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Nach einem Abend im Pub kommen die Freunde Paul, Johno und Leigh auf eine verrückte Idee: Sie kaufen ein altes schwarzes Taxi namens Hannah und gehen damit auf Weltreise - von London nach Sydney, mit dem größtmöglichen Umweg. Denn so würde es jeder Taxifahrer machen, der etwas auf sich hält. Ihr 70.000 Kilometer langer Weg führt sie in die abgelegensten und gefährlichsten Regionen: In Moskau landen sie hinter Gittern, im Iran werden sie als Spione dingfest gemacht und in Pakistan sind sie nie ohne bewaffnete Eskorte unterwegs, um nicht von den Taliban gekidnappt zu werden. Und auch das Taxi Hannah entpuppt sich als Diva, die immer wieder gepflegt und repariert werden muss. Doch die drei Freunde schaffe es mit viel Humor, allen Hindernissen zu trotzen; sie brechen zwei Weltrekorde und umrunden die ganze Erde mit ihrem alten Taxi. Dieses E-Book basiert auf: 1. Printauflage 2016
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Seitenzahl: 466
PAUL ARCHER & JOHNO ELLISON
DREI FREUNDE, EIN TAXI, KEIN PLAN ...
ABER EINMAL UM DIE WELT
Aus dem Englischen von Anja Fülle
Die englische Originalausgabe ist unter dem Titel
»It’s on the meter« bei Summersdale Publishers Ltd. erschienen
© 2016 by Paul Archer & Johno Ellison
This translation is published by arrangement with Summersdale Publishers Ltd.
Dieses Buchprojekt wurde vermittelt durch Arrowsmith, Hamburg.
1. Auflage 2016
© 2016 für die deutsche Ausgabe: DuMont Reiseverlag, Ostfildern
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Codex Global/Anja Fülle
Gestaltung: FAVORITBUERO, München
Fotos: Paul Archer & Johno Ellison
eISBN 9783--7701-9995-2
www.dumontreise.de
INHALT
Kurze Ansage der Autoren
Vorwort
Kapitel 1: Plane niemals eine Expedition im Pub
Kapitel 2: Hartherzige Hannah
Kapitel 3: No U-Turns
Kapitel 4: Rollige Katzen und Tulpentänzer
Kapitel 5: Wo ist das Taxi?
Kapitel 6: Happy Hippies
Kapitel 7: Hipster-Elfen
Kapitel 8: Auf nach Osten
Kapitel 9: Russian Traditiyyy-shon
Kapitel 10: Ein Hoch auf die internationale Freundschaft!
Kapitel 11: Moskau Prison Blues
Kapitel 12: Geisterstadt
Kapitel 13: Nacktenstein!
Kapitel 14: Montag ist Heavy-Metal-Tag
Kapitel 15: Die grüne Versicherungskarte, die nicht grün genug war
Kapitel 16: Galmajuice
Kapitel 17: Stepantsky-Dingsbums
Kapitel 18: Rechts ab in den sicheren Tod
Kapitel 19: Guerilla-Camping
Kapitel 20: Ein ganz spezielles Bier in einem alkoholfreien Land
Kapitel 21: GPS-Supergau
Kapitel 22: Die Geheimpolizei, dein Freund und Helfer
Kapitel 23: Ein todgeweihter Mann in der Wüste
Kapitel 24: Abschiebung aus dem Iran
Kapitel 25: Begleitschutz
Kapitel 26: Wilde Verfolgungsjagd im wilden Osten
Kapitel 27: Entführt in Belutschistan
Kapitel 28: Kein Stress!
Kapitel 29: Unvermeidliche Tatsachen über das Leben in Indien
Kapitel 30: Leigh – verzweifelt gesucht
Kapitel 31: Bond, Hindi Bond
Kapitel 32: Leighs Listen
Kapitel 33: Mount Everest
Kapitel 34: Hallo – Danke – Diesel
Kapitel 35: Rekordhöhen
Kapitel 36: Die Entführung des Fred Jin
Kapitel 37: Volleyball-Diplomatie
Kapitel 38: Tuben in Vang Vieng
Kapitel 39: Laos Krankenhaus-Chaos
Kapitel 40: Einmal hin … und zurück?
Kapitel 41: So nagelt man einen Business-Deal fest
Kapitel 42: Das Swansea-Steroid-Monster
Kapitel 43: Quarantäne
Kapitel 44: Mit seinem Mechaniker sollte man auf gutem Fuß stehen
Kapitel 45: Kein Ende in Sicht
Kapitel 46: Chimichangas und Vierziger
Kapitel 47: Geht schon in Ordnung – ihr seid ja Briten!
Kapitel 48: Pornostars und Hamburger
Kapitel 49: Die bestbewaffnete Redaktion der Welt
Kapitel 50: Ringkampf mit Krautsalat
Kapitel 51: Fahrpreis: 100.000 $
Kapitel 52: Ein Städtchen namens Bethlehem
Kapitel 53: Ärger an der Grenze
Kapitel 54: Der versiffte Rave Club – zweiter Versuch
Kapitel 55: Auf dem Heimweg
Nachwort
Anhang:
Der Cheers-Guide – Ein Sprachführer zum Zuprosten
Danke!
Bildergalerie
Über die Autoren
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KURZE ANSAGE DER AUTOREN
Wir haben diese Reise zu dritt unternommen. Zwei von uns erzählen sie auf den folgenden Seiten. Johno wird dabei diese Schrift benutzen und Paul diese.
Zwei Erzähler in einer Geschichte unter einen Hut zu bringen war schon schwierig genug – drei Erzähler hätten definitiv den Rahmen unserer Möglichkeiten gesprengt. Also bleibt Leigh, der Dritte im Bunde, bis auf das Nachwort stumm, obwohl sein Beitrag zu diesem Abenteuer ebenso groß war wie unserer, wenn nicht sogar größer.
Unsere Story erzählt, was passiert, wenn sich drei junge Freunde Anfang zwanzig in einer alten Kiste auf Abenteuerfahrt begeben. Die Reise war weder gut geplant noch gemütlich oder smart und sollte wahrscheinlich als Anleitung gelten, wie man nicht die Welt bereist, aber alle folgenden Begebenheiten sind (leider) wahr. Es wurden allerdings die Namen einiger Leute, die wir unterwegs getroffen haben, geändert – zu ihrem Schutz.
VORWORT
Die Soldaten sahen verunsichert aus, wahrscheinlich hatten sie sich noch nie in einer solchen Situation befunden.
»LASST UNS EINFACH ÜBER DIE GRENZE, IHR AR…!«
Der Soldat, der direkt bei unserem Auto stand, sprang zurück, um aus der Reichweite des schreienden, rotgesichtigen Australiers zu gelangen, der aus meinem Fenster heraus zum Schlag ausholte. Die anderen, weitaus weniger von ihm beeindruckten Soldaten drängten nach vorn, ihre AK-47 fest im Anschlag.
Wie war ich nur hier gelandet? Wie kam ich in ein zwanzig Jahre altes Londoner Taxi, mitten in der Wüste von Belutschistan, an der Grenze Iran–Pakistan, mit einem wild gewordenen Australier als Beifahrer, der versuchte, einen Faustkampf mit den – bewaffneten – Grenzsoldaten anzufangen?
Ach ja, richtig, jetzt erinnerte ich mich wieder – ich hatte auf meinen Freund Paul gehört. Und wo war Paul jetzt? Weit weg.
Ich schloss die Augen und versuchte, mich mental von diesem Chaos zu entfernen, wenn auch nur für einen Moment.
Als ich sie wieder öffnete, war das Panorama unverändert – hinter der dreckigen, gesprungenen Windschutzscheibe starrte ich immer noch auf Stacheldrahtrollen, die die für uns so wichtige Grenze markierten, unseren heiligen Gral.
Schweiß tropfte aus meinem fransigen Bart.
Ich linste müde auf das Armaturenbrett, die Temperatur schien sich nicht geändert zu haben, aber die Tankanzeige war bereits unter die Hälfte gerutscht. Der bevorstehende Grenzübergang hing vor allem davon ab, dass dieses Taxi, diese alte Kiste, nicht den Geist aufgab. Jenseits der Grenze lagen fünfhundertfünfzig Kilometer Wüste, ein fünfzig Grad heißer Backofen, fest in der Hand der Taliban. Meine beiden besten Freunde waren Hunderte von Kilometern entfernt und meine Aufgabe war es, diese gottverlassene Gegend, in der es in letzter Zeit eine wahre Flut von Entführungen, Drogenschmuggel und Raubüberfällen gegeben hatte, in Begleitung eines wild gewordenen Beifahrers zu durchqueren, der alles daransetzte, dass man uns zumindest festnahm.
Der Aussie nahm noch einmal Anlauf: »ICH BRING DICH UM, DU KLEINES ARSCHG…«
Wie um alles in der Welt war ich hier gelandet?
Drei Jahre vorher und Tausende von Kilometern entfernt raste ein anderes schwarzes Taxi den verregneten Birmingham Expressway entlang:
»Und, war was los heute Nacht?«
Wie oft hatte man den armen Kerl wohl schon mit dieser Frage gequält?
Seine Antwort war mir eigentlich ziemlich egal, und das wusste er auch. Ich war mir sicher, dass ihm das Ganze auch egal war, und doch spielten wir die Farce bis zum Ende durch – er antwortete mit den Standard-Floskeln, die er wohl jedem auftischte, der dieselbe blöde Frage durch die Öffnung in der Plastiktrennscheibe zwischen Fahrer und Passagier lallte: Ein unverfänglicher Kommentar zum Verkehr, eine Bemerkung zu dem Nachtclub, der die meisten Kunden ausspuckte, und ein allgemeines Gejammere über die neuesten Baustellen.
Ich trug meinen Beitrag zur Konversation bei: »Cool!«, sagte ich und hing dann wieder meinen alkoholvernebelten Gedanken nach, hauptsächlich, um ihn nicht zu fragen, wann seine Schicht endete.
Ich hatte mein Weltraum-Outfit an. Ich konnte mich zwar nicht mehr erinnern, warum, aber es tröstete mich, dass alle anderen bei der Party sich auch verkleidet hatten. Ich hatte mich in diesem angenehmen Angeschickert-Stadium befunden, bis jemand die erste Runde Schnäpse ausgab … inzwischen war ich jenseits von Gut und Böse, extrem leicht begeisterungsfähig und zu allen Schandtaten bereit.
Der gelbe Filz meines Outfits war dank des Fußbodens des Pubs, der aus einer Mischung aus Schweiß, Bier, Erbrochenem, Blut und blauem Alkopop bestand, inzwischen schwarz. Wie konnten diese Bestandteile des Fußbodenbelags, von denen kein einziger schwarz war, am Ende eine schleimige, schwarze Masse produzieren? Ich grübelte ein paar Sekunden über diese Frage nach, auf die es offenbar keine Antwort gab. Dann kehrten meine Gedanken zurück zu diesem Taxi, das unglaublich lange brauchte, um mich nach Hause zu bringen, wo mich mein warmes Bett – und der unausweichliche Kater am nächsten Tag – erwarteten. Der Fahrpreis stieg in unermessliche Höhen …
Ein paar Stunden früher hatte ich mit meinem besten Freund Leigh besprochen, was wir nach Abschluss der Uni tun würden. Je mehr Bier floss, desto mehr Ideen wurden gewälzt. Er wollte eine Reise mit dem Auto machen, denn, so seine Worte, »diese Einmalum-die-Welt-Flugtickets, bei denen man gerade einmal an sechs Orten zwischenlandet, sind etwas für Luschen« – und ich stimmte ihm zu.
Fünf Minuten später waren der Taxifahrer und ich immer noch auf dem Expressway und meine Gedanken kreisten nun um die längste Taxifahrt der Geschichte, vielleicht hatte man ja einmal einen Weltrekord aufgestellt. Das wäre doch mal ein netter Rekord! Vielleicht nicht ganz so nobel wie der schnellste 100-Meter-Sprint oder eines dieser Gletscher- oder Bergsteiger-Abenteuer, aber immer noch besser als der Rekord für die längsten Fingernägel oder die Rekord-Badezeit in einer mit gebackenen Bohnen gefüllten Badewanne, aber ...
»WAS macht das?«
Wir waren endlich vor meiner Studentenbude angekommen und ich fühlte mich auf elegante Weise ausgeraubt. Ich zog kurz in Erwägung, sofort bei Guinness anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass ich gerade den Rekord der teuersten Taxifahrt der Welt gebrochen hatte.
Ich ging hinein und hörte Greg in seinem Zimmer schnarchen. Johnos Zimmer war verschlossen. Wenn Johnos Zimmer verschlossen war, sollte man am besten erst gar nicht darüber nachdenken, was er da drinnen gerade anstellte – geschweige denn, ihn dabei stören –, also ging ich in die Küche, um den Kühlschrank zu plündern.
Das Zusammenleben mit Paul konnte manchmal schwierig sein. Er hat diese unglaublich laute Stimme, die alle anderen Geräusche um ihn herum übertönt. Er hatte im letzten Jahr ein paar Mal zu später Stunde Freunde mitgebracht. Und wenn sie dann in unserem armseligen Wohnzimmer alle Probleme dieser Welt lösten, konnte ich ihre Stimmen nur als ein Murmeln wahrnehmen, bis auf Pauls Stimme, die klar und deutlich sogar noch einen Stock tiefer auszumachen war.
Aber heute Nacht war es anders. Es schien eine völlig andere Stimme die Treppe hinunter und in meinen Schlaf zu dringen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich richtig hörte, die Stimme sagte gerade:
»… das Leben in Gruppen kann zu bestimmten Problemen führen …«
Ich setzte mich im Bett auf und spitzte die Ohren, um etwas mehr von der Unterhaltung mit dem Unbekannten mitzubekommen.
»… anstatt Eier zu legen …«
Eier legen? Ich fröstelte und zog mir meinen verschlissenen Bademantel über. Ich musste wissen, was da los war.
»… ziehen es über das Fell der Mutter in ihren Beutel …«
Ich öffnete müde die Tür und stieg die Treppe nach oben – was war da bloß los?
»… die jungen Kängurus der letzten Saison sind inzwischen schon fast selbstständig.«
Auf den Anblick, der sich mir bot, als ich die Tür zum Wohnzimmer öffnete, war ich nicht vorbereitet.
Da saß mein bester Freund und Mitbewohner, ein erwachsener Mann, als John Tracy verkleidet vor dem Fernseher, verschlang eine Pizza und eine Doku von David Attenborough über Kängurus.
Meine Geduld war um diese Zeit aufs Äußerste strapaziert.
»Was zum Teufel machst du da? Geht das auch ein bisschen leiser?«
Seine Augen blieben fest auf den Bildschirm gerichtet.
»Sorry, Kumpel, aber die Fernbedienung ist weg … aber Mensch, diese Kängurus, der Hammer! Wusstest du, dass die Babys in den Beuteln ihrer Mütter leben, bis sie neun Monate alt sind?«
»Das ist mir im Moment total egal, Paul. Ich hatte schon geschlafen!«
»Hey, mein Freund«, sagte er und schaute mich endlich an, »lass uns mit dem Taxi nach Australien fahren!«
Also tat ich, was man eben so macht, wenn man sich einem betrunkenen Astronauten gegenübersieht, der einem an einem Dienstag um zwei Uhr morgens vorschlägt, mit einem Taxi um die halbe Welt zu kurven – ich sagte ihm, er solle die Klappe halten und ins Bett gehen.
KAPITEL 1
PLANE NIEMALS EINE EXPEDITION IM PUB
Paul war der Erste, den ich an der Uni kennengelernt hatte, und in den drei Jahren, die wir gemeinsam studierten, kam er immer wieder mit den verrücktesten Ideen an, die er aber nie durchzog. Ich hatte schnell gelernt, dass es einfacher war, Ja und Amen zu allem zu sagen und dann abzuwarten, bis er die Sache vergaß, als mich mit ihm darüber zu streiten, warum es vielleicht keine so gute Idee war, die Nordsee per Wasserski zu überqueren oder zur Vorlesung in einem schnieken Fünfzigerjahre-Anzug kostümiert zu erscheinen.
Als ich Paul am nächsten Morgen an sein unverständliches Gefasel über eine Taxifahrt nach Australien erinnerte, bereute ich meinen Fehler sofort – wie ein kleiner Schuljunge war ich in die Falle getappt. Mein Herz sank mir in die Kniekehlen, als ich sah, wie sich seine Augen bei der Erinnerung an seinen Plan weiteten und wie sie dann aufleuchteten, ob all der Möglichkeiten, die sich vor ihm auftaten. Ich wappnete mich für eine nachmittägliche Diskussion.
Es war ohnehin schon ein wirklich schwerer Tag für mich gewesen: Ich hatte ein paar Hundert Mal Facebook gecheckt, mir meine tägliche Dosis »Neighbours« im Fernsehen geholt, hatte ein paar Scheiben Brot getoastet, aus dem Fenster geschaut und auf der PlayStation gespielt. Jetzt ging mir langsam der Stoff aus, was ich als Nächstes tun könnte.
Ich warf einen Blick auf das verstaubte Maschinenbau-Lehrbuch auf meinem Schreibtisch. Aber so verzweifelt war ich doch wohl nicht, dass ich jetzt auch noch etwas für die Uni getan hätte? Ich suchte nach einer adäquaten Alternative, aber mir fiel nichts ein.
Ich griff im Zeitlupentempo nach dem Buch, aber gerade, als mein Schicksal besiegelt zu sein schien, stürmte Paul in mein Zimmer. Er trug seinen abgewetzten, schmutzigen Bademantel und hatte eine Schüssel Müsli in der Hand.
»Also, diese Idee mit dem Taxi …«, begann er und ließ sich auf mein Bett fallen, »bist du dabei?«
Obwohl ich nicht die geringste Absicht hatte, bei einem derart blöden Unternehmen mitzumachen, beschloss ich, Paul bei Laune zu halten und ihm jeden einzelnen Grund aufzuzählen, warum er diese Reise nicht durchziehen könnte. Sein blanker Enthusiasmus brachte es jedoch fertig, allen meinen Argumenten etwas entgegenzusetzen.
»Wie willst du das bezahlen?«
»Keine Ahnung, vielleicht mit Sponsoren oder so.«
»Aha. Und wann wirst du Zeit dafür haben?«
»Wir könnten es nach unserem Abschluss machen, dann hätten wir noch zwei Jahre, um alles zu planen.«
»Und wo zum Teufel nimmst du ein schwarzes Taxi her?«
»Gebrauchtwagenhändler, Kleinanzeigen, eBay, wir fragen einen der Taxifahrer, die uns nachts nach Hause chauffieren … Es gibt jede Menge Möglichkeiten!«
»Warte mal«, sagte ich triumphierend, denn ich war überzeugt, ich hätte endlich ein unschlagbares Gegenargument gefunden: »Du hast nicht die geringste Ahnung von Autos!«
Er wurde zum ersten Mal etwas unsicher, zögerte kurz, hatte dann aber die Sache sofort wieder im Griff: »Leigh!«, rief er freudestrahlend aus. »Leigh sagt, er kann Autos reparieren, und er wollte schon immer so etwas unternehmen! Komm, Mensch, das wird ein irrer Spaß!«
Ich wusste, dass sowieso nie etwas daraus werden würde. Aber um ihn aus meinem Zimmer zu bekommen, damit ich mir weiter »Greatest Fails of the Year« auf YouTube ansehen konnte, musste ich irgendetwas sagen.
»Okay«, seufzte ich, »ich mache mit. Aber jetzt lass mich in Ruhe, ich muss eine Abhandlung schreiben.«
Es hatte mich ein wenig irritiert, dass Johno nicht sofort völlig aus dem Häuschen war, dem Projekt seine ganze Hingabe schwor und danach die Genialität meiner Idee mit einer schönen Tasse Tee feiern wollte, also rief ich Leigh an. Er war zwar nicht der kühnste Reisende aller Zeiten (seine abenteuerlichste Reise hatte ihn bisher nur ins Camp America geführt, wo er pummeligen amerikanischen Kindern beibrachte, wie man Wände hinaufklettert), aber er war ein klasse Kumpel und er konnte Autos reparieren.
Er meldete sich in vornehmster Midlands-Manier:
»Was geht ab, Alter?«
»Alles klar, war geil gestern, oder?«
»Ja, super, denke ich zumindest … Wer hatte denn die Schnapsidee mit den Schnäpsen?«
»Keine Ahnung. Also, du, ähm … erinnerst du dich daran, dass du gesagt hattest, du wolltest auf einen Trip gehen? Wie wäre es mit einem Trip nach Australien in einem Black Cab, sobald wir den Abschluss in der Tasche haben?«
»Okay, gebongt!«
»Super!«
»Alles klar, dann bis bald.«
»Bis bald … Ach, ja, noch was: Du hast gestern gesagt, du könntest Autos reparieren, richtig?«
»Ja, genau, kein Problem.«
Er legte auf. Ich hatte einen Teamkollegen – und sogar einen, der Autos reparieren konnte.
Oder zumindest einen, der sagte, er könne Autos reparieren.
Leigh hatte auch einmal behauptet, er könne Snowboarden, aber nach einem etwas schmerzhaften Tag, der mit einem gebrochenen Daumen endete, kam heraus, dass er zuvor eigentlich noch nie auf einem Snowboard gestanden hatte.
Ich legte meine Zweifel an seinen automechanischen Fähigkeiten erst einmal beiseite – wichtig war nur, dass er ohne zu überlegen zugesagt hatte, als ob es eine ganz normale Sache sei, dass dich ein Kumpel nach einer durchzechten Nacht anruft und vorschlägt, in einem Londoner Kult-Taxi ans andere Ende der Welt zu fahren.
Jetzt konnten die Vorbereitungen beginnen.
Der Planungsprozess für ein Unternehmen dieser Größenordnung ist höchst komplex. Also machten wir uns ein paar Tage später mit einer Landkarte und einem Laptop bewaffnet auf den Weg in den Pub. Johno, Ex-RAF-Pilotenanwärter und heutiger Student, der sich kein Bier und kein Abenteuer durch die Lappen gehen ließ, stand uns als »Berater« zur Seite.
Und genau das war unser erster – und wahrscheinlich gravierendster – Fehler: Man sollte weder Expeditionen noch sonst irgendetwas in einem Pub planen.
Wir waren uns sofort einig, dass ein schwarzes Taxi auf jeden Fall das geeignete Vehikel sei. Es gab keine andere Möglichkeit, außer vielleicht einem New Yorker Yellow Cab, was aber definitiv zu unbritisch war. Dann machten wir uns daran, die Route festzulegen: Eine Reise von London nach Sydney war so gut wie jede andere, denn keiner von uns war jemals in Australien gewesen und wir hatten alle Lust, Kängurus anzugucken. Als wir uns die Landkarte ansahen und eine quasi direkte Strecke nach Sydney anlegten, erwähnte ein besonders heller Kopf, dass ein Taxifahrer, der etwas auf sich hielt, auf gar keinen Fall den direkten, sondern eher den längstmöglichen Weg nehmen würde, um das Taxameter so richtig in die Höhe zu treiben.
Es dauerte nicht lange, und schon hatten wir auf der Landkarte mit einem Filzstift eine Route durch Europa, Russland, Afrika, den Mittleren Osten, Indien, China, Südostasien und Australien gezogen, die irgendwo in Kambodscha wegen eines Bierflecks ein wenig verwischt war.
Die Idee war einwandfrei, absolut perfekt und vor allem umwerfend witzig – wenigstens zum damaligen Zeitpunkt.
Und je länger wir darüber nachdachten (was in direktem Verhältnis zu der von uns konsumierten Menge Bier stand), desto witziger fanden wir sie, und wir konnten sogar Johno als offiziellen Expeditionsfotograf an Bord lotsen, denn schließlich besaß er eine gute Kamera (grundlegende Voraussetzung für den Job). Leigh war der Mechaniker und ich, da ich weder spezielle Expeditionskenntnisse noch eine gute Kamera aufweisen konnte, würde mich um die Grenzübergänge kümmern. Was konnte dabei noch schiefgehen?
Paul und Leigh hatten die Reise nun schon mehrfach erwähnt und mir wurde langsam – mit Entsetzen und mit Begeisterung – klar, dass sie tatsächlich stattfinden könnte. Meine Euphorie wurde immer größer, und bevor ich mich versah, hatte ich allen möglichen Leuten davon erzählt. Amüsierte Freunde und Familienmitglieder und ungläubige Kollegen reagierten darauf meist mit Augenrollen und Geschmunzel, und es wurde uns klar, dass wir bald etwas vorweisen mussten, um unseren Worten Nachdruck zu verleihen: Wir mussten uns so bald wie möglich ein Taxi zulegen.
Nach langem Suchen im Internet und den Kleinanzeigen der lokalen Presse fanden wir das perfekte Modell: den LTI FX4, das klassische London Black Cab, bekannt in aller Welt. Leigh hatte tatsächlich, nachdem er auf eBay Angebote von iPod-Imitaten, alten CDs und Toastern, die das Antlitz Jesu in den Morgentoast brannten, durchforstet hatte, ein solches Taxi gefunden, zum unglaublichen Preis von 1 350 Pfund. Leigh meinte, dass das 1990er Arbeitstier ein wirklich guter Deal sei, konnte aber leider nicht nach London fahren, um es sich anzusehen. Also machten Paul und ich uns auf den Weg – mit eindeutigen Instruktionen und jeweils 450 Pfund, die wir von unseren Studiendarlehen abgezweigt hatten, in der Tasche.
Da waren wir also, liefen in einem Londoner Vorort mit einer Tasse Tee in der Hand um einen Wagen herum, in dem wir zwar schon unzählige Male gesessen, ihn uns aber ansonsten nie genauer angesehen hatten. Hier und da kickten wir ein wenig gegen die Reifen, um den Anschein zu erwecken, wir wüssten, wovon wir sprachen.
»Hmm, der Tacho zeigt 999.999 Meilen an«, sagten wir mit Kennerblick auf das steinalte Armaturenbrett. »Ist das nicht ein bisschen viel?«
»Ach, darum müsst ihr euch gar nicht kümmern«, erwiderte der Verkäufer mit Cockney-Akzent. »Der Tachometer funktioniert nicht.«
»Und wie viele Meilen hat er dann auf dem Buckel?«
Er zog die Augenbrauen zusammen und dachte kurz nach: »So um die dreihunderttausend, würde ich sagen.«
Paul und ich sahen uns an und zuckten die Schultern – was machte das schon?
»Wir nehmen ihn!«
KAPITEL 2
HARTHERZIGE HANNAH
Ungeduldig sah ich auf die Netzanzeige meines Handys. Ich hatte soeben mein Abschlussexamen an der Uni – wahrscheinlich mein letztes Abschlussexamen überhaupt – hinter mich gebracht und somit einen triumphalen Schlussstrich unter meine überwältigend durchschnittliche akademische Laufbahn gesetzt.
Theoretisch gesehen hatte ich seit meinem fünften Lebensjahr auf diesen Augenblick hingearbeitet. Wäre ich nicht so hartnäckig darauf fixiert gewesen, endlich Empfang für mein Handy zu bekommen, um meine Freunde für eine gigantische Feier zusammenzutrommeln, wäre wahrscheinlich die Erkenntnis dessen, was vor mir lag, über mir zusammengebrochen: Akademiker-Job, das wirkliche Leben, erwachsen werden, heiraten, Kinder, Haustiere, in Rente gehen und sterben.
Ich sah, wie zuerst ein, dann zwei Balken anzeigten, dass ich nun Empfang hätte, und schon klingelte das Telefon. Auf dem Display erschien eine Londoner Nummer.
Oh nein, sag bloß nicht, die sind nach London zum Feiern gefahren? Und ich stecke hier in Birmingham fest!
»Hallo?«
»Hallo, Paul, hier spricht Matt«, sagte eine männliche Stimme mit einem starken Essex-Akzent.
Matt … Matt … welcher Matt? Ich kannte keinen Matt.
»Mensch, Matt! Wie geht’s dir?« Ich hoffte, aus seiner Antwort einen Hinweis auf die Identität des Essex-Mannes namens Matt, der mich sofort nach meinem Abschlussexamen anrief, herauszufinden.
»Gut, danke, und dir?«
Matt, das war keine große Hilfe.
»Ja, super sogar, ich habe gerade eben mein Abschlussexamen hinter mich gebracht, ich bin endlich fertig mit dem Studium!«
»Das ist ja fantastisch, Mann, Glückwunsch!«
Das half mir auch nicht weiter, Matt.
»Ja, danke!«
Sein munterer Ton wurde plötzlich ernst, fast schon feierlich.
»Also, Paul, wir haben eine Entscheidung getroffen.«
»Äh, ja … welche Entscheidung denn?«
»Na, zum Non Standard Award!«
Ooooh – der Matt!
Die Taxi-Idee war ein bisschen in den Hintergrund gerückt inmitten der Abschlussexamen und der Einsicht, dass wir, obwohl wir das Taxi erstanden hatten, nicht genügend Geld für die Reise an sich hatten. In einem allerletzten verzweifelten Versuch hatten wir uns für die Non Standard Awards von Performance Direct beworben. Performance Direct unterstützt die Finanzierung von außergewöhnlichen – insbesondere außergewöhnlich blöden – Projekten, die etwas mit Autos zu tun haben. Nachdem wir die Vorauswahl durchlaufen hatten, hatten wir ihnen vor ein paar Monaten in ihren Geschäftsräumen unser Projekt präsentiert.
Es war zwar nur ein Schuss ins Blaue, aber was hatten wir schon zu verlieren? Also ließen wir unseren Slogan »It’s on the Meter« auf ein paar Polo-Shirts drucken, zogen die Bier-verwischte Linie über Kambodscha auf unserer Landkarte nach und legten uns ein Spielzeug-Black-Cab zu.
Unser Plan für die Präsentation war genial einfach: Wir würden ihnen die Karte auf den Tisch legen und von unserem Plan erzählen, mit einem Londoner Taxi nach Australien zu fahren. Sollte das nicht klar genug sein, würden wir das Spielzeug-Taxi auf der Karte die Strecke entlangschieben und dabei Autogeräusche machen. Außerdem würden wir ihnen ein Foto des richtigen Taxis zeigen, um den Ernst unseres Vorhabens zu unterstreichen, plus ein Bild von einem Känguru, um die Tierwelt zu veranschaulichen, die uns auf der Reise begegnen würde. Danach hieß es nur noch, uns einen Muffin des sicherlich auf dem Konferenztisch bereitgestellten Häppchentellers einzuverleiben und geduldig darauf zu warten, dass Lobpreis und Geld auf uns herniedergingen.
Leider lief es dann ein klein wenig anders: Johnos Autogeräusche hörten sich eher nach einem Rennwagen an, was ja nun völlig unzutreffend war; sie hatten alle Muffins schon aufgegessen, bevor wir ankamen, und anstatt Lobpreis und Geld hagelte es Fragen über Fragen.
Nach zweijähriger Vorbereitung waren wir auf diese gut vorbereitet und Leigh konnte auch die meisten technischen Fragen beantworten, aber als der Reise-Experte sich unsere verrückte Idee genauer ansah, schien er nicht besonders beeindruckt.
»Und ihr wollt tatsächlich durch Pakistan? Wenn ihr mit diesem Ding versucht, durch Pakistan zu fahren, werdet ihr umkommen … Also, genau genommen, werdet ihr umkommen, egal, womit ihr durch Pakistan fahrt.«
Wir verließen die Besprechung mit sehr gemischten Gefühlen. Die Zeit verging, und da wir nichts mehr von ihnen hörten, hatten wir sie als Sponsoren abgeschrieben. Jetzt rief Matt also an, um mir die schlechte Nachricht zu überbringen.
Matts Tonfall bestätigte meine Befürchtung.
»Also, wir haben beschlossen …«
Okay, jetzt sag schon! Ich legte mir bereits bescheidene Worte für den Abgang nach der Niederlage zurecht.
»… euch den Non Standard Award zu geben.«
Wir hatten ihn! Diese Idioten (sorry, Matt & Co!) glaubten tatsächlich, wir drei würden es in einem zwanzigjährigen Black Cab nach Sydney schaffen. Ihr Glaube ging sogar so weit, dass sie uns einen Scheck ausstellten. Das war eine unglaubliche Nachricht: Unsere Expedition würde tatsächlich stattfinden!
Obwohl wir jeden Penny in die Expedition steckten, fehlte uns doch noch jede Menge Geld. Der Non Standard Award war genug, um die Kosten für Benzin und ein paar Visa zu decken, außerdem hatten wir das letzte Jahr nonstop durchgearbeitet und einiges auf die Seite gelegt. Diese Ersparnisse plus ein, zwei Überziehungskredite pro Teilnehmer würden die Reise wohl finanzieren können, aber es fehlte trotzdem noch Geld.
Das Black Cab und das Absurde der Reise an sich, zusammen mit einem möglichen Weltrekord für die längste Taxifahrt, machte unsere Expedition einzigartig – das war uns schnell klar geworden. Auf der Reise würden fantastische Fotos und Storys entstehen, mit denen wir die Aufmerksamkeit der Medien erregen könnten. Die Auflage von Performance Direct für den Award war es, Publicity für die Expedition zu machen und den Wagen mit ihren Stickern zuzukleistern. Wenn sie uns schon eine Menge Kohle gaben, um ihre Marke in die Medien zu bekommen, dann würden es andere bestimmt auch tun. Also versuchten wir, mehr Sponsoren an Land zu ziehen.
Und dann war da noch unser Taxi: Wie bereitet man eine alte Rostbeule auf eine Weltumrundung vor?
Die Vorbereitung des Taxis zog sich unendlich in die Länge, aber Gott sei gedankt für die Wunder des Sponsorings: Wenn du ein Unternehmen nach Geld fragst, bekommst du fast immer eine Absage, fragst du nach einer Sachspende, bekommst du zwei! Wir bekamen Winterreifen von MaxSport in Irland, Kameras aus Korea, und die netten Jungs bei WOSP Racing bauten uns einen Race-Spec-Anlasser samt Lichtmaschine ein. Samco spendete einen Satz spezialgefertigter Schläuche für den Motor, und ein riesiger Kamei-Dachkoffer kam von der Roof Box Company.
Die Aufhängung des Taxis würde nie und nimmer durchhalten, also besorgte Paul doppelt so starke Blattfederungen bei einem Traktoren-Friedhof in Staffordshire und Frontfederungen bei einem Hersteller in Sheffield. Wir kauften einen gebrauchten Land-Rover-Dachgepäckträger in Kidderminster, den wir aufs Dach schweißten. Auch eine Riesenmenge persönlicher Ausrüstungsteile wie Taschen, Kameras, Sonnenbrillen und Bekleidung kamen mit der Post.
Leigh hatte zahlreiche Ersatzteile bestellt, und neben dem Taxi stapelten sich Kartons in allen möglichen Größen. Vor allem ein ungewöhnlich großer, schwerer Karton machte uns neugierig: »Was ist denn das da?«
»Das ist eine Winde.«
»Eine was? Ich dachte, wir hätten vereinbart, keine Winde zu kaufen«, wunderte ich mich.
»Doch, wir haben gesagt, wir brauchen eine.«
»Nein, haben wir definitiv nicht gesagt«, schaltete Paul sich ein.
»Was hat sie denn gekostet?«
»Fünfhundert.«
»Bist du wahnsinnig? Wir müssen sie zurückschicken! Mann, wir brauchen sie nicht und wir können sie uns nicht leisten – von dem Geld kann man in Asien zwei Monate lang leben!«
»Nichts zu machen, das ist eine Spezialanfertigung«, gab Leigh zurück.
»Also keine Rückgabe möglich?«
»Nö.«
»Mann! Die brauchen wir doch niemals. Aber wenn es eine Spezialanfertigung für ein Black Cab ist, dann kann man sie einfach so aufsetzen, richtig?«
»Richtig.«
Zweieinhalb Wochen später war die Winde angebracht. Wir bohrten, schweißten, verbolzten und fluchten – Letzteres vor allem Leighs Freundin –, und dann war das Ding angebracht. Das hieß für uns über zwei Wochen Verzug, uns blieben nur noch zwei Wochen für alles andere.
In den Monaten vor unserer Abreise waren Leigh und ich so sehr damit beschäftigt, den Wagen startklar zu machen, dass wir uns maximal ein paar Stunden Schlaf pro Nacht auf dem harten Fußboden bei einem Freund gönnten, der in der Nähe unserer provisorischen Werkstatt im Keller der Aston University wohnte. Paul kümmerte sich tagsüber um die Sponsoren und die Presse und half uns nachts am Wagen. Unsere Laune wie auch unsere Freundschaft wurden auf eine harte Probe gestellt, da wir ununterbrochen arbeiteten; einmal schoben Leigh und ich eine Fünfzig-Stunden-Nonstop-Schicht. Wir beschlossen erst, eine Pause einzulegen, als ich mit einer laufenden Heavyduty-Bohrmaschine in den Händen im völlig demontierten Taxi einschlief.
Eines späten Abends, als wir an dem Chassis des Wagens arbeiteten, kam unser Sound-System an. Natürlich war uns klar, dass ein Sound-System auf der Liste notwendiger Dinge weit hinter Reifen und Sitzen kam. Aber, hey, wenn JBL sagt, sie lassen ein Sound-System springen, dann sagt man nicht Nein. Wir betonten allerdings, dass es eines der kompakten Modelle sein müsste, da unser Platz sehr beschränkt sei. Der Karton, der ankam, war alles andere als kompakt – sie hatten uns einen Eintausend-Watt-Subwoofer, zwei gigantische Verstärker, eine iPod-kompatible Haupteinheit und passende Lautsprecher geschickt.
Pete, einer der fantastischen Menschen, die die Ärmel hochkrempelten und uns im Endspurt halfen, sagte, es wäre unmöglich, das alles im Wagen unterzubringen, denn jeder Zentimeter musste für Werkzeug und Ersatzteile genutzt werden. Er hatte recht. Wir sahen uns an und stellten uns im Stillen die Frage: Wollten wir etwa zu diesen idiotischen Typen gehören, die später in der Wüste festsaßen, weil sie wertvolle Werkzeuge und Ersatzteile einem überdimensionalen Sound-System geopfert hatten?
Ohne ein Wort begannen wir, Werkzeug aus dem Auto zu nehmen, während wir gleichzeitig schon einmal unsere iPods nach den basslastigsten Songs durchsuchten.
Eins war klar: Wir gehörten zu diesen idiotischen Typen!
Unser Taxi wurde von Tag zu Tag mehr zu einem Unikat, aber wir hatten ihm immer noch keinen Namen gegeben. Ich hatte kurz zuvor »Hard Hearted Hannah (the Vamp of Savannah)« gehört, ein Song aus den Zwanzigerjahren über eine berühmte Femme Fatale aus Georgia, die Männer hasste und sich an ihrem Leiden ergötzte. Zu der Zeit schien mir der Name Hannah geradezu perfekt für unser kleines Taxi – wenn wir auch nur geahnt hätten, wie sehr sie ihrem Namen Ehre machen würde, ein ums andere Mal.
KAPITEL 3
NO U-TURNS
Unser Trip begann hochoffiziell am London Transport Museum an der Covent Garden Piazza am 17. Februar 2011. Das eigens dafür angefertigte Taxameter wurde feierlich eingeschaltet und es waren sogar Leute von der Presse dabei. Die Berichterstattung war für uns und das Rote Kreuz, zu dessen Gunsten unsere Reise Spenden sammelte, sehr wichtig.
Unter Tränen und Jubel zugleich winkten uns Freunde und Familie hinterher, als wir mit einer Parade Taxis aus der Vorkriegszeit im Gefolge über die Tower Bridge fuhren. Wir verließen London und fuhren südlich Richtung Dover – und Hannahs erstem Ziel auf nichtbritischem Boden entgegen. Alles schien gut zu laufen und niemand schien zu bemerken, dass wir keine Ahnung hatten, was in aller Welt wir taten.
Im selben Moment, in dem Hannah auf die Fähre nach Frankreich fuhr, fiel der ganze aufgestaute Stress von uns ab: Monatelang hatten wir für ein Projekt gearbeitet, das voller Ungewissheiten steckte. Mehr als einmal hatte einer von uns die Beherrschung verloren. Versprechen wurden gebrochen und die Probleme schienen nie enden zu wollen – unsere Freundschaft wurde aufs Äußerste strapaziert. Aber dieser Moment zeigte uns, dass sich all dies gelohnt hatte; er ließ uns die belanglosen Streitereien der vergangenen Monate vergessen. Wir waren wieder beste Freunde, wir hatten es geschafft, wir hatten unseren Traum verwirklicht.
Um auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen: Unsere Probleme waren natürlich noch nicht gelöst. Aufgrund fehlender Geldmittel, und vor allem aus Zeitmangel, war das Taxi nicht wirklich verkehrstauglich. Die Bremsen griffen nicht richtig und funktionierten so schlecht, dass es an Leichtsinn grenzte. Die Blinker funktionierten nur ab und an und der Sicherheitsgurt auf der Fahrerseite verklemmte sich öfter, was es dem Fahrer unmöglich machte, den Kopf zu drehen, um zu sehen, was im toten Winkel vor sich ging.
Wir hatten auch keine funktionierenden Nebelleuchten und keine Heizung. Erst als wir auf der düsteren französischen Autobahn Richtung Paris in undurchdringliche Nebelbänke gerieten, wurde uns bewusst, wie wichtig diese Dinge doch waren. Ich saß zitternd auf dem Rücksitz und machte mich ununterbrochen auf einen Auffahrunfall durch einen der französischen Sattelzüge gefasst, während Paul und Leigh durch die Lücken spähten, die sie auf der beschlagenen Windschutzscheibe freiwischten.
Meine Angst war jedoch unbegründet, und nach einer wie mir schien viel zu kurzen Fahrt verließ Leigh, den Anweisungen des Navis folgend, die Autobahn, obwohl die Autobahnschilder unmissverständlich die Route nach Paris anzeigten. Wir setzten die Fahrt auf nebelverhangenen Landstraßen fort. Nachdem wir auf Kopfsteinpflasterstraßen an netten Pâtisserien vorbei in immer kleinere Dörfer und Dörfchen fuhren, dämmerte uns, dass etwas nicht stimmte. So hübsch Les Hamlets auch war, war es bestimmt nicht der direkte Weg nach Paris.
Wir bremsten abrupt vor einer versteckten Ampel und versuchten, das Problem zu finden. Eine uralte Madame schlurfte an unserem Taxi – im Leerlauf und mit beschlagenen Scheiben – vorbei und sah uns belustigt dabei zu, wie wir uns an den schwer zu findenden Einstellungen des Navis zu schaffen machten.
»Wir hatten recht, das Ding ist Müll!«, schimpfte ich, »der Scheiß steht auf ›No U-turns‹!«
Obwohl wir auf Abwege geraten waren, waren wir zumindest in die richtige Richtung gefahren und unserem ersten Ziel schon sehr nahe. Wir hatten es tatsächlich geschafft, uns bereits im Anfangsstadium der Vorbereitungen unserer Reise auf eine Route festzulegen. Australien war zwar letztendlich das Ziel, aber es gab ja verschiedene Wege dorthin. Abgesehen von ein paar Umwegen, um andere Länder kennenzulernen, gab es drei Hauptrouten, unter denen wir wählen konnten (und bei denen zumindest Afghanistan umfahren wurde).
Die nördliche Route durch Europa, Sibirien und Kasachstan und weiter nach China gefiel uns gut, aber wir hatten gehört, dass die Straßen fast durchweg miserabel waren, wenn man sie überhaupt als Straßen bezeichnen konnte. Die Strecke mittendurch ging durch die Türkei, Turkmenistan und den Rest der »Stans«, auch auf dieser Route waren die Straßen ziemlich schlecht und es taten sich zahlreiche Visa-Hürden auf. Dann war da noch die südliche Route durch den Iran, Pakistan, Indien, Nepal und Tibet – bei Weitem die gefährlichste Route, aber auch die interessanteste. Sie führte durch unglaublich interessante und unterschiedliche Länder und den Himalaja. Und was noch wichtiger war: Alle Straßen dieser Route waren – zumindest in der Theorie – befestigt, was für ein Taxi mit Zweiradantrieb, konzipiert für den Verkehr in der Londoner Innenstadt, ein unschlagbarer Vorteil war.
Nach einem langen Tag an der Universität hatten wir mithilfe von Google Maps und einem Laptop einen ersten Entwurf der Route erstellt, der uns allen akzeptabel schien, obwohl sie später noch verändert wurde, als wir nach und nach neue Erkenntnisse erhielten: Wir mussten uns auf geschlossene Grenzen zwischen einigen afrikanischen Ländern und Schwierigkeiten bei der Grenzüberschreitung von Israel in die benachbarten arabischen Staaten gefasst machen, und wir mussten einsehen, dass der Umweg über die Mongolei zu kostspielig, zu unpraktisch und zu schwierig werden würde. Die Route an sich blieb jedoch mehr oder weniger dieselbe, die wir von Anfang an im Sinn gehabt hatten: eine Schlangenlinie von London nach Sydney durch die unterschiedlichsten und extremsten Landschaften der Erde, von der Arktis bis hin zu den heißesten Wüstengegenden des Planeten.
Nach unserem ersten Ziel Paris wollten wir nordwärts weiterfahren nach Skandinavien und zum nördlichen Polarkreis, von dort weiter nach Russland. Danach wieder zurück Richtung Westen durch einige ost- und mitteleuropäische Länder, bevor wir uns auf den Weg durch den Mittleren Osten machten, um auf der Seidenstraße über den Iran und Pakistan nach Indien zu gelangen.
Wir hatten geplant, danach Richtung Norden durch Nepal und China zu fahren. In China würden wir unser Taxi gen Südostasien wenden und es von Singapur mit der Fähre nach Australien schippern. Die letzte gefahrene Strecke wäre die Ostküste Australiens hinunter nach Sydney. Wir hofften, die Harbour Bridge der australischen Metropole ungefähr neun Monate und achtundvierzigtausend Kilometer nach unserer Abreise aus England zu überqueren – das würde problemlos den bisherigen Rekord von 21.691 Meilen (34 908 Kilometer) brechen, der 1994 von drei Bankern aufgestellt worden war, die von London nach Kapstadt und zurück fuhren.
Warum war Paris unser erster Stopp? Wir wussten es nicht genau, aber meine Tante wohnte dort und hatte uns Champagner zur Ankunft versprochen – wenn das kein Grund für einen Umweg von vierhundert Kilometern ist! Außerdem konnten wir dort ein paar fantastische Bilder schießen, das wollten wir uns nicht entgehen lassen.
KAPITEL 4
ROLLIGE KATZEN UND TULPENTÄNZER
Nach sieben Stunden Fahrt im Schneckentempo durch Pariser Vor– orte kamen wir um vier Uhr morgens endlich bei meiner Tante an. Erschöpft legten wir uns schlafen – nach Wochen die erste durchgeschlafene Nacht. Am nächsten Morgen frühstückten wir Croissants und Baguettes und kamen endlich dazu, den Wagen richtig zu packen. Der Wagen war zwar geräumig, aber da sich unser guter Freund Chops für die Strecke London–Berlin als Mitfahrer angemeldet hatte, war der Haufen Reisetaschen und Ersatzteile noch größer geworden.
Am Tag darauf machten wir uns noch vor Morgengrauen auf den Weg, um das erste Erinnerungsfoto von Hannahs Reise zu schießen. Wir sahen das Bild bereits vor uns: Hannah würde stolz vor dem hell erleuchteten, majestätischen Eiffelturm stehen. Wir hatten nur für einen einzigen Touristen-Stopp in Paris Zeit eingeplant. Also dachten wir, der Eiffelturm wäre der geeignete Hintergrund für ein fotografisches Andenken an unseren kurzen Aufenthalt in der Stadt der Liebe und des Lichts. Als wir jedoch dort ankamen, lag der Eiffelturm im Dunkeln und war in Nebel gehüllt. Da wir uns nicht so leicht unterkriegen ließen und auch keine Sicherheitskräfte zu sehen waren (es war halb fünf morgens), öffneten wir den Zaun mit der Aufschrift ›Piétons seulement‹ (Fußgängerzone) und fuhren das Champ de Mars hinunter. Dort machten wir die beste Aufnahme, die wir trotz der Dunkelheit bekommen konnten, und setzten unsere Reise fort.
Einer der Punkte auf unserer endlosen To-do-Liste, der während der verrückten letzten Woche vor unserer Abfahrt in Vergessenheit geraten war, war die Buchung eines Hotelzimmers für unseren nächsten Stopp: Amsterdam, die europäische Hauptstadt der Prostitution, Drogen und Junggesellenabschiede. Nach einem der hektischsten und stressigsten Monate unseres Lebens waren wir zu allen Schandtaten bereit. Eine Suche im Internet nach einem Hotelzimmer, kurz bevor wir aus Paris abfuhren, hatte uns jedoch eine kalte Dusche verpasst: Die Preise für Jugendherbergen waren, vor allem an den Wochenenden, horrend. Der Gedanke, über einhundert Euro für eine Nacht in einem schäbigen Hotel, in dem es vor britischen Saufkumpanen nur so wimmelte, zu zahlen, bewegte meine Freunde dazu, sich für die Idee des Couchsurfings zu erwärmen.
Ich betrieb das Couchsurfing schon seit ein paar Jahren und hatte mindestens ebenso lange versucht, es den Skeptikern unter meinen Freunden schmackhaft zu machen. Ich fand die Idee, einen Gastgeber zu finden, der einen umsonst bei sich übernachten lässt, in einer Art Karma-basierten Gemeinschaft, äußerst ansprechend. Die Suche nach einem gleichgesinnten Gastgeber kann nach allen möglichen Faktoren definiert werden, von Alter über Geschlecht und Musikgeschmack bis hin zu Lebensphilosophie, und ein Feedback-System sorgt für Sicherheit.
Ich begann mit dem Couchsurfing bei einem Trip ins überteuerte Helsinki, eigentlich, um Geld zu sparen. Dann fand ich aber bald heraus, dass die Gastgeber fast immer interessante und freundliche Menschen waren, die es liebten, den Surfern die Seite ihrer Stadt zu zeigen, die in keinem Reiseführer zu finden ist. Es war keineswegs komisch oder unangenehm, im Zuhause einer fremden Person zu übernachten, sondern eine großartige Reisemöglichkeit, die ich seither für alle Reisen in ganz Europa benutzt hatte.
Wir waren gerade in Belgien angekommen, als mein Handy vibrierte: Ein holländischer Couchsurfer namens Jasper schickte eine SMS und lud uns ein, bei ihm zu übernachten. Er schickte uns seine Postleitzahl, damit wir sie in das Navi eingeben konnten. Bei meinen vorherigen Couchsurfing-Trips hatte ich immer gezielt Gastgeber ausgesucht, die dieselben Interessen hatten. Aber da wir kaum Zeit hatten, hatte ich eine Anfrage in einer Last-Minute-Gruppe gestellt, die quasi an die gesamte Amsterdamer Couchsurfing-Community ging.
Neue Couchsurfer kennenzulernen ist an und für sich schon eine nervenaufreibende Angelegenheit. Aber es wird noch viel ominöser, dachte ich so bei mir, als wir gen Norden heizten, wenn man mit skeptischen Freunden im Schlepptau den Gastgeber für eine Nacht trifft, von dem man nur den Namen, die Adresse und die Telefonnummer kennt. Als das Navi uns schließlich in ein baufälliges Industriegelände außerhalb von Amsterdam lotste, wurden natürlich hämische Stimmen laut:
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind, Johno?«
»Hier ist weit und breit nichts.«
Sie hatten recht. Alles, was wir sahen, waren niedrige Fabrikgebäude mit verrosteten Rollläden und einige leerstehende, zweistöckige Bürogebäude, bei denen die weiße Farbe abblätterte und der Parkplatz mit Gras überwachsen war. Es schien, als ob sich jemand einen schlechten Scherz mit uns erlaubt hatte.
Der Gedanke, bei jemandem aufzutauchen und auf dessen Sofa zu schlafen, war einfach schräg. Sosehr Johno auch versuchte, Leigh und mich dafür zu begeistern, für mich war das nur eine weitere seiner skurrilen Ideen. Er kommt eben aus dem Norden und ist ein treuer Anhänger des Freeganismus – er behauptet, das wäre gut für die Umwelt oder so. Aber so geizig zu sein, dass man im Supermarkt nach kostenlosen Produkten suchte, ging mir dann doch etwas zu weit, egal wie abgebrannt ich war.
Ich machte mir Sorgen, dass das Schläfchen auf dem Sofa eines Fremden auch nur wieder so eine seiner Erfindungen war.
Und nachdem inzwischen berechtigte Zweifel an den Fähigkeiten des Navis aufgetaucht waren, glaubte keiner daran, dass der leerstehende Firmenkomplex der richtige Ort war.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht.«
»Das ist nicht unser verdammtes Ziel, sondern ein verlassenes Bürogebäude«, korrigierte Leigh die Navi-Stimme. Genau in diesem Moment steckte ein sehr holländisch aussehender Mann mit schütterem Haar den Kopf aus einem Fenster und winkte uns zu.
»Hi, ich bin Jasper, das ist mein Zuhause«, begrüßte er uns und führte uns in ein gigantisch großes Wohnzimmer. »Ich zahle nicht sehr viel Miete, weil ich Hausbesetzer fernhalte.«
Klassische Elektro-Orgeln standen aneinandergereiht neben durchgesessenen Sofas an den Wänden. Wir warfen unsere Reisetaschen mitten im Zimmer auf einen Haufen und machten es uns gemütlich. Nach der Vorstellungsrunde tranken wir Tee und Jasper fragte: »Was habt ihr denn so vor in Amsterdam?«
Wir hatten auf der Fahrt beschlossen, uns voll in die holländische Kultur einzubringen. Also sagte Leigh, vermutlich in dem Versuch, sich bei diesem Stereotypen eines Holländers beliebt zu machen: »Wir wollen uns so richtig zukiffen!«
»Ach, echt? Tja, dann: Den hier habe ich vorhin erst gedreht«, sagte Jasper und zog einen enormen Joint hervor.
Die nächste Stunde lauschten wir regungslos, wie Jasper auf der Orgel improvisierte, zwischendurch über das Leben an sich philosophierte und uns dann erklärte, warum es seine Katze mit Chops Tasche trieb.
»Sie ist rollig, also will sie raus und will es mit den Katern draußen treiben … aber da sie nicht raus darf, treibt sie es eben mit deiner Tasche, verstehst du?«
Er jammte noch ein wenig auf der Orgel, bevor er sich wieder der Katze zuwandte. Sie war wirklich sehr rollig und rieb sich jetzt an Johnos Bein.
»Könnt ihr euch vorstellen, so geil zu sein? Sie ist so geil, dass sie gar nichts anderes mehr auf die Reihe kriegt.«
Wir kicherten wie Vollidioten, und nach einer undefinierbar langen Zeit war uns klar, dass wir alle ziemlich stoned waren und schon extrem lange kein Wort mehr gesagt hatten. Wir waren offensichtlich zu unerfahren, um in Holland einen Joint zu rauchen, also beschlossen wir, in die Stadt zu fahren und uns einer Substanz zu widmen, mit der wir mehr Erfahrung hatten: Bier!
Als der Alkohol floss und wir langsam die Sprache wiedererlangt hatten, war unsere Gruppe von fünf auf zehn und dann auf fünfzehn angewachsen. Einige davon waren Jaspers Freunde, andere einfach reguläre Kneipenbesucher und wieder andere Freunde von Freunden. Dann wurde beschlossen, dass jeder etwas Alkohol mitnehmen und die Party bei jemandem zu Hause weitergehen sollte. Wir landeten in einer großen, offenen, sehr hübsch möblierten Dachwohnung. Es war proppenvoll, Gitarren wurden hervorgezaubert und Joints wurden mit billigem Wein und schlechten Songs hinuntergespült.
Ich machte der Eigentümerin Komplimente zu der tollen Wohnung. Sie bedankte sich und nahm einen Schluck aus der Rotweinflasche.
»Die Wohnung wird oft als Film-Location verwendet.«
»Echt? Das ist ja klasse! Also, fürs Fernsehen und so?«, fragte ich total beeindruckt.
»Nein, nicht fürs Fernsehen – für Pornos. Erst gestern haben sie hier gedreht«, fügte sie ganz beiläufig hinzu.
»Da drüben auf dem Tisch waren zwei Mädels zugange und genau da, wo du jetzt sitzt, haben sie eine Männlein-Weiblein-Szene gedreht …«
»Ah, das ist ja ganz … ganz wunderbar!«
Ich fühlte mich plötzlich unglaublich britisch, als ich mich auf dem Sofa nach vorne lehnte. Jetzt wusste ich nicht mehr so recht, wohin mit meinen Händen.
Was mir von diesem Abend am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist, ist der Ausdruck in Pauls Augen. Während der fünf Jahre, die ich ihn kannte, hatte ich ihn noch nie so verängstigt gesehen. Er saß mir gegenüber und brabbelte vor sich hin, dass wir diesen Ort sofort verlassen müssten.
Ich saß auf einem hellroten Ledersofa, eingeklemmt zwischen einem gepflegten, gut gekleideten Typ Mitte zwanzig und seiner deutlich älteren Partnerin, der wohl diese Luxuswohnung gehörte. Beide hatten eine Hand vertrauensvoll auf meinen Oberschenkel gelegt. Die letzten zwanzig Minuten hatte ich damit verbracht, herauszufinden, ob die beiden mich nun anmachten oder ob meine Einweihung in die holländische Coffeeshop-Kultur mich endgültig paranoid gemacht hatte.
Als sich zwischen einem der Gäste und unserem neuen Freund und Gastgeber, Jasper, eine hitzige Diskussion entfachte, vergaßen sie mich einen Moment.
Paul nutzte die Gelegenheit, dass das Pärchen einen Moment abgelenkt war, und zischte mir zu: »Alter! Wir müssen hier weg, dieser Typ hat mir gerade damit gedroht, mich umzubringen!«
Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, und ließ im Geiste die letzten paar Minuten noch einmal Revue passieren: Soweit ich es beurteilen konnte, hatte der streitsüchtige Partygast sich auf einmal das T-Shirt vom Leib gerissen, die Hose heruntergelassen und sich ein Exemplar des Inbegriffs der holländischen Flora, sprich eine Tulpe, aus der Vase auf dem Beistelltisch geschnappt. Selbige steckte er sich dann dahin, wo man sich eine Tulpe schon aus Respekt niemals hinstecken sollte, tanzte nackt im Zimmer herum und versuchte, die anderen Gäste per Tulpenschlag niederzustrecken.
Paul und Leigh wollten unbedingt ein paar Ereignisse unserer Reise aufnehmen, also nahmen sie unsere vom Sponsor zur Verfügung gestellten Mini-Camcorder heraus und begannen, schlau wie sie waren, das Ganze aus entgegengesetzten Seiten des Zimmers zu filmen. Leider ging Paul dabei nicht ganz so geschickt vor.
Im nächsten Augenblick sahen wir, wie Jasper, auf einmal unerklärlicherweise auch Oben-ohne, verzweifelt versuchte, den immer wütender werdenden Tulpentänzer zu besänftigen. Er versprach ihm, dass Leigh und Paul – Letzterer schwitzte inzwischen aus allen Poren – die Videos auf jeden Fall löschen würden.
Mit einem Ruck kehrte ich wieder in die Realität zurück, stieß die beiden Hände von meinen Oberschenkeln und sagte bestimmt: »Okay, Jungs, es wird Zeit für uns zu gehen. Vielen Dank für die Einladung!«
Ich war am Boden zerstört, als man mich zwang, das Video zu löschen. Da war man einmal in Amsterdam in einem Schuppen, in dem Pornos gedreht wurden, auf einer Party, bei der sich ein Typ splitternackt auszog und mit einer Tulpe im Arsch durch die Gegend tanzte, und dann hatte man keine Beweise dafür! Das glaubte uns doch kein Mensch!
Jasper hatte sein T-Shirt endlich gefunden und kam hinter uns aus dem Haus.
»Die können mich mal! Zur Strafe habe ich ihnen den Wein geklaut!«, rief er lachend. Die Flasche Wein wurde sofort geköpft.
Wir waren kaum ein paar Schritte gegangen, als uns zwei Polizisten auf Fahrrädern aufhielten und darüber informierten, dass das Trinken alkoholischer Getränke in dieser Gegend verboten war. Sie forderten uns auf, den Wein wegzuwerfen. Jasper wurde sofort zum Rowdy, ließ eine unverständliche niederländische Schimpftirade los und schüttete einen großen Schluck frech in sich hinein. Die Polizisten warnten ihn: Wenn er weitertrinken würde, würden sie ihn festnehmen.
»Okay, okay, okay«, räumte Jasper ein und lief lässig auf einen Papierkorb zu. Kurz bevor er den Wein hineinwarf, schaute er auf, sah einem der Polizisten in die Augen, trank einen heldenhaften Schluck aus der Flasche und schmetterte sie in den Müll.
Sofort waren die Handschellen gezückt. Bald war auch ein Polizeiauto an Ort und Stelle, um Jasper mitzunehmen. Wir standen unbeholfen herum – was sollten wir jetzt tun? Während sie Jasper unsanft in den Wagen hievten, brachte er es fertig, uns die Schlüssel zuzuwerfen und mit gepresster Stimme »Wir seh‘n uns später in der Wooohnuung« zuzurufen.
Dank der Horden randalierender Touristen – hauptsächlich Engländer und Amerikaner – hatte die Amsterdamer Polizei reichlich Erfahrung mit »asozialem Verhalten«. Schon nach kurzer Zeit erhielten wir eine SMS von dem sehr verärgerten Jasper, dass er sich auf dem Heimweg befände. Seine Eskapade hatte ihn siebzig Euro und ein angeknackstes Ego gekostet.
Kaum war er zu Hause, öffnete er die Flasche französischen Wein, die wir als Dankeschön aus Paris mitgebracht hatten. Er erzählte uns, dass das eigentliche Problem gar nicht der Wein gewesen sei, sondern seine Weigerung, seinen Ausweis vorzulegen – etwas, das er aus Prinzip nicht tat.
Proportional zum sinkenden Pegel in der Weinflasche legte sich auch Jaspers Wut – bis er sich plötzlich kerzengerade aufrichtete:
»Jungs!«, rief er alarmiert. »Wo ist die Katze?«
KAPITEL 5
WO IST DAS TAXI?
Das Highlight der dreizehnstündigen Fahrt nach Berlin war, als das Taxameter die ersten eintausend Pfund ohne irgendwelche Millennium-Bug-Katastrophen erreichte. Ansonsten ließen wir die deutsche Landschaft mit ihren kleinen Dörfern und grünen Feldern einfach vor unseren verkaterten Augen vorbeiziehen, ohne ihnen große Beachtung zu schenken. Wir hatten ausgemacht, bei einer Freundin meines Bruders zu übernachten – sie hieß Anne und lebte in Berlin, also tauften wir sie kurzerhand »Anne Berlin«, was sie etwas verwirrte. Leider kamen wir erst um ein Uhr morgens an.
Da wir es nach drei Jahren endlich geschafft hatten, unseren Trip zu verwirklichen, waren wir schon wieder völlig aufgedreht – das musste gefeiert werden! Aber an einem Sonntag um diese Zeit waren bestimmt alle Kneipen bereits geschlossen.
Anne machte sich über unsere Unwissenheit lustig: »Mein Gott, Jungs, ihr seid in Berlin! Hier geht alles. Die Clubs sind durchgehend geöffnet.«
»Sogar die versifften Rave-Clubs?«
»Ja, Paul, sogar die versifften Rave-Clubs«, antwortete sie leicht genervt.
»Müssen wir uns irgendwie aufmotzen, Schuhe anziehen?«
»Du hast wirklich keine Ahnung, wie es hier in Berlin läuft«, sagte sie. »Wir gehen, wie wir sind, und fertig.«
So wie es aussah, hatte auch Anne Berlin keine Ahnung von Berlin. Nachdem wir in drei verschiedenen Clubs abgewiesen worden waren, weil wir nicht »hip« genug waren, fanden wir endlich eine Bar, wo man uns reinließ – eine deutsche Reggae-Bar einschließlich künstlichem Strand auf dem Parkplatz. Wir orderten ein paar typisch deutsche Drinks und plötzlich drehte sich die Unterhaltung um Tätowierungen. In einer Mischung aus Gruppenzwang und Alkohol machten wir Chops die Idee schmackhaft, sich unser Taxi als Tattoo zuzulegen. Nachdem wir seine Zusage auf Video hatten, gingen wir nach Hause, mit einer klaren Mission für den nächsten Tag vor Augen.
Wir hatten die Mittagszeit verpennt, als wir wieder zu uns kamen – fünf in Schlafsäcke gemümmelte Alkoholleichen in einer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung –, und es stank erbärmlich nach Alkohol. Als wir Chops an sein Versprechen erinnerten, stöhnte er verzweifelt auf. Noch lauter war jedoch Leighs Stöhnen, als er an einem Spiegel vorbeikam und bemerkte, dass ihm jemand, während er im Ethyl-Koma lag, einen sehr unvorteilhaften Haarschnitt verpasst hatte.
Am frühen Nachmittag waren wir alle endlich angezogen und ausgehfertig. Jetzt hieß es ab ins Taxi, ein bisschen Sightseeing und dann ein Tattoo-Studio finden.
Paul kam als Erster an die Straßenecke und drehte sich mit einem Grinsen zu uns um: »Okay, Leute … wo ist das Taxi?«
»Ha-ha, unglaublich witzig!«, knurrte Leigh, dem es nach seinem unfreiwilligen Haarschnitt nicht unbedingt nach Scherzen zumute war.
»Nein, echt jetzt, das Taxi ist weg.«
»Was gibt’s dann zu grinsen?«, konterte Leigh.
»Ich grinse ja gar nicht, also, ich meine … was soll ich denn sonst machen?«, sagte Paul auf einmal sehr ernst. »Ich schwöre, ich habe das Taxi nicht vom Fleck bewegt.«
Jetzt wurden wir alle bleich und ein unheilvolles Grummeln machte sich in unseren Magengruben breit, als wir auf den Platz starrten, an dem wir am Vorabend noch unser Taxi geparkt hatten. Wie konnten wir den Wagen nach nur fünf Tagen Reise verlieren? Wer sollte überhaupt Interesse daran haben, einen so auffälligen Wagen zu stehlen? War bereits alles vorüber, bevor es richtig begonnen hatte?
Als wir an der Polizeidienststelle ankamen, sagte man uns, dass der Wagen nicht gestohlen, sondern abgeschleppt worden sei, da er im Halteverbot stand. Dann verlangten sie einhundertfünfzig Euro von uns, damit wir den Wagen wiederbekämen. Das überstieg sogar die Summe, die wir für Chops’ Tattoo zusammengelegt hatten. Leicht deprimiert und sehr beunruhigt darüber, dass wir den Wagen bereits einmal fast verloren hätten, bevor wir überhaupt Westeuropa hinter uns gelassen hatten, fuhren wir Chops zum Flughafen. Für ihn war das Abenteuer vorüber, er flog – ohne Tattoo – nach Hause, während wir zu unserem nächsten Stopp weiterfuhren: Kopenhagen.
Es war kalt. Verdammt kalt. Je länger wir an surrenden Windkraftanlagen vorbei gen Norden fuhren, desto kälter wurde es, was uns nicht überraschte. Wir bedauerten aber, die Heizung im hinteren Teil des Wagens nicht repariert zu haben, als wir uns noch in wärmeren Gefilden befanden. Leigh saß, eingemummt in Skiwäsche und Schlafsack, aus dem nur seine Augen und seine Wollmütze hervorlugten, auf dem Rücksitz, als er eine SMS von unserem Couchsurfing-Gastgeber für diese Nacht bekam. Leider war ihm etwas dazwischengekommen und er musste uns absagen. Also war es wieder an der Zeit, eine Emergency-Couchsurfing-Message loszulassen. Schon nach zwanzig Minuten kam eine Antwort:
Hi, wir haben genügend Platz für euch, zwei Extra-Zimmer, und heute Abend gibt’s Pizza. Hier ist unsere Adresse, bis später!
Super, das war perfekt! Dann kam eine weitere SMS:
Übrigens: Wir sind ein gleichgeschlechtliches Paar und wir bestellen eine Pizza Hawaii, ist das O.k.?
Das war ein bisschen seltsam und nicht wirklich okay für einen von uns: Leigh mochte keine Ananas, aber wir wollten auch niemanden vor den Kopf stoßen, noch bevor wir angekommen waren.
Schon bald danach erreichten wir Lars und Kian in ihrem sehr skandinavischen Heim und freuten uns auf den Pizza-Abend. Umso mehr, als wir feststellten, dass eine Schinken-Pizza in Dänemark mit ebenso viel Schinken wie Käse belegt ist. Leigh pickte einfach die Ananasstücke heraus und verzog sich später mit einer Schere ins Badezimmer, um dem Berliner Desaster-Haarschnitt etwas Form zu geben.
Wir verbrachten einen tollen Tag mit Lars und Kian in Kopenhagen. Sie zeigten uns alle Sehenswürdigkeiten der Stadt: den Königspalast, das Museum des Guinness-Buchs der Rekorde (es war zwar geschlossen, aber wir posierten trotzdem für ein Erinnerungsfoto vor dem Gebäude) und die berühmte Statue der kleinen Meerjungfrau, die auf einer Mini-Insel aus dem Meer ragte. Leigh stellte die Szene für die Kamera nach, und dann war es auch schon wieder Zeit, weiterzufahren.
Unter heftigem Zittern hatten wir eine dicke Schicht Schnee vom Taxi geschaufelt und stiegen ein – nur um festzustellen, dass es drinnen noch kälter als draußen war. Jetzt reichte es – wir würden die Heizung reparieren!
Der 1992er LTI FX4 hat ein sehr spezielles Heizungs- und Kühlsystem. Dabei wird Wasser zur Kühlung um den Motor herumgepumpt; dann läuft das durch den Motor erhitzte Wasser durch ein Rohrsystem und erwärmt so den Wagen. Nur leider hatten wir, als wir den Wagen wieder zusammenbauten, diese Rohre entfernt, um Platz für ein hölzernes Fach zu schaffen, das wir »die Bar« tauften. In der »Bar« waren die fünfzehn Flaschen französischen Weins untergebracht, die als Bestechungsmaterial für die Polizei und als Geschenke für Couchsurfing-Gastgeber vorgesehen waren.
Drei Stunden lang lagen wir auf dem Parkplatz eines Heimwerkerladens im Schnee unter dem Auto. Wir fluchten und sägten und versuchten, nicht mit Frostschutzmittel getränkt zu werden – dann lief unsere provisorische Heizung: In der Mitte des Armaturenbretts ragten zwei Metallrohre heraus, die um die Handbremse herum in das Gebläse liefen. Das Gebläse war auf dem Deckel der »Bar« angebracht und dann mit der Elektrik verkabelt, sodass dem Passagier auf dem Rücksitz himmlisch heiße Luft ins Gesicht geblasen werden konnte.
Jetzt konnten wir getrost nach Schweden weiterfahren, ohne zu erfrieren.
KAPITEL 6
HAPPY HIPPIES
Man erkannte sofort, dass Anders in einer Band spielte. Nicht etwa, weil wir ihn in einem Aufnahmestudio trafen oder weil ihm eine Gitarre um den Hals hing, sondern einfach, weil er die personifizierte Coolness war. Sein langes, blondes Haar, das Samthemd und das Goldmedaillon – es passte einfach alles perfekt.
Unser neuer Gastgeber begrüßte uns in seinem heimelig warmen Studio und bot uns sofort Rotwein aus einem Tetrapack an.
»Und was spielst du so?«, fragte ich, um ein wenig Konversation zu treiben.
»In meiner Band meistens Bass, aber meine Liebe gehört eigentlich der Sitar.«
Hätte ich mir denken können.
Der Rest der Band war genauso cool wie er und sie wären wahrscheinlich problemlos in jeden versifften Rave-Club der Welt gekommen. Einer von ihnen zauberte einen Beutel hervor, dessen Inhalt verdächtig nach Hasenkot aussah.
»Das ist schwedischer Snus, müsst ihr unbedingt probieren!«