darauf zu. Er wusste, er hätte nicht ins Dorf kommen dürfen. Nach Norden, in die großen Wälder, hatte seine Mutter ihm gesagt – wenn es seine Mutter gewesen war, die er in der Hitze ihres Todesfeuers gehört hatte. Es spielte jetzt eigentlich keine Rolle mehr. Hier gab es für ihn nichts mehr zu holen, und der Weg nach Norden würde ihn immerhin von den Reichen der Menschen wegführen. Ein neues Leben harrte seiner, weit entfernt von diesen grauenhaften Taten, und der Beginn dieses Weges war vielleicht nur noch zehn Schritte entfernt.

Melyn saß mitten im Dorf auf seinem Pferd und wartete ungeduldig, während die Novizen und Kampfpriester von einem rauchenden, verkohlten Haus zum anderen liefen und den jungen Drachen suchten. Einer nach dem anderen kehrte kopfschüttelnd zurück. Nur die große Halle, wo sich die alten Drachen zum Sterben versammelt hatten, war noch übrig. Noch immer quoll Rauch aus dem zerstörten Dach, und Melyn spürte die Hitze, die die geschwärzten Steine ausstrahlten.

»Ihr beide«, sagte er zu den nächststehenden Novizen. »Seht mal in der Halle nach. Es kann doch sein, dass er töricht genug ist, sich dort aufzuhalten.

Er sah zu, wie die beiden jungen Männer, eigentlich waren sie kaum mehr als Knaben, über das zertrampelte Gras liefen und sich dem brennenden Gebäude näherten. Dann lehnte er sich im Sattel zurück, schloss die Augen und versank in der ätherischen Sphäre.

Die Farben hätten ihn fast umgeworfen. Er war daran gewöhnt, dass die Welt flach und eintönig wirkte, wenn sie mit den Augen der Gedanken betrachtet wurde. Hier schien alles vor Leben zu fließen und zu pulsieren. Die Bäume, die das Dorf umgaben, ragten wie riesige Wachposten über ihm auf, sie beugten sich vor, wie um ihn zu packen und ihm ein Glied nach dem anderen aus dem Leib zu reißen. Die Häuser, im wirklichen Leben verbrannt und zerstört, standen hoch und stolz vor ihm, als ob ihnen nichts widerfahren wäre. Die lebendigen Gestalten von Novizen und Priestern waren bleiche, belanglose Erscheinungen, und sogar seine eigene Projektion war nur ein schattenhaftes Glimmen der Körperform, die er normalerweise herbeirief. Zum ersten Mal seit vielen Jahren verspürte Melyn eine Furcht, die er nicht selbst hervorgerufen hatte.

Es war tüchtige Arbeit, das musste er zugeben. Aber je mehr er dieses Bild untersuchte, um so klarer war ihm, dass es so tot war wie die Drachen, die es zweifellos zusammengestellt hatten, die letzten sterbenden Überreste der Zauberkraft, die ihr Dorf vor der Entdeckung bewahrt hatte. Er hatte es durchschaut und jetzt verdrängte er das Unbehagen, das ihm schließlich zu gehorchen hatte, und konzentrierte sich wieder auf die brennende Halle.

Das Feuer wütete, als ob es sich hier in der ätherischen Sphäre noch immer an den Geistern der Toten labte. Das Gebäude behielt die Erinnerung an seine Gestalt, flackernd und wesenlos zwischen den Flammen. Währenddessen standen die beiden Novizen verängstigt am Rand und trauten sich nicht weiter.

Melyn erhob sich über den Scheiterhaufen, registrierte noch das kleinste Detail und hielt zwischen Zerstörung und Tod Ausschau nach Hinweisen auf Leben. Aber er sah nur Flammen, die die Wände ausbeulten, Fenster bersten ließen und gierig die Leichname der Drachen verzehrten, die Melyn getötet hatte. Mit brutaler Schadenfreude, getrübt durch die Enttäuschung, den Schlüpfling nicht finden zu können, kehrte er in seinen wirklichen Körper zurück und öffnete die Augen.

»Da drin lebt nichts mehr, Euer Gnaden«, sagte einer der Novizen. Melyn erkannte ihn als Clun, Errols Stiefbruder. Der Junge hatte sich in den Monaten seit seiner Auswahl gemacht, er war jetzt ein kräftiger junger Mann. Vielleicht bereit, auf die Probe gestellt zu werden.

»Ihr habt das gesamte Gebäude durchsucht?«

»Die Teile, die wir betreten konnten«, erwiderte Clun. »An einigen Stellen ist das Dach eingestürzt und brennt noch. Ich habe versucht, Leben zu spüren, aber das ist mir nicht gelungen.«

»Du hast den Blick?«, fragte Melyn. »Davon hat Quästor Fermwyr mir nichts gesagt.«

»Wir haben mit der offiziellen Ausbildung noch nicht angefangen, Euer Gnaden«, sagte Clun und schlug die Augen nieder. »Mein Stiefbruder und ich haben es in einem alten Buch gefunden. Wir haben es vor der Auswahl ausprobiert. Ich hoffe, ich habe nichts Verbotenes getan.«

»Im Gegenteil, Clun. Da hast du ein seltenes Talent. Ich wünschte nur, noch andere meiner Novizen zeigten soviel Eigeninitiative. Ich werde Fermwyr sagen, er soll mit deiner Ausbildung beginnen, sowie wir ins Kloster zurückgekehrt sind. Aber für den Moment, da du offenbar mehr Ehrgeiz und Tatkraft zeigst als deine Kameraden, habe ich eine Aufgabe für dich. Nimm drei Novizen und bring den Drachen nach Candlehall. Und da führt ihr ihn der Königin vor.«

Cluns Gesicht leuchtete auf vor erregter Begeisterung. Im Mienenspiel des jungen Mannes zeigte sich noch einmal der Knabe. Er fiel auf ein Knie und sagte: »Euer Gnaden, Ihr erweist mir eine große Ehre. Ich werde Euch nicht enttäuschen.« Dann sprang er auf, als stehe der Boden unter ihm in Flammen, und lief los, um seine Begleiter auszusuchen. Melyn sah zu, wie sie ihre Habseligkeiten zusammensuchten, die Elendsgestalt Frecknock holten und sie eilig von der Lichtung trieben.

»War das weise?«, fragte Hauptmann Osgal. »Keiner von ihnen hat genug Erfahrung, um mit einem Drachen fertigzuwerden, wenn der sich querstellt.«

»Das tut Frecknock nicht«, sagte Melyn. »Ihre Widerstandskraft ist gebrochen. Und wie sollten wir denn testen, ob er als Anführer taugt, wenn wir ihm eine leichte Aufgabe stellen?«

»Was ist mit dem anderen Drachen?«, fragte Osgal. »Wie sollen wir den in diesen Wäldern aufspüren?«

»Das wird uns nicht gelingen«, sagte Melyn. »Er ist durch Magie vor uns versteckt, und ich habe jetzt nicht die Zeit, um diese Magie zu untersuchen. Aber die wird schon bald genug verfliegen. Wir kehren schnellstmöglich nach Emmas Faur zurück. Ich muss über die Rufstraße reiten und ihren Zauber erneuern, und ich weiß jetzt genug über diesen Benfro, um die Straße für ihn unwiderstehlich zu machen. Vertrau mir, Osgal, der kommt zu uns.«

3

Magog, Sohn des Sommermondes, war kraftlos, nachdem er so viel Magie gewirkt hatte, um die Welt zu spalten, und er trauerte um Amorgum, die er in der großen Schlacht gegen seinen Bruder verloren hatte. Und deshalb machte er sich auf den Weg, um sich an einem geheimen Zufluchtsort auszuruhen.

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